Mit Lust zu dir - Dr. Annette Hosenfeld - E-Book

Mit Lust zu dir E-Book

Dr. Annette Hosenfeld

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Beschreibung

Wie finden wir über unsere Sexualität zu mehr Selbstakzeptanz? Der etwas andere Sex-Ratgeber von der erfahrenen Sexualtherapeutin Annette Hosenfeld. Über Sex reden alle. Mit dem Partner oder der Partnerin ehrlich über Lust, Scham und Selbstbefriedigung zu sprechen fällt dagegen vielen schwer. Ein Paradox, leben wir doch in einer übersexualisierten Welt, in der der nächste Porno nur einen Klick entfernt ist. Dr. Dipl.-Psych. Annette Hosenfeld ist systemische Einzel-, Paar- und Sexualtherapeutin und weiß: In unserer Lust spiegeln sich unsere Beziehungsprobleme und sie ist Knackpunkt bei der Selbstliebe. In diesem psychologisch fundierten Ratgeber lädt uns die Autorin dazu ein, sich mit der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen und dem großen Mysterium Lust auf den Grund zu gehen. Denn Fakt ist: Wer die eigene Lust verstanden hat und sie auszuleben weiß, hat mehr von sich verstanden. Anonymisierte Fallgeschichten sowie praktische Tipps und Partner-Übungen bieten inspirierende Anregungen rund um die Themen Sexualität und Selbstliebe. Wir lernen, wie wir Lust auf unsere Lust bekommen und werden ermutigt, sie zu kommunizieren. So gelingt es uns, unsere Bedürfnisse besser zu verstehen und auszuleben, Grenzen sowohl zu ziehen als auch zu akzeptieren und damit zu uns selbst zu finden. www.systemische-beratung-landau.de

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Dr. Annette Hosenfeld

mit Lisa Bitzer

Mit Lust zu dir

Sexualität als Schlüssel zur Selbstliebe

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Wie finden wir über unsere Sexualität zu mehr Selbstakzeptanz? Der etwas andere Sex-Ratgeber von der erfahrenen Sexualtherapeutin Annette Hosenfeld.

Über Sex reden alle. Mit dem Partner oder der Partnerin ehrlich über Lust, Scham und Selbstbefriedigung zu sprechen fällt dagegen vielen schwer. Ein Paradox, leben wir doch in einer übersexualisierten Welt, in der der nächste Porno nur einen Klick entfernt ist.

Dr. Dipl.-Psych. Annette Hosenfeld ist Systemische Einzel-, Paar- und Sexualtherapeutin und weiß: In unserer Lust spiegeln sich unsere Beziehungsprobleme, und sie ist Knackpunkt bei der Selbstliebe. In diesem psychologisch fundierten Ratgeber lädt uns die Autorin dazu ein, sich mit der eigenen Sexualität auseinanderzusetzen und dem großen Mysterium Lust auf den Grund zu gehen. Denn Fakt ist: Wer die eigene Lust verstanden hat und sie auszuleben weiß, hat mehr von sich verstanden.

Anonymisierte Fallgeschichten sowie praktische Tipps und Partner-Übungen bieten inspirierende Anregungen rund um die Themen Sexualität und Selbstliebe. Wir lernen, wie wir Lust auf unsere Lust bekommen, und werden ermutigt, sie zu kommunizieren. So gelingt es uns, unsere Bedürfnisse besser zu verstehen und auszuleben, Grenzen sowohl zu ziehen als auch zu akzeptieren und damit zu uns selbst zu finden.

www.systemische-beratung-landau.de

Inhaltsübersicht

Motto

Vorspiel

Schöne Gefühle

Zwischen Lust und »Sünde«

(K)eine Frage von Schuld

Unser Umgang mit erotischem Empfinden

Männliche versus weibliche Sexualität?

Der Frust mit der Lust

Betreiben wir Selbstfürsorge!

Teil I: LUST verstehen und annehmen – bedeutet dich verstehen und annehmen

Was ist Lust?

Die zwei Ebenen unserer Gefühle

Unsere Basis-Emotionen

Warum Emotionen spüren wichtig ist

Lust heißt: gelebte Selbstliebe

Die Krux mit der (Be-)Wertung

Ängste

Die Steuerung von Erregung

Angstreaktionen (nicht nur) in Beziehungen

Mit Angst umgehen lernen

Überwinden heißt: Mitten hindurch!

Hedonismus und Süchte

Braucht Lust Kontrolle?

Stimulanz als Lebenselixier

Wachstum und Entwicklung

Wir wachsen unablässig

Lust auf Selbstbestimmung

Persönliche Entwicklung braucht Zeit

Veränderung in Beziehungen

Selbstliebe für dich und für die Welt

Im Kontakt zur Lust – auch für andere

Achtsam wahrnehmen, achtsam kommunizieren

Lust spüren im Körper

Männer und Frauen

Typisch weiblich, typisch männlich?

Unsere Sexualorgane

Nähe durch Sex und Lust durch Nähe

Macht und Ohnmacht

»Dies für das« in der Partnerschaft

Unlust und verweigerte Sexualität

Grenzen kundtun

Kein Sex – was nun?

Die fünf Sprachen der Liebe

Das Konzept

Die Liebessprache verstehen

Scham

Anerzogenes Schamgefühl

Scham und Sexualität

Schamlos hemmungslos?

