Mira - Niku Masbough - E-Book

Mira E-Book

Niku Masbough

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Beschreibung

Die siebzehnjährige Schülerin Mira erfährt eines Tages unvermittelt vom Tod ihres Freundes, Finn. Es war Selbstmord. Daraufhin gibt es nur noch eine Frage, die ihr ganzes Leben bestimmt: Warum? Um das Geheimnis um seinen Selbstmord aufzudecken, taucht Mira in die dunkle Vergangenheit ein. Sie merkt erst, wie sehr sie von ihr vereinnahmt wird, als es fast schon zu spät ist ...

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Seitenzahl: 330

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Über die Autorin:

Niku Masbough (geb. 1992) entwickelte bereits als Kind ein großes Interesse an Büchern. Während ihrer Schulzeit schrieb sie kleine Artikel für die Lokalzeitung. Im Jahr 2018 veröffentlichte Niku gemeinsam mit ihrem Professor ihre Bachelorthesis. Diese erschien unter anderem in der Online- Bibliothek diverser Universitäten.

Neben ihrer regulären Tätigkeit widmet Niku sich ihrer großen Leidenschaft, das Schreiben, zu.

Für meine Mutter. Danke für Deine Unterstützung!

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Das fehlende Puzzleteil

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Es fängt langsam an zu dunkeln, doch das fällt Mira kaum auf. Denn, seit sie Hals über Kopf das Haus verlassen hat, rennt sie blindlings durch den Wald. Der Wald. Das ist der Ort, an dem alles begann und nun endet. Das ist also das Ende, denkt Mira. Sie ist immer noch schockiert. Seit ihre Mutter ihr vorhin die schreckliche Nachricht übermittelt hat, ist es, als ob Mira die Welt durch einen Schleier wahrnehmen würde. Alles erscheint so unwirklich.

Zuerst dachte sie, dass alles nur ein Witz war. Bestimmt hat eine Verwechslung vorgelegen, redete sie sich, immer wieder, ein. Er kann doch nicht tot sein! Unmöglich! Erst nachdem einige Minuten vergingen und ihre Mutter, immer noch, mit blassem Gesicht zitternd vor ihr saß, dämmerte Mira langsam, dass es wirklich war. Es war kein Witz. Niemand würde kommen und ihr sagen, dass das nur ein blöder Scherz gewesen sei und sie wieder aufatmen könne. Niemand konnte sie vor der schrecklichen Wahrheit beschützen.

Oh, Finn! Warum hast du das getan?, denkt Mira. Finn. Der Gedanke an seinem Namen löst in ihr eine große Welle von Emotionen aus. Und obwohl sie schon außer Atem ist, rennt sie immer tiefer in den Wald hinein.

Es ist Sommer und Mira trägt dünne Sandalen. Im Halbdunkeln kann sie kaum sehen, wohin sie tritt. Der Waldboden ist übersät mit dünnen, spitzen Ästen und Stöcken, die sich in ihre Füße bohren. Die Haut ist an einigen Stellen schon aufgerissen und Blut sickert durch die Wunden. Hier und da verfärben sich ihre braunen Sandalen dunkel, durch das Blut.

Endlich bleibt sie erschöpft stehen und schnappt nach Luft. Nachdem ihr Atem etwas gleichmäßiger geht, löst sich, wie von selbst, die erste Träne von ihrem Auge, vermischt sich mit ihrem Schweiß und fällt zu Boden. Mira lehnt sich gegen einen Baumstamm. Vor ihrem geistigen Auge sieht sie jetzt deutlich sein Bild vor sich. Finn.

Es ist eine schwüle Sommernacht. Die Blätter an den Bäumen rascheln leise im Wind. Langsam hebt Mira den Kopf und sieht zum Himmel hinauf. Die hohen Baumkronen im Wald heben sich rabenschwarz vom dunklen Nachthimmel ab. Hier und da kann man die Sterne funkeln sehen. Es ist so still, dass man sogar den, am Wald angrenzenden, Fluss hören kann. Ab und an weht ein lauer Wind leise durch die Nacht. Eigentlich ist es ein wunderschöner Sommerabend. Doch Mira wird sich noch oft an diesem Abend zurückerinnern und sich wünschen, sie hätte ihn nie erlebt.

Alles woran sie, in diesem Moment, denken kann, ist Finn. FINN!

Plötzlich weht eine kühle Brise durch den Wald. Sofort fängt Mira an zu frösteln. Dennoch kann sie sich nicht bewegen. Sie fühlt sich wie versteinert. Denn, man hat sie vor vollendete Tatsachen gestellt. Finn ist tot. Es war Selbstmord. Und er ist genau in diesem Wald gestorben. Das war's! Als ob diese Worte nichts verändern würden. Als ob sich ihre ganze Welt nicht verändern würde! Die Grausamkeit der Realität trifft sie nun mit voller Wucht.

Da spürt Mira, wie ihre Beine anfangen zu zittern und drohen nachzugeben. Sie lässt sich an dem Baum zu Boden sinken. Plötzlich kommt ihr das letzte Treffen mit Finn in den Sinn. Sie runzelt die Stirn. Finn und Mira hatten sich gestritten und sie hatte ihn nicht mal zu Wort kommen lassen. Ihre Wut war so groß, dass sie die Kontrolle übernahm.

Mira schlägt die Hände vors Gesicht. Sie bereut es, verdammt nochmal! Sie bereut den blöden Streit. Hätte sie doch nur den Mund gehalten. Dann wäre das letzte Treffen anders verlaufen ...

Ihr Gesicht verzerrt sich vor Schmerz. Oh Finn! Warum? Warum hast du das getan?

Wenn sie ihn nur noch ein letztes Mal sehen könnte. Ihn, ein letztes Mal, in den Arm nehmen könnte. Nur noch ein letztes Mal. Eine letzte Chance ... Doch das geht nicht mehr. Es ist vorbei! Mira wird schlagartig bewusst, dass sie Finn nie wiedersehen wird. Nie wieder kann sie mit ihm reden und ihm diese eine Frage stellen, die ihr auf der Seele brennt: Warum?

