Miss Merkel: Mord unterm Weihnachtsbaum - David Safier - E-Book

Miss Merkel: Mord unterm Weihnachtsbaum E-Book

Safier David

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Beschreibung

«Da ist ein toter Weihnachtsmann in unserem Kamin» gehört zu den Sätzen, die man zum Heiligen Fest eher nicht hören will. Es sei denn, man ist Angela Merkel und freut sich über ungeklärte Todesfälle in der uckermärkischen Heimatstadt. Nach einem missglückten Urlaub mit den Obamas findet das Ehepaar Merkel bei ihrer Rückkehr an Heiligabend den besagten toten Weihnachtsmann in ihrem Fachwerkhäuschen vor. Bei dem Mann handelt es sich um einen professionell buchbaren Santa. Verdächtig sind vier konkurrierende Weihnachtsmänner und -frauen, die die Bewohner des beschaulichen Ortes ebenfalls mit Geschenken beglücken. Und einer von ihnen hält sich sogar für den echten Weihnachtsmann.

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Seitenzahl: 162

Veröffentlichungsjahr: 2025

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David Safier

Miss Merkel: Mord unterm Weihnachtsbaum

Roman

 

 

 

Über dieses Buch

Die perfekte Bescherung – Miss Merkel ermittelt zum Fest.

 

«Da ist ein toter Weihnachtsmann in unserem Kamin» gehört zu den Sätzen, die man zum Heiligen Fest eher nicht hören will. Es sei denn, man ist Angela Merkel und freut sich über ungeklärte Todesfälle in der uckermärkischen Heimatstadt. Nach einem missglückten Urlaub mit den Obamas finden die Merkels bei ihrer Rückkehr an Heiligabend den besagten toten Weihnachtsmann in ihrem Fachwerkhäuschen vor. Bei dem Mann handelt es sich um einen professionell buchbaren Santa. Verdächtig sind vier konkurrierende Weihnachtsmänner und -frauen. Und einer von ihnen hält sich sogar für den echten …

 

Witzig, skurril und spannend: der erste Weihnachtskrimi des Bestsellerautors David Safier.

Vita

David Safier, 1966 geboren, zählt zu den erfolgreichsten Autoren der letzten Jahre. Seine Romane, darunter «Mieses Karma», «Jesus liebt mich», «Happy Family» und «MUH!» erreichten Millionenauflagen im In- und Ausland. Der erste Band seiner Krimireihe rund um die Ex-Kanzlerin gehört zu den bestverkauften Büchern des Jahres 2021. Als Drehbuchautor wurde David Safier unter anderem mit dem Grimme-Preis sowie dem International Emmy ausgezeichnet. Er lebt und arbeitet in Bremen, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Covergestaltung Cordula Schmidt Design, Hamburg

Coverabbildung und Kapitelvignetten Oliver Kurth

ISBN 978-3-644-30014-9

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Marion, Ben und Daniel.

Ich liebe euch.

1

«Nie wieder Urlaub mit den Obamas», seufzte Achim, als er am Vormittag des Heiligabends die Tür ihres kleinen Fachwerkhauses in der Uckermark öffnete. Darin wohnte das Ehepaar Merkel seit jenem Tag, an dem die Bundeswehrkapelle zu Angelas Abschied Du hast den Farbfilm vergessen geschmettert und sie dabei auf ihre drollig unbeholfene Weise in die Hände geklatscht hatte.

«Versprochen, Puffel», antwortete Angela, «wir fahren nie wieder mit den Obamas weg. Weder nach Maui noch auf die Bahamas, noch nicht einmal nach Bad Salzuflen.»

Der Urlaub mit Barack und Michelle auf Hawaii, der als gute Idee gestartet war, hatte sich zu einem solchen Albtraum entwickelt, dass Angela ihn vorzeitig unter einem Vorwand beendet hatte. Was dazu führte, dass sie nun mit Achim das Weihnachtsfest unvorbereitet zu Hause verbringen würde.

Anfangs waren die Gespräche mit den beiden Amerikanern in deren mondäner Strandvilla noch anregend gewesen, doch auf Dauer hatte Angela sie als eher bedrückend empfunden. Wie lange konnte man über das selbst ernannte stabile Genie Donald Trump sinnieren, ohne in Depressionen oder Schreianfälle zu verfallen?

