7,99 €
Kritik und Leser sind sich einig: Sherlock Holmes war – und ist – der größte Detektiv aller Zeiten. Und er wird es bleiben, auch in der Zukunft.
Unter der Schirmherrschaft von Isaac Asimov, Martin H. Greenberg und Charles Waugh haben sich die gewitztesten Verfasser der Phantastik zusammengetan, um erfindungsreich und wortgewandt zu beweisen, dass der Meister der Deduktion auch in der Ära der Mikrochips und Computer unschlagbar ist – auch wenn gelegentlich Maschinen dazu dienen, seine ungewöhnlichen Methoden zu vervollkommnen.
Sir Arthur Conan Doyles größter Held – erstmals in Welten und Zeiten versetzt, die sein Schöpfer sich nie träumen ließ!
Erleben Sie seine haarsträubenden Abenteuer in Utopia! Ein einmaliges Lesevergnügen garantieren – neben Arthur Conan Doyle – Isaac Asimov, Philip José Farmer, Anne Lear, Poul Anderson, Gordon R. Dickson, Barbara Williamson, Sterling E. Lanier, Mack Reynolds, Edward Wellen, Fred Saberhagen, Gene Wolf, Richard Lupoff und James Powell.
Der ultimative Trip - für Krimi- und Science-Fiction-Leser gleichermaßen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2018
MARTIN H. GREENBERG/
CHARLES WAUGH (Hrsg.)
Mit Sherlock Holmes
durch Zeit und Raum
Erzählungen
Apex Science-Fiction-Klassiker, Band 23
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
SHERLOCK HOLMES - Ein Vorwort von Isaac Asimov
Sir Arthur Conan Doyle: DER TEUFELSFUSS
Philip José Farmer (als Harry Manders): DAS PROBLEM DER VERDROSSENEN BRÜCKE –
UNTER ANDEREM
Anne Lear: DAS ABENTEUER DES WELTREISENDEN
S. N. Farber: DAS GROSSE GEHEIMNIS DES STUDENTENWOHNHEIMS
Poul Anderson und Gordon R. Dickson: DIE RÜCKKEHR DES HUNDES VON BASKERVILLE
Barbara Williamson: WAS DRAUSSEN WARTET
Sterling E. Lanier: DIE GESCHICHTE EINES VATERS
Mack Reynolds: DAS ABENTEUER MIT DEM AUSSERIRDISCHEN
Philip José Farmer (als Jonathan Swift Somers III): EINE SCHARLACH-STUDIE
Edward Wellen: DIE STIMME AUS DEM NICHTS
Fred Saberhagen: DAS ABENTEUER DES METALLENEN MÖRDERS
Gene Wolfe: SILBERSKLAVEN
Richard Lupoff (als Ova Hamlet): DER GOTT DES NACKTEN EINHORNS
James Powell: TOD IN DER WEIHNACHTSSTUNDE
Isaac Asimov: DAS ULTIMATE VERBRECHEN
Einzelrechte / Übersetzervermerke
Kritik und Leser sind sich einig: Sherlock Holmes war – und ist – der größte Detektiv aller Zeiten. Und er wird es bleiben, auch in der Zukunft.
Unter der Schirmherrschaft von Isaac Asimov, Martin H. Greenberg und Charles Waugh haben sich die gewitztesten Verfasser der Phantastik zusammengetan, um erfindungsreich und wortgewandt zu beweisen, dass der Meister der Deduktion auch in der Ära der Mikrochips und Computer unschlagbar ist – auch wenn gelegentlich Maschinen dazu dienen, seine ungewöhnlichen Methoden zu vervollkommnen.
Sir Arthur Conan Doyles größter Held – erstmals in Welten und Zeiten versetzt, die sein Schöpfer sich nie träumen ließ!
Erleben Sie seine haarsträubenden Abenteuer in Utopia! Ein einmaliges Lesevergnügen garantieren – neben Arthur Conan Doyle – Isaac Asimov, Philip José Farmer, Anne Lear, Poul Anderson, Gordon R. Dickson, Barbara Williamson, Sterling E. Lanier, Mack Reynolds, Edward Wellen, Fred Saberhagen, Gene Wolf, Richard Lupoff und James Powell.
Der ultimative Trip - für Krimi- und Science-Fiction-Leser gleichermaßen!
»Watson! Das Spiel ist im Gange.«
Sherlock Holmes
Man kann leicht belegen, dass Sherlock Holmes die erfolgreichste fiktive Gestalt aller Zeiten ist. Vor einem Jahrhundert entstand er im Geiste von Arthur Conan Doyle, und während dieses Zeitraums hat er unzählige Millionen von Lesern mit einer Intensität erfreut, die während der Zeit nicht nachgelassen hat. Ein beträchtlicher Teil dieser Leser weigerte sich, Holmes als fiktive Gestalt anzusehen, sondern war (und, da bin ich mir sicher, ist manchmal auch heute noch) überzeugt, dass er wirklich lebte, und schickte ihm Briefe, adressiert an die 221B Baker Street, in denen er um Hilfe bei der Lösung diverser Probleme gebeten wurde.
Dieser gewaltige Erfolg, der der Leserschaft im allgemeinen Vergnügen bereitete, war für Conan Doyle die Quelle großer Verärgerung. Sherlock Holmes überstrahlte all seine anderen literarischen Bemühungen, die im gewaltigen Schatten des Detektivs verkümmerten und eingingen. Er überstrahlte sogar Conan Doyle als Individuum, denn der Autor war schließlich nichts weiter als der Vermittler zwischen dem Detektiv und der Leserschaft.
Conan Doyle wusste dies und grollte bitter darüber. Er versuchte sein Sklavendasein zu beenden, indem er für jede neue Geschichte, die er schrieb, ein höheres Honorar forderte. Es funktionierte nicht; er bekam immer, was er verlangte. Er griff zu drastischeren Mitteln und schrieb eine Geschichte, in der er seinen Detektiv unbarmherzig tötete. Es funktionierte nicht; die erzürnten Forderungen der Leserschaft zwangen ihn, Holmes auferstehen zu lassen.
Ich habe oft darüber nachgedacht, ob sich Conan Doyle in späteren Jahren dem Spiritismus und anderen Torheiten zuwandte, weil er (unbewusst?) versuchte, sich von Holmes zu lösen und eine andere Art von Ruhm zu erlangen, der allein ihm gelten würde. Die übersteigerte Irrationalität, der er sich hingab (er glaubte an Feen und ließ sich von offensichtlich gefälschten Fotos täuschen) kann durchaus ein wilder Versuch gewesen sein, gegen Holmes' überlegene Rationalität zu rebellieren. Wenn dem so war, hat es auch nicht funktioniert. Conan Doyle wurde verlacht, doch Sherlock Holmes wurde immer noch verehrt.
Holmes' Erfolg ließ ihn schnell Aufnahme in der ansehnlichen Liste von (sowohl echten wie fiktiven) Menschen finden, die man nicht erklären muss. Was ich damit meine, ist einfach:
Wenn Holmes den Meisterschurken James Moriarty als Napoleon des Verbrechens bezeichnet, hält er sich nicht damit auf, eigens zu erklären, wer Napoleon war. Er setzt voraus, dass Watson weiß, wer Napoleon war, und Conan Doyle kann beruhigt davon ausgehen, dass praktisch jeder, der ihn liest, weiß, wer Napoleon war.
Genauso erklärt niemand, wenn er einen anderen als »einen richtiggehenden Sherlock Holmes« beschreibt, was er damit meint. Der Name ist Teil der englischen (und sicher auch deutschen - d. Übers.) Sprache geworden. Ein jeder von uns setzt voraus, dass alle anderen genau wissen, wer Sherlock Holmes ist.
Holmes bestimmt für alle Zeiten das Holz, aus dem die Detektive geschnitzt werden, zumindest die unfehlbar faszinierenden. Um keine Zweifel entstehen zu lassen - es gab schon vor Holmes fiktive Detektive, und einige davon werden Conan Doyles geistige Schöpfung zweifellos inspiriert haben (auf jeden Fall Edgar Allan Poes Detektiv Dupin), doch der überwältigende Erfolg und die Popularität Sherlock Holmes' wischten alle, die vor ihm existiert hatten, aus, als hätte es sie niemals gegeben. Es war Holmes, der zum Modell wurde.
Holmes war ein begabter Amateur, der klar durch einen Nebel schauen konnte, der die berufsmäßigen Polizisten (die Stümper von Scotland Yard) hoffnungslos verwirrte.
Dies klingt wie eine Umkehrung der natürlichen Ordnung der Dinge. Wie können Amateure den Profis überlegen sein? Doch in Wirklichkeit ist dies eine Spiegelung der viktorianischen Abgötterei und der Akzeptanz der Engländer ihres Kastensystems. Die Pfuscher von Scotland Yard gehörten bestenfalls zur Mittelklasse; vielleicht entstammten sie ursprünglich noch einer tieferen Klasse. Der begabte Amateur jedoch war ein Gentleman, der Eton (oder Harrow) und Oxford (oder Cambridge) besucht hatte. Natürlich war ein englischer Gentleman schon von Geburt her niedrigen Polizeibeamten oder anderen Menschen jenseits der Grenzen des Erlaubten weit überlegen.
Und so entstand die Tradition des Gentleman-Detektivs, die ein Jahrhundert lang bei hervorragenden Kriminalromanschriftstellern, gerade bei englischen, besonders beliebt war, wobei Peter Wimsey vielleicht der extremste Fall ist. Selbst als die Detektive Profis waren, entstammten sie oftmals höheren Schichten und waren aus irgendeiner Laune heraus Polizisten geworden (Roderick Alleyn und John Appleby zum Beispiel).