Nie wieder werden Finn und Mira gemeinsam lachen, sich einander anvertrauen, füreinander da sein und die Abende gemeinsam verbringen. Nie wieder. Niemals! Finn ist tot. Es gibt kein gemeinsam mehr. Und es gibt auch kein miteinander mehr.

Zum ersten Mal wird ihr richtig bewusst, was sein Verlust bedeutet. Und Mira fühlt sich, mit einem Mal, verdammt einsam.

Und plötzlich ist es, als ob eine große Welle über sie schwappt und der schreckliche Schmerz bricht aus ihr hervor. Ihr Mund öffnet sich und sie schreit wie ein verwundetes Tier. Ein Schrei aus der Tiefe ihrer Seele - so laut und herzzerreißend. Mira hört sich selber schreien und sie kann nicht mehr aufhören. Schließlich kann sie nicht mehr. Ihr Schrei geht in ein lautes Schluchzen über. Alles schmerzt. Es ist ein Schmerz, wie sie ihn bisher noch nicht kannte. Ein Schmerz, der ihre Seele zerreißt und ihr den Glauben an alles Gute im Leben nimmt.

Sie bleibt noch sehr lange dort sitzen und weint, bis sie keine Tränen mehr hat.

2. Kapitel

Alles fing an einem kalten Wintertag im Januar an. Es war ein ganz normaler Montagvormittag. Mira saß neben ihrer besten Freundin Sam, in der Schule. Sie kannte Samantha, die immer nur „Sam“ genannt wurde, schon seit dem Kindergarten.

Die beiden waren damals schnell Freundinnen geworden und die Freundschaft hielt an. Sie sind beide auf die gleiche Grundschule gegangen. Und später besuchten die beiden Mädchen auch dasselbe Gymnasium. Nun war das Abitur auch schon in absehbarer Nähe.

Was die beiden schon gemeinsam alles erlebt hatten! Sam und Mira waren zusammen durch dick und dünn gegangen. Mehr als einmal hatten sie sich schon gegenseitig aus der Patsche geholfen. Mira wusste, dass, wenn es darauf ankam, sie sich immer auf Sam verlassen konnte. Und sie war sehr froh darüber, Sam als beste Freundin zu haben.

Wenn die beiden sich die anderen Mädchen aus ihrem Jahrgang ansahen, die alles dafür taten um akzeptiert zu werden und sich einer Clique anschließen zu können, konnten sie nur darüber lachen. Manche Mädels gingen sogar so weit, sich selbst aufzugeben, um dazuzugehören. Sie wollten, um jeden Preis, geachtet und akzeptiert werden, in der Schule. Doch für Mira und Sam war es ganz anders. Denn, sie verbogen sich nicht für andere. Die beiden hatten einander und damit hatten sie es schlichtweg nicht nötig, um die Gunst ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler zu kämpfen. Ihre Freundschaft war etwas ganz Besonderes. Und im Laufe der Jahre hatte sich die Freundschaft mehr und mehr gefestigt.

Mira war schlank gebaut und sportlich. Sie hatte lange, dunkle Haare, die im Kontrast zu ihren blauen Augen standen. Ihre Augen waren groß, fast schon puppenhaft. Manche würden die Farbe ihrer Augen sogar als stechend blau bezeichnen. Wenn man jedoch genauer hinsah, konnte man die Wärme und die Gutmütigkeit, ihrer Wesensart, in ihren Augen spiegeln sehen. Aber Mira war nicht nur äußerlich eine schöne Erscheinung. Darüber hinaus, war sie intelligent und sehr gut in der Schule. Dies lag, zum einen, daran, dass Mira fleißig war und viel lernte. Zum anderen, aber, besaß sie auch eine schnelle Auffassungsgabe. Insgesamt war sie eher ein nachdenklicher Mensch. Oft versank Mira, regelrecht, in ihrer Gedankenwelt, so, dass es teilweise schwierig war, an sie heranzukommen.

In ihrer Freizeit spielte sie Badminton in einem Verein. Zwei Mal in der Woche stand dafür das Training an. An den Wochenenden fanden zusätzlich Wettkämpfe und Badmintonspiele statt. Doch da es für Mira auf das Abitur zuging und sie weniger Freizeit hatte, als jemals zuvor, spielte sie nur noch einmal in der Woche Badminton. Das war an den Freitagabende. Denn, dann trafen sich sämtliche Mitglieder des Vereins, freiwillig, um spaßeshalber gemeinsam zu spielen. Das kam Mira zeitlich sehr gelegen. Sie war froh, auf diese Weise, ihr Hobby doch noch beibehalten zu können.

Während Mira durch ihr tolles Aussehen auffiel und viele Blicke auf sich zog, wirkte Sam neben ihr eher unauffällig. Sie hatte eine sehr helle Haut, die mit Sommersprossen übersät war. Ihre Haare waren rot-blond und ihre Augen hatten eher einen blassen Blauton. Außerdem war Sam kräftig gebaut und längst nicht so sportlich wie ihre beste Freundin. Ihre Stärke lag darin, gut malen und zeichnen zu können, was ihr, vor allem, im Kunstunterricht zu Gute kam. So hatte Sam in Kunst, Deutsch und Englisch ganz gute Noten, während es bei den übrigen Schulfächern eher mau aussah. Mira war einfach besser. Deshalb kam es manchmal zu Neid und Missgunst zwischen den besten Freundinnen. Doch das nahm nie die Überhand. Die Streitigkeiten und kleineren Zickenkriege waren meistens schnell wieder vergessen. Denn, für Sam und Mira stand ihre Freundschaft über solchen Geschichten.

An jenem Montagmorgen warteten also die Schülerinnen und Schüler darauf, dass der Unterricht begann. Es standen zwei Schulstunden Deutsch an. Da ging, auf einmal, die Tür auf und ihre Lehrerin, Frau Wiemers platzte, mit ein paar Minuten Verspätung, in den Deutschkurs. Sie betrat den Raum aber nicht alleine. Neben ihr ging ein großer, schlanker Junge. Frau Wiemers legte hastig ihre Tasche auf dem Lehrerpult ab, bevor sie sich vor ihren Schülerinnen und Schülern hinstellte. Dann setzte sie ein freundliches Lächeln auf.

„Guten Morgen, ihr Lieben. Ab heute haben wir einen neuen Mitschüler an unserer Schule.“

Sie machte eine theatralische Pause, bevor sie weitersprach.

