Mittsommerversprechen - Madita Tietgen - E-Book

Mittsommerversprechen E-Book

Madita Tietgen

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Beschreibung

Versprich dein Herz demjenigen, der es auch im Stillstand schlagen hört. Sie weiß, was sie will – und wie sie es bekommt. Dieses Talent hat Selma zu einer der führenden Sportagentinnen Schwedens gemacht. Als die Hochzeit ihres besten Tennisspielers zu platzen droht, fackelt die toughe Agentin nicht lange und springt für die erkrankte Wedding Planerin ein. Was zunächst einfach geklungen hatte, entpuppt sich schon bald als unmögliche Herausforderung. Während Selma sich mit einer ambitionierten us-amerikanischen Verlobten und deren extravaganten Wünschen herumschlägt, muss sie binnen weniger Tage einen sturen, aber attraktiven Hinterwäldler davon überzeugen, dass auf seinem Grundstück eine Hochzeitsfeier der Superlative stattfinden soll. Dumm nur, dass dieser Gustav Johansson so gar nichts davon hält und ihr eine klare Absage erteilt. Doch Selma wäre nicht Selma, würde sie sich so einfach geschlagen geben. Während zwischen den beiden die Fetzen fliegen, bemerkt die erfolgreiche Agentin, dass weit mehr hinter Gustavs abwehrender Haltung lauert, als das vorgegebene Streben nach Ruhe. Schafft sie es, die Hochzeit ihres Schützlings zu retten? Und noch wichtiger: Wie wird sie reagieren, wenn sie spürt, dass sich ihr Herz in jemanden verliebt hat, der nicht an die Liebe glaubt?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Triggerwarnung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher der Autorin

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Triggerwarnung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Bücher der Autorin

Impressum

Madita Tietgen

c/o easy shop

Kathrin Mothes

Schloßstraße 20

06869 Coswig (Anhalt)

________________________

Texte: Madita Tietgen

Cover / eBook: Grit Bomhauer

mit verwendeten Lizenzen von

© Despositphotos – zatvor | amoklv | Tommy8942 | andrewsound95 |

moderngolf | ChristianNastase | kaiwut | majaFOTO | zephyr18 | yyanng

© Anna Johansson

Korrektorat: Redaktionsbüro Feldbaum

________________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Erstveröffentlichung: 2025

________________________

ISBN: 9783759241030

 

 

 

 

 

Triggerwarnung

Findest du hinter diesem Code:

Die Triggerwarnung ist außerdem unter diesem Link zu finden: https://maditatietgen.com/triggerwarnung-mittsommerversprechen/

 

 

 

 

 

Für Anna und Mikael

Weil ihr mir einen Ort gegeben habt, der meine Seele heilt,

immer wieder aufs Neue

 

Und für all die Frauen, die sich endlich selbst

verzeihen dürfen

 

Was waren Worte eigentlich wert? Was war ein Handschlag wert? Was ein Versprechen? In einer Welt, in der alles schriftlich festgehalten werden musste, um alle Beteiligten zur Einhaltung einer Abmachung zu zwingen, vermutlich nicht sehr viel, oder? Dabei sollte ein Versprechen etwas Verlässliches sein. Etwas, auf das man sich jederzeit berufen konnte. Stets in dem Wissen, dass der oder die andere sich ohne Wenn und Aber daran erinnern würde. Und sich diesem Versprechen verpflichtet sah. Andernfalls waren Worte nicht mehr als leere Hülsen.

Selma seufzte und führte diesen Gedanken unweigerlich zu Ende. Gemessen an diesen Prinzipien, waren Versprechen manchmal vielleicht nur eine Illusion, an die man unbedingt glauben wollte. Sie wusste nur zu gut, wie sich das anfühlte. Noch mehr kannte sie jedoch den Schmerz, der verursacht wurde, wenn ebendiese Illusion an den scharfen Kanten der Wirklichkeit zerbrach.

Aber heute nicht. Heute war ein Versprechen gegeben worden, von dem Selma überzeugt war, dass es für die Ewigkeit galt. Also erhob sie endlich ihr Glas und erklärte: »Eigentlich sollte dieser Tag ganz im Zeichen der Einigkeit zwischen Malin und Einar stehen.«

Sogleich stellte sich das fröhliche Murmeln an Deck des alten Seglers ein. Ein warmer Sommerwind ließ Kleider und Jacketts in der Luft flattern und erinnerte daran, dass sie auf hoher See waren. Selmas Blick richtete sich auf ihre ältere Schwester und deren frisch angetrauten Ehemann. Sie sahen so unheimlich glücklich aus. Trotzdem oder gerade deswegen konnte Selma sich ein freches Schmunzeln nicht verkneifen, wenn sie daran dachte, wie die zwei überhaupt zueinandergefunden hatten.

»Lasst mich trotzdem kurz erzählen, warum gerade diese zwei wunderbaren Menschen hier streng genommen die Letzten sein sollten, die von heute an als Eheleute gelten.«

Amüsiertes Grinsen breitete sich auf den Gesichtern der Anwesenden aus. Nur die engste Familie und Freunde durften heute an Bord sein. Malin, Selmas Schwester und die heutige Braut, stand nämlich nicht besonders gern im Mittelpunkt. Dennoch hatte sie sich gewünscht, dass Selma heute ein paar Worte sagte.

Also fuhr sie pflichtschuldig fort. »Vor genau einem Jahr saßen die beiden in meinem Büro, haben sich nicht mal angesehen, und das Einzige, das sie gemeinsam hatten, war, dass sie ganz weit weg vom jeweils anderen sein wollten.«

Selmas blaue Augen konzentrierten sich allein auf das Pärchen, das fortan gemeinsam den Wellen des Lebens trotzen würde. Malin und Einar sahen sich verliebt an und blickten dann wieder zu Selma, deren Hand plötzlich anfing zu zittern. Eine Gänsehaut überzog sie bei dem Gedanken daran, wie glücklich ihre Schwester endlich war. Gerade sie, die gedacht hatte, später einmal einsam mit einer Katze und einer kleinen Bibliothek in Rente zu gehen. Nur weil sie aufgrund ihrer angeblichen Schüchternheit und der nicht unbedingt zierlichen Figur nicht daran geglaubt hatte, jemals einen Menschen zu finden, der ihr die Welt bedeuten würde – und sie ihm. Doch so war es gekommen. Letztes Jahr an Mittsommer.

Selma rang von Emotionen geflutet nach Luft und beeilte sich, ihr Versprechen einer gefühlvollen, aber kurzen Rede zu erfüllen.

»Malin.« Sie lächelte ihrer Schwester zu. »Du bist eher introvertiert, am liebsten an Land und gehst jedem Abenteuer aus dem Weg. Und du, Einar«, sie grinste ihren Schwager an, »du stehst bei jedem gesellschaftlichen Anlass, ohne es zu wollen, automatisch im Zentrum des Geschehens, liebst das Meer … Und würde das Abenteuer ein Gesicht haben, es wäre ganz klar deins.« Selma schüttelte den Kopf. »Ich habe immer noch keine Ahnung, wie ihr es geschafft habt, euch bei dieser Ausgangslage ineinander zu verlieben. Das, was ihr habt«, sie wechselte in einen ruhigen, bestimmten und viel zu emotionalen Ton, »ist das, wonach wir alle heimlich streben. Wir suchen nach dem einen Menschen, der uns in den schwersten Stunden zum Lachen bringt. Der uns beisteht, ganz gleich, ob bei Erfolgen oder Niederlagen. Der uns zeigt, wofür es sich zu kämpfen lohnt, und dabei bedingungslos an unserer Seite ist. Diese eine Person, die uns genau so nimmt, wie wir sind. Ob wir es uns eingestehen oder nicht, aber wir wollen genau das. Wir alle.« Sie zwang sich zu einem frechen Lächeln, wenngleich sich ein tief sitzender Schmerz in ihrem Herzen zu Wort meldete. Energisch übertönte sie ihn mit Ironie. »Außer mir, denn ich bin bereits glücklich mit meinem Job verheiratet.«

»Hört, hört!«, rief Einar grinsend, hob sein Champagnerglas in Selmas Richtung und handelte sich sogleich einen spontanen Seitenhieb seiner Frau ein. Denn Malin wusste am besten, wie schwer Hochzeiten seit einiger Zeit für Selma waren. Erinnerten sie sie doch immerzu an ihre eigene, die in einem Drama geendet war, wie Hollywood es nicht besser hätte verfilmen können.

