Mit dem Herz durch die Wand - Christina Beuther - E-Book

Mit dem Herz durch die Wand E-Book

Christina Beuther

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Beschreibung

Blöd, wenn man den Freund in flagranti erwischt – noch blöder, wenn man die eigene Wohnung gekündigt hat, um mit ihm zusammenzuziehen. Und richtig mies wird's, wenn besagter Freund auch noch der Chef ist und man plötzlich ohne Wohnung und Job dasteht – dafür aber mit dem Hund der Nachbarin, obwohl man Hunde so gar nicht leiden kann!

Und als ob das nicht schon genug wäre, entpuppt sich der Nachmieter als selbstgefälliger und vollkommen unausstehlicher Blödmann. Als ausgerechnet er ihr jedoch immer wieder aus der Patsche hilft und einen interessanten Vorschlag macht, weiß Charlotte nicht mehr, wo ihr der Kopf steht.

Und dann ist da noch ihr Herz, das irgendwie ganz eigene Wege geht …

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Seitenzahl: 468

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Blöd, wenn man den Freund in flagranti erwischt – noch blöder, wenn man die eigene Wohnung gekündigt hat, um mit ihm zusammenzuziehen. Und richtig mies wird's, wenn besagter Freund auch noch der Chef ist und man plötzlich ohne Wohnung und Job dasteht – dafür aber mit dem Hund der Nachbarin, obwohl man Hunde so gar nicht leiden kann!

Und als ob das nicht schon genug wäre, entpuppt sich der Nachmieter als selbstgefälliger und vollkommen unausstehlicher Blödmann. Als ausgerechnet er ihr jedoch immer wieder aus der Patsche hilft und einen interessanten Vorschlag macht, weiß Charlotte nicht mehr, wo ihr der Kopf steht.

Und dann ist da noch ihr Herz, das irgendwie ganz eigene Wege geht …

Über Christina Beuther

Christina Beuther, geboren 1975, ist Lehrerin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Heidelberg. Bei Aufbau Digital sind ihre Romane „Aber sowas von Amore“, „Ist das jetzt schon Liebe“, "Konfetti im Herz" und "Luisa wagt das L(i)eben" lieferbar.

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Christina Beuther

Mit dem Herz durch die Wand

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

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Impressum

Lust auf more?

1

»So, das war die letzte Übung für heute.« Adeline Stein atmete erleichtert auf.

»Sosehr ich deine Gesellschaft auch schätze, Charlotte, ich bin immer heilfroh, wenn ich es überlebt habe.« Theatralisch legte sie die Hand auf ihre Brust und pustete durch, was mich zum Lachen brachte.

»Ach komm, so schlimm war es doch gar nicht.«

»Als ob man als so junger Hüpfer wüsste, wie anstrengend es in meinem Alter ist, diese Übungen zu machen.« Adeline kokettierte gerne mit ihrem Alter. Vor ein paar Wochen war sie dreiundachtzig geworden, was man ihr jedoch nicht ansah. Ihre weißen Haare trug sie modisch kurz, dazu legte sie Wert auf ein gepflegtes Äußeres, war immer sorgfältig geschminkt und elegant gekleidet. Mich erinnerte sie an Judy Dench.

»Ich finde, dass das mit den Übungen hervorragend klappt.«

Vor drei Monaten hatte sie ein neues Hüftgelenk bekommen und die Physiotherapie nach ihrer Reha bei mir fortgesetzt.

»Das war das, was ich hören wollte«, erwiderte Adeline. »Nicht wahr, Gaston?«, fuhr sie an ihren schwarzen Zwergpudel gewandt fort, der uns gefolgt war und mich wie immer kritisch beäugte. »Du bist auch froh, dass wir wieder größere Runden schaffen und du nicht immer mit dem grässlichen jungen Mann vom Gassi-Service gehen musst, mein Herz.«

Ich mochte Adeline wirklich sehr gerne, aber bei ihrem Hund lagen unsere Meinungen diametral entgegengesetzt. Mehrfach hatte ich mitbekommen, wie der nette Student, der Gaston regelmäßig abholte, alle Hände voll mit ihm zu tun hatte. Ich fand vielmehr, dass »grässlich« eher zu dem schwarz gelockten Scheusal passte, doch Adeline war ganz vernarrt in den Köter.

»Dein Plan, zur Kreuzfahrt wieder fit zu sein, ist jedenfalls vollends aufgegangen. Wann geht es noch mal los?«, erkundigte ich mich.

»In knapp zwei Wochen, am einunddreißigsten März. Aber daran mag ich gar nicht denken.«

»Warum?« Ich blickte sie fragend an. Bisher hatte sie sich auf die Kreuzfahrt gefreut. Und ihre Hüfte war wieder so fit, dass sie sich darüber keine Gedanken machen musste. Ich sah sie jedenfalls elegant über das Schiffsparkett tanzen.

»Meine Freundin Elsbeth, die doch immer auf Gaston aufpasst, wenn ich verreise, hat sich das Bein gebrochen und muss operiert werden. Sie hat gestern angerufen. Das heißt, ich muss nach einer neuen Bleibe für Gaston suchen.«

»Oh nein. Ich hoffe, Elsbeth kommt schnell wieder auf die Beine«, bemerkte ich. »Vielleicht bietet der junge Mann vom Gassi-Service längere Betreuungen an oder kennt zumindest eine Hundepension? Oder deine Freundin. Wie heißt sie noch? Hilde? Die hat doch auch schon auf Gaston aufgepasst.«

»Hilde sagt, dass sie das nicht noch mal schafft. Sie ist nicht mehr so gut zu Fuß. Und den jungen Mann will ich Gaston nicht zumuten.«

War die Frage, wer hier die Zumutung war.

»Ach, ich werde es schon irgendwie gelöst bekommen. Zur Not schmuggele ich ihn einfach mit an Bord.« Adeline grinste spitzbübisch, was mich zum Lachen brachte.

»Das nenne ich einen Plan.« Ich nahm meine Tasche, und Adeline brachte mich zur Tür.

»Feierabend?«, fragte sie mich, als wir uns im Hausflur gegenüberstanden.

»Feierabend«, antwortete ich. »Solange man von Feierabend sprechen kann, wenn noch eine Unmenge an Umzugskisten darauf wartet, gepackt zu werden.«

»Ach Charlotte, musst du denn wirklich ausziehen?« Adeline stand im Türrahmen. Das, was ich über Gaston dachte, dachte sie über Kilian, meinen Freund, mit dem ich ganz bald zusammenziehen würde. Ich wusste nicht, warum sie Kilian nicht mochte, denn er war immer ausgesprochen charmant und zuvorkommend zu ihr und hatte gerade bei älteren Damen einen Schlag, jedenfalls bei den Patientinnen, die immer auf Terminen bei ihm bestanden. Aber Adeline erwies sich als ausgesprochen resistent.

»Du wirst mir auch fehlen«, entgegnete ich wie üblich auf ihre Frage.

»Ich weiß ja. Dann geh du mal packen. Bis Freitag.« Winkend schloss sie die Wohnungstür.

Feierabend. Adeline war mein letzter Hausbesuch für heute gewesen, und das Gute an Hausbesuchen bei Adeline war, dass wir im selben Haus wohnten, sogar auf derselben Etage, im dritten Stock. Sie wohnte in der großen Wohnung, die sich fast über das komplette Stockwerk erstreckte, ich in der kleinen Zweizimmerwohnung gegenüber.

Seufzend schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf und warf den Schlüssel auf die kleine Kommode im Flur. Adeline stach in zwei Wochen in See, ich zog in zwei Wochen um, und obwohl Kilians Wohnung wesentlich größer und geräumiger war, wusste ich, dass ich meine kleine, bezaubernde Wohnung und das Leben in der Weststadt vermissen würde. Seit fast neun Jahren wohnte ich hier, seit ich aus dem Odenwald nach Heidelberg gezogen war, um die Stelle als Physiotherapeutin in einem Reha-Zentrum anzutreten. Ich fühlte mich in Heidelberg richtig zu Hause. Es war klein genug, um alles bequem und schnell mit dem Rad zu erreichen, und dennoch groß genug, um alles andere als Provinz zu sein.