Die Krimiautoren, die Conan Doyle folgten, versuchten keineswegs, ihre Dankesschuld zu verbergen; sie hätten es auch gar nicht gekonnt. Nehmen Sie nur den ersten Kriminalroman von Agatha Christie (der erfolgreichsten aller Schriftsteller nach Doyle), Das fehlende Glied in der Kette. Der Erzähler, Captain Hastings, gesteht seinen Ehrgeiz ein, selbst Detektiv zu werden. Man stellt ihm die Frage: »Wie im wirklichen Leben - Scotland Yard? Oder Sherlock Holmes?« Und Hastings erwiderte: »Oh, auf alle Fälle Sherlock Holmes.«
Und so ist die Bühne in dieser Hinsicht bereit für den Auftritt von Hercule Poirot, des besten aller fiktiven Detektive in der Tradition von Sherlock Holmes.
Um ein paar Sprossen auf der Leiter hinabzusteigen - ich habe meine eigene Schöpfung, den Kellner Henry, in den Stories, in denen er auftritt, als den Sherlock Holmes der Schwarzen Witwer beschrieben. Da es sinnlos ist, die Schuld abzustreiten, bekennen sich die Krimiautoren schamlos zu ihr und entwaffnen so schon im Voraus jene, die ansonsten die Nase rümpfen würden.
Sherlock Holmes lud natürlich sowohl zu verehrenden wie auch verspottenden Imitationen ein. Mark Twain war einer der Spötter, doch das Ergebnis seiner Arbeit war leider nicht besonders. Erfolgreicher war Robert Fish mit seinen Schlock-Homes-Stories. Solange Conan Doyles Gestalt unter Urheberrechtschutz stand, konnten sich die Autoren natürlich nur indirekt auf Holmes beziehen, doch es gelang ihnen, auf die mannigfaltigsten Arten Pastiches zu verfassen, oftmals humorvolle. Nachdem die Geschichten in den Besitz der Allgemeinheit übergegangen waren, entstanden in überraschender Anzahl neue Sherlock-Hol- mes-Geschichten, die meisten in jeder Hinsicht so eng an das Original angelehnt, wie es dem Autor nur möglich war.
In der Tat sind die Sherlock-Holmes-Fortsetzungen, Parodien und Pastiches so zahlreich, dass sie mehreren Untergattungen zugeordnet werden können. Die besondere Untergruppe, mit der wir uns in diesem Buch beschäftigen, sind Geschichten, in dem das Sherlock-Holmes-Oeuvre unter den Bedingungen der Science Fiction oder Fantasy abgehandelt wird, und es ist überraschend (wie Sie sehen werden), wie gut die Legende die Verwandlung überstanden hat.
Das Buch enthält fünfzehn Geschichten, die sich auf die eine oder andere Art mit Sherlock Holmes befassen. Die erste Geschichte stammt von Conan Doyle selbst, eine authentische Holmes-Story mit dem Titel Der Teufelsfuß, eine von zwei Geschichten, die unter Berücksichtigung aller Kriterien durchaus zur Science Fiction gezählt werden können. Sie stellt darüber hinaus sehr gute Science Fiction dar, und Sie werden erstaunt sein, wie genau Conan Doyle ein Phänomen vorwegnahm, das eine Generation nach seinem Tod schon alltäglich war.
Die letzte Story zählt zu meinem Zyklus über die Schwarzen Witwer; in ihr wird ein Aspekt der Holmes-Stories im wahren Geist der Baker Street Irregulars analysiert und eine legitime Schlussfolgerung erreicht (Einzelheiten über diese Organisation finden Sie in der Geschichte selbst).
Dazwischen finden Sie dreizehn Stories, in denen Sie dem Geist von Sherlock Holmes in Gestalt von Tieren, Robotern, Außerirdischen und so weiter begegnen werden. In dieser Hinsicht ist der Phantasie der Autoren keine Grenze gesetzt - oder dem Vergnügen, das sie allen wahren Sherlockianern (der amerikanische Ausdruck) oder Holmesianern (der englische) bereiten werden.
In der Tat schrieb Conan Doyle auch Science Fiction, und zwar sehr gute. Ich persönlich bin der Meinung - und ich hoffe, die Baker Street Irregulars lesen dies nicht -, dass seine Science Fiction besser ist als seine Kriminalerzählungen.
Zu Frühlingsbeginn des Jahres 1897 zeigten sich bei Sherlock Holmes bedenkliche Symptome einer Beeinträchtigung seiner eisernen Konstitution. Angesichts unablässiger schwerer Arbeit hatte er Monate hindurch höchste Ansprüche an seine Kräfte gestellt, bisweilen sogar unbekümmert Raubbau mit ihnen getrieben. Sein Gesundheitszustand war nun einmal etwas, dem mein Freund nicht die leiseste Beachtung schenkte. Aber Dr. Moore Agar, aus der Harley Street, der auf so dramatische Weise mit Holmes bekannt geworden war (vielleicht werde ich eines Tages noch darüber berichten), hatte strengstens angeordnet, unser berühmter Privatdetektiv müsse vorläufig seine sämtlichen Fälle beiseitelegen und Urlaub nehmen, um uneingeschränkt der Ruhe zu pflegen, sofern er einen vollständigen Zusammenbruch vermeiden wolle. Und da sich damit die Drohung verband, er werde seinen Beruf dann kaum mehr ausüben können, entschloss Holmes sich im März wirklich zu einem Luft- und Tapetenwechsel. So landeten wir bald darauf in einem Häuschen nahe der Poldhubucht am äußersten Zipfel der Halbinsel von Cornwall. Die Gegend war einzigartig und passte so recht zu der grimmen Laune meines Patienten. Aus den Fenstern unseres kleinen weißgetünchten Hauses, das hoch oben auf einer grasbewachsenen Anhöhe stand, sahen wir in den finsteren Halbkreis von Mounts Bay hinunter, mitten in diese alte Todesfälle, an deren dunklen, von wütender Brandung umschäumten Felsenriffen schon unzählige Schiffe zerschellt und Matrosen zugrunde gegangen sind. Weht die Brise von Norden, liegt die Bucht friedlich und schutzverheißend da. Sie lädt das sturmgepeitschte Fahrzeug ein, hier anzulegen und auszuruhen. Aber plötzlich wieder fegt ein Wirbelwind um die Klippen, Vorbote des alles verheerenden Südwestorkans mit Dregganker und letzter Schlacht in den schäumenden Brechern. Der kluge Seemann meidet diesen verhängnisvollen Ort.
Landeinwärts war unsere Umgebung kaum weniger unheimlich. Einsam und schwarzbraun erstreckten sich weithin die welligen Moore. Gelegentlich nur ragt ein Kirchturm in den Himmel, um die Lage eines altertümlichen Dorfes zu kennzeichnen. Kreuz und quer durch dieses Marschland ziehen sich die Spuren entschwundener Geschlechter, von denen nichts mehr zeugt als seltsame Steindenkmäler, unförmige Hügel, welche die Asche der Toten enthalten, und merkwürdige Erdbauten, die auf prähistorisches Leben hinweisen. Immerhin, der Zauber und die geheimnisumwitterte Atmosphäre der Gegend mit ihrer spukhaften Beschwörung vergessener Völker regte die Einbildungskraft meines Freundes an. Er brachte viel Zeit mit langen Spaziergängen und einsamen Meditationen auf dem Moor zu. Auch die alte cornische Sprache hatte es ihm angetan. Ich erinnere mich, dass er verwandte Züge mit der chaldäischen entdeckte und die Ansicht vertrat, vieles darin lasse sich vom Einfluss der phönizischen Zinnhändler herleiten. Er hatte sich einen Stapel Bücher kommen lassen und war gerade dabei, seine These zu entwickeln, als wir mit einem Schlag - zu meinem Kummer und seiner unverhohlenen Freude - in ein Problem hineingerieten, das unmittelbar vor unserer Tür lag. So wurde unser einfaches Leben, der lässige, gesunde Tagesablauf gewaltsam von Ereignissen durchbrochen, die unendlich viel rätselhafter, spannender und mitreißender waren als jene, die uns aus London vertrieben hatten.
Ich komme noch einmal auf die Kirchtürme als die Wahrzeichen der umliegenden Dörfer zurück. Das nächste gehörte zu dem Weiler von Tredannick Wollas, wo die Behausungen von ein paar hundert Einwohnern sich um eine alte moosüberwachsene Kirche scharten. Der Pfarrer dieser Gemeinde, Mr. Roundhay, hatte etwas für die Archäologie übrig. Und als archäologischer Amateur machte Holmes seine Bekanntschaft. Er war ein behäbiger, leutseliger Mann mittleren Alters, mit einem beachtlichen Fundus an Wissen über die Entstehungsgeschichte Cornwalls. Er lud uns in das Pfarrhaus zum Tee ein, und dort lernten wir auch Mr. Mortimer Tregennis, einen alleinstehenden, unabhängigen Herrn kennen, der die spärlichen Einkünfte des Geistlichen dadurch etwas verbesserte, dass er einige Zimmer in dessen großem, weitläufigem Hause gemietet hatte. Der Pfarrer, selbst Junggeselle, war froh gewesen, dieses Übereinkommen treffen zu können, obwohl er sonst wenig mit seinem Untermieter gemein hatte. Dieser, ein hagerer, dunkler Brillenträger, hielt sich so krumm, dass man meinen konnte, er habe einen Buckel. Ich entsinne mich noch, dass während unseres kurzen Besuches der Pfarrer uns recht geschwätzig vorkam, während Mr. Tregennis sich auffallend schweigsam verhielt. Er machte den Eindruck eines eher trübseligen, nach innen gekehrten Menschen, saß mit abgewandten Augen da und grübelte anscheinend über eigene Angelegenheiten nach.
Diese beiden Männer betraten am Dienstag, dem 16. März, unvermittelt unser kleines Wohnzimmer. Es war erst kurz nach dem Frühstück, wir rauchten noch und schickten uns gerade an, uns für unseren täglichen Ausflug in die Moorlandschaft zu rüsten.