Es, Ich und Über-Ich

Die drei inneren Dimensionen

Was uns treibt und was uns hemmt

Neue Kompetenzen

Kompetenz in der Sexualität

Lust ist (er)lernbar

Müssen Höhepunkte sein?

Dualität

Autonomie und Bindung

Narzissmus versus Abhängigkeit

Vom Ich zum Wir

Teil II: LUST kommunizieren – bedeutet, den Mut haben, zu sagen, was du willst

Sex und Bedürfnisse

Einladung zu Aufmerksamkeit und Intimität

Bedürfnisse kennenlernen

Ehrlich werden

Umgang mit Kränkungen

Eine Frage der Perspektive

Eskalation ist vermeidbar

Kränkungen aufarbeiten

Konventionen

Wir entscheiden selbst

Wege abseits der Norm

Kommunikation mit den eigenen Sexualorganen

Lustzentrum Gehirn

Der heiße Draht zur Lust

Lust in ihren Formen erforschen

Talk about!

Unser Körper, das unerforschte Wesen

Sexuelle Erregung – ein Reflex?

Erfüllung lernen

(Körper-)Empfindungen ausdrücken

Aktive Selbstliebe

Körperliebe ist Selbstliebe

Den Körper lieben, wie er ist

(Un-)Perfekte Körperlichkeit

Unsere Sinne

Die Wahrnehmung trainieren

Neues gefällig?

Grenzen ziehen

Den persönlichen Raum schützen und erweitern

Stopp mal!

(Lust) gut kommunizieren

Das Vokabular

Das Objekt der Begierde ansprechen

Über das Neinsagen

Auf Augenhöhe kommunizieren

Grundlagen der Transaktion

Gleiche Wellenlänge

Ehrlichkeit beginnt bei dir

Zwiegespräch mit dir selbst

Ehrlichkeit schafft Intimität

Partnerwünsche

Neue Wege beschreiten

Dein Wille geschehe?

Zeit, die das Fremde braucht

Vertrauen, das A und O

Teil III: LUST erleben – bedeutet, dich frei machen, im Moment sein, aktiv werden

Deine und unsere Bedürfnisse heute

Wachstum und (Selbst-)Verwirklichung

Ein Leben nach den eigenen Werten

Was willst du für dich selbst?

Pornos und Prostitution

Männerdomäne oder frauenfreundlich?

Die Konsumopfer

Denken wir um!

Hingabe kann man lernen

Durch Auseinandersetzung wachsen

Einlassen ist keine Einbahnstraße

Trennung als Anfang, nicht als Ende

Heißt Gehen Scheitern?

Für immer zusammen?

Nähe und Distanz

Vom ausgewogenen Maß

Autonomie ist (sexuell) attraktiv

Bindungstypen und -muster

Lust erleben

Normal oder »pervers«?

Neugierig offen sein und bleiben

Lustkiller: Verlustangst und Abhängigkeit

Vom Beziehungsgleichgewicht

Sexualität als Spiegel

Eine gute Beziehung

Das Bootsgleichnis

Liebe lebt auch von der Spannung

Nachspiel

Das duale Prinzip gilt immer

Meine Einladung an dich und an uns

Lust folgt der Selbstliebe

Anhang

Auf einen Blick: Die häufigsten Fragen an eine Sexual- und Paartherapeutin

Danksagung

Literatur zum Nach- und Weiterlesen

Podcasttipps & mehr

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.

Albert Einstein

Vorspiel

Schöne Gefühle

Als ich ein Kind war, hatte ich einen orangefarbenen Hüpfball. An diesem Hüpfball waren zwei Griffe, genau wie der Ball aus Gummi, an denen ich mich festhalten konnte, wenn ich auf unserem Balkon über den Boden dopste. Eines Tages, es war im Sommer und ich trug nur ein leichtes Kleidchen und eine Unterhose, rutschte einer der Griffe unter den Stoff meines Höschens. Ich hüpfte weiter und bemerkte: Das ist ein schönes Gefühl, wenn der Griff des Gummiballs da unten reibt.

Es dauerte nicht lange, ehe ich den Ball anders nutzte als die meisten Kinder in meinem Alter. Es fühlte sich gut an, die Griffe an mir zu reiben, auch wenn ich nicht wusste, warum es so war – oder dass ich, noch nicht einmal eingeschult, gerade die Selbstbefriedigung für mich entdeckte. Und wie viele Möglichkeiten es gab, das schöne, kribbelnde Gefühl in meinem Unterleib zu erzeugen! Mit kindlicher Neugier ging ich auf die Suche nach weiteren Utensilien, um noch mehr von dem guten Gefühl zu bekommen, und entdeckte Duschbrausen, Bettpfosten, Massagedüsen im Schwimmbad und ein Kletterseil in der Turnhalle für mich. Wenn ich mich mit den Händen am Seil hochzog und dabei meinen Körper extrem anspannte, brauchte das Seil nur kurz eine Stelle zwischen meinen Beinen zu berühren, und ich empfand dieselbe angenehme Entspannung, während ich mich langsam am Seil nach unten gleiten ließ.