Und ich liebte mein Viertel. Die Straßen gesäumt von Altbauten, die vielen kleinen Cafés, Läden, Restaurants und Bars, in die ich aus meiner Haustür fallen konnte, das bunte Puzzle aus alteingesessenen Heidelbergern, die seit Generationen hier lebten, und den Zugezogenen aus aller Welt, die hier studierten und forschten oder ganz einfach ihr Herz an diese Stadt verloren hatten und geblieben waren. Es war diese Mischung aus Tradition und Weltoffenheit, die das Besondere der Stadt ausmachte. Das romantische Schloss, die schnuckelige Altstadt, die oben vom Schloss aus gesehen etwas von einer Puppenstube hatte, die Neckarwiesen, auf denen es im Sommer von Menschen, die picknickten, Beachvolleyball spielten oder entspannt auf Decken lagen und das Leben genossen, nur so wimmelte.

Nicht zuletzt liebte ich meine Wohnung. Den alten Dielenboden, der so vertraut knarzte, die weißen Flügeltüren, die das kleine Schlafzimmer, in das mein großes verschnörkeltes Metallbett gerade so passte, vom etwas größeren Wohnzimmer mit dem bequemsten dunkelgrünen Samtsofa der ganzen Welt trennten, die hohen, stuckverzierten Decken, den kleinen Balkon mit schmiedeeisernem Geländer und die schwarz-weiß geflieste Küche. Die war zwar klitzeklein, bot aber dennoch unter dem Fenster und mit Blick in den Garten den tollsten Platz für den kleinen alten Holztisch, den ich vor Jahren auf einem Flohmarkt ergattert hatte.

Ich ging ins Bad und drehte den Wasserhahn der Badewanne auf. Bevor es daranging, meine Habseligkeiten in weitere Kisten zu verstauen, würde ich mich aufwärmen und die Ruhe genießen. Ich war durchgefroren, kein Wunder bei dem nasskalten Märzwetter da draußen, außerdem war der Tag anstrengend gewesen. Ohne Pause war ein Termin auf den anderen gefolgt, und nachdem ich mich die ganze Zeit um Patienten gekümmert hatte, war nun ich an der Reihe. Ich zog mich aus, setzte mich auf den Wannenrand und testete mit der Hand die Wassertemperatur.

Natürlich hatten Kilian und ich zuerst in Heidelberg nach einer Wohnung gesucht, doch wer konnte sich die horrenden Mietpreise schon leisten? Die Wohnungen, in die wir gerne gezogen wären, waren für zwei Physiotherapeuten leider unbezahlbar, und meine geliebte Wohnung war zwar ein Glücksgriff, aber mit ihren knapp fünfzig Quadratmetern für zwei Personen schlicht und ergreifend zu klein. Also hatten wir entschieden, dass ich zu ihm zog. Das war zwar im Heidelberger Umland, dafür ganz nah an Kilians physiotherapeutischen Praxis, in der ich seit knapp zwei Jahren arbeitete. Und weil Heidelberg überschaubar und das Umland nicht weit entfernt war, war man immer noch schnell in der Stadt. Nur dass Kilian keine Badewanne hatte und ich es liebte, zu baden.

Das Wasser hatte die perfekte Temperatur. Doch bevor ich meinen Fuß in die Wanne setzen konnte, fiel mir ein, dass ich Schussel noch den Umzugwagen telefonisch bestätigen musste. Das günstige Angebot galt schließlich nur bis heute.

Ich wickelte mir ein Handtuch um und lief ins Schlafzimmer, wo ich vorhin meine Tasche auf das Bett geworfen hatte. Als ich mein Handy in den Tiefen des großen Lederbeutels nicht zu greifen bekam, drehte ich ihn kurzerhand auf dem Kopf und leerte den Inhalt auf dem Bett aus. Doch egal, wie intensiv ich das Chaos auf der Bettdecke auch durchwühlte, das Handy war nicht darunter. Auch neben und unter meinem Bett war es nicht zu finden.

Wie doof konnte man nur sein? Genervt ließ ich mich nach hinten aufs Bett fallen und dachte angestrengt nach. Hatte ich es bei Adeline dabeigehabt? Nein. Das letzte Mal hatte ich es in der Praxis in der Hand gehalten … Wo es immer noch liegen musste. Schön blöd.

Mir würde also nichts anderes übrig bleiben, als schnurstracks noch mal in die Praxis zu fahren. Ich zog den Wannenstöpsel. Mein Bad musste wohl oder übel auf mich warten. Die Kartons ebenso.

Keine fünf Minuten später saß ich in Jogginghose und Schlabberpulli in meinem alten roten Ford Fiesta und fuhr aus der Parklücke, die ich vor eineinhalb Stunden glücklicherweise direkt vor dem Haus gefunden hatte. Zwanzig Minuten darauf parkte ich mein Auto auf dem leeren Parkplatz vor der Praxis. Singer Physio-Team stand auf dem Schild vor der Tür. Inzwischen war es kurz nach acht, und mich wunderte, dass die Rezeption noch beleuchtet war. Eigentlich endete unsere Behandlungszeiten um halb sieben. Dann begann unser wohlverdienter Feierabend, es sei denn, wir hatten noch Hausbesuche im Kalender stehen. Wir, das waren Kilian, mein Freund und Chef, und Maren, Robert und ich, das Team.

Obwohl das Licht brannte, war die Praxis abgeschlossen. Ich steckte meinen Schlüssel ins Schloss.

»Hallo?«

Keine Antwort. Vielleicht hatte der Letzte einfach vergessen, das Licht auszumachen. Dann nahm ich das schummrige Licht der Salzsteinlampe wahr, das durch die angelehnte Tür von Behandlungszimmer 2 in den dunklen Flur schien. Und nicht nur das, ich meinte auch Geräusche zu hören. Irritiert hielt ich inne und lauschte. Wurde da gestöhnt? Wahrscheinlich hatte sich einer meiner Kollegen für einen späten Termin breitschlagen lassen. Für berufstätige Patienten waren unsere Öffnungszeiten manchmal nicht ganz passend, und dass während Massagen wohlig gestöhnt wurde, war bei Gott keine Seltenheit. Hier schien jemand sein Handwerk wahrlich zu verstehen. Ich huschte leise an der Tür vorbei und in Behandlungszimmer 3, ich wollte schließlich niemanden stören, sondern nur schnell mein Handy holen und zurück nach Hause fahren. Ich fand es dort, wo ich es heute Nachmittag zuletzt benutzt hatte, und sah, dass ich eine Nachricht von meiner besten Freundin Selma hatte.

Hey, Charles, hast du heute Abend spontan Lust, deine Umzugskartons zu versetzen und mit ins Kino zu kommen? Ich habe Karten für eine Preview abgestaubt. Sehen wir uns 19.30 Uhr vorm Gloria? Sag einfach Bescheid, sonst muss Jannik mit, der Angst hat, es könne sich um die neue Jane-Austen-Verfilmung handeln. 😉

😘 Selma

Heute Nachmittag hätte ich wahrscheinlich zugesagt, jetzt war es zu spät. Ich würde ihr nachher von der Wohnung aus antworten. Ich warf das Handy in meine Tasche und war fast schon wieder an der angelehnten Tür vorbei, konnte es mir im Vorbeigehen aber doch nicht verkneifen, einen Blick durch den geöffneten Türspalt zu werfen. Ich stutzte, trat langsam einen Schritt zurück und riskierte einen genaueren Blick. Und traute meinen Augen nicht.

Der nackte Hintern meines Freundes bewegte sich rhythmisch zwischen hochgestreckten Frauenbeinen. Seine Trainingshose und Boxershorts hingen auf halb acht und ein roter String samt silbernen Leggings lagen zu seinen Füßen. Seine Hände kneteten pralle Brüste. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Seine Augen waren geschlossen. Das erkannte ich im Spiegel, der über der Massageliege an der Decke befestigt war. Auch, dass sein Mund geöffnet war und er sich mit der Zunge über seine Lippen fuhr, so wie er es immer machte, ganz kurz bevor er kam. »Oh ja …«, stöhnte die Behandelte im vorgegebenen furiosen Stakkato-Takt.

»Kilian?«, stotterte ich fassungslos und fühlte nur noch Watte im Kopf. Seine Augen blickten mich erschrocken im Spiegel an. Geschockt drehte er sich um, dabei stand sein Penis in voller Pracht, schrumpfte dann aber so schnell zusammen, wie ein länglicher, dunkelroter Luftballon, aus dem die Luft gelassen worden war.

»Oh nein!«, hörte ich die Frau rufen, die hastig von der Liege gehüpft war und nun versuchte, eines der grauen Praxishandtücher, die ich heute Nachmittag aus dem Trockner genommen, zusammengelegt und in den Behandlungsräumen verteilt hatte, um sich zu wickeln.

