Mister Finnigan und das fliegende Boot - Anke Harnisch - E-Book

Mister Finnigan und das fliegende Boot E-Book

Anke Harnisch

0,0
0,49 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mister Finnigan ist richtig glücklich als Pensionist. Endlich hat er seine Ruhe! Damit ist es allerdings wieder vorbei, als nebenan eine fremde Familie einzieht. Und als deren kleine Tochter plötzlich in seinem Garten auftaucht und in der Erde gräbt, ist es mit der Ruhe ganz aus. Das kleine Mädchen spricht zwar noch kein Wort seiner Sprache, doch trotzdem gelingt es dem alten Mann mit ihr zu reden. Denn irgendwie erinnert sie ihn an seine Kindheit. Mister Finnigan und das fliegende Boot erzählt die Geschichte eines Mädchens, das als Kind in eine vollkommen neue Gegend zieht. Sie versteht noch kein einziges Wort in der Schule und muss von Anfang an gegen fiese Mitschüler kämpfen. Doch am schlimmsten ist ihr Heimweh, das sie Tag für Tag plagt. Deshalb beschließt sie zurück nach Hause zu fahren: in einem fliegenden Boot! Und Mister Finnigan soll ihr dabei helfen! Diese ungewöhnliche Freundschaft zeigt, wie unwichtig Alters- und Sprachbarrieren sind und es oft einfach darauf ankommt hinzuschauen und auf sein Herz zu hören. Eine Geschichte für Kinder von 8 bis 10 Jahren, die das Fremdsein selbst erlebt haben oder sich einmal hineinfühlen möchten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anke Harnisch

Mister Finnigan und das fliegende Boot

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Überraschender Besuch

Kapitel 2: Neue Freunde

Kapitel 3: Das Dillkochbuch

Kapitel 4: Vergissmeinnicht

Kapitel 5: Mister Finnigans Geheimnis

Kapitel 6: Autos im Garten

Kapitel 7: Mister Finnigans besonderes Vergissmeinnicht

Kapitel 8: Die dicke Rothaarige

Kapitel 9: Aufregung

10: Spielplatz-Ordnung

Kapitel 11: Freundschaft

Kapitel 12: Das Blumenboot

Kapitel 13: Mister Finnigan plant ein Boot

Kapitel 14: Das Märchen

Kapitel 15: Zeugnisse

Kapitel 16: Einkaufen ganz ohne Worte

Kapitel 17: Beeren in der Luft

Kapitel 18: Boote bauen

Kapitel 19: Neid

Kapitel 20: Der Racheplan

Kapitel 21: Das Missgeschick

Kapitel 22: Vorfreude

Kapitel 23: Abgebrannt

Kapitel 24: Die Sarkans

Kapitel 25: Neuer Plan

Kapitel 26: Ertappt

Kapitel 27: Der Tag nach dem Brand

Kapitel 28: Das letzte Vergissmeinnicht

Kapitel 29: Aus 1 mach 28

Kapitel 30: Die Jagd nach Vergissmeinnichten

Kapitel 31: Verrückte Feinde

32: Mister Finnigans unbekannte Helfer

Kapitel 33: Feinde in der Blumenstraße

Kapitel 34: Das wachsende Boot

Kapitel 35: Gute Taten

Kapitel 36: Madaras Reise nach Hause

Impressum

Kapitel 1: Überraschender Besuch

Sie steht einfach in seinem Garten. In ihrem kurzen Strickkleidchen voller zierlicher Blumenmuster, die ihn irgendwie an früher erinnern.

Mister Finnigan hat sie schon öfter gesehen, seit sie mit ihren Eltern und ihrem kleinen Bruder vor einem Monat ins Haus nebenan gezogen ist. Und gehört hat er sie sowieso: Von früh bis spät wird im Nachbarhaus gesungen! Kaum ist die Familie Sarkans aufgestanden, strömt ein Liedchen über den Gartenzaun hinüber zu Mister Finnigan. Nur was sie da singen, das hat er bisher noch nicht herausgefunden.

Eigentlich ist es Mister Finnigan auch egal. Er will lieber seine Ruhe haben. Jetzt, mit über siebzig Jahren, hat er endlich genug Zeit, sich um seinen Garten zu kümmern, ab und zu seine alten Schreibmaschinen zu ölen und den Essensboten, der einmal täglich vorbeikommt, pünktlich um halb Zwölf an der Haustür zu empfangen. Ansonsten hat er, außer für seinen täglichen Spaziergang durch die Blumenstraße, keinen Grund sein Heim zu verlassen.

