Mirror Of My Soul. Fee & Aurelian - Johanna Marquardt - E-Book + Hörbuch

Mirror Of My Soul. Fee & Aurelian Hörbuch

Johanna Marquardt

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Beschreibung

Am liebsten geht sie ihm aus dem Weg - und ist plötzlich gezwungen, zwei Wochen die vielleicht intensivste Zeit ihres Lebens mit ihm zu verbringen. ***Unwiderstehliche Enemies-to-Lovers-Romance, knisterndes Fake-Dating und  Coaching-Setting im  malerischen Málaga *** ***Wunderschön ausgestattet: Farbschnitt und Character Card in limitierter Auflage*** Fee Heinfeld hat alles auf das exklusive Coachingprogramm in Málaga gesetzt, um endlich ihre Bindungsprobleme zu überwinden. Doch ein folgenschwerer Anmeldefehler zwingt sie dazu, sich einen Fake-Freund zu suchen – und ausgerechnet der unverschämt arrogante und unerträglich gut aussehende Kollege Aurelian Miller bietet sich an. Widerwillig lässt sich Fee auf das Spiel ein, doch hinter den hitzigen Wortgefechten und der vorgetäuschten Zuneigung steckt eine unerwartete Anziehungskraft. Während der Zeit in Málaga geraten Fees sorgfältig errichtete Mauern gehörig ins Wanken. Doch was passiert, wenn die Masken fallen und das Spiel plötzlich ernst wird? Wollte Fee nicht genau das?

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Zeit:10 Std. 5 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Simone WalleckFlorian Leumund

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IMPRESSUM

eBook: © 2025 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Grillparzerstraße 12, 81675 München

GU ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.

www.gu.de/kontakt | [email protected]

ISBN 978-3-8338-9745-0

1. Auflage 2025

GuU 8-9745 02_2025_01

DIE BÜCHERMENSCHEN HINTER JOHANNAS PROJEKT

Projektleitung: Viola Schmid

Lektorat: Janika Mielke

Covergestaltung: ki36 Editorial Design, München, Anika Neudert

eBook-Herstellung: Liliana Hahn

BILDNACHWEIS

Coverabbildung: iStockphoto/Natalia Churzina

Illustrationen: GU/Kombinatrotweiss/Katrin Wolff

Syndication: www.seasons.agency

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WARUM UNS DAS BUCH BEGEISTERT

Mit jedem Wort geht die Geschichte von Fee und Aurelian tiefer ins Herz. Johanna erzählt so warm und ehrlich über Bindung und Vertrauen – einfach einzigartig.

Eva Dotterweich, Verlagsleitung

Garantie

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

wie wunderbar, dass du dich für ein Buch von GU entschieden hast! In unserem Verlag dreht sich alles darum, dir mit gutem Rat dein Leben schöner, erfüllter und einfacher zu machen. Unsere Autorinnen und Autoren sind echte Expertinnen und Experten auf ihren Gebieten, die ihr Wissen mit viel Leidenschaft mit dir teilen. Und unsere erfahrenen Redakteurinnen und Redakteure stecken viel Liebe und Sorgfalt in jedes Buch, um dir ein Leseerlebnis zu bieten, das wirklich besonders ist. Qualität steht bei uns schon seit jeher an erster Stelle – jedes Buch ist von Büchermenschen für Buchbegeisterte gemacht, mit dem Ziel, dein neues Lieblingsbuch zu werden. Deine Meinung ist uns wichtig, und wir freuen uns sehr über dein Feedback und deine Empfehlungen – sei es im Freundeskreis oder online. Viel Spaß beim Lesen und Entdecken! P.S. Hier noch mehr GU-Bücher entdecken: www.gu.de

JOHANNA MARQUARDT

Was ich dir mit meinem Buch auf den Weg geben möchte

Manchmal ist unsere Sicht auf Dinge und Menschen durch verinnerlichte Muster verschwommen, weshalb es sich hin und wieder lohnt, die Perspektive zu wechseln. Fee und Aurelian zeigen uns, wie viel Mut es kostet, über die eigenen Schatten zu springen – und welchen Gefallen wir uns selbst damit tun können.

Besuche Johanna auf:

@johannamar.autorin

@johannamar.autorin

»Fakt ist: Du brauchst einen Partner auf Zeit.«Meine Freundin Quinn verschränkt die Arme. »Einen Fake-Boyfriend. Und zwar schnellstens.«Aus meiner Kehle dringt ein merkwürdiges Glucksen. Mehr vor Entsetzen als vor Belustigung. »Das kann unmöglich dein Ernst sein. Meine Bindungsprobleme haben mich erst dazu gebracht, mich da anzumelden, und du kommst mit so was?«

Ungläubig ruht mein Blick auf ihr, doch anstatt darauf einzugehen, legt sie sich ihren Zeigefinger an die Lippen und schüttelt hektisch den Kopf. »Ich denke, ich bin zum Vortäuschen einer Beziehung etwa so exzellent geeignet wie ’ne Mistgabel zum Herausfischen von Spaghetti aus dem Topf. Und dann auch noch für ein Paarcoaching? No way!«»Wozu brauchst du denn ein Paarcoaching?«, fragt jemand, dessen derart tiefe Stimme vielleicht vieles ist, aber definitiv kein Teil meiner Freundin.

Erst als ich zusammenzucke, bemerke ich Quinns entschuldigende Miene und ihren aufeinandergepressten Kiefer. Ausgerechnet jetzt ist uns gegenüber Aurelians dunkelblonder Haarschopf zu sehen, und weil er wie immer unfassbar humorlos ist, zeichnet sich nicht das kleinste Lächeln auf seinen Zügen ab. Bitte, lieber Erdboden, verschluck mich. Einen besseren Moment dazu wird es nicht geben …

Für alle, die Licht in ihrem Herzen tragen, auch, wenn sie es manchmal selbst nicht sehen.

Für Papa.

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich freue mich von ganzem Herzen, dass du mein Buch in den Händen hältst. Bevor du in die Geschichte von Fee und Aurelian eintauchst und mit ihnen auf die Reise ins malerische Málaga gehst, ein wichtiger Hinweis: Es ist möglich, dass Mirror Of My Soul Themen enthält, die dich belasten. Deshalb findest du auf > Angaben zu den sensiblen Themen. Achtung: Diese enthalten Spoiler für die gesamte Geschichte.

Die psychologischen Ratschläge in meinem Buch, die meinen Charakteren das Leben erleichtern sollen, wurden von meiner lieben Kollegin Pia Kabitzsch sorgfältig geprüft. Sie ist Diplom-Psychologin, Speakerin und Bestsellerautorin. Danke für deine Unterstützung, liebe Pia!

Nun wünsche ich dir viel Freude beim Lesen und den Mut, dein Licht in die Welt zu tragen! Es ist besonders. Und darf leuchten.

Deine Johanna & dein GU-Team

1979

Der einfahrende Zug zerzaust die Haare des blonden Mädchens, dessen Arme schlaff an ihren Seiten herunterhängen. Der Teddy in Evas kleinen Händen berührt fast den Boden. Kaum zwei Stunden, nachdem ihre Eltern sie abgeholt hatten, durfte sie ihn sich zur Belohnung und als Wiedersehensgeschenk in einem Spielwarengeschäft aussuchen.

Sie hätte sich freuen sollen, aber da war bloß Leere.

Statt Wärme nur Eis.

Dieser Teddy war kein Ersatz für jenen, den sie sich auf dem Hinweg noch fest ans Herz gedrückt hatte und der im Kinderkurheim von zwei älteren Jungs zerstört wurde. Sie rissen ihm ein Bein ab, zupften die Watte aus ihm heraus und lachten aus voller Kehle über Eva, als sie zu weinen begann.

Keine der Betreuerinnen, der Tanten, war ihr zu Hilfe gekommen. Niemand hatte sie getröstet.

Und als sie sich nachts einnässte, weil ihr während des strikten Toilettenverbots nicht einmal mehr der Teddy beistehen konnte, gab es harte Strafen.

Demütigungen. Drohungen.

Stundenlanges Stehen auf dem eiskalten Boden im modrigen Flur. Barfuß. Nur im Schlafanzug.

Dabei war Eva doch wegen ihres Asthmas hier und sollte gesund werden.

Wussten Mama und Papa denn nicht, dass bitterliches Heimweh und andauernde Angst alles andere als gute Medizin waren?

Warum waren sie nicht viel eher gekommen, um sie zu retten?

