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Schweißgebadet wacht Magnus Lorenzi nach einem beängstigenden Traum auf: Er hat Menschen an giftigen Dämpfen sterben sehen. Die Gefahr kommt aus dem All, ein mysteriöser Nebel. Am gleichen Morgen erfährt Lorenzi, dass ein langjähriger Freund unerwartet verstorben ist. Doch es gibt keine Leiche. Kryptische Hinweise über dessen Verbleib führen ihn und Carla Rubinetti zusammen mit einem Freund nach Italien. Dort treffen sie auf sogenannte Humanisten, deren Taten sich wenig an den humanistischen Idealen orientieren, werden in die "Geheimnisse des Mondes" eingeweiht und in das "Prinzip der Umkehrung", erhalten entlarvende Erkenntnisse über den gerade erwählten, sich als Lamm Gottes gebärdenden Papst wie auch über die Macht des Heidentums in der Kirche. Schließlich landen sie in den USA, wo der Vatikan auf dem heiligen Berg der Apachen mit dem modernsten Fernrohr, das die Technik zu bieten hat, seinen Blick ins All richtet, und zwar nicht nur, um die Sternenwelt zu erforschen. Mit einem Mal wird es finster auf Erden. Sollte das etwa ein weltweiter Stromausfall sein oder sind hier andere Mächte im Spiel? Die Geschichte ist die Fortsetzung des Kriminalromas "Verschwörung im Zeichen der Eule" von Siegbert Lattacher. Die han-delnden Personen sahen sich im ersten Teil gefährlichen Abenteuern auf Patmos, der Insel der Offenbarung, und in Rom ausgesetzt, weil sie mit ihrem Wissen über die Wahrheit über Jesus Christus und seine Lehre mächtigen kirchlichen Kreisen in die Quere kamen.
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Seitenzahl: 450
Veröffentlichungsjahr: 2019
Siegbert Lattacher
Mission Lucifer
Kriminalroman
© 2019 Siegbert Lattacher
ISBN
Inhalt
Einleitung
Einleitung
Wenn die Tore des großen Unwetters über die Erde aufbrechen, ist die „alte Zeit“ vorüber. Die Sonne wird den Schein verlieren, das wird das erste Zeichen sein. Und unter ungeheuren Katastrophen wird der Planet erbeben.
Die Geschichte ist die Fortsetzung des Kriminalromas „Verschwörung im Zeichen der Eule“ von Siegbert Lattacher. Die handelnden Personen sahen sich im ersten Teil gefährlichen Abenteuern auf Patmos, der Insel der Offenbarung, und in Rom ausgesetzt, weil sie mit ihrem Wissen über die Wahrheit über Jesus Christus und seine Lehre mächtigen kirchlichen Kreisen in die Quere kamen.
Nach den Abenteuern auf Patmos und in Rom geraten die Protagonisten nun erneut in gefährliche Situationen, die mit ihrer Mission, die Wahrheit über Jesus Christus zu verbreiten, in Zusammenhang stehen. Magnus Lorenzi sieht in einem Traum, wie Menschen an giftigen Dämpfen sterben. Der giftige Nebel soll vom Sternbild des Orion ausgehen. Magnus und Carla erhalten Warnungen darüber, dass die Erde aufgrund des Übermaßes an Bösen, in eine neue Umlaufbahn katapultiert werden wird. Da erreicht sie eine verstörende Nachricht: Ein Freund soll plötzlich verstorben sein. Doch es gibt keine Leiche. Unheilvolle Hinweise führen die Freunde nach Italien, wo sie überraschende Erkenntnisse über das Schicksal ihres Freundes gewinnen. Im weiteren Verlauf kommen sie mit den astronomischen Forschungen des Vatikans in Berührung, lernen das „Projekt Lucifer“ kennen und werden in die „Geheimnisse des Mondes“ eingeweiht.
Die handelnden Personen
• Ildefonso Bagnolli, Jesuit und Leiter der vatikanischen Sternwarte in den USA Sein Spezialgebiet sind schwarze Löcher, die Energie und Materie von ihren Partnern aufsaugen, sowie Wolken aus Staub und Gas. Er macht eine beunruhigende Beobachtung im Universum.
• Volker Bartoly, Historiker am Österreichischen Historischen Institut in Rom, Experte für außerchristliche Einflüsse auf die Entwicklung der Lehre der katholischen Kirche. Er lernt Lorenzi und Rubinetti in Italien kennen und hält von da an die Verbindung zu den beiden aufrecht.
• Giovanni Carbonari, General des Ordens der Priesterbruderschaft des Herrn, Kardinalstaatssekretär im Vatikan, aus dem Amt entlassen. Er versucht zu verhindern, dass Lorenzi und Rubinetti die Wahrheit über Jesus Christus verbreiten. Seine Feinde innerhalb und außerhalb der Kirche trachten danach, ihn zu eliminieren.
• Michael Fall, Mitglied eines amerikanischen Geheimbundes, Verbindungsmann für Europa, Gegenspieler von Giovanni Carbonari. Seine Mission als „Prediger von Patmos“ schlug fehl und kostete ihn beinahe das Leben. Er sinnt nach Rache gegenüber jenen, die dafür die Verantwortung tragen.
• Der Fürst, Hausherr eines Schlosses in Oberitalien und Anführer eines humanistischen Zirkels. Bei ihm laufen die Fäden einer universellen Bruderschaft in Europa zusammen.
• Arnold Heinzer, Kriminalbeamter in Wien und Partner von Lorenzis Nichte Sandra. Er steht Lorenzi bei der Aufklärung mysteriöser Brände bei. Diese dienten offensichtlich der Einschüchterung von Menschen, die Magnus Lorenzi nahestehen.
• Gräfin Anna Maria Hellrein, Schwester von Hermann Warschau, Schamanin, lebt die meiste Zeit in Afrika. Sie ist davon überzeugt, dass ihr Bruder sich den Mächten des Bösen ergeben hat.
• Gerry Kramer, Reporter, ohne Anstellung, Bekannter von Lorenzi und Rubinetti, begleitet die beiden auf ihre Reise in die USA und wird Zeuge unbequemer Aussagen eines Kirchenmannes.
• Magnus Lorenzi, Schauspieler im Ruhestand, Maler zum Zeitvertreib, erbte von seinem Großvater Belehrungen von Wesen aus dem Jenseits. Sie waren die Apostel von Jesus Christus auf Erden. Die Schriften enthalten die Wahrheit über Jesus Christus, sein Leben und Wirken auf Erden sowie seine Lehre. Seit er im Besitz der Schriften ist, gerät Lorenzi immer wieder in gefährliche Situationen. In seinen Träumen sieht er apokalyptische Zustände.
• Arthur Rowin, Studienkollege von Carla Rubinetti, Experte für verborgene alchemistische Zusammenhänge in den Werken von Kleist und Goethe.
• Carla Rubinetti, Kunsthistorikerin, befasst sich mit der religiösen Symbolik in der Malerei des Mittelalters. Ihr Anliegen ist es, gemeinsam mit Lorenzi die von seinem Großvater empfangene Wahrheit über Jesus Christus zu verbreiten. Davon lässt sie sich auch nicht von Drohungen und Angriffen abhalten.
• Herwig Schatz, Manager in einem Pharmakonzern im Ruhestand, Freund von Magnus Lorenzi und Carla Rubinetti. Sein Haus in Kärnten fällt einem Brandanschlag von Unbekannten zum Opfer, just als Lorenzi und Rubinetti zu Besuch sind.
• Hermann Warschau, Filmproduzent im Ruhestand, Freund von Magnus Lorenzi. Die Nachricht über seinen plötzlichen Tod veranlassen Lorenzi und Rubinetti sein Begräbnis zu regeln, was mit einigen Überraschungen und misslichen Situationen verbunden ist.
Gespräch zwischen Schüler und Meister
Meister, warum seid Ihr so heiter gesinnt?
Weil die letzten Tage der Menschheit angebrochen sind.
Ist das ein Grund für Heiterkeit?
Der Messias wird endlich erscheinen.
Warum seid ihr euch dessen gewiss, Meister?
Weil die Bedingungen für sein Erscheinen sich erfüllen.
Ihr meint jene, die in den Prophezeiungen der Väter stehen.
Nun ist die Zeit gekommen.
Ich sehe aber keine Anzeichen für das Erscheinen des Messias.
Die Zeichen mehren sich – im Himmel wie auf Erden.
Steht nicht geschrieben, in der Endzeit bebe die Erde,
Landstriche stehen unter Wasser, Wälder brennen und es wüte
ein furchtbarer Krieg?
Wir müssen dem Messias einen Grund liefern für sein
Erscheinen.
Ihr meint, einen Krieg entfachen?
Wir stellen nur die Weichen.