Doch nun steht sie plötzlich in seinem Garten. Mitten zwischen den Tomaten, Gurken und Kräutern.

Wäre Mister Finnigan ein aufbrausender Mensch, würde er wütend nach draußen stürmen, sie anschreien und verscheuchen. Aber Mister Finnigan ist keineswegs so. Zum Glück. Zum Glück behält er immer die Ruhe und klopft, wenn er nervös wird, höchstens mit seinem Ringfinger den Flohwalzer an seiner Knollennase. So wie jetzt.

Tikka, tak, tak, tak, tikka, tak, tak, tak.

Was macht sie da? Wieso hockt sie sich hin?

Tikka, tak, taktak.

Warum greift sie ins Kräuterbeet?

Tikkataktaktak.

Gräbt sie Erde aus?!

Tikkataaaak.

Da hält er es nicht mehr aus! Mit saurem Geschmack im Mund stapft Mister Finnigan hinaus in den Garten.

„Mädchen!“, schimpft er leise, denn er gehört zu den wenigen Menschen, die nicht schreien können. „Was machst du da? Lass die Erde fallen!“

Das Mädchen, sie ist vielleicht neun Jahre alt, zuckt erschrocken zusammen, hebt ihren Kopf und sieht ihn mit ihren großen Perlenaugen an.

Sie scheint etwas sagen zu wollen. Doch dann presst sie ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie ganz weiß werden, und streckt ihm lediglich ihre Hand entgegen. Auf ihrer Handfläche, zwischen den Fingern und am Daumen liegen winzig kleine, braune Stecknadeln.

„Was hast du da?“, fragt Mister Finnigan und beäugt zornig das Gewirr. Wenn er etwas nicht ausstehen kann, dann ist es Unordnung.

Anstatt zu antworten, zieht sie ihren Kopf über die geöffnete Hand, atmet tief ein und lächelnd aus.

„Ich soll daran riechen?“

Wieder sagt sie nichts, sondern hält ihre Hand stattdessen so hoch sie kann.

Mister Finnigan überlegt einen Moment und sieht die Straße hinunter. Niemand ist zu sehen. Er beugt sich zu ihr hinab und riecht kräftig an den winzigen Stecknadeln.

Der Geruch strömt in seinen Bauch, breitet sich in seinem gesamten Körper aus und gibt ihm das Gefühl, ein Fisch zu sein, quicklebendig durch den Bach zu springen und mit seinen Fischfreunden um die Wette gegen den Strom zu schwimmen. Lächelnd blickt er in das Gesicht des Mädchens.

„Das ist Dill“, sagt er überrascht und spürt, wie die letzten Wassertropfen aus seinem Ohr kullern. „Du hast mir Dill gebracht, weil …“

Das erste Mal in diesem Sommer beäugt er sein Kräuterbeet mit anderen Augen. Da gibt es Petersilie, Schnittlauch, Oregano, Basilikum, Minze, Melisse, Bärlauch, Ingwer, Kümmel, Lorbeer und Rosmarin. Nur Dill, den gibt es nicht.

„Weil Dill noch fehlt!“

Das Mädchen blickt ihn mit großen Augen an und lächelt. Sie schließt die Finger wieder um die Samen und deutet mit der anderen Hand auf das kleine Fleckchen Erde, das sie ausgegraben hat.

„Du hast vollkommen Recht!“, stimmt er ihr zu. „Der Dill verdient aber mehr Platz!“

Beschwingt läuft er in seinen Geräteschuppen, holt Schaufel und Harke und eilt zurück zu dem Mädchen. Gemeinsam beginnen sie, ein großes Stück Erde gleich neben dem Kräuterbeet direkt am Bach auszuheben. Sie graben die Erde um und zeichnen schnurgerade Rillen hinein. Dann lassen sie einen Samen nach dem anderen in die Furchen fallen.

Würde nun jemand vorbeikommen, dann würde er sich wohl sehr wundern. So lebendig und gesprächig hat man Mister Finnigan schon lange nicht mehr gesehen. Ehrlich gesagt, hat noch nie jemand in der Blumenstraße ihn so gesehen.