Mit ihren sechs Jahren verstand Eva vielleicht noch nicht alles, aber dafür fühlte sie umso mehr. Blickte wochenlang in stahlharte Gesichter, denen Empathie ein Fremdwort war, und dachte nach niemals enden wollenden Wochen, dass dies die Endstation sei.

Der Sterbeort des Teddys war die Geburtsstätte ihres Traumas. Der systematische Killer ihres kindlichen Vertrauensvorschusses ins Leben, ihres losgelösten Lachens, des Weinens.

»Was hast du auf dem Herzen?«, fragt die Mutter und betrachtet sorgenvoll den neuen Bären, der wie eine Last in den Händen ihrer Tochter liegt. Als sie Eva sanft an den Schultern berührt, zuckt sie zusammen.

Schweigt.

Niemals könnte sie all das mitteilen, was in den vergangenen elf Wochen der Einsamkeit geschehen ist.

Wie sollte sie den Eltern von Leid erzählen, wenn sie in den wenigen Briefen doch von Heiterkeit berichten musste? Und wo sollte man anfangen, wenn man vom Ende sprechen will?

Ich würde meine wöchentliche Kaffeeversorgung darauf verwetten, dass mein Schrei das gesamte Hotel durchdringt. Vielleicht sogar die komplette Hansestadt Hamburg.

Der schrille Ton sorgt dafür, dass die Gäste im angrenzenden Barbereich für ein paar Sekunden verstummen und Quinn in Lichtgeschwindigkeit zu mir hinter den Tresen sprintet. Manchmal werden die größten Pläne in exakt diesem Tempo über den Haufen geworfen.

»Bitte sag mir, dass du nicht liest, was ich lese.« Ohne zu blinzeln, fixiere ich den Bildschirm. Starre ihn an, bis die Buchstaben und Farben verschwimmen und weiße Punkte vor meinen Augen tanzen. »Quinn! Sag mir, dass ich mich verlesen habe und diese E-Mail nicht die Vollkatastrophe ist, für die ich sie halte.«

»Maus, ich … Allein die Betreffzeile lässt eigentlich keine Fragen offen.«

Grab Your Darling and Your Suitcase for Málaga.

»Das, ähm …« Meine Kollegin und beste Freundin macht das Schlimmste, was mir in diesem Moment passieren könnte: Sie schluckt schwer.

Und weil ihr die Worte im Hals stecken bleiben, reiße ich mich vom Monitor los, um in ihrem Gesicht zu forschen. Was ich sehe, wirkt wie Benzin auf die Flamme meiner Panik: Quinns Blick klebt ebenfalls am Bildschirm, die Lider bis zum Anschlag aufgerissen, zwei tiefe Sorgenfalten auf der Stirn, was selten vorkommt. Für gewöhnlich ist ihre Haut so ebenmäßig wie in der Werbung irgendwelcher Cremes. Fast porzellanhaft.

»Shit!« Mit geschlossenen Augen taumle ich ein paar Schritte zurück und lasse mich von der harten Marmorplatte auffangen, die uns beim Check-in und Check-out von den Gästen trennt. Kralle mich regelrecht daran fest, wodurch meine Arme anfangen zu zittern. »Dann habe ich also ein Jahr auf dieses Seminar gewartet, um zwei Wochen vorher zu begreifen, dass ich die Teilnahmebedingungen verfehle?«

Das darf nicht wahr sein. Bitte mach, dass das ein schlechter Scherz ist.

Carolin und Noah May sind nicht irgendwelche Coaches. Für mich sind sie Stars, die im Bereich Persönlichkeitsentwicklung ihr eigenes Programm entwickelt haben, mit dem sie erfolgreich tagen, Social-Media-Content erstellen und über das sie regelmäßig Bücher und Podcasts herausbringen. Wie faszinierend und sympathisch sie Elemente aus der Systemik mit Inneres-Kind-Arbeit und eigenen Methoden vereinen, ist wahrscheinlich der Grund, warum ich letztes Jahr über siebenundzwanzigtausend Minuten Spotify gehört habe. Ziemlich schmerzhaft also, langsam zu realisieren, es verkackt zu haben.

»Sieht so aus«, flüstert Quinn, als wären diese drei Wörter ein Fluch, den sie nicht auszusprechen vermag. Keine Sekunde später schlingt sie ihre Arme um mich und zieht mich dabei ein Stück zu sich runter, weil sie einen ganzen Kopf kleiner ist als ich. Sofort werde ich vom Duft ihres Shampoos umhüllt. Der Mix aus Rose und undefinierbaren orientalischen Ölen gibt mir Halt.

Atmen, Fee.

Einatmen.

Ausatmen.

Konzentriere dich auf das, was du gerade tatsächlich wahrnimmst.

Eine simple Achtsamkeitstechnik, die ich nach meinem letzten Beziehungsflop in einer Psychologiezeitschrift aufgeschnappt habe. Sie funktioniert relativ zuverlässig, stößt jetzt allerdings an ihre Grenzen und zerschellt an meinem rasenden Puls.

»Von der Teilnahmegebühr hätte ich mir gleich drei luxuriöse Kaffeevollautomaten kaufen können. Wenn ich kurzfristig zurücktrete, ist bestimmt alles futsch.« Indem ich das Elend ausspreche, werden meine Knie weich und mein Herz beginnt zu stolpern. Dabei sollte Letzteres in diesem Programm zur Förderung von mentaler Gesundheit ein Upgrade bekommen. Heilen. Mich in eine beziehungsfähige Frau verwandeln, weil bisher alle romantischen Verbindungen in meinem Leben zum Scheitern verurteilt gewesen waren.

»Und das hat dich nicht stutzig gemacht?«

»Was?«

»Dass der Preis so hoch war wie für zwei Personen?«

»Noah und Carolin sind echte Profis. Die Oberklasse in ihrem Fach. Das, was Louis Thiele unter allen Sprechern für dich ist. Koryphäen, Cracks, echte Granaten.«

»Schon gut, schon gut. Bei Louis hatte ich den Punkt.«

War klar. Immerhin neigt Quinn dazu, ihr Hörbuchguthaben für Geschichten auszugeben, die er eingesprochen hat. Auch wenn sie das Genre überhaupt nicht interessiert.

»Du ahnst also, wie schnell ihre Seminare ausgebucht sind? Da habe ich mich keine Sekunde über die Gebühr gewundert, sondern nach Release einfach einen der Termine reserviert.«

Blind vor Euphorie, wie es scheint.

Ohne mich aus der Berührung zu lösen, öffne ich die Augen. Spüre, dass mein Körper in Richtung Boden gedrückt wird, und schaue zur Decke. Ich wünschte, in mir drin würde es nur halb so schillernd und prunkvoll aussehen wie die Einrichtung des Blairs Plaza. Mittlerweile arbeite ich fast zwei Jahre in dem Hotel, die riesigen Kronleuchter fallen mir kaum noch auf. Tagsüber brechen sich Sonnenstrahlen in ihren Perlen und Glaskugeln, wodurch die Räumlichkeiten funkeln und glitzern, als befände man sich im Innern einer Schneekugel. Abends und nachts hingegen verleihen sie glamouröses, warmes Licht und laden die Gäste ein, sich den ein oder anderen Drink zu genehmigen.

»Hey!« Quinn neigt sich ruckartig zurück, sodass ihre tiefbraunen Iriden nun auf meine grünen gerichtet sind. »Vielleicht kannst du immer noch teilnehmen. Das Seminar fällt ja nicht komplett ins Wasser.« Sie lässt von mir ab und tippt auf den Bildschirm, wofür unsere Chefin Viktoria sie getadelt hätte. Sichtbare Fingerabdrücke haben nichts auf den Oberflächen meines Hotels zu suchen, ist bloß einer ihrer Standardsprüche.

Kurz bezweifle ich, dass wir dasselbe Dokument lesen, und während ich mich mit dem Energielevel eines nassen Sacks ebenfalls wieder über den Computer beuge, verflüchtigt sich der letzte Hauch meiner Geduld. »P-a-a-r-e«, buchstabiere ich, als wäre Quinn begriffsstutzig. »Das ist ein Paarcoaching! Und – Überraschung: Ich bin Single!«

»Das wissen die doch nicht, oder?«

»Was willst du damit sagen?«

»Na ja … Vielleicht hast du dich bei der Anmeldung dezent verklickt«, sie hüstelt, »doch das bedeutet nicht, dass man es nicht zurechtruckeln kann.«

Zurechtruckeln. Schon das Wort allein erweckt nicht unbedingt großes Vertrauen. Hört sich eher an, als hätte man Omas antike Vase in tausend Teile zersplittert – aber hey, ein bisschen Sekundenkleber regelt das.