Teil I
Die im Dunkeln fühlt man
Abgehauene Wurzeln schlagen wieder aus, uralte Dinge kehren wieder, verdeckte Wahrheiten enthüllen sich; es ist ein neues Licht, das nach langer Nacht am Horizont unserer Erkenntnis wieder hervorbricht und sich allmählich dem Meridian unseres Geistes nähert. (Giordano Bruno)
Klagenfurt, 11. November 2012
Er wachte mitten in der Nacht auf. Gänsehaut kroch seinen Rücken hoch, als er die drei Gestalten sah, die um sein Bett herumstanden. Er konnte wegen der Dunkelheit nicht viel von ihnen erkennen. Sein Herz pochte, es war kein Traum. Er dachte, sie wollen Geld. Aber er hatte nicht viel Bares in seinem Safe liegen. Die Männer packten ihn, zerrten ihn aus dem Bett und entkleideten ihn.
„Ein Irrtum, Sie müssen mich verwechseln“, winselte er am Boden liegend.
„Hurensohn“, sagte einer der Männer und hielt ihm eine Klinge an die Halsschlagader.
Jetzt ist es aus, dachte er, als er das kalte Metall auf seiner Haut spürte.
Der Mann mit der Klinge in der Hand sagte zu ihm: „Bitte darum, dass wir dich geißeln und nicht töten.“
„Sie müssen mich verwechseln, ich habe …“
Der Mann knallte ihm die Faust ins Gesicht: „Bitte uns!“
„Bitte, bitte, tötet mich nicht, geißelt mich. Bitte.“
*
San Francisco, 12. Dezember 2012
Sie hatten den Kandidaten, den sie für das Amt des nächsten Papstes auserkoren hatten, zu ihrer Club-Versammlung nach San Francisco eingeladen. Eine Handvoll Männer, deren Namen in der Öffentlichkeit kaum aufscheinen. Der Frisco-Club residierte in einem mehrstöckigen Backsteinhaus, einige Blocks entfernt vom Finanzzentrum der Stadt. Der Club bot seinen Mitgliedern alle Annehmlichkeiten, wie ein Millionärsclub sie so bieten konnte: eine Bar im Erdgeschoß, einen Speisesaal im ersten, einen Lesesaal im zweiten und das Spa im sechsten Stock. Im dritten Stock war eine Kunstgalerie untergebracht, im vierten und fünften Stock befanden sich die Gästezimmer. Von außen wies nichts darauf hin, dass sich hinter den Mauern des sechsstöckigen Gebäudes regelmäßig die wahrscheinlich einflussreichsten Männer der USA trafen und Entscheidungen fällten, die Politik, Finanz und Wirtschaft weltweit beeinflussten. Die Bürger der Vereinigten Staaten hatten keinerlei Kenntnis darüber, dass die Entscheidungen dieser Männer nicht ihrem Wohle dienten.
Ein Priester aus Brasilien, der zwölf Stunden zuvor noch in einer Messe in São Paulo gegen die Profitgier der Menschen gewettert hatte, saß nun an der Bar mit Männern zusammen, die sich den Jux erlauben konnten, ihre Havannas mit Dollarscheinen anzuzünden. Der Jesuitenpater und Befreiungstheologe aus Lateinamerika, dessen Vorfahren aus Europa eingewandert waren, entsprach genau ihren Vorstellungen von einem religiösen Führer. Rodriguez Hernandez Parsifal sollte das Papsttum und die katholische Kirche in eine neue Ära führen, und zwar nach ihrem Willen. Seine Wahl zum Papst war nur mehr eine Formalität.
Der Jesuit aus Brasilien saß mit drei Männern an einem Tisch in der Club-Bar. Er trank Kaffee, die Männer genehmigten sich einen Bourbon mit Eis.
„Danke, dass Ihr gekommen seid, Pater Rod“, ergriff einer der drei das Wort.
„Es ist mir eine Ehre, Senator. Danke nochmals für Eure großzügige Spende.“
„Sie wissen ja, wir unterstützen Projekte, die den Armen der Welt helfen.“
„Ja, Gott segne Sie dafür“, der Pater rührte in seinem Kaffee, um den Zucker aufzulösen.
„Danke. Lieber Pater Rod, die Welt braucht mehr Engel wie Sie, die sich um die Armen kümmern. Schauen Sie, Sie könnten ein Vorbild sein für die ganze Welt.“
„Ich bin gerne da, wo Gott mich hinstellt.“
„Ja gewiss, lieber Pater. Doch ein Priester mit Ihrer humanchristlichen Einstellung könnte weltweit eine Leuchte Gottes sein. Pater Rod, haben Sie Mut, gehen Sie voran“, forderte der Zweite der Dreier-Runde und klopfte dem Brasilianer auf die Schulter.
„Sie beschämen mich“, entgegnete der Geistliche kleinlaut. Sein Blick blieb an dem großen achteckigen Glasfenster über der Bar hängen. In der Mitte war ein Wappen eingraviert, mit dem Kopf einer Eule. Er trank den Kaffee, erhob sich und verabschiedete sich von den Männern.
„Danke, lieber Pater Rod für Ihren Besuch“, der Senator geleitete ihn zur Tür.
*
Wien, 1. März 2013
Magnus Lorenzi war froh, dass er in seinem Bett lag, als er aufwachte. Der Pyjama klebte wie eine zweite Haut an seinem Körper. Etwas benommen wühlte er sich aus dem Bett, ging ins Bad, drehte den Wasserhahn auf, hielt ein Glas unter den Strahl und leerte es in einem Zug. Dann zog er den Pyjama aus, stieg in die Duschkabine und genoss das Prasseln des warmen Wassers auf seiner Haut. Die Stadt war längst erwacht, als er den Vorhang zur Seite zog. Er hatte sich zwar mehr Abwechslung in seinem Leben gewünscht, aber das, was er in den letzten Monaten erlebt hatte, war ihm dann doch zu viel an Abwechslung. Und dann noch dieser fürchterliche Traum in der letzten Nacht. Kaffeeduft stieg ihm in die Nase und lenkte seine Schritte in die Küche. Carla war schon auf und saß am Küchentisch.
„Guten Morgen“, begrüßte sie ihn und kaute genüsslich an einem Bissen Butterbrot. „Ich habe ganz vergessen, wie gut Schwarzbrot schmeckt. Der Kaffee ist schon fertig.“
„Guten Morgen“, er setzte sich zu ihr an den Tisch.
Carla Rubinetti wohnte nun seit einigen Wochen bei Magnus. Sie waren gemeinsam von Rom nach Wien geflogen. Beide hatten aufregende und gefährliche Tage auf Patmos und in Rom hinter sich. Ganz offensichtlich hing das mit den Schriften zusammen, die Magnus von seinem Großvater geerbt hatte. Die Schriften enthielten Botschaften von den Aposteln Christi aus dem Jenseits. Sie sollten Antworten liefern auf die Fragen woher, wozu und wohin und auch die Wahrheit über Jesus Christus enthalten, über sein Leben und Wirken auf Erden.
Magnus verstand nicht, warum sich Frauen bereits vor dem Frühstück die Lippen mit roter Farbe nachzogen, die Wangen rosa puderten und die Augenränder schwarz anmalten. Gibt es einen unästhetischeren Anblick, als Abdrücke von roten Lippen auf weißen Tassen?, fragte er sich.
„Na, gut geschlafen?“, fragte Carla, obwohl sie spürte, dass er unrund war.
„Nein, schlecht geträumt“, erwiderte er und schmierte Butter auf eine Scheibe Schwarzbrot.
„Du Armer, welche Geister haben dich denn gequält?“
„Ich sollte die Schriften meines Großvaters verbrennen, glaube mir“, missmutig goss er Kaffee in eine Schale.
„Nun mal‘ nicht gleich den Teufel an die Wand. Du weißt, was für einen Schatz sie darstellen.“
„Ja, aber auch eine große Belastung. Mein Leben ist seitdem unangenehm aufregend geworden.“
„Seit wann denn das?“
„Seit ich diesen alten kranken Mann der Kirche in Italien aufgesucht habe.“
„Diesen Padre …“
„Francesco. In Österreich war er der Franzl.“
„Ach ja, ein Freund deines Vaters.“
„Ich Narr, wie konnte ich nur glauben, einen Mann der Kirche von der Wahrheit der Schriften meines Großvaters zu überzeugen. Ich Idiot.“
„Mach dir keine Vorwürfe, es ist geschehen, Punkt.“
„Ja, aber meinem Unterbewusstsein ist das nicht egal.“
„Was hast du denn geträumt?“, fragte sie und überbrühte einen Teebeutel mit heißem Wasser. Im Nu verbreitete sich der Duft von Zitronenverbene im Raum. „Muss ich dir immer erst die Würmer aus der Nase ziehen?“
„Also gut, warte“, Lorenzi strich mit der Hand durch sein schütteres Haar.
„Ich sah Menschen, Menschen, denen die Augen aus den Augenhöhlen getreten sind. Sie haben sich an die Gurgel gegriffen und sie sind … mit einem Röcheln … dahingeschieden.“
„Klingt ja furchtbar“, befand Carla und trank einen Schluck Tee.