„Das ist Finn. Er ist neu hierhergezogen. Bitte nehmt ihn gut bei euch auf.“

In verschwörerischem Ton ergänzte sie: „Wir wissen ja alle, wie es sich anfühlt, irgendwo neu zu sein.“

Schließlich wandte sich Frau Wiemers Finn zu.

„Setz dich doch bitte auf den freien Platz neben Max.“

Max nahm daraufhin demonstrativ nacheinander seinen Rucksack, seine Jacke und eine Flasche Apfelschorle vom Tisch, um so Platz für seinen neuen Sitznachbarn zu schaffen. Ein paar Mitschüler fingen an zu kichern.

„Ruhe bitte!“, rief Frau Wiemers.

Da gab sich Finn einen Ruck und lief zu dem freien Platz, der ihm zugeteilt worden war. Alle starrten ihn dabei neugierig an. Einige Mädels stießen sich gegenseitig an und warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Sie fanden ihn attraktiv und gutaussehend.

Völlig überraschend spürte Mira, wie Sam auch sie unter dem Tisch anstieß. Verwundert blickte sie ihre beste Freundin an. Mit einer Geste gab Sam ihr zu verstehen, dass sie Finn toll fand. Als Antwort verdrehte Mira nur die Augen. Meine Güte, was soll dieser Aufstand, dachte sie. Doch dann musterte sie den Neuen genauer. Finn war recht schlank gebaut, aber nicht auf schmächtige Art und Weise. Im Gegenteil. Er hatte einen kräftigen, aber schmalen Körperbau. Obwohl es mitten im Winter war, trug er nur ein weißes T-Shirt. Darunter hoben sich seine Armmuskeln ab. Dann ließ Mira ihren Blick höher wandern. Seine glatten, blonden Haare hatten die perfekte Länge. Sie waren nicht zu lang, als dass sie ungepflegt wirkten, noch zu kurz. Außerdem war da noch die Farbe seiner Augen. Als er vorhin so vor der Klasse gestanden hatte, hätte Mira schwören können, dass er klare blauen Augen hatte. Doch nun merkte sie, dass sich in den Blauton auch Grün mischte. Und da war noch etwas. Die Art und Weise, wie Finn sich bewegte und verhielt, ließ vermuten, dass er ein stolzer und selbstbewusster Mensch war. Dennoch wirkte er keineswegs arrogant auf Mira.

Unwillkürlich verglich sie ihn mit den anderen Mitschülern aus ihrer Stufe. Meistens neigten die Jungs, die sich ihres guten Aussehens bewusst waren, dazu, überheblich zu sein und protzten damit, die Mädchen um den kleinen Finger zu wickeln. Sie waren vollkommen rücksichtslos jeglichen Gefühlen gegenüber, die ihnen entgegengebracht wurden. Es ging nur darum, den eigenen Ehrgeiz aufzupolieren, Sex zu haben und Achtung und Respekt der Kumpels zu erlangen. Zu allem Überfluss verbreiteten sich solche Geschichten wie ein Lauffeuer in der Schule. Am Ende wussten alle Bescheid, was sich zugetragen hatte und es wurde getuschelt und gelästert. Für die betroffenen Mädchen war es der reinste Horror und sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten. Ganz abgesehen davon, dass es nichts gab, was sie dagegen hätten tun können.

Diejenigen, die nicht persönlich davon betroffen waren oder als „Verlierer“ hervorgingen, erfreuten sich an solchen Geschichten. Für sie war es reine Unterhaltung.

Aber nicht nur Jungs waren gemein zu den Mädchen. Auch umgekehrt hatte es schon ein paar üble Geschichten gegeben, die in der Schule herumkursiert waren.

Mira schaute Finn immer noch gedankenverloren an, als er plötzlich den Kopf drehte und ihr direkt in die Augen sah. Da schreckte sie hoch und wandte den Blick schnell ab. Dann spürte Mira, wie ihr die Röte ins Gesicht schoss und ärgerte sich darüber. Diese verräterische Geste! Finn betrachtete sie noch kurz, bevor er wieder den Blick nach vorne zur Tafel richtete.

Sie waren gerade dabei die Hausaufgaben gemeinsam im Kurs zu besprechen. Auch Mira konzentrierte sich vollkommen auf den Unterricht. Nicht umsonst hatte sie jede Seite von der Lektüre, die sie als Hausaufgabe aufhatten, sorgfältig durchgelesen und ihre eigene Interpretation dazu aufgeschrieben. Sie war eine sehr ehrgeizige Schülerin und trug hilfreich zum Unterricht bei.

Für Finn war es die erste Unterrichtsstunde an der neuen Schule. Anfangs hielt er sich zurück und versuchte zu verstehen, worum es ging. Immer wieder warf er dabei einen Blick in Max' Lektüre, die in der Mitte des Tisches lag. Mira beobachtete, wie Finn sich fleißig Notizen machte. Als er schließlich die Hand hob, um etwas zu sagen und im Unterricht mitzumachen, staunte sie nicht schlecht. Er ist gut!, dachte Mira. Denn, Finn hatte einfallsreiche Ideen und betrachtete die Sätze aus einem Blickwinkel, die sehr interessant war. Auch Frau Wiemers nickte anerkennend, als ihr klar wurde, dass er eine philosophische Ader besaß.

Manchmal blickt Mira zurück auf diesen kalten Montagmorgen im Januar. Und sie kann kaum glauben, wie sehr sich ihr Leben seitdem verändert hat. Was hätte sie anders gemacht, wenn sie die Chance gehabt hätte, in die Zeit zurückzureisen?

3. Kapitel

Mira schaut auf die Handyuhr. Eigentlich ist es das Handy ihrer Mutter. Doch nachdem sie, schon zum zweiten Mal, ihr Eigenes verloren hat, hat sie das ihrer Mutter aufgezwungen bekommen. Mira ist zwar nicht begeistert davon, aber es ist besser, als gar kein Handy zu haben.

Es ist sieben Uhr morgens und sie hat die ganze Nacht kein Auge zumachen können. Alles erscheint ihr so unwirklich: Der gestrige Abend, die plötzliche Nachricht von Finns Tod, ihr Zusammenbruch im Wald und die darauffolgende Nacht, in der an Schlaf nicht einmal zu denken war. Es ist wie ein schrecklicher Alptraum, aus dem es kein Erwachen gibt.

