Mokka Noir - Gunnar Danckert - E-Book

Mokka Noir E-Book

Gunnar Danckert

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Beschreibung

Der Privatdetektiv Jimmy Risiko bekommt unerwartet Besuch von einer schönen Frau. Das trifft sich gut. Schließlich hat der leicht heruntergekommene und völlig unbekümmerte Hase das Schild "Zutritt nur für schöne Frauen" ja nicht umsonst an seiner Bürotür angebracht. Die schöne Frau stellt sich als Eleonora Rabengarten vor, die Frau des berühmten Künstlers Theodor Rabengarten, und beauftragt Jimmy kurzerhand, einen Vorfall, der sich auf der letzten Vernissage ihres Gatten zugetragen hat, aufzuklären. Ohne zu wissen, worauf er sich da einlässt, geht der Hase mit Hilfe seines Flachmanns, der ihm als Assistent und Gesprächspartner stets zur Seite steht, der Geschichte nach.

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Seitenzahl: 176

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Gunnar Danckert

Impressum

Texte: Copyright © 2018 by Gunnar Danckert

Umschlaggestaltung: Marie Seeberger

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

1

Es war kalt. Doch Jimmy war warm. Um genau zu sein, warm ums Herz, denn die Flasche Gin, die er sich gerade reingeschüttet hatte, spendete ihm ausreichend Wärme und entfachte die Glut seines Verstandes. „Schnell noch ein Glas“, dachte Jimmy und schenkte sich den Sektkühler, den er eigentlich nur unter der Woche benutzte, an diesem Freitagmorgen halbvoll voll. Nachdem Jimmy sein Frühstück standesgemäß ausgetrunken hatte, betrachtete er leicht angewidert wie jeden Morgen seine momentane Umgebung und entschloss sich, weitgehend unerfreut zu sein. Sein Büro wies nicht die kleinste Veränderung auf. Und das obwohl er sich höchst penibel an Dr. Dizzy Kanonenrohrs Buch „Mit Suggestion geht’s irre rund“ hielt. Jimmy hatte in den letzten zwei Wochen jeden Tag hundertmal den Satz „Ich werde Großkaiser“ brav aufgeschrieben und fand es von daher nur angemessen, einigermaßen erwartungsvoll zu sein. Mittelmäßig beleidigt begutachtete er seine Aufzeichnungen hierzu, die er gestern Abend direkt nach dem Frühstück verfasst hatte. Alles, was er in dem wilden Gekrakel jedoch erkennen konnte, war eine unglaublich schlechte Zeichnung eines Strichmännchens, das einem anderen Strichindividuum einen viel zu großen Kochlöffel auf den Kopf zimmert. Das groteske Bild trug die Überschrift „Wahrscheinlicher Tathergang China-Imbiss“. „Ach, der alte Fall“, sagte Jimmy laut und wendete das Blatt (ohne metaphorisch zu sein). Auf der Rückseite fand er schließlich, wonach er suchte. Bis auf die Tatsache, dass das Wort „Großkaiser“ hin und wieder durch „Zoomeister“, „Pirat“ und „Ubootflottenkommandant“ ersetzt war, befand Jimmy seine Suggestionsliste als einwandfrei und durchaus leserlich. Einem unmöglichen Hoffnungsschimmer folgend blickte er sich erneut in seinem Büro um und entdeckte schließlich den Sektkühler, der bis vor kurzem noch den Inhalt zweier Ginflaschen beherbergt hatte. „Nein, Großkaiser trinken nicht aus Eimern“, raunte Jimmy seinem Flachmann zu, der dies durch ein leichtes Nicken bestätigte. Er stemmte sich schließlich von der Schreibtischplatte, auf der er geschlafen hatte, hoch und war mutig genug, in den kleinen, rechteckigen Spiegel zu sehen, der neben seinem uralten Kleiderschrank hing. Sein gräuliches Fell stand zerzaust möglichst grotesk ab und zeugte von einer unbequemen Nacht. Im Schlaf hatte er so geschickt auf der rechten Gesichtshälfte gelegen, dass sein dazugehöriger Löffel einen enormen Knick aufwies. Der Hase blickte sich in die geröteten, blassgrauen Augen und dachte darüber nach, wie die anderen zwei Drittel seines Lebens aussahen. Er kam schließlich zu dem Schluss, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, ein Drittel einfach zu verschlafen. Missmutig sah er aus dem