„Und dann hörte ich eine Stimme, die sagte:
Was du siehst, sind Ausströmungen aus der Welt des Chaos, giftige Dämpfe, die gegen die Ordnung der kosmischen Licht-Struktur gerichtet sind.
Ich habe jedoch nicht sehen können, wer das gesagt hat. Es ist finster gewesen. Nicht so, als ob es Nacht gewesen wäre, sondern die Finsternis ist mir vorgekommen wie eine dunkle Wand. Ich habe mich gefragt, was das bloß ist. Dann hat die Stimme gesagt:
Was du siehst, das ist der Dunkelnebel des schwarzen Pferdekopfes. Es ist ein Rauch, er wird die Erde dreimal einhüllen. Die Nacht wird am dritten Tag ihr Ende finden und es wird ein erstes warnendes Erlebnis sein für die Menschheit. Wenn die Tore des großen Unwetters über die Erde im Universum aufbrechen, ist die alte Zeit vorüber. Die Sonne wird ihren Schein verlieren, das wird das erste Zeichen sein. Und unter ungeheuren Katastrophen wird der Planet erbeben. Die Ereignisse werden hereinbrechen wie der Dieb in der Nacht, unangekündigt und schlagartig. Ihr müsst euch befreien von der dunklen Narbe eures Auszuges, dann hat die Hölle keine Angriffspunkte mehr. Es wird keine Zeit für ein Entrinnen bleiben, seid bereit. Doch habt keine Angst, denn die himmlischen Heerscharen sind vor dem Anmarsch gegen die Bedrohung dieser von Gott dem Herrn angesetzten Ordnung gewappnet, sie ist bedroht von den Ereignissen des manipulierten Menschengeistes.
„Das klingt ja düster“, Carla war erschüttert.
„Ja, und das hängt sicher mit den Schriften meines Großvaters zusammen.“ Magnus war überzeugt davon. „Verstehst du jetzt, warum ich glaube …“
„Nein, das klingt mir eher nach einer Botschaft von drüben, die du im Traum empfangen hast. Erinnere dich an Patmos, da haben wir ähnliche Botschaften von drüben erhalten.“
„Du meinst, die Botschaften von den Aposteln?“
„Ja, genau. Komm, wir schreiben diese Botschaft auf, bevor wir sie vergessen.“
Lorenzi trank den Kaffee aus und fuhr seinen Computer hoch. Carla setzte sich hin und gab die Botschaft mit einem Textprogramm ein.
„Es ist alles wichtig, was uns die guten Geister mitteilen“, äußerte sie.
„Glaubst du, gute Geister senden uns solch’ düstere Botschaften?“
„Düster hin, düster her, sie sagen uns, was kommen soll oder kommen könnte. Dieser letzte Satz der Botschaft: Wir müssen uns befreien, von der dunklen Narbe unseres Auszuges, damit ist eindeutig das Malzeichen gemeint.“
„Ja, du hast recht, das klingt sehr danach.“
„Wie war das nochmals mit dem Rauch …?“
„Der Rauch, ach ja, die Stimme sagte etwas von einem schwarzen Pferdekopf.“
Das Telefon läutete.
Magnus stand auf, ging zum Schreibtisch, nahm das Schnurlostelefon aus der Halterung und drückte auf die grüne Taste.
„Herr, Herr Lorenzi, sind Sie das?“ Die Stimme der Anruferin klang aufgeregt.
„Ja, das bin ich, worum geht’s?“, erwiderte er und warf Carla einen Blick zu, der signalisierte: Ich weiß nicht, wer das ist.
„Hermann“, sagte sie mit schluchzender Stimme, „Hermann, er ist …“
„Hermann“, unterbrach Lorenzi sie, „Hermann Warschau?“
Lorenzi spürte sofort, dass Hermann Warschau etwas zugestoßen sein musste.
„Ja“, sagte sie, „er ist …“, die Frau weinte bitterlich.
Rubinetti sah an Lorenzis Blick, dass ihr gemeinsamer Freund Hermann Warschau offensichtlich nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Wahrscheinlich hat sein zügelloser Lebensstil ihn dahingerafft, dachte Magnus. Unvermittelt überkam ihn Trauer um seinen Freund. Es war erst wenige Monate her, dass sie gemeinsam gefährliche Situationen zu bestehen hatten.
Carla war aufgestanden und nähergekommen, sie hielt Lorenzis Hand.
„Was ist passiert?“, hakte Lorenzi nach.
Carla Rubinetti und Magnus Lorenzi verbrachten nach ihren Abenteuern mit Hermann Warschau auf Patmos und in Rom gemeinsame Tage in Wien. Die Kunsthistorikerin und der Hüter der Schriften der Wahrheit hatten beschlossen, sich um die Verbreitung der Wahrheit über Jesus Christus zu kümmern. Sie hatten selbst erfahren, wie weit Menschen zu gehen bereit sind, um religiösen Prophezeiungen, die sich nicht von selbst erfüllten, zum Durchbruch zu verhelfen. Der angeblich vom Himmel herabgestiegene Prediger von Patmos hatte sich als Mitglied einer antichristlichen Organisation entpuppt. Der Weltuntergang am 21. Dezember 2012 war ausgeblieben, weil es in den Prophezeiungen der Mayas nicht um das Ende der Welt, sondern um das Ende eines Zeitabschnitts und den Beginn einer neuen Epoche ging. Es herrschte große Verwirrung in diesen Dingen und Magnus und Carla war aufgefallen, dass die religiösen Lehren des Christentums immer mehr der politischen Korrektheit angepasst wurden.
Herrmann Warschau, ehemals Filmproduzent und ein Freund der beiden, war mit Magnus auf Patmos gewesen. Dort hatten sie Kontakt zu Magnus alter Bekannten Carla Rubinetti aufgenommen. Carla erforschte das Leben und Wirken von Johannes dem Seher und Evangelisten und hatte ein Buch über ihn geschrieben. Warschau war begeistert von der Idee, einen Film über Johannes den Evangelisten zu drehen, über die Offenbarung, die Johannes von Gott auf Patmos gezeigt wurde, über den Gegenspieler des Evangelisten: Johannes den Presbyter. Doch seit ihrer Rückkehr aus Rom, wo sie miterlebten, wie der falsche Prediger von Patmos den Versuch unternommen hatte, die Macht über die Kirchenführung im Vatikan an sich zu reißen, hatten sie von Warschau nichts mehr gehört. Nun der Anruf seiner Haushälterin. Magnus erinnerte sich an ihr aschblondes Haar, ihre zu engen Röcke und ihr zu üppig aufgetragenes Make-up.
Das Schluchzen ebbte ab und die Anruferin sagte: „Er fiel auf Boden, wie Baum mit Motorsäge.“
„Was sagt der Arzt?“, wollte Magnus wissen.
Carla hielt ihr Ohr an den Hörer.
„Arzt von Rettung hat nur geschittelt Kopf.“
„Wann war das?“, hakte Magnus nach.
„Gestern, gestern“, schluchzte sie.
„Frag’ sie, wo er ist“, flüsterte ihm Carla zu.
Die Anruferin sagte, die Rettung habe ihn mitgenommen.
Magnus fragte, wann das Begräbnis sei.
Sie sagte: „Nix in Erde, er wollen in Ofen.“
„Sie müssen das stoppen“, sagte Magnus.
„Wie ich kann machen?“
„Hat er keine Verwandten?“
„Nein, glaube nur Bruder.“
„Was nun: hat er einen Bruder oder nicht?“
„Ja, er einmal gesagt, dass er Bruder.“
„Und wo ist der Bruder?“
„Ich nix wissen.“
„Können Sie nicht nachschauen, vielleicht hat er die Adresse oder Telefonnummer seines Bruders irgendwo notiert.“
„Ja, kann machen. Wird aber Zeit nehmen.“
„Brauchen, Zeit brauchen“, murrte Magnus. Er überlegte kurz und sagte: „Gut, ich werde mich um die Obduktion kümmern. Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie die Anschrift oder Telefonnummer von Hermanns Bruder gefunden haben.“
„Hermann ist tot. Das ist keine gute Nachricht“, sagte Carla. Sie spürte, dass es mit dem Filmprojekt über Johannes den Seher und Evangelisten zu tun haben könnte.
„Wir müssen seine Todesursache klären lassen, bevor er zu
einem Häufchen Asche wird“, sagte Magnus.
Carla und Magnus saßen gerade beim Abendessen, als sie die Nachricht vom Rücktritt des amtierenden Papstes hörten.
„Schalte den Fernseher etwas lauter“, sagte sie zu Magnus, der die Fernbedienung neben sich auf dem Tisch liegen hatte.
Der amtierende Papst Innozenz XIV. hatte erklärt, er wolle am 17. März um 20 Uhr, nach nur 198 Tagen, sein Amt als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche niederlegen, hieß es in den Nachrichten. Der 79-jährige Pontifex fühle sich gesundheitlich nicht mehr in der Lage, das Papstamt auszuüben. In der Geschichte der Päpste hatte es bisher nur einen Papstrücktritt gegeben: Papst Coelestin V. legte im Jahr 1294 sein Amt nach nur fünf Monaten und fünf Tagen nieder.