Gestern Abend war noch alles wie immer. Mira, ihre Mutter, Katja und ihre Schwester, Lynn, saßen zu dritt beim Abendessen. Später verkroch sich Lynn in ihr Zimmer, Mira schaute im Wohnzimmer fern, während ihre Mutter in der Kühe herumhantierte. Da klingelte, auf einmal, das Telefon. Katja trocknete sich die Hände am Geschirrtuch ab, lief in den Flur und griff nach dem Hörer. Mira konnte im Wohnzimmer Bruchteile des Telefonats verstehen. Sie hörte, wie ihre Mutter rief: „Oh... wirklich? Das ist ja schrecklich ... Wie konnte das passieren?! ... furchtbar! ...“ Doch da Katja einen Drang hatte, Sachen zu übertreiben, dachte sich Mira nichts weiter dabei.

Nachdem ihre Mutter aufgelegt hatte, kam sie zu ihr ins Wohnzimmer herüber. Mira saß wie gebangt vor dem Fernseher und schaute eine Talkshow. Sie beachtete Katja nicht weiter, bis sie sich neben ihr, auf dem Sofa, setzte und sie eindringlich betrachtete.

„Mum? Was ist denn los?“, fragte Mira, den Blick fest auf dem Flachbildschirm geheftet.

Da griff Katja nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus.

„Ich muss mit dir reden, Mira.“

Jetzt hatte sie die volle Aufmerksamkeit ihrer Tochter. Mira fiel auf, dass ihre Mutter blass war und leicht zitterte. Verwundert runzelte sie die Stirn.

„Mira, das war der Elternbeirat am Telefon. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … etwas Schreckliches ist vorgefallen.“

Da richtete sich Mira kerzengerade auf. Sie spürte, wie ihr Herz schneller pochte.

„Einer deiner Mitschüler ist gestorben. Er … er hat Selbstmord begangen. Im Wald.“

Erschrocken riss Mira den Mund auf.

„Er hieß Finn.“

Nein!, dachte Mira mit weit aufgerissenen Augen. Nein, das konnte nicht wahr sein! In ihr Kopf drängten sich tausende Gedanken gleichzeitig. Sie konnte ihren eigenen Gedankengängen kaum noch folgen. Dann kamen ihr die ersten Zweifel. Ein kleiner Hoffnungsschimmer flammte auf.

„Bist du dir sicher? Also ich meine, vielleicht hast du dich verhört?“

Katja musterte sie einen Moment lang schweigend.

„Nein, ich habe mich leider nicht verhört. Der Elternbeirat ruft gerade alle Eltern aus deinem Jahrgang an, um ihnen auch Bescheid zu geben. Ihr sollt es von uns hören und nicht durch die Medien erfahren. Die Schulleitung ist, übrigens, am Überlegen, was sie am besten tun soll.“

Mira saß nur wie erschlagen da. Sie konnte immer noch nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Es ist nicht wahr, dachte sie. Es durfte nicht wahr sein! Dann nahm Katja vorsichtig ihre Hand.

„Geht es dir gut, Liebling? Wenn du reden willst, bin ich für dich da ... Kanntest du Finn eigentlich näher?“

„Nein!“, log Mira wie aus der Pistole geschossen.

Sie verleugnete ihre Freundschaft zu Finn. Verräterin!, raunte Mira, in Gedanken, zu sich selbst.

Doch sie konnte ihrer Mutter jetzt unmöglich die Wahrheit sagen. Das ging nicht.

„Nein, ich kannte ihn nicht näher.“, wiederholte Mira mit Nachdruck.

Ihre Mutter schien etwas erleichtert. Dennoch war Katja überfordert mit der Situation. Wie konnte sie ihrer Tochter am besten helfen?

„Ich mache uns einen Tee, dann können wir darüber reden.“, schlug sie vor.

Bloß nicht, dachte Mira. Aber da entfernte sich ihre Mutter schon. Während sie in die Küche ging und heißes Wasser aufsetzte, saß Mira wie versteinert auf dem Sofa. Sie versuchte zu verstehen - wirklich zu begreifen - was vorgefallen war. Finn ist tot, dachte sie immer wieder, wie im Trance. Dennoch blieben ihre Augen trocken. Mira konnte nicht weinen.

Dann kam ihre Mutter, mit zwei dampfenden Tassen Tee, wieder zurück ins Wohnzimmer.

„Vorsicht, es ist heiß.“, murmelte sie während sie ihrer Tochter eine Tasse in die Hand drückte. So saßen Mira und Katja, jeweils ihren eigenen Gedanken nachhängend, schweigend nebeneinander auf dem Sofa. Katja warf einen besorgten Seitenblick auf ihre Tochter. Mira schien nur körperlich da zu sein. Ihre Schultern hingen nach vorne und sie hielt sich merkwürdig gekrümmt. Sie war generell ein nachdenkliches Mädchen, aber vielleicht steckte mehr hinter ihrer niedergeschlagenen Haltung. Einen Moment lang wurde Katja stutzig. Hat Mira etwa gelogen, was Finn betraf? Doch dann verwarf sie den Gedanken wieder. Warum hätte ihre Tochter lügen sollen? Außerdem hörte Katja den Namen Finn zum ersten Mal. Sie fragte sich, warum er Selbstmord begangen hatte. Wurde er in der Schule gemobbt? Hatte Finn zu Hause Probleme gehabt? Doch ihr war klar, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um dieses Thema anzuschneiden. Sie wollte Mira vorerst nicht danach fragen.

Nachdem sie beide eine gefühlte Ewigkeit nebeneinander auf dem Sofa gesessen hatten, beschloss Katja das Teegeschirr aufzuräumen. Mira hatte ihren Tee kaum angerührt.