Fenster und betrachtete die dahinterliegende Stadt. Auch Lost Bottom hatte sich über Nacht nicht verändert, sondern blieb konstant widerlich. Der bewölkte Himmel schirmte geschickt die zaghaften Sonnenstrahlen ab und trübte gnädig den Blick über die kleinere Metropole. Der Tag war schon längst gegangen, doch wie immer blieb Jimmy noch ein wenig. Aus einem inneren Impuls heraus war ihm plötzlich nach Mittagessen zu Mute und so durchsuchte er sein Büro nach potentieller Nahrung, die ausnahmsweise nicht flüssig war. Nachdem er zufällig einen alten Teebeutel, der wohl noch vom Vormieter stammen musste, im Lupinentopf auf der Fensterbank gefunden hatte, konnte der Schmaus beginnen. Er füllte sein größtes Sherryglas, welchem der Stiel abhanden gekommen war, halbvoll mit Wasser und stellte es auf den Herd. Nun, Jimmy besaß nicht wirklich einen Herd, doch hatte er sich, (nachdem er mit seinem autogenen Training endgültig gescheitert war), ein paar Herdplatten in seinen Schreibtisch einbauen lassen. Da sein Büro zugleich auch seine Wohnung war, sparte Jimmy sich hierdurch etwaige Heizkosten und war zudem in der Lage, sich mal eben schnell einen Grog zuzubereiten, ohne erst aufstehen zu müssen. Er war sehr zufrieden, dass das Wasser nicht sofort kochte, denn es beruhigte ihn durchaus, dass die Dinge generell auf sich warten ließen. Jimmy dachte schon die Sache mit dem Großkaiser könnte er sich endgültig abschminken, doch beim Anblick des noch kalten Wassers schöpfte er einigermaßen Zuversicht. Vielleicht, dachte er, ja vielleicht wird nun irgendetwas besser. Er verwarf den Gedanken schließlich, als er bemerkte, dass er die Herdplatte noch überhaupt nicht angeschaltet hatte und schämte sich den Rest des Tages. Glücklicherweise war nicht mehr viel Rest vom Tag übrig, wodurch Jimmy immerhin keine Zeit verschwendete. Zeit ist Geld, soviel wusste er, und sich wegen einer Tasse Tee in den Ruin zu treiben, schien ihm irgendwie unangemessen. Also schaltete er die Herdplatte an. Der Herd (Schreibtisch) war recht großzügig ausgestattet und bot mit seinen vier Platten ausreichend Platz, um auch aufwändigere Gerichte zu zaubern. Doch Jimmy konnte nicht zaubern, und wenn er es gekonnt hätte, hätten einige Leute was erleben können. Nein, keine Wunder, und wenn, dann grüne und blaue. Eigentlich brauche ich gar keinen so großen Herd, dachte sich Jimmy, als er bemerkte, dass die hintere linke Platte freundlich zu glühen begann und sich dadurch deutlich von den anderen Platten absetzte. Insbesondere von der Platte, auf der der Teekessel (Sherryglas) stand. Kopfschüttelnd suchte der Hase seine Glücksbärchen-Tasse. Er fand sie schließlich im Küchenschrank direkt neben einer recht großen Kaffeetasse auf der „Stefan“ stand. Jimmy konnte sich nicht erinnern, warum diese Tasse ausgerechnet in seinem Schrank wohnen musste, doch fand er es gut, dass sie wenigstens einen Namen hatte. Dinge mit Namen lassen sich besser beschimpfen. Und schimpfen musste er oft, schon rein beruflich.

2

Salsamann dachte nicht lange nach, sondern beschloss, sich gleich vierzehn neue Eistüten zuzulegen, nachdem ihm dieses schreckliche Missgeschick widerfahren war. Den ganzen Pelz hatte er sich vollgesaut. Meine Güte! Was sollte seine Frau dazu sagen? Und Hunger hatte er. Ja, Hunger. Doch zuerst war der Eismann dran. Nach der Meinung des Waschbären war es schließlich unverantwortlich, Eis mit solch minderwertigen Eigenschaften zu verkaufen. Was soll denn das bitte für Eis sein, das einfach schmilzt, wenn man mal drei Stunden in der Sonne einpennt! In seinem geistigen Unrat forschte der Salsamann nach einer angemessenen Lösung des aufkeimenden Konfliktes. Er betrachtete lange seine durchweg kräftigen Pranken und nickte zufrieden. Vielleicht konnten ihm nun endlich seine neu erworbenen Fähigkeiten aus dem Rhetorikkurs weiterhelfen.

