Monis Jahr - Kirsten Boie - E-Book

Monis Jahr E-Book

Kirsten Boie

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Beschreibung

Kirsten Boies großer Kindheitsroman: Ein Blick zurück in das Jahr, in dem sich alles verändert Moni lebt mit ihrer Mutter und ihrer Oma in einfachen Verhältnissen in Hamburg. Monis Vater ist im Krieg geblieben, doch ihre Oma will nicht glauben, dass er nicht wieder zurückkommt. Es ist das Jahr 1955 und in Deutschland kehrt langsam wieder so etwas wie Normalität ein. In diesem Jahr kommt Moni auf die Oberschule - sie ist die erste in ihrer Familie, die das schafft und sie zweifelt, ob sie da überhaupt hingehört. Ihr altes Leben mit ihren alten Freunden scheint nicht mehr dazu zu passen, und Moni ist so voller neuer Eindrücke, dass sie zunächst gar nicht merkt, dass ihre Mutter einen neuen Mann kennen lernt. Ihre Oma kann sich mit dieser Entwicklung überhaupt nicht anfreunden. Und auch Moni ist zunächst alles andere als begeistert.

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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1. Teil

1

»Einen!«, sagt Moni. »Nur einen einzigen! Komm schon, Harry!«

»Nee«, sagt Harald und hält die Tüte mit der Hand fest umklammert. »Die brauch ich nachher noch. Wir gehen zu meinem Onkel, feiern.«

»Einen einzigen!«, sagt Moni. »Dann hast du immer noch vier.«

Harald schüttelt den Kopf. »Nee«, sagt er.

»Geizkragen«, sagt Moni und rückt ein Stück von ihm weg. Der Terrazzo ist eisig und sie sollen sowieso nicht im Treppenhaus sein. Das Spielen und Lärmen der Kinder im Treppenhaus ist verboten. Aber unten neben der Hoftür hört sie keiner, wenn sie leise sind. Und draußen stürmt es so.

»Meine Mutter sagt, dieses Geknalle ist schrecklich«, sagt Hildegard.

Warum dieses Mädchen wohl Hildegard heißt, sagt Oma immer. Rosa, das hättst du doch gedacht. Clara. Das wisst ihr ja alles gar nicht mehr. Aber so ein guter deutscher Name.

»Wie die Menschen so schnell vergessen können, sagt meine Mutter. Dass sie jetzt schon wieder Spaß daran haben, wenn es knallt.«

Harald tippt sich gegen die Stirn. »Ich hab da Spaß dran«, sagt er. »Du bist ja nur neidisch.«

»Bitte, Harry, du, bitte!«, sagt Moni. »Meine Oma kauft nachher Berliner, da kannst du meinen haben.«

Harald schüttelt den Kopf. »Krieg ich bei meinem Onkel sowieso«, sagt er. »Kauf dir doch selber welche. Die hab ich alleine bezahlt. Von meinem eigenen Geld.«

»Als ob ich Geld hätte!«, sagt Moni böse. Harald darf jeden Nachmittag die saubere Wäsche von der Wäscherei zu den Leuten bringen, denen sie gehört, oder schmutzige Wäsche abholen. Manche geben ihm ein Trinkgeld und manche nicht, das ist das Risiko. An manchen Nachmittagen kriegt er gar nichts, aber neulich hatte er an einem einzigen Tag fast eine Mark. Da könnte Moni sich auch Knallfrösche kaufen.

»Was macht ihr?«, fragt Harald. »Feiert ihr auch?«

»Muttis Freundin kommt«, sagt Moni. »Wir haben extra Luftschlangen und ulkige Hüte gekauft. Kommst du rüber, Hilli? Wir machen Bowle.«

Hildegard zupft an ihrem Mantel. Vor zwei Jahren war er so groß, dass man sie zweimal hätte reinstecken können. Jetzt ist er so kurz, dass nicht nur ihre gnubbeligen Knie darunter herausgucken, sondern auch noch eine Handbreit Bein darüber. Bis zum Strumpfband, denkt Moni. Na, fast. Könnte ihre Mutter doch unten was drannähen. Aber die hat ja lauter andere Sachen im Kopf.