„Mira, es ist schon spät. Und du musst morgen in die Schule gehen. Ich weiß, dass der Tod deines Mitschülers dich mitnimmt. Deshalb bitte ich dich, zu mir zu kommen, falls es sehr schlimm wird. Wir alle, Eltern und Lehrer, sind für dich und deine Mitschüler da.“

Sie packte ihre Tochter liebevoll an den Schultern. „Für heute ist es genug.“

Sie sagte das freundlich, aber bestimmt. Wie im Trance erhob sich Mira daraufhin vom Sofa, wünschte ihrer Mutter eine gute Nacht und gab vor, bald schlafen gehen zu wollen. Doch sobald Katja mit der Arbeit in der Küche fertig war und in ihr Zimmer ging, schlüpfte Mira leise aus dem Haus. Dann rannte sie gedankenverloren in den Wald. Es war die pure Verzweiflung, die sie dorthin trieb. Mira hatte das Gefühl zu platzen, wenn sie sich noch länger im Haus aufhielt. Vor den Blicken ihrer Mutter musste sie die Ruhe bewahren, während sie innerlich vor Verzweiflung schrie und das Gefühl hatte, verrückt zu werden.

Der Wald lag nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt. Täglich liefen dort Jogger und Spaziergänger mit ihren Hunden entlang. Es war ein recht großes Gebiet, das direkt an der Kleinstadt und an einem Fluss grenzte. Außerdem gab es dort verschiedene, ausgeschilderte Wanderwege.

Die Bewohner waren sich einig, dass der Wald das Herzstück ihrer kleinen Stadt darstellte. Dort konnten sie frische Luft tanken, die Natur bewundern, auf andere Gedanken kommen und vom Alltag abschalten.

Auch Mira war froh, so einen ruhigen und schönen Ort in ihrer Nähe zu wissen. Sie kannte den Wald in- und auswendig, da sie schon als Kind viel Zeit dort verbracht hatte.

Mira kann sich nicht mehr erinnern, wie sie vom Wald wieder nach Hause gelaufen war. Sobald sie daheim ankam, schlich sie sich, auf Zehenspitzen, in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzuziehen und ihre dreckigen, blutverschmierten Sandalen auszuziehen. Ihr fehlte die Kraft dazu. Und so lag Mira, vollständig angezogen, im Bett, wo sie sich die ganze Nacht lang umher wälzte.

Wieder schaut sie auf die Uhr. Inzwischen ist es Viertel vor acht. Ihre Mutter ist schon längst zur Arbeit aufgebrochen. Katja verlässt das Haus, jeden Morgen, noch vor ihren Kindern. So sieht sie Lynn und Mira, unter der Woche, erst am späten Nachmittag oder frühen Abend.

Katja hat einen Vollzeitjob in einer Firma. Als Unternehmensleiterin ist sie oft gezwungen, noch Überstunden zu machen. Denn, durch ihre höher gestellte Position trägt sie viel Verantwortung.

Vor zwölf Jahren fing sie in der Firma, als Teilzeitkraft an, zu arbeiten. Doch durch jahrelange, zuverlässige und gute Arbeit, schaffte es Katja, sich hochzuarbeiten. Jetzt ist sie die einzige, alleinerziehende Mutter, die Unternehmensleiterin ist. Damit hat sie nicht nur den Respekt ihres Chefs, sondern auch die, ihrer Kollegen erlangt.

Katja ist mehr als zufrieden mit ihrer Arbeit, denn sie gibt ihr das Gefühl, gebraucht zu werden und verleiht ihrem Leben Struktur.

Gerade in der schlimmen Zeit, in der ihr Ex-Mann sie, von einem Tag auf den anderen verließ, war ihre Arbeit die einzige Konstante in ihrem Leben. Mira und Lynn kennen ihren Vater kaum. Denn, er verließ die Familie, als Mira drei, und ihre kleine Schwester ein Jahr alt waren. Er verliebte sich damals in eine andere Frau und entschied, seine Familie für sie aufzugeben. Das kam unerwartet und Katja hatte das Gefühl, dass ihr der Boden unter den Füßen weggerissen wurde.

Wenn sie heute auf diese dunkle Zeit zurückblickt, kann sie darüber lachen. Denn, sie hat aus ihren Fehlern gelernt und ist gestärkt daraus hervorgegangen.

Nach außen hin, wirkt Katja stark und gilt als erfolgreich in ihrer Familie, Freundes- und Bekanntenkreis. Doch für ihren Erfolg zahlt sie einen recht hohen Preis. So hat sie kaum Zeit für ihre Kinder. Wenn Katja mal daheim ist, hat sie alle Hände mit den liegengebliebenen Haushaltsarbeiten zu tun.

Obwohl Mira und Lynn es nie laut aussprechen, wünschen sie sich oft, dass ihre Mutter mehr Zeit für sie hätte. Es gibt viele Situationen, in der die beiden Mädchen Katja, zu Hause bräuchten: Angefangen bei den Hausaufgaben, bis hin zu, zum Sportverein hinzukommen, wenn sie mal den Bus verpasst haben, oder wenn sie einfach einen guten Ratschlag gebrauchen könnten.

Das Familienleben funktioniert so einigermaßen. Gemeinsame Unternehmungen zu dritt sind zwar nur auf Mahlzeiten und die obligatorischen Besuche bei den Verwandten beschränkt. Doch das kommt den beiden Schwestern ganz gelegen da sie sich ohnehin nicht gut verstehen. Als Kinder waren die beiden unzertrennlich. Mira war stolz, die große Schwester zu sein und sie sah es als ihre Aufgabe an, Lynn zu beschützen. Daher opferte sie viel für ihre kleine Schwester und übernahm in Situationen Verantwortung, die sie gar nicht hätte übernehmen dürfen, da sie dafür noch zu klein war.

Doch Mira findet, dass Lynn undankbar ist und nie begriff, was sie für sie getan hat. Sie ist enttäuscht von ihrer kleinen Schwester. Aber zum Glück hat sie Sam, die für sie wie eine Schwester ist.

Rums! Mira hört, wie die Haustür ins Schloss fällt. Das Geräusch lässt sie unwillkürlich zusammenzucken und ihre Gedanken kehren wieder in die Gegenwart zurück. Lynn hat soeben das Haus verlassen, um zur Schule zu aufzubrechen.

Die beiden Mädchen gehen auf zwei verschiedenen Gymnasien.

Da nimmt Mira die pochenden Kopfschmerzen und ihre schmerzenden Füßen wahr. Auch ihr Hals fühlt sich merkwürdig trocken an und ihr ist ein wenig übel.

