Mit Kindern redet ja keiner - Kirsten Boie - E-Book

Mit Kindern redet ja keiner E-Book

Kirsten Boie

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Beschreibung

Als Charlotte neun Jahre alt ist, verändert sich ihr Leben plötzlich. Grund dafür ist ihre Mutter. Die hat mit einem Mal furchtbare Wutausbrüche, dann wieder sitzt sie stundenlang stumm auf dem Sofa und rührt sich kaum. Was eigentlich los ist, erfährt Charlotte nicht, denn mit Kindern redet ja keiner. Und kurz darauf passiert das Schreckliche. Wie Charlotte selbst es schafft mit der Situation umzugehen, davon erzählt Kirsten Boie unvergleichlich feinfühlig und mit großer Wahrhaftigkeit: ein wunderbares Mutmachbuch! Mit Vignetten von Philip Waechter

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Seitenzahl: 112

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Kirsten Boie

Mit Kindern redet ja keiner

 

 

Mit Illustrationen von Philip Waechter

Über dieses Buch

 

 

Als Charlotte neun Jahre alt ist, verändert sich ihr Leben plötzlich. Grund dafür ist ihre Mutter. Die hat mit einem Mal furchtbare Wutausbrüche, dann wieder sitzt sie stundenlang stumm auf dem Sofa und rührt sich kaum. Was eigentlich los ist, erfährt Charlotte nicht, denn mit Kindern redet ja keiner. Doch dann stirbt Charlottes Hamster Rudi. Und kurz darauf passiert das Schreckliche.

Wie sich doch jemand findet, der schließlich mit Charlotte spricht, und wie Charlotte selbst es schafft mit der Situation und ihrer kranken Mutter umzugehen, davon erzählt Kirsten Boie unvergleichlich feinfühlig und mit großer Wahrhaftigkeit: ein wunderbares Mutmachbuch!

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden sich auf www.fischerverlage.de

Inhalt

Teil 1

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

Teil 2

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

Was ist eigentlich mit Charlottes Mutter los?

Teil 1

1. Kapitel

Als ich nach Hause gekommen bin, hat zuerst keiner aufgemacht.

Ich hab geklingelt und geklingelt, aber es hat sich nichts gerührt, und dann bin ich ums Haus rumgegangen und hab gegen die Terrassentür getrommelt. Es ist aber immer noch nichts passiert.

Da bin ich langsam böse geworden, weil man das von Mama schon erwarten kann, finde ich. Dass sie wenigstens zu Hause ist und einem die Tür aufmacht, wenn man aus der Schule kommt. Wenigstens das könnte man erwarten, wo sie schon sonst nichts tut und man sich schämen muss in der letzten Zeit.

Ich habe mich auf die Fußmatte gesetzt und überlegt, ob ich einfach zu Lule gehen soll. Damit Mama Angst kriegt und einen Schrecken, wenn sie nach Hause kommt, und ich bin nicht da.

Ja, und dann hab ich es eben erfahren. Frau König hat plötzlich vor mir gestanden, ich weiß nicht, warum sie so lange gebraucht hat. Dabei hat sie doch bestimmt schon auf mich gewartet.

»Charlotte, mein Kind«, hat sie gesagt. Ja, und dann hab ich es eben erfahren. Und so ist es gewesen, wie ich es erzähle, Ehrenwort.

Als ich klein war, war Mama die schönste Frau der Welt, das sagen auch die anderen Leute. Sie hatte diese langen blonden Haare, und sie war immer so fröhlich. Ich glaube, sie hat mindestens den halben Tag gelacht.

Wir haben auch immer viele Sachen zusammen gemacht. Natürlich kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Aber wir sind fast jeden Tag zusammen unterwegs gewesen. Meistens auf dem Spielplatz. Wir haben ja damals noch nicht hier gewohnt, das war noch in der Stadt. Da haben sich die Mütter mit den Kindern immer nachmittags auf dem Spielplatz getroffen. Sie hatten Thermosflaschen mit und so Plastikdosen mit Butterkeksen. Auch Äpfel. Süßigkeiten leider nicht, die sind ja schlecht für die Zähne, aber wir haben da trotzdem immer gemütliche Picknicks gemacht. Nur dass all die Mütter vielleicht zu viel zusammen geredet haben, und wir wollten doch, dass sie mit uns spielen sollten.