„Werter Herr, ich habe Anlass zur Beschwerde“, eröffnete der Waschbär sein Plädoyer.

„Nun ja, das ist offensichtlich. Wer hat Ihnen denn bloß die Haare geschnitten? Ich könnte Ihnen ja weiterhelfen. Wissen Sie, eigentlich wollte ich ja immer Friseur werden, aber meine Eltern meinten, ich könnte mit diesem Beruf meinen Titel besudeln. Sehen Sie das Schild an meinem Eisstand?“

„Sehr gutes, leckeres Eis“, las der Salsamann laut vor, dem bei der Erwähnung des Wortes „Friseur“ unweigerlich das Wort „Kamm“ in den Sinn gekommen war. Beweis genug dafür, dass Geistesblitze zuweilen einschlagen, wo sie wollen.

„Ja ja, lesen Sie weiter.“

„Graf Thorsten de Clary von der Champagne.“

„Ganz recht, das bin ich“, verkündete der Eismann nicht ohne Stolz und rückte sich seine Eismütze mehr als kokett zurecht. „Stellen Sie sich das Schild jetzt mal an einem Friseursalon vor. Unmöglich! Friseursalon Graf Thorsten de Clary von der Champagne. Meinen Sie nicht, dass das irgendwie anzüglich klingt?“

„Was?“

„Welch höfliche Reaktion. Doch genug von mir. Wollten Sie sich nicht beschweren?“

„Und ob! Nu guck!“, fiel dem Bären wieder ein und deutete auf den vollgesauten Pelz.

„Ah, ja! Bedauere, aber das sieht mir nicht nach einem Garantiefall aus.“

„Sie verkaufen Eis mit Garantie?“

„Haben Sie denn eins ohne gekauft?“, gab der Eismann zurück.

„Nun, ähm, ja. Zumindest unbewusst.“

„Aha! Keine Garantie haben, aber sich beschweren wollen. Abgesehen davon spricht mich dieses Hinweisschild frei von jeglicher Verantwortung.“

Nur schwer gelang es dem Waschbären, die in Fraktur verfassten Lettern auf dem Hinweisschild als „Eis nicht zur äußerlichen Anwendung bestimmt“ zu entziffern.

Während der Salsamann dem Eismann höflich mit der Faust drohte, schlenderte Jimmy lässig den Badestrand entlang. Er ließ sich sein Eis vorzüglich schmecken. Ohnehin war der Tag für ihn bislang vorzüglich gelaufen. Er erwachte zwar ohne kaiserliche Würden, doch hatte er seit langem wieder einen Auftrag angenommen, der seine Arroganz nicht unterforderte. Unerwarteterweise stattete ihm Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr einen Besuch ab, über den Jimmy zunächst geteilter Meinung war. Schließlich hatte er das Schild „Zutritt nur für schöne Frauen“ ja nicht umsonst an seiner Bürotür angebracht. Und bei allem Respekt, den Geld mit sich bringt, schön war sie nicht. Viel eher war sie das Gegenteil von Eleganz. Doch Schönheit ist selten wahr und Wahrheit nicht immer schön. Geld hingegen ist meistens eins von beiden. Da auch ein Privatdetektiv nicht nur von Luft und Liebe leben kann, Jimmy hatte gerade mal vier Tage durchgehalten, fügte er sich der vorangegangenen Weisheit. Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr war als Teilzeitmäzen durchaus geeignet, und so besprach man beim gemeinsamen Teeplausch den Auftrag, um den er sich kümmern sollte. Nebenbei ein Buch lesend, wiederholte er auf Lorettas skeptische Nachfrage hin, die Botschaft, die er weitergeben sollte.