Selma erklärte: »Malin und Einar. Ihr seid ein friedlicher Frühlingswind und zugleich ein tosender Mittsommersturm, aber allem voran seid ihr ein Team. Eine Mannschaft. Ihr habt die Gabe, euch über eure Komfortzonen hinauszulehnen und festzustellen, dass es da drüben eigentlich auch nicht schlecht ist. Behaltet euch das bei.« Selma hob die Augenbrauen, seufzte theatralisch und ließ ihren Blick über die Gäste schweifen. »Findet ihr es nicht auch furchtbar, wie schrecklich glücklich sie aussehen?« Selma lachte und wischte sich unauffällig eine verräterische Träne aus dem Augenwinkel. »Auf euch«, erklärte sie mit erstickter Stimme und einem Lächeln auf den Lippen. »Auf Malin und Einar. Und auf euer Versprechen, dass ein gemeinsames Leben nie bedeutet, das eigene gänzlich aufzugeben.«

Sich in der Sache einig, hoben alle Anwesenden an Deck ihre Gläser in die Luft und wiederholten fröhlich: »Auf Malin und Einar!«

Schnell nahm Selma einen Schluck ihres Champagners und fuhr sich erneut mit dem manikürten Zeigefinger über ihre Augenwinkel. Gleich darauf schlangen sich zwei Arme um sie.

»Ich hab dich lieb«, murmelte ihre Schwester, die zwar älter, aber dennoch kleiner war als sie, und drückte sie fest an sich.

»Ich dich auch.« Selma versuchte, Luft zu holen, und lachte. »Zwing mich nie wieder, eine Trauzeugenrede zu halten! Du weißt, dass ich nicht gut darin bin, über Gefühle zu sprechen. Schon gar nicht auf Hochzeiten.«

Malin löste sich von ihr und legte den Kopf schief. »Ich weiß. Aber dafür hast du es wirklich gut gemacht. Alles okay bei dir?« Sie spielte auf Selmas schwieriges Verhältnis zu Hochzeiten an.

»Klar.« Sie nickte und hielt dann abrupt inne. »Na ja, vielleicht nicht ganz. Aber heute geht es nicht um mich.« Sie zwang sich zu einem fröhlichen Lächeln. Noch einmal umarmte Selma ihre Schwester. »Ich freue mich für euch. Wirklich.«

»Verrückt, oder? Vor einem Jahr hätte ich eine Panikattacke auf diesem Segelschiff bekommen. Heute stehe ich hier und feiere meine Hochzeit mit diesem Kerl da drüben.« Sie deutete auf Einar, der – wie Selma zugeben musste – ein wirklich guter Fang war.

Letztes Jahr hatte sie den erfolgreichen Segelsportler noch mit Liljendahl, ihrer gleichnamigen Agentur, vertreten. So waren er und Malin sich auch begegnet. Akuter Personalmangel hatte Selma in eine Zwickmühle gebracht. Sie war auf der Suche nach einem Aufpasser für den störrischen Segler gewesen. Dieser hatte sich nämlich in eine Situation manövriert, die drauf und dran gewesen war, seinen sportlichen Untergang einzuleiten. Malin war schließlich Selmas Retterin in der Not gewesen und hatte sich trotz ihrer Angst vor dem offenen Meer und allem, was mit Booten zu tun hatte, bereit erklärt, Einar bei seiner PR-Wiedergutmachungstour entlang der schwedischen Ostküste zu begleiten. Gegen seinen Willen.

Dass die zwei sich dabei ineinander verlieben, hätte wohl niemand erwartet. Am allerwenigsten die beiden. Doch die Liebe hatte sich offenbar über die anfänglichen Hürden geschwungen und war in diesen beiden Herzen gelandet.

Selma schlug einen verschwörerischen Ton an, nahm ihre Schwester in den Arm und deutete mit ihrem Glas auf den blonden Mann in dem perfekt geschnittenen Anzug mit der orangen Mohnblüte am Revers. »Wann immer du Verstärkung mit diesem Typen brauchst … du weißt, ich bin da.«

Malin lachte. »Das weiß ich. Aber …«

»… ihr seid verliebt, perfekt und überhaupt ganz sonderbar. Schon gut«, beendete Selma lachend den Satz und drückte Malin an sich. »Ich bewundere das.«

»Wir sind sicher nicht perfekt.« Malin neigte den Kopf nach vorn. Ein Schmunzeln umspielte ihre Mundwinkel, und man sah die innige Liebe und das tief sitzende Vertrauen in jedem ihrer Gesichtszüge aufblitzen. »Perfekt wäre doch auch langweilig.«

»Wie recht du hast!«

Plötzlich wurde Malin ernst. »Ich hoffe, du bist nicht …«

»Ach was!«, rief Selma hastig dazwischen und setzte einen betont fröhlichen Ausdruck auf. Sie musste ihre Schwester schnell davon überzeugen, dass es ihr gut ging. »Das ist dein Tag. Mach dir um mich keine Gedanken.«

»Du weißt, dass ich das nicht kann.«

»Ich bin ein großes Mädchen, Malin. Ich habe ein gutes Leben. Ich … ich brauche keinen Mann, der mich …« Ihre Stimme brach, und sie nahm eilig einen Schluck von ihrem Champagner und bemühte sich wieder um ein breites Lächeln.

Bevor Malin mit ihrem besorgten Gesichtsausdruck etwas erwidern konnte, erschien Einar vor ihnen und nahm die beiden Frauen in den Arm. Für einen kurzen Augenblick wurde der manchmal sture, aber im Grunde liebenswerte Kerl sentimental.

»Selma, ich denke, ich schulde dir etwas.«

»Ach ja?« Erleichtert für die Ablenkung hob sie amüsiert den Blick. Den Agentenvertrag mit Einar hatten sie längst aufgelöst, da er nicht mehr als Profisportler tätig war. Sie beriet ihn ab und zu noch, aber das war mehr ein Freundschaftsdienst.

Einar nickte. »Ja, du hast mich mit meiner Zukunft bekannt gemacht. Ich denke, da bin ich dir was schuldig. Zumal ich diese Reisebegleitung in den ersten Tagen am liebsten über Bord geworfen hätte.«

Malin riss die Augen auf. »Hey!«

Einar zuckte unschuldig mit den Schultern und sah zu seiner Frau. »Was denn? Das Gleiche hättest du doch auch am liebsten mit mir gemacht.«

»Ja, okay«, gab Malin zu und musterte ihn dennoch streng. »Unseren Kindern erzählst du die Geschichte gefälligst anders.«

Einar hielt kaum merklich inne, starrte seine Frau an, und ein warmer Ausdruck legte sich über sein Gesicht. Er gab Selma frei und schlang beide Arme um Malin: »Sollte ich da etwas wissen?«

»Eins nach dem anderen.« Malin küsste Einar schnell und verwickelte ihn in ein anderes Thema.

Selma entfernte sich indes unauffällig von den beiden, um ihnen ihre verdiente Privatsphäre zu lassen. Zügig leerte sie ihr Glas und begab sich an die hölzerne Reling. Sie gönnte ihrer Schwester das Glück von ganzem Herzen. Dennoch spürte sie diesen alten, rauen Stich, der ihr Herz in Bedrängnis brachte. Gedanklich sprach sie sich Mut zu. Sie führte ein gutes Leben. Ein sehr gutes. Sie war durch Fleiß und Ehrgeiz innerhalb weniger Jahre zu einer der führenden Sportagentinnen des Landes aufgestiegen. Mit ihrer Agentur betreute sie eine breite Masse an Spitzensportlern und -sportlerinnen. Ihre vorrangig weibliche Belegschaft galt als extrem zuverlässig und aufopferungsvoll, sodass Liljendahl nicht ohne Grund zu den Topagenturen Schwedens gehörte. Darauf war Selma mächtig stolz.

Schließlich wurde der Sport in vielen Bereichen abseits des Spielfelds immer noch von Männern dominiert. Sie und ihre Agentur stellten also etwas Besonderes dar. Jeden Tag kämpfte sie dafür, dass es ein Stück normaler wurde, auch als Frau in diesem Geschäftsfeld erfolgreich zu sein und allen voran den gleichen Respekt entgegengebracht zu bekommen wie ihre männlichen Kollegen und Agenturinhaber.

Selma starrte auf das Meer und die kleinen schäumenden Wellen, die der alte Segler in dem tiefblauen Wasser hinterließ. Sie glitten durch den berühmten Stockholmer Schärengarten. Die Sonne neigte sich langsam gen Horizont, und der Himmel färbte sich in ein warmes Gelb-Orange-Rot. Eine Handvoll Schleierwolken wurde in rosa Licht getaucht und sorgten für einen kitschigen Anstrich zum Beginn dieser wundervollen Juninacht. Der Sommer zog über das Land, und Selma wusste, wie gut sie es hatte.

Sie besaß eine liebevolle Familie, gute Freunde, ein schickes Apartment über den Dächern von Stockholms Altstadt und führte ein erfolgreiches Unternehmen. Sie hatte alles, was man sich im Leben nur wünschen konnte. Außer einer Sache. Oder zwei. Schnell atmete sie tief durch und zwang sich, an etwas anderes zu denken.