»Heute Nacht hat sich etwas höchst Ungewöhnliches und Tragisches ereignet, Mr. Holmes«, begann der Pfarrer in lautem, aufgeregtem Ton. »Die Begebenheit ist schier unglaublich, und wir können der Vorsehung nur danken, die uns gerade Sie hierhergeschickt hat, denn Sie sind in ganz England der einzige Mann, der uns jetzt nottut.«
Nicht eben freundlichen Blicks starrte ich dem Störenfried ins Gesicht; aber mein Freund hatte die Pfeife aus dem Mund genommen und saß kerzengerade in seinem Sessel, wie ein alter Jagdhund, der endlich wieder den Hetzruf hört. Er machte eine auffordernde Geste zum Sofa hin, worauf unser schweratmender Besucher und sein verstörter Gefährte sogleich dort Platz nahmen. Mr. Mortimer Tregennis zeigte zwar mehr Selbstbeherrschung als der Geistliche, aber das Zucken seiner mageren Hände und der eigentümliche Glanz in seinen dunklen Augen gaben Zeugnis dafür, dass er nicht minder erregt war als der andere.
»Soll ich sprechen, oder wollen Sie es tun?«, fragte er den Pfarrer.
»Nun, da offenbar Sie die Sache entdeckt haben, worum auch immer es sich handeln mag, während der Herr Pfarrer sie nur aus zweiter Hand hat, sollten vielleicht besser Sie das Wort ergreifen«, ermunterte ihn Holmes.
Ich sah mir den hastig angezogenen Pfarrer und den mit Sorgfalt gekleideten Untermieter an und war belustigt, welche Überraschung diese Folgerung in beider Miene auslöste.
»Vielleicht sollte doch lieber ich erst ein paar Worte sagen«, meinte Mr. Roundhay. »Dann können Sie selbst beurteilen, ob Sie erst noch Einzelheiten von Mr. Tregennis hören oder lieber sofort mit uns zum Schauplatz dieser seltsamen Geschichte eilen wollen. Ich darf also erklären, dass unser Freund hier den gestrigen Abend in Gesellschaft seiner zwei Brüder, Owen und George, sowie seiner Schwester Brenda zugebracht hat, und zwar bei ihnen zu Hause, in Tredannick Wartha, auf der Höhe des alten Steinkreuzes. Er verließ seine Verwandten kurz nach zehn Uhr, um welche Zeit diese noch beim Kartenspiel saßen und sich ausgezeichneter Gesundheit und Laune erfreuten. Da Mr. Tregennis Frühaufsteher ist, ging er heute Morgen schon zeitig aus dem Haus, in derselben Richtung, als er vom Wagen Dr. Richards eingeholt wurde. Der Arzt teilte ihm mit, man habe gerade aus Tredannick Wartha dringend nach ihm gesandt. Mr. Tregennis fuhr daraufhin natürlich mit dem Arzt. In Tredannick Wartha fand er seine Familie in unfassbar grauenhaftem Zustand wieder. Zwar saßen alle noch um den Tisch, genauso, wie er sie am Abend zuvor verlassen hatte. Vor ihnen lagen ausgebreitet die Karten. Die Kerzen waren in ihren Haltern völlig heruntergebrannt. Aber die Schwester lehnte tot - wie versteinert - in ihrem Sessel, und die Brüder schrien und lachten zu ihren beiden Seiten und gebärdeten sich gänzlich von Sinnen. Alle drei, die Tote wie die zwei Geistesgestörten, trugen, zur scheußlichen Grimasse verzerrt, den Ausdruck des Entsetzens auf ihren Gesichtern. Anscheinend hielt sich sonst niemand im Hause auf, außer Mrs. Porter, der alten Köchin und Beschließerin. Sie behauptet, die ganze Nacht fest geschlafen und keinen Ton gehört zu haben. Es sei nichts gestohlen worden und nichts in Unordnung gebracht. Überhaupt fehlt jegliche Erklärung dafür, welcher Schrecken den Tod des Mädchens und den Wahnsinn zweier gesunder und kräftiger Männer bewirkt haben kann. Das wäre in Kürze der Stand der Dinge, Mr. Holmes - und wenn Sie uns helfen möchten, die Ursache herauszufinden, so tun Sie ein großes Werk.«
Ich hatte gehofft, meinen Gefährten auf irgendeine Weise zu der Ruhe überreden zu können, die ja der eigentliche Zweck unserer Reise gewesen. Aber ein Blick auf seinen gespannten Ausdruck und die zusammengezogenen Brauen belehrte mich eines Besseren oder vielmehr Schlechteren. Eine kleine Weile blieb er so sitzen, versunken in das sonderbare Drama, das in unseren Frieden eingebrochen war.
»Ich will mir die Sache durch den Kopf gehen lassen«, sagte er endlich. »Auf Anhieb scheint das Ganze recht außergewöhnlich. Sind Sie selbst auch dort gewesen, Mr. Roundhay?«
»Nein, Mr. Holmes. Mr. Tregennis kam mit seinem Bericht ins Pfarrhaus zurück. Da bin ich sofort mit ihm hierhergekommen, Ihren Rat einzuholen.«
»Wie weit ist es bis zu dem Haus, wo sich die seltsame Tragödie ereignet hat?«
»Etwa eine Meile landeinwärts.«
»Dann wollen wir gleich miteinander hinübergehen. Aber ehe wir aufbrechen, muss ich ein paar Fragen an Sie stellen, Mr. Tregennis.«
Dieser hatte die ganze Zeit über geschwiegen, aber meiner Beobachtung entging nicht, dass seine unterdrückte Erregung eher noch größer war als die offenkundige des Geistlichen. Mit bleichem, verhärmtem Gesicht saß er da und starrte bekümmert vor sich hin, während er seine mageren Hände krampfhaft ineinanderschlang. Seine blassen Lippen zitterten bei der Erwähnung des furchtbaren Geschicks, das seinen Angehörigen widerfahren war. Und wenn er den Blick hob, schien sich in seinen dunklen Augen etwas vom Grauen des Ereignisses widerzuspiegeln.
»Fragen Sie nur immer, was Sie wollen, Mr. Holmes«, entgegnete er. »Zwar ist es furchtbar, darüber sprechen zu müssen, aber ich will Ihnen wahrheitsgetreu Rede und Antwort stehen.«
»Erzählen Sie mir von gestern Abend.«
»Ich aß dort zur Nacht, Mr. Holmes, wie der Herr Pfarrer ja schon gesagt hat. Und mein älterer Bruder George schlug hinterher eine Partie Whist vor. Wir setzten uns ungefähr um neun Uhr zum Kartenspiel nieder. Es war Viertel nach zehn, als ich mich zum Gehen wandte. Die anderen spielten noch weiter, und ich ließ sie in fröhlicher Stimmung am Tisch zurück.«
»Wer hat Sie hinausgelassen?«
»Niemand. Mrs. Porter war schon zu Bett gegangen. Ich ging allein und schloss die Haustür hinter mir ab. Das Fenster des Zimmers, in dem sie saßen, war zu, aber die Jalousie nicht herabgezogen. Weder an der Tür noch am Fenster konnte ich heute früh eine Änderung bemerken noch sonst irgendwelche Anzeichen, dass ein Fremder Zutritt gefunden hätte. Aber da saßen sie noch, nur vor Schrecken wahnsinnig; und Brenda hatte der Schlag gerührt. So hing ihr Kopf mit den weit aufgerissenen Augen über die Armlehne ihres Sessels. Den grausigen Anblick werde ich nie wieder los, solange ich lebe.«
»Die Tatsachen, die Sie uns schildern, sind wirklich sehr merkwürdig«, sagte Holmes. »Ich nehme an, dass Sie selbst keine Theorie vertreten, wie es dazu kam?«
»Der Teufel muss seine Hand im Spiel gehabt haben«, rief Mr. Tregennis mit Emphase. »So etwas kann nicht von dieser Welt sein. Er kommt ins Zimmer und bläst ihnen das Licht des Verstandes aus! Welche menschliche Ausgeburt wäre dazu fähig?«
»Ich fürchte«, erwiderte mein Freund, »wenn diese Angelegenheit über die menschliche Natur hinausgeht, dann liegt sie bestimmt auch jenseits meiner Möglichkeiten. Immerhin müssen wir erst alle natürlichen Erklärungen ausschöpfen, ehe wir vor einer solchen These kapitulieren. Was Ihre eigene Person anbelangt, Mr. Tregennis, so habe ich wohl recht verstanden, dass Sie und Ihre Familienangehörigen bis zu einem gewissen Grad entzweit waren, da sie zusammenlebten und Sie selbst anderswo Wohnung genommen hatten?«
»Das stimmt, Mr. Holmes, obwohl die Ursache unserer Meinungsverschiedenheiten weit zurückliegt und die ganze Geschichte als erledigt betrachtet werden kann. Unsere Vorfahren waren Zinngräber in Redruth. Aber wir haben unser Unternehmen an eine Gesellschaft verkauft und uns mit dem Ertrag, der unser Auskommen auf Lebenszeit gewährleistet, zurückgezogen. Ich will nicht leugnen, dass es damals böses Blut wegen der Verteilung gab. Aber mittlerweile war alles vergeben und vergessen, und wir standen jetzt freundschaftlich zueinander.«
»Wenn Sie noch einmal auf den Abend, den Sie gemeinsam verbracht haben, zurückschauen, schaltet sich da etwas in Ihr Gedächtnis ein, das allenfalls ein Licht auf die tragischen Vorgänge werfen kann? Denken Sie, bitte, sorgfältig nach, Mr. Tregennis! Vielleicht stoßen Sie auf einen Anhaltspunkt, der mir weiterhelfen könnte.«
»Ich wüsste nicht, Sir...«
»Ihre Verwandten waren guter Stimmung?«
»Ich habe sie nie in besserer gesehen.«
»Keinerlei Unruhe oder sogar Furcht vor einer drohenden Gefahr?«
»Nichts dergleichen.«
»Sie haben also nichts mehr hinzuzufügen, worauf ich mich vielleicht stützen könnte?«
Mortimer Tregennis überlegte noch einmal angestrengt.