Mister Finnigan redet und erzählt, erklärt, wie man welche Pflanzen pflegen muss, welche viel und welche wenig Wasser brauchen, mit welcher er manchmal schimpfen muss, damit sie wieder anständig wächst und welche ab und zu eine kurze Geschichte hören will, damit sie ruhig schlafen kann. Das Mädchen sagt die ganze Zeit kein Wort.

Stolz blickt Mister Finnigan gemeinsam mit dem Mädchen zum Schluss auf das Dillbeet, wo die Samen nun unter der feuchten Erde schlummern.

„Wunderbar!“, ruft Mister Finnigan, obwohl er ja nicht rufen kann. „Nach so viel Arbeit haben wir uns einen Saft verdient, oder?“

Das Mädchen sieht ihn an und wischt sich lächelnd eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.

„Welchen Saft magst du? Orange, Marille, Johannisbeerensaft? Mehr Sorten habe ich leider nicht.“

Noch immer sagt sie nichts und schaut ihn nur an. Zuerst will Mister Finnigan fast wieder grummelig werden, doch dann begreift er.

„Du verstehst mich nicht, oder?“, fragt er.

Unverändert blickt sie zu ihm hoch.

„Warte!“, meint er und bedeutet ihr mit den Händen, dass sie stehen bleiben soll.

Schnell eilt er ins Haus, holt zwei Gläser und all seine Säfte.

„Wollen wir etwas trinken?“, fragt er. Er zeigt auf die Säfte und Gläser, formt mit seiner rechten Hand einen Halbkreis, hält sie vor seinen Mund und wirft den Kopf nach hinten. Dabei macht er laut: „Gluck, gluck, gluck.“

Das Mädchen lacht, nickt und macht auch: „Gluk, gluk, gluk.“

„Wunderbar! Welchen Saft willst du haben?“ Er deutet mit dem Finger auf jede einzelne Flasche und dann auf sie.

Das Mädchen kneift die Augen zusammen, kringelt eine blonde Locke um ihren Zeigefinger und zeigt auf den Johannisbeersaft.

„Oh, interessante Wahl.“

Schon hält sie ihr erstes Glas in den Händen. Mister Finnigan gießt sich Erdbeersaft ein und stößt sein Glas vorsichtig gegen ihres.

„Prost!“, sagt er und macht eine feierliche Miene.

„Prieka!“, erwidert sie singend und lächelt.

Dann verschwinden beider Gesichter im Saftparadies.

Kapitel 2: Neue Freunde

Mister Finnigan hätte es gar nicht gemerkt, wenn der Essensbote es nicht erwähnt hätte.

„Sie sehen heute voll glücklich aus, Mister Finnigan“, hat er gesagt.

„Wie meinen Sie das?“

„Ein bisschen anders als sonst, Mister Finnigan. Als wären Sie ein paar Jahre jünger geworden.“

Mister Finnigan hat das gar nicht gefallen. Dieser junge Bursche sollte einfach seine Arbeit machen und dann wieder verschwinden.

„Heißt das, dass ich sonst alt und unglücklich ausschaue?“, hat er ihn angemurrt und ihm das Essen aus den Händen gerissen.

„Oh nein, ganz und gar nicht, Mister Finnigan“, hat der Bote noch versucht sich zu verteidigen. „Ich meinte nur …“

Aber Mister Finnigan hat nichts mehr hören wollen.

„Auf Wiedersehen!“

„Äh, ja. Auf Wiedersehen, Mister Finnigan!“, hat der Junge verlegen gegrinst und war gegangen.

Nun sitzt Mister Finnigan an seinem Esstisch mitten in der kleinen Küche. Vor ihm steht ein Teller aufgewärmte Erbsensuppe aus dem Paket. Dem gefüllten Löffel ist auf dem Weg zum Mund plötzlich der Antrieb ausgegangen.

Hat er sich wirklich verändert?

Eine Woche ist es her, seit das Nachbarsmädchen mit den Dillsamen in seinem Garten gestanden hat. Seitdem ist sie jeden Tag um kurz vor vier Uhr zu ihm gekommen, hat sich vor das Beet gelegt und den Pflanzen beim Wachsen zugeschaut. Am Anfang hat Mister Finnigan ihr nur Saft gebracht und sich danach ins Haus zurückgezogen.