Ich will wirklich nichts zurechtruckeln müssen. Es sollte perfekt werden und kein Flickenteppich.

»Fakt ist: Du brauchst einen Partner auf Zeit.« Quinn verschränkt die Arme. »Einen Fake Boyfriend. Und zwar schnellstens.«

Aus meiner Kehle dringt ein merkwürdiges Glucksen. Mehr vor Entsetzen als vor Belustigung. »Das kann unmöglich dein Ernst sein. Meine Bindungsprobleme haben mich erst dazu gebracht, mich da anzumelden, und du kommst mit so was?«

Ungläubig ruht mein Blick auf ihr, doch anstatt darauf einzugehen, legt sie sich ihren Zeigefinger an die Lippen und schüttelt hektisch den Kopf.

Sorry, das muss ich klarstellen. »Mal ehrlich: Viel länger als zwei Wochen hat bisher kein Typ seine Zahnbürste bei mir gelassen. Ich denke, ich bin zum Vortäuschen einer Beziehung etwa so exzellent geeignet wie ’ne Mistgabel zum Herausfischen von Spaghetti aus dem Topf. Und dann auch noch für ein Paarcoaching? No way!«

»Wozu brauchst du denn ein Paarcoaching?«, fragt jemand, dessen derart tiefe Stimme vielleicht vieles ist, aber definitiv kein Teil von Quinn.

Erst als ich zusammenzucke, bemerke ich ihre entschuldigende Miene und ihre aufeinandergepressten Kiefer. Langsam, ganz langsam drehe ich mich zur Seite, gebe dem Schicksal Zeit, sich umzuentscheiden … Es nutzt sie nicht.

Ausgerechnet jetzt ist uns gegenüber ein dunkelblonder Haarschopf zu sehen, und weil sein Besitzer wie immer unfassbar humorlos ist, zeichnet sich nicht das kleinste Lächeln auf dessen Zügen ab.

Bitte, lieber Erdboden, verschluck mich. Einen besseren Moment dazu wird es nicht geben.

Hoffnungsvoll schabe ich mit den Zähnen über meine Unterlippe und betrachte die glänzenden Fliesen, doch … die Erdspalte lässt vergebens auf sich warten.

Aurelian Miller hat das Talent, sich aus dem Nichts auf die Bildfläche zu drängeln und die Stimmung in Windeseile zu zerstören. Das konnte er schon, als die Tinte unter meinem Arbeitsvertrag frisch war und ich noch nicht imstande, zu kontern.

Im Grunde war der Drops mit uns bereits in meiner zweiten Arbeitswoche gelutscht. Nachdem er mich zunächst eingeladen hatte, anlässlich seines Geburtstags mit ihm und ein paar Kollegen etwas trinken zu gehen, um mich kurz darauf zu beleidigen und kleinzumachen.

Nie werde ich die Blöße vergessen, die ich mir vor ihm gegeben habe.

Wie ich klopfenden Herzens zugesagt habe, obwohl mein eigener Geburtstag auf denselben Tag fällt und obwohl mein Nähe-Distanz-Problem fuchsteufelswild gemeckert hat. Himmel, ich habe sogar einen Hauch Lippenstift benutzt und meine Locken mit meinem Lieblingshaarreif verziert. Weinrot, samtüberzogen … Aus heutiger Sicht wesentlich zu glamourös für meinen Catwalk – mitten rein in die Bloßstellung.

Aurelian wollte mich an dem Abend abholen. Stand mit einem breiten Lächeln vor der Tür, das offen und freundlich rüberkam, ehe es sich als Farce entpuppte.

Nur eine Maske, von der ich mich habe täuschen lassen. Kurz. Doch lange genug, dass es mich wie ein Tritt in den Magen treffen konnte, als er mich direkt ansah und die wachsende Sympathie mit einem Satz zermalmt hat. Mein Selbstbewusstsein gleich dazu.

Mit diesem Haarreif siehst du aus, als wärst du der Vergangenheit entsprungen.

GOOOTT. Dieser Satz verfolgt mich!

Ich war so bodenlos naiv, dass es mir bis heute wehtut, aber immerhin ist das nicht später passiert. Nicht vor allen Leuten oder dann, wenn meine Zweifel sich tatsächlich dazu entschieden hätten, zurückzutreten und mich ihm schutzlos auszuliefern.

Nun zähle ich zu den glücklichen Frauen, die rechtzeitig erkannt haben, was für eine Falle hinter Aurelians makelloser Fassade lauert, und wurde zur ernst zu nehmenden Gegenspielerin. Ohne Haarreif zwar (den habe ich ihm damals vor die Füße geworfen, bevor ich mich in meiner Wohnung verschanzt und meinen Geburtstag mit Netflix verbracht habe), aber dafür auch ohne Gnade.

»Die Frage ist wohl eher: Was zum Teufel machst du hier? Geh zurück zu deinem Arbeitsplatz!« Vor Wut aka überspielter Scham ziehe ich die Brauen zusammen und balle die Hände zu Fäusten.

Der hat mir gerade noch gefehlt. Womit habe ich es verdient, dass dieser Kerl ausgerechnet meine Zahnbürstenangelegenheiten mithört?

»Wer das gesamte Gebäude zusammenschreit, sollte sich von solchen Fragen lieber distanzieren.« Auf seiner Stirn entsteht eine steile Falte. Diese ganz spezielle, die vor Abgehobenheit und Kälte nur so trieft.

»Ich zeig dir gleich mal, was distanz…«

Quinn packt mich am Oberarm. »Nein, Feechen, lass gut sein. Ihn schickt der Himmel!«

»Siehst du.« Nun heben sich seine Mundwinkel doch ein Stückchen. Hochnäsig. Zynisch. Würde meine Kollegin mich nicht festhalten, wäre ich geneigt, den Tresen zu umrunden und ihn zurück auf seinen Posten hinter der Bar zu scheuchen.

»Wohl eher die Hölle«, knurre ich.

»Entzückend!« Quinn lässt mich los und führt ihre Handflächen zusammen. Ein glückliches Schimmern huscht über ihr Gesicht, sie blinzelt von Aurelian zu mir und wieder zurück. »Ihr zwei müsst nicht mal schauspielerisches Talent an den Tag legen, wenn ihr euch als coachingbedürftiges Paar ausgebt und an dem Programm teilnehmt.«

Stromausfall in meinem Hirn.

Der Schockzustand, in dem ich mich seit dem Öffnen der E-Mail befinde, erreicht das maximale Level, und ich wende mich meinem verhassten Kollegen zu. Dies ist der Moment, in dem wir uns endlich einmal einig sein werden und Quinn für diese irrwitzige Idee mit vereinter Power den Marsch blasen.

Dachte ich. Zumindest wäre das die natürlichste aller vorstellbaren Reaktionen.

In der Realität haben es jedoch weder Hohn noch Fassungslosigkeit geschafft, das Pokerface aus Aurelians Miene zu schnipsen. Er zuckt nicht ein einziges Mal mit der Wimper, sondern lehnt mit verschränkten Armen am Tresen. Felsenfest. Ungerührt. Würde man ihm eine Fackel in die Hand drücken, stünde er der Freiheitsstatue in nichts nach. America goes grumpy. Ich muss lachen, wenn auch dezent hysterisch, weil mir mit seinem hochgewachsenen Körper und den breiten Armen weitere Parallelen auffallen. Unter dem weißen Hemd mit weinroten Blairs-Plaza-Emblem zeichnen sich seine Muskeln ab. Seine prolligen, stahlharten Muskeln.

Getreu seinem Ego, das größer ist als drei Freiheitsstatuen zusammen, ignoriert er meinen Ausbruch und konzentriert sich auf Quinn. »Was meinst du damit?«

Wieder tippt sie auf den Bildschirm, was völlig unnötig ist, weil Aurelian auf der anderen Seite steht und rein gar nichts darauf erkennen kann. »Fees Reise.«

»Dieses Seminar, von dem sie immer spricht?«

Klar. Tut einfach so, als stünde ich nicht direkt neben euch. Gar kein Problem. Es macht mich auch nur ein kleines bisschen sehr rasend, dass er die Dreistigkeit besitzt, sich einzumischen.

Obwohl ich mitbekomme, dass sich die Sache hier in eine komplett falsche Richtung entwickelt, ist es mir unmöglich, einzugreifen. Ich stehe bloß da. Beobachte. Als wäre mein Leben ein Theaterstück und ich das Publikum – aufgeregt und gespannt, was im nächsten Atemzug geschehen wird.