Ich achtete darauf, dass andere mein Treiben nicht bemerkten, war still, leise und unauffällig. Ich wollte niemanden stören, aber ich wollte auch nicht gestört werden und war jederzeit bereit, aufzuhören, falls mich jemand bemerken würde. Doch ich sorgte mich nicht, dass jemandem mein Verhalten vielleicht auffiel oder was andere darüber denken mochten. Ich hatte ja kein schlechtes Gefühl, ganz im Gegenteil – es war einfach nur aufregend und angenehm. Scham? Kannte ich nicht. Selbstverständlich war ich mir auch nicht darüber im Klaren, dass mich manche, die mein Treiben eventuell doch mitbekamen, eventuell als frühreif, unnormal oder vielleicht sogar krank einstufen würden. Als kleines Mädchen hatte ich all diese Sorgen nicht. Es gab mich, es gab die schönen Gefühle, und da mich niemand auf das ansprach, was ich da tat, gehörte es einfach zu meinem Alltag dazu.a

Alles änderte sich, als ich in die dritte Klasse kam und wir im Religionsunterricht einen Beichtspiegelb bekamen. Das ist so etwas wie die ultimative Auflistung aller Sünden, die es in der Welt der katholischen Kirche gibt. Unser Lehrer war ein sehr stiller, strenger, oft schlecht gelaunter, erzkatholischer Pfarrer, der daran glaubte, dass das Fegefeuer und die Hölle auf uns warteten, wenn wir unsere Sünden nicht beichteten und büßten. Sünden und Gehorsam waren ohnehin seine Lieblingsthemen, und in dieser Schulstunde bestand die Aufgabe darin, dass wir die zehn Hauptsünden und diverse Untersünden von der Tafel in unsere Schulhefte abschreiben sollten. Ich weiß bis heute, dass ich rosafarbene Tinte verwendete, während ich in meiner Schönschrift die Worte von der Tafel kopierte. Als ich schrieb Ich war unkeusch im Sehen, Denken und Tun, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Ich dachte an die Bettpfosten, den Hüpfball und das Kletterseil. An die schönen Gefühle, die in mir aufkamen, wenn ich mich zwischen den Beinen berührte. Ich begriff sofort: Das, was du da machst, ist eine Sünde. Und es war keine kleine Sünde, sie lastete schrecklich auf mir.

Zum Glück hatte ich eine Freundin, mit der ich darüber sprechen konnte. Sie verriet, dass sie Ähnliches tat, und so lachten wir gemeinsam darüber und gaben uns gegenseitig das Gefühl, dass unser Verhalten schon in Ordnung sei. Eine weitere Freundin im Bunde reagierte hingegen entsetzt. Sie fragte mich vor der Beichte stets, wie viele Sünden ich diesmal hätte, und ich antwortete ehrlich: »Zwölf.« Da lachte sie und sagte: »Tja, ich habe nur vier!« Heute denke ich, dass eine ihrer Sünden vielleicht war: Ich habe gelogen.

Zwischen Lust und »Sünde«

Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf im Nordschwarzwald. Da meine Eltern beide sehr katholisch sind, spielte Religion in unserem Leben eine große Rolle, meinem Großvater ist angeblich sogar einmal Maria erschienen. Jeden Sonntag gingen wir in die Kirche, natürlich auch alle vier Wochen zur Beichte, nahmen an Veranstaltungen der Gemeinde teil, dankten dem Herrn vor dem Essen, und wenn Oma und Opa aus dem Odenwald zu Besuch kamen, betete ich als Kind mit ihnen gemeinsam Rosenkränze. Ich liebte die Treffen der Katholischen jungen Gemeinde, die gemeinsamen Hüttenaufenthalte und Urlaube, und als ich irgendwann Jungs toll fand, ertrug ich sogar den langweiligen Gottesdienst und ging fast freiwillig in die Kirche, wo ich meinen Lieblingsministranten anhimmelte und mit ihm bei der Kommunion tiefe Blicke austauschte. Der Glaube – aber leider auch das, was im Alten Testament vermittelt wird (hauptsächlich der eher strafende als der vergebende Gott) – spielte im Leben meiner Familie eine so große Rolle, dass ich bis vor Kurzem noch sicher war, dass die Religion ihnen wichtiger wäre als ich.

Meine Eltern waren in finanzieller Hinsicht nicht reich. Wir führten ein einfaches Leben, das sich hauptsächlich um die Arbeit, die Großfamilie, bescheidenen Wohlstand und eben die Kirche drehte. Heute kann ich verstehen, welche Sicherheit ihnen die Rituale und Liturgien, Gebete und Bibeltexte geben, denn sich an Regeln zu halten und es Obrigkeiten recht zu machen hilft, Angst zu vermeiden. Aber davon hatte ich damals natürlich noch keine Ahnung. Ich hinterfragte die Kirche nicht, sie gehörte zu meinem Leben wie die Berge des Schwarzwalds, der orangefarbene Hüpfball und der gekreuzigte Jesus in der guten Stube meiner Eltern. Zu Beginn meiner Pubertät fand ich sogar Gefallen an der Idee, eines Tages selbst Nonne zu werden. Meine Patentante war Ordensschwester, und irgendwie hatte ich das Gefühl, mit einer solchen Berufswahl andere stolz zu machen.

Glücklicherweise schob sich zwischen mich und das Zölibat jedoch meine Pubertät, und ich fing an, die Grenzen auszutesten. Aufgewachsen mit dem Glaubenssatz »Wer feiern kann, kann auch in die Kirche gehen«, lebte ich ab dem Alter von etwa vierzehn mit der Ambivalenz, mir einerseits die Nächte um die Ohren zu schlagen und Jungs toll zu finden und andererseits am Sonntagvormittag gehorsam und brav, mit Restalkohol im Blut, in der Kirche auf unbequemen Bänken sitzen, Gedanken schweifen zu lassen und Gebete vor mich hin zu murmeln, ohne zu verstehen und zu hinterfragen, was ich da tat.