„Das kommt überraschend“, befand Carla.
„Ja, denn er war doch noch gar nicht so lange im Amt.“
„Und er sah vital aus für sein Alter“, konstatierte Carla. „Da müssen andere Gründe im Spiel sein. Ich bin mir da absolut sicher.“
„Früher hat man Päpste auf andere Weise aus dem Amt befördert, wenn sie nicht mehr, wie soll ich sagen, genehm waren“, betonte Magnus.
„Ja, du hast recht. Der Rücktritt muss eine Signalwirkung haben.“
*
Rom, Vatikan
Monsignore Giovanni Carbonari, General des Ordens der Priesterbruderschaft des Herrn, war von Papst Innozenz XIV. erst vor wenigen Wochen zum neuen Kardinalstaatssekretär im Vatikan bestellt worden. Carbonari war maßgeblich daran beteiligt gewesen, dass der Kandidat der Priesterbruderschaft des Herrn, ihr Kandidat, von den stimmberechtigten Kardinälen zum Papst gewählt wurde. Dessen Vorgänger im Papstamt war nach einem Herzanfall auf Patmos gestorben; so die offizielle Version des Vatikans. Nun trat der erst seit Kurzem im Amt befindliche Papst zurück – völlig unerwartet. Auf die Frage nach dem Grund, antwortete er: Gott habe ihn so angewiesen. Der Rücktritt des Papstes war ein Rückschlag für die Priesterbruderschaft des Herrn, die mit ihrem Papst Innozenz ein Zeichen gegen die Verweltlichung der Kirche setzen wollte. Giovanni Carbonari musste um sein Amt als Kardinalstaatssekretär bangen. Der Regierungschef des Vatikans saß an seinem Schreibtisch und fuhr sich mit den Händen durch sein angegrautes Haar. Er war Anfang Fünfzig und seit 20 Jahren Priester. Den ehemaligen Offizier in der italienischen Armee hatte der Ruf Gottes erst spät ereilt. Doch der Römer legte innerhalb kurzer Zeit eine steile Karriere hin. Er arbeitete zielorientiert und effizient. Das wussten seine Vorgesetzten zu schätzen. Nun war ihr Papst amtsmüde geworden, wie es offiziell hieß. Carbonari wollte das nicht glauben. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich mit Seiner Heiligkeit über die Rücknahme bestimmter Reformen innerhalb der Kirche ausgetauscht. Er erinnerte sich noch an dessen Aussage, als dieser noch Bischof war: „Der dritte Krieg hat 1962 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen und er hat noch nicht geendet.“ Die Reformen, die während des Vatikanums II beschlossen worden waren, hatten den Katholizismus tief in seinem Innersten getroffen. Die Anerkennung der Religionsfreiheit war für alle traditionell gesinnten Katholiken ein schwerer Schlag, denn damit rückte die Kirche von ihrer Position, „Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“, ab und stellte das Königtum Christi in Frage.
All das kam Carbonari in den Sinn, als er über den Papstrücktritt grübelte. Viel eher waren es wohl die weltlichen Angelegenheiten, die Innozenz zu schaffen gemacht hatten, dachte der Kardinalstaatssekretär und schlurfte seinen Espresso. Das war bereits der fünfte Kaffee an diesem Vormittag. Der Papst hatte unbequeme Maßnahmen eingeleitet, wie die offizielle Überprüfung der Vatikan-Bank, die wiederholt mit Korruption und Geldwäsche in Verbindung gebracht worden war. So hatte er einen Rechtsanwalt und keinen Geistlichen mehr zum Chef der Bank bestellt. Diese Entscheidung des Pontifex’ behagte manch Mitglied der römischen Kurie nicht. Ständig aufkommende Anschuldigungen von Kindesmissbrauch durch Priester in verschiedenen Diözesen weltweit ärgerten den Papst ebenso wie die Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Vatikan. Darunter Enthüllungen über ein geheimes Schwulennetzwerk im Vatikan. Kardinäle in dem Netzwerk seien wegen ihrer sexuellen Orientierung erpressbar gewesen.
Ein befreundeter Journalist hatte Carbonari gegenüber verlauten lassen, dass der Papst wohl unter Druck stand wegen seiner unpopulären Entscheidungen. Er meinte, man habe ihn erpresst und zum Rücktritt gezwungen. Je mehr Carbonari darüber nachdachte, umso plausibler erschien ihm dies als Ursache für den Papstrücktritt. Es war an der Zeit, zur Gegenwehr anzusetzen, überlegte der ehemalige Offizier in der italienischen Armee. Sein Mobiltelefon läutete. Das ist Gedankenübertragung, dachte er, als er die Nummer des Anrufers sah.
Wien
Carla Rubinetti und Magnus Lorenzi wollten über Ostern nach Kärnten fahren. Lorenzis Freund Herwig Schatz hatte sie eingeladen, die Osterfeiertage bei ihm in Kärnten zu verbringen. Auch Schatz war zur selben Zeit wie Lorenzi auf Patmos gewesen und hatte dort Carla und Hermann Warschau kennengelernt. Und auch in Rom war er dabei, als sie den Prediger von Patmos als Scharlatan überführen wollten. Der wurde damals jedoch von Sicherheitsleuten des Vatikans gestellt und der Justiz übergeben.
Lorenzi schätzte es, wenn die Menschen an den alten Bräuchen, an Traditionen festhielten. In Kärnten würden sie die Gelegenheit nutzen und nach Klagenfurt fahren, um Warschaus Obduktion zu regeln.
Magnus erinnerte sich an seinen letzten Besuch bei Herwig, an die mit dem Aroma von Baumharz und vermodernder Erde angefüllte Luft in den Kärntner Bergen und an diese Stille, die ihm unheimlich war, weil er nachts im Bett liegend sein Herz klopfen hörte. Der plötzliche Tod ihres Freundes Hermann Warschau trübte die Freude über Ostertage in Kärnten. Doch sie hatten es Herwig Schatz versprochen und packten somit am nächsten Morgen ihre Sachen und bestellten sich ein Taxi.
Auf der Straßenseite gegenüber parkte ein grüner VW Golf. Als Rubinetti und Lorenzi in das Taxi stiegen und losfuhren, setzte sich auch der Golf in Bewegung. Der Mann auf dem Nebensitz wählte eine Nummer und sprach mit dem Teilnehmer auf Italienisch.
*
Rom
Giovanni Carbonari trug Jeans und eine braune Lederjacke. Sein Gesicht zu einem guten Teil mit einer dunklen Brille verdeckt, betrat er die Trattoria in der Nähe des Vatikans. Sein Gesprächspartner hatte bereits an einem Tisch Platz genommen. Auch er war im Freizeitlook. Den Kellnern war sehr wohl bewusst, dass sich hinter so manch legerer Kleidung Geistliche verbargen, die sich hier mit ihren Partnern trafen. Das war in Rom nicht außergewöhnlich, insbesondere in der Nähe der Kirchenzentrale. Doch Carbonari fühlte sich, was seine sexuelle Orientierung anlangte, Frauen zugeneigt. Das Treffen der beiden Männer hatte eine ganz andere Bedeutung. Es ging um die zukünftige Richtung in der Kirche.
„Sie wollen unbedingt, dass der Kandidat aus Lateinamerika …“
„Aber, das wäre der Tod der Kirche“, fuhr Carbonari seinem Gesprächspartner ins Wort. „Seid ihr euch sicher?“
„Ja, wie Ihr wisst, war er bereits beim letzten Konklave einer der Gegenspieler des nun zurückgetretenen Papstes.“
Carbonari winkte dem Ober und bestellte einen Grappa. Er konnte es nicht fassen, dass der lange Arm des Kraken schon so weit in den Vatikan reichte.
„Das müssen wir unbedingt verhindern“, sagte der Kardinalstaatssekretär, nachdem er den Grappa hinuntergekippt hatte.
„Es wird sich nicht verhindern lassen. Wie Ihr wisst, gehört die Mehrheit der wahlberechtigten Kardinäle …“
„Hören Sie auf, ich kann das nicht hören“, schimpfte Carbonari und knallte das leere Grappaglas auf den Tisch. „Geht nicht, gibt’s nicht. Auch im Vatikan nicht. Stellen Sie Nachforschungen an über den Kandidaten aus Lateinamerika. Durchwühlen Sie sein Leben, finden Sie seine Schwachstellen, verstehen Sie.“
Der Mann nickte, stand auf und verließ Carbonari grußlos.