»Mama und ich gehen zu unseren Freunden!«, sagt Hildegard. »Nach Eimsbüttel. Ein richtiges Fest, weißt du.«

Moni seufzt. »Aber Rummelpott laufen[1] wir vorher noch zusammen, oder?«, fragt sie. »Alle drei.«

Harald steht auf. »Hier friert einem sowieso der Hintern ab«, sagt er. Aber Moni weiß, dass er einfach nur froh ist, weil sie nun nicht mehr weiter um seine Knallfrösche bettelt.

 

Oma hat ihr erlaubt, dass sie sich Asche aus dem Küchenherd nimmt. »Aber nicht alles verschütten!«, sagt sie. »Mach das mal am Ausguss.«

Moni stellt sich vor den Ausguss und taucht ihre Finger in die Asche. Es ist ein weiches, verbotenes Gefühl. Dann verstreicht sie die Asche gleichmäßig im Gesicht. »Seh ich jetzt aus wie ein Neger?«, fragt sie.

Oma kniet auf dem Boden und fegt. Zum neuen Jahr soll es sauber sein. Sauberkeit kann sich jeder leisten, sagt Oma immer.

»Wie einer von den zehn kleinen Negerlein«, sagt Oma. »Kiek mol her, Deern. Ja, wie ein Negerlein süchst du ut. Nur die Zöpfe, die sind lütt beeten to blond«, und sie lacht.

»Kann ich ja in den Kragen stecken«, sagt Moni.

»Nee, nee, nu töv mol ’n beeten«, sagt Oma. »Wenn du versprichst, dass du ihn heil wiederbringst, kannst du den Muselmannhut haben.« Und sie langt zum Küchenbüfett, auf dem vier Papphüte liegen und auf den Abend warten. Vier, vorsichtshalber. Weil man ja nicht wissen kann, ob Muttis Freundin selber einen Hut mitbringt. Und wenn sie vorsichtig damit umgehen, halten die Hüte ein Leben lang, hat Oma gesagt, als sie damit nach Hause gekommen ist. Das Geld ist bestimmt nicht zum Fenster rausgeschmissen. Silvester ist jedes Jahr wieder.

»Was du wohl gesagt hättest, wenn ich die angeschleppt hätte!«, hat Mutti gesagt, aber Oma hat sie ihnen schon zum Aufprobieren gegeben.

»Steck die Zöpfe da mal drunter, süchst du wohl, so«, und Oma setzt Moni den roten Papphut auf den Kopf und schiebt ihr das Gummiband unter das Kinn. »Schmuck süchst du ut.«

Moni guckt in den Spiegel in der Speisekammertür. »Na ja«, sagt sie.

Sie hat sich so auf das Rummelpottlaufen gefreut, aber wenn sie dann verkleidet ist, ist es jedes Jahr wieder dasselbe. Plötzlich schämt sie sich.

»Hier«, sagt Oma und drückt ihr das Einkaufsnetz in die Hand. »Bring das mal voll wieder mit, Deern.«

»Doch kein Netz!«, schreit Moni. »Da fällt doch alles durch!«

Oma schlägt sich gegen die Stirn, dann holt sie die neue karierte Einkaufstasche aus der Speisekammer. »Ist auch besser so«, sagt sie. »Da passt hübsch was rein.«

Moni zieht sich ihren Mantel über. »Bis nachher!«, sagt sie, als die Wohnungstür hinter ihr zuschlägt.