Aber am dritten Tag hat sie sich plötzlich umgedreht. Er stand wie die Tage zuvor am Fenster und beobachtete sie. Schließlich wusste man nie, wozu kleine Mädchen in der Lage sind. Sie schaute ihn an und zwinkerte ihm dann auf einmal zu.

„Komm raus, Mister Finnigan!“, schien sie zu sagen.

Und Mister Finnigan ging an diesem Tag hinaus, setzte sich neben sie und sog die Düfte seines Gartens tief in sich ein.

Seitdem genießt er die Zeit mit ihr. Je häufiger er hinausgeht und sich neben sie setzt, umso leichter fühlt er sich. Seine Beine sind plötzlich nicht mehr so schwer, seine Nase sieht den tikka-takenden Ringfinger immer seltener und selbst der grinsende Essensbote stört ihn nicht mehr so wie früher.

Am fünften Tag, es ist ein Freitag, richtet sich das Mädchen plötzlich neben ihm auf, streckt ihm ihre Hand entgegen und nennt ihren Namen.

„Madara.“

Gleich auf der ersten Silbe, dem Ma, wird ihr Name betont. Für Mister Finnigan klingt er fremd und gleichzeitig seltsam vertraut. Als hätte er ihn schon einmal gehört, vor langer, langer Zeit.

Verwirrt schüttelt er die Gedanken aus dem Kopf, nimmt ihre kleine Hand und sagt: „Mister Finnigan.“

„Misterrr Finnigän“, wiederholt sie und nickt.

Und wie sie da stehen, sich die Hände schütteln und nicken, da fühlen sie, dass sie nun Freunde sind.

Wie um es zu besiegeln, heben beide ihre Saftgläser.

„Prijekka!“, sagt Mister Finnigan, der nicht vergessen hat, was Madara auf „Prost“ geantwortet hat.

„Gluk, gluk, gluk!“, erwidert Madara.

Und da lacht Mister Finnigan, wirft den Kopf nach hinten und macht: „Gluck, gluck, gluck!“

Kapitel 3: Das Dillkochbuch

Als Madara an diesem Nachmittag zurück nach Hause geht, murmelt sie: „Mister Finnigän, Misterr Finnigän, Misterrrr Finnigäään.“ Und dabei rollt sie das R am Ende von Mister so stark, dass ihrer Zunge ganz schwindlig wird. Den Namen ihres neuen und ersten Freundes in dieser fremden Welt will sie auf keinen Fall vergessen.

Zuhause geht sie gleich in ihr Zimmer. Denn ihr Baby-Bruder ist sowieso nur mit seinem neuen Spiel beschäftigt: Sich an allem hochziehen und so tun als würde er stehen. Denn er hat noch nicht ganz verstanden, dass man umfällt, wenn man nur auf den Zehenspitzen balanciert. Und ihre Mutter sitzt gebeugt am Küchentisch und macht die Aufgaben aus ihrem Deutschkurs.

Deutsch, wie sie es hasst! Seitdem Madara in der Blumenstraße wohnt, versteht sie nichts mehr. Früher ist sie die Klassenbeste gewesen, aber jetzt ... Ihr bestes Fach ist nun Mathe (!?!), denn Zahlen sind zum Glück in jeder Sprache gleich.

Missmutig hockt sie sich an ihr Fenster und schaut hinaus. Von hier kann sie direkt in den üppigen Garten von Mister Finnigan blicken. Und wie sie da die kleinen Bäume, Gurkenpflänzchen, Tomaten, Erdbeeren und vielen Kräuter sieht, seufzt sie so innig, dass ihr sogar die Brust wehtut.

Aber was macht Mister Finnigan gerade dort unten? Er steht noch immer in seinem Garten, gleich bei den Johannisbeersträuchern und scheint mit den Beeren zu reden! Er verbeugt sich vor ihnen, schüttelt jeder das Blatt oder zieht sogar einen unsichtbaren Hut! Madara grinst. Dieser alte Mann ist der beste Freund, den sie sich vorstellen kann!

Eigentlich soll das Mädchen jetzt zu ihrer Mutter kommen, um Deutsch zu üben. Sonst wird sie die Schule nie schaffen!, meinen ihre Eltern. Aber sie will noch nicht.