Eigentlich waren meine Eltern nicht besonders streng mit mir. Als drittes Kind hatte ich viel Freiheit und Ruhe vor ihnen, wenn ich es ihnen recht machte, in der Schule gut war und in die Kirche ging. Also tat ich das. Der Tauschhandel war für mich in Ordnung. Erst sehr viel später machte ich mir bewusst, wie mich einige »Sünden« und die Regeln der katholischen Dorfgemeinschaft erdrückten und mir die Luft abschnürten – auch wenn sie mir lange Zeit viel Sicherheit und Stabilität vermittelt hatten, mir also dabei halfen, mit meiner unbewussten Angst klarzukommen. Ich würde heute natürlich Wut und Lust nicht mehr als Sünde bezeichnen, sondern als Basis-Emotionen, die evolutionär notwendig und hilfreich fürs Überleben sind.

(K)eine Frage von Schuld

Durch zahlreiche Selbsterfahrungen, eine Therapieausbildung und das Leben selbst lernte ich allmählich, meine Ängste besser zu verstehen. Ich begriff, dass ich keine Schuldgefühle haben muss, wenn ich keinen Gottesdienst besuche, und auch nicht, wenn ich mich selbst befriedige oder sonst irgendwie die Freuden genieße, die mein Körper mir vermitteln kann. Doch während meines Studiums waren meine Verdrängungsmechanismen und Schutzmauern noch sehr stark. Ich lernte zwar viel über Psychologie, und sicher legte ich in der Zeit wichtige Grundsteine dafür, wie ich heute denke und die Welt erlebe und wahrnehme, aber wirklich verstanden habe ich die Dualität und Polarität des Lebens erst viel später, mit der Systemischen Therapieausbildung und der Reflexion meines Verhaltens in Beziehungen. Und der schweren Entscheidung, mich vom Vater meiner beiden Söhne zu trennen.

Dennoch war mein Studium der Psychologie im Nachhinein ein regelrechter Befreiungsschlag. Endlich durfte ich Fragen stellen, deren Antworten nicht irgendetwas mit Gott zu tun hatten, und ich lernte, dem menschlichen Geist auf den Grund zu gehen. So verstand ich meine Eltern ein Stück weit besser, aber auch mich, mein Denken und meine Empfindungen. Und ich konnte mir endlich erklären, woher das Gefühl der Schuld in mir kam, das permanent auf mir lastete. Im katholischen Glauben spielt Schuld eine wichtige Rolle. Sobald wir auf die Welt kommen, machen wir uns schuldig – es ist quasi unmöglich, ein Leben ohne schlechtes Gewissen und den Glaubenssatz »Ich bin nicht gut genug« zu führen.

Der Tag, an dem ich das schlechte Gewissen zum ersten Mal bewusst wahrnahm, war der Tag, an dem ich meine erste Beichte vor dem Pfarrer unserer Gemeinde ablegte. Es war nur wenige Wochen nach dem Religionsunterricht, in dem ich erfahren hatte, wie viel Schuld ich durch Hüpfball und Konsorten auf mich geladen hatte – kurz vor der Kommunion! Und nun saß ich da also, keine zehn Jahre alt, furchtbar aufgeregt, und beichtete dem viel älteren, fremden, Furcht einflößenden Mann auf der anderen Seite des Beichtstuhls: Ich war unkeusch im Sehen, Denken und Tun. Weil ich da bereits ahnte, dass es sich bei meinen Vergehen um besonders schwere Taten handelte, schmuggelte ich diese Sünde zwischen all die anderen unbedeutenden Kleinigkeiten, die ein Kind nun einmal so tut. Ich hatte Glück, meine Taktik ging auf. Ich fühlte mich nach der Beichte tatsächlich für kurze Zeit erleichtert und frei. Drei »Gegrüßet seist du, Maria« und sechs Vaterunser später war ich von meinen Sünden reingewaschen und voller Hoffnung, ab jetzt den rechten Weg der Keuschheit einzuschlagen.

Doch mein Körper wollte etwas anderes von mir. Und so dauerte es nicht lange, bis ich erneut Schuld auf mich lud, jetzt nur noch zu Hause unter der Bettdecke. Es war wie verhext. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, mich bis zur nächsten Beichte nicht anzufassen und es dieses Mal besser zu machen, konnte ich es nicht lassen. Kein einziges Mal habe ich vier Wochen ohne Höhepunkt geschafft. Die Wochen, in denen ich auf die nächste Beichte wartete, waren die Hölle und in den Augen gläubiger Katholiken damit vermutlich die gerechte Strafe für mich. Denn ich schämte mich fürchterlich, wenn ich wieder schwach geworden war. Mein Geist war willig, aber das Fleisch so schwach … So ging das bis ins Erwachsenenalter, sogar ohne kirchliche Beichte. Denn obwohl ich irgendwann aufhörte, sonntags in die Kirche und einmal im Monat zur Beichte zu gehen: Das schlechte Gefühl, etwas Verbotenes, Sündiges getan zu haben, weil ich mich berührt und Lust empfunden hatte, blieb.