 

»Nix darf die«, sagt Harald. Sein Gesicht ist genauso schwarz wie Monis und darüber hat er einen viel zu großen Herrenhut auf. »Als ob die heilig wären. Dabei weiß jeder Bescheid.«

»Vielleicht, weil sie erst acht ist«, sagt Moni. »Letztes Jahr durfte sie auch schon nicht. Sie soll nicht bei fremden Leuten betteln.«

»Rummelpott ist kein Betteln«, sagt Harald. »Der Grünhöker zuerst?«

Moni nickt. Sie stoßen die Ladentür auf und die Türglocke bimmelt. Zwei Frauen stehen vor dem Ladentisch und unterhalten sich mit der Verkäuferin.

»Rummel, rummel, räuben!«, singt Harald und Moni traut sich auch. »Lot mi nich lang täuben!«

Dann halten sie Monis Einkaufstasche auf. Sie haben sich darauf geeinigt, dass sie nur Monis Tasche mitnehmen. Zwei Taschen sehen so gierig aus. Und sie können hinterher ja teilen.

Die Verkäuferin seufzt. »Wisst ihr, wie viele Kinder heute schon hier waren?«, fragt sie. Dann greift sie in eine Obstkiste neben der Kasse und legt ihnen zwei Äpfel in die Tasche. »Da, bitte. Und einen guten Rutsch.«

»Einen guten Rutsch!«, ruft Harald und ist schon wieder draußen.

»Geizige Olsch!«, sagt er. »Hast du gesehen? Bloß die angestoßenen hat sie in der Kiste.«

»Macht doch nichts«, sagt Moni.

Harald hat einen Apfel aus der Tasche genommen und hält ihn ihr hin. »Da!«, sagt er. »Ganz multschig!«

Er dreht sich noch einmal zum Laden um. »Witten Twern un swatten Twern!«, schreit er. »Düsse Olsch, de gifft nich gern!«

Dann rennen sie um die Ecke, bevor die Grünhökerfrau sie schnappen kann.

Vielleicht sind multschige Äpfel sogar besser als gute, denkt Moni. Weil es so viel Spaß macht, das vom witten und swatten Twern zu rufen. Sonst darf man Erwachsene ja nicht anpöbeln. Aber beim Rummelpott muss man es sogar. Es ist wie ein Gesetz. Wenn einer geizig ist, muss man es, das ist schon seit hundert Jahren so. Seit vor dem Krieg schon. Man darf das Gesetz nicht brechen.

Beim Krämer gibt es für jeden eine Rippe Schokolade quer rübergebrochen, das hat Moni auch nicht anders erwartet. Frau Kröger gibt ihr manchmal sogar ein Stück Schokolade ganz ohne Grund. »Und Bonsche«, sagt Frau Kröger. »Hier, nehmt mal den Klumpen. Die sind sowieso zusammengebackt. So kann ich die nicht mehr verkaufen.« Und sie greift einfach mit der Hand in das Glas mit den Himbeerbonbons, die Moni fast am allerliebsten mag, und tut den ganzen zusammengebackten Rest in eine Tüte. »Hier. Einen guten Rutsch, ihr beiden Swatten!«

»Einen guten Rutsch, Frau Kröger!«, sagt Moni und macht einen Knicks. »Vielen Dank!«

»Da nicht für«, sagt Frau Kröger, aber das hört Moni schon nicht mehr richtig, weil die Türglocke beim Rausgehen bimmelt.

»Da können wir gleich einen von essen«, sagt Harald und nimmt den Klumpen aus der Tüte. Dann beißt er an einer Seite einen von den verklebten Bonbons ab, dass es splittert. »Hier. Jetzt du.«

Moni beißt zu.

»Milchmann?«, fragt sie mit vollem Mund. »Oder durch die Häuser?«

»Häuser«, sagt Harald. »Da geben manche auch Geld.«

Moni tippt sich an die Stirn. »Du tünst ja«, sagt sie, aber sie hofft, dass sie Unrecht hat. Mit Leuten, die vielleicht Geld geben, kennt Harry sich besser aus als sie.

 

Oma hat die schöne bestickte Tischdecke auf den Küchentisch gelegt und den Kittel ausgezogen. Ohne Kittel sieht sie ganz fremd aus.