Noch schlimmer war es allerdings, mit dem ehemaligen Präsidentenehepaar in der hypermodernen, gigantischen Küche Mahlzeiten einzunehmen. Die Obamas ernährten sich ausschließlich von heißen Protein-Gemüse-Shakes, die ihnen ein langes Leben versprachen. Nachdem Angela einen Schluck des flüssigen und streng riechenden Breis probiert hatte, konnte sie nicht anders, als sich zu fragen: Wenn man nur noch so etwas isst, wozu will man dann noch lange leben?

Spätabends am Pool fühlte sich Barack zudem bemüßigt, die Anwesenden mit seinen Entertainerqualitäten zu unterhalten. Er sang Jazzlieder, rappte oder schmetterte lauthals Hakuna Matata aus König der Löwen. Er konnte sogar Stepp tanzen, sodass Achim bereits am zweiten Abend Angela leicht genervt zuraunte: «Fehlt nur noch, dass er mit Tellern jongliert.»

Am dritten Abend zündeten Barack und Michelle sich Joints an. Nach den ersten Zügen begannen sie, zu Smooth Operator am Pool zu tanzen. Als Michelle und er sich innig küssten und seine Hand ihren Rücken hinunterglitt, beschlossen Angela und Achim, sich dezent zurückzuziehen und den Smooth Operator allein operieren zu lassen.

Selbst der Strand von Maui konnte den Urlaub nicht retten. Sonne und Strand waren nun mal nicht das natürliche Habitat des blassen Quantenchemikers. In der Hitze musste Angela immer größere Mengen von Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 100 auf Achims Haut verteilen, die sich mit den feinen Sandkörnern zu einer zähen und scheuernden Masse verbanden. Wenn Achim etwas noch mehr hasste, als im heißen Sand zu liegen, dann war es, im heißen Sand zu liegen und den durchtrainierten Obamas beim Jetski-Fahren zuzuschauen.

Als Achim schließlich bei einem kleinen Motorbootausflug in einer von Barack besonders schnittig gefahrenen Kurve versehentlich über Bord ging, war Angela klar, dass sie ihren Mann erlösen musste. Sie kündigte ihre Rückreise an unter dem Vorwand, die Ehefrau des neuen Kanzlers habe bei ihr angerufen und flehentlich darum gebeten, Angela möge ihrem Mann angesichts der sich auftürmenden Probleme helfen, damit er sich nicht die wenigen noch verbliebenen Haare ausraufen würde.

Als Angela mit ihrem Achim in den Wagen stieg, der sie zum Flughafen bringen sollte, hörte sie Michelle ihrem Mann zuraunen: «Do you think the Merkels still have sex?»

«If they have», antwortete Barack, «not as much as we have.»

«Nobody has as much», grinste Michelle.

Und Angela dachte: ‹Die beiden laden wir definitiv nie in unser altes Häuschen mit den dünnen Wänden ein.›

 

«Es riecht nach Schnee», hielt Bodyguard Mike seine Nase in die Luft, während er die Koffer der Merkels zur Haustür trug.

Angela blickte in den Himmel und roch die frische kalte Luft: Mike hatte recht, spätestens heute Abend würde es schneien. Hoffentlich schöne dicke Flocken, wie sie zu Weihnachten am besten passten. Wie hatte sie je auf so eine alberne Idee kommen können, das Fest auf Hawaii verbringen zu wollen? Angela freute sich auf die Aussicht, die Weihnachtstage hier zu sein.

Die Jahre zuvor war sie mit Achim stets zum Skilanglauf nach Norwegen gefahren, der, wenn sie ehrlich war, wegen ihrer nachlassenden Kondition inzwischen eher ein ‹Lass uns lieber auf der Terrasse einen Jagertee trinken›-Urlaub geworden war. Doch um den noch zu buchen, war es nun zu spät. So kam es, dass das Ehepaar Merkel zum ersten Mal sein Weihnachtsfest in seiner neuen Wahlheimat Klein-Freudenstadt in der Uckermark verbringen würde.

«Puffel, machst du uns schon mal ein schönes Feuerchen im Kamin?», fragte Angela, die ihre aufkommende Weihnachtsfreude noch anheizen wollte.

«Dein Wunsch ist mir stets Befehl, Puffeline», lächelte Achim, «und dein Befehl ist mir stets Wunsch.»