„Willst du dich den Schwarzalben würdig erweisen, musst du jegliche Reinigung meiden. Mit speckigem Glanz dien’ ihrem Tand. Unterjoche die Luft mit deinem Geruch.“

3

Weil Jimmy nichts dagegen einzuwenden hatte, ein wenig herumzuschreien, zumal es unweigerlich mit seinem Auftrag zusammenhing, mischte er sich in die freundliche Diskussion zwischen dem Salsamann und dem Eismann ein. Als Jimmy den vollgesauten Pelz des Waschbären sah, war ihm die Situation sofort völlig klar. Stolz blickte er an sich herab und entdeckte zwar diverse Flecken, doch waren diese eher alkoholischen Ursprungs. „Ja, Eis essen kann ich wohl“, sagte er laut und griff nach seinem Flachmann, da er meinte, sich für diese fantastische Erkenntnis eine kleine Belohnung verdient zu haben. Außer seinem Flachmann holte er auch noch seinen Revolver hervor. Jimmy wusste nämlich aus eigener Erfahrung, dass Alkohol zwar für die meisten Probleme eine durchaus vernünftige Lösung war, dass jedoch für alle anderen Probleme, die nicht mit Alkohol zu lösen waren, Gewalt die andere Option war. Das hatte Jimmy schon oft in Schwierigkeiten gebracht. So hatte er schon mehrere Leute mit seinem Flachmann bedroht, während er sich beim Versuch, einen Schluck aus dem Revolver zu nehmen, schon wiederholt fast erschossen hätte. Sicheren Schrittes wankte Jimmy in Richtung Waschbär und Eismann und hielt erst inne, als er sein Eis vermisste. Er betrachtete seine Pfoten und stellte erstaunt fest, dass sich sein Eis nicht mehr in seiner Rechten befand, in der er ja nun den Revolver hielt. Doch wo war nun das Eis? Doch nicht etwa an Stelle des Revolvers? Doch! Jimmy hatte sich die Eistüte, aus Reflex wahrscheinlich, exakt an die Stelle seiner Badehose geschoben, an der zuvor lässig der Ballermann hing. Die klebrige Eismasse, die sich physikalisch einwandfrei abwärts verhielt, schien dies zu bestätigen. „Was für dummes Eis! Was soll das denn bitte für Eis sein, das einem die Strandkleidung ruiniert, nur weil man es sich in den Badehosenbund klemmt!“, fluchte Jimmy und fuchtelte mit dem Revolver Richtung Eisstand. Den Blick stur auf die Eisbude gerichtet, stürmte er los, noch ehe seine Lethargie begriff, was eigentlich los war. Doch sie holte schnell auf und brachte ihn zu Fall. Als Jimmy verdutzt das Hindernis erspähte, das ihn stolpern ließ, rappelte er sich mühsam auf und beschloss, unsichtbar zu sein. Jimmy Risiko hasste Kinder.

„Ich mag Mozzarella“, strahlte das Kind ihn glücklich an und hob einen klebrigen Finger auf Eistütenhöhe.

Über seinen Sturz und seine Sichtbarkeit mehr als erbost, musterte Jimmy den Bengel und fällte ein Urteil.

„Das ist Vanille, du Penner!“, nickte er dem Jungen zu, während der Hase sich rasch entfernte.

„Der Eismann hat aber Mozzarella gesagt“, protestierte das Kind. „Vanille scheint er aber auch zu haben, zumindest, wenn man deine Hose fragt.“

Auf einen Zweifrontenkrieg konnte sich Jimmy beim besten Willen nicht einlassen und beschleunigte seinen Schritt, um gar nicht erst in Hörweite zu sein. Er würde sich von nun an mehr Mühe mit seiner Suggestionsliste geben und den Inhalt um „Entsetzliches Kind wird vom Wolf verschluckt“ ergänzen müssen. In seiner Wut bestätigt, erreichte er schließlich die Diskursplattform (Eisstand) und hielt den Salsamann absichtlich nicht von seiner momentanen Beschäftigung ab. Die große, gerade gewachsene Klinge sauste zielstrebig herab und durchtrennte ohne Umstände den Leib des Eismannes von der linken Schulter abwärts. Ungefähr auf Höhe der vierten Rippe verlangsamte sie abrupt ihre Fahrt und zog sich zurück. Eine aufdringliche rote Fontäne folgte ihr und sah ihr noch lange nach, obwohl der zweite Besuch schon nahte. Freudig bahnte sich die Klinge einen weiteren Weg ins Wohnzimmer der lebenswichtigen Organe. Nachdem sich Jimmy, der dem Salsamann für sein Leben gern beim Denken zusah, genug amüsiert hatte, riss er den Waschbären aus seiner Gedankensphäre und schlug ihm die hässliche Realität ins Gesicht.