»Na, hebbt ji wat kregen?«, fragt sie. Moni nickt und hält die Tasche auf. Die Hälfte hat Harald schon mitgenommen, aber es sind trotzdem noch vier Äpfel drin und die Himbeerbonbons und zweimal abgebrochene Schokolade in Stanniol und drei Fünfer und ein Groschen.

»Sogar Geld!«, sagt Moni.

Oma lacht. »Denn kannst du dir ja meist sülben neue Winterstiefel kaufen!«, sagt sie. »De bruks du doch, Deern.«

»Tünkram!«, sagt Moni. Es ist schön, wenn Oma Quatsch macht.

»Wasch die Hände«, sagt Oma. »Und zieh dein Sonntagskleid an. Dreckspatzen kriegen keine Bowle ab.«

Moni flitzt ins Schlafzimmer und holt ihr Sonntagskleid aus dem Schrank. Bowle hat Hildegard vielleicht nicht, da, wo sie feiert. Harry vielleicht auch nicht.

»Un de lütje Snut!«, sagt Oma. »Wat schall dat denn wohl för ’n neetes Johr warn, wenn du gliks as so ’n lütten Dreckspatz anfang’ doost?«

»Witten Twern un swatten Twern!«, singt Moni. Fünfundzwanzig Pfennige. Zwei Salmilollis und fünf Dauerlutscher. Oder ein »Fix und Foxi«-Heft. Wie gut dieses neue Jahr anfängt.

 

»Komm auf die Schaukel, Luise!«, singt Mutti und schwenkt ihre Freundin Jenny durch die Küche. Auf dem Kopf hat sie eine Pappkrone und Jenny hat eine Piratenkappe. Und über ihren Schultern hängen tausend Luftschlangen. »Lala, la-lala, la-laaa!«

»Der blonde Hans«, sagt Oma und füllt sich aus der großen Suppenterrine vorsichtig mit der Schöpfkelle noch ein bisschen Bowle in ihre Sammeltasse. Wer braucht denn ein Bowlengeschirr, um Bowle zu trinken, sagt Oma. Schmeck mal, wie lecker die ist.

»Der singt das?«, fragt Moni. Dabei hört sie es selber. Im Radio gibt es ein Unterhaltungsprogramm, extra zu Silvester. Das macht die Erwachsenen fröhlich.

»Lass mich mal verpusten!«, sagt Mutti und lässt sich auf einen Küchenstuhl plumpsen. »Wir gehen bald wieder, Jenny, findest du nicht? Ins Kino? Das läuft jetzt!«

Jenny fällt neben Moni aufs Küchensofa. Das Sofa sackt nach unten weg. Jenny ist keine Elfe, sagt Mutti.

»Auf der Reeperbahn, nachts um halb eins!«, singt Jenny. Ihr Gesicht ist ganz rot. Vielleicht kommt das von der Bowle und vielleicht kommt das vom Tanzen. Ihr Lippenstift ist verschmiert. Moni versteht nicht, warum Jenny sich immer so doll schminken muss. Dazu ist sie viel zu alt, bestimmt schon fast vierzig.

»So wie die hinter den Männern her ist, hab ich das noch bei keiner erlebt«, sagt Oma. »Na, da wird sie warten müssen.«

»Und du?«, fragt Jenny und drückt Moni einfach einen Kuss aufs Haar. Jetzt weiß Moni, dass das rote Gesicht von der Bowle kommt und nicht vom Tanzen. »Willst du auch mal? Darf ich bitten?« Und sie steht auf und verbeugt sich vor Moni.

Moni schüttelt schnell den Kopf. Mit Oma hat sie getanzt, vorhin. Aber jetzt ist es genug. Jetzt muss es wirklich nicht mehr sein. Und schon gar nicht mit dieser geschminkten Jenny.