Quinn, deren freundschaftlichen Absichten ich aktuell wirklich anzweifle, stimmt ihm mit leuchtender Miene zu, woraufhin er sich wieder mir zuwendet. Bei der Art und Weise, wie er mich fokussiert, stellen sich mir die Härchen in meinem Nacken auf.

»Aurelian«, will ich mahnend sagen, doch es reicht lediglich für ein armseliges Krächzen. Also nonverbale Kommunikation: Mit gespreizten Fingern hebe ich die Hände und sende ihm einen Blick, der ihn auffordern soll, etwas zu erwidern.

»Das Ganze findet in Málaga statt, richtig?«

Aber nicht das. Das wollte ich nicht hören!

»Soll schön sein dort.«

Himmel.

Vier simple Worte, die von Quinns Quietschen untermalt werden und mir fast den Boden unter den Füßen wegreißen.

***

Meine Mittagspause verbringe ich im gegenüberliegenden Adams Café, wo ich vor der Kulisse cremeweißer Wände und Lichterketten, die die gesamte Decke zieren, durch meine Kontakte scrolle. Nur das Klopfen, das erklingt, wenn Adam das Sieb seiner Espressomaschine ausleert, hält mich in der Realität fest. Durchdringt den Nebel, der mich seit der Hiobsbotschaft von heute Morgen umgibt.

Weil mir vor lauter Grübelei über Quinns Vorschlag inzwischen der Kopf dröhnt, lasse ich mich tiefer in den weich gepolsterten Stuhl sinken. Es mag sein, dass man ganz unten angekommen ist, sobald man sich einen Fake Freund sucht, um an einem Coachingseminar für Paare teilnehmen zu können, keine Frage. Aber der Punkt, dass ich ein verdammtes Jahr auf diese Reise gewartet habe, wiegt schwerer als dieses feine Detail: Würde sich tatsächlich jemand finden, der mit mir an dem Programm teilnimmt, hätte ich die Chance, die Inhalte daraus mitzubekommen und auf mein Singledasein umzumünzen. Das Geld, das ich im Voraus bezahlt habe, wäre nicht zum Fenster rausgeworfen, und die Kirsche auf der Torte: Ich würde endlich Málaga kennenlernen. Denkt man so darüber nach, beeinflusst es die geschauspielerte Fee-Version ja erst mal nicht, dass ich in der Realität Bindungsprobleme habe. Ich könnte mich für zwei Wochen in eine beziehungsfähige Person verwandeln und gewöhnliche Paardinge tun, ohne mir Sorgen um wirkliche Bindung machen zu müssen.

Lenn Allerhof, lese ich, halte mit dem Daumen inne und lasse die andere Hand zum veganen Schokocroissant auf meinem Teller wandern. Während ich mich mehr und mehr in hoch konzentrierten Gedankenschleifen vertüdle, beiße ich in das Gebäck.

Lenn ist der freundliche Nachbar, der meine Post annimmt, wenn die Schichten im Blairs Plaza es herausfordern. Letztes Jahr in der Weihnachtszeit war sein Flur meine persönliche Paketauffangstation, und wenn er ihn durchqueren wollte, musste er erst einen Slalom um meine Sachen meistern. Mehr oder minder freiwillig ist Lenn mit meinen seelischen Zuständen vertraut, was die Angelegenheit definitiv leichter machen würde. Dank der dünnen Wände kennt er die Phasen, in denen ich von meinen Gefühlen übermannt werde und mich in den Schlaf weine, weil die Welt mich nicht zu verstehen scheint. Und ich sie ebenso wenig.

Das sind Situationen, die davon erzählen, wie mich wieder einmal jemand, den ich gern weiter kennengelernt hätte, von heute auf morgen abweist oder wie im Gegenzug lästige Unruhe in mir aufkeimt, sobald ein Mann wirklich gut zu mir ist. Allein die Vorstellung an diesen Teil meines Lebens liegt mir wie ein schwerer Felsbrocken im Magen. Für Außenstehende ist es oftmals nicht nachvollziehbar, dass ich mich mit meinem Bindungsverhalten irrsinnig unwohl fühle, weil mein widersprüchliches Verhalten jede Chance auf Verständnis im Keim erstickt.

Eine Zwickmühle, der ich mithilfe des Coachings endlich entkommen will. Ich möchte mehr über meine Psyche erfahren und Verantwortung übernehmen. Die Aussicht darauf, an einem derart renommierten Kurs teilzunehmen, hat mich in den letzten Monaten beruhigt und über Wasser gehalten. Wenn es sich innerlich dunkel und kalt angefühlt hatte, wusste ich wenigstens, dass ich mich bald um die Probleme kümmern kann.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Lenn auf diese außergewöhnliche Bitte eingeht, ist zwar relativ hoch, aber in mir meldet sich eine ablehnende Stimme zu Wort. Ein Widerstand dagegen, seine Gutmütigkeit auszunutzen. Immerhin müsste er unfassbar spontan Urlaub beantragen und freie Tage für meine Belange opfern.

Entschlossen bewege ich meinen Finger weiter über das Display. Marlon Weissner? Niemals. Bei ihm würde sich das schlechte Gewissen zwar im Nullkommanichts verflüchtigen, aber keine zehn Pferde kriegen mich dazu, mir zwei Wochen mit einem Kerl ans Bein zu binden, der sich ohne Rücksicht auf Verluste um Kopf und Kragen lügt. Beim Gedanken an Marlon und seine Mutter muss ich mich schütteln, sperre den Bildschirm und schiebe das Handy weit von mir weg.

»Kannst du mir verklickern, welche Laus dir heute über die Leber gelaufen ist?« Kopfschüttelnd verschränkt Leo die Arme vor der Brust und lehnt sich gegen den üppigen Bartresen aus schwarzem Marmor. Er ist wahrscheinlich der einzige Typ unserer Generation, der all die Redewendungen und Sprichwörter von früher draufhat und damit jede Situation, ob positiv oder negativ, zu kommentieren weiß. »Was es auch ist: Die Minze kann sicher nichts dafür.«

»Lass stecken«, grummle ich und denke gar nicht daran, den Stößel sanfter in den Shaker zu rammen. Mittlerweile sind die Blätter ein einziges Mus, was damit zusammenhängt, dass ich es direkt mit einer ganzen Lausfamilie zu tun habe. Vorneweg mein Ego, das mich immer wieder richtig schön reinreitet, gleich danach der Gedanke, dass Fee mich ihren Blicken nach für Hamburgs größte Knalltüte halten muss.

»Seit wann hattest du keinen Sex mehr?«

Obwohl ich es anders gewollt hätte, bringt mich diese Frage aus dem Konzept, und ich lasse mein Werkzeug fallen. Als ich mich ihm zuwende, mustert Leo mich, ohne die geringste Miene zu verziehen. Wir arbeiten seit über drei Jahren Seite an Seite, und trotzdem hat er nie das Talent verloren, mich zu überraschen.

»Aha«, macht er und zuppelt die Ärmel seines Sakkos glatt, das eher luftig an seinem schmalen Körper sitzt. Ich erinnere mich an eine Phase, in der er mich regelmäßig gefragt hat, ob sich seine kupferroten Haare mit dem dunklen Rot unserer Arbeitskleidung beißen, doch die ist lange vorbei. Mittlerweile ist die Kombi sein stylishes Markenzeichen, das ihm häufig schmachtende Blicke einbringt. »Ist also schon länger her.«

»Leo.« Meine Stimme ist kühler als unser gesamter Crushed-Ice-Vorrat.

»Wie lange genau?«

Holy.

»Drei Wochen?« Nachdenklich legt er sich zwei Finger ans Kinn. »Vier? Fünf?«

»Kannst du aufhören, dich in mein Privatleben einzumischen?«

Trockenes Auflachen. »Bleiben wir ehrlich: Ich bin dein Privatleben.« Lässig beugt er sich vor, greift nach dem Shaker und macht sich daran, meine Arbeit zu beenden. »Vielleicht ergibt sich ja auf der Jubiläumsfeier des Blairs was für dich. Und wenn du Ablenkung brauchst: Fabi bringt uns heute Abend Pizza mit. Ich könnte ihm schreiben, dass er dich einplanen soll.«

Das ist typisch Leo: Fucking neugierig und direkt trifft auf unglaublich warmherzig und liebevoll. Trotzdem: Dafür, dass er sich für mein Privatleben hält, ist er über diesen Part meines Lebens mehr als schlecht informiert. Glücklicherweise. Alles andere könnte anstrengend werden.