Er verschwand ins Haus. Bodyguard Mike stellte die Koffer auf dem Treppenabsatz ab. Dabei gähnte er laut. Er kam mit dem Jetlag nicht klar, den Angela und Achim nach all den Fernreisen während der Kanzlerjahre gar nicht mehr bemerkten – ihren CO2-Fußabdruck würde Angela den Bewohnern der Malediven, die dabei zusehen konnten, wie ihre Inseln in nicht allzu ferner Zukunft ganz im Meer versinken würden, niemals verraten.

Auch Mike war froh, Maui verlassen zu haben, wenn auch aus anderen Gründen: Die gestählten Bodyguards des Secret Service, die die Obamas bewachten, hatten sich die ganze Zeit über sein Bäuchlein lustig gemacht. Sie hatten ihm den Kosenamen ‹Marshmallow-Man› verpasst.

Mike hatte seine Frau Marie und deren Sohn Adrian bereits im Schloss abgesetzt, wo sie gemeinsam wohnten. Auch Marie hatte die Obamas als anstrengend empfunden, da sie nicht müde wurden, ihr Erziehungstipps zu geben. Die Töchter der Obamas hatten offenbar bereits mit drei Jahren angefangen, Mandarin zu lernen, während Marie dem kleinen Adrian, der durchaus aufgeweckt war, noch beizubringen versuchte, dass er nicht jeden Polizisten ‹Po-Po-Zist› nennen sollte.

«Mist!», schlug Mike sich mit der flachen Hand an die Stirn.

«Was ist?», fragte Angela neben ihm auf dem Treppenabsatz.

«Ich habe das Geschenk für Adrian in Maui liegen lassen.»

«Dann müssen Sie es noch mal besorgen?»

«Das wird nicht so einfach. Ich habe es extra in den USA gekauft. Es handelt sich um eine Bonecrusher-Transformer-Spielfigur.»

Angela konnte sich unter dem Begriff nichts vorstellen, war sich aber ziemlich sicher, dass es sich dabei nicht um ein pädagogisch wertvolles Spielzeug handelte.

«Ich glaube kaum», sagte der Bodyguard zerknirscht, «dass ich den in Klein-Freudenstadt bekomme, und für eine Bestellung bei Amazon ist es zu spät.»

Angela entdeckte in den Augen von Mike die Sorge, seinen Adoptivsohn zu enttäuschen. Daher verkniff sie sich die Bemerkung, dass man Bestellungen bei Amazon ohnehin vermeiden sollte. Dessen Inhaber Jeff Bezos war ein Raubtierkapitalist, der bei einem gemeinsamen Treffen mit Angela einen Kicheranfall bekommen hatte, als sie vorschlug, der Konzern könne doch auch mal in Deutschland Steuern abführen.

Achim und sie hatten schon während der letzten Jahre ihrer Amtszeit beschlossen, dass sie sich zu Weihnachten nichts mehr schenken würden. Im Kanzleramt wurde man zum Fest mit Geschenken überhäuft, die in der Regel so zahlreich wie unnütz waren: Jeder zweite Politiker schickte Angela eine signierte Autobiografie, die er von Ghostwritern hatte verfassen lassen. Sie musste dann beim nächsten Zusammentreffen stets so tun, als ob sie das Buch gelesen und sogar erhellend gefunden hätte. Macron hatte ihr seine Autobiografie fünf Weihnachten in Folge geschenkt. Bei der anderen Hälfte der Geschenke handelte es sich meist um Süßigkeitenspezialitäten aus den jeweiligen Ländern, die Angela, soweit genießbar, an die Mitarbeiter verteilte. Wenn sie aus feindlich gesinnten Nationen stammten, wurden sie aus Sicherheitsgründen entsorgt. Das einzige Problem an ihrem Geschenkedeal mit Achim war, dass er sich meist nicht daran hielt und ihr zu Weihnachten doch etwas schenkte. Sie stand dann ohne Präsent für ihn da und schämte sich. Sie konnte nur hoffen, dass es dieses Jahr anders sein würde.

Angela nahm Mikes Hand und sagte beruhigend: «Es ist Weihnachten. Und an Weihnachten wird alles gut. Sie werden den Bonecrusher schon noch auftreiben.»

«Ihr Wort in Santas Gehörgang», antwortete Mike skeptisch.