Traurig nimmt sie das Einzige, was sie hier aufheitert: Das Dillkochbuch, das sie einst mit ihrer Oma geschrieben hat. Da drin gibt es die wildesten und besten Dill-Rezepte der ganzen Welt! Dillpudding, Dilleis, Dillkuchen, Kartoffelbrei mit Dill, Dillschokotaler. Wenn sie nur daran denkt, spürt sie das Kribbeln auf ihrer Zunge! Als sie gemeinsam mit dem Kochbuch begonnen haben, konnte Madara nicht einmal in ihrer Muttersprache ein Wort schreiben. Und deshalb haben sie alles aufgemalt! Nach einer Weile hat sie die Rezepte auch aufgeschrieben, aber jetzt wird sie es einfach wieder so machen.

Madara nimmt ihre Schachtel mit Buntstiften, zückt einen besonders schönen Stift mit ganz vielen Farben in der Mine und blättert auf eine frische, weiße Seite. Denn heute ist ein ganz besonderer Tag. Elegant und mit höchster Konzentration, dass sogar ihre Zunge bis zur Nasenspitze wandert, zeichnet sie: Eine prächtige Dillpflanze mit stolzen tiefgrünen Blättern und daneben einen Mann mit dicker Knollennase und langem Bart – „Dill Finnigan Glukglukgluk“.

Und dann malt sie ein großes Glas, Johannisbeersaft (in einer wirklich schönen Flasche) und drei Stängel Dill. Der Dill sieht richtig wild aus, so durcheinander gehen die kleinen zarten Blättchen am Kopf auseinander. Madara nimmt schnell einen Kamm von ihrem Nachttisch und streicht das Wirrwarr glatt. Dann malt sie einen dicken Pfeil in die nächste Zeile. Denn nun will sie zeigen, was man für ein „Dill Finnigan Glukglukgluk“ tun muss. Erneut malt sie ein Glas, diesmal aber bis oben hin mit Saft gefüllt, und stellt den Dill mitten hinein. Nur ganz wenige Dillblättchen sind Nichtschwimmer und recken ihre Köpfe hinaus, versuchen sogar bis zur Spitze des Stängels zu klettern. Aber sie rutschen immer wieder ab und klatschen in den Saft, dass es nur so spritzt. Der Rest lacht über sie und genießt das Saftbad. Einige Dillblättchen haben sogar Schwimmbrillen aufgesetzt, um bis zum Grund des Glases zu tauchen!

Madara setzt den Stift ab und blickt hinunter zum Garten von Mister Finnigan. Der alte Mann steht vor den Erdbeeren und träufelt mit einem winzigen Gegenstand, der aussieht wie eine Spritze, Wasser auf die roten Früchte. So gern wäre sie länger geblieben! Aber ihre Eltern wollen, dass sie nicht nur spielt. Sie soll schnell in der Schule klarkommen und daher jeden Nachmittag Deutsch üben.

Grummelnd nimmt sie ihr Heft und schlurft hinunter in die Küche. Mit Mama Deutsch zu lernen ist zwar besser als in der Schule. Aber richtigen Spaß macht das auch nicht. Mit Mister Finnigan versteht sie sich auch so. Sie muss nur „Glukglukgluk“ sagen und er weiß, was sie meint!

Und wie sie die Treppenstufen hinab geht, denkt sie zum ersten Mal darüber nach, Mister Finnigan zu sagen, was sie sich mehr als Dill wünscht. Als ihr Freund kann er ihr ganz sicher helfen. Denn neben Dill wächst auch etwas ganz anderes, viel Bedeutsameres in seinem Garten. Und deshalb ist sie ursprünglich auch zu ihm gegangen.

Kapitel 4: Vergissmeinnicht

Madara hat gründlich darüber nachgedacht. Sie hat sich die Finger in die Ohren gesteckt, ihre blonden Haare abgezählt, sich mit ihrem Kuschelfisch Ziivsi beraten. Und immer ist das Ergebnis gleich gewesen: Mister Finnigan erzählen, was sie noch stärker liebt als den Dill!

Natürlich hat sie ihm den Dill nicht gebracht, um ihn zukünftig bei ihm zu ernten, obwohl sie Dill liebt. Sie würzt alles damit. Pizza, Kuchen, Kekse, Butter, Brot, einfach alles. Den Dill hat sie als Eispickel gebraucht. Zugegeben, ein etwas sonderbarer Eispickel, aber irgendwie musste sie ja zu Mister Finnigan durchkommen. Denn sie hat mehr geahnt als gewusst, dass er es gar nicht mehr gewohnt war, neue Menschen kennenzulernen, geschweige denn in seinen Garten zu lassen! Doch dorthin muss sie! Denn da wachsen ganz bestimmte blaue, weiße und rote Blumen. Magische Blumen, die Madara aus der Geschichte kennt, die ihre Oma an langen Winterabenden so oft erzählt hat: Das Märchen von Līva und den Vergissmeinnicht.