Rom, Vatikan
Nicht nur das Rücktrittsdatum des Papstes so kurz vor Ostern hatte die christliche Welt in Erstaunen versetzt. Weitaus ungewöhnlicher erschien das Datum, an dem das Konklave begann. Noch nie in der Geschichte hatte es eine Papstwahl während der Ostertage gegeben. Die 115 stimmberechtigten Kardinäle zogen von der Paulinischen Kapelle im Apostolischen Palast in die Sixtinische Kapelle und schlossen sich dort um 16.30 Uhr ein. Es war Karfreitag, der Tag, an dem Jesus Christus ans Kreuz genagelt worden war. Der zurückgetretene Pontifex hatte selbst verfügt, dass die Wahl zu seinem Nachfolger nicht erst nach den kirchenrechtlich vorgesehenen 15 bis 20 Tagen, sondern bereits nach 11 Tagen abgehalten werden sollte. Kardinalstaatssekretär Giovanni Carbonari hatte veranlasst, dass der Ring des zurückgetretenen Papstes zerstört wird.
Die geheime Wahl per Stimmzettel begann. Jeder Stimmberechtigte erhielt einen Zettel, auf dem Eligo in Summum Pontificem – Ich wähle zum höchsten Pontifex – stand. Jeder der Kardinäle schrieb den Namen seines Wunschkandidaten auf den Wahlzettel, faltete den Zettel und brachte ihn zur Urne auf dem Altar. Auf dem Weg dorthin hielt jeder Kardinal seinen Wahlzettel sichtbar nach oben. Vor dem Altar sprach jeder einen Eid, legte den Zettel auf den Teller, der die Urne bedeckte, und ließ dann den Stimmzettel in die Urne gleiten. Anschließend verneigte sich jeder der Kardinäle. Die Stimmzettel wurden gezählt, auf eine Schnur gefädelt, die an den Enden verknotet wurde. Drei per Los gewählte Wahlprüfer kontrollierten das Wahlergebnis. Der siegreiche Kandidat musste mindestens 66,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinen.
Einen Tag nach Beginn des Konklaves war die dreizehntägige Sedisvakanz auf dem Stuhl Petri beendet. Der Kandidat für den Thron des Fischers erlangte im fünften Wahlgang die nötige Zweidrittelmehrheit. Um 19: 06 Uhr signalisierte weißer Rauch die Wahl eines neuen Papstes. Der Kardinalprotodiakon verkündete um 20: 13 Uhr auf der Benediktionsloggia das Habemus Papam. Gegen 20: 22 Uhr präsentierte sich der neue Papst dort der Öffentlichkeit.
Kardinalsstaatssekretär Giovanni Carbonari hatte gehofft und gebetet, dass der Gegner des verstorbenen Papstes beim letzten Konklave nicht zum Zug kommen würde. Und sein Gebet wurde anscheinend erhört. Dennoch kam es schlimmer, als er gedacht hatte. Als der Kardinalprotodiakon den neuen Papst verkündete, war es für kurze Zeit still auf dem Petersplatz, auf dem sich Abertausende jubelnde und Fahnen schwenkende Menschen versammelt hatten, um den Auftritt des neuen Oberhirten der römischkatholischen Kirche direkt vor Ort zu verfolgen. Fernsehsender weltweit berichteten über das Spektakel auf dem Petersplatz in Rom.
*
Wien, 30. März 2013, Karsamstag
Das Taxi brachte Rubinetti und Lorenzi zum Hauptbahnhof, von dem aus die Züge nach Süden abfuhren. Sie bestiegen den Railjet nach St. Veit an der Glan. Magnus war im Jahr zuvor zweimal auf der Südbahnstrecke unterwegs gewesen. Doch die Bahn hatte bei ihm ihren Rang als beliebtestes Fortbewegungsmittel eingebüßt. Früher konnte man sich ungestört im Zug unterhalten, dachte er. Heute wird man von Menschen, die sich bei ihren Telefonaten gestört fühlten, schief angeschaut, wenn man sich mit einem Mitreisenden unterhielt. Früher lasen die Menschen während der Bahnfahrten Zeitung oder Bücher; heute schauten alle in ein viereckiges Dings und wischen mit den Fingern über dessen Oberfläche.
Der Zug sollte laut Plan St. Veit an der Glan um 14.07 Uhr erreichen. Lorenzi hatte seiner Nichte Sandra mitgeteilt, er und Carla würden das Osterwochenende bei Herwig in Kärnten verbringen. Sandra war froh, dass ihr Onkel Magnus jetzt Carla Rubinetti an seiner Seite hatte. Sie selbst war zu Arnold Heinzer gezogen, ihrem ehemaligen Schulfreund, er arbeitete als Kriminalbeamter bei der Polizei in Wien. Sie waren wieder aufeinander gestoßen, als Sandra von unbekannten Männern entführt wurde. Sie war damals in eine Sache verwickelt, die ihren Onkel betraf. Sandra hatte sich schließlich selbst befreien können, indem sie einen der Entführer mit einer Schere in den Hals stach. Der Mann hatte den Auftrag gehabt, sie zu töten.
Einer der Männer aus dem VW Golf war Carla und Magnus in den Zug gefolgt. Er hatte gesehen, welche Sitzplätze sie eingenommen hatten. Er setzte sich auf einen freien Platz schräg hinter ihnen, schlug eine Zeitung auf und spitzte seine Ohren.
Der Zug fuhr pünktlich um 10.18 Uhr los. Binnen kurzer Zeit füllte sich der Waggon, in dem Lorenzi und Rubinetti saßen.
„Die meisten Menschen fahren wegen des Feuers und des Osteressens nach Hause“, bemerkte Lorenzi.
„Ja, ist ja schön, dass die Familien wenigstens zu Weihnachten und zu Ostern zusammenkommen“, befand die Symbolforscherin.
„Der Sinn beider Feste hat sich bei den Menschen heutzutage auf Sinnesfreuden reduziert. Nur, dass zu Ostern keine Geschenke gemacht werden.“
„Na, sind die Eier und die Schokoladeosterhasen vielleicht nichts? Ich weiß, was du meinst. Die Menschen sind sich der wahren Bedeutung von Ostern nicht mehr bewusst.“
„Das Gedenken an das Leiden, das Sterben und die Auferstehung Christi.“
„Ja, das ist der religiöse Aspekt, aber es gibt auch einen symbolischen.“
„Das mit dem Licht, oder?“
„Ja, der Brauch des Osterfeuers. Er stammt aus der heidnischen Vorzeit, in der mit dem Osterfest das Vertreiben des Winters, der neuerwachte Frühling sowie das Erstarken der Sonnenstrahlen und des Lichts gefeiert wurden.“
„Und der Osterhase, welche Bedeutung hat der?“
„Der Hase gilt als Fruchtbarkeitssymbol, weil im Frühjahr so viele junge Hasen zur Welt kommen.“
„Ich dachte, weil er Ostereier legt“, bemerkte Magnus scherzhaft.
„Ja das Ei, das ist symbolisch gesehen sehr interessant.“
„Ach ja?“
„Das Ei, es symbolisiert die Null.“
„Das musst du mir erklären“, Magnus war neugierig geworden.
„Die Null ist irrtümlich als Nichts bezeichnet worden. Aber da es ein absolutes Nichts nicht geben kann, ist die Null ein Fast-Nichts, in dem fast alles eingespeichert ist. Ein Fast-Nichts an Quantität, aber ein Fast-Alles an Qualität. Die Masse des menschlichen Körpers hätte in einem Stecknadelkopf Platz.“
„Wie soll das denn gehen?“
„Wenn man dem physischen Körper die Hohlräume und Säfte entzieht und ihn so stark wie möglich komprimiert, bleibt von ihm nicht mehr viel übrig an Quantität.“
„Das ist mir jetzt zu hoch“, sagte Magnus. Er war baff, mit welchen Dingen sich Carla sonst noch beschäftigte.
Sie sah seinen erstaunten Gesichtsausdruck und beschloss, ihn nicht mehr mit naturwissenschaftlichen Phänomenen zu konfrontieren.
Er fragte auch nicht mehr nach, sondern blickte aus dem Fenster. Sein Großvater kam ihm in den Sinn. Auf Patmos hatte er Kontakt zu ihm erhalten, aus dem Jenseits. Jetzt fielen ihm seine Worte wieder ein:
Mein lieber Sohn, ich danke dir, dass du mein Erbe angenommen hast und würdig damit umgehst. Über Umwegen haben wir dich hierher nach Patmos gebracht, denn von hier wird die Wahrheit um die Welt gehen, obwohl der Widersacher und seine Meute glauben, sie hätten alles in der Hand. Gott in seiner unendlichen Wahrheit, Güte, Liebe, Erbarmung, Vergebung, Gerechtigkeit und Selbstaufopferung lässt es nicht zu, dass seine Kinder seinem Widersacher anheimfallen. Wir haben euch hier zusammengeführt, helfet einander, stehet einander bei, wir sind immer bei euch und schützen euch. In Liebe, dein Großvater Karel.