Inzwischen halte ich das Konzept der Beichte für völlig verrückt, da es Täter-Opfer-Dynamiken verkehrt. Täter müssen sich nicht bei ihren Opfern entschuldigen, sondern erzählen stattdessen dem Pfarrer von dem, was ihr Gewissen belastet. Zudem ist die Beichte, gerade in jungen Jahren, nicht freiwillig. Ich bin ja nicht als neunjähriges Mädchen zu meinen Eltern gegangen und habe gesagt: »Mama, Papa, ich habe gerade Lust darauf, auf Knien einem wildfremden Mann in einem dunklen Beichtstuhl ins Ohr zu flüstern, was ich in den letzten Wochen alles falsch gemacht habe!« Nein, ich musste es tun, beziehungsweise ich tat es, um Ruhe vor meinen Eltern zu haben und einem Konflikt aus dem Weg zu gehen. Ich frage mich heute manchmal, was der Pfarrer sich wohl dachte, während ich ihm meine »Sünden« offenbarte, und bin gleichzeitig dankbar, dass ich nicht Missbrauchsopfer wurde, zumindest nicht körperlich. Der Pfarrer ritt auch nicht verbal auf meinen Vergehen herum, dafür war er selbst vermutlich viel zu erfüllt von Scham.

Unser Umgang mit erotischem Empfinden

Heute, viele Jahre später, kommen immer wieder Menschen in meine Praxis und vermitteln das, was ich über eine sehr lange Zeit empfand: Sex ist schmutzig, Sex ist Sünde, Sex ist schlecht. Das macht man nicht oder nur, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden lässt – oder heimlich. Lust ist unrein. Das sagen sie nicht so direkt, sie sagen eher Dinge wie: »Sex spielt für mich keine Rolle«, »Sex ist mir nicht wichtig«, »Ich denke über Sex nicht nach und will auch nicht darüber nachdenken«, »Ich will über Sex nicht sprechen«, »Sex ist pervers« oder »Ich weiß nicht, warum ich mir Pornos so oft anschaue«.

Die Überzeugung, die uns durch Kirche, Erziehung, Konventionen, Filme, Bücher, Gespräche und so weiter vermittelt wird, sitzt auch noch in Zeiten von Internetpornografie und Seitensprung-Agenturen fest in den Köpfen der Menschen. Man muss niemals einen Fuß in eine Kirche gesetzt haben,c ja nicht einmal gläubig sein, um ein unangenehmes Gefühl zu empfinden, wenn man über seine eigene Sexualität, sein erotisches Empfinden, Selbstbefriedigung, Lust und Leidenschaft befragt wird – oder nur darüber nachdenkt.

Gleichzeitig leben wir in einem Zeitalter der Selbstoptimierung, die nur wenig Raum für die eigenen, verborgenen Dunkelgänge lässt. Jeder Quadratzentimeter des eigenen Körpers wird vermessen, jedes Gefühl wahrgenommen, jeder Gedanke analysiert. Wir zählen Kalorien, tracken den Zyklus und zeichnen unsere Joggingrouten auf. Wir inspizieren unseren Stoffwechsel, erforschen unsere Psyche und analysieren unsere Glaubenssätze.

Aber wann haben wir uns zuletzt wirklich und wahrhaftig mit Sexualität, Lust und Geilheit auseinandergesetzt? Wann haben wir uns gefragt, wie groß die Scham in unserem Inneren ist und warum wir uns nicht mit ihr beschäftigen wollen? Wann sind wir bereit dazu, uns auch dem Dunklen, der Angst, der Wut zu stellen?

Sex hat jeder – zumindest die meisten, aber kaum einer spricht offen und ehrlich mit nahestehenden Menschen darüber. Ein Paradox, leben wir doch in einer übersexualisierten Welt, in der der nächste Porno nur einen Klick entfernt ist und die nackten Körper beinahe jede Werbeanzeige zieren. Dabei hat die eigene Lust (und auch: Unlust) viel mehr mit der eigenen Persönlichkeit zu tun, als die meisten von uns annehmen.

Doch diese Welt wurde über viele Jahrhunderte vom Glauben bestimmt, dass Sexualität etwas Schlechtes ist und höchstens der Vervielfältigung des Menschen dienen darf (aber bitte nur in der Ehe!). Die tradierten Bilder des christlichen Glaubens sind bis heute gültig: Frauen können Heilige oder Hure sein, die Mutter oder die Verführerin, Maria oder Magdalena – aber niemals beides gleichzeitig. Männer wünschen sich eine erfahrene, sexuell aktive Frau, die jedoch wenige Sexualpartner gehabt hat – aber aus Pornos soll sie ihr Wissen bitte auch nicht haben. Während Männer häufig gesellschaftlich an Wert gewinnen, wenn sie promiskuitiv sind, verlieren Frauen an Wert, wenn sie nicht nur mit einem Partner schlafen. Gleichzeitig scheint der weibliche Sex wertiger zu sein als der männliche, weil er eben nicht nur von animalischen Trieben bestimmt wird. Männer wollen nur vögeln, egal wen, egal was. So lautet zumindest die landläufige Meinung, die sowohl den Männern als auch den Frauen unrecht tut. Denn nicht einmal wenige Frauen stehen genauso auf wilden, hemmungslosen, geilen Sex wie Männer, und genauso viele Männer wünschen sich innigen, zärtlichen, vertrauten Sex mit ihrer Partnerin. Weil die Geschlechtszuschreibungen aber immer noch festbetoniert sind, kommt keiner so richtig auf seine Kosten.d

Männliche versus weibliche Sexualität?