„Komm sofort nach Hause, du alter Waschlappenbär!“, schrie er ihm ins Ohr. „Deine Frau führt das Restaurant nur ungern alleine.“

„Loretta?“, erinnerte sich der Bär.

„Ja, ganz recht. Loretta Kandt in der Früh gegen fünfzehn Uhr, deine Frau, lässt dir Folgendes ausrichten.“

Umständlich kramte Jimmy den Zettel hervor, auf den Loretta ihm vorsichtshalber seinen Auftrag diktiert hatte. Laut las er vor, was er nicht auswendig gelernt hatte:

„Unliebsamer Besuch, der öffentlich weniger zur Besprechung geeignet ist, steht bevor. Also ab nach Hause. Willst du dich den Schwarzalben würdig erweisen, musst du jegliche Reinigung meiden. Mit speckigem Glanz dien’ ihrem Tand. Unterjoche die Luft mit deinem Geruch“, zitierte Jimmy aus seinen wenig lesbaren Hieroglyphen.

Der Waschbär war nun noch verwirrter und ließ seinen Blick lange zwischen Eismann und Jimmy pendeln.

„Ich gehe nicht eher nach Hause, als bis der Eismann seine Schuld bezahlt. Guck dir mal meinen Pelz an, Jimmy“, ordnete der Salsamann seine Probleme.

Jimmy war sichtlich enttäuscht, dass der Bär offensichtlich nicht zu Übersprungshandlungen neigte, anders als Herr Cherry, der sich in Konfliktsituationen stets die Bartpartie mit Honig einschmierte und Zaubersprüche rezitierte. Vom Salsamann hatte er erwartet, er würde seine Gewaltfantasien wahr werden lassen oder sich wenigstens schlafen legen oder Hunger bekommen. Die beiden langweiligsten, aber verbreitetesten Erscheinungsformen eben.

„Da schlummere ich vielleicht drei Stündchen und ruckzuck, alles vollgesaut!“, fand er in seine Form zurück und warf einen scheelen Blick auf Jimmys Badehose, die bei genauerer Betrachtung durchaus Ähnlichkeit mit seinem Pelz aufwies.

„Haste auch gepennt, Jimmy?“, kombinierte der Bär geschickt.

„Nein, aber unser Unglück eint uns!“, pathetisierte der Hase.

„Sie da, Herr Eismann! Sehen Sie mal, was Ihr Eis mit meiner Hose angerichtet hat.“

„Oh, sehr bedauerlich. In der Tat, sehr bedauerlich. Doch ich fürchte, dass genauso wie bei Ihrem Vorredner kein Garantiefall vorliegt. Tut mir leid, da kann ich nichts für Sie tun.“

„Garantiefall?“

„Ja, Garantiefall. Ihr Nebenbuhler im Beschweren ist bereits informiert.“

Ein nickender Salsamann schien dem Eismann schon fast eine nahezu weiße Weste zu bescheren.

„Wie, Garantie?“, hakte Jimmy nach.

„Garantie eben. Sie wissen schon. Die Versicherung bestimmter Eigenschaften eines Produktes. Garantie eben.“

„Beim Eiskaufen haben Sie aber nichts darüber erzählt.“

„Nun, die Garantie bezieht sich ohnehin nur auf die besonderen Eiskreationen, die ich feilbiete“, kokettierte der Eismann erhaben und ließ seine rechte Hand eine Richtung weisen. Jimmys Blick folgte der Richtung und blieb an einem separaten Eisfach mit der Aufschrift „Hairstyle Edition“ hängen.

„Haben die Eisbällchen da etwa Frisuren?“, wunderte sich Jimmy.

„Potztausend!“, entfuhr es dem Salsamann, der sich plötzlich an das Vorgespräch erinnerte.

„Sie sind Friseur, Eismann!“

„So ist es. Und Ihnen sagte ich das ja bereits, dem Hasen hingegen kann ich ja nun noch mal meine Geschichte erzählen.“

„Nein, der Fall ist völlig klar. Sie sind Friseur, Eismann!“, folgerte Jimmy. Als sein geschärfter Blick den Eisstand zur Klärung der Tatsachen einer genaueren Untersuchung unterzog, fiel ihm plötzlich das Namensschild der Bude auf.

„Ist das anzüglich!“, krakelte der Hase. „Hö, hö, hö, hö, hö! Friseur Graf Thorsten de Clary von der Champagne! Ha, ha, ha! Wie widerlich anzüglich! Mit dem Namen kann man doch nicht Friseur werden! Friseur Graf Thorsten de Clary von der Champagne! Meine Güte!“

„Nun ja, deswegen bin ich ja auch Eismann geworden“, erklang eine leise Rechtfertigung.