»Hej, Selma! Wir erobern die Tanzfläche. Bring deinem ehemaligen Profi mal bei, wie das geht!«

Selma wandte sich um und erkannte Alva, die nach ihr rief. Die Frau mit den blonden Locken gehörte zu den besten Freundinnen von Selmas Schwester. Ihr gehörte eine süße alte Buchhandlung in Stockholms Altstadt, Ekströms Bokhandel, bei der Malin einst gelernt hatte und seit jeher arbeitete. Alvas Mann, Siljan Dahlberg, war ein international gefeierter Thrillerautor und vollführte in diesem Moment mit seiner kleinen Tochter auf dem Arm eine elegante Drehung an Deck. Noch etwas, mit dem Selma abgesehen von Hochzeiten so ihre Probleme hatte: Kinder. Sie erinnerten Selma an ihre eigene Fehlbarkeit, die man niemals würde beheben können. Schnell wandte sie den Blick ab, setzte ein Lächeln auf und schob einmal mehr beiseite, was in der untersten Schublade ihres Herzens lauerte.

Sie war glücklich. Ja, definitiv. Auf jeden Fall.

Lachend lief Selma zu Alva, ergriff deren dargebotene Hand, und gemeinsam schickten sie sich an, die Gäste in Schwung zu bringen. Anders als Malins Freundin behauptete, brauchte Einar dabei gewiss keine Hilfe. Trotzdem, das hier war eine Sommerhochzeit. Eine schwedische. Also wurde getanzt, bis die Sonne den Horizont berührte, und noch weit darüber hinaus. Ab jetzt war es eine Party, keine Zeremonie mehr. Damit konnte Selma wesentlich besser umgehen und sich endlich entspannen.

 

 

Stunden später baumelten Selmas High Heels an ihren Fingern, als sie barfuß das Segelschiff verließ. Sie hatten inzwischen wieder in einem von Stockholms Jachthäfen festgemacht. Gähnend hielt sie sich die freie Hand vor den Mund. Es war weit nach Mitternacht, doch so richtig dunkel wurde es nicht mehr. In drei Wochen war Mittsommer, der längste Tag des Jahres. Um diese Zeit waren die Nächte stets hell und oftmals angenehm warm.

Selma war hundemüde. Diese Hochzeitsgesellschaft mochte übersichtlich gewesen sein, aber unter den Gästen hatten sich ausgemachte Partylöwen und -löwinnen befunden. Selma hatte gelacht, getanzt und war im Nebel des Glücks, der ihre Schwester umgeben hatte, ertrunken. Jetzt freute sie sich auf eine Dusche und ihr Bett.

Doch just, als sie in das auf sie wartende Taxi stieg, klingelte das Handy in ihrer Clutch.

Um diese Zeit? Müde kramte sie das Smartphone hervor und zog die Stirn in Falten. Mats Huldgren? Was wollte der denn noch so spät von ihr?

»Hej, was gibt’s?«

»Okay, das ist ein Notruf. Es … Scheiße, es tut mir echt leid, dass ich dich um diese Uhrzeit störe, aber ich brauche dich! Du hast versprochen, dass du immer da bist, wenn ich dich brauche!« Der sonst so gefasste Tennisspieler, den Selma seit einiger Zeit mit ihrer Agentur vertrat, verhaspelte sich aufgebracht.

»Ich bin da. Was ist passiert?«, beruhigte sie ihn. Ihre Müdigkeit verflog binnen Sekunden. Sofort wechselte Selma in die professionelle Rolle einer pflichtbewussten Agentin. Sie setzte sich auf der Rückbank des Taxis aufrechter hin und bedeutete dem Fahrer, noch einen Moment zu warten, bevor er losfuhr. Wenigstens so lange, bis Selma wusste, was vorgefallen war. Das könnte ihr Ziel in dieser Nacht beeinflussen.

Am anderen Ende seufzte ein entnervter und angestrengter Mats. »Ich soll in drei Wochen heiraten«, sagte der Zweiunddreißigjährige, als wäre das bereits das Problem.

»Ja, ich weiß. Du hast mir eine Einladung geschickt.«

»Ganz genau! Alle haben eine Einladung erhalten! Aber niemand wird kommen! Weil unsere gebuchte Location in Dalsland heute offenbar pleitegegangen ist, unsere Hochzeitsplanerin seit einer Woche mit einer Sommergrippe flachliegt und meine Verlobte die vierte Nacht in Folge nicht schläft, weil sie panisch und damit beschäftigt ist, diese Hochzeit der Superlative zu retten.« Mats Stimme überschlug sich mit jeder weiteren Information, die er Selma mitteilte.

Betont ruhig fragte sie: »Wie kann ich helfen?«

Mats stöhnte. »Ich weiß, du bist meine Agentin und keine Wedding Planerin, aber … ich brauche jemanden, der die Dinge in die Hand nimmt. Carly dreht vollkommen durch. Als ich vorgeschlagen habe, einfach im Garten meiner Eltern zu feiern und die Gäste von einhundertfünfzig auf fünfzig zu reduzieren, hat sie mir mit der Scheidung gedroht. Dabei sind wir noch nicht mal verheiratet! Sie wollte unbedingt diese Mittsommerhochzeit, obwohl ich nur zwei Wochen danach zu den Nordea Open muss. Ich habe es ihr versprochen, weil ich sie glücklich machen wollte. Aber wenn das so weitergeht, bin ich im besten Fall zwar verheiratet, aber für Monate ein nervliches Wrack. Das kann ich mir nicht leis…«

»Okay«, unterbrach Selma ihn alarmiert. Ohne nachzudenken, wiegte sie ihren Tennisstar in Sicherheit. »Mach dir keine Sorgen. Ich komme morgen zu euch, und dann besprechen wir alles. Ihr werdet die schönste Hochzeit des Jahres feiern, und danach gewinnst du das Turnier, okay? Wir kriegen das hin.«

»Wirklich? Du kümmerst dich um diesen Kram?« Ungläubig hakte Mats nach.

Nein! Sie sollte eine Hochzeit planen? Oh, das war das Letzte, was sie tun wollte. Trotzdem sagte sie: »Natürlich! Der Job von Liljendahl ist es, dafür zu sorgen, dass es dir gut geht und du dich auf den Sport konzentrieren kannst. Und da ich dir damals bei Vertragsunterschrift versprochen habe, dass ich persönlich für dich da bin, steht es außer Frage, dass ich das jetzt auch sein werde. Du kannst dich auf mich und mein Wort verlassen.« Selma hatte keinen Schimmer, worauf sie sich da einließ. Aber sie würde ein Versprechen niemals brechen. Auch wenn das hieß, mal eben für eine erkrankte Hochzeitsplanerin einzuspringen.

»Danke, Selma!« Erleichtert atmete Mats aus. »Du bist meine Rettung.«

Hoffen wir es, dachte sie seufzend und wies den Taxifahrer freundlich an, zu ihr nach Hause zu fahren. Sie würde morgen – oder besser gesagt heute – wohl doch nicht ausschlafen können.

 

»O Gott, endlich bist du hier!«

Mit einer Mischung aus Erleichterung und Verzweiflung wurde Selma von Mats Huldgren in den Flur seines hübschen Stadthauses gezogen. Schwedens Tennisass besaß pechschwarzes Haar, dunkelblaue Augen und ein kantiges Gesicht, das sich zu Selmas Freude perfekt für diverse hochpreisige Werbepartner eignete. Er war zum Glück nicht nur ein talentierter und hart arbeitender Sportler, sondern auch noch witzig, wortgewandt und charmant. Die perfekte Mischung, um auf ganzer Linie dem Erfolg entgegenzusteuern und für Liljendahl ein wichtiges Aushängeschild zu sein. Deshalb auch die VIP-Behandlung.

Doch in diesem Augenblick wirkte der sonst so selbstsichere Tennisstar, der mit der Zeit auch ein guter Freund von Selma geworden war, hauptsächlich überfordert.

»Carly klappt mir gleich zusammen, wenn sie noch eine schlechte Nachricht ertragen muss. Man könnte meinen, diese Hochzeit gleicht einem amerikanischen Staatsakt«, presste er flüsternd hervor.

Ohne auf eine Erwiderung zu warten, führte Mats sie direkt ins helle Wohnzimmer. Große Fenster ließen das morgendliche Sonnenlicht einfallen und den modern eingerichteten Raum wirken, als wäre er jederzeit bereit für das Shooting eines teuren Interieur-Magazins.

»Honey, Selma ist hier. Sie wird sich um alles kümmern.« Mats Ton nahm einen unerwartet geduldigen Ton an, als sie auf seine Verlobte zugingen.