«Ich hol mal den Hund», teilte Angela mit. Mops Pupsi schlief noch tief und fest auf der Rückbank wegen der Schlafspritze für den Flug. Er schnarchte dabei wie Joe Biden auf einem G7-Gipfel. Hoffentlich würde ihr der Hund diesmal verzeihen, dass sie ihn mit der Nadel gepiekst hatte. Nach dem Hinflug hatte er sie zwei Tage nicht mal mit dem Ringelschwanz angeschaut. Sie freute sich schon darauf, ihn vor dem lodernden Kaminfeuer mit grober Uckermärker Leberwurst zu verwöhnen.

 

Plötzlich trat Achim aus dem Haus und keuchte aufgeregt: «Puffeline …»

Angela sah, dass ihr Mann kreidebleich war. Waren etwa Einbrecher im Haus gewesen? Hoffentlich nicht, es wäre schrecklich, wenn sich Fremde durch ihre Sachen gewühlt hätten. Zudem hätte Achim als Großmeister des Migräne verursachenden Wortspiels zu allem Überfluss gewiss noch irgendwann so etwas gesagt wie: ‹Einbrecher? So wie es hier aussieht, waren es mindestens zwei Brecher.›

«Was ist los?», fragte sie alarmiert.

«Ich kann den Kamin nicht anmachen.»

«Und warum nicht?»

«Das beantworte ich nur ungern.»

«Wieso?»

«Auch das beantworte ich nur ungern.»

«Ist etwas mit dem Kamin nicht in Ordnung?»

«Je nach Perspektive.»

«Was soll das denn heißen?»

«Das beantworte ich noch ungerner.»

«Ungerner ist kein korrektes Wort.»

«In diesem Kontext schon.»

«Und was genau ist der Kontext?»

«Das beantworte ich noch viel …»

«Wenn du so weitermachst», schnitt Angela ihm das Wort ab, «gibt es auch etwas, was ich nur ungern tue.»

«Was denn, Puffeline?»

«Mich aufregen.»

«Verstehe.»

«Dann sag mir, warum du den Kamin nicht anfeuern kannst.»

«Habe ich schon erwähnt, dass ich das nur ungern beantworte?»

«Puffel!»

«Ich kann den Kamin nicht anmachen …» Er stockte.

«Ja?»

«… weil ein toter Weihnachtsmann darin steckt.»

2

«Das ist ein Argument», fand Mike. Er war nicht schockiert wie bei früheren Gelegenheiten, wenn sie eine Leiche gefunden hatten. Als habe er sich schon fast daran gewöhnt. Halb müde vom Jetlag, halb resigniert begann er sogar zu singen: «Guten Morgen, liebe Leichen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen, na dann ist ja alles klar!»

Da Mike unter seinem schwarzen Sakko ein Hawaiihemd trug, sah er fast aus wie Jürgen von der Lippe, dessen Liedtext er leicht abgewandelt hatte.

Angela gefiel der Gedanke gar nicht, dass ausgerechnet in ihrem Haus eine Leiche gefunden wurde. Dies erschien ihr ein ebenso unangenehmes Eindringen in ihre persönliche Sphäre wie damals Putins Besuch im Kanzleramtsbüro. Schnurstracks eilte sie ins Wohnzimmer zu dem breiten Kamin, der heutzutage von keinem Schornsteinfeger mehr abgenommen würde. In der Tat steckte im Schornsteinschacht kopfüber der Leib eines Mannes im roten Weihnachtsmannkostüm. War er beim Geschenkeaustragen den Kamin hinuntergestürzt und aufgrund seiner Leibesfülle an der dicksten Stelle des Bauches stecken geblieben? Sein schlohweißer Bart endete knapp über dem von Achim bereits vor dem Urlaub gestapelten Kaminholz. Auch seine rote Mütze saß ihm noch auf dem Kopf, als wäre sie festgetackert.

«Das ist merkwürdig», verkündete Angela, die schon wieder jenes aufregende Kribbeln spürte, das sie zu Beginn einer jeden Mordermittlung erfüllte. Sie liebte diesen Zustand, er ließ sie so lebendig fühlen.

«Dass ein toter Weihnachtsmann in Ihrem Kamin hängt? Was Sie nicht sagen», kommentierte der Bodyguard lakonisch. Angela mochte ihn lieber, als er noch nicht so abgebrüht auf einen Leichenfund reagierte.

«Nein, etwas anderes», erwiderte sie ihm.