»Charlotte.« Kilian unternahm einen Schritt in meine Richtung, stolperte dabei jedoch über seine heruntergelassene Hose und fiel auf die Knie. Wenn mir nicht so speiübel gewesen wäre, hätte ich vermutlich laut losgelacht. »Ich …«

Mehr hörte ich nicht, denn ich stürmte aus der Praxis. Vor Wut bebend, schaffte ich es erst im dritten Anlauf, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und mein Auto aufzuschließen. Kilian erschien in der Eingangstür und kam auf mich zugerannt, doch ich legte den Rückwärtsgang ein, rauschte aus der Parklücke, schaltete in den ersten Gang und drückte das Gaspedal durch, ohne ihm auch nur einen weiteren Blick im Rückspiegel zuzugestehen.

2

Auf der Fahrt heulte ich Rotz und Wasser. Wie sollte ich mich in diesem Zustand nur auf den Verkehr konzentrieren? Schließlich hatte ich die Bilder eines ganz anderen Verkehrs vor meinem inneren Auge. Ich wurde die Szene nicht los, es war, als hätte sie sich in meine Netzhaut eingebrannt.

Natürlich musste es dann auch noch anfangen in Strömen zu regnen, und genauso natürlich war die Parklücke vor dem Haus nicht mehr frei. Vollkommen genervt, nein, mit den Nerven am Ende, kurvte ich um den Block auf der Suche nach einem Parkplatz. Ich wollte nur noch nach Hause. Dass es nicht einfach war, beim Einparken durch einen Tränenschleier den Abstand zum hinten parkenden Wagen richtig einzuschätzen, merkte ich erst, als es rumste. »Scheiße!«, schrie ich. »Ahhhh!« Kurz war ich versucht, ins Lenkrad zu beißen. Ich war nicht nur mit meinen Nerven am Ende, meine Nerven lagen blank. Sehr viel blanker als Kilians Hintern gewesen war. Blanker ging es nicht.

Ich stieg aus und war von jetzt auf gleich durchnässt bis auf die Haut, was mir völlig egal war. Auch dass mein Fiesta dem dicken BMW hinter mir an der lackierten Stoßstange eine deutlich sichtbare Beule verpasst hatte. Kurz wog ich ab. Ich könnte einfach so tun, als hätte mein altes rotes Auto nichts damit zu tun, schließlich sah man an meiner Kunststoffstoßstange nicht eine Schramme. Und ich hatte wahrlich andere Probleme. Dann besann ich mich, ließ mich wieder auf den Fahrersitz fallen und kramte in meiner Tasche nach dem Handy. Zwölf Anrufe von Kilian. Ich schloss die Augen und atmete tief durch, dann wählte ich 110 und meldete den kleinen Unfall.

Während ich triefend nass in meinem Auto auf die Polizei wartete, schickte ich eine Sprachnachricht an Selma, die sicher zusammen mit Jannik im trockenen Kino saß. Ich hatte keine Ahnung, ob sie eine Chance hatte, mein schluchzendes Gestotter mit Sinn zusammenzusetzen. Kilians Gesicht poppte im Display auf. Er versuchte, mich erneut zu erreichen. Ich drückte seinen Anruf weg und schaltete mein Handy aus.

»Sehr gut, dass Sie sich gemeldet haben, Frau Engel. Das tun die wenigsten. Und Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen, das übernimmt Ihre Versicherung und bringt alles wieder in Ordnung.«

Der ältere Polizist hatte mich tröstend angesehen. Er hatte nicht wissen können, dass mein aufgelöster Zustand nichts mit der Beule am BMW zu tun hatte. Immerhin hatte der Regen aufgehört, als ich nach Hause ging. Ich fühlte mich kraftlos, als liefe ich durch dichte, graue Watte.

Wenn sich alle Unfälle so leicht lösen ließen: Aufnahme des Unfallhergangs und des Schadens, Ermittlung des Schuldigen, Aktenzeichen, fertig. Den Rest übernahm die Versicherung … Leider konnte man sich wohl nicht gegen alles versichern, vor allem nicht gegen einen zum Arschloch mutierten fremdvögelnden Freund.

Ich schloss die Haustür auf und schleppte mich die Treppe nach oben. Ich fror und wollte nur noch in meine Wohnung, die nassen Sachen aus-, mir meine große Kuscheldecke über den Kopf ziehen und mit allem nichts mehr zu tun haben. Doch als ich den Schlüssel in meine Wohnungstür steckte, wurde sie auch schon von innen aufgerissen, und Kilian stand vor mir.

»Charlotte! Wo warst du? Ich habe mir wer weiß was ausgemalt.«

Stand da wirklich Kilian in meinem Türrahmen? Und hatte da ein leichter Vorwurf in seiner Stimme gelegen? Vielleicht hatte ich aber auch nur einen Schock, und mein Hirn funktionierte nicht richtig. Kurz schloss ich die Augen und schüttelte den Kopf, musste beim Öffnen aber feststellen, dass er immer noch da war.

»Raus!«, schrie ich, was bewies, dass mein Hirn doch noch funktionierte.

»Charlotte. Psst. Vielleicht beruhigst du dich erst mal und kommst rein«, versuchte er es beschwichtigend. »Wir müssen reden.«

»Kilian, hakt es?!« Meine Stimme überschlug sich. Erstens war das meine Wohnung, in die er mich gerade bat, und zweitens hatte ich so gar keinen Gesprächsbedarf. Ich trat an ihm vorbei und pfefferte meine Tasche in den Flur. Am liebsten hätte ich ihn in den Flur gestoßen und die Tür vor seiner Nase zugeknallt. »Verschwinde einfach.« Und das meinte ich so. Er sollte verschwinden. Aus meiner Wohnung und aus meinem Leben.

»Oh Mann.« Er raufte sich die blonden Haare und blickte mich verzweifelt an. »Ich wollte das nicht.«

»Es sah nicht so aus, als wärest du gezwungen worden«, bemerkte ich kalt und hielt meine Hand auf. »Meinen Schlüssel«, forderte ich.

Fassungslos sah er mich an. »Ich will nicht, dass das so zu Ende geht. Vielleicht sollten wir uns beide beruhigen und dann in Ruhe über alles reden.«

»Ich wüsste nicht, was es da noch zu bereden gäbe. Das, was ich gesehen habe, war mehr als eindeutig. Meinen Schlüssel.«

Langsam griff er in seine Hosentasche, holte seinen Schlüsselbund hervor und löste meinen Wohnungsschlüssel. Eine Weile hielt er ihn in der Hand und betrachtete ihn. Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und versuchte so die Tränen zu unterdrücken.

»Es tut mir leid.« Kilian sah mich an und reichte mir den Schlüssel. Auch er kämpfte mit den Tränen. »Vielleicht hätten wir mit dem Zusammenziehen noch warten sollen …«

»Du hast das mit dem Zusammenziehen vorgeschlagen. Nicht ich!«, entfuhr es mir. Und das stimmte. Ich war überrascht und skeptisch gewesen, als er vor ein paar Monaten den Vorschlag machte, und hatte zunächst zögerlich reagiert. Wir waren schließlich noch nicht mal ein Jahr zusammen, und dass in der Zeit immer die Sonne geschienen hätte, wäre übertrieben gewesen. Aber er war Feuer und Flamme gewesen und hatte mich schließlich überzeugt.

Kilian nickte. »Ich weiß. Aber ich … ich bin doch noch nicht so weit. Ich fühle mich eingeengt.«

Er fühlte sich eingeengt? Er warf mir doch immer vor, ich brauche zu viel Freiraum … »Und einfach die nächstbeste Patientin zu vögeln ist befreiend?« Ich war wieder lauter geworden, und es war mir egal, dass meine Wohnungstür offen stand und meine Stimme durch das Treppenhaus hallte.

»Sina …«, begann er.

»Sina? Ah, die gespreizten Beine haben einen Namen«, fiel ich ihm ins Wort.

»Charlotte, es ist nicht so, wie du denkst. Ich behandele Sina seit Monaten und wollte das nicht. Ehrlich. Ich dachte, wenn wir zusammenziehen, hört das auf.«

In dem Moment ging mir ein Licht auf. »Du hast mich nur gefragt, ob ich mit dir zusammenziehe, um dann nicht mehr das Bedürfnis zu haben, Sina eine besondere Behandlung zukommen zu lassen?«

Wieder hatte ich das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben.

Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte unsere Beziehung retten.«

»Noch mal, nur damit ich das richtig verstehe: Du wolltest unsere Beziehung retten, indem du mit einer anderen Frau vögelst?« Fassungslos starrte ich ihn an. Betreten blickte er zu Boden. »Soll ich dich jetzt loben und dir danken, dass du ein solch heldenhaftes Opfer gebracht hast? Aber weiß du was, da ist nichts mehr zu retten! Geh jetzt bitte.«

»Charlotte …«

»Geh!«, kreischte ich, stieß ihn in den Flur und warf die Wohnungstür mit einem lauten Knall ins Schloss.

Eine Weile stand ich wie gelähmt im Flur. Tief atmete ich ein und aus und versuchte, mich zu beruhigen. Dann öffnete ich die Hand, die ich um den Schlüssel geschlossen hatte. Ich hatte sie so fest zur Faust geballt, dass er Spuren in der Innenseite meiner Hand hinterlassen hatte. Ich legte den Schlüssel auf die kleine Kommode, und dann brach der Damm. Ich sank zu Boden und heulte und schluchzte vor Wut, Schmerz und Selbstmitleid.

3

Das Geräusch der Türklingel holte mich aus meiner Starre. Ich wusste nicht, wie lange ich so dagesessen hatte, im dunklen Flur. Es klingelte erneut, mit Nachdruck, wie es schien. Ich raffte mich auf.

»Ja?«, fragte ich in die Gegensprechanlage.

»Ich bin’s«, kam es vertraut zurück, und ich drückte auf den Buzzer, denn ich hatte mich nicht getäuscht. So klingelte nur Selma. Ich öffnete die Tür und sah ihren schwarzen Haarschopf die Treppe hochkommen.

»Hey«, sagte sie oben angekommen, nahm mich einfach nur in die Arme, und alles fühlte sich gleich ein wenig besser an. »Du frierst«, stellte sie schließlich fest, schloss die Wohnungstür, schob mich geradewegs ins Bad und ließ Badewasser einlaufen.

Sie hatte recht, ich zitterte und trug noch immer meine nasse Kleidung. »Jetzt wärmst du dich auf und kommst zu dir, und dann redest du dir alles von der Seele.« Noch mal umarmte sie mich fest. »Und ich koche uns in der Zeit eine heiße Zitrone. Die schadet nie.«

Zwanzig Minuten später lag ich aufgewärmt und dick in meine Kuscheldecke eingewickelt, ein Glas heiße Zitrone in den Händen, auf dem Sofa. Meine beste Freundin saß mir gegenüber im Ohrensessel. Und dann begann ich zu erzählen, was passiert war. Selma saß einfach nur da und hörte mir zu, ließ mich reden und fluchen und weinen und schenkte nach.

»Besser?«, fragte sie schließlich, als ich geendet hatte.

Ich nickte. »Ja. Ein bisschen besser.« Und das stimmte. Es fühlte sich nicht mehr alles so schwer an. »Danke, dass du gekommen bist«, sagte ich.

»Als ich nach dem Film deine Nachricht gehört habe, hatte ich zwei Möglichkeiten: zu Kilian zu fahren, um ihn zu verprügeln, oder zu dir zu kommen, um für dich da zu sein.«

»Ich bin froh, dass du dich gegen die Körperverletzung entschieden hast und zu mir gekommen bist. Aber ein blaues Auge hätte er mindestens verdient.«

»Ich hätte ihm eher irgendwohin getreten. Mit den Schuhen hätte das auch so richtig wehgetan.«

Sie deutete auf ihre spitzen Stiefeletten und hatte es geschafft, mich kurz zum Lächeln zu bringen. Dann holte mich meine Situation wieder ein. »Was soll ich denn jetzt machen?«

»Ich könnte Onur fragen, ob er gegebenenfalls Kontakte zu zwielichtigen Personen hat, die das mit dem blauen Auge übernehmen könnten.«

Wieder musste ich lächeln. »Meinst du, dein Bruder hat auch Kontakte zu Personen, die einen neuen Job und eine neue Wohnung für mich haben? In zwei Wochen muss ich hier ausgezogen sein, und weiter in der Praxis zu arbeiten, kann ich mir nicht vorstellen. Das geht nicht«, fasste ich das Drama, das sich gerade mein Leben nannte, zusammen. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände.

»Hey, Charles, wir kriegen das irgendwie hin.« Selma hatte sich neben mich gesetzt und strich sacht über meinen Rücken.

»Und was mache ich morgen? Um acht Uhr habe ich den ersten Termin im Kalender stehen. Die Praxis ist aber der letzte Ort, an dem ich momentan sein will. Genauso wenig, wie ich Kilian wiedersehen will.«

»Dann meldest du dich einfach krank oder nimmst deinen Jahresurlaub. Schreib ihm eine kurze Nachricht. Daran wirst du leider nicht vorbeikommen.«

Wahrscheinlich hatte sie recht. Ich stand seufzend auf und holte mein Handy. Mit dem Einschalten piepste es. Vier neue Nachrichten von Kilian.

Es tut mir so unsagbar leid.

Ich bin ein Idiot.

Ich fühle mich furchtbar. Noch mal: Es tut mir so leid!!!

Gib uns nicht auf.

Lass mich in Ruhe. Ich werde morgen nicht kommen und nehme meinen Jahresurlaub,

tippte ich und blockierte seine Nummer gleich nach dem Absenden.

»Ich bin unsagbar müde«, flüsterte ich. Selma nickte. »Das ist mehr als verständlich. Soll ich bleiben?«

Ich bejahte. Der Gedanke, nicht allein zu sein, ließ die Nacht weniger düster und schlafloser erscheinen. »Aber nicht, dass Jannik sich fragt, wo du bleibst?«

»Er weiß Bescheid. Komm, lass uns schlafen gehen«, entgegnete sie. »Morgen ist ein neuer Tag.«

Als ich am Morgen aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Kurz wunderte ich mich über meinen Zustand, aber dann fiel mir das, was gestern passiert war, leider wieder ein. Ich zog mir die Decke über den Kopf. Wenn ich lange genug so liegen bliebe, wäre der Sommer vielleicht da, meine Probleme hätten sich in Luft aufgelöst, und es würde nicht mehr so wehtun. Das dringende Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen, kam meinem durchaus ausgefeilten Plan allerdings in die Quere. Stöhnend warf ich die Bettdecke zu Seite, stand auf und schleppte mich erst ins Bad und anschließend in die Küche. Zumindest mein Geruchssinn funktionierte noch und hatte mich nicht getäuscht. Auf mich warteten frisch aufgebrühter Kaffee und eine Nachricht von Selma auf dem Küchentisch.

Hey, Charles,

ich musste los in die Agentur. Du hast so fest geschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte. Sendest du ein Lebenszeichen wenn du wach bist?

Knutsch!

Selma

Ich goss mir Kaffee in eine Tasse und trank einen Schluck. Wie spät war es eigentlich? Ein Blick auf die Uhr über dem Herd verriet, dass es fast zehn Uhr war, und trotzdem war ich müde. Kein Wunder, nach einer unruhigen Nacht, in der ich kaum geschlafen hatte, weil meine Gedanken sich in einer Tour im Kreis gedreht hatten.

Wahrscheinlich hatte Selma nicht viel mehr geschlafen. Wieder und wieder hatte sie mir geholfen, meine Gedanken zu ordnen. Wieder und wieder waren wir meine Optionen durchgegangen. Ich hatte drei riesengroße Entwicklungsfelder, wie Selma beschlossen hatte sie zu nennen. Ich fand Dramen nach wie vor den passenderen Begriff. Ich ließ mich auf einen Stuhl fallen und legte meinen Kopf auf den Tisch. Puh. Eigentlich reichte doch ein Drama. Mussten es bei mir gleich drei sein? Mein Leben – eine Tragödie Shakespeare’schen Ausmaßes:

Entwicklungsfeld/Drama 1: Mein Herz

Option A: Kilian verzeihen

Option B: Als Single durch das Leben gehen

A war so gar keine Option. Mit Kilian war ich durch. Durcher ging es nicht. Fertig. Aus. B. Und gut.

Entwicklungsfeld/Drama 2: Mein Job

Option A: Weiterhin in Kilians Praxis arbeiten

Option B: Jobsuche

Eindeutig B. Ich war doch nicht masochistisch veranlagt! Außerdem sollte es nicht so schwer sein, als Physiotherapeutin einen neuen Job zu finden, oder? Zu irgendwas musste unsere überalterte Gesellschaft doch gut sein.