»Kümmern?! Es ist eine Katastrophe! Worum will sie sich bitte noch kümmern?!« Carly schrak vom Sofa auf und pfefferte ihr Smartphone achtlos in die weißen Kissen. Sie trug eine zerschlissene, aber sicherlich teure Designerjeans, dazu einen schief sitzenden grauen Pulli, der ihr nur bis zum Bauchnabel reichte.

Die junge Amerikanerin war gute neun Jahre jünger als Selma. Doch die beneidenswerten siebenundzwanzig konnte man in diesem Moment nur vage erahnen. Selma kannte Carly von einigen Veranstaltungen sowie diversen Essen mit Mats. Seit er sich letztes Jahr während eines Tennisturniers in den USA auf den ersten Blick in Carly verliebt hatte, wich sie nicht mehr von seiner Seite. Für Selmas Geschmack kam die Hochzeit ein wenig zu schnell. Schließlich waren sie gerade mal ein knappes Jahr zusammen. Andererseits hatten auch Malin und Einar sich nach nur einem Jahr gestern das Ja-Wort gegeben. Selma konnte in diesen Dingen offensichtlich nicht mitreden. Ihre Hochzeit war …

Nein.

Sofort schüttelte sie die Erinnerung daran ab und konzentrierte sich auf die aufgelöste Amerikanerin vor sich.

Beruhigend ging Selma einen Schritt auf sie zu und legte ihre Hände auf die bebenden Schultern der zierlichen Schönheit. Obwohl Carly sich bemühte, Schwedisch zu lernen, wechselte Selma ins Englische. Sie wollte Mats’ Verlobten ein wenig Sicherheit geben. Und das fing bei Kleinigkeiten wie einer Unterhaltung in der Muttersprache an.

»Ich verspreche dir, du und Mats … ihr werdet in drei Wochen eine perfekte Hochzeit feiern.« Selmas Blick glitt über die ausgebreiteten Unterlagen auf dem viel zu großen Couchtisch aus Glas. »Lass uns am besten sofort anfangen.«

»Womit denn?« Carly schniefte theatralisch. »Die Location ist pleite! Gestern Abend kam die Mail. Damit ist alles hinfällig. Ich habe einhundertfünfzig Zusagen und keinen Ort zum Feiern! Die Wedding Planerin ist so krank, sie schafft es nicht mal, mir eine Aufstellung der offenen Posten zu schicken. Ich weiß gar nicht, wo wir stehen. Und dann …« Carly redete sich in Rage. Alles an dieser Feier schien zu einem Problem geworden zu sein.

Mats fuhr sich währenddessen nervös mit der Hand über den Hinterkopf, blieb aber tapfer an der Seite seiner Zukünftigen. Selma schaute aufmerksam zwischen den beiden hin und her und verstand, warum ihr Klient und Freund sie gerufen hatte. Carly wirkte überdreht und gefährlich nah an einem Nervenzusammenbruch.

Selma schnitt Carly freundlich das Wort ab.

»Setzen wir uns doch erst mal.« An Mats gerichtet fragte sie: »Würdest du uns einen Tee machen?«

»Nein, ich brauche Kaffee!«, rief Carly abwesend dazwischen.

Doch Selma lächelte streng zu einem ratlosen Mats. »Tee. Kamille. Noch mehr Koffein würde unsere Pläne vereiteln.«

»Welche Pläne?« Carlys Augen wurden groß, und ein besorgter Schimmer zog über ihr angespanntes Gesicht, das sonst unter sorgfältig aufgetragenem Make-up erstrahlte. Heute schien es hingegen müde und kämpfte gar mit dunklen Augenringen.

Mats verschwand zügig in der Küche, um eine Kanne Tee aufzusetzen.

Selma zwang Carly indes, sich wieder auf den weichen Kissen niederzulassen, und nahm ihre zitternden Hände in ihre.

»Ich weiß, es sieht gerade nicht gut aus. Aber wir kriegen das hin, okay? Du bekommst deine Traumhochzeit und …«

»Mittsommerhochzeit! Ich will eine schwedische Mittsommerhochzeit! Meine ganze Familie und meine Freunde kommen aus den USA. Nur deswegen! Ich habe ihnen schon so davon vorgeschwärmt, sie erwarten das Komplettpaket. Blumenkränze, perfekte Zimtschnecken, eine Prinzessinnentorte – die mit rosa Zuckerguss, nicht mit grünem –, einen Tanz um den Mittsommerbaum und …«

»Carly?« Selma unterdrückte ein Stöhnen und setzte einen weichen Gesichtsausdruck auf.

»Ja?« Die junge Frau glich einer gespannten Feder, die jederzeit unter dem anhaltenden Druck wegzuschnellen drohte.

»Warum willst du Mats heiraten?«

Sofort entzog Carly ihr die kalten Finger, sprang auf und lief vor dem modernen Kamin hin und her. »Ich liebe Mats! Ich liebe ihn, natürlich! Deshalb heiraten wir.«

Wenngleich Carly es mehr wie eine Rechtfertigung klingen ließ, spürte Selma, dass die aufgebrachte Amerikanerin es ernst meinte. Mit einem Winken forderte sie Carly auf, sich wieder neben sie zu setzen. Gehorsam, aber immer noch unruhig folgte die junge Frau der Bitte. Ihr rechtes Bein zuckte auf und ab … Noch ein Anzeichen für ihre Anspannung

Nachdrücklich erklärte Selma: »Alles, worum es an diesem Tag geht, seid ihr. Du und Mats. Ihr feiert eure Liebe und den Beginn eines gemeinsamen Lebens.«

»Ja, genau. Deshalb muss es ja auch perfekt sein.«

Selma bemühte sich, ihr Schmunzeln zu verstecken. Sie übertrieb ihre nächsten Worte mit Absicht, um Carly ein wenig aus dem Konzept zu bringen.

»Perfekt ist es, wenn du und Mats euch am Ende dieses Tages die Kleider vom Leib reißt, übereinander herfallt und wisst, dass ihr von diesem Tag an für immer zusammen sein wollt. In guten wie in schlechten Zeiten.«

Carly erstarrte und machte große Augen. »Das nennst du perfekt?! Perfekt ist es, wenn diese Hochzeit die Feier des Jahres wird. Ich will, dass die Menschen noch nächsten Mittsommer davon sprechen und …«

»Dann heiratest du Mats wegen einer pompösen Feier?« Provokant hob Selma eine Braue in die Höhe.

»Nein!« Wieder fuhr Carly auf. Verzweifelt schob sie ihre zarten Finger in die wallnussbraunen Korkenzieherlocken. Sekundenlang schwieg sie und starrte auf den teuren Teppichboden. Selma musterte sie abwartend und bemerkte den Kampf auf dem Gesicht der Amerikanerin.

Selma wusste nicht viel über sie. Nur dass sie aus einer reichen Unternehmerfamilie von der Ostküste stammte und ihren eigenen Unterhalt weder verdienen noch erarbeiten musste. Ein gut abgesicherter Fonds ihrer Eltern brachte sie mit vielen weiteren Annehmlichkeiten durchs Leben. Selma verbot sich, darüber zu urteilen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es Carly in gewissen Dingen am Bezug zur Realität fehlte. Aber es war nicht Selmas Job, das zu ändern. Mats musste damit klarkommen.

Auf einmal barg Carly ihr hübsches Gesicht in den flachen Händen. Tränen liefen über ihre Wangen, und unter erstickten Lauten wisperte sie ergriffen: »Ich will doch nur, dass dieser Tag perfekt wird. Für uns.«

Selma erhob sich und hockte sich dann vor Carly hin. Wenn sie eines bei ihrer Arbeit mit sturen, überheblichen, unsicheren oder auch selbstverliebten Sportlern und Sportlerinnen gelernt hatte, dann dass man ihnen viel Zeit und Verständnis entgegenbringen musste. Dann würde noch jeder zur Einsicht kommen. Selma hatte diese Fertigkeit perfektioniert. Und so reichte sie Carly ein Taschentuch, das sie aus einer Box neben dem Sofa gezupft hatte.

»Der Tag wird perfekt. Wenn du ihm die Chance dazu gibst.« Aufmunternd lächelte sie und deutete mit dem Kopf auf die Unterlagen. »Zeig mir mal, was du dir wünschst. Danach rufe ich eure Wedding Planerin an, organisiere mir alles, was wir von ihr brauchen, und dann kümmere ich mich darum, dass es vorangeht. Okay?«

Verunsichert sah Carly auf. »Du denkst bestimmt, ich sei furchtbar oberflächlich. Es ist nur …«

»… du gehörst zu den Mädchen, die sich ihr Leben lang eine große, glitzernde Hochzeit ausgemalt haben.«

Überrascht und ein wenig beschämt nickte Carly.