Papa war natürlich nicht dabei. Der musste ja in seiner Kanzlei sein und arbeiten. Er hat uns aber auch nicht so gefehlt. Es waren sowieso alles nur Frauen, das weiß ich noch, bis auf einen, der hatte so eine pinke Latzhose an und zählte nicht. Nicht richtig jedenfalls.

Also, wir haben es schön gehabt, aber dann hat Mama plötzlich gemeint, es reicht ihr nicht mehr. Warum sie das gefunden hat, weiß ich nicht genau, ich war ja damals erst vier oder fünf oder so, da versteht man noch nicht so viel. Jedenfalls hat Mama dann angefangen zu studieren, und ich bin zu Frau Kümmel gekommen.

Jeden Morgen hat Mama mich da hingebracht und manchmal auch nachmittags. Wie ihre Vorlesungen waren eben.

An Frau Kümmel kann ich mich noch gut erinnern. Sie war so eine kleine Dicke, und ihre Tochter Beate und ich waren beste Freundinnen. Beate war so alt wie ich, und ihre Schwester war noch klein. Sie hat immer viel geschrien, aber Beate und ich hatten ja meistens nichts mit ihr zu tun, da war uns das egal.

Frau Kümmel hat nicht so viel gelacht wie Mama, eigentlich ist sie immer nur gerannt. Überall lag Wäsche rum, die musste sie waschen und bügeln und wegpacken und dann Flaschen für das Baby machen und Mittagessen für uns. Mit uns spielen konnte sie deshalb nicht, aber das war Beate und mir eigentlich ganz recht, weil wir dann auch mal Sachen machen konnten, die nicht so ganz erlaubt waren, Höhlen bauen in den Betten im Schlafzimmer zum Beispiel und auch mal Wasserspiele im Badezimmer.

Wenn sie uns erwischt hat, war Frau Kümmel immer böse, aber richtig doll geschimpft hat sie eigentlich nicht. Mehr mit uns geredet, warum wir das nicht tun sollten. Und die ganze Zeit hat das Baby gebrüllt.

Papa wollte nicht so gern, dass ich bei Frau Kümmel war.

»Dass du unser Kind da hingeben magst!«, hat er zu Mama gesagt.

»Und wohin denn sonst, bitte schön?«, hat Mama gefragt. »Kindergartenplätze gibt’s schließlich nicht wie Sand am Meer!«

»Davon rede ich nicht«, hat Papa gesagt. »Ich rede von dieser ganzen albernen Geschichte mit dem Studieren! Kannst du mir mal erzählen, wozu du das brauchst?«

Mama hat nur die Lippen zusammengekniffen und gar nichts gesagt. Aber studiert hat sie trotzdem weiter.

Und dann sind wir hierher gezogen.

»Aufs Land!«, hat Mama gesagt und mir durch die Haare gestrubbelt. »Freust du dich?«

Dabei ist es ja gar nicht richtig aufs Land, mit dem Auto ist man schnell in der Stadt. Und es wohnen auch nicht nur Bauern hier, sondern viele Leute wie wir, die in der Stadt arbeiten, aber nach Feierabend haben sie es gerne grün.

Wir hatten Mamas Traumhaus gefunden, und darum musste es mit dem Umziehen dann auch ganz schnell gehen. Mama wollte schon immer was Altes, ein Haus mit Geschichte und Charakter sagt sie dazu.

Nun hat unser Haus noch eine Geschichte mehr.

Ich wollte zuerst gar nicht umziehen. Wegen Beate. Weil, von hier aus konnte Mama mich natürlich nicht mehr jeden Tag zu Frau Kümmel bringen, ein Auto hatte sie ja nicht, und deshalb war es schon kompliziert genug mit der Universität. Da haben sie mich in den Gemeindekindergarten geschickt, und das war nachher eigentlich auch ganz schön. Und sowieso bin ich dann ja gleich in die Schule gekommen.