»Nett von dir, aber ich bin später beim Sport.« Ich zwinkere ihm zu. »Außerdem will ich eure Date-Night nicht zerstören und womöglich schuld daran sein, dass du ebenfalls keinen Sex hast.«

»Darüber musst du dir keine Sorgen machen.« Schlagartig legt sich ein träumerischer Ausdruck über seine Züge. Er kommt immer dann zum Vorschein, wenn Leos Gesprächsstoff aus Themen gewebt ist, die von seinem Verlobten handeln – also relativ oft. Aktuell würde ich meine Hand dafür ins Feuer legen, dass sich seine Gedanken weniger um das Pizzaessen drehen, sondern mehr um das Zeitfenster danach.

Mit durchgestreckter Brust schnappt er sich das mit Limetten verzierte Glas und bewegt sich in Richtung des Gastes, der den Drink bestellt hat. Keine Sekunde später schwingt die Eingangstür des Hotels auf und Fee läuft – nein, stolpert – herein.

»Quinn!«, ruft sie und jongliert mit zwei To-go-Bechern. Seit ich vor einigen Monaten einen plumpen Spruch über ihren enormen Kaffeekonsum abgelassen habe, zieht sie sich im Plaza keinen mehr. Dafür macht das Café gegenüber vermutlich einen nennenswerten Umsatz. Als würde ich das nicht checken. Warum interessiert es sie überhaupt, was ich sage?

»Quinn, ich habe die Idee – die Lösung all meiner Probleme!« Ein triumphierender Augenaufschlag in meine Richtung, dann hebt sie selbstsicher die Schultern. »Ich werde Adam fragen, ob er mich begleiten möchte!«

So schnell, wie sie auf die Bildfläche gehuscht ist, verschwindet sie nun hinter dem glänzenden Marmorbogen, der ihren Arbeitsbereich von meinem trennt.

Obwohl ich mir größte Mühe gebe, ihren Worten nicht jene Wirkung zu erteilen, die sie damit provoziert hat, scheitere ich kläglich und fühle mich plötzlich viel zu verbunden mit der zerstampften Minze.

»Paola hat sich ausgesperrt!«, ruft Emil, als ich nach drei Anläufen gerade dabei bin, die neue Boulderroute zu meistern.

Längst hat sich das geliebte und zugleich verhasste Gefühl eingestellt, bei dem meine Unterarme vor Anspannung schmerzen und glühen. Ein kurzer Check nach oben verrät, dass noch zwei Griffe bis zum selbst gesteckten Ziel warten. Kleine Griffe, ja. Und eventuell stehen sie auch recht weit auseinander … Aber gemessen an der Strecke, die bereits hinter mir liegt, sind sie ein Klacks. Nichts und niemand wird mich davon abhalten, sie zu bezwingen. Selbst wenn meine Muskelkraft an ihr Limit kommt, ist da weiterhin mein Kopf, der in solchen Fällen stahlhartes Durchsetzungsvermögen an den Tag legt. Der sich nicht aufhalten lässt und meine persönlichen Grenzen überwindet, als dienten sie lediglich der Dekoration.

Emil weiß das. Und deshalb wird er meiner Schwester ausrichten, dass ich mich zurückmelden werde, sobald ich hier durch bin.

Komm schon.

Mit einem bewussten Atemzug schiebe ich das Becken ein Stückchen höher, hänge fast waagerecht an der Wand und zögere nicht länger, mit der rechten Hand nach oben zu greifen. Das Brennen meiner Haut, als ich das raue Material umfasse, gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dem Ziel ganz nah zu sein. Ein letzter Griff wartet auf mich. Ein Pinch von der Größe eines Weinkorkens, der offenbar nur dafür gebaut wurde, um den Kletternden an dieser Stelle den restlichen Mut zu nehmen.

Oder aber, um sie herauszufordern. Anzufixen, wie einen Löwen, dem sein Revier streitig gemacht wird. Zu fokussieren, wie eine Motte, die das Licht sieht. Zu reizen, wie Fee es vorhin mit mir getan hat. Dass sie diesen Kaffeeverkäufer Adam als ihre Begleitung vorzieht, bringt mein Blut auch jetzt, Stunden später, zum Kochen. Jagt pures Adrenalin durch meine Adern. Macht, dass ich plötzlich ausreichend Energie habe, den Pinch mit beiden Händen zu berühren.

Yes! Did it!

Gedämpft sickert das Jubeln meines Kumpels zu mir durch; weil vor meinen Augen Sterne tanzen, schließe ich die Lider. Keine zwei Sekunden später folgt eine relativ dumpfe Landung auf der Matte.

»Alter, du bist so ein Tier!« Emil streckt mir seine tätowierte Hand entgegen, und sobald ich stehe, klopft er mir anerkennend auf die Schulter. »Für einen Moment dachte ich, du packst es nicht, und dann erhebst du dich wie der Phönix aus der Asche.«

Nach Luft japsend schnappe ich mir meine Trinkflasche und realisiere, wie sehr meine arme Lunge da oben kämpfen musste. Inzwischen ist sie praktisch nur noch ein Feuerball.

»Paola hat angerufen?«, keuche ich und leere das Wasser in einem Zug.

Er nickt und wischt sich die kreidigen Hände an seiner Sporthose ab, was eine Wolke Magnesiumkarbonat aufwirbelt. Das staubige Zeug hängt hier zusammen mit dem angestrengten Stöhnen der Sportler standardmäßig in der warmen Luft. Hat was von Heimat. »Jap. Wir müssten gleich mal bei ihr vorbeifahren und ihr den Ersatzschlüssel bringen.«

Ich schnaube amüsiert. »Müssten wir, hm?«

Paolas Wohnung liegt keinen Kilometer von der Boulderhalle entfernt in der Hafencity. Wäre nicht das größte Problem gewesen, dass sie sich zu Fuß auf den Weg macht, aber Emil gibt ihr immer gern hundert Prozent. Und sie ihm. Die zwei haben eine besondere Verbindung, obwohl Menschen ernsthaft nicht unterschiedlicher sein könnten. Sie mit ihrem straighten Alltag, ganz vorn am Start in Enzo Millers Unternehmen, alles fancy, alles irgendwie clean und geebnet. Emils Weg würde ich stattdessen eher offroad nennen. Oft fegt er wie ein kräftiger Wirbelsturm durchs Leben, was tatsächlich ziemlich erfrischend ist. Damals hat er sich erfolgreich von den Ketten der sozialen Unterschicht befreit – inklusive Kontaktabbruch zu beiden Elternteilen –, und ich kenne niemanden, der so selbstbewusst und klar nach seinen eigenen Werten lebt wie er. Nicht jeder packt es, sich trotz mieser Verhältnisse einen Ausbildungsplatz zu angeln, zu schuften, zu kämpfen und schließlich mit Auszeichnung zu bestehen. Er schon.

»Und ausgerechnet jetzt ist ihr Nachbar mit dem Zweitschlüssel nicht in der Nähe?«

»Hätte sie sich dann bei dir gemeldet?« Nun ist es Emil, der ein verächtliches Schnauben von sich gibt. »Ist doch kein Thema, wir sind hier sowieso durch, oder?«

Ja, stimmt wohl. Seine schweißnasse Stirn, an der seine dunkelbraunen Haare kleben, belegt unsere erfolgreiche Sportsession. Erneut gleitet mein Blick an der Kletterwand entlang, dann steuern wir auf die Umkleidekabinen zu.

»Nur die Schlüsselübergabe, hast du gehört? Ich habe nicht die Nerven für unnötigen Small Talk«, erkläre ich vorsorglich, als wir keine fünfzehn Minuten später in meinem Wagen sitzen. Alles, was ich heute noch will, sind eine heiße Dusche und ein Sandwich mit extra Käse.

»Chill!« Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Emil sein iPhone zückt. »Sind die Glücksgefühle der weißen Route etwa schon verflogen?« Ohne eine Antwort zu erwarten, tippt er auf dem Display herum und blickt auf, sobald wir in Paolas Straße einbiegen. »Schau, sie steht sogar unten.« Zufrieden betätigt er den Fensterheber, und bevor wir richtig zum Stehen kommen, steckt meine Schwester bereits den Kopf ins Fahrzeuginnere.