Selma lächelte und fühlte sich neben der Siebenundzwanzigjährigen hundert Jahre älter und weiser. »Das ist doch nichts Schlimmes. Vielleicht versuchst du trotzdem, das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren.«

Fragend starrte die Amerikanerin sie an.

In diesem Moment kehrte Mats mit einem Tablett zurück. Darauf eine Kanne sowie zwei Becher und eine kleine Schüssel mit schwedischen Haferkeksen – natürlich mit Schokoladenüberzug. Selma schmunzelte unweigerlich. Mit Mats hatte Carly wahrlich einen Volltreffer gelandet.

Sie schaute zu der verzweifelten Braut in spe. Sanft neigte Selma den Kopf in Mats Richtung.

»Das Wesentliche, Carly. Das ist alles, worauf es ankommt.«

Carly folgte ihrem Blick und schaute zu Mats hinüber, der Tee in eine der Tassen goss. Sofort wandelte sich die Anspannung in einen liebevollen Ausdruck. Ihre braunen Augen wurden von einer geheimnisvollen Wärme erfüllt, und noch während Carly begann, verliebt zu blinzeln, wusste Selma, dass sie diese Katastrophe schon irgendwie meistern würden.

 

 

Niemals. Sie würden es niemals schaffen!

Vier Stunden später zwang Selma das Brautpaar des Jahres dazu, an die frische Luft zu gehen. Einerseits weil Carly dringend eine Ablenkung benötigte, andererseits weil Selma unbedingt eine Pause brauchte. Und einen Moment Ruhe, um sich die Fakten vor Augen zu führen. Ihr Verstand arbeitete auf Hochtouren, um all die Dinge, die Carly so wichtig waren, auf einen Nenner zu bringen. Es schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Zumindest, wenn man das Zeitproblem mit einbezog.

Sie mussten quasi bei null anfangen. Da waren drei Wochen nicht mal ein Wimpernschlag. Streng genommen hatten sie sogar nur zwanzig Tage. In ihrem Fall ein entscheidender Unterschied.

Mats hatte Selmas Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und Carly davon überzeugt, essen zu gehen, während Selma sich in ihrem Wohnzimmer eine Strategie überlegte und ein paar Anrufe tätigen würde. Just als die beiden das Haus verlassen wollten, stürmte Carly mit dem Handy in der Hand noch einmal zurück zu Selma.

»Oh, my gosh! Ich habe unsere neue Location gefunden. Sieh nur!« Sie hielt Selma ihr Smartphone unter die Nase. »Das ist perfekt! Noch besser als die ursprüngliche. Hier will ich heiraten! Bitte!« Flehend sank Carly neben Selma aufs Sofa.

»Wie kommst du ausgerechnet hierauf?«, fragte Selma irritiert und nahm endlich das Handy in die Hand, um sich die Website mit den schicken Bildern in Ruhe ansehen zu können.

»Ich habe einer Freundin von dem Pleite-Drama erzählt, und sie hat mir eben die Location geschickt, wo ihre Schwester vor einigen Jahren geheiratet hat.« Aufgeregt zupfte Carly an ihren Locken. »Wir müssen sofort anrufen! Vielleicht haben sie ja zufällig noch etwas frei. Und wenn nicht … Selma, du findest doch einen Weg, oder?« Mit großen Augen schaute Mats Verlobte zu ihr.

»Muss es genau das sein? An Mittsommer wird sicherlich schon vieles ausgebucht sein. Wir sollten …« Vorsichtig versuchte Selma, Carlys Erwartungen zu dämpfen. Doch die schien sich auf einmal auf diesen Ort zu versteifen.

»Mats Huldgren, Schwedens Nummer eins der Tenniswelt, heiratet nur einmal! Und Geld spielt absolut keine Rolle.« Sie nickte geschäftig. »Du hast vollkommen freie Hand. Ich will dort meine Mittsommerhochzeit feiern, und es ist mir egal, wie viel ich dafür bezahle.«

»Carly«, Mats schaltete sich aus dem Hintergrund ein, »Selma kann nicht zaubern. Vielleicht …«

Aufgebracht fuhr Carly hoch. »Wenn es nach dir ginge, würden wir eine verdammte Gartenhochzeit haben! Am besten noch mit einem x-beliebigen Barbecue und einer Partie Tennis!«

Mats verdrehte die Augen und bemühte sich sichtlich, ruhig zu bleiben. Er kam auf Carly zu und legte beide Hände auf ihre Wangen. »Ja, weil ich dich liebe und du alles bist, was ich an unserem Hochzeitstag brauche. Der Rest ist mir egal.«

»Aber nicht im Garten deiner Eltern!«, wetterte die Amerikanerin aufgelöst.

Eilig schaltete Selma sich ein. »Ich rufe an, wenn ihr endlich geht«, meinte sie betont optimistisch. Sie nickte Mats unauffällig zu, und der schlang einen Arm um Carly, um sie aus dem Haus zu schieben und auf andere Gedanken zu bringen. Eine Aufgabe, die vermutlich ebenso undankbar war wie die von Selma.

Als die Tür ins Schloss fiel, streckte sich Selma und hob nachdenklich die Brauen in die Höhe. Innerhalb eines Sonntagvormittags war sie nun also von einer erfolgreichen Sportagentin zur Wedding Planerin geworden. Ihr Blick glitt über aufgeschlagene Hochglanzmagazine, Fotos aufwendiger Blumenarrangements und ein Dutzend Papierproben für die Tischkärtchen und ein potenzielles Menü.

Was hatte sie sich da nur aufgeladen? Sie und Hochzeiten hatten keine besonders glorreiche gemeinsame Vergangenheit. Sie war ein guter Gast und womöglich eine passable Trauzeugin. Was den Rest betraf …

Sie räusperte sich, verdrängte den aufkeimenden Gedanken energisch und zog das Handy aus ihrer Handtasche. Carly hatte ihr zuvor noch den Link zu der neuen Traumlocation geschickt.

Obwohl Selma bereits ahnte, wie die Antwort ausfallen würde, suchte sie auf der Website die Telefonnummer heraus, tippte sie an und lauschte dem Freizeichen. Just als jemand abnahm, erinnerte sie sich daran, dass eigentlich Sonntag war.

»Auf Johansbyn, hier spricht Annegret.«

»Hej!«, rief Selma ein wenig überrumpelt, wenngleich sie gehofft hatte, jemand würde trotz des Wochenendes abnehmen. Schnell stellte sie sich vor. »Mein Name ist Selma Liljendahl, ich hätte da ein sehr dringendes, spontanes Anliegen.«

»Ja?«

»Ich habe eben zufällig gesehen, dass Johansbyn bei Bengtsfors liegt. Das wäre ehrlich gesagt perfekt, um …« Sie lachte nervös. »Ich kümmere mich um die Hochzeitsplanung eines guten Freundes, und um ehrlich zu sein, stehe ich etwas im Regen. Ich benötige für Mittsommer einen neuen Veranstaltungsort in Dalsland, und die Braut hat eben Johansbyn entdeckt und will nun unbedingt dort feiern und …«

»Mittsommer? Dieses Jahr?«

Selma räusperte sich. »Ja, genau.«

»Das ist in weniger als drei Wochen.« Die Dame am Telefon schien hörbar amüsiert zu sein.

Selma packte deshalb ihr höchstes Maß an Professionalität aus. »Das stimmt. Aber ich vollbringe wahre Wunder, wenn ich unter Druck stehe. Gäbe es denn vielleicht die Möglichkeit, die Feierlichkeiten nach Johansbyn zu verlegen?« Sie traute sich kaum zu atmen. Ihre Anfrage war nicht nur utopisch, sondern auch vollkommen abwegig. Die Website mochte nicht ganz aktuell gehalten sein, doch die Fotos zeugten von einer perfekten Traumadresse für Events aller Art. So kurzfristig und dann auch noch an Mittsommer verfügbar zu sein, glich einem Sechser im Lotto. Zweimal hintereinander.

Gedanklich legte Selma sich bereits eine Rede zurecht, um Carly bei ihrer Rückkehr die schlechte Nachricht zu überbringen.

Das lange Schweigen am anderen Ende der Leitung trug nicht unbedingt dazu bei, ihren Optimismus zu frönen. Und so überhörte Selma die nächsten Worte dieser Annegret beinahe.

»Ich weiß nicht, wie ihr es bewerkstelligen wollt, in drei Wochen eine Hochzeit auf die Beine zu stellen, aber wir würden uns sehr freuen, wenn sie auf Johansbyn stattfindet.«

Ungläubig riss Selma die Augen auf und presste das Handy fester ans Ohr. »Wie bitte?!«

»Ihr habt Glück. Wir sind an Mittsommer noch frei.«

Sprachlos stammelte sie: »Wirklich?«

»Ja … ja, wir haben da noch nichts im Kalender stehen.«

Selma überhörte vor Erleichterung und Überraschung das kurze Zögern ihrer Gesprächspartnerin. Vollkommen überwältigt fing sie an, vor dem Kamin hin und her zu laufen und die nächsten Schritte abzuwägen.