Und da Madara Mister Finnigan schlecht alles sagen kann, jedenfalls noch nicht, muss sie seine Eismauer weiter zum Schmelzen bringen und es ihm zeigen. Am Tag darauf ist es so weit.

An diesem sechsten Tag sitzen sie wieder nebeneinander und lassen den Wind um ihre Ohren säuseln. Ganz leise steht Madara nach einer Weile auf und schleicht zu Mister Finnigans Küchenfenster. Der scheint ihr Verschwinden gar nicht zu bemerken. Dafür schläft er viel zu tief.

Wäre Madara nun etwas größer, würde sie einfach auf das Fensterbrett greifen und eine der Blumen nehmen. Aber Madara stiehlt nicht und ist sowieso erst einen Meter zwanzig groß. Deshalb schaut sie einfach hinauf zu den zarten Blättern der kostbaren Pflanzen.

Kaum später erwacht Mister Finnigan aus seinem Schnarchkonzert.

Manchmal spürt man selbst mit geschlossenen Augen und sogar im Schlaf, dass etwas Wichtiges passiert. Und genauso ergeht es Mister Finnigan jetzt. Leise schleicht er zu Madara unter das Küchenfenster und hockt sich neben sie.

„Was schaust du an?“, fragt er und folgt ihrem Blick.

Nacheinander deutet er mit seinem Finger auf das Fenster, die Backsteine, das Dach und den Himmel.

Madara nimmt seinen großen Arm in ihre Hände und lenkt den Finger auf die samtigen Blätter, die über das Fensterbrett ragen.

„Natürlich! Meine Vergissmeinnicht!“

Schnell, so schnell, dass sogar sein rechtes Knie knackst, steht er auf und reicht ihr vorsichtig eine der Topfpflanzen hinunter.

Die Blume hat saftgrüne Blätter, auf denen winzige Härchen wachsen. Kaum einen Daumbreit weiter, als würde die Pflanze Angst haben, sich sonst nicht entfalten zu können, öffnen sich die Knospen. Ganz gelb sind sie in der Mitte, umgeben von fünf blauen Blütenblättern. Diese sind so fein, dass man glaubt, sie würden jeden Moment davon wehen.

Madara reißt die Augen weit auf. Sie will auf keinen Fall etwas übersehen. Ganz zart und leicht streichelt sie eines der Blätter. „Kusch, kusch“, flüstert sie und legt einen Finger über ihre Lippen.

In diesem Moment zerfließt Mister Finnigans Eismauer bis auf den letzten Kristall und er schließt das Mädchen ohne es zu merken endgültig in sein Herz. Denn wie sie nun vor ihm steht, erinnert sie ihn an seine Kindheit.

Auch er hatte noch kein Wort der neuen Sprache verstanden, als er vor sechzig Jahren mit seiner Mutter in die Blumenstraße gezogen war. Aber die Blumen, egal ob groß, ob klein, ob mit prächtiger Blüte oder mit dicken Knollen, hatten ihn verstanden und waren zu seinen Freunden geworden.

Madara kann ihre Augen nicht mehr von der Pflanze wenden. Am liebsten würde sie ewig hier bleiben und das Vergissmeinnicht streicheln. Mister Finnigan ahnt ja noch nicht, wie viele Geheimnisse für sie in diesen hellgrünen Blättern stecken.

Erst als sie ihre Mutter im Nachbarhaus singen hört, zuckt sie erschrocken zusammen. Sie reicht Mister Finnigan die Pflanze. Und wie die Tage zuvor nickt sie ihm zu, lächelt und geht durch das Gartentor zum Nachbarhaus. Aber heute wirft sie das erste Mal einen Blick zurück zu ihm und dem Vergissmeinnicht.

Eine Weile verfolgt Mister Finnigans Blick sie. Er hat noch nie darüber nachgedacht, doch warum eigentlich nicht? Wieso soll er sein Wissen nicht weitergeben?