»Etwas ist mir jetzt doch eingefallen«, sagte er schließlich. »Bei Tisch saß ich mit dem Rücken zum Fenster, während mein Bruder George mir gegenüber Platz genommen hatte. Einmal blickte er mir scharf über die Schulter, als ob er draußen etwas fixierte. Da wandte ich mich um. Ich sah, dass das Fenster geschlossen, die Jalousie jedoch nicht heruntergelassen war. Ich konnte die Büsche draußen auf dem Rasen noch erkennen, und es schien mir eine Sekunde, als ob sich darin etwas bewegte. Ob Mensch oder Tier, hätte ich nicht einmal sagen können. Auf meine Frage, wonach er Ausschau halte, antwortete George mit der gleichen Beobachtung, wie ich sie gemacht hatte. Mehr weiß ich nicht zu sagen.«
»Haben Sie nicht draußen nachgesehen?«
»Nein, das Ganze erschien mir zu belanglos.«
»Sie haben demnach Ihre Verwandten ohne unangenehme Vorahnung verlassen?«
»Ohne die geringste.«
»Noch ist mir nicht klar, wieso die Nachricht heute Morgen schon so zeitig zu Ihnen drang?«
»Ich bin Frühaufsteher und mache meist vor dem Frühstück einen Spaziergang. Heute war ich eben aufgebrochen, als mich der Wagen des Landarztes überholte. Er sagte mir, dass die alte Mrs. Porter einen Bauernjungen mit einer dringenden Botschaft zu ihm geschickt habe. Ich sprang in seine Kutsche und fuhr mit ihm weiter. Beim Haus meiner Verwandten angelangt, begaben wir uns sofort zu dem verhängnisvollen Zimmer. Kerzen und Feuer müssen Stunden zuvor schon erloschen sein. Sie haben weiter so im Dunkeln gesessen, bis zum Anbruch der Dämmerung. Der Arzt erklärte, meine Schwester sei mindestens schon seit sechs Stunden tot. Von einer Gewalttat sah man nichts. Brenda hing einfach über der Armlehne mit diesem grausigen Ausdruck in ihrem Gesicht. George und Owen grölten alberne Liedfetzen. Und wie zwei große Affen plapperten sie zwischenhinein unverständliches Zeug. Es war schauderhaft anzusehen und zu hören. Ich konnte es nicht aushalten. Und der Doktor wurde weiß wie ein Handtuch. Tatsächlich fiel er in einen Sessel, als habe eine Ohnmacht ihn überwältigt. So hätten wir ihn beinahe auch noch auf dem Buckel gehabt.«
»Merkwürdig - wirklich sehr merkwürdig!« Mehr sagte Holmes nicht, als er aufstand und seinen Hut ergriff. »Ich glaube, wir gehen lieber jetzt nach Tredannick Wartha«, so murmelte er dann vor sich hin. Und unterwegs war seine einzige Bemerkung: »Also, ein Fall, so rätselhaft wie dieser, ist mir noch selten unterlaufen.«
An diesem ersten Morgen zeitigte unser Vorgehen noch spärliche Ergebnisse. Doch gab es gleich zu Beginn einen Umstand, der in mir einen höchst unbehaglichen Eindruck hinterließ. Zu dem Anwesen, wo sich die Tragödie ereignet hatte, führte ein schmales, gewundenes Gäßchen. Wir schritten gerade im Gänsemarsch darin entlang, als uns ein großer Wagen entgegenratterte. Enger noch drückten wir uns auf die Seite, um ihn vorbeizulassen. Dabei streifte mich durch eines der geschlossenen Fenster der stiere Blick eines grässlich verzerrten, zähnefletschenden Gesichts.
»Meine Brüder«, rief Mortimer Tregennis, kreidebleich bis in die Lippen. »Da bringt man sie nach Helston.«
Voller Entsetzen schauten wir dem schwarzen Gefährt nach, wie es über den Weg holperte. Dann lenkten wir unsere Schritte auf das unselige Haus zu, wo ihr Geschick sie ereilt hatte. Es war eine große Villa mit einem hübschen Garten, welcher trotz der noch frischkalten Luft schon mit Frühlingsblumen reich gesegnet war. An diesem Fenster sollte ja - laut Mortimer Tregennis - eine widerwärtige Erscheinung aufgetaucht sein, die allein durch den Schrecken den Geist der beiden Männer vollständig zerrüttet hatte. Langsam und nachdenklich wanderte Holmes zwischen den Blumentöpfen umher, sodann über den Pfad, ehe wir in die Säulenhalle eintraten. So verloren war er in Gedanken, wie mir noch erinnerlich ist, dass er über einen großen Wasserbehälter stolperte, dessen Inhalt sich über unsere Füße und den Weg ergoss. Drinnen im Haus wurden wir von Mrs. Porter, der ältlichen Haushälterin, empfangen. Sie stammte aus der Gegend und sorgte unter Mithilfe eines jungen Mädchens für die Bedürfnisse der Familie. Bereitwillig antwortete sie auf alle Fragen, die Holmes an sie stellte. Nein, sie habe gar nichts gehört während der Nacht. Die Herrschaften seien alle ausgezeichneter Laune gewesen. Sie, Mrs. Porter, habe sie nie in besserer und fröhlicherer Stimmung gekannt, als während der letzten Tage.
»Wie ich nun heute früh ins Wohnzimmer gehen will, um sauber zu machen«, erzählte sie, »da hab' ich die schreckliche Gesellschaft um den Tisch sitzen sehen, und mir ist ganz übel geworden bei diesem Anblick. Ja, einfach abgesackt bin ich...« Als sie dann wieder bei Bewusstsein gewesen, habe sie sofort das Fenster aufgestoßen und die frische Morgenluft hereingelassen. Dann sei sie gleich auf die Gasse hinausgerannt, wo sie einen Bauernjungen aufgegabelt und zum Doktor geschickt habe. Die Lady liege oben auf ihrem Bett, falls wir sie zu sehen wünschten. Um die Brüder in den Ambulanzwagen der Heilanstalt zu befördern, seien vier starke Männer notwendig gewesen. Sie selber könne keinen Tag länger in diesem fürchterlichen Haus bleiben. Und sie wolle noch heute Nachmittag zu ihrer Familie nach St. Ives fahren.
Wir gingen die Treppe hinauf, um die Leiche in Augenschein zu nehmen. Brenda Tregennis war eine sehr schöne, wenn auch nicht mehr junge Frau gewesen. Ihr dunkles, klargeschnittenes Gesicht wirkte sogar im Tode noch anziehend. Nur stand noch immer etwas von dem Entsetzen, das ihre letzte Empfindung gewesen, darin. Von ihrem Schlafzimmer wanderten wir ins Wohnzimmer hinunter, zum Schauplatz der Tragödie. Asche und die verkohlten Schlacken des nächtlichen Feuers lagen auf dem Rost im Kamin. Auf dem Tisch standen die vier Leuchter mit den Resten der zerschmolzenen Kerzen. Die Karten lagen verstreut umher. Die Stühle hatte man zur Wand gerückt. Aber alles Übrige war wie am Abend zuvor. Holmes durchmaß mit leichten, schnellen Schritten den Raum. Er setzte sich auf die verschiedenen Sessel, stellte sie an ihren ursprünglichen Platz. Er probierte aus, wieviel von dem Garten man hier drinnen zu sehen vermochte, untersuchte den Fußboden, die Zimmerdecke und den Kamin. Aber nicht ein einziges Mal entdeckte ich jenes plötzliche Aufleuchten seiner Augen oder das Straffwerden seiner Lippen, woraus ich hätte entnehmen dürfen, dass er in dieser vollkommenen Finsternis ein Licht aufglimmen sah.
»Warum das Feuer?«, fragte er einmal. »Hatten sie an Frühlingsabenden immer den Kamin geheizt in diesem Raum?«
Mortimer Tregennis erklärte, der Abend sei sehr kühl und feucht gewesen. Aus diesem Grunde habe man gleich nach seinem Eintreffen Feuer gemacht. »Was gedenken Sie jetzt zu tun, Mr. Holmes?«, wollte er wissen.
Mein Freund lächelte und legte mir die Hand auf den Arm. »Ich glaube, Watson, dass ich jene Abhandlung über Tabakvergiftung, die du so oft und mit Recht verurteilt hast, wieder aufnehmen werde«, sagte er. »Mit Ihrer Erlaubnis, meine Herren, wollen wir nunmehr in unsere Hütte zurückkehren. Denn ich glaube nicht, dass hier noch ein neuer Faktor in unser Blickfeld rückt. Ich werde mir alle Begleiterscheinungen gründlich überlegen, Mr. Tregennis, und sollte mir etwas dazu einfallen, so werde ich mich selbstverständlich mit Ihnen und dem Herrn Pfarrer in Verbindung setzen. Mittlerweile wünsche ich Ihnen beiden einen guten Tag.«
Erst einige Zeit, nachdem wir in Poldhu, unserem Ferienhäuschen, angelangt waren, brach Holmes sein Schweigen. Vorher saß er zusammengerollt in seinem Sessel, und sein langes asketisches Gesicht war hinter dem dicken blauen Pfeifenqualm kaum mehr zu sehen. Seine schwarzen Brauen zogen sich herab, die Stirn war gerunzelt, der Blick abwesend, als schaute er in weite Femen. Endlich legte er mit Nachdruck die Pfeife weg und stand auf.