»Meine Mensch gewordene Rettung!«, ruft sie aus und streckt sich umständlich, um Emil einen dicken Knutscher auf die Wange zu drücken. Dabei verschwindet er unter ihren langen, glatten Haaren, die meistens in allen möglichen Duttvarianten hochgesteckt sind, aber heute gefühlt die halbe Fahrerkabine erobern. »Wenn ich könnte, würde ich jetzt eine Konfettikanone über dir zum Platzen bringen.« Paolas grüne Augen spiegeln das Grinsen wider, das sich über dem Gesicht unseres Kumpels ausgebreitet hat.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Kopfschüttelnd lasse ich mich im Sitz zurückfallen.

»Hallo, Bruderherz! Danke fürs Kommen.«

»Wieso verdiene ich dafür keine Konfettikanone?«

»Na, weil ich einen Zehner darauf verwetten würde, dass du mich hättest laufen lassen und dass Emil dich überredet hat, zu mir zu fahren.«

Ein Blick zu meiner Rechten präsentiert mir zwei Antlitze, die als Leinwände für triumphierende Ausdrücke dienen: leicht angehobene Brauen, Münder, die überlegen nach oben gebogen sind.

Diabolisch.

»Wusste ich’s doch!« Paola hält ihm eine Hand zur Ghettofaust hin. »Kommt ihr zwei Süßen noch auf einen Kaffee rauf?«

Emils Finger fliegen schnurstracks zum Gurtschloss, als hätte diese Einladung seine automatische Abschnallfunktion aktiviert.

»Nein, danke«, erinnere ich ihn barsch und wedle mit dem Schlüsselbund herum, bis meine Schwester ihn sich schnappt. »Wir sind nur hier, damit du nicht vor der Tür schlafen musst.«

Sichtlich enttäuscht zuckt Emil mit den Achseln und zieht seine Hand zurück. »Er ist heute nicht allzu gut drauf.«

»Merk ich schon.« Paola kneift die Lider zusammen und scannt mich von oben bis unten. »Ist alles in Ordnung bei dir?« Das Spöttische ist ihrer Stimme entwichen.

»Mach dir keine Sorgen, ich bin okay. Der Tag war bloß lang, und ich habe dank dieser Rettungsmission noch nicht geduscht.«

»Versprich mir, dass du damit rausrücken würdest, wenn es was Ernstes gäbe.«

Weil es sich nicht lohnt, mit diesem entschlossenen Wesen zu diskutieren, lehne ich mich quer über Emil und reiche ihr meine Hand zum Kleinen-Finger-Schwur, woraufhin sie erleichtert ausatmet.

»Gut, dann befreie ich kurz meinen Schlüssel von drinnen und bringe dir deinen zurück.« Sie zeigt mir einen Daumen hoch, ehe sie Emil sanft in die Schulter knufft. »Fahr nächstes Mal mit dem Motorrad her, wenn du einen Kaffee willst. Du weißt ja: Die Türen stehen für dich offen.«

»Im Moment steht hier keine Tür offen«, sage ich stöhnend und stütze meinen Ellenbogen auf die Fensterlehne, was niemanden zu interessieren scheint.

»Klar, gern.«

»Passt dir morgen? Ich weiß allerdings nicht genau, wann ich loskomme, habe zwei Camper in der Werkstatt stehen.«

»Oh, nice. Schickst du mir gleich Fotos?«

»Gern.«

»Perfekt. Ich kann morgen flexibel Feierabend machen. Schreib mir einfach, sobald du Zeit hast, oder ich besuche dich und deine Wunderwerke.«

Wunderwerke. Das trifft es gut. Emils Job ist garantiert eines, weil er es gewagt hat, zwei Leidenschaften zu verbinden, für die er brennt.

Richtig brennt. Nicht wie ein Teelicht, sondern im Stil eines ausgewachsenen Infernos, das eine krasse Sogwirkung entfaltet, sobald man ihm durch Zuhören oder Beobachten Raum zum Atmen gibt.

Emil liebt das Reisen und die handwerkliche Arbeit mit Holz, und so war es für ihn nur logisch, bereits während seiner Ausbildung alles für eine Zukunft als Camper-Ausstatter in die Wege zu leiten. Wenn ihm zweifelnde, niedermachende Stimmen begegnet sind, hat er sie grundsätzlich mit Unkraut verglichen und war darauf bedacht, ihnen keine Energie zuzuspielen. Einen Nährboden anzulegen, auf dem sie zusammen mit Hass und Neid ab dem Wurzelwerk vergammelt sind und keine Gelegenheit bekamen, sich auszubreiten.

Und was kam dabei raus?

Der Laden boomt!

Emils Ruf eilt ihm längst voraus, sodass sich Leute aus dem ganzen Land glücklich auf eine monatelange Warteliste setzen lassen, bis er Zeit hat, ihre Möbel zu entwerfen. Handgefertigte Unikate von einem Tischler, der seine Berufung lebt? Hell, yes! Aber so was von! Kein Wunder, dass Paola einen Großteil ihrer Freizeit damit verbringt, Emil bei der Arbeit Gesellschaft zu leisten und ihn bei Kleinkram-Aufgaben zu unterstützen.

»Habt ihr’s jetzt?« Kopfschüttelnd, da von vornherein klar war, dass er mein nur den Schlüssel abgeben ignorieren würde, funkle ich meinen Beifahrer an.

Paolas Stichwort, sich dem Mehrfamilienhaus zu nähern. »Ach, und Aurelian! Falls ich dir mal helfen kann – dich zum Beispiel von eurer Jubiläumsfeier abholen soll oder so: Lass es mich einfach wissen!« Sie zwinkert, und obwohl unser Verhältnis dank Enzo manchmal angespannt ist, rühren mich ihre Worte. Vielleicht, weil sie sich an Details erinnert, die in meinem Leben passieren.

Vielleicht, weil wir uns zwischen den Zeilen einig darüber sind, einander nie hängen zu lassen.

»Was ist hiermit?«

»Sieht hübsch aus.«

»Fee. Du hast keine Sekunde wirklich geschaut. Ich könnte auch in einem Müllsack stecken, und du würdest behaupten, es wäre hübsch.«

Als ich ertappt die Schultern straffe und mich auf Quinn konzentriere, ruht ihr durchdringender Blick auf mir.

Weil wir unsere Frühschichten bis zum großen Jubiläumsfest an einer Hand abzählen können, habe ich mich überreden lassen, nach der Arbeit shoppen zu gehen. Allerdings macht es keinen Unterschied, ob ich mich in diesem fancy Abendmodegeschäft aufhalte oder zu Hause auf der Couch. So oder so driften meine Gedanken immer wieder zum Coachingprogramm, trauern Málagas romantischer Atmosphäre nach, die ich bisher nur von Fotos kenne. Zum Heulen oft habe ich in den letzten Monaten manifestiert, mit einem leckeren Kaffee in der Hand die Calle Marqués de Larios zu überqueren. Sonnengeküsst. Frei. Habe mir ausgemalt, wie mich die verwinkelten Gassen mit ihren niedlichen Restaurants und bunten Lädchen langsam, aber sicher weiter zu mir selbst führen.

Sollte ich mir nicht rechtzeitig einen verlässlichen Fake Freund angeln, wäre all das dahin. Dann wäre es sinnvoller, in Hamburg zu bleiben und meinen Kummer in Überstunden umzuwandeln. Reiche Gäste bedienen, statt die Seele baumeln zu lassen, Fischbrötchenbuden statt Orangenbäume. Es wäre ein Sommer wie jeder andere – nur wesentlich trauriger.

»Also, was denkst du?« Quinn mustert mich – in ihrer Miene liegen nahezu flehende Nuancen. Sofort tut es mir leid, dass ich ihr nicht die Aufmerksamkeit geschenkt habe, die sie verdient.

Langsam gehe ich einmal um meine Freundin herum. »Du siehst wunderschön aus.«

Das tut sie wirklich. Sie trägt einen Traum aus fließendem roséfarbenem Satin, der sich an ihre Kurven schmiegt und sie wundervoll betont. Der dezente Ton des Kleids bildet dabei den perfekten Einklang mit Quinns olivfarbener Haut. Dazu das glatte schwarze Haar als atemberaubender Kontrast. »Wie eine Prinzessin.« Andächtig nehme ich ihre Hand, und wir betrachten uns nebeneinander in der gigantischen Spiegelfront.

Ein paar Sekunden sagt niemand etwas. Wir regen uns nicht, hypnotisiert von dem Kunstwerk an Kleidung, ehe sich ihr Gesicht erhellt und sie meine Hand fester drückt.

»Finde ich auch!«, ruft sie aus. »Das perfekte Stück für einen besonderen Abend.«

»Mhm.«

Der Abend, an dem ich eigentlich feiern wollte, dass ich wenige Tage später nach Spanien aufbreche.