Entwicklungsfeld/Drama 3: Meine Wohnung

Option A: Meinen Vermieter anrufen, in der Hoffnung, dass mein Nachmieter abgesprungen war

Option B: Wohnungssuche

A, keine Frage! Auch wenn ich nicht sonderlich hoffnungsvoll war. Schließlich wohnte ich in einem hübschen Jugendstilhaus in gefragter Lage, und die Miete meiner bezaubernden Zweizimmerwohnung war noch dazu erschwinglich. Aber die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Und wenn sie gestorben war, blieb mir immer noch Option B. Wobei ich bezweifelte, dass diese erfolgsversprechender war. In Heidelberg eine bezahlbare Wohnung in guter Lage zu finden, war vergleichbar mit der berüchtigten Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Ach, was sollte es? Einen Versuch war es wert. Ich richtete mich auf und trank einen weiteren Schluck Kaffee. Nicht nur Selmas Kaffee war stark, Gleiches galt für mich, ihre Freundin. Tiefer als jetzt konnte ich nicht fallen, und mehr als Nein sagen konnte mein Vermieter auch nicht. Ich würde ihn einfach anrufen. Als ich zu meinem Handy griff, sah ich die WhatsApp meiner Schwester.

Hallo Schwester,

kannst du mich später vielleicht abholen? Mein Auto ist in der Werkstatt, und Andi braucht seins heute selbst.

Ich freu mich sooo!

GLG Laura 👰🏻💍💗

Nicht das auch noch … Der Termin im Blumenladen mit Bridezilla. Ich legte meinen Kopf wieder auf der Tischplatte ab. Seit ihr Freund Andi meiner jüngeren Schwester Laura einen Heiratsantrag gemacht hatte, war sie zum Heiratsmonster Laura 👰🏻💍💗 mutiert. Freundlich formuliert ging sie ganz in den Hochzeitsvorbereitungen auf. Und das seit knapp drei Jahren.

Ich wusste, dass es gemein war, sie Bridezilla zu nennen, schließlich konnte Laura nichts dafür, dass sie nicht schon seit zwei Jahren verheiratet war. Corona hatte Andi und ihr bisher einen Strich durch die große Märchenhochzeit in Weiß gemacht. Nachdem sie die kompletten Feierlichkeiten zunächst um einen Sommer verschoben hatten, hatten beide vor einem Jahr im kleinen Kreis standesamtlich geheiratet. Als Lauras Trauzeugin oder Maid of Honor, wie sie es nannte – sie liebte nun mal amerikanische Filme –, hatte ich vorher einen kleinen und feinen Junggesellinnenabschied organisiert.

In diesem Sommer sollte es nun endlich mit der großen Feier klappen. Und so ging es seit Monaten wieder ausschließlich um das perfekte, traumhafte Brautkleid, um Blumenarrangements, um die Frage, ob sie ihre langen Haare lieber hochstecken oder offen tragen sollte, glatt oder gewellt, mit Schleier oder ohne Schleier. Es ging um die ideale Sitzordnung, das Menü, die Hochzeitstorte, ob sie lieber eine Band oder doch einen DJ buchen sollten, dann wieder um das perfekte, traumhafte Kleid und die Frage, ob sie ihre langen Haare lieber hochstecken oder offen tragen sollte, glatt oder gewellt …

Ich liebte meine Schwester von ganzem Herzen, und es gab wenig Menschen, mit denen ich mich so blind verstand, aber als Bridezilla war sie nicht leicht zu ertragen – vor allem in Kombination mit meiner Mutter, die der gleiche Wahn befallen hatte und die immer eine Gelegenheit fand, zu betonen, wie bedauerlich es sei, dass ich als die Ältere noch immer nicht verheiratet sei. Tja. Da musste sie jetzt wohl noch länger warten.

Mir schossen wieder die Tränen in die Augen. Nicht, dass Kilian zu heiraten für mich eine Option gewesen wäre. Zusammenziehen war für mich schon ein großer Schritt gewesen. Ich liebte meinen Freiraum und meine Unabhängigkeit und war generell nicht der Traumhochzeit-Typ mit Prinzessinnenkleid, Kutsche, Schimmel, Prinz und so. Es mochte sein, dass sich manche Männer in Prinzen verwandelten, andere aber definitiv in Arschlöcher. Ich brauchte zwar keinen Prinzen, aber ein Arschloch hätte es trotzdem nicht sein müssen. Lauras Hochzeitswahnsinn auszuhalten, ginge heute auf keinen Fall. Ich schickte ihr eine Sprachnachricht, dass ich irgendwas mit dem Magen hätte und sie heute leider nicht treffen könne. Das war noch nicht mal gelogen, denn mir ging es furchtbar, und mein Magen war durcheinander wie so vieles in mir.

Als mein Handy plingte und ich eine Nachricht von Maren las, in der sie mir eine gute Besserung wünschte, drehte sich mein Magen erneut. Kilian musste mein Fehlen in der Praxis mit Krankheit erklärt haben. Er war also zu feige, die Wahrheit zu sagen. Ich beschloss, dass mir das egal war. Sollte er sich überlegen, wie er da wieder rauskam und meinen Kollegen und Patienten erklärte, warum ich gar nicht mehr wiederkam.

4

Natürlich fiel die Antwort von Herrn Fröbel, meinem Vermieter, so aus, wie ich erwartet hatte.

»Oh.« Betretendes Schweigen seinerseits. »Das tut mir wirklich sehr leid, Frau Engel. Ich meine, Sie haben wirklich lange in der Wohnung gewohnt, aber der Makler hat bereits einen Nachmieter gefunden. Herrn Bergmann. Er wollte Sie direkt kontaktieren, weil er noch ein paar Fragen hatte.« Das stimmte. Wir hatten kurz telefoniert. »Möchten Sie vielleicht die Nummer des Maklers? Ich kann Sie Ihnen gerne geben«, schlug mein Vermieter vor. »Vielleicht hat er ja etwas anderes für Sie.«

Das Telefonat mit dem Makler verlief nicht besser.

»Die Wohnung war schneller weg, als sie auf dem Markt war. So ein Juwel lässt sich eigentlich immer sofort vermieten. Leider habe ich gerade nichts Vergleichbares im Angebot. Ich sage ja, so ein Glücksgriff ist selten. Aber ich kann mich gerne melden, sollte ich etwas reinkriegen. Angesichts des beginnenden Sommersemesters könnte das allerdings schwierig werden. Leider.«

Auch Menschen, die eigentlich taff waren, konnten unter bestimmten Umständen nah am Wasser gebaut sein. Ich heulte also schon wieder. Vielleicht sollte ich mich einfach in meiner Wohnung verschanzen, meine Ersparnisse in besonders hochwertige Sicherheitstürschlösser investieren und mich, sollte es hart auf hart kommen, außerdem noch an irgendwas festketten? Wer zöge schon in eine Wohnung, in der die Vormieterin am Heizkörper hing? Verzweifelte Situationen erforderten schließlich Verzweiflungstaten. Und die Suche nach einer Wohnung drei Wochen vor Semesterbeginn in einer Stadt, in der es von Studenten nur so wimmelte und der Markt sowieso schon abgegrast war, war eine verzweifelte Situation. Ich schloss die Augen. Als ich mich dann aber vor meinem inneren Auge in mein Kinderzimmer im Haus meiner Eltern einziehen sah, stand ich abrupt auf. Ich brauchte frische Luft.

Keine fünfzehn Minuten später fuhr ich mit meinem Fahrrad über die große Kreuzung am Hauptbahnhof und bog rechts in eine der Seitenstraßen ein. Vor einem für Heidelberger Verhältnisse nicht sonderlich schmucken Gebäude im Fünfziger-Jahre-Look stieg ich ab, schloss mein Rad an einen Baum und winkte Selma durch das Schaufenster zu. »Abel Events« stand in weißen Lettern an der Scheibe. So trist und langweilig das Gebäude von außen wirkte, so cool und lässig waren die überschaubaren Räumlichkeiten eingerichtet, die Selma für ihre Event-Agentur angemietet hatte. Alles war in hellen Tönen gehalten, die Möbel waren eine Mischung aus skandinavischem Design und Boho-Chic, und an den Wänden hingen großformatige Fotografien verschiedener Veranstaltungen, die sie geplant und durchgeführt hatte.