»Es geht nicht, Watson, ich komme nicht weiter«, äußerte er mit einem kurzen Auflachen. »Lass uns zusammen an den Klippen entlangwandern und nach Steinpfeilen suchen. Die werden wir leichter finden als Anhaltspunkte für dieses Problem. Das Gehirn so ohne ausreichendes Material arbeiten zu lassen, ist wie der Leerlauf einer Maschine. Drum Schluss mit der sinnlosen Folter! Seeluft, Sonnenschein - und Geduld, mein Watson -, das ist's, was uns jetzt nottut. Alles Übrige kommt von selbst!«
Nachdem wir uns draußen bei den Klippen tüchtig den Wind um die Ohren hatten wehen lassen, rollte er seine bisherigen Erwägungen vor mir auf. »Begrenzen wir einmal in aller Ruhe unsere Lage, Watson«, begann er, »und halten das Wenige, was wir wissen, fest, damit wir jedes neu auftauchende Faktum folgerichtig einordnen können. Erstens wollen wir als gegeben voraussetzen, dass wir keineswegs bereit sind, diabolische Einmischungen in menschliche Angelegenheiten anzuerkennen. Eine derartige Möglichkeit lass uns ganz und gar aus unseren Köpfen verbannen! Gut so; bleiben demnach drei Personen, die durch die bewusste oder unbewusste Handlung einer vierten schwer getroffen wurden. Das ist fester Boden. Und wann ereignete sich dies? Offensichtlich doch unmittelbar nachdem Mr. Tregennis das Zimmer verlassen hatte, sofern wir seiner Erzählung Glauben schenken dürfen. Ein sehr wichtiger Punkt ist das. Nehmen wir also an, es sei wenige Minuten später geschehen. Die Karten lagen noch auf dem Tisch. Die Zeit, um die sie gewöhnlich zu Bett gingen, war schon überschritten. Trotzdem hatten sie bis dahin weder ihre Stellung verändert noch ihre Stühle zurückgeschoben. Ich wiederhole, dass sich gleich nach Mortimers Weggehen und nicht später als elf gestern Abend der tragische Vorfall ereignete.
Unser nächster Schritt ist, Mr. Tregennis im Auge zu behalten, nachdem er sich von seinen Verwandten verabschiedet hat. Dabei ergibt sich für uns weiter keine Schwierigkeit, und in seiner Verhaltensweise liegt nichts Verdächtiges. Du kennst ja meine Methoden und hast schon längst den Zweck des etwas plumpen Wassertopfexperiments durchschaut. Ich erzielte dadurch einen deutlicheren Fußabdruck von diesem Mann, als er mir auf andere Weise gelungen wäre. In dem nassen, ziemlich sandigen Weg prägte er sich wunderbar ein. Die letzte Nacht war, wie du dich erinnern wirst, auch feucht. Mit diesem Musterbeispiel hatte ich es nicht schwer, seine Spur unter den anderen herauszufinden und zu verfolgen. Er ist rasch in Richtung des Pfarrhauses davongegangen. Wenn somit Mr. Tregennis vom Schauplatz verschwand und dennoch jemand von außerhalb die Kartenspieler aufstörte, wie können wir diesen Jemand ermitteln, und wodurch löste er eine derart entsetzliche Wirkung aus? Mrs. Porter dürfen wir ausschalten. Sie ist bestimmt harmlos. Besteht irgendein Anzeichen dafür, dass jemand am Gartenfenster hochkletterte und durch sein bloßes Erscheinen einen so grauenvollen Eindruck hervorrief? Die einzige Andeutung in dieser Richtung stammt von Mortimer Tregennis selbst, der vorgibt, sein Bruder habe von etwas, das sich im Garten draußen bewegte, gesprochen. Dieser Hinweis ist umso bemerkenswerter, als es eine regnerische, dunkle und wolkige Nacht war. Jemand, der die Absicht hatte, diese Menschen zu ängstigen, musste schon zumindest sein Gesicht gegen die Scheibe pressen, um überhaupt gesehen zu werden. Es befindet sich ein neunzig Zentimeter langer Blumenkasten an der Außenseite des besagten Fensters, aber keine Spur ist daran wahrnehmbar. Außerdem fällt es allein schon schwer, sich vorzustellen, wie einer von draußen es fertiggebracht haben soll, die Gesellschaft derartig zu erschrecken. Es lässt sich auch gar kein Motiv für solch ein sonderbares und ausgeklügeltes Vorgehen entdecken. Siehst du, wie sich hier vor uns die Hindernisse auftürmen, Watson?«
»Nur zu deutlich«, antwortete ich mit Überzeugung.
»Und doch haben wir vielleicht bald genug Material beisammen, um zu beweisen, dass sie nicht unüberwindlich sind«, sagte Holmes zuversichtlich. »Ich könnte mir denken, Watson, dass du unter den Fällen in deiner ausgedehnten Materialsammlung sicherlich welche fändest, die sich nicht minder undurchsichtig anließen. Lass uns einstweilen das Ganze beiseite tun, bis genauere Daten verfügbar sind! Wir wollen den Rest dieses schönen Vormittags der weiteren Erkundung des neolithischen Menschen widmen.«
Wahrscheinlich habe ich meines Freundes unvermittelte Konzentrationsfähigkeit - auf welches Gebiet auch immer - bisweilen schon erwähnt. Nie aber wunderte ich mich mehr darüber als an diesem Frühlingsmorgen in Cornwall. Zwei Stunden lang redete er mit einer Leichtigkeit von keltischen Werkzeugen, Pfeilspitzen und Topfscherben, als gäbe es weit und breit keine brennendere Frage zu lösen. Erst am Nachmittag kehrten wir in unser Blockhäuschen zurück, wo uns bereits ein Besucher erwartete, der unsere flüchtigen Gedanken rasch genug wieder in die makabren Geleise lenkte. Keinem von uns brauchte man zu sagen, wen wir in dieser riesigen Gestalt mit der Habichtsnase und den grimmig dreinblickenden Augen vor uns hatten. Das graumelierte Haar des Mannes rührte beinahe an unsere Zimmerdecke, wenn er aufrecht stand. Sein Bart war golden an den Spitzen und weiß um die Lippen, abgesehen von den Nikotinflecken seiner ewigen Zigarre. Es gab nur eine einzige derartige Persönlichkeit, die in London so bekannt war wie in Afrika: der große Löwenjäger und leidenschaftliche Forscher Dr. Leon Sterndale. Wir hatten von seiner Anwesenheit in unserer Gegend hier schon gehört, seine wuchtige Erscheinung auch hier und da im Moor auftauchen sehen. Doch hatte er bisher nie den Versuch gemacht, sich uns zu nähern. Und wir dachten unsererseits nicht im Traum daran, seine Bekanntschaft zu machen. Denn seine Vorliebe für Zurückgezogenheit war uns bekannt. Den größten Teil der Pausen zwischen seinen Reisen und Expeditionen verbrachte er in einem kleinen Bungalow, im einsamen Wald von Beauchamp Arriance. Dort lebte er nur mit seinen Büchern und Landkarten, vollkommen allein, ohne sich um die Angelegenheiten seiner Nachbarn zu kümmern. Umso mehr überraschte es mich nun, ihn Holmes fragen zu hören, ob dieser einen Fortschritt in seiner Aufklärung der geheimnisvollen Episode von Tredannick Wartha zu verzeichnen habe. »Die Landpolizei befindet sich ganz gehörig auf dem Holzweg«, sagte Sterndale. »Aber vielleicht hat Ihre weltweite Erfahrung eine annehmbarere Deutung vorzuschlagen. Mein einziger Anspruch, von Ihnen ins Vertrauen gezogen zu werden, besteht darin, dass ich infolge meines häufigen Verweilens hier in der Gegend die Familie Tregennis sehr gut kenne. Ich könnte die Geschwister sogar auf Grund meiner mütterlichen Abstammung aus Cornwall als Verwandte bezeichnen. Und ihr tragisches Geschick war natürlich ein großer Schrecken für mich. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang auch sagen, dass ich auf meinem Weg nach Afrika schon bis Plymouth gediehen war. Aber heute früh erreichte mich die furchtbare Nachricht, worauf ich kurzerhand wieder umkehrte. Ich möchte Ihnen bei der Untersuchung behilflich sein.«
Holmes hob die Brauen.
»Haben Sie dadurch Ihr Schiff versäumt?«
»Ich werde das nächste nehmen.«
»Meine Güte! Das nenne ich wirklich Freundschaft.«
»Ich sagte Ihnen ja, Verwandte.«
»Ganz richtig, mütterlicherseits. Hatten Sie Ihr Gepäck schon an Bord?«
»Einiges. Aber der größte Teil war noch im Hotel.«
»Aha. Aber dieses Ereignis konnte doch seinen Weg noch nicht bis zu der Plymouther Morgenzeitung gemacht haben?«
»Nein, Sir. Ich erhielt ein Telegramm.«
»Darf ich fragen, von wem?«
Ein Schatten glitt über das hagere Gesicht des Forschers.
»Sie sind sehr neugierig, Mr. Holmes.«
»Das bin ich meinem Beruf schuldig.«
Mit einiger Anstrengung stellte Dr. Sterndale seine etwas ins Wanken geratene Fassung wieder her.
»Meinetwegen, ich brauche es Ihnen nicht zu verheimlichen. Es war Mr. Roundhay, der Pfarrer.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte Holmes. »Dann möchte ich Ihnen meinerseits nicht verschweigen, dass ich mir über die Abwicklung dieser unheimlichen Begebenheit noch nicht bis ins letzte Klärung verschafft habe. Aber ich darf hoffen, bald zu einer Schlussfolgerung zu gelangen. Mehr darüber zu sagen, wäre voreilig.«
»Vielleicht hätten Sie nichts dagegen, mich wissen zu lassen, ob Ihr Verdacht in eine bestimmte Richtung weist?«
»Darauf kann ich nicht antworten«, erwiderte mein Freund.
»Dann habe ich meine Zeit vergeudet und will meinen Besuch nicht länger ausdehnen.«
Mit diesen Worten verließ der berühmte Doktor ziemlich übelgelaunt unsere Hütte. Und innerhalb von fünf Minuten ging Holmes ihm nach. Bis zum Abend sah ich ihn nicht wieder. Langsamen Schrittes und mit erloschenem, magerem Gesicht kehrte er zurück. Daraus musste ich wohl schließen, dass seine Nachforschungen nicht sehr ergiebig gewesen waren. Er las das Telegramm, das in der Zwischenzeit eingetroffen war, und warf es gleich darauf ins Feuer.