»Das ist großartig! Wirklich! Also … ich kann das gar nicht glauben.« Sie ging in Gedanken ihren Kalender durch. »Ich bin in Stockholm, aber wenn es passt, könnte ich übermorgen, also am Dienstag, vorbeikommen und mir alles einmal ansehen. Und vielleicht schickt ihr uns bis dahin schon mal ein Angebot per Mail? Damit wir gleich über die Kosten und alles andere sprechen können, wenn ich da bin. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Natürlich.« Annegrets Stimme nahm einen nervösen Klang an, aber Selma schrieb es der kurzfristigen Anfrage zu.

»Wunderbar! Ich würde das gern so schnell wie möglich unter Dach und Fach bringen.«

»Verständlich«, stimmte Annegret zu. »Darf ich fragen, mit wie vielen Gästen wir bei dieser Hochzeit rechnen dürfen?«

»Aktuell sind wir bei einhundertfünfzig. Ist das ein Problem?« Selma hatte sich die Website angesehen und gelesen, dass die Location für bis zu zweihundert Gäste ausgelegt war.

Schnell erklärte Annegret: »Nein, das ist kein Problem. Nein, nein. Dann sehen wir uns am Dienstag?«

»Unbedingt!«

Sie tauschten noch die Kontaktdaten aus und legten schließlich auf. Gleich darauf machte Selma einen nicht besonders eleganten Freudensprung.

Na, also! Sie war die Problemlöserin Nummer eins in diesem Land. Mats und Carly würden ihre perfekte Mittsommerhochzeit bekommen. Vielleicht würde es doch einfacher werden als zunächst befürchtet.

 

Krachend teilte sich das Birkenholz in zwei Teile, die sogleich auf den weichen Rasen fielen. Mit einem schnellen Griff hob Gustav sie auf und warf sie zu ihren Artgenossen, die bereits einen großen Haufen ausmachten. Zwar waren die schwedischen Sommer recht warm, aber es schadete nie, immer einen guten Vorrat an Brennholz zu haben. Das redete Gustav sich zumindest ein. Vielleicht musste er auch einfach nur seine schlechte Laune an etwas auslassen. Eine Axt und eine Fuhre Holz schienen ihm dafür passend. Und vor allem weitestgehend ungefährlich.

Schnell positionierte er das nächste Stück Holz, hob die Axt über seinen Kopf und schleuderte sie krachend in den armen Birkenstamm. Kleine Späne flogen zur Seite, die Spalten fielen zu Boden, und wieder warf er die beiden schmalen Scheite auf den größer werdenden Haufen.

Als er sich daraufhin erneut aufrichtete und seinen Blick automatisch über das weitläufige Seegrundstück schweifen ließ, erkannte er einen dunkelblauen Mercedes, der von der angrenzenden Landstraße in seine Einfahrt bog. Gustav kannte den Wagen nicht, der sich in dieser Sekunde neben seinen dunkelgrauen Pick-up stellte. Besuch erwartete er keinen. Skeptisch musterte er deshalb das blitzsaubere Auto, das allein wegen dieses Umstands nicht aus der Gegend stammen konnte.

Gustavs Finger schlangen sich fester um den Griff seiner Axt. Misstrauisch beobachtete er, wie eine blonde Frau in High Heels die Fahrertür öffnete und ausstieg. Elegant schwang sie ihr schulterlanges gewelltes nach hinten, beugte sich erneut in den Wagen und zog eine große schwarze Handtasche heraus. Sie warf sie sich über die Schulter, schloss ihr Auto ab und sah sich suchend um.

Sogleich bemerkte sie Gustav. Zielstrebig kam sie auf ihn zu.

Die Fremde lief in langen, selbstbewussten Schritten quer über den Rasen zu ihm hinüber. Dass ihre schmalen Absätze in dem weichen Gras zu versinken drohten, überspielte sie geschickt … es wäre Gustav kaum aufgefallen. Abgesehen von den High Heels trug sie einen knalligen hellblauen Hosenanzug, hatte das Jackett aber offenbar im Auto gelassen. Ein weißes Top betonte die zarten Schlüsselbeine und schmiegte sich eng an ihre sportliche, aber durchaus kurvige Figur, bevor es im Bund der hochgeschnittenen Hose verschwand.

Sie war ganz eindeutig nicht aus der näheren Umgebung. Und obwohl er noch längst nicht wusste, warum sie hier war, zog er genervt von der unangekündigten Störung die Stirn in Falten. Ohne Umschweife machte er seinem Frust Luft.

»Verfahren?« Er meinte es genauso unhöflich, wie es klang.

»Ist das hier Johansbyn?«

Gustav nickte.

Sie strahlte. »Dann bin ich richtig.«

»Das bezweifle ich«, brummte Gustav und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Axt hatte er zwischenzeitlich an den halbhohen Stamm neben sich gelehnt. Nach einer Dreiviertelstunde holzhacken unter der warmen Mittagssonne war er unweigerlich durchgeschwitzt. Seine Arbeitshose sowie das dunkelgrüne Shirt klebten förmlich an ihm, während sein etwas zu langes Haar mit ein paar feuchten Strähnen seine Stirn kitzelte.

Die Unbekannte musterte ihn, verweilte mit ihrem Blick auf seinem Oberkörper und meinte dann schnell: »Ich bin Selma Liljendahl. Ich komme aus Stockholm.«

Sie sagte es so selbstbewusst, als würden sich für sie damit magische Türen auf diesem Grundstück öffnen. Unbeteiligt zuckte Gustav mit den Schultern und fühlte sich in seiner Annahme bestätigt. Eine Städterin. Was auch immer sie hier fälschlicherweise zu finden dachte, er würde ihr gleich erklären, dass sie lieber weiterfahren und woanders danach suchen sollte.

»Schön für dich.«

Irritiert zog sie ihre Stirn in Falten. »Wir haben einen Termin. Die Mittsommerhochzeit …«

Gustav spürte einen schmerzhaft wütenden Stich in seiner Brust und griff unwillkürlich nach der Axt. Er wandte sich ab, legte ein Holz vor sich auf den runden Stamm und grummelte, während er das Werkzeug seinen Dienst verrichten ließ: »Keine Ahnung, wovon du redest.«

»Aber …« Hartnäckig stemmte sie ihre Hände in die Taille, was Gustav für einen Augenblick ablenkte.

Mit einem Moment der Verzögerung sammelte er das Brennholz schließlich vom Rasen und wollte die Dame schon seines Grundstücks verweisen, als sie mit Nachdruck einen Schritt auf ihn zumachte.

»Ich hatte angerufen und auch schon ein Angebot bekommen. Per Mail. Es fehlt nur noch eine Unterschrift. Wir haben deshalb einen Termin. Selma Liljendahl. Ich kümmere mich um die Hochzeit von Mats Huldgren.«

Gustav stellten sich die Nackenhaare auf, doch er warf ihr einen betont desinteressierten Seitenblick zu. Er blieb in der typisch schwedischen persönlichen Anrede, verzichtete jedoch auf Formulierungen, die für gewöhnlich dem Gegenüber Respekt signalisierten. »Schön für deinen Mats, aber wer auch immer das ist, hier wird er nicht heiraten.«

Diese Selma Liljendahl rang sichtlich nach Luft. Ihre Brust hob sich unter dem zarten weißen Top und zog einmal mehr Gustavs Aufmerksamkeit auf sich. Doch ihre nächsten lauter werdenden Worte erinnerten ihn daran, dass er üble Laune hatte und diese Frau fleißig, wenn auch unwissentlich, dazu beitrug, dass sie noch schlechter wurde.

»Wenn das ein Scherz sein soll, ist er absolut nicht witzig.«

»Kein Scherz«, erwiderte Gustav. Er ließ die Hand mit der Axt neben sich sinken, richtete sich auf und wandte sich gelangweilt an die Fremde. »Das hier ist der letzte Ort im Umkreis von fünfzig Kilometern, an dem an Mittsommer eine Hochzeit stattfinden wird.« Der letzte Halbsatz blieb ihm beinahe im Hals stecken. Schnell fuhr er sich mit der freien Hand über den gepflegten Dreitagebart. »Ich habe noch zu tun, wenn du also bitte …«

»O nein! Ich habe am Sonntag mit jemandem von hier telefoniert. Ich habe eine mündliche Zusage und dieses Angebot.« Sie zog eine Mappe aus ihrer viel zu großen Handtasche, wedelte damit vor ihm herum und erklärte spitz: »Diese Hochzeit wird hier stattfinden.«

Nun wurde es Gustav zu bunt. Er warf die Axt in sicherem Abstand auf den Boden, stemmte die Hände in die Hüften und fixierte die strahlend blauen Augen der von sich überzeugten Städterin.