Selma saß am Schreibtisch und telefonierte. Als ich eintrat, bedeutete sie mir, dass sie noch einen Moment brauchen würde. Ich hängte meine Jacke über einen Stuhl, ging in die kleine Küche, füllte Kaffeepulver und Wasser in den kleinen Espressokocher und machte den Herd an. Ein Jahr vor dem Ausbruch der Pandemie hatte Selma den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und ihren Traum von einer eigenen Event-Agentur verwirklicht. Sie hatte durchgehalten, obwohl die letzten Jahre alles andere als leicht gewesen waren. Ich wusste, dass Selma mehrmals kurz davor gewesen war, alles hinzuschmeißen. Aber sie hatte es durchgezogen, denn wenn sie etwas liebte, außer Jannik und ihrer riesengroßen Familie, dann war es, zu organisieren und zu planen. Das war schon so gewesen, als wir uns vor neun Jahren in dem Reha-Zentrum kennengelernt hatten. Ich hatte dort meine erste Stelle als Physiotherapeutin angetreten, und sie hatte in der Verwaltung gearbeitet. Selma hatte die Hochzeiten ihrer sämtlichen Cousins und Cousinen organisiert, riesengroße türkische, aber auch kleine Hochzeiten, die Weihnachtsfeiern unseres Reha-Zentrums, den fünfzigsten Geburtstag unseres ehemaligen Chefs, die Neueröffnung der Reha-Räumlichkeiten, einfach alles, was irgendwie anfiel. Hatte ich nicht den Ruf, sonderlich organisiert zu sein, blühte meine beste Freundin auf, sobald es etwas zu planen gab.

»Schön, dich zu sehen.« Selma holte mich mit ihrer Begrüßung aus meinen Gedanken, drückte mich kurz und nahm zwei Tassen aus einem Regal. Ich schenkte uns den blubbernden Kaffee ein.

»Ich musste einfach raus. Ich meine, ich hatte die Vision, wieder bei meinen Eltern einzuziehen.«

Selma lachte und stupste ihre Schulter gegen meine. »Schön, dass dein Humor zurück ist.«

»Das war nicht als Witz gemeint.«

»So schlimm?«

»So schlimm.«

Wir ließen uns auf das kleine Ledersofa fallen, und ich brachte sie auf den neuesten Stand. Ohne wieder zu weinen. Ein Fortschritt.

Vor dem Haus sprang Onur, Selmas Zwillingsbruder, aus dem DHL-Fahrzeug und betrat die Agentur.

»Meleğim.« Er hob grüßend die Hand, dann fiel sein Blick auf den Kaffee. »Ah, genau das, was ich jetzt brauche. Hast du zufällig auch Kuchen da?«

Selma deutete in die Küche. »Vielleicht findest du irgendwo noch Kekse.«

Im Nullkommanichts war er mit einer angebrochenen Packung Prinzenrolle wieder da und ließ sich auf den Sessel gegenüber fallen. »Ich liebe es, meine Pausen mit euch zu verbringen.« Er grinste und biss in einen Keks. »Blendend schaut ihr wieder …« Dann blickte er mich an. »Charlotte, du siehst scheiße aus.«

Wie immer nahm Onur kein Blatt vor den Mund, etwas, das ich eigentlich sehr an ihm mochte. Heute war mir jedoch nicht nach flapsigen Wortwechseln.

»Wie würdest du aussehen, wenn das Leben dich gerade wie ein Schwerlasttransporter gerammt hätte?«, entgegnete ich.

Während seine Schwester ihn aufklärte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck von irritiert zu betroffen. »Das ist jetzt nicht euer Ernst?«, fragte er.

»Doch. So sieht’s aus«, antwortete ich leise.

Vor der Agentur hupte es lautstark. Ein Bus kam nicht an Onurs DHL-Fahrzeug vorbei. Er stand auf und hastete zu Tür. »Sei froh, dass du den Idiot los bist. Ich weiß, ist ein blöder Spruch und hilft gerade nicht. Aber es ist so.« Und schon war er aus der Tür, im Wagen und losgefahren.

Onur war von Beginn an mit Kilian nicht warmgeworden. Ich hatte es darauf geschoben, dass er mich als Schwester adoptiert hatte und meine Partner immer besonders kritisch beäugte.

Sein schneller Aufbruch hatte mich daran erinnert, dass Selma sicherlich ebenfalls zu arbeiten hatte. Ich erhob mich vom Sofa. »Ich will dann mal wieder los. Ich meine, solange ich noch eine Wohnung habe, sollte ich sie auch nutzen«, versuchte ich mich an einem müden Witz.

»Immerhin ist dein Sarkasmus zurück. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Soll ich nach der Arbeit vorbeikommen? Ich könnte chinesisches Essen, Eis und Rotwein mitbringen. Und dann habe ich mal gelesen, dass Fleabag im Binge-Watching eine therapeutische Wirkung haben soll.«

Ich musste lächeln. »Siehst du«, meinte Selma. »Die Therapie schlägt offensichtlich an.«

Ihr Handy klingelte zum wiederholten Mal. Es war wirklich Zeit für mich, zu gehen, um sie nicht länger von der Arbeit abzuhalten. Ich zog meine Jacke über. »Ich freu mich über deine Gesellschaft. Danke.« Mit Selma war alles halb so schwer. »Aber ich koche.« Irgendwie musste ich mich ja ablenken, um vor meinem inneren Auge nicht wieder irgendwelche Gruselfilme zu sehen, und das funktionierte beim Kochen eigentlich immer recht gut.

»Und du meinst wirklich, dass das hilft?« Selma deutete auf den Bildschirm, auf dem Daphne Bridgerton ihren Duke von Hastings anhimmelte. Pappsatt lagen wir auf dem Sofa. »Ist Fleabag vielleicht nicht doch besser?«

»Das nennt sich Schocktherapie«, klärte ich sie auf. Nach dem Essen hatte ich in Netflix aus einem Impuls heraus Bridgerton gewählt und auf Selmas fragenden Blick hin behauptet, dass die Kombi aus toxischer Männlichkeit und weiblichem Geschmachte eine therapeutische Wirkung hätte. Und es stimmte, denn während sich Daphne und ihr Duke von Hastings im Wechsel stritten und anschmachteten und wieder stritten und anschmachteten und von vornherein sowieso schon klar war, dass sie sich am Ende kriegen würden, wurde mir etwas klar.

»Weißt du was?«, wandte ich mich an Selma. Sie sah mich fragend an. »Ich bin nicht so.« Ich deutete auf den Bildschirm. »Ich meine, natürlich finde ich, dass der Duke ein Hottie ist, und schmachte gerne mit, und ich bin auch selbst gerne verliebt, das ist es nicht. Aber diese Wunschvorstellung, unbedingt zusammenzuziehen, zu heiraten und, zack, ist alles happily ever after, die habe ich nicht. Denkst du, ich habe mir was vorgemacht?«

»Wie meinst du das?« Selma hatte inzwischen auf Pause gedrückt.

»Bis auf Maren, aber die zählt als überzeugter Single irgendwie nicht, wohnen inzwischen alle meine Freunde mindestens mit ihren Partnern zusammen, sind verheiratet oder bekommen Kinder. Meine fünf Jahre jüngere Schwester ist im Hochzeitshimmel, meine Mutter wird nicht müde zu betonen, dass ich definitiv alt genug für den nächsten Schritt bin … Da dachte ich, dann ist das eben so, und sagte mir: Charlotte, du bist zweiunddreißig, du ziehst jetzt eben auch mit deinem Freund zusammen. Von der Mutter übertragende Torschlusspanik gemischt mit Gruppenzwang, das nennt man wohl keine Basis.«

»Kann gut sein«, entgegnete Selma nachdenklich.

»Ich meine, es ist doch seltsam, ich erwische meinen Freund in flagranti dabei, wie er mich betrügt, und trauere mehr um meine Wohnung als um die Beziehung. Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich eigentlich gar nicht mit Kilian zusammenziehen wollte … Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann weiß ich auch nicht, ob ich richtig in ihn verliebt gewesen bin.«

»Was willst du damit sagen?«, hakte Selma nach.