»Mein Look steht, jetzt bist du dran.«

»Nein, Quinn. Mir ist heute echt nicht danach, ich habe mich hier nicht mal richtig umgesehen.«

Während die Euphorie aus ihren Augen schwindet, lässt auch die Intensität unserer Berührung nach. Sie räuspert sich. »Das mit deiner Reise ist großer Mist. Ich hätte dir gewünscht, dass es nicht so kompliziert wird.«

»Danke.«

»Wenn du willst, bezahle ich schnell und wir machen uns auf den Heimweg.« Quinn lächelt mich an, und ich möchte ihr schon über den Spiegel zunicken, da wirbelt sie herum und stellt sich mir gegenüber. »Odeeer du probierst noch ein Kleid an. Nur ein einziges. Das soll gegen trübe Gedanken helfen.«

»Ist also auch eine Coachingmethode?« Ich muss auflachen, was ihre Motivation weiter ankurbelt.

»Ein Teil?«, fragt sie. Wohlgemerkt mit einem Hundeblick, dem man nichts ausschlagen kann. Nicht in hundert Jahren.

»Eins. Ein einziges.«

Wenig später hat sie sich umgezogen, um mich mit der Beharrlichkeit einer Jägerin durch die Gänge zu lotsen und einzelne Klamotten probeweise an mich heranzuhalten. Quinns wahr gewordener Traum von Polly Pocket für Erwachsene.

»Wie muss er sein?«, fragt sie und lässt ihre Finger über ein fürchterliches Kleid aus glänzendem schwarzem Stoff mit roten Punkten streichen. Mermaid-Schnitt. Der untere Teil besteht aus aufgepufftem Tüll, und auch wenn ich gerade nicht wirklich bei der Sache bin: Dasgeht gar nicht.

Entschlossen schiebe ich sie weiter. »Wie muss wer sein?«

»Dein Boy. Angenommen, jeder Typ der Welt, real oder fiktiv, würde Schlange stehen, um deine Begleitung zu werden. Wen würdest du wählen?« Sie dreht sich um die eigene Achse und zwinkert verschwörerisch. »Chuck Bass?«

»Never! Sex-Appeal allein reicht wohl kaum aus, um seriöser Kandidat für ein Persönlichkeitsentwicklungsseminar zu sein!«

Kurzes Schweigen, weil wir beide wissen, dass das Chuck gegenüber nicht ganz fair war.

Quinn scheint abzuwägen, ob sie es unkommentiert lassen kann, und atmet einmal tapfer. »Trotzdem sollte der Gute ein bisschen Charme versprühen. Wenn du den Kerl nämlich überhaupt nicht attraktiv findest, wird es schwierig, Interesse vorzutäuschen.«

Auch wieder wahr. »Dann also ein guter Schwung Sex-Appeal und Charisma, aber mindestens dieselbe Menge Humor und Tiefgründigkeit. Es muss jemand sein, der sich einlassen kann«, auf mich und mein kleines Chaos, »sonst wird’s der berühmte Schuss in den Ofen.«

Gedankenverloren hält Quinn mir das nächste Teil hin – einen körperbetonten Jumpsuit. »Verlässlichkeit und ein gewisses Maß schauspielerisches Talent wären wünschenswert.« Mit gespitzten Lippen zuppelt sie den Overall gerade. »Was denkst du?«

»Dass ich am Arsch bin.« Und zwar komplett. Der Fischbrötchensommer rückt gefährlich nah. »Wie soll ich mir auf die Schnelle so einen Mann aus dem Hut zaubern?«

»Nein, ich meine hierüber.« Um den Spiegel freizugeben, macht sie einen Schritt zur Seite. Stemmt die freie Hand in die Hüfte, ignoriert meine Zweifel. »Er passt zu dir.«

»Ja, ein freundliches Schwarz. Betont meine Augenringe.« Entschieden nehme ich ihr den Kleiderbügel ab und stürme in Richtung Kabinen, als hätte ich keine Zeit zu verlieren. Als könnte ich noch irgendetwas an meiner Lage ändern, wenn ich nur schnell genug bin.

Welcome to my life: ein Marathon ohne Ziellinie.

»Kann man dir helfen?« Hinter mir ertönt eine dunkel gefärbte, warme Stimme. Die letzte, die ich gerade hören will.

»Danke, ich komme klar«, presse ich hervor, während ich auf Zehenspitzen in einem der Housekeeping-Räume stehe. Meine Lage ist wenig überzeugend: Den rechten Arm bis zum Anschlag gestreckt, suche ich mit dem linken Halt an diesem verfluchten Regal, das schon verdächtig kippelt und offenbar für Riesen konzipiert wurde.

So ein Mist!

Um den schlimmsten aller Fälle zu vermeiden, verwandle ich mich sprichwörtlich in eine Versteinerung. Rege keinen Finger mehr, halte die Luft an. Ignoriere, dass meine verdammte Lunge unter der Anstrengung fast kollabiert.

Sollte ich das Regal umreißen und darunter begraben werden, wäre das eine Sache. Eine ganz andere jedoch, wenn ausgerechnet Aurelian Miller Augenzeuge dieses Fiaskos wird. Er würde es für immer in seinem sturen Kopf speichern und nach Belieben wieder hervorholen, um mir eins auszuwischen. Um mein Selbstbewusstsein zu malträtieren und mir das Gefühl zu geben, dass ich der seltsame Tollpatsch bin, wohingegen er in hellem Glanz erstrahlt.

Ich überlege, warum das Universum ihn mir ständig in den unpassendsten Situationen schickt, als meine Kraft schlagartig nachlässt und ich abrutsche. Während ich einen Schritt nach hinten taumle, folgt mir das wacklige Möbelstück mit furchtbarem Knarzen und besiegelt meine Blamage.

»Verflucht, Fee!«

Ein großer Schatten baut sich vor mir auf. Neben mir. Und über mir. Genau genommen werde ich regelrecht von einer nach Zedernholz riechenden Person umgeben. Aurelian steht unmittelbar hinter mir und stützt das Regal zu beiden Seiten, sodass ich nur leicht mit den Brüsten gegen das Holz stoße und sonst … passiert rein gar nichts. Das erwartete Scheppern bleibt aus.

»Hättest du nicht einfach zugeben können, dass du meine Hilfe brauchst?« Die tiefe Stimme vibriert, und weil Aurelian mir derart nah ist, spüre ich sie auf meiner Haut.

»Komm runter!«

»Ich bin unten!«

Himmel.

Gegen meinen Willen hinterlässt jedes einzelne Wort ein Kribbeln in meinem Nacken. Und an anderen Stellen meines Körpers.

Alarmiert drehe ich meinen Kopf und blinzle nach oben, wo mich sein wütender Blick empfängt. Dunkle Iriden, zwischen Matschgrün, Braun und Herbstlaub, in denen sich vereinzelte goldene Tupfer befinden, als hätte jemand eine Packung Glitzer darin ausgekippt. Klar. Was soll ein Typ wie Mister Ego mit einem gewöhnlichen Ton, wenn er alternativ den halben Tuschkasten haben kann?

Weil ich dieses Farbspektakel zuvor nie bemerkt habe, könnte ich mich in diesen Sekunden darin verlieren, doch erinnere mich rechtzeitig ans Wesentliche.

»Was ist dein Problem?«

»Gerade ist es deine … ungezügelte Art, die mich beunruhigt! Wie oft pro Woche bringt sie dich durchschnittlich in Lebensgefahr?«

»Weißt du was?« Meine Hände ballen sich zu Fäusten, und würde er nicht immer noch dieses olle Regal stützen, hätte ich große Lust, sie auf seine lächerlich breite Brust niedersinken zu lassen. »Ich habe dich mit keiner Silbe gebeten, einen auf Edward Cullen zu machen und den Helden zu spielen!«

»Zweimal? Dreimal?«

»Hör sofort auf damit, Miller!«

»Fee, du bist …« Er atmet schwer aus, was das Kribbeln ankurbelt.

Blitzschnell wende ich mich ab – nicht, dass er noch glaubt, irgendetwas in meinem Ausdruck lesen zu können, was mit Sympathie verwandt ist.

»Du bist ein echter Dickkopf.«

»Und du ein eingebildeter Schnösel!«

Er gibt einen herablassenden Laut von sich, und ich beobachte, wie sich seine Hände verkrampfen.