«Was denn?»

«Schauen Sie genauer hin.»

«Dass die Mütze noch sitzt?»

«Nein, dass der Mann nass ist.»

Angela deutete nacheinander auf die rote Jacke und den weißen Pulli mit den Wasserflecken sowie den etwas feuchten Bart. Ihre innere Aufregung steigerte sich, beinahe hätte sie gelächelt. Nur ihr Gewissen, das ihr zurief, eine Leiche dürfe kein Anlass für allzu große Freude sein, hielt sie davon ab.

«Es hat doch», erwiderte Mike, «heute Morgen geregnet.»

«Mag sein», antwortete Angela, die sich die Leiche noch genauer ansah, indem sie den Kaminschacht mithilfe eines Handylichts hochleuchtete, «aber warum ist der Weihnachtsmann dann nur vom Bauch ab nass?»

«Das ist merkwürdig», kommentierte Achim. «Wenn er in den Regen geraten war, müsste er vollständig nass sein.»

«Das müssen wir genauer untersuchen.» Angela machte sich daran, die für sie erreichbaren Jackenknöpfe des toten Weihnachtsmanns zu öffnen.

«Wollen Sie den etwa anfassen?» Jetzt verlor Mike seine Gelassenheit. Ihm wurde sichtlich mulmig zumute.

«Seit Angela», erklärte Achim, «mit Silvio Berlusconi Wangenküsschen ausgetauscht hat, ekelt sie sich vor rein gar nichts mehr.»

Angela ignorierte Achims Bemerkung. Konzentriert untersuchte sie die rote nasse Jacke des kopfüber hängenden Weihnachtsmanns und entdeckte, dass er unter seinem weißen Pulli etwas umgeschnallt hatte. «Da sind Wärmflaschen», tastete sie den Oberkörper des Mannes weiter ab.

«Wärmflaschen?», staunte Achim.

«So wie es aussieht, hat er vier Wärmflaschen an einem Gürtel um den Bauch geschnallt. Ich schätze, bei diesem Herrn handelt es sich um einen professionellen Weihnachtsmann, der im Auftrag Geschenke austrägt. Er hat sich die Wärmflaschen umgeschnallt, damit er bei der Kälte nicht so schnell auskühlt. Sie könnten beim Sturz aufgegangen sein und sind nun für die nasse Kleidung verantwortlich.»

«Und beim Austragen ist er in den Kamin gestürzt?», fragte Mike.

Angela kauerte noch immer vor dem Kamin und betrachtete sich die Leiche genauer: «Ich denke, so soll es scheinen.»

«Scheinen?»

«Sehen Sie sich die Mütze genauer an.»

«Die ist auch nass», stellte der Bodyguard fest.

«Und was noch?»

«Ich sehe nichts.»

«Kommen Sie mal her, dann können Sie besser sehen.»

Mike, dem beim Betrachten von Leichen stets übel wurde, hatte keine gesteigerte Lust, sich dem kopfüber hängenden Leichnam zu nähern.

Dafür tat es Achim und erkannte: «An der Stirn ist die Mütze dunkelrot.»

«Das ist Blut.»

«Blut?» Mike wurde noch mulmiger zumute. Er war zwar zum toughen Bodyguard ausgebildet worden, aber er konnte kein Blut sehen, ohne Gefahr zu laufen, ohnmächtig zu werden.

«Er könnte sich», meinte Achim, «beim Sturz die Stirn aufgeschlagen haben.»

«Ja, das wäre möglich», stimmte Angela zu.

«Aber?»

«Warum war er auf unserem Dach, um Geschenke auszutragen? Keiner von uns hat ihn beauftragt, oder? Wir wollten ja auf Hawaii feiern.»

«Das stimmt.»

«Zugleich ist es in Klein-Freudenstadt allgemein bekannt, wann und wie lange wir im Urlaub sind.»

«Und?», verstand Achim noch nicht ganz.

«Jemand hat ihn erschlagen und die Leiche in unseren Kamin geworfen, weil er wollte, dass sie erst im nächsten Jahr von uns gefunden wird.»

«Du meinst …?», fragte Achim.

«Ja, das meine ich: Dieser Mann ist ermordet worden.»

Als Angela dies verkündete, fehlte eigentlich nur noch ein dramatisches Bomm!-Bomm!-Bomm!-Geräusch, das über den dreien ertönte.