»Ein Scheiß findet hier statt. Das ist mein Grundstück, und du gehst jetzt besser.« Warnend baute er sich vor ihr auf, doch das schien sie nicht im Mindesten zu beeindrucken.

»Okay, ich verstehe.« Sie nickte. Ruhiger, aber immer noch nicht bereit nachzugeben, eröffnete sie ihm: »Annegret. Ich will mit ihr sprechen. Ist sie da?«

Verdutzt entglitt ihm sein Gesichtsausdruck für eine Millisekunde. »Annegret? Wieso?!«

»Weil …«

»Hej! Selma, nicht?! Wie schön, dass du hergefunden hast!«

Gustav versteifte sich und wandte den Blick zu der gut gelaunten Frau, die schnurstracks auf sie zueilte. Sie war zwar seit einem guten Monat zweiundsechzig, wirkte mit dem vollen blonden Haar allerdings nicht ansatzweise ihrem Alter entsprechend. Dazu trug sie eine geblümte Sommerbluse und eine beige Leinenhose auf ihren rundlichen Hüften.

Selma wandte sich ebenfalls um, und Gustav bildete sich ein, Erleichterung auf ihrem Gesicht zu erkennen. Er wollte diese mit einem blöden Spruch zunichtemachen, aber er war zu langsam.

»Ach, ich freue mich ja so, dass du hier bist. Wie war die Fahrt? Stockholm ist ja nicht gerade um die Ecke.«

Aufgeregt ergriff Annegret Johansson die Hand der nervtötenden Frau aus Stockholm. Gustav schüttelte hingegen genervt den Kopf. Er wollte seine Ruhe haben, bevor er zu seinem nächsten Job fuhr. Er hatte sich nur ein wenig abreagieren wollen, und jetzt das? Was sollte das alles?

 

 

Endlich! Endlich tauchte jemand mit Verstand und Kompetenz auf, dachte Selma erleichtert. Dieser Grobian von Mann hatte sich offensichtlich an der Axt neben sich ein Beispiel genommen und metzelte sein Umfeld liebend gern mit scharfen Kanten nieder.

Hoffnungsvoll konzentrierte sich Selma deshalb auf die freundliche Frau mit der Stupsnase und den natürlich roten Lippen. Sie dürfte Anfang sechzig sein und strahlte eine unglaubliche Energie aus. Ihr Haar leuchtete hell in der warmen Junisonne, und ihre Wangen schimmerten rosig, ganz ohne Make-up, wie Selma feststellte.

»Ich bin zum Glück gut durchgekommen. Viereinhalb Stunden waren es am Ende aber doch.«

»Oh, das glaube ich gern! Möchtest du dich vielleicht erst mal frisch machen?« Die Frau nickte dem finster dreinblickenden Kerl zu. »Gustav, setzt du einen Kaffee auf, während ich Selma zeige, wo sie …«

»Ich habe ihr schon gesagt, dass diese Hochzeit nicht stattfindet. Zumindest nicht auf Johansbyn«, brummte der unfreundliche Typ, statt der Bitte nachzukommen.

Die Frau, bei der es sich, der Stimme nach zu urteilen, eindeutig um Annegret handeln musste, lachte herzlich. »Sei kein Dummkopf! Natürlich findet die Feier hier statt.«

Gustav, wie der ungehobelte Holzklotz offenbar hieß, holte angestrengt Luft und erdolchte die arme Frau mit seinen dunkelbraunen Augen. »Können wir kurz reden?« Er warf Selma einen angespannten Seitenblick zu. »Unter vier Augen?«

Was auch immer hier vor sich ging, Selma hoffte inständig, dass Annegret sich am Ende durchsetzen würde. Selma war heute bereits im Morgengrauen losgefahren, um gegen Mittag in der Nähe des beschaulichen Ortes Bengtsfors anzukommen. Knapp vierhundertzwanzig Kilometer lagen hinter ihr, die sie von Stockholm aus immerzu in Richtung Westen gefahren war. Die norwegische Grenze war nur mehr vierzig Kilometer entfernt, und Selma befand sich im Herzen der schwedischen Provinz Dalsland. Ein Landesteil, der für seine Wälder, die vielen kleinen und großen Seen und die wunderschönen Wanderwege berühmt war. Doch deshalb hatte sie den weiten Weg über all die geschwungenen Landstraßen nicht auf sich genommen.

Abschätzend sah sie zwischen dem Gemeinen Gustav, wie sie ihn innerlich getauft hatte, und Annegret hin und her. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und deutete mit dem Daumen über die Schulter.

»Ich warte einfach … dort drüben. In Ordnung?« Sie wandte sich mit Absicht an Annegret.

»Ja, ja. Wir haben das gleich.« Optimistisch und beruhigend zugleich nickte sie und setzte ein fröhliches Lächeln auf.

Von Gustav hörte Selma lediglich ein tiefes Grummeln, und so balancierte sie eilig auf ihren Fußballen ein paar Meter zurück in die Richtung, aus der sowohl sie als auch Annegret zuvorgekommen waren. Als sie einen gewissen Abstand zu ihr und Gustav aufgebaut hatte, verschränkte sie die Arme vor der Brust und wandte sich ein wenig ab.

Noch in derselben Sekunde bemerkte sie aus dem Augenwinkel, wie Annegret emsig auf den schlecht gelaunten Mann einredete. Er dürfte nicht viel älter als Selma sein. Sie schätzte ihn ebenfalls auf Mitte dreißig. Plötzlich schien er die ältere Frau in dem sommerlichen Outfit rüde zu unterbrechen. Ungehalten gestikulierte er in Selmas Richtung und schüttelte vehement den Kopf, als Annegret leidenschaftlich etwas zu erwidern schien.

Wenngleich Selma sich unweigerlich anstrengte, etwas von dem Streit zu verstehen – denn nichts anderes führten die beiden dort drüben –, so gelang es ihr leider kaum. So ein Mist. Es stand zu viel auf dem Spiel, um unverrichteter Dinge nach Stockholm zurückzukehren.

Zwar hatte sie versucht, Carly keine allzu großen Hoffnungen zu machen, aber die Verlobte ihres Klienten hatte von Selmas vorsichtigen Warnungen nichts hören wollen. Am liebsten hätte sie bereits allen Gästen die Adresse der neuen Location mitgeteilt. Nur mit Mats’ energischer Hilfe hatte Selma sie davon abhalten können. Als sie sich Sonntag schließlich von den beiden verabschiedet hatte, hatte der Tennisstar Selma zur Tür begleitet und sie eindringlich gemustert.

»Kriegen wir das wirklich hin?«

Selma hatte überzeugt genickt. »Aber natürlich.«

Seufzend wandte sie sich nun um hundertachtzig Grad und ließ mit dieser Bürde auf den Schultern ihren Blick schweifen. Dieser fiel zunächst auf ein großes typisch schwedisches Holzhaus. In hellem Grau gestrichen und mit weißen Balken versehen, thronte es am oberen Ende des Grundstücks. Direkt dahinter verlief die geschwungene Landstraße, über die sie gekommen war. Neben einem Erdgeschoss, dem ersten Stock und unter den schrägen Giebeln noch einem Dachgeschoss besaß das Haus jedoch keine gewöhnliche Terrasse. Das lag sicherlich daran, dass das Gebäude in den Hang gebaut worden war. Das Erdgeschoss war aufgrund der Schräge auf dieser Seite nicht mehr ebenerdig, sondern von hier aus gesehen bereits auf Höhe eines ersten Stocks. Die eigentliche Terrasse wirkte deshalb wie ein riesiger Balkon, den man mit hohen Holzbalken abgestützt hatte. Große Fensterscheiben oberhalb der Holzverkleidung verwandelten das Gebilde zudem eher in einen gemütlichen Wintergarten.

Der Keller des Hauses schien direkt darunter und aufgrund der ungewöhnlichen Bauweise wie ein normaler Ausgang auf Rasenhöhe zu liegen. Selma erkannte eine Tür in der Mitte der Hauswand, sowie rechts und links davon abgedunkelte Fenster. Vermutlich waren dort Abstell- und Wäschekammern.

Auf der anderen Seite der steilen Auffahrt befand sich eine hölzerne Garage, die in dem typisch schwedischen Falunrot gestrichen war. Eine wesentlich größere Scheune schloss sich im Neunziggradwinkel daran an – ebenfalls in Falunrot mit weißen Balken. Eines der riesigen Tore stand zur Mitte des Hofes sperrangelweit offen. Diverse Werkbänke, allerhand Werkzeug sowie ein nicht zu verachtender Radlader verbargen sich darin, wie Selma sogar aus der Entfernung erkannte.