»Aus dem Hotel in Plymouth, Watson«, verkündete er. »Ich erfuhr seinen Namen durch den Pfarrer und telegrafierte dorthin, um mir Gewissheit zu holen, ob Dr. Sterndale die Wahrheit gesagt hat. Er scheint tatsächlich die letzte Nacht dort zugebracht zu haben und, wie wir ja von ihm selbst hörten, unbeachtet dessen, dass ein Teil seines Gepäcks schon unterwegs nach Afrika war, hierher zurückgekehrt zu sein, um bei der Untersuchung des Falles von Tredannick Wartha anwesend zu sein. Was schließt du daraus, Watson?«
»Große Anteilnahme.«
»Große Anteilnahme - ja. Hier liegt der Faden, den wir noch nicht in die Hand bekommen haben, der uns jedoch vielleicht aus dem Gewirr herausführen wird. Sei guten Muts, Watson! Denn ich bin sicher, dass sich bald noch mehr Beweismaterial bietet. Wenn es erst soweit ist, haben wir die Schwierigkeiten bewältigt.«
Kaum ahnte ich bei diesen seinen Worten, wie rasch sie sich verwirklichen sollten, oder vielmehr, welch sonderbare und unheimliche Entwicklung ganz neue Perspektiven eröffnen würde. Ich rasierte mich gerade frühmorgens an meinem Fenster, als ich Hufgetrappel hörte. Ein Einspänner kam im Galopp auf der Straße daher; er hielt vor unserer Tür. Unser Freund, der Pfarrer, sprang von dem Gefährt und rannte über den Gartenweg. Holmes war schon fertig angezogen, und wir eilten beide unserem Gast entgegen. Dieser war so aufgeregt, dass er kaum sprechen konnte. Endlich aber brach sich seine tragische Nachricht doch ruckweise und unter Keuchen Bahn.
»Der Teufel ist's - Mr. Holmes! Der Beelzebub, er reitet - meine arme Gemeinde, uns alle - und lässt uns nicht - nicht mehr aus seinen Klauen!«
Der Schwarzberockte rollte die Augen und sprang, wie selber vom bösen Geist besessen, im Zimmer umher, was eher einen komischen Anblick geboten hätte, wären seine aschfahlen und von ehrlichem Grauen gezeichneten Züge nicht gewesen. »Mr. Tregennis«, stieß er hervor, »Mr. Tregennis tot - heute Nacht - genau die gleichen - die gleichen Symptome wie bei seiner Familie.«
Diese letzte Äußerung bewirkte, dass Holmes aufsprang, energiegeladen bis in die Fingerspitzen.
»Können Sie uns beide in Ihrem Einspänner unterbringen?«
Der Pfarrer nickte.
»Dann müssen wir unser Frühstück verschieben, Watson. Wir stehen sofort zur Ihrer Verfügung, Mr. Roundhay. Eilen Sie - rasch, damit dort noch keiner etwas durcheinanderbringen kann!«
Mr. Tregennis bewohnte zwei Räume in der Pfarrei. Sie lagen übereinander, in einem Flügel für sich. Unten war der große Wohnraum, darüber das Schlafzimmer. Die Fenster sahen auf einen Rasenplatz hinaus, der bis an die Mauer heranreichte. Wir trafen als erste ein, vor dem Arzt oder der Polizei. So war alles noch gänzlich unverändert.
Ich möchte dem Leser die Szene genau beschreiben, wie sie sich unseren Augen an diesem nebligen Märztag bot. Denn sie hat einen Eindruck in mir hinterlassen, den nichts mehr aus meinem Gedächtnis zu löschen vermag. Die Atmosphäre des Zimmers war zum Ersticken dumpf und beklemmend. Zwar lief uns ein Dienstmädchen voraus und stieß das Fenster auf, es wäre sonst unerträglich gewesen; aber auf dem Mitteltisch stand noch eine qualmende Petroleumlampe, die meines Erachtens immer weiter die Luft verpestete. Daneben saß, in seinem Stuhl zurückgelehnt, der Tote. Sein spärlicher Bart ragte nach oben, und seine Brille war ihm auf die Stirn gerutscht. Das schmale, dunkle, dem Fenster zugewandte Gesicht verriet denselben Schrecken, der das schöne Antlitz seiner Schwester im Tode verzerrt hatte. Seine Glieder waren verdreht und seine Finger zusammengekrampft, als sei er in einem Paroxysmus der Furcht verendet. Von Kopf bis Fuß angezogen saß er da, obwohl Anzeichen dafür sprachen, dass er die Kleidungsstücke nur hastig übergeworfen hatte. Während der Nacht war das Bett benutzt worden; erst am frühen Morgen hatte das Schicksal zugeschlagen.
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welch glühende Spannung sich unter meines Freundes äußerer Gelassenheit verbarg, bis wir das unheilschwangere Zimmer betreten hatten. Denn sofort kam die ungeheure Aktivität, die ich in seinen Augen hatte aufschimmern sehen, zum Ausbruch. Mit einem Satz war er draußen auf dem Rasen, im nächsten Augenblick kam er schon wieder durchs Fenster, machte die Runde durchs Zimmer, rannte über die Stiege hinauf in den Schlafraum. In jeder Bewegung glich er einem ungestümen Jagdhund, der einen Fuchsbau aufstöbert. Mit lauerndem Blick durchsuchte er die obere Kammer, bis er schließlich das Fenster weit öffnete. Anscheinend hatte er etwas erspäht, worüber er in neuerliche Erregung geriet. Denn er lehnte sich hinaus und ließ dabei kleine Ausrufe der Befriedigung und Entdeckerfreude hören. Gleich darauf stürmte er die Treppe hinunter und durchs Wohnzimmerfenster ins Freie. Dort warf er sich flach auf den Rasen, war aber im Nu wieder auf den Beinen und im Zimmer. Jetzt schien aus dem Hund der Jäger selbst geworden zu sein, wenn er seiner Beute auf den Fersen ist. Mit peinlicher Sorgfalt untersuchte er die Lampe, nahm auch Messungen an ihr vor. Durch die Lupe prüfte er den Talkschirm, der den oberen Teil des Zylinders überdeckte, er kratzte etwas von der Asche, die an dessen Oberfläche hing, herunter und füllte sie in einen Briefumschlag, den er in seinem Taschenbuch verstaute. Endlich, gerade als der Arzt und die Landpolizei in Erscheinung traten, winkte er dem Pfarrer, und wir gingen alle drei hinaus auf die Rasenterrasse.
»Ich bin ja so froh, dass meine Untersuchung nicht gänzlich blockiert wurde«, flüsterte er uns zu. »Um die Sache mit der Polizei zu erörtern, fehlt mir jetzt die Zeit. Doch wäre ich Ihnen äußerst verbunden, Mr. Roundhay, wenn Sie die Güte hätten, den Inspektor von mir zu grüßen. Wenden Sie, bitte, seine Aufmerksamkeit dem Schlafzimmerfenster und der Lampe im Wohnzimmer zu! Das sind die beiden Angelpunkte. Jeder für sich schon recht aufschlussreich, und aus beiden zusammen lässt sich fast der gesamte Hergang rekonstruieren. Sollte der Polizei an weiteren Auskünften gelegen sein, würde ich mich glücklich schätzen, einen Beamten bei mir daheim zu empfangen. Und nun, Watson, sind wir wohl anderweitig besser am Platz.«
Mag sein, dass die Polizei durch das Eindringen eines Amateurs verärgert war. Vielleicht auch lebte sie in der Vorstellung, auf hoffnungsvoller Spur zu sein. Jedenfalls hörten wir im Laufe der nächsten zwei Tage nichts von ihr. Währenddessen brachte Holmes einen Teil seiner Zeit mit Rauchen und Träumen in unserer Hütte zu, den weitaus größeren jedoch mit Spaziergängen, die er nunmehr stets allein unternahm. Er pflegte dann erst nach vielen Stunden heimzukehren, ohne dass er eine Bemerkung fallen ließ, wo er gewesen sei. Ein Versuch veranschaulichte mir jedoch die Linie seiner Nachforschungen. Er hatte eine Lampe gekauft, ein Duplikat von der, die in Mortimer Tregennis' Zimmer am Morgen der Tragödie gebrannt hatte. Er füllte die seine mit demselben Öl, das in der Pfarrei verwendet wurde. Und er bemaß gewissenhaft die Zeitspanne, innerhalb derer sie ganz herunterbrannte. Ein zweiter Versuch, den er in meinem Beisein unternahm, war wesentlich unangenehmer. Ihn werde ich wohl nie vergessen.
»Sicher erinnerst du dich, Watson«, leitete er ihn eines Nachmittags ein, »es gibt einen gemeinsamen Punkt für alle Einzelheiten, die uns erreicht haben. Er betrifft die Wirkung der Luft des Zimmers auf diejenigen, die es als erste betraten. Du wirst dich entsinnen, dass Mortimer Tregennis, als er die Episode seines letzten Besuchs im Haus seiner Brüder beschrieb, bemerkte, der Arzt sei sogleich nach dem Betreten des Raumes ohnmächtig in einen Sessel gefallen. Das hattest du vergessen? Gut, ich stehe dafür ein, dass es sich so verhielt. Aber vielleicht erinnerst du dich an die Erzählung der Haushälterin, Mrs. Porter. Sie sagte, sie habe das Bewusstsein verloren, als sie in das Zimmer kam. Und wieder bei Sinnen, machte sie sofort das Fenster auf. Im zweiten Fall, dessen Opfer Mortimer Tregennis wurde, muss dir die entsetzliche, atembeklemmende Schwüle des Zimmers ja unweigerlich selbst aufgefallen sein. Und dabei hatte eine Dienerin das Fenster schon weit geöffnet, ehe wir ankamen. Dieses Mädchen wurde, wie meine Fahndung ergab, so krank, dass es sich ins Bett legen musste. Du merkst doch, Watson, dass solche Tatsachen eine deutliche Sprache sprechen. Offenkundig war in beiden Fällen die Luft vergiftet. Es muss etwas verbrannt worden sein. Beim erstenmal im Kaminfeuer, beim zweitenmal in der Lampe. Das Feuer wurde aus Witterungsgründen benötigt. Doch die Lampe hatte man - wie mein Ölverbrauch in dieser hier zeigt - erst angezündet, als längst helllichter Tag war. Warum? Doch gewiss, weil ein Zusammenhang zwischen drei Faktoren besteht: erstens dem Verbrennungsvorgang, zweitens der verpesteten Luft und drittens der Geisteszerrüttung beziehungsweise dem Tod jener unglücklichen Menschen. Ist das klar oder nicht?«
»Es scheint so.«
»Zumindest dürfen wir auf dieser Hypothese weiterbauen. Setzen wir also voraus, dass in jedem Fall etwas verbrannt wurde, dessen Gasentwicklung vergiftend auf die Atmosphäre wirkte. Im ersten Beispiel - dem der Tregennis-Familie - setzte man diese Substanz dem Feuer zu. Nun war zwar das Fenster geschlossen. Aber das Feuer entsandte natürlich die ausströmenden Dämpfe bis zu einem gewissen Grad mit dem Rauch in den Schornstein. Man muss daher erwarten, dass der Vergiftungsprozess sich weniger verheerend auswirkte als beim zweiten Beispiel, wo kaum eine Ausweichmöglichkeit für die Gase bestand. Die Ergebnisse zeigen, dass es wirklich so gewesen ist. Denn im ersten Fall wurde nur die Frau, da sie vermutlich den empfindlicheren Organismus hatte, getötet, während die anderen ein vorläufiger oder bleibender Wahnsinn ergriff, der zweifellos die erste Folge dieser Droge darstellt. Im zweiten Fall gelang das grausige Experiment vollkommen. Beide Geschehnisse sind also auf die Anwendung eines Giftstoffes zurückzuführen, der durch Verbrennung wirksam wurde.