„Eigenartig, das Leben“, sagte er. „Da lebt man jahrzehntelang das Leben eines Durchschnittsmenschen und auf einmal passiert etwas, das dem Leben eine Wende gibt.“
„Du meinst, die Schriften deines Großvaters?“
„Ja, und das du und ich nach all den Jahren einander wieder getroffen haben. Das alles ist von oben gelenkt, wie uns ja bestätigt worden ist in den Botschaften, die wir erhalten haben von unseren Führern.“
„Und die Geschichte mit deinem Großvater, hat die nirgendwo öffentlich Spuren hinterlassen?“
„Ich weiß nicht, ich war bei seinem Tod erst ein Jahr alt.“
„Und dein Vater hat dir die Schriften deines Großvaters erst am Ende seines Lebens gegeben. Fast 70 Jahre nach dem Tod deines Großvaters?“
„Mein Vater hat sich für ihn geschämt, das war mir immer klar. Ich wusste aber nicht warum.“
„Wahrscheinlich war es ihm peinlich“, folgerte Carla.
„Ja, ganz sicher. Vater war weder katholisch noch interessierte ihn mystischer oder esoterischer Krimskrams.“
„Wie du siehst, es ging nichts verloren. Das Wissen um die Wahrheit ist da und wir …“
„Ja“, fiel er ihr ins Wort, „aber die Sache ist gefährlich. Ein zweites Patmos will ich nicht mehr durchmachen. Hermanns Tod, was meinst du dazu?“
„Wir müssen herausfinden, woran er gestorben ist. Hast du dir schon Gedanken gemacht, wie wir den Mitarbeitern der Bestattung unser Anliegen vorbringen können?“
„Nein, ehrlich gesagt nicht.“
„Die Obduktion eines Toten kann doch nur vom Gericht angeordnet werden“, gab Carla zu bedenken.
Der Mann, der schräg hinter Carla und Magnus saß, hatte einiges auf einem Notizblock festhalten. Nun stand er auf, lief den Gang im Abteil zurück, sodass die beiden ihn nicht sehen konnten, und wählte eine Nummer auf seinem Mobiltelefon. In kurzen Worten teilte er seinem Gesprächspartner mit, was ihm von dem Gespräch zwischen Rubinetti und Lorenzi als wichtig erschien.
Rom, Vatikan, 30. März
Kardinalstaatssekretär Carbonari saß hinter seinem Schreibtisch, als sein Mobiltelefon läutete. Die ersten beiden Wahlgänge waren erfolglos. Er wartete deshalb in seinem Büro, bis das Zeichen gegeben wurde, dass es einen neuen Papst gab.
Der Kardinalstaatssekretär hatte noch eine Rechnung offen mit Rubinetti und Lorenzi. Sie stellten eine Bedrohung für die katholische Kirche und den rechten Glauben dar. Seine Spitzel hatten ihm soeben mitgeteilt, dass die beiden nach Kärnten unterwegs waren. Die Schriften von Lorenzis Großvater mit den gotteslästerlichen Inhalten waren also noch da. Diese Nachricht beunruhigte den Kardinalstaatssekretär.
Mit ihrem Papst an der Spitze der katholischen Kirche brach die Zeit der Korrektur an. Für kurze Zeit waren sie an der Macht, sie, die sich als die wahren Diener Christi wähnten. Carbonari hatte sich siegessicher gefühlt. Der Papstrücktritt bedeutete zwar einen Dämpfer, aber sie würden weiterkämpfen gegen den Verrat an der Kirche und für den wahren Glauben Christi. Dazu galt es, Schwachstellen zu beseitigen, auch in den eigenen Reihen. Die große Korrektur verlangte Opfer.
Kardinal Carbonari schärfte dem Anrufer ein, die Zerstörung der gotteslästerlichen Schriften habe oberste Priorität.
*
St. Veit/Glan, Kärnten, 30. März
Der Zug erreichte St. Veit an der Glan fast pünktlich auf die Minute. Carla und Magnus schnappten sich ihre Taschen, stiegen aus und schlenderten zum Bahnhofsvorplatz. Dort sahen sie einen Mann, der ihnen zuwinkte. Herwig Schatz hatte seinen taubengrauen Skoda Octavia vor dem Bahnhof geparkt. Sie gingen auf ihn zu und begrüßten einander herzlich. Schatz nahm Rubinetti die Tasche ab und bugsierte sie in den Kofferraum, Lorenzi stellte die seine neben Carlas. Sie stiegen in den Wagen und Schatz fuhr los.
Auch der Mann aus dem Zug war ausgestiegen und ihnen gefolgt. Er sah die beiden in einen grauen Wagen steigen. Er nahm ein Taxi und wies den Fahrer an, dass er dem grauen Wagen folgen solle. Der Taxilenker fragte seinen Fahrgast, ob er ein Detektiv sei. Dieser nahm aus der Brieftasche einen Hundert-Euro-Schein, hielt dem Fahrer den Schein unter die Nase und sagte: „Keine Fragen.“ Der Fahrer war von dem finanziellen Argument seines Fahrgastes überzeugt und schwieg.
„In deinem Wagen riecht es aber gut“, bemerkte Carla. Sie klappte die Sonnenblende herunter, schaute in den Make-up-Spiegel und zog sich die Lippen nach.
„Ich komme von der Fleischweihe“, erklärte der ehemalige Mitarbeiter eines Pharmakonzerns das Geheimnis des anregenden Dufts.
„Ach ja, der Brauch der Speisensegnung“, bemerkte Magnus.
„Ja, die Osterjause muss in der Kirche nach der Messe geweiht werden, so ist es bei uns üblich.“
Sie plauderten während der Fahrt über die gemeinsamen
Erlebnisse auf Patmos und in Rom.
„Wie geht es eigentlich Hermann Warschau?“, fragte Herwig.
„Ja, wie sollen wir es dir sagen. Er … er ist, … Hermann ist tot“, stammelte Magnus.
„Was? Wieso denn? Wie denn?“, Herwig war irritiert. Er zählte Warschau nicht unbedingt zu seinen Freunden, aber die Nachricht von seinem Tod schockierte ihn.
„Wir wissen es selber erst seit gestern“, offenbarte Lorenzi und erzählte Schatz, was er von Warschaus Haushälterin erfahren hatte. Er sagte Schatz auch, dass sie Warschaus Todesursache feststellen lassen wollten.
„Ja, das ist eine gute Idee“, pflichtete Herwig ihnen bei. „Vielleicht ist er ja … er wollte einen Film drehen, wie ihr wisst.“
Nach etwa dreißig Minuten Fahrt erreichten sie das Haus von Schatz, das auf 1.200 Metern Seehöhe in den Wimitzer Bergen in Mittelkärnten lag.
Das Taxi war ihnen gefolgt und hielt in der Kurve vor der Einfahrt zu Schatz’ Haus. Der Fahrgast stieg aus und sagte zum Fahrer, er solle warten. Er ging den Weg so weit entlang, bis er das Haus sehen konnte, zu dem der graue Wagen gefahren war. Er fotografierte das Anwesen mit seiner Handykamera, ging zurück zum Taxi und wies den Fahrer an, er solle losfahren.
„Herrlich, hier gefällt es mir auf Anhieb“, sagte Carla, als sie aus dem Auto stieg und die frische Luft einatmete.
Der Hausherr nahm die Taschen der beiden aus dem Kofferraum und führte seine Gäste in das Holzhaus.
„Früher wohnte hier der Förster“, sagte er, als er sah, wie Carla die Hörner und Geweihe an der Wand betrachtete. Magnus kannte das Haus von Schatz bereits von seinem früheren Besuch. Schatz zeigte den Gästen ihre Zimmer im ersten Stock und lud sie zur Osterjause ein, die er nun in der Küche zubereiten würde.
Carla und Magnus hatten sich frisch gemacht und gingen nach einer halben Stunde Ruhe hinunter in das Erdgeschoss des Hauses. Sie folgten dem Appetit anregenden Duft, der ihre Schritte in die Küche lenkte. Magnus erinnerte sich an den quadratischen Tisch aus altem Holz, den er bereits bei seinem letzten Besuch bei Herwig bewundert hatte. Der Hausherr stand in der Küche und rieb mit einer Reibe Meerrettich über einen Berg aus geräuchertem Osterschinken, gekochter Rinderzunge, gekochten Selchwürsten und hartgekochten Eiern – alles schön in kleine Stücke geschnitten.
„Das duftet ja köstlich“, sagte Carla, als sie in die Küche kam.
Der Hausherr bat sie, Platz zu nehmen. Er stellte den kegelförmigen Osterjausenberg in die Mitte des Tisches und reichte dazu frisch gebackenes Brot und Butter. In einem weiteren Körbchen befanden sich Stücke der Kärntner Regionalspezialität Reindling – ein Hefegebäck mit Rosinen, Zimt und Zucker.
„In manchen Gegenden Kärntens essen sie den Reindling zum Schinken“, sagte der Hausherr. „Zum Trinken gibt es Bier.“
Der Hausherr stellte drei Bierkrüge auf den Tisch und entleerte drei Flaschen in je einen Krug.
„Das Bier wird in einer kleinen Brauerei im Tal unten gebraut. Es ist es ungefiltert und nicht pasteurisiert. Das Wasser stammt aus einer rechtsdrehenden Quelle.“
„Das ist ja geradezu ein Gesundheitstrunk. Prost“, sagte Carla und nahm einen kräftigen Schluck aus dem Humpen.