»Vielleicht war es einfach praktisch, mit ihm zusammen zu sein.« Meine beste Freundin blickte mich fragend an. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne Corona und alldem, was die Pandemie mit sich gebracht hat, mit ihm zusammengekommen wäre.« Und damit war das raus, was mich den ganzen Nachmittag beschäftigt und nicht richtig greifbar gewesen war. »Du weißt, es fällt mir eigentlich nicht schwer, allein und Single zu sein. Ich vermisse nichts und komme gut mit mir zurecht. Aber während der Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren habe ich mich doch auch einsam gefühlt. Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so viel ausmacht. Ich war froh, zumindest in die Praxis gehen zu können. Und da war Kilian. Vielleicht ein wenig zu sehr von sich eingenommen, aber charmant, flirty und ganz schön gut aussehend.«

Selma grinste. »Ein wenig zu sehr von sich eingenommen …«

»Und selbst diese Einsicht macht es nicht leichter. Weißt du«, ich atmete tief durch und schloss kurz die Augen, »es tut fies weh, und ich bin total verletzt. Aber aus Wut. Weil Kilian mich so belogen und betrogen hat. Ich fühle mich einfach furchtbar verarscht. Und außerdem bin ich gehörig wütend auf mich selbst. Darüber, dass ich mir so viel vorgemacht habe. Und das tut mindestens genauso weh. Und jetzt hole ich die Eiscreme, und dann wechseln wir zu Staffel zwei. Ich sage nur Hashtag Kanthony. Und Anthony ist sowieso viel, viel heißer!«

5

Am nächsten Morgen weckte mich die Wohnungsklingel. Draußen war es noch gar nicht richtig hell. Verkatert robbte ich aus dem Bett und schlurfte zur Tür. Weil Selma mit dem Auto gekommen war, hatte ich die Weinflasche allein geleert. Manchmal half es, die eigene Situation schönzutrinken. Gestern hatte es jedenfalls geholfen, heute hämmerte mein Kopf. Wieder klingelte es an der Tür. Viel zu laut.

Ich öffnete die Tür, und ein Paar graue Augen blickte irritiert erst in meine Augen, dann auf meine verstrubbelten Haare und schließlich auf mein zerknittertes und viel zu kurzes Schlaf-T-Shirt. Ich blickte ebenso irritiert zurück. Vor mir stand ein Mann, der, grob geschätzt, in meinem Alter war. Er hatte sich schneller gefangen als ich und sagte: »Hey, ich bin Finn. Finn Bergmann.«

»Charlotte Engel«, antwortete ich im Halbschlaf und fragte mich, warum um alles in der Welt Finn Bergmann um diese Uhrzeit und überhaupt bei mir klingelte. Er grinste inzwischen, und so wenig bekleidet, wie ich war, war mir sein Blick unangenehm. »Du hast wohl vergessen, dass ich heute vorbeikomme.« Er klang amüsiert, ich war es eher weniger. Irgendwie kam mir der Name zwar bekannt vor, aber ich bekam Finn Bergmann gerade nicht zugeordnet. »Wir haben vor zwei Wochen telefoniert und ausgemacht, dass ich heute Morgen um kurz vor acht vorbeischaue, um mir die Wohnung noch mal in Ruhe anzusehen«, fuhr er fort, und da fiel es mir wieder ein. Herr Fröbel hatte mich gefragt, ob er meine Nummer an meinen Nachmieter weitergeben könne. Ich hatte dem nicht nur zugestimmt, sondern auf Finn Bergmanns Frage, ob er vor dem Umzug einen weiteren Blick in die Wohnung werfen könne, den heutigen Termin vorgeschlagen. Vor zwei Wochen, als ich davon ausgegangen war, um diese Uhrzeit auf den Sprung zur Arbeit und kurz darauf mit Kilian zusammengezogen zu sein.

Ich schloss die Augen, drückte meine Schläfen und atmete leise durch. »Ich habe das im Umzugsstress wohl ganz vergessen.«

»Was nicht schwer zu erkennen ist.« Zu seinem Grinsen hatte sich ein leicht süffisanter Unterton gesellt, den ich unausstehlich fand. »Ich würde ja anbieten, ein anderes Mal wiederzukommen, aber mein Zug zurück nach Berlin geht um zehn, und ich komme erst zum Umzug zurück.« Zumindest hob er entschuldigend die Schultern.

Eigentlich war mir eher danach, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Noch war das hier meine Wohnung. Aber es war, wie es war, also öffnete ich meine Tür und bat ihn reinzukommen. »Du kannst dich schon mal im Wohnzimmer und in der Küche umsehen. Ich ziehe mich kurz an.«

Ich schlüpfte in meine Jogginghose, huschte ins Bad und putzte mir die Zähne. Der Blick in den Spiegel zeigte, dass meine Haare heute Morgen wirklich alles gaben. Meine rotbraunen Locken standen in alle Richtungen und waren nicht zu bändigen. Vielleicht sollte ich Finn Bergmann anrechnen, dass er nicht laut losgelacht hatte. Egal. Zumindest mein Schlaf-Shirt passte. Ich trug das Greatest Showman-T-Shirt, das Laura mir vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte. I make no apologies. This is me prangte prominent auf meiner Brust und unterstrich wunderbar meine ablehnende Haltung. Es war mir gleichgültig, was Finn Bergmann von mir dachte. Ich wollte nur zurück in mein Bett und erst wieder aufstehen, wenn der Kater verschwunden war. Dazu musste allerdings Finn Bergmann verschwinden.

Während ich mir in der Küche einen Kaffee machte und ihn ganz bewusst nicht fragte, ob er auch einen wollte, sah ich beim Blick durch die Tür, dass er sich in meinem Wohnzimmer umsah.

Da stand er also. Mitten in meiner Wohnung. Der, der mir meine Wohnung wegnahm. Der Nachmieter.

Mein lebendig gewordener Alptraum war sehr groß und eher schlaksig, trotzdem wirkte er athletisch. Die weite Jeans, die er trug, saß lässig auf der Hüfte, und unter dem offenen senfgelben Parka erkannte ich ein dunkel kariertes Flanellhemd, das er über der Hose trug. Unter einem dunkelblauen Strick-Beanie guckten hellbraune Haare hervor. In normalen Zeiten hätte ich ihn wahrscheinlich gut aussehend gefunden. Da das hier aber keine normalen Zeiten waren und er nicht irgendwer, konnte ich ihn per se nicht leiden.

Jetzt bemerkte ich, dass er mich ebenfalls ansah. Wieder war da dieses schiefe Lächeln in seinem Gesicht. Ich trank einen Schluck Kaffee und drehte mich zur Seite.

»Eine schöne Wohnung«, sagte er, als er in die Küche zurückkehrte.

Ich hatte allerdings so gar keine Lust auf höfliches Geplänkel und antwortete kurz und knapp: »Ich weiß.«

Finn Bergmann ignorierte meinen bissigen Unterton und sah an mir vorbei aus dem Fenster in den Garten, dann wandte er sich wieder an mich. »Kann ich mir auch das Schlafzimmer ansehen?«

Ich nickte zwar, ging jedoch widerwillig voran. Wie der Rest meiner Wohnung auch, war mein Schlafzimmer gerade ein wenig chaotisch. Kleidung lag verstreut auf dem Boden, mein Bett war ungemacht, und die Vorhänge waren noch zugezogen. Obwohl es mir eigentlich egal war, wie es hier aussah, machte ich die Deckenlampe an, hob alibimäßig zwei T-Shirts auf und öffnete die Vorhänge. So dunkelnasskaltgrau es draußen war, hätte ich mir das schenken können. Wobei dunkelnasskaltgrau perfekt zu meiner Stimmung passte.

Finn Bergmann ließ seinen Blick in Ruhe durch den Raum wandern. »Danke«, sagte er schließlich lächelnd und trat zurück in den Flur. »Weißt du inzwischen schon, zu welchem Datum du ausziehst? Solltest du früher ausziehen, könnte ich eher einziehen, das wäre genial.«

Genial wäre, wenn er jetzt einfach verschwände, der Nachmieter-Blödarsch mit dem dämlichen Grinsen. »Ich werde nicht vor dem einunddreißigsten März ausgezogen sein«, entgegnete ich barsch. Wohin auch? Ich öffnete die Wohnungstür und fragte auffordernd: »Du bist dann wohl fertig?«

»Schon verstanden.« Er hob abwehrend die Hände. »Danke, dass du mich reingelassen hast, und angenehm, mit dir gesprochen zu haben.« Er wandte sich zum Gehen, drehte sich auf dem Treppenabsatz aber noch mal um. »Ich will dich gar nicht weiter vom Schlafen abhalten. Und manchmal hilft es, wieder ins Bett zu gehen und mit einem anderen Bein aufzustehen.«

Ich kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an. Wenn Blicke töten könnten, wäre er zusammengesackt, und ich hätte kein Wohnungsproblem mehr. Finn Bergmann blieb allerdings stehen und hob die Hand zum Gruß. Dann ging er leichtfüßig die Treppe hinunter.