„Ha, ha!“, kriegte sich Jimmy nicht mehr ein. „Da fällt mir auch mein Lieblingswitz wieder ein. Kommt ein Stück Edamer zum Friseur. Fragt der Friseur: ,Wie immer?‘ Sagt der Edamer: ,Nein, ich habe mich verlaufen.‘“

„Ha, ha, ha! Der Edamer hat sich verlaufen! Beim Friseur! Der ist gut, Jimmy!“, lachte der Salsamann, der seinen vollgesauten Pelz über das geistig rege Gespräch schon fast vergessen hatte. Eine Pranke, die er sich beim Lachen auf den Wanst klopfte, erinnerte ihn dennoch.

„Eigentlich fällt mir jetzt sogar ein Witz ein, der noch besser ist“, überlegte Jimmy. „Kommt ein Stück Edamer zum Friseursalon Graf Thorsten de Clary von der Champagne. Fragt der Friseur: ,Wie immer?‘ Sagt der Edamer: ,Nein, das ist mir hier zu anzüglich!‘ Ha, ha, ha! Kein Wunder bei dem Namen!“

„Versteh ich nicht“, gab der Salsamann zu, der missmutig seine klebrige Pranke untersuchte.

„Ich muss doch sehr bitten, meine Herren! Ich bin Eismann!“

„Ja, ein Eismann, der Eisbällchen frisiert. Aber wissen Sie was? Weil Sie mir mit Ihrem Schicksal so gute Laune und einen neuen Witz beschert haben, ziehe ich meine Beschwerde zurück. Guten Tag.“

„Aber ich bin Eismann!“, verzweifelte der Eismann.

„Ja, ja. Guten Tag. Lass uns gehen Salsa, unsere Beschwerde wurde rechtens vergolten.“

„Ach wirklich, Jimmy?“, fragte der Bär mit dem fleckigen Pelz.

4

Vorsichtshalber las der Waschbär den Zettel, den Jimmy ihm vernünftigerweise überlassen hatte, ein weiteres Mal und wunderte sich erheblich. Hätte der Hase den Text nicht selbst vorgetragen, wäre es dem Bären noch schwerer gefallen, die schriftähnlichen Striche eindeutig zu identifizieren. Angestrengt überlegte er, was Loretta ihm wohl mitteilen wollte. Um sich ganz sicher zu sein, dass ihm auch nichts entgangen war, drehte er den Zettel um. Zu seiner Überraschung war die Rückseite ebenfalls beschrieben, erstaunlicherweise sogar in halbwegs leserlicher Form.

Da Jimmy mal gehört hatte, dass die linke Gehirnhälfte bei Rechtshändern betont ist, fragte er sich lange Zeit, was eigentlich die andere Gehirnhälfte während des Schreibens so treibt. Ein höchst dubioser, renommierter Arzt, kein geringerer als Dr. Dizzy Kanonenrohr, versicherte ihm, dass er dieses Phänomen zu Genüge untersucht und studiert hätte und von daher mit Sicherheit behaupten könne, dass die jeweils nicht geforderte Hirnhälfte der Ursprungsort aller wirklich schlechten Ideen sei. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass Unterforderung zwangsweise zu dummen Ideen führt. (Als Beispiel führte Dr. Kanonenrohr stets seine eigene Ehe an, auf die er sich nie eingelassen hätte, wenn er nicht zufällig gerade Zeit gehabt hätte.) Weiterhin besagt seine Studie, dass Freizeit (Unterforderung) und Alkoholgenuss meist proportional zueinanderstehen. In der Tatsache, dass Alkohol ohnehin ein großer Förderer dummer Ideen sei, sah Dr. Kanonenrohr seine These bestätigt.

Jimmy gestand sich nach dieser Erkenntnis unwillkürlich ein, bereits genug dumme Ideen zu haben, was sein Flachmann durch aufrichtiges Nicken nur bejahen konnte. Um sein volles geistiges Potential zu nutzen, beschloss er von daher nun auch mit links zu schreiben. Da er das Ergebnis meist selbst kaum lesen konnte, schrieb er die wirklich wichtigen Dinge weiterhin mit der rechten Pfote.