Im Bett liegend, fasst sie sich an die Stirn und schließt die Augen. Eine Weile später zwingt sich Mira schließlich, doch aufzustehen. Wie in Zeitlupe setzt sie sich im Bett auf und starrt vor sich hin. Dann schlägt sie die Decke zur Seite und erschrickt. Ihr Bett ist ganz schmutzig wegen den dreckigen Sandalen und ihrer Kleidung. Jetzt, bei Tageslicht, entdeckt Mira auch die Wunden an ihren Füßen. Plötzlich wird ihr speiübel beim Anblick ihres getrockneten Blutes. Wie ein Reflex hält sie die Hand vor dem Mund und rennt ins Bad. Gerade noch rechtzeitig schafft sie es, sich über die Kloschüssel zu beugen. Dann würgt sie ein paar Mal, bevor sie sich übergeben muss. Dabei laufen ihr die Tränen über das Gesicht.

Sie bleibt so lange über die Kloschüssel gebeugt, bis sie sich sicher ist, dass sie sich nicht mehr übergeben muss. Dann schließt Mira langsam den Deckel und bleibt noch einen Moment lang, mit geschlossenen Augen, auf dem Boden sitzen. Irgendwo in ihrem Kopf kommt ihr Gedanke, dass sie ganz alleine zu Hause ist und niemand ahnt, wie schlecht es ihr geht. Finn! ...

Mira spürt ein unangenehmes Kribbeln in den Beinen und steht mühselig auf. Als sie ihre Hände und das Gesicht waschen will, fällt ihr Blick plötzlich in den Spiegel, der über dem Waschbecken hängt. Da schreckt Mira über ihr eigenes Spiegelbild zusammen. Es ist, als ob sie einen schwerkranken Menschen ansehen würde. Ihre Haare stehen wirr vom Kopf ab und ihre großen, blauen Augen sind geschwollen und blutunterlaufen. Unter ihren Augen hat Mira dicke Ringe. Außerdem sind ihre Lippen spröde und ein wenig geschwollen. Doch am schlimmsten ist ihre leichenblasse Haut, die sie fast geisterhaft wirken lässt. Miras dunkle Haare heben die Blässe nochmals hervor. Sie kann ihr eigenes Spiegelbild kaum ertragen. Andererseits fällt es ihr schwer, den Blick abzuwenden. Mira findet ihr Anblick so schrecklich, dass sie, wiederum, fasziniert ist davon.

Langsam dreht sie den Hahn auf und klatscht sich kaltes Wasser ins Gesicht. Danach streift sie ihre blutverschmierten Sandalen und ihre Kleidung ab.

Als sie unter der Dusche steht und spürt, wie das warme Wasser ihren nackten Körper herunterfließt, fühlt sie sich, merkwürdig zum Leben erwacht. Die Wunden an ihren Füßen beginnen zu brennen. Zuerst seift sich Mira die Haare, und dann den Körper mit Shampoo ein. Danach spült sie alles wieder gründlich aus.

Nachdem sie fertig geduscht hat, versorgt sie ihre Wunden mit Pflaster und schlüpft in saubere Kleidung.

Gedankenverloren betritt Mira dann die Küche und öffnet den Kühlschrank. Es ist das übliche da: Brot- Aufschnitt, Joghurt, Tomaten, Paprika, Butter, Käse, Milch, Eier und Essen vom Vortag. Doch sie kann jetzt unmöglich etwas essen. Stattdessen schnappt sich Mira ein Glas und schenkt sich Wasser ein.

Als sie sich an dem Küchentisch setzt, um Wasser zu trinken, fällt ihr ein, dass sie die Schule schwänzt. Das lässt sie in ihrer Bewegung inne halten. Doch bevor Mira anfangen kann, sich darüber weiter Gedanken zu machen, breitet sich, mit einem Mal, die Müdigkeit in ihr aus. Nachdem sie ihren Durst gelöscht hat, legt sie sich wieder ins Bett zurück. Sie ist so schrecklich müde, dass sie, sofort in einem erschöpften Schlaf fällt.

4. Kapitel

Finn war schon ein paar Wochen auf der neuen Schule. Mit seinen Mitschülern verstand er sich gut und eckte nirgends an. Aber feste Freundschaften hat Finn noch nicht geschlossen. Das lag vielleicht daran, weil sich die anderen schon lange kannten und es hatten sich bereits feste Cliquen gebildet. Möglicherweise lag das aber auch an seiner verschlossen Art. Er war zwar nett und höflich, doch sobald man ihn genauer über sein Leben befragte, gebot er Einhalt. Finn gab dann ausweichende Antworten und wechselte schnell das Thema. Das hinterließ einen komischen Geschmack bei seinen Mitschülern und sorgte für Distanz.

Doch den Lehrern fiel das nicht auf. Für sie war Finn ein guter Schüler, der sich stets am Unterricht beteiligte und sogar sehr gute Noten schrieb. Außerdem gehörte Finn gehörte zu den Wenigen, die schon volljährig waren.

Mira und Finn waren in der Oberstufe und blickten dem Abitur entgegen. Es gab keine Klassengemeinschaft mehr, sondern das sogenannte Kurssystem. Das bedeutete, die Schülerinnen und Schüler hatten bestimmte Vorgaben, nachdem sie ihre Kurse selber wählen mussten.

Die Zuteilung der Schülerinnen und Schülern in die Kurse war aber der Schulleitung vorbehalten. Sie legte den Stundenplan für jeden einzelnen Schüler fest.

Sam und Mira waren in Deutsch, Kunst, Englisch und Geschichte den gleichen Kursen zugeteilt.

Doch gerade in Sport wünschte sich Mira manchmal, dass ihre beste Freundin im selben Kurs wäre wie sie. An sich war sie begeistert von Sport. Doch sie verabscheute den Sportunterricht. Denn, ihr Lehrer Herr John war einfallslos und wusste nicht so recht, was er mit dem Kurs machen sollte. Außerdem fand sie, dass Sport eine Freizeitbeschäftigung war und nur aus Spaß betrieben werden sollte.

An einem Donnerstagabend entschied ihr Sportlehrer, zu Miras Freude, dass im Unterricht Basketball gespielt werden sollte. Mira hatte jahrelang Basketball im Verein gespielt und freute sich, zeigen zu können, was sie so drauf hatte.