Würde man einhundert Menschen in der Fußgängerzone befragen, wer häufiger Sex will, Männer oder Frauen – was würden die meisten Menschen (unter ihnen übrigens auch Männer) sagen? Wahrscheinlich, dass Männer mehr Sex wollen. Es gehört zu den felsenfesten Überzeugungen unserer Kultur, dass die verschiedenen Geschlechter in Sachen Sex vollkommen unterschiedlich ticken, genau genommen sogar nicht vom selben Planeten kommen.

Aber wie bei vielen Mythen, die sich hartnäckig in unserem kollektiven Gedächtnis halten, die von Generation zu Generation weitergegeben, in Filmen, Büchern und »aus Erfahrung« so oft erzählt werden, dass sie irgendwann von der Wahrheit nicht mehr zu unterscheiden sind, ist diese Annahme falsch. Rein biologisch gesehen sind Männer den Frauen nämlich gar nicht so unähnlich, was ihren Sexualtrieb angeht. Zumindest in der Werkseinstellung. Diese Werkseinstellung ist jedoch bald schon überholt. Wir entwickeln uns von Säuglingen zu Babys, werden Kinder, kommen in die Pubertät, lernen dazu, machen Erfahrungen, schauen uns Verhalten von Erwachsenen ab und übernehmen, ohne dass wir es merken, auch ihre Überzeugungen. In der Psychologie nennt man diese auch Glaubenssätze: für unumstößlich gehaltene Annahmen, die wir, meist in der Kindheit, erfahren, hören, gesagt oder eingetrichtert bekommen oder aufschnappen und so sehr verinnerlichen, dass wir gar nicht mehr wissen, wo sie hergekommen sind, und die wir glauben, ohne sie zu hinterfragen. Jeder Mensch hat Glaubenssätze, die in seinem Inneren wirken, sein Verhalten steuern und seine Gefühle beeinflussen.

Es überrascht vermutlich nicht, wenn ich verrate, dass es gerade im Bereich der Sexualität von Glaubenssätzen nur so wimmelt. Beispielsweise: »Männer haben von Natur aus einen stärkeren Sexualtrieb als Frauen.« Garniert wird eine solche Überzeugung gern mit einer pseudowissenschaftlichen Aussage: »Das hat mit der Genetik zu tun, weil Männer ihren Samen weitergeben wollen.«e Oder aber mit dem Testosteron. Aber wir wissen ja überhaupt nicht, wie unsere Gesellschaft aussähe, wenn es seit Tausenden von Jahren Gleichberechtigung gegeben hätte. Und sicher finden sich Frauen auf dieser Welt, die mehr Testosteron aufweisen als einige Männer. Ich will damit sagen: Es liegt nicht am Geschlecht, eher an dem Umstand, wie wir mit unserem Geschlecht und unserem Körper umgehen.

In meinen Sexual- und Paarberatungen erlebe ich häufig, dass es gerade andersherum ist: dass die Frau mehr Lust auf Sex hat als ihr Partner. Komisch, oder? Es kann ja nicht sein, dass die wenigen statistischen Ausreißer alle bei mir in der Beratung landen.f Aus psychologischer Sicht gibt es kein Geschlecht, das mehr Lust auf Sex hat als das andere. Vielmehr ist Sex in der Partnerschaft immer ein Spiegel der Paardynamik: Wer bestimmt, wer passt sich an? Es gibt stets ein Yin und ein Yang, ein Aktiv und ein Passiv, und dabei sind X- und Y-Chromosomen vollkommen egal.

Tatsächlich hat die Wissenschaft mittlerweile herausgefunden,1 dass es nicht am Geschlecht liegt, wie viel oder wie wenig ein Mann oder eine Frau Lust auf Sex hat, sondern dass vielmehr unsere Gene daran beteiligt sind. Ich vertrete allerdings die Auffassung, dass sich Gene im Lauf des Lebens verändern und familiäre Traumata genetisch von Generation zu Generation weitergegeben werden, wenn sie nicht aufgearbeitet, transformiert, gelöst, geheilt, aber zumindest reflektiert werden.

Wenn man im Freundeskreis herumfragt, finden sich trotzdem überproportional viele Frauen, die augenrollend abwinken, wenn sie zum Thema befragt werden, und überdurchschnittlich viele Männer, die allem Anschein nach in ihrer Beziehung sexuell zu kurz kommen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen Wissenschaft auf der einen und Erfahrungswerten auf der anderen Seite?

Schuld daran sind unsere Sozialisation, unsere Erziehung, aber auch die Dinge, die wir über Sex denken: unsere Glaubenssätze. Männer und Frauen wachsen, was Sex angeht, nämlich vollkommen unterschiedlich auf. Die meisten Jungs schauen irgendwann Pornos und halten die eigene Sexualität für selbstverständlich. Für sie ist es viel normaler, zu tun und auszuleben, worauf sie Lust haben. Mädchen indes konsumieren in ihrer Jugend vor allem romantische Liebeskomödien, in denen sie mit der Überzeugung gefüttert werden, Sex sei etwas Besonderes, das man nur mit jemandem teilen dürfe, in den man wirklich verliebt ist. Über Masturbation wird so gut wie nie gesprochen – weder unter Mädchen noch unter Frauen –, Sex ist sogar gefährlich, denn er kann schwanger machen, und das Großziehen der Kinder war jahrtausendelang Angelegenheit der Weiblichkeit und brachte Abhängigkeit und Unfreiheit mit sich.