Er muss ein wenig lächeln, als er beschließt, Madara am nächsten Tag in sein größtes Geheimnis einzuweihen. Sacht fährt er mit den Fingern über die Blätter des Vergissmeinnichts und flüstert: „Kusch, kusch.“

Kapitel 5: Mister Finnigans Geheimnis

Mister Finnigan ist aufgeregt. Nicht so sehr, wie er sein könnte. Aber schon so nervös, dass sein Ringfinger ständig an seine Nase wandert. Tikka, tak, tak, tak, tikka, tak, tak, tak.

„Was soll das!?“, schimpft er seinen Finger richtig laut, obwohl er ja nicht rufen kann. Bei seiner zornigen Stimme zucken sogar die kleinsten Blumen auf dem Fensterbrett in der Küche zusammen. So kennen sie ihn gar nicht!

Vor Mister Finnigan steht sein größter Schatz: eine Blume. Sonst lebt sie in seinem Schlafzimmer, gleich am Fenster und sonnt sich den ganzen Tag. Doch nun will er sie mit seiner neuen Freundin bekannt machen.

Mister Finnigan ist der beste Vergissmeinnicht-Züchter in der Blumenstraße, nein! In der gesamten Stadt! Das Herz-Vergissmeinnicht ist seine letzte und schönste Vergissmeinnicht-Züchtung. Drei breite Blütenblätter in Herzform ranken sich um den flauschigen gelben Punkt in der Mitte. Normalerweise besitzen Vergissmeinnicht fünf bunte ovale Blüten. Doch einmal hat Mister Finnigan beobachtet, wie bei einer einzigen Blüte zwei Blütenblätter zusammengewachsen sind, sodass sie wie ein Herz aussehen. Und diese einzelne Blume hat er geliebt. Sie war so wunderschön, so einzigartig, dass er all sein Wissen zu Vergissmeinnichten sammelte, um diesen Zufall zu wiederholen. Vorsichtig, ganz vorsichtig hat er damals zwei Blütenblätter dieses Vergissmeinnichtes gespalten und zusammengefügt. Und als sie sich nach langer Zeit zu einem Herzblütenblatt vereinigten, war nur noch ein einziges ovales rotes Blatt übrig. Aber der Nachbar fehlte. Also kitzelte Mister Finnigan ein sechstes Blütenblatt aus dieser Blume heraus! Und als sich diese zwei Einzelgänger auch zu einem Herz vereinten, da hat Mister Finnigan angefangen, den Stiel der Vergissmeinnichtpflanze zu vermehren. Es dauerte Monate! Die Vergissmeinnichte sträubten sich. Normale Blätter wuchsen nicht so! Doch nach und nach erkannte selbst das sture Pflänzchen, dass es mit Herzblüten die außergewöhnlichste Blume in Mister Finnigans Garten ist.

Plötzlich hört Mister Finnigan das Gartentor quietschen. Pünktlich kurz vor vier Uhr tänzelt Madara um das Haus herum zu seinem Garten. Nun ist es soweit! Madara soll von Mister Finnigans größtem Geheimnis erfahren. Behutsam stellt er das Herz-Vergissmeinnicht auf das Tablett mit Gläsern und Saft und geht nach draußen zu seiner Freundin.

Kapitel 6: Autos im Garten

Madara hockt vor dem Dillbeet und betrachtet die ersten grünen Köpfe, die sich durch den Boden kämpfen. Sacht fährt sie mit den Fingerspitzen über die trockene Erde.

„Hmm“, macht sie und steht auf. Ihre Zunge wandert an die Nasenspitze. Sie blickt sich um, entdeckt nirgends eine Gießkanne und marschiert zum Haus von Mister Finnigan.

In diesem Moment tritt der alte Mann aus seiner Hintertür. Madara sieht den Saft, die Gläser und das Vergissmeinnicht auf dem Tablett. Aber ihre Beine sind zu schnell!

„Vai, vai, vai!“, ruft sie und taucht unter dem Tablett ab, bevor sie damit zusammenstößt.

Puhh! Dem Saft und der Pflanze ist sie noch ausgewichen.

Mister Finnigan blickt sich verwirrt um. Wer hat da gerade gerufen? Irgendein Tier? Oder ein Auto? Die Leute haben heutzutage wirklich die seltsamsten Hupen. Er sollte einen Beschwerdebrief an die Behörde schreiben!

---ENDE DER LESEPROBE---