Bevor ich meine Wohnungstür zuschlagen konnte, hörte ich ein lautes »Entschuldigung!« und ein genervtes »Gaston! Hey! Stopp! Bei Fuß!«, bevor erst der schwarze Pudel die Treppe heraufstürmte, als wäre er des Teufels – was er meiner Meinung auch war –, und dann der nette Gassi-Student, der ihn regelmäßig ausführte. Gaston würdigte mich keines Blickes. Tapfer versuchte der junge Mann die Leine zu greifen, die Gaston hinter sich herzog, was von der Töle mit einem Knurren quittiert wurde. Doch sobald Adeline in der Tür stand, machte die Ausgeburt der Hölle wieder einen auf harmloses Schoßhündchen. Als ich meine Wohnungstür schloss, fiel mir ein, dass ich meiner Nachbarin dringend noch Bescheid geben musste, dass ich sie nicht weiter behandeln konnte. Mein Entschluss, auch über meinen Jahresurlaub hinaus nicht mehr im Physio-Team Singer zu arbeiten, stand fest.

Ich entschied, mich nicht weiter über die Unverschämtheit Finn Bergmanns zu ärgern, schließlich würde ich ihn nie wiedersehen. Stattdessen ging ich unter die Dusche, um anschließend bei Adeline zu klingeln.

6

»Habe ich unseren Termin vergessen?« Adeline sah mich verwundert an.

»Nein. Aber über den muss ich mit dir reden.«

Sie musterte mich besorgt. »Charlotte, bist du krank?«

Ich schüttelte den Kopf. »Es geht mir zwar nicht wirklich gut, aber krank bin ich nicht. Darf ich reinkommen?«

»Aber natürlich.« Adeline öffnete die Tür, und wie immer musste ich Gastons kritische Inspektion über mich ergehen lassen. Er kam bellend angerannt und sprang an mir hoch, als wolle er mich wieder aus der Wohnung schubsen. »Gaston, Liebes, sei doch nicht immer so ungestüm«, kommentierte Adeline sein Verhalten, ebenfalls wie immer. »Aus.« Woraufhin der Köter mich zwar nicht mehr anging, mir aber konstant im Weg stand und mich missbilligend beäugte. Ich folge Adeline über den langen Flur ins Wohnzimmer. Gaston ging neben mir, als wolle er mir sagen, dass ich ohne ihn hier keinen unbeobachteten Schritt tätigen würde.

»Möchtest du einen Tee? Oder ein Wasser?«

»Ein Wasser wäre toll, danke.«

Adeline verschwand kurz in ihrer Küche. Ich ließ mich auf einem Sessel der beigefarbenen Polstergarnitur nieder, Gaston setzte sich vor mich und starrte mich weiter an. »Ich weiß, dass du mich nicht leiden kannst. Aber lass dir versichern, das beruht auf Gegenseitigkeit«, raunte ich in seine Richtung.

»Was sagtest du?« Adeline war mit zwei Gläsern Wasser zurück.

»Ach, nichts weiter. Ich habe Gaston nur gefragt, ob er einen schönen Morgenspaziergang hatte.«

»Na ja, ich weiß nicht, Gaston war danach vollkommen erschlagen und der junge Herr ganz zerzaust.« Zum Glück hörte sie nicht mehr so gut. »Nicht, dass er mit ihm joggt, anstatt gemütlich Gassi zu gehen.«

Ich wusste, wer hier wen zum Laufen zwang, doch das behielt ich lieber für mich. Womöglich biss Gaston mir Verräterin sonst in den Fuß. Ich traute ihm so ziemlich alles zu. Adeline reichte mir ein Glas, was ich dankend annahm, und setzte sich mir gegenüber.

»Jetzt nimmst du einen Schluck, und dann erzählst du mir, was dir auf der Seele liegt, Mädchen.«

Eigentlich war es doof, Mädchen genannt zu werden, aber bei Adeline liebte ich es, weil ich mich geborgen und aufgehoben fühlte. Ich trank einen Schluck, und danach schüttete ich ihr mein Herz aus.

»Und dann klingelt heute Morgen auch noch mein Nachmieter und fällt in die Wohnung ein, als wäre es bereits seine«, schloss ich. Auch wenn es wahrscheinlich nicht ganz so gewesen war, kam es mir dennoch so vor.

»Das nenne ich eine verzwickte Situation. Beziehung, Job und Wohnung. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.« Adeline schüttelte den Kopf und streichelte gedankenverloren ihren Hund, der in der Mitte meines Berichts endlich das Interesse an mir verloren hatte und zu seinem Frauchen gegangen war. »Ich denke, zu kündigen ist eine gute Entscheidung. Jede Praxis sollte froh sein, eine so hervorragende Physiotherapeutin im Team zu haben. Ich bin mir sicher, dass du ganz schnell eine neue Stelle findest.« Diese Worte bauten mich auf. Und es stimmte. Der Job war mein geringstes Problem. Auch ich ging davon aus, dass es nicht so schwer werden würde, eine neue Anstellung zu finden. Obwohl ich mir als Physiotherapeutin mitnichten eine goldene Nase verdiente, hatte ich ein wenig gespart und würde schon ein paar Wochen über die Runden kommen. Es sei denn, ich würde eine horrende Kaution oder Maklergebühr zahlen müssen. In dem Fall bräuchte ich schnellstens eine neue Arbeitsstelle.

»Und du kannst die Kündigung der Wohnung wirklich nicht zurücknehmen?«, fragte Adeline, als wäre sie meinen Gedankengängen gefolgt.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Das, was mein Vermieter gesagt hat, war eindeutig. Der neue Mietvertrag ist unterschrieben. Damit bin ich raus.«

»Was für ein Schlamassel. Ich glaube, ich brauche einen Schnaps.« Sie stand auf und ging durch die weit offenen Flügeltüren zur antiken Anrichte im Esszimmer. Gaston warf mir einen bösen Blick zu. Er schien mich als Grund dafür ausgemacht zu haben, dass ihn sein Frauchen nicht weiter liebevoll kraulte. Mit einer Flasche Obstler und zwei Schnapsgläsern in der Hand kam Adeline zurück. »Du auch, oder?«, fragte sie, und ich nickte. Sie schenkte großzügig ein. Der Schnaps brannte und ließ es in mir ganz warm werden. »Kann ich dir denn irgendwie helfen?« Meine Nachbarin sah mich mitfühlend an.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ist lieb, dass du fragst, aber ich wüsste nicht wie.«

Für einen kurzen Moment saßen wir schweigend nebeneinander, und Adeline schenkte uns einen weiteren Schnaps ein, den wir wortlos tranken. Dann sagte sie: »Ich kann zumindest versuchen, dich abzulenken und aufzuheitern.«

Ich blickte sie fragend an. »Ich bedauere wirklich, dass du mich nicht weiter behandeln kannst, und bestehe darauf, dass wir die ausgemachten Termine in Kaffeekränzchen umwandeln«, fuhr sie fort, sichtlich angetan von ihrem Einfall. »Dann gönnen wir uns Torte, Kaffee und hin und wieder vielleicht auch ein kleines Schnäpschen. Ist vielleicht nicht gut für die Figur, aber für die Seele.«

Gerne stimmte ich zu.

Zurück in meinen vier Wänden, beschloss ich Ordnung zu schaffen – in der Wohnung und in meinem Leben. Wobei das mit der ordentlichen Wohnung wesentlicher leichter war … Ich konnte Kilian nicht ewig ignorieren. Vielleicht konnte man seinen Ex-Freund einfach blockieren und aus dem Leben streichen, aber Kilian war nun mal nicht nur mein Ex-Freund, sondern ebenso mein Noch-Chef. Ich hatte darüber nachgedacht, ihm einfach meine schriftliche Kündigung zu schicken, weil ich fand, dass viele Gründe dafürsprachen – hauptsächlich der, dass ich ihn dann nicht wiedersehen musste. Doch zunehmend gewann ich die Einsicht, dass ich die Sache aufrechten Hauptes abschließen musste. Und aufrechten Hauptes bedeutete, ein Gespräch zu führen. Die Kündigung hatte ich bereits getippt. Ich würde sie jedoch nicht einfach als Einwurfeinschreiben schicken, sondern meinen Noch-Chef per E-Mail um einen Gesprächstermin bitten.

Zwanzig Minuten später hatte ich die Mail abgeschickt. Ich wusste nicht, ob er sich denken konnte, was ich wollte. Eigentlich rechnete ich damit. Kilian war ein Realist.

Ich atmete durch. Zumindest das war geschafft. Entschieden klappte ich mein Notebook zu. Auf mich wartete ein Badezimmer, das geputzt werden wollte. Und dann hatte ich ein Date mit dem Internet. Eine neue Wohnung und ein neuer Job fielen schließlich nicht vom Himmel.

7