Nach der Aufwärmphase wurden alle in zwei Teams eingeteilt, die dann gegeneinander spielten. Finn und Mira waren in unterschiedlichen Gruppen.

Ihr Sportlehrer, Herr John, pfiff ab und das Basketballspiel startete. Bereits nach wenigen Minuten Spielzeit war klar, dass Mira eine der besten Spieler war. Sie erzielte viele Punkte für ihre Mannschaft. Mit ihrem Team hatte Mira vereinbart, dass sie sich die ganze Zeit in der Nähe des gegnerischen Korbes aufhielt, sodass ihre Teamkollegen ihr den Ball zupassen konnten. Doch damit die gegnerischen Spieler nicht nur Mira deckten und ihre Taktik gefährdet wurde, entwickelte das Team, während des Spiels, eine neue Strategie. So passte Mira, ab und an, den Ball, kurz vor dem Abwurf, einem ihrer Teamspieler zu, damit dieser den Punkt für die Gruppe holte. Auf diese Weise konnte die gegnerische Mannschaft nie wissen, wer als nächstes einen Korb erzielen würde.

Hinzu kam, dass Mira recht klein war, sodass sie manchmal gar nichts sehen konnte, wenn man sie deckte. Das ärgerte sie sehr. Doch auch hier konnte sie sich auf ihre Teamkollegen verlassen, die versuchten, die Verteidigung der Gegenspieler so gut wie möglich abzuwenden, damit Mira freie Hand hatte beim Abwurf. Zusammen waren sie eine starke Mannschaft.

Aber auch die andere Gruppe war nicht zu unterschätzen. Vor allem Finn stellte sich als hervorragender Basketballspieler heraus. Er hatte eine beinahe hundert prozentige Trefferquote und holte ebenfalls viele Punkte für sein Team.

Es war ein spannendes Basketballspiel. Als es Halbzeit wurde, hatte Finns Team sogar einen kleinen Vorsprung. Obwohl sich in Miras Mannschaft die stärkeren Spieler befanden, konnte Finn das, durch seine sichere Trefferquote, kontern.

Herr John war sehr beeindruckt vom Teamgeist und Hingabe seiner Schülerinnen und Schüler.

Die Halbzeit nutzen beide Mannschaften um sich zu erholen und zu besprechen, wie sie ihre Spieltaktik weiter ausbauen konnten.

Mira hat schon lange nicht mehr mit so viel Begeisterung am Sportunterricht teilgenommen. Jetzt war ihr Kampfgeist geweckt worden und sie wollte dieses Spiel unbedingt gewinnen.

Unwillkürlich fiel ihr Blick auf ihren stärksten Gegner. Finn. Mira bemerkte, dass er total verschwitzt war. Auf seinem T-Shirt hatte sich ein kreisförmiger Schweißfleck gebildet und seine Haare waren, am Ansatz, ganz nass. Trotzdem sah er gut aus. Mira blieb nicht verborgen, dass viele Mädchen verstohlen ein Blick auf Finn erhaschten, wenn sie glaubten, dass er nicht hinsah. Sie fand das ziemlich peinlich und wandte etwas verächtlich den Blick ab.

Als Mira ihren Teamspielern beitrat, um die weitere Strategie mit ihnen abzusprechen, bemerkte sie nicht, dass Finn ihr einen neugierigen Blick zuwarf. Er musterte sie von Kopf bis Fuß: Mira trug hautenge Leggins, in der die Form ihrer Beine gut zur Geltung kam. Auch ihr Sporttop war enganliegend und figurbetont. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen gebunden. Angestrengt durch den Sport glühten ihre Wangen leicht rötlich. Diese Kleinigkeit machte Mira, in seinen Augen, sympathischer und ließ sie niedlich wirken. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte Finn schließlich den Blick ab.

Da ging die zweite Halbzeit los und Mira legte sich mächtig ins Zeug. Sie tat alles, um den Vorsprung der gegnerischen Mannschaft abzubauen. Gemeinsam mit ihrem Team setzten sie ihre neue Spieltaktik um.

Das Spiel blieb spannend bis zum Schluss. Denn, beide Teams schienen gleich gut zu sein. Mal hatte die eine Mannschaft einen kleinen Vorsprung, dann die Andere. Bis zum Schluss ließ sich nicht vorhersagen, welches Team gewinnen würde.

Als Herr John schließlich laut in seine Pfeife blies, herrschte Gleichstand zwischen den beiden Mannschaften und die letzten dreißig Sekunden Spielzeit brachen an.

„Der nächste Korb wird entscheiden!“, rief Herr John. „Falls kein Korb mehr fällt, bleibt es unentschieden.“

Dann wurde der Ball, vom Rand des Spielfelds aus, eingeworfen und zu Mira gepasst. Doch sobald sie den Ball abfing, wurde sie plötzlich von drei der gegnerischen Spielern gedeckt, sodass sie nichts sehen konnte. Als sie dann kurz zögerte, wurde ihr der Ball aus der Hand geschlagen. Nun hatte die Gegenmannschaft den Ball und er wurde zu Finn gepasst.

„Das ist nicht fair!“, schrie jemand und Mira riss fluchend die Arme über den Kopf. Sie hatte ihre Chance verpasst. Jetzt lag das Ende des Spiels in Finns Händen. Er warf den Ball ab und verpasste knapp den Korb. Genau in diesem Moment pfiff der Sportlehrer ab. Die Zeit war vorbei und das Spiel endete unentschieden.

Finns Teamspieler schienen etwas verärgert, über die verpasste Chance, das Spiel für sich zu entscheiden. Doch sie machten Finn keinen Vorwurf, da er sein Bestes gegeben hatte. Mira, aber, wurde stutzig. Denn, Finn hatte, während des Spiels, mehrmals bewiesen, dass seine Trefferquote sehr sicher war. Das was sie gesehen hatte, ließ sie den leisen Verdacht schöpfen, dass er absichtlich daneben geworfen hatte. Aber warum sollte Finn das tun?, fragte sie sich verwundert und betrachtete ihn eindringlich.