Als das mit Mama dann passiert ist, hat Lules Mutter gesagt, vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn wir in der Stadt geblieben wären, aber das weiß ich nicht genau. In meiner Klasse sagen sie nämlich, Mama wäre sowieso krank geworden. Und ich werde es später auch mal. So was erbt man, sagen sie in meiner Klasse.

Das macht mir Angst, aber dann denke ich, dass ich gerade erst neun bin, und da habe ich wenigstens noch viele Jahre Zeit, bis es passiert. Jedenfalls, wenn es bei mir erst so spät passiert wie bei Mama.

2. Kapitel

Wegen Beate hätte ich mir nicht so große Sorgen zu machen brauchen. Ich meine, natürlich ist es traurig, dass ich sie jetzt überhaupt nicht mehr sehe, schließlich war sie ja meine allerbeste Freundin. Aber einsam bin ich deswegen trotzdem nicht geworden, weil jetzt Lule meine beste Freundin ist.

Lule habe ich gleich kennengelernt, als wir eingezogen sind. Wir hatten einen echten Möbelwagen mit echten Möbelpackern, aber alles, was klein und zerbrechlich war, hat Papa in seinem Auto hergefahren. Es war ja nicht weit von unserer alten Wohnung bis hier.

Ich durfte mithelfen beim Reintragen, und zuerst hat mir das auch großen Spaß gemacht, vor allem meine eigenen Sachen. Aber dann ist es doch langweilig geworden. Und es war ja klar, dass diese Möbelpackerei noch eine ganze Weile weitergehen würde. Da hab ich angefangen, mich umzugucken, und da hab ich sie gesehen.

Natürlich wusste ich an dem Tag noch nicht, dass es Lule war, da saß einfach so ein Mädchen auf unserem Zaun und zog immerzu die Nase hoch. Flicken auf ihrer Cordhose hatte sie auch und so einen alten Anorak in Dunkelblau, wie sie schon ewig nicht mehr Mode sind. So hätte Mama mich damals im Leben nicht rumlaufen lassen. Mama sagte immer, Kinderkleidung gibt’s heutzutage schon so günstig, und wenn es secondhand ist. Kein Kind braucht hässlich rumzulaufen. Oder dreckig.

Aber das war natürlich damals. Inzwischen ist ja einiges passiert.

Also, jedenfalls, da saß also dieses Mädchen auf dem Zaun und hat nur immerzu gestarrt. Als ob sie ein bisschen blöde war, sah sie aus, und den Finger hat sie auch die ganze Zeit in der Nase gehabt.

Wenn es etwas gibt, das ich hasse, dann ist es Nasebohren. Mama hat mir beigebracht, dass Nasebohren und Pupsen und Rülpsen unhöflich ist, das darf man einfach nicht tun. Höchstens, wenn man allein ist. Bestimmt hatte Lules Mutter das Lule auch gesagt, aber dann hat sie sicher vergessen zu schimpfen, als Lule es das nächste Mal getan hat. In solchen Sachen ist Lules Mutter meistens ziemlich schlampig, und darum macht Lule auch so viel, was man eigentlich nicht soll.

Aber was sollte ich machen an diesem Nachmittag, als wir eingezogen sind. Ich konnte weiter Mama und Papa beim Umzug helfen, oder ich konnte allein im Nieselregen rumlaufen, oder ich konnte mir mal dieses Mädchen angucken.

»Na?«, sagte ich und stellte mich direkt vor sie hin. Weil sie saß, konnte man nicht genau erkennen, wer von uns beiden größer war, aber ich hätte gewettet, ich.

Das Mädchen zog wieder die Nase hoch. Es musterte mich von oben bis unten. Sonst tat es nichts.

»Wir ziehen hier ein«, sagte ich. »Du musst mich fragen, ob du überhaupt auf unserem Zaun sitzen darfst.«

Das Mädchen nickte. Jedenfalls sah es so aus, als ob es nickte. Wegen dem Finger in der Nase konnte man das schlecht entscheiden.