Mit derlei Überlegungen in meinem Kopf suchte ich natürlich Mortimer Tregennis' Zimmer nach den Überbleibseln einer solchen Substanz ab, wobei mein Blick magnetisch von der Lampe angezogen wurde. Und tatsächlich entdeckte ich an ihrem Rauchschutz, dem Talkschirm, eine Anzahl flockiger Ascheteilchen und um die Kante einen Rand von bräunlichem Pulver, das noch nicht von der Flamme verzehrt worden war. Die Hälfte davon nahm ich, wie du gesehen hast, und schüttete sie in einen Umschlag.«
»Warum die Hälfte, Holmes?«
»Weil es durchaus nicht meine Absicht ist, der öffentlichen Polizeigewalt im Wege zu stehen. Ich ließ ihnen alle Beweisstücke da, die ich selbst gefunden hatte. Es haftet noch Gift an dem Schirm, sie mussten nur klug genug sein, hinzugucken. Und jetzt, Watson, wollen wir unsere Lampe hier anzünden. Wir müssen nur die Vorsichtsmaßregel treffen, unser Fenster zu öffnen, um das vorzeitige Abscheiden zweier verdienstvoller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft zu vermeiden. Setz du dich dort auf den Sessel in der Nähe des Fensters! Es sei denn, du willst als verständiger Mensch mit solchen Sachen nichts zu tun haben... Doch, du möchtest sie mit mir durchfechten, wirklich? Na gut, ich kenne doch meinen Watson. Diesen Stuhl hier stelle ich dem deinen gegenüber, so dass wir beide gleich weit von dem Teufelsspuk entfernt sind. Die Tür lassen wir lieber einen Spalt offen, so... Jeder ist nun in der Lage, den anderen zu beobachten und den Versuch abzustoppen, sobald die Symptome bedenklich werden. Haben wir uns verstanden? Gut denn, ich nehme unser Pulver - oder was davon noch übrig ist - aus dem Umschlag und lege es auf die brennende Lampe... Jetzt, Watson, wollen wir uns setzen und der Entwicklung entgegensehen.«
Dazu blieb uns kaum Zeit. Ich hatte mich eben in meinen Sessel niedergelassen, als ich mir auch schon eines schweren und Übelkeit erregenden, moschusartigen Geruches bewusst wurde. Er wehte mich nur an, und mein Geist, meine gesamte Phantasie war bereits jenseits jeglicher Kontrolle. Eine dicke, schwarze Wolke wirbelte vor meinen Augen, und in ihr, so sagte mir mein aufgepeitschter Verstand, lauerte, wenn auch bisher noch ungesehen, alles Furchtbare, Ungeheuerliche und unbeschreiblich Ekelhafte des Universums, um jeden Augenblick über meine schreckensstarren Sinne herzufallen. Grausige Gebilde tanzten und schwammen in der dunklen Nebelschicht umher, jedes eine Drohung oder Warnung vor kommendem Unheil, dessen Schatten allein schon meine Seele zermalmen würde. Eisiger Schauder nahm von mir Besitz. Ich fühlte, wie sich mein Haar sträubte, die Augen mir aus dem Kopf traten und mein Mund sich öffnete, darin die Zunge wie Leder war. Der Aufruhr in meinem Gehirn tobte derartig, dass etwas darin überschnappen musste. Ich versuchte zu schreien, aber es entrang sich mir nur ein unbestimmtes, heiseres Krächzen. Und diese meine eigene Stimme hörte sich fern und wie abgetrennt von meinem Selbst an. Im gleichen Augenblick durchbrach ich mit qualvoller Anstrengung die Wolke der Finsternis und nahm dahinter flüchtig Holmes' Gesicht wahr, weiß, starr und von Entsetzen verzerrt - der nämliche Ausdruck wie in den Zügen der Toten. Diese Vision jedoch verlieh mir für Sekunden Gesundheit und Stärke. Ich fuhr in meinem Stuhl hoch, warf die Arme um meinen Freund, und so vereint taumelten wir zur Tür. Einen Augenblick später hatten wir uns ins Gras geworfen. Dort lagen wir Seite an Seite und spürten, wie sich der herrliche Sonnenschein Bahn brach durch diesen höllischen Schreckensdunst, der uns noch umklammerte. Allmählich hob er sich von unserer Brust, wie Nebel über einer Landschaft, bis Friede und Vernunft zurückkehrten. Wir setzten uns auf und wischten uns den Schweiß von der Stirn. Dann sah einer den andern voller Furcht an, um die letzten Spuren unseres grässlichen Erlebnisses zu beobachten.
»Auf mein Wort, Watson«, brachte Holmes schließlich mit unsicherer Stimme hervor. »Ich schulde dir beides, meinen Dank sowohl als meine Entschuldigung. Schon am eigenen Leibe war dies ein unverantwortliches Experiment, wie erst an einem Freund! Es tut mir wirklich sehr leid.«
»Du weißt«, antwortete ich bewegt, »dass es meine größte Freude und mein Vorrecht ist, dir zu helfen.«
Aber schon kam sein humoristisch-zynisches Wesen wieder zum Vorschein. »Es wäre allerdings überflüssig, uns den Zustand der Verrücktheit auf diese Weise zu erkaufen«, scherzte er. »Jeder nüchterne Beobachter würde bestimmt behaupten, dass wir uns bereits darin befanden, als wir uns auf ein derart verwegenes Stückchen einließen... Aber ich muss gestehen, nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass die Wirkung so unvermittelt und heftig auftreten könnte.«
Er rannte ins Haus und erschien gleich wieder mit der brennenden Lampe, die er gestreckten Armes von sich weghielt. Er warf sie in einen Brombeerbusch. »Unserem Zimmer müssen wir nämlich ein bisschen Zeit zum Auslüften geben. Ich glaube, Watson, es besteht auch bei dir jetzt kein Schatten eines Zweifels mehr darüber, wie diese Tragödie in Szene gesetzt wurde?«
»Nicht der geringste.«
»Und doch bleibt die Ursache, das Motiv so dunkel wie zuvor. Komm hierher, in diese Laube, damit wir uns darüber unterhalten! Dieses verdammte Giftzeug kratzt mich noch immer in der Kehle. Ich glaube, wir müssen uns damit abfinden, dass alle Indizien auf diesen Mortimer Tregennis deuten. Er war der Verbrecher im ersten Drama, wenn auch das Opfer im zweiten. Vor allem dürfen wir diesen Familienzwist im Hintergrund nicht außer Acht lassen, obschon eine Aussöhnung erfolgt sein soll. Inwieweit diese nur äußerlich, der Streit noch immer erbittert war, entzieht sich unserer Beurteilung. Wenn ich an Mortimer Tregennis mit seinem Fuchsgesicht und den kleinen schlauen Knopfaugen hinter den Brillengläsern denke, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass er besonders gütig und versöhnlich veranlagt gewesen sein soll. Als nächstes wirst du dich erinnern, dass er mit diesem Einfall, es habe sich etwas oder jemand, während die Familie bei Tisch saß, im Garten draußen bewegt, unsere Aufmerksamkeit - und sei's nur für einen Augenblick - von der wahren Ursache ablenkte. Er hatte also einen Beweggrund, uns irrezuführen. Und schließlich: Wenn nicht er es war, der beim Weggehen das Pulver ins Feuer warf, wer sonst sollte es getan haben? Das Unglück ereignete sich unmittelbar, nachdem er die Familie verlassen hatte. Wäre danach noch jemand gekommen, hätten sich die Gastgeber doch gewiss von ihrer Tischrunde erhoben. Außerdem pflegt man im friedlichen Cornwall nach zehn Uhr abends keine Besuche mehr zu machen. Wir können also mit Sicherheit annehmen, dass Mortimer Tregennis die Schuld trifft.«
»Dann hat er Selbstmord begangen«, entfuhr es mir.
»Tja, Watson, oberflächlich betrachtet, wäre diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen. Ein Mensch, auf dessen Seele das Vergehen lastet, die eigenen Angehörigen auf solch grausige Weise in Tod und Verderben gehetzt zu haben, kann durch Gewissensbisse dazu getrieben werden, sich das gleiche Geschick zu bereiten! Nun, dagegen sprechen zwingende Gründe. Glücklicherweise gibt es einen Mann in England, der alles darüber weiß. Und ich habe es so eingerichtet, dass wir heute die Tatsachen aus seinem eigenen Munde erfahren werden. Ah! Er kommt etwas früher als verabredet. Würden Sie sich freundlicherweise hierher bemühen, Dr. Sterndale? Wir haben ein chemisches Experiment ausgeführt, demzufolge unser kleines Zimmer kaum als geeignete Umgebung erscheint, einen so erlesenen Gast aufzunehmen.«
Ich hörte, wie das Gartentor einschnappte, und dann erschien die majestätische Gestalt des afrikanischen Forschers auf dem Kiesweg. Einigermaßen überrascht wandte er sich der ländlichen Laube zu, in der wir saßen.