„Hey, ist alles okay?“

Mira zuckte erschrocken zusammen. Beate, eine ihrer Teamspieler stand plötzlich neben ihr und schaute sie komisch an. Mira überlegte, ob sie ihr von ihrem Verdacht erzählen sollte. Sie entschied sich dann aber schnell dagegen.

„Ja, alles gut.“, lächelte Mira. Doch die Frage, ob Finn absichtlich daneben geworfen hatte, ließ sie den Rest der Stunde nicht mehr los.

Als der Unterricht schließlich endete und sie die Sporthalle verließ, um zu ihrem Fahrrad zu gehen, entdeckte sie ihn auf einmal. Finn lehnte an der Wand, vor der Halle und unterhielt sich mit einem Mitschüler. Sein Gesicht war aber Mira zugewandt. Sobald ihre Blicke sich kreuzten, lächelte er ihr zu. Mira blieb verdutzt stehen. Sein Blick traf sie wie ein kleiner Blitz. Für einen Moment war sie leicht verunsichert.

Da folgte der Mitschüler, mit dem sich mit Finn unterhielt, seinen Blick und drehte sich nach Mira um. Sie wandte sich schnell ab und ging zu ihrem Fahrrad. Wie merkwürdig!, dachte Mira während sie in die Pedale trat.

Wenige Tage später saßen Mira und Sam im Kunstunterricht, als Miras Blick auf Finn fiel. Ihr war bisher gar nicht aufgefallen, dass er im selben Kurs war.

Ihr Kunstlehrer gab ihnen die Aufgabe ein Porträt von einer berühmten Persönlichkeit anzufertigen. Dabei war es vollkommen ihnen überlassen, wen sie zeichnen wollten. Sie durften als Hilfsmittel Bilder für ihr Porträt hinzuziehen. Nur das Abpausen war nicht erlaubt.

Mira entschied sich, ein Porträt von Robbie Williams zu zeichnen. Sie liebte seine Musik und er war die Person, die ihr als erstes in den Sinn kam. Sam, die neben ihr saß, war gerade dabei Lady Gaga zu zeichnen. Mira sah, wie Sams Bleistift gekonnt über ihr Zeichenblock schwebte und wusste, dass ihre Freundin vollkommen in ihrer Zeichnung vertieft war. Vor Sam lag ihr Smartphone mit einem Bild von Lady Gaga. Auf dem Bild trug sie einen, für sie typischen, extravaganten Kopfschmuck und schaute lasziv in die Kamera.

Da schnappte sich auch Mira sich ihr Handy und tippte Robbie Williams in die Google- Suche ein. Sie fand ein tolles Bild von ihm online, in der auch seine Persönlichkeit zum Vorschein kam. Sie hätte das Bild stundenlang betrachten können.

Doch Mira stellte schnell fest, dass es schwieriger war als gedacht, ein Porträt von ihrem Idol anzufertigen. Sie radierte immer wieder alles weg und musste mehrmals neu ansetzen. Hin und wieder warf sie einen Seitenblick auf Sam, die eine erfolgreiche Vorskizze angefertigt hatte und anfing die Details zu verfeinern. Aber ganz egal wie sehr sich Mira auch bemühte, sich die Zeichenstrategie ihrer Freundin abzuschauen, es gelang ihr nicht. Das frustrierte sie nur noch mehr. Mira war fast schon den Tränen nahe, als Sam ihre Verzweiflung zu bemerken schien. Sie redete ihr gut zu und gab ihr Tipps wie sie am besten vorgehen sollte. Doch das half wenig, da Mira sich schon zu stark hineingesteigert hatte.

Als ihr Kunstlehrer plötzlich verkündete, dass sie sich auch nach draußen, im Schulgebäude, setzen dürfen, um dort an ihrem Porträt weiterzuarbeiten, wunderte das Mira nicht weiter. Denn, er war uninteressiert und pflegte zu essen und Bücher zu lesen, während des Unterrichts. Er schaute nicht mal hoch, als ein paar Schülerinnen und Schüler daraufhin den Kunstraum verließen.

Mira seufzte. Sie wusste, dass sie erst mal den Kopf frei bekommen musste, bevor sie weitermachen konnte. Da beschloss Mira spontan, sich auch nach draußen in den Flur zu setzen. Sie wollte ihre Zeichnung lieber von vorn anfangen.

„Ja, das ist eine gute Idee.“, pflichtete Sam ihrer besten Freundin bei. Sie selbst, aber, wollte nicht mit ihr mitkommen, da sie schon in ihre Arbeit vertieft war und gut voran kam.

So ging Mira alleine nach draußen. In dem geräumigen Schulgebäude schaute sie sich um. Wo sollte sie sich am besten hinsetzen, um ihre Zeichnung neu anzufangen? Gedankenverloren lief Mira den Schulkorridor entlang. Hier und da entdeckte sie ein paar ihrer Mitschüler, die dabei waren zu plaudern und an ihrem Porträt arbeiteten. Als Mira den Kopf nach rechts drehte, entdeckte sie einen kleinen Gang, der vom Korridor abführte. In dem Gang befanden sich zwei große Tische und auf einem der Stühle saß Finn. Mira runzelte leicht die Stirn. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er auch den Raum verlassen hatte.

Ein Lächeln erschien auf Finns Lippen. Dann hob er die Hand und machte ihr, durch eine Geste klar, dass sie zu ihm kommen sollte. Langsam schritt sie langsam auf Finn zu.

„Hi.“, sagte er, als sie neben ihm stand.

„Hey.“

Mira senkte leicht den Kopf. Mit einem Mal war sie etwas verlegen. Dann fiel ihr Blick auf seine Zeichnung. Wow! Mira konnte ihr Staunen kaum verbergen. Finn hatte sich offensichtlich entschieden, ein Porträt von Amy Winehouse zu zeichnen. Und was für eins! Es war, dass mit Abstand, detailgetreuste und beste Porträt, das sie bisher gesehen hatte. Nicht mal Sam konnte so gut zeichnen. Mira fiel es schwer den Blick von seinem Porträt abzuwenden. Das blieb auch Finn nicht verborgen.

„Gefällt es dir?“

Mira nickte überschwänglich. Er schien sich sehr über ihren Lob zu freuen.

„Und du?“, fragte Finn kurz angebunden.