»Achtung, ich stelle dieses Ding jetzt wieder auf«, sagt er und hält, was er verspricht. Trotz Vorwarnung trifft es mich wie ein Blitz, dass er sich weiter vorbeugt und mich mit den Hüften am Rücken berührt. Wie eine Weltmeisterin kämpfe ich gegen die Bilder an, die sofort vor meinem inneren Auge aufpoppen, aber mein störrischer Kollege ist mir viel zu nah, als dass ich eine reelle Chance hätte. Mir Hundebabys vorzustellen, zieht nicht, solange mich sein fester, behaglicher Körper mitsamt allem gegen dieses verhexte Regal drückt.

»Warum stehst du mit geschlossenen Augen da? Die Gefahr ist vorüber. Du wirst nicht von einem riesigen, klapprigen Holzstück begraben, das safe noch nie eine Prüfung vom Arbeitsschutz gesehen hat.«

Stimmt. Er ist tatsächlich ein paar Schritte zur Seite gegangen, und ich habe unmittelbar vor den Regalböden Wurzeln geschlagen, als gäbe es in der Staubschicht spannende Hieroglyphen zu entdecken. Millers Wärme umhüllt mich weiterhin.

Trotz der Distanz.

Trotz der Kälte, die ich tief in ihm drin erwarte.

»Ich … ich weiß nicht«, stottere ich und bin eigentlich ganz froh über meinen leicht schwummrigen Zustand. Solange sich mein Kopf wie Matsche anfühlt, brauche ich wenigstens nicht genauestens analysieren, in welche Peinlichkeit mich die letzten zwei Minuten geschubst haben. Ich würde es nicht ertragen. Müsste auf der Stelle im Erdboden versinken, zu Staub zerfallen oder mich in Luft auflösen.

»Was brauchst du von da oben?«

»Hm?«

»Weshalb du dich mit dem Regal angelegt hast, will ich wissen.«

»Miller, leidest du an einem Helfersyndrom oder so etwas?« Ich erwache aus meinem festgewachsenen Zustand und türme mich vor ihm auf, was sich angesichts seiner Statur ein bisschen lächerlich anfühlt.

Anstatt sich genervt umzudrehen, wie es vermutlich jeder andere irgendwann getan hätte, rückt er mit seiner Aufmerksamkeit nicht den geringsten Millimeter von mir ab. Er scannt mich sogar derart intensiv, dass ich fürchte, er könne direkt in meine Seele schauen. Unruhig nehme ich die Arme vor die Brust.

»Ich habe kein Helfersyndrom, zumindest ist es mir nicht bekannt.« Aurelians Stimme klingt plötzlich mild und gefasst, was mich nur weiter irritiert. »Und du? Kannst du es grundsätzlich nicht annehmen, wenn dir jemand seine Unterstützung anbietet?«

Was fällt ihm ein, mich dermaßen genau zu lesen?

»Ich …« Habe nie gelernt, mich vollständig auf andere zu verlassen? Habe ein merkwürdiges Verhältnis zu Nähe und Distanz? »Ich habe absolut keine Schwierigkeiten damit.« Um mir Stabilität zu geben, zurre ich die verschränkten Arme fester zusammenund versuche es zu ignorieren, dass sich seine Mundwinkel nun leicht nach oben biegen.

»So«, sagt er und sieht dabei so unglaublich überlegen aus, dass ich ihn am liebsten aus dem Raum schieben würde. »Dann habe ich das offenbar fehlinterpretiert. Was darf ich dir also aus dem Regal geben?«

Fuck you, Miller.

Es kostet meine ganze Kraft, mich zu überwinden, doch das ist es mir wert. Auf keinen Fall werde ich diesem abgehobenen Menschen gegenüber klein beigeben und ihm noch mehr Futter für Hohn und Arroganz liefern.

»Den Karton mit den Lichterketten«, murmle ich zerknirscht und zeige auf die Stelle, wo ich die Dinger vermute. Als mir im obersten Fach eine Kiste mit der Aufschrift Sektgläser auffällt, fließt neue Energie durch meine Adern. Was der kann, kann ich schon lange. Siegessicher strecke ich das Kreuz durch und genieße, wie sich mir die nächsten Worte auf die Zunge legen. »Und die Gläser da.«

Aurelians Blick gleitet erst zur Kiste, dann zu mir zurück.

Zuckersüß tätschle ich seine Schulter. »Wenn es dir zu hoch ist: kein Problem.«

Noch im selben Atemzug strahlen die Glitzerpunkte in seinen Augen etwas aus, das ich zwar ein paarmal an ihm wahrgenommen habe, aber nicht in Worte fassen kann. Alles, was ich weiß, ist, dass mein Kollege in einen Modus schaltet, in dem ihn nichts mehr aufhält. Wie in Zeitlupe knöpft er sein Jackett auf, das in der Hauptfarbe des Blairs gehalten ist. Weinroter Stoff, über den sich seine Finger bewegen. Den er abstreift. Und zu Boden fallen lässt. Ein verdammtes Kleidungsstück, das mir in diesem Moment förmlich den Mund austrocknet, bis gefühlt Wüste darin herrscht.

Die Phase danach kommt und geht so schnell, dass es unmöglich ist, sie gänzlich zu erfassen. Irgendwie schafft Aurelian es, sich vor mir zwischen Türrahmen und seitlich des Regals abzustützen. Ich trete zwei Schritte zurück, lehne mich mit einer Schulter an die cremefarbene Tapete, und beobachte das Geschehen genau. Aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Alles andere wäre angesichts der heiklen Situation von eben unterlassene Hilfeleistung.

Hust.

Zwar wird das marode Möbelstück – das tatsächlich nichts mit dem ansonsten allgegenwärtigen Glamour des Hotelszu tun hat – auf der anderen Raumseite gegen die Wand gedrückt und quietscht, allerdings droht es zu keiner Zeit, umzukippen.

Während sich Aurelian streckt, zeichnen seine prolligen Muskeln Muster auf sein weißes Arbeitshemd, und weil ich damit beschäftigt bin, meinem Sicherheitsauftrag nachzugehen, bemerke ich erst verzögert, dass die Kartons mit Lichterketten und Sektgläsern vor meinen Füßen stehen.

***

»Alarmstufe Rot«, raune ich Quinn am Nachmittag zu und schiebe ihr ihren Latte macchiato mit Vanilleflavour über den Tresen. »Adam kann nicht mit.«

Eigentlich hätte ich gedacht, dass sich meine eigene Unruhe sofort in ihrer Gestik spiegeln würde, doch sie umschließt nur seelenruhig den wiederverwendbaren Becher mit beiden Händen und fährt mit dem Daumen das verschnörkelte Q darauf nach.

»Quinn!«, sage ich und klinge dabei, als wäre mein zweiter Vorname Verzweiflung.

»Warum kann er denn nicht?«

Sie denkt nicht ansatzweise daran, ihre Stimme zu dämpfen, weshalb ich mir entsetzt den Zeigefinger auf die Lippen drücke und einen Sch-Lautvon mir gebe. »Kannst du bitte leiser sprechen?«

»Ach, Feechen, was soll der Quatsch? Wir sind allein!« Zur Veranschaulichung dreht sie sich mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse.

»Noch«, zetere ich. Und wenn wir nicht aufpassen, steht im nächsten Atemzug wie aus dem Nichts – schwupps – ein geisterhafter Kollege hinter uns. Dieses Schauspiel kenne ich inzwischen zur Genüge, und für heute ist meine Miller-Toleranz längst überschritten. Das ist auch der Grund, weshalb ich nach links und rechts blicke, bevor ich antworte. »Er kann das Café so spontan nicht zurücklassen.«

»Oh, wirklich?« Völlig unbeeindruckt sprüht sie Desinfektionsmittel auf den Tresen. »Wer hätte das gedacht?«

Enttäuscht nehme ich einen Schluck von meinem Kaffee.

»Du machst dir das Leben schwer, Maus. Die Antwort liegt direkt vor deiner Nase, du willst sie nur nicht sehen. Das Einzige, um das du trauern solltest, ist der himmlische Jumpsuit, den du gestern nicht mitgenommen hast.«

»Du meinst, wir zwei sind die Lösung? Du und ich als lesbisches Paar in Málaga?«

»Ich meine unseren dunkelblonden Wuschelkopf von der Bar. Jemanden, der nicht seinen Arbeitsposten mit dir teilt und deshalb kurzfristiger zu vertreten ist. Leo und ich rocken das hier, solange ihr weg seid!«

Mir gefällt gar nicht, wie inbrünstig, nahezu beflügelt, sie nun mit einem Frotteetuch über den Empfangsbereich wischt.