Irgendwann, wenn diese liebeskomödienerfahrenen Mädchen und pornobegeisterten Jungs dann aufeinandertreffen, knallt es natürlich so richtig. Leider nicht im positiven Sinne. So verhindern unsere kulturellen, aber auch familiären Prägungen sowie die Überzeugungen, die wir im Laufe unseres jungen Lebens zum Thema Sex sammeln, dass wir später eine erfüllte und zufriedenstellende Sexualität erleben. Übrigens für beide Seiten. Deshalb leiden viele Paare – manchmal nur einer, meistens aber beide.

Der Frust mit der Lust

Aus medizinischer Sicht ist Sex absolut empfehlenswert – natürlich nur, wenn er einvernehmlich stattfindet und beide Lust darauf haben. Die körperliche Befriedigung ist gut für den Körper und nachweislich gesund, denn die Ausschüttung des »Kuschelhormons« Oxytocin stärkt das Immunsystem und sorgt für eine längere Lebenserwartung. Aber auch der Psyche tun regelmäßige erotische Sporteinheiten gut: Sex erzeugt Lebensenergie, Leichtigkeit, Nähe, Genuss, Wachstum, Veränderung, Selbstreflexion und Zufriedenheit. Er ist damit sogar noch gesünder als Joggen und macht den meisten Menschen auch mehr Spaß.

Warum haben dann nicht viel mehr Leute Sex? Naheliegend ist: Nur die wenigsten Religionen haben einen positiven Zugang zur Sexualität. Religion aber prägt die (Lebens-)Einstellung von Menschen. Gerade auch das Christentum erklärt, wie bereits beschrieben, bis heute Wollust zur Sünde – ein Glaubenssatz, der über eine unermesslich lange Zeit in die Köpfe der Menschen eingetrichtert wurde. So kommt es, dass bis heute Frauen bei mir in der Praxis zugeben, dass sie lange Zeit dachten: »Sex ist etwas Schmutziges! Da spricht man nicht drüber.« (Was so viel heißt wie: Man praktiziert ihn im besten Fall auch nicht oder nur heimlich.) Sexualität und Lust sind bei diesen Klientinnen so eng an Scham und Schuldgefühle gekoppelt, dass es nicht überrascht, wenn sie keinen Spaß daran haben. Meistens sind diese Frauen dankbar, dass sie mit mir sehr offen über Sexualität reden können. Da ich auch aufgrund meines Berufs inzwischen recht schambefreit über das Thema sprechen kann, wird die Scham der Klientinnen nicht getriggert, wenn sie sich mit mir austauschen, und sie können sich besser öffnen.

Warum aber ist es überhaupt ein Problem, wenn einer der Partner keine Lust auf Sex hat? Ganz einfach: Seine oder ihre Haltung verleidet die Lust nicht nur sich selbst und dem anderen, sie sorgt auch für ein moralisches Ungleichgewicht. Wenn sich nämlich ein Partner mit dieser Einstellung über die Bedürfnisse des anderen stellt, stellt er sich damit auch moralisch über den anderen: »Du bist ›befleckt‹ und voll der Sünde. Ich bin rein und ehrenhaft.« Im schlimmsten Fall erziehen diese Menschen Kinder, denen sie erzählen, dass manche Leute mit ihrem Geschlechtsorgan denken und andere ihre Triebe besser im Griff, ergo auch mehr Moral haben.

Überzeugungen wie diese sind der Grund, warum sich viele Frauen mit ihrer eigenen Sexualität nicht auseinandersetzen. Sie schlafen mit ihren Männern (manchmal sogar mit anderen), weil sie denken, es gehöre nun mal dazu – oder sie tun es ihrem Partner zuliebe, empfinden dabei aber keine angenehmen Gefühle, werden nicht feucht, benutzen Gleitgel und haben trotzdem Schmerzen. Sie wissen oft nicht einmal, was sie selbst wollen oder worauf sie Lust haben, sondern verdrängen das Thema lieber. Oder sie lassen Sex über sich ergehen, ohne irgendeine Form der Lust dabei zu empfinden, damit der Partner nicht schlecht gelaunt oder unfreundlich zu den Kindern ist, oder einfach nur, weil sie hoffen, sein Fremdgehen damit zu verhindern. In meinen Augen grenzt das an Prostitution, zwar nicht gegen Geld, aber gegen Sicherheit und Zuneigung. Und das kann sich nicht gut anfühlen, für keinen der Beteiligten.

Doch in meiner Praxis erlebe ich wie gesagt oft das Gegenteil, also Männer, die nur aus Pflichtgefühl und um des lieben Friedens willens mit ihrer Partnerin ins Bett gehen und gar nicht darüber nachdenken, wo ihre Erektionsstörungen herkommen könnten. Lieber benutzen sie diese als gute Ausrede, um keinen Sex mit ihrer (vielleicht oft mütterlichen) Partnerin haben zu müssen. Die Männer sprechen in der Regel aber noch weniger über das »Problem«, immerhin sehen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, irgendwie nicht ganz richtig im Kopf beziehungsweise in der Hose zu sein, wo doch alle Männer eigentlich immer nur das eine wollen.