„Ostern, wieder einmal“, bemerkte Magnus nachdenklich.
„Was meinst du?“, fragte Herwig.
„Das Leiden, das Sterben und die Auferstehung Christi: Die Welt hat nicht begriffen, was das wirklich bedeutet.“
„Ich habe durch euch ja bereits vieles aus der Wahrheit über Christus erfahren. Ich bin euch ja so dankbar“, sagte Herwig, der vor lauter Rührung ein paar Tränen nicht zurückhalten konnte.
Ja, wir sind froh, wenn wir Menschen mit dem wahren Wissen die Augen öffnen können“, sagte Carla.
„Wie war das damals eigentlich in Jerusalem?“, fragte Herwig. „Stimmt die Geschichte in der Bibel über den Einzug Christi und über den Verlauf seines Martyriums, so wie es geschrieben steht?“
„Nein, so wie vieles andere über ihn Geschriebene, über sein Leben und Wirken, auch nicht stimmt.“
Carla machte Magnus ein Zeichen mit der Hand. Er verstand, stand auf und sagte, er komme gleich wieder.
„Es passt zu Ostern“, sagte sie, als Magnus mit einer Schrift unterm Arm zurückkam und sich setzte.
„Ich habe etwas mitgebracht aus dem Fundus meines Großvaters. Soll ich es euch vorlesen?“
Beide nickten.
„Also gut.“ Er legte die Schrift auf den Tisch und begann zu lesen.
Zu jener Zeit war Pontius Pilatus der oberste römische Befehlshaber und Prokurator von Judäa, Idumäa und Samaria. Durch seine Heirat mit Claudia, der Stieftochter des Kaisers Tiberius, war Pilatus der Schwiegersohn des römischen Imperators. Der Prokurator verfügte an militärischer Macht über die erste Legion Fretensis, je zwei Cohorten der dritten Legion Gallica und der vierten Legion Ferrata. Da eine Legion aus zehn Cohorten zu je 500 Mann bestand und außerdem 120 Reiter hatte, belief sich die gesamte Macht des Landpflegers auf etwa 7.000 Mann. Doch zu jener Zeit verfügte Pilatus nur über drei Cohorten, weilihm der Legat Syriens, Pomponius Flaccus, die restlichen Truppen zur Niederschlagung von Aufständen und räuberischen Einfällen in Armenien abverlangt hatte. Flaccus wusste, dass der Araberkönig Areta IV. nichts unternehmen wollte gegen die räuberischen Stämme seines Volkes. Deshalb sandte er den Präpositus legioni Lucius Pella nach Cäsarea und Jerusalem, um Pilatus alles verfügbare Kriegsvolk abzuverlangen, samt den Apparitores, den Henkern im römischen Heer, um mit ihrer Hilfe die herumstreifenden Räuberhorden zu bekämpfen. Pella versicherte Pilatus, ihm das Kriegsvolk rechtzeitig zurückzubringen. Doch die Soldaten kamen nicht.
Juden aus allen Ländern des Römerreiches strömten im April 783 der Römer nach Jerusalem zur Feier des Passahfestes. Jerusalem war Anfang April so überfüllt, dass außerhalb der Stadt in einem Zeltlager ungefähr zwei Millionen Menschen lagerten, großteils jüdische Pilger, aber auch eine erkleckliche Anzahl neugieriger Besucher. Zu dieser Zeit waren die Stadttore Tag und Nacht geöffnet und nicht wie üblich des Nachts verschlossen.
Voll Sorge sandte Pilatus drei Reiter und – da immer weitere Scharen eintrafen – nochmals drei Reiter mit Briefen an Flaccus und Pella, worin er die schleunigste Rücksendung seiner Cohorten forderte, da er den so überaus großen heimischen und auswärtigen Judenscharen in und vor der Stadt machtlos gegenüberstand. Pilatus verteilte die ihm an Militärmacht verbliebenen drei Cohorten im Land. Eine halbe Cohorte war in Cäsarea am Meer geblieben. Den Rest mit den wenigen Auxiliarten, den einheimischen Hilfstruppen des Landes, hatte er in die größeren Städte am Meer und nach Samaria, Judäa und Idumäa verlegt. In Jerusalem selbst hatte der Prokurator 130 Mann der vierten Cohorte der zehnten Legion Fretensis zurückbehalten – unter diesen einige zur Bewachung des Prätoriums besonders ausgesuchte Söldner: fünf Germanen und fünf Thrazier sowie zehn Reiter. Dem Centurio Cornelius standen 120 Mann als Torwachen zur Verfügung. Für jedes der zwölf Tore Jerusalems zehn Mann. Die im Notfall waffenfähige Dienstmannschaft des Prätoriumseinschließlich der restlichen 30 Soldaten war 50 Mann stark. Pilatus sorgte sich nicht allzu sehr, da Ruhe im Land und in Jerusalem herrschte und ihn mit dem von den Römern bestellten Hohepriester Kaiphas eine Art Freundschaft verband. Er vertraute ihm mehr, als all den anderen. Pella hatte Pilatus versichert, ihm das Kriegsvolk rechtzeitig zurückzubringen, und löste sein Versprechen auch ein – allerdings um vierzig Stunden zu spät.
„Und was hat das mit Ostern und Christus zu tun?“, fragte Herwig.
„Das war quasi der Lagebericht, wie es zu jener Zeit in Jerusalem um die militärische Macht von Pilatus bestellt war. Es geht weiter, hört zu“:
Jesus Christus ist am Sonntag, dem 2. April 783 der Römer, nach Jerusalem gekommen. Der Jubel vieler Menschen über seinen Einzug in Jerusalem war echt, denn sie wussten über die Heilungen, Brotvermehrungen und sonstigen Wunderwerke des Herrn und hatten bereits versucht, Ihn deswegen zu ihrem König auszurufen. Den Pharisäern, Sadduzäern und Judenoberen war Christus aber ein Dorn im Auge, weil er in ihren Augen das Volk gegen sie aufwiegelte, ihren Gott lästerte. Nach dem Gesetz Mose musste er wegen Gotteslästerung sterben. Die Judenoberen versuchten, den Landpfleger Pontius Pilatus zum Einschreiten gegen Christus zu bringen, indem sie Christus öffentlich eine verfängliche Frage stellten, deren Bejahung Ihm die Ungunst des Volkes, derenVerneinung Ihm aber den Tod durch das römische Gesetz einbringen sollte. Die Frage lautete: Ob dem bei den Juden an und für sich verhassten römischen Kaiser Zins gezahlt werden solle oder nicht.
Der römische Prokurator Pontius Pilatus hatte seine Vertrauten Leghi, Cartophilus und Alexander mit dem Centurio Cornelius und einigen bewaffneten Dienern auf den großen Platz vor dem Tempel in Jerusalem gesandt, wo Gott der Herr predigte.
„Höret ihr nicht, wie Dieser da angesichts des Tempels unseren Gott lästert, wie Er unseren Gott und uns der Verachtung der Heiden preisgibt. Ihr, die ihr die Hüter der uns verbrieften Rechte sein sollt, die ihr aber samt den Scharen zuhörender Heiden innerlich frohlocket, statt Ihn greifen und ins Gefängnis werfen zu lassen. Tuet ihr das nicht, lassen wir Ihn von unserem Volke gleich da steinigen und ihr sehet dann zu, welche Hüter der Ruhe ihr seid“, geiferten die Priester des Tempels.
Die Heidenscharen aber auch einige der Juden schrien: „Niemand wird einen Stein auf Ihn werfen. Ihr seid die Ruhestörer aus Hass, weil Er die Heiden und die Armen gegen eure Bosheit verteidigt und euch des Blutes der Propheten mit Recht anklagt.“
Cartophilos aber sprach zu den vor Hass und Grimm geifernden Pharisäern und Schriftgelehrten: „Was ereifert ihr euch gar so sehr über die Worte dieses Predigers, Den ihr vorerst selbst in Schutz genommen habt, zu den Scharen sprechend, dass Er irreredet, sie Mitleid mit dem armen Narren haben sollen, weil noch kein Narr in Israel gesteinigt worden ist. Geifert auch nicht gegen uns, denn ihr sehet, dass seine Worte keinen Tumult verursachen, das Ganze sich nur um die Schrift des Gesetzes eures Gottes dreht, und selbst eure Leute Ihm ruhig zustimmen. Es sind doch auf Plätzen, Gassen und auch in Zeltlagern außerhalb der Mauern gleich große Scharen wie diese da beisammen und ihr Geschrei des Feilschens um Dinge und Geld ist groß; hier aber herrscht Ruhe, die nur ihr zu stören trachtet.“
Und viele des Volkes baten Christus, sie zu segnen. Da kam Leghi, der Vertraute des Prokurators und der oberste über die Dienerschaft des Prätoriums, um den beiden anderen Vertrauten und dem Centurio zu sagen, Pilatus sei ihres langen Ausbleibens ungeduldig und warte ihrer.