An einer schmalen Tür am Ende der Scheune hing der Umriss eines Hahns aus schwarzem Metall.

Selma kniff die Augen zusammen und bemerkte ein Außengehege, das sich offenbar an die hintere Außenmauer anschloss. Hühner! Es gab Hühner auf dem Hof.

Mit einem Lächeln glitt Selmas Blick über einen großen Innenhof hinüber zu einem weiteren Gebäude. Es stand parallel zu dem eben betrachteten Haus und war ebenso groß. Nur dass es anders aussah. Die Mauern im Erdgeschoss waren weiß verputzt und auf Höhe des ersten Stocks mit Holz verkleidet. Das wiederum war in dem gleichen Grau gestrichen wie das Wohnhaus, das sich nach ihrem Rundblick nun wieder hinter Selma befand.

Außerdem führte ein breiter Weg, ähnlich einer ehemaligen Scheunenrampe aus Schotter, hinauf zu einer Holztreppe. Nach wenigen Stufen folgte eine breite dunkelrote Doppeltür mit geschwungenen goldenen Griffen, die ins Innere des Gebäudes führte. Schon wie beim Wohnhaus sorgte der schräge Hang dafür, dass man von der einen Seite zwar ins sogenannte Erdgeschoss kam, dieses aber auf der anderen Seite wie der erste Stock wirkte.

Auf der Stirnseite des Gebäudes, die zu Selma hinzeigte, gaben drei riesige Fenster den Blick ins Innere frei. Doch von Selmas Position aus konnte sie kaum sehen, was sich darin verbarg. Was sie jedoch erkennen konnte, war, dass sich direkt unter den Scheiben eine rustikale Schiebetür aus Holz befand. Daran schloss sich eine halb fertige Holzterrasse an.

Unschlüssig musterte Selma das Gebäude. Neben dem Aufgang wachte eine ausladende und alles beherrschende Esche mit vollem grünen Blätterkleid. Aus der Ferne wirkte alles ganz hübsch, aber je genauer Selma hinsah, desto mehr Ungereimtheiten fielen ihr auf. Es ging nicht nur um eine unfertige Terrasse. Da waren kaputte Fenster, die dringend ausgetauscht werden mussten. Holzstufen, die gebrochen waren. Unkraut wucherte an den Mauern. Die graue Farbe splitterte ab. Selma wusste von der Website, dass es sich bei diesem Gebäude um die eigentliche Location handelte. Allerdings schienen die Fotos lange vor dem zunehmenden Verfall gemacht worden zu sein. Es wirkte, als hätte sich jemand eine ganze Weile nicht mehr um das Haus gekümmert.

Besorgt schürzte Selma ihre Lippen. Hatte sie sich zu viel von der Reise versprochen? War diese Website nur ein hübsches, aber unhaltbares Versprechen?

Sie blinzelte hinüber zu dem wundervollen See, der am Ende des Hanggrundstücks blau in der Junisonne glitzerte. Doch bevor sie den Ausblick genießen und Kraft daraus schöpfen konnte, hörte sie plötzlich die energische Stimme von Gustav zu sich hinüberwehen. Der Wind hatte gedreht und trug nun endlich ein paar Wortfetzen an ihre gespitzten Ohren.

»… sehe nicht ein, wieder damit anzufangen … war ihr Job, nicht meiner!«

Unauffällig beobachtete Selma, wie Annegret mit ähnlich sturem Gesicht wie Gustav erklärte: »Das … deine Chance … Sie wird dir auf dem Silbertablett … Mach jetzt … Dummheiten!«

Die Fetzen hörten sich an wie ein Lückentext, den man in der Schule diktiert bekam und nun mit passenden Wörtern füllen musste. Selma tat ihr Bestes, um etwas Sinnvolles daraus zu schließen.

Der Gemeine Gustav legte die Stirn in tiefe Falten, zog die Nasenwurzel kraus und presste die Lippen zusammen. Dann brummte er: »Ich will sie nicht … Leben haben. Es war … Geschäft. Warum muss ich …?«

Erneut schüttelte Annegret den Kopf. Diesmal hörte Selma dank des Windes sogar den gesamten Wortlaut ihrer Erwiderung.

»Wir brauchen das Geld. Du brauchst das Geld. So einfach wirst du nie wieder die Gelegenheit dazu bekommen.« Annegret schaute zu Selma, die daraufhin schnell den Kopf abwandte. Dennoch hörte sie die ältere Frau sagen: »Eine Hochzeit, Gustav. Das wird dich nicht umbringen. Schau dir an, was sie bereit ist zu zahlen. Das würde unsere Probleme erheblich kleiner machen.«

Gustav schien darauf nichts mehr zu erwidern. Als Selma vorsichtig wieder zu den beiden hinüberblinzelte, sah sie auf einmal Annegret auf sich zukommen. Selma räusperte sich und setzte ein freundliches Lächeln auf.

Zufrieden und gut gelaunt eröffnete die nette Dame ihr auf halbem Wege bereits: »Das hätten wir. Kaffee?«

Von ihren eben gemachten Eindrücken verunsichert bat Selma darum, sich ein genaueres Bild von der Location machen zu dürfen.

Gustav, der hinter Annegret auftauchte, holte bereits Luft, doch die entschlossene Frau fuhr ihm lachend über den Mund.

»Natürlich! Fangen wir doch am besten gleich mit dem Festsaal an.« Sie nahm Selma am Arm und führte sie in Richtung der ausgebauten Scheune. »Entschuldige, falls es an manchen Stellen etwas nachlässig wirkt. Bis zum großen Tag ist das alles behoben. Wir haben ein bisschen was aufzuholen, nicht wahr, Gustav?« Sie wandte sich zu dem brummigen Kerl, der ihnen griesgrämig und betont langsam hinterherstapfte.

Selma vernahm seine gepresste Stimme hinter sich. »Nachlässig? Das Ding sollte man einfach abbrennen.«

»Gustav!« Sogleich riss Annegret ihren Kopf herum und warf dem Mann einen strengen Blick zu. An Selma gewandt lachte sie eine Spur zu laut auf. »Er übertreibt gern.«

»Untertreiben trifft es wohl eher«, ertönte die tiefe Stimme erneut und jagte Selma eine unwillkürliche Gänsehaut über die nackten Arme. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen und betete, dass dieser Tag eine positive Wendung nehmen würde.

Just in dieser Sekunde hörte sie den Gemeinen Gustav murmeln: »Vielleicht sollte ich sie einfach abbrennen …«

 

Selma war zu ihrem Vorteil mit einer großen Vorstellungskraft gesegnet. Davon musste sie heute wesentlich mehr Gebrauch machen, als ihr lieb war.

»Wie lange ist es her, dass hier zuletzt jemand gefeiert hat?«, fragte sie und verschränkte die Arme skeptisch vor ihrem Körper.

Annegret überlegte und sah Hilfe suchend zu Gustav. »Zwei Jahre? Das kommt hin, nicht?«

»Nicht lange genug, wenn es nach mir geht.«

Die mürrische Antwort von Gustav vernehmend setzte Selma vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Nicht nur, dass auf den Stufen vor der Scheune Dielen gebrochen waren, auch im Inneren schien es einige Problemstellen zu geben. Die dicke Staubschicht war noch das geringste Übel.

Betrat man die Scheune durch die Doppeltür, gelangte man in einen breiten, zum Festsaal offenen Windfang. Ein roter Teppich führte unter Tausenden Fuseln und Staubhäufchen hinein in einen geräumigen Saal, der auf der gegenüberliegenden Seite komplett aus Panoramafenstern bestand. Die Wände des Windfangs waren rechts und links mit ungleichen Holzbalken versehen.

Annegret deutete darauf, als Selma sie kritisch begutachtete. Manche davon schienen nicht mehr ganz fest zu sitzen.

»Früher waren das Balken, die das Dach dieser Scheune getragen haben. Nachdem manche ersetzt werden mussten, wurden die alten als Wandpaneele weiterverwendet. Das betont den historischen Charakter, nicht?«

Selma nickte und folgte dem roten Teppich in den Saal. Die hohe Decke lief spitz zu, massive alte Holzbalken sorgten nicht nur für Stabilität, sondern auch für ein gewisses Landhausflair. Sofern man die Spinnweben ignorierte. Rechts erkannte Selma die drei Fenster an der Stirnseite des Gebäudes, die sie bereits von außen gesehen hatte. Auf der breiten Fensterbank, ebenfalls aus Holz, lag wirr verstreutes Werkzeug sowie eine Tüte mit Teelichtern, diverse Feuerzeuge und einige leere Kerzenständer.

---ENDE DER LESEPROBE---