Glaubenssätze sind nicht exklusiv den Frauen vorbehalten. Denn auch Männer sind von allerlei Gedanken überzeugt, beispielsweise dass Frauen grundsätzlich weniger Lust haben als sie selbst oder dass für Frauen die Kinder immer an erster Stelle stehen. Dass ein langes Vorspiel nötig ist, um einer Frau Lust zu bereiten, und dass Männer immer »können« müssen. Außerdem legen sich einige Männer die Argumentation zurecht, dass es im Grunde okay sei, sich außerhalb der Beziehung sexuell zu betätigen, denn das machten ja schließlich alle so, und es sei ja auch »nur« Sex. Viele Männer denken auch, Frauen wären damit überfordert, wenn sie wüssten, welche Einstellung sie zur Sexualität haben und was sie anregend finden. Das hat zur Folge, dass manche Fremdgeher sich selbst versichern, dass ihre Partnerin es ja eigentlich weiß und in Kauf nimmt, vielleicht sogar dankbar dafür ist, weil sie selbst nicht so oft ranmuss.

Was die felsenfesten, bewussten oder unbewussten und oft falschen Überzeugungen angeht, unterscheiden sich Männer und Frauen also keinesfalls. In einem Punkt sind die Geschlechter aber tatsächlich sehr verschieden: Männer können viel besser Dinge mit sich selbst ausmachen und besser für sich sorgen. Ihre Fähigkeit zur Selbstliebe ist oft stärker ausgeprägt. Wenn ihnen etwas nicht passt, wehren sie sich. Das können Frauen nicht so gut, was viele Männer nicht begreifen. Sie sind überrascht, wenn sie erfahren, dass die meisten Frauen nicht gelernt haben, zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen, sich aus Angst oft viel zu sehr anpassen und eben nicht gut darin sind, das zu tun, worauf sie Lust haben.

Doch egal ob es sich um Männer oder Frauen handelt: Erstaunlich viele Menschen schämen sich, sich mit Fragen hinsichtlich ihrer Lust oder Sexualität auseinanderzusetzen. Das Thema berührt zentral den eigenen Selbstwert, die menschliche Würde, und kann schmerzhaft oder kränkend für den Partner sein, vor allem dann, wenn beide ehrlich zu sich und zum anderen werden.

Betreiben wir Selbstfürsorge!

Mit diesem Buch lade ich alle, die es lesen, dazu ein, die eigene Sexualität zu reflektieren, sich neugierig zu erforschen, die eigenen emotionalen und körperlichen Reaktionen besser kennen und einschätzen zu lernen und damit die Fähigkeit zur Selbstliebe auszubauen. Wer selbstbestimmt lebt und Verantwortung für seine sexuelle Zufriedenheit übernimmt, anstatt nur den Partner dafür verantwortlich zu machen oder ausschließlich dessen Wünsche zu erfüllen, wird zukünftig nicht nur in der Lage sein, die eigene Lust besser zu verstehen, sondern auch auszuleben – und somit in besserem Kontakt zu sich selbst und seiner Selbstfürsorge stehen.

Teil I:

LUST verstehen und annehmen – bedeutet dich verstehen und annehmen

Was ist Lust?

Häufig sind die einfachsten Fragen am schwersten zu beantworten. Beispielsweise: Was ist Lust, und wie fühlt sie sich an? Tauchen wir zunächst etwas tiefer ein in die Welt unserer Gefühle, um uns der Lust zu nähern.

Die zwei Ebenen unserer Gefühle

Der Mensch verfügt über eine Vielzahl von Emotionen. Sie zeigen sich in einer kognitiven Komponente (in Form von Gedanken) sowie einer physiologischen/körperlichen Komponente (Gefühle), und sie haben Einfluss auf unsere Motivation, wenn wir beispielsweise eine Idee in die Tat umsetzen. Da einige Emotionen wie Angst, Wut, Neid, Eifersucht, Kränkung, Trauer, Schmerz oder Minderwertigkeitsgefühle sehr anstrengend und unangenehm sind, erfinden wir Menschen Muster, um diese Emotionen nicht fühlen zu müssen, und verdrängen sie ins Unbewusste.

Das Bild des Eisbergs passt hier gut: Über der Wasseroberfläche, also im sichtbaren Bereich, befindet sich der wahrnehmbare Teil der Gedanken und Gefühle. Sie sind uns bewusst, wir nehmen sie auf verschiedenen Ebenen wahr und drücken sie in Sprache, Mimik, Gestik und Handlungen (oder eben dem Unterlassen von Handlungen) aus. Unter der Wasseroberfläche, im nicht sichtbaren Bereich beziehungsweise den ältesten, am tiefsten liegenden Hirnarealen des Menschen, liegt das Unbewusste. Dort finden sich auch die Glaubenssätze, von denen ich bereits gesprochen habe. Von diesen Hirnarealen werden vereinfacht gesagt das autonome Nervensystem und damit auch körperliche Reaktionen gesteuert (zum Beispiel eine Gänsehaut, unbewusste Mimik, Schwitzen und so weiter). Aber auch sogenannte Primäremotionen, zu denen wir noch kommen werden, entstehen in diesem Bereich, genauer gesagt im limbischen System und der Amygdala. Außen, im Neocortex, sind rationale Entscheidungen, Logik und Denken angesiedelt. Hier wird entschieden, wie wir Emotionen bewerten, wie wir auf sie reagieren (Sekundäremotionen) und was wir davon zeigen.