3

In einem kleinen Ort wie Klein-Freudenstadt kommt die Polizei entweder erst nach vielen Stunden, weil die einzige Streife in einem weiter entfernten Kaff im Landkreis unterwegs ist, oder sie kommt gar nicht, da das Revier die Öffnungszeiten eines Cafés mit Personalproblemen hat. Bei einem Todesfall aber wird aus der nahe gelegenen Stadt – in diesem Fall Templin – der beste Ermittler oder die beste Ermittlerin entsendet. Leider war man in Templin der festen Überzeugung, dass es sich bei dem Besten um einen Mann handelte, von dem nur Angela und ihre Freunde wussten, dass er der Andi Scheuer unter den Kriminalern war.

«Kommissar Hannemann», seufzte Angela, als dieser in Begleitung von zwei Polizisten in das Wohnzimmer der Merkels schlurfte, wo Mops Pupsi gerade auf seinem Lieblingssessel ein Nickerchen hielt – toter Weihnachtsmann hin, toter Weihnachtsmann her.

Der Kommissar hatte sich in den letzten Jahren, seit Angela ihn kannte, zumindest äußerlich verändert. Er trug zwar immer noch seinen alten Trenchcoat, sein Markenzeichen, aber in seine dünnen, langen und fettigen Haare verteilte er nun so viel Gel, dass sie wie angeleckt an seinem Kopf klebten. Seine vom Rauchen graue Haut wurde durch die großzügige Verwendung von Selbstbräuner unnatürlich orange-grau-braun. Dieser Teint stand in einem grausigen Kontrast zu seinen Zähnen, die er sich anlässlich seiner True-Crime-Fernsehserie namens Hannemann, ermittel du voran hatte bleachen lassen. In der Serie präsentierte er brutale echte Mordfälle mit schnellen Schnitten und Wackelkamera. Dabei fasste eine Off-Stimme einmal die Minute zusammen, was der Zuschauer soeben gesehen hatte. Auf diese Weise war Hannemann zu einem Fernsehstar geworden. Seine Karriere ging natürlich zurück auf die spektakuläre Mordserie in der Uckermark, die er angeblich aufgeklärt hatte. Angela hatte ihm die Lorbeeren überlassen, damit sie weiterhin ein von Presse und Öffentlichkeit unbehelligtes Rentnerleben führen konnte.

«Frau Merkel», dröhnte der Mann, der neuerdings stets von einer Wolke Moschus-Parfüm umgeben war, «eins muss man Ihnen lassen: Ihre Leichen werden immer origineller.»

Angela wusste schon, was Hannemann beim Anblick des Toten sagen würde. Das Gleiche wie bei allen Leichen zuvor: ‹Das ist ein Unfall.›

«Das ist ein Unfall!», verkündete der Kommissar prompt.

«Gewiss halten Sie es nicht für notwendig, die Leiche untersuchen zu lassen», seufzte Angela.

«Oh doch, das werde ich.»

«Ja?», staunte Angela. Vielleicht war der Mann doch nicht ganz so berechenbar.

«Meine Freundin muss ja auch ihre Brötchen verdienen.»

«Ihre Freundin?»

«Puffeline, könntest du bitte die Leiche untersuchen!», rief Hannemann, und Doktor Radszinski betrat das Wohnzimmer.

Angela wusste nicht, was sie mehr verblüffte: dass Hannemann und die Pathologin ein Paar waren oder dass Hannemann für seine Freundin den gleichen Kosenamen benutzte wie Achim für sie. Achim wusste, was ihn mehr verblüffte: «Sie nennen Ihre Freundin Puffeline?»

«Haben Sie doch gehört», antwortete Hannemann.

«So nenne ich aber meine Frau!», rief Achim empört.

«Na und, haben Sie ein Patent darauf angemeldet?»

«Man kann auf Kosenamen kein Patent anmelden», ließ sich Achim von Hannemann aus dem Konzept bringen.

«Na, sehen Sie», grinste Hannemann.

Achim konnte es nicht fassen.

Unbeeindruckt vom Gespräch der Männer näherte sich Radszinski dem Kamin und legte nach: «Ich mach mich an die Arbeit, Puffel.»

Es versetzte Angela einen Stich, dass die Pathologin für den Kommissar den gleichen Kosenamen benutzte wie sie für ihren Achim.