Sie aber sprachen: „Sende diesen deinen Diener Brasu und lasse dem Prokurator sagen, dass Ruhe ist und wir ihm hernach alles berichten wollen, was dieser Prediger getan und gesprochen hat.“
Da erhob Gott Der Herr Seine Hände und sprach zum Volk: „AufGeheiß der von den Pharisäern, Schriftgelehrten und Hohepriestern ausgesandten Echaimen seid ihr da mit Mir eingezogen – und viele unter euch die Rufe: Hosianna dem Sohne Davids, Hosianna dem König der Juden hörend, rufend und mitschreiend, ohne auch nur ein wenig darüber nachzudenken, was sie tun und welche Folgen ein solches ihr Tun für Mich unabwendbar nach sich gezogen hätte, hätten der Prokurator und die Seinen nicht gewusst, von wo es ausgegangen ist, was es bezwecken und was es herbeiführen sollte.
Ich aber bin mit euch da eingezogen, um allen nochmals die Wahrheit öffentlich zu sagen, dass Ich weder Davids Sohn bin noch ein König werden will, da weder Ich noch Mein Reich von dieser Welt sind, und Ich euch nochmals sage, dass allein Ich Die ewige Wahrheit bin. Wer es aber immer noch nicht fassen, wer, was und wie Die Ewige Wahrheit ist und weiter fragen will, der höre dieses Mein Wort, das Meinem Geist gleich unwandelbar-unveränderlich-ewiglich bestehen bleibt: Gott ist Die Ewige Wahrheit, und Die Ewige Wahrheit bin Ich, Der Ich in die Wüste der Finsternis des Geistes dieser Welt gekommen bin, Das wahre Licht und Der wahre Weg zum wahren ewigen Leben.
Und euch, die ihr gottlose Heiden genannt werdet, lasse Ich das Zeugnis da, dass keiner von euch Mich bedrängt, keiner von euch Mich bedroht, keiner von euch Mich gehasst, keiner von euch Mir geflucht, keiner von euch Mich zu vernichten gesucht hat. Und ich sage euch, dass keiner von euch in böser Absicht seine Hand gegen Mich erheben oder auf Mich legen wird, trotzdem die würdigen Söhne eines Davids gerade durch die Verbreitung der heimtückischsten aller Lügen, dass ich ein Sohn Davids sei, bisher damit rechneten.
Weil sie aber sehen, wie falsch ihre Rechnung ist, und dass sie das gegen Mich Beschlossene niemals durch andere erreichen können, werden sie nun im Geiste ihres Gottes dessen und ihre Rachegier selbst an Mir stillen – und so geschieht es. Lasset euch dann nicht etwa einfallen, ihnen wehren zu wollen. Denn, was auch geschieht und was sie an Mirvollbringen werden, geschieht zum ewigen Zeugnis und zur Erkenntnis Der Wahrheit allen, die guten Willens sind.“
Magnus sah auf und blickte zu Herwig.
„Du willst damit sagen, dass Christus gewusst hat, dass er gemartert werden würde und dass er das geschehen lassen wollte?“, fragte Herwig verdutzt.
„Ja, so steht es in den Unterlagen meines Großvaters geschrieben.“
„Aber warum?“
„Weil er damit den Menschen die höchste seiner sieben Eigenschaften beweisen wollte: die Selbstaufopferung.“
„Sich töten zu lassen ist eine Eigenschaft?“
„Wer hat die größte Liebe?“, meldet sich Carla zu Wort.
„Wieder so ein Bibelspruch“, murrte Herwig.
„Unser Johannes der Evangelist, der Lieblingsjünger Christi, sagte: Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für die Seinen.“
„Christus ließ seine Marterung und seinen Mord aus Liebe geschehen?“
„Ja, so ist es“, bekräftigte Carla.
„Sein Sterben am Kreuz hatte aber noch einen anderen Sinn“, meinte Magnus. „Denn nur dadurch konnte er beweisen, dass es einen Tod im Sinne eines endgültigen Aus nicht gibt, was er mit seiner Auferstehung bewiesen hat. Und zweitens zeigte es, wie der satanische Geist gegen ihn, den Vater des Lebens und Gott der Liebe, vorgegangen ist.“
„Jetzt brauch’ ich einen Schnaps“, sagte Herwig. „Wollt ihr auch einen?“
Magnus und Carla nickten zustimmend. Magnus dachte, dass es keinen Sinn habe, die Geschichte der Passion Christi weiter vorzulesen, da Herwig zu aufgebracht war.
Herwig holte eine Flasche aus der Kredenz. Es machte Plopp. Er schwenkte die Flasche und hielt sie Carla vor die Nase: „Hier, riech mal.“
Sie schnupperte daran und sagte: „Damit kann man ja Tote zum Leben erwecken.“
„Ein Hausgebrannter, vom Bauern aus der Nachbarschaft“, erklärte Herwig und schenkte drei Stamperln ein.
Auch Magnus roch vorher an der Flasche, bevor er das Glas leerte. „Riecht nach Zwetschge und nach Zucker.“
„Ja, aber ohne künstliche Aromastoffe“, erklärte Herwig.
Carla nahm das Glas und inhalierte nochmals eine Brise von dem Zwetschgengeist. Sie spürte, wie der hochprozentige Alkohol in ihre Nasenschleimhäute kroch.
„Der vertreibt böse Geister und Viren“, sagte der Hausherr, prostete ihnen zu und sagte: „Runter damit.“
„Das glaube ich sofort“, sagte Carla, die das Stamperl – Augen zu – in einem Zug leerte und hustete. Im Nu waren ihre Wangen rot, als ob sie Fieber hätte.
„Apropos Schnaps, wir wollten doch die Sache mit Hermann regeln“, sagte Magnus.
„Ja, aber die Bestattung in Klagenfurt hat während der Osterfeiertage sicher geschlossen. Wir können es erst am Dienstag nach Ostern versuchen“, sagte Herwig.
*
Wimitzhöhe
Nach der üppigen Osterjause wollten sich Schatz und seine Gäste noch die Beine vertreten. Schatz ging mit ihnen einen Weg, der wenige Meter hinter seinem Haus vorbei in den Wald führte. Es roch nach Erde und ein kühler Lufthauch streifte ihre Haut. In der Ferne sahen sie im Tal und auf den Höhen Rauch aufsteigen.
„Am Karsamstag werden bei uns Osterfeuer angezündet“, erklärte Herwig. „Haufen von getrockneten Ästen und Sträuchern. Die Kärntner sagen dazu Krasnhaufn.“
„Ja, wir haben bereits während der Zugfahrt darüber gesprochen“, sagte Carla. „Schön, dass die alten Bräuche noch gepflegt werden. Ich stelle mir das ganz romantisch vor, wenn die Menschen um das Osterfeuer herumstehen und ein Lied singen.“
„Ganz so romantisch ist es nicht, wie du dir das vorstellst. Die Menschen singen, weil sie Bier und Schnaps in sich hineingekippt haben.“
Magnus fiel der Traum wieder ein. „Der Rauch, ich habe von einem Rauch geträumt, vor einiger Zeit.“
„Ja, stimmt. Magnus hat im Traum eine Botschaft erhalten, die von der Wende handelt. Du weißt ja, auf Patmos haben wir bereits Botschaften von drüben über die Wende erhalten“, erinnerte Carla Herwig.
Der nickte nur.
„Und Magnus dürfte im Traum weitere Details erfahren haben.“
„Ja, der Rauch. Es wird ein Rauch sein, der die Erde dreimal einhüllt. Es hat etwas mit einem schwarzen Pferdekopf zu tun. Und dieser Rauch oder das Gas dürfte giftig sein, denn ich habe Szenen gesehen, in denen Menschen erstickt sind, weil sie den Rauch eingeatmet haben.“
„Klingt nicht gut“, meinte Herwig.
„Ja und da fällt mir noch etwas ein. Ich hörte eine Stimme sagen, wir müssen uns von der Narbe unseres Auszuges befreien, dann könne uns der giftige Rauch nichts anhaben.“
„Die Narbe unseres Auszuges“, erklärte Carla, „damit ist das Malzeichen gemeint. Ihr erinnert euch doch?“
Herwigs Blick verriet ihr, dass er sich nicht mehr an die Botschaft aus dem Jenseits erinnerte, die Rubinetti auf Patmos empfangen hatte, die Botschaft, in der das Malzeichen erwähnt wurde.
„Das Malzeichen, unsere niedere Gesinnung, unsere Sünde wider den Geist der Wahrheit“, erklärte sie.
Ein lauter Knall störte plötzlich die Ruhe. Dem Knall folgten weitere explosionsartige Schläge.
Carla erschrak sich. „Wer schießt denn da jetzt im Wald?“
„Das sind Böller, die gehören leider auch zu den Osterbräuchen in Kärnten“, erklärte Herwig. „Die Knallerei dauert oft bis tief in die Nacht hinein“.
„Das Malzeichen, ist das so etwas wie das Kainsmal?“, fragte er nach einigen Schritten.