»Ich hab einen Schatz«, sagte es und sprang vom Zaun. Dann ging es zur Straße, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen.

Ich dachte, dass das nun auch wieder ziemlich unhöflich gewesen war. Wenn man die ganze Zeit bei jemandem auf dem Zaun gesessen hat und dann geht, kann man sich wenigstens verabschieden. Ich lief hinter ihr her.

Das Mädchen sagte nichts, als ich plötzlich neben ihm ging. Hinter einem Bauernhof bog es in einen Matschweg ein und blieb an einer alten Scheune stehen. »Hier«, sagte das Mädchen. »Du musst drei heilige Eide schwören, dass du den Schatz nicht verrätst.« Ich hob die rechte Hand in die Luft, wie ich es mal im Fernsehen gesehen hatte. »Drei heilige Eide«, sagte ich.

Das Mädchen nickte. Dann zog es einen Stein aus der Wand, und dahinter lag der Schatz. Wirklich wahr! Und ich wusste plötzlich genau, dass es gut war, dass wir hergezogen waren. Wo es lose Ziegelsteine in den Wänden gibt, gibt es vielleicht auch lose Dielenbretter mit Geheimgängen darunter und Heuböden mit jungen Katzen. Natürlich war es schade, dass Beate nicht mehr meine beste Freundin sein konnte, aber sie konnte mich ja mal besuchen.

Der Schatz war übrigens nur eine alte Pralinenschachtel mit drei Murmeln und einem Fingerring drin. Und der war bestimmt bloß aus der Wundertüte.

Als ich zu unserem neuen Haus zurückgekommen bin, hatten Mama und Papa mich noch nicht mal vermisst.

»Und wie gefällt es dir nach dem ersten Tag hier, mein Schatz?«, fragte Mama. Sie saß im Arbeitszimmer auf einer nicht ausgepackten Bücherkiste und trank eine Tasse Tee. Papa stand daneben und stellte Bücher in die Regale.

»Gut«, sagte ich. »Ich kenn schon ein Mädchen.«

»Schön!«, sagte Mama. »Wie heißt sie denn?«

Ich zuckte die Achseln. »Sie hat einen Schatz«, sagte ich.

Da nahm Mama mich in die Arme und lachte und drückte mich ganz fest und sagte, dass es bestimmt die beste Entscheidung unseres Lebens gewesen wäre, dass wir aus der stinkigen Stadt weg- und hierher gezogen waren.

Und das dachte ich auch.

3. Kapitel

Wir haben uns dann auch ganz schnell eingelebt. Papa fuhr jeden Morgen zur Arbeit und kam jeden Abend wieder nach Haus, und ich ging in den Kindergarten, und Mama studierte und machte das Haus. Ich wusste längst, dass Lule Lule hieß, also eigentlich Luisa, aber als Baby konnte sie das eben nicht sagen.

Dann sind wir in die Schule gekommen, Lule und ich zusammen, der Schulbus hat uns bis ins nächste Dorf gefahren und mittags wieder zurück. Mir hat das gut gefallen. Aber Mama hat jetzt manchmal gejammert, weil sie so lange gebraucht hat bis in die Stadt rein zur Universität, und ihre Vorlesungen lagen auch manchmal so ungünstig. Da war sie dann oft noch nicht da, wenn ich aus der Schule gekommen bin, und nachmittags musste ich immer zu irgendwelchen Kindern, damit Mama studieren konnte.

Einmal hat sie mit Lules Mutter darüber gesprochen.

»Wie schaffen Sie das denn bloß alles?«, hat Mama gefragt. Lules Mutter arbeitet bis mittags immer im Büro, aber nachmittags ist sie zu Hause.

»Gar nicht«, hat Lules Mutter gesagt und gelacht. Das stimmt aber nicht. Natürlich ist es bei Lule zu Hause immer ziemlich rummelig, aber ihre Mutter backt trotzdem ganz wunderbare Kuchen und spielt »Sagaland« und solche Sachen. Bei Lule bin ich ziemlich gerne.