»Sie haben nach mir geschickt, Mr. Holmes. Ich erhielt Ihre Nachricht vor etwa einer Stunde. Und ich bin Ihrer Aufforderung gefolgt, obschon ich wirklich nicht einsehen kann, was sie zu bedeuten hat.«
»Vielleicht klären wir das alles auf, bevor wir uns wieder trennen«, erwiderte Holmes ruhig. »Einstweilen bin ich Ihnen für Ihr höfliches Entgegenkommen sehr verbunden. Entschuldigen Sie, bitte, diesen formlosen Empfang im Freien! Aber mein Freund Watson und ich haben vorhin ein neues Kapitel zu dem Thema, über das die Zeitungen unter dem Titel Das Grauen von Cornwall schreiben, zusammengestellt. Und jetzt möchten wir gern etwas frische Luft schöpfen. Da die Dinge, die wir zu besprechen haben, Sie persönlich angehen, ist es ja wohl auch besser, wenn wir uns hier unterhalten, wo uns bestimmt niemand hören kann.«
Der Löwenjäger nahm seine Zigarre aus dem Mund und blickte meinem Gefährten unwirsch in die Augen.
»Ich wüsste nichts, das mich persönlich berührte, worüber Sie mit mir zu reden hätten, Sir«, versetzte er.
»Auch nicht die Art und Weise, wie Mortimer Tregennis ums Leben kam?« war Holmes' Antwort.
In diesem Augenblick bedauerte ich, dass wir nicht bewaffnet waren. Sterndales grimmiges Gesicht wurde dunkelrot, seine Augen funkelten zornig, und die leidenschaftlichen Adern auf seiner Stirn schwollen zu dicken Strängen an, während er die Fäuste ballte, im Begriff, sich auf meinen Freund zu stürzen. Aber es blieb bei der bedrohlichen Gebärde, er zwang sich unter äußerster Willensanstrengung zu einer kalten, steifen Ruhe, die indessen vielleicht noch größere Gefahr verhieß als sein hitziger Ausbruch.
»Ich habe so lange unter Wilden und außerhalb des Gesetzes gelebt«, sagte er, »dass ich allmählich dahin gelangt bin, nur noch meinem eigenen Gesetz zu folgen. Sie täten gut daran, Mr. Holmes, sich das zu merken. Denn eigentlich habe ich gegen Sie nichts im Sinn.«
»Und ich gegen Sie ebenso wenig, Dr. Sterndale. Der deutlichste Beweis ist doch wohl der, dass ich nicht die Polizei, sondern Sie gerufen habe. Und das, nachdem ich weiß, was ich weiß.«
Sterndale setzte sich ächzend nieder. Möglicherweise sah er sich zum erstenmal in seinem Leben überwältigt. Der ruhigen Sicherheit meines Freundes konnte selbst dieser Riese nicht widerstehen. In der Erregung öffnete er seine sehnigen Hände und ballte sie wieder zu Fäusten, als er stammelte:
»Was - meinen - Sie?« Und dann fuhr er gefasst fort: »Wenn Sie mich durch großspurige Andeutungen einschüchtern wollen, sind Sie an den Falschen geraten. Aber lassen Sie uns nicht länger auf den Busch klopfen. Worum geht es?«
»Das will ich Ihnen gleich sagen«, erwiderte Holmes. »Und der Grund, warum ich es tue, ist die Hoffnung, dass Sie meiner Offenheit mit Offenheit begegnen. Wie mein nächster Schritt aussehen wird, hängt lediglich von Ihrer Verteidigung ab.«
»Meiner Verteidigung?«
»Jawohl, Sir.«
»Wogegen soll ich mich verteidigen?«
»Gegen die Anklage, Mortimer Tregennis getötet zu haben.«
Sterndale wischte sich mit seinem Taschentuch über die Stirn. »Ich muss schon sagen, Sie nehmen sich einiges heraus. Fußen all Ihre Erfolge auf dieser verschwenderischen Blufftaktik?«
»Der Bluff ist auf Ihrer Seite, Dr. Leon Sterndale«, entgegnete Holmes ernst, »nicht auf der meinen. Ich will Ihnen gern einige Tatsachen nennen, auf die meine Schlussfolgerung sich gründet. Ihre Umkehr in Plymouth - obwohl ein beträchtlicher Teil Ihres Besitzes sich bereits auf dem Wege nach Afrika befand - erwähne ich nur, weil ich so zuerst die Gewissheit erhielt, dass Sie ein Faktor waren, den man bei dem vorliegenden Drama in Rechnung ziehen musste...«
»Ich kam zurück...«
»Ihre Gründe habe ich schon gehört und betrachte sie als unzulänglich und nicht überzeugend. Dabei wollen wir uns jetzt nicht aufhalten. Sie sind dann hierhergekommen, mich zu fragen, wen ich verdächtigte. Ich weigerte mich, Ihnen darauf zu antworten, weshalb Sie unsere Unterredung für beendet hielten. Sie gingen zur Pfarrei, warteten eine Zeitlang draußen - und kehrten dann nach Hause zurück.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin Ihnen nachgegangen.«
»Ich habe niemanden gesehen.«
»Genau das dürfen Sie erwarten, wenn ich jemandem folge. Sie verbrachten eine ruhelose Nacht in Ihrer Hütte. Und Sie entwarfen gewisse Pläne, die Sie am nächsten Morgen in die Tat umzusetzen begannen. Sie verließen Ihr Heim bereits bei Tagesanbruch, nachdem Sie in Ihre Rocktasche etwas von dem rötlichen Pulver gefüllt hatten, das aufgehäuft neben Ihrem Gartentor lag.«
Sterndale fuhr heftig zusammen und starrte Holmes verblüfft an.
»Dann legten Sie eilig die Meile bis zum Pfarrhaus zurück. Sie trugen, wie ich noch bemerken darf, dieselben Tennisschuhe mit gerippter Sohle, wie ich sie jetzt an Ihren Füßen erblicke. In der Pfarrei gingen Sie durch den Obstgarten und die seitliche Hecke, bis Sie vor dem Fenster des Untermieters Tregennis wieder heraustraten. Es war inzwischen heller Tag, aber im Hause regte sich noch nichts. Sie nahmen etwas von dem Granulat aus Ihrer Tasche und warfen es an das Fenster über Ihnen.«
Sterndale fuhr von seinem Sitz hoch und rief: »Sind Sie der Satan persönlich?«
Holmes lächelte über das Kompliment. »Sie brauchten zwei, vielleicht auch drei Hände voll, bis der Bewohner ans Fenster trat. Sie winkten, er solle herunterkommen. Er zog sich rasch an und stieg in sein Wohnzimmer herab. Sie kletterten zum Fenster hinein. Es folgte eine kurze Unterhaltung, während Sie im Zimmer auf und ab wanderten... Dann sind Sie hinausgegangen und haben hinter sich das Fenster geschlossen. Draußen auf dem Rasen warteten Sie ab, was sich ereignen würde... Endlich, als der Tod eingetreten war, zogen Sie sich auf demselben Weg zurück, den Sie gekommen waren. Nun, Dr. Sterndale, wie rechtfertigen Sie diese Handlungsweise, und was waren Ihre Beweggründe? Ich versichere Ihnen, dass ich, sollten Sie Ausflüchte gebrauchen oder mir etwas vorschwindeln, die Angelegenheit für immer aus meinen Händen gebe.«
Unseres Besuchers Gesicht war aschgrau geworden, während er den Worten seines Anklägers zuhörte. Nun saß er über eine kurze Weile in Gedanken verloren da, den Kopf in seine Hände vergraben. Plötzlich zog er, einer impulsiven Regung folgend, eine Fotografie aus seiner Brusttasche und warf sie auf den Gartentisch vor uns hin.
»Das ist der Grund, warum ich es getan habe«, sagte er.
Es war das Brustbild einer sehr schönen Frau. Holmes beugte sich darüber.
»Brenda Tregennis«, stellte er fest.
»Ja, Brenda Tregennis«, wiederholte unser Besucher. »Sie habe ich seit langer Zeit geliebt, und auch sie liebte mich. Darin liegt das Geheimnis meiner Flucht in die Einsamkeit von Cornwall, über die sich die Leute immer gewundert haben. Hier fühlte ich mich dem einzigen Wesen nahe, das mir auf Erden wirklich teuer war. Heiraten konnte ich Brenda nicht, denn ich habe eine Frau, die mich vor mehreren Jahren verließ und von der ich mich, dank den bejammernswerten englischen Gesetzesparagraphen, nicht scheiden lassen kann. Jahre hindurch haben Brenda und ich gewartet, gewartet - worauf? Auf dieses Ende?!«
Der große Körper wurde von einem qualvollen Aufschluchzen geschüttelt, und der Unglückliche griff sich an die Kehle. Dann riss er sich zusammen und sprach weiter.
»Der Pfarrer war im Bilde. Ihn hatten wir ins Vertrauen gezogen. Er würde Ihnen bestätigen, dass sie ein Engel war. Daher das Telegramm, das mich zurückrief. Was bedeuteten mir meine Habseligkeiten und Afrika, als ich erfuhr, dass mir das Teuerste genommen war und dass vorher so Furchtbares hatte erduldet werden müssen. Da haben Sie das fehlende Motiv für mein Verhalten, Mr. Holmes!«
»Fahren Sie fort«, sagte mein Freund leise.
Dr. Sterndale zog ein Papierpäckchen aus seiner Tasche und legte es auf den Tisch. Radix pedis diabolis stand auf der Außenseite, und darunter war ein Giftschild mit einem Totenkopf. Er schob es mir hin mit den Worten: »Ich weiß, Sie sind Arzt, Sir. Haben Sie je von diesem Präparat gehört?«
»Teufelsfußwurzel?- Nein, ist mir unbekannt.«