»La Paloma!«, schreit Mutti und steht auf. »Los, komm, Jenny, noch einen zum Abschluss.«

Und dann tanzen sie durch die Küche, »meine Braut ist die See«, und Mutti hat ihren Kopf auf Jennys Schulter gelegt und summt die Melodie, während aus dem Radio die tiefe, rauchige Stimme von Hans Albers kommt, »la Paloma, ohé!«, und Moni denkt, dass das Lied so gut zum blonden Hans passt, weil er auch so aussieht wie einer, dessen Braut die See ist, das hat sie auf dem Filmplakat gesehen. Ganz blaue Augen wie das Meer. Man könnte sich gut vorstellen, dass so einer ein Vater ist, der draußen auf dem Meer für seine Familie Fische fängt. Bei Wind und Wetter. Aber dann kentert sein Boot, und niemand weiß, ob er sich auf eine einsame Insel retten konnte.

»Gleich!«, sagt Oma, während der blonde Hans im Radio noch »Kleine Möwe, flieg nach Helgoland« singt, das passt ja auch. »Mädels, gleich ist es so weit! Anstoßen!« Und sie reicht Mutti und Jenny ihre Tassen mit der Bowle. Moni kriegt auch einen Schluck.

»Habt ihr denn auch gute Vorsätze gefasst?«

»Mehr tanzen gehen!«, ruft Jenny. »Das Leben ist kurz!«, und sie hebt ihre Tasse.

»Erst trinken, wenn es zwölf ist!«, ruft Oma. »Und du, Herta?«

Mutti lacht. Es ist schön, wenn Mutti so fröhlich ist. Aber ein bisschen unheimlich ist es auch. Ihre Augen glänzen, und Moni sieht, dass ihr Gesicht fast so rot ist wie das von Jenny.

»Reich werden!«, schreit Mutti. »Einen Millionär heiraten!«, und sie fängt an zu lachen und Jenny lacht auch. Omas Gesicht wird plötzlich ganz hart.

»Das war kein guter Scherz«, sagt sie, aber in dem Augenblick läuten im Radio die Glocken und das grüne Auge leuchtet, und Oma stößt mit ihrer Tasse ganz vorsichtig mit Monis Tasse an.

»Ein schönes neues Jahr, Deern«, sagt sie, und die Glocken läuten immer noch.

»Ein schönes neues Jahr!«, sagt Moni und stößt auch gleich noch mit Mutti an und mit Jenny, und dann dreht sie sich um zum Küchenschrank, wo auf der Ablageplatte das Foto steht.

»Prost«, sagt Moni, und der große Junge mit der Strähne im Gesicht und der Schaufel in der Hand lacht, wie er immer gelacht hat, jeden Tag in ihrem ganzen Leben bisher.

Omi streicht ihr über das Haar. »Schön, dass du an ihn denkst«, sagt sie. »Wir wissen ja nicht, wo dein Vati heute Abend feiert, aber dass er noch da ist, das spür ich genau. Eine Mutter spürt so was, Deern.«

Die Glocken läuten immer noch, und Mutti und Jenny versuchen, mit der Schöpfkelle den Rest Bowle aus der Suppenschüssel zu schöpfen.

»Das wird ein wunderbares Jahr!«, ruft Mutti, und jetzt hört Moni genau, dass Mutti ein kleines bisschen betrunken ist. Das müssen Erwachsene Silvester vielleicht sein. »Jubiläum! Zehn Jahre Krieg vorbei!«

»Prost!«, ruft Jenny. »Auf das Jubiläum!«

»Für manche ist er nicht vorbei«, sagt Oma, aber das hört nur Moni, und sie ist ein bisschen böse, dass Oma fast die schöne Stimmung kaputtmacht.

Auf der Straße hört man ein paar Knaller. »Ich geh gucken!«, schreit Moni.

Oma seufzt. »Dass die Leute schon wieder dieses Geknalle hören wollen«, murmelt sie.

»Das sagt Hillis Mutter auch«, sagt Moni und wirft sich ihren Mantel über. »Du brauchst nicht mitkommen, Oma.«

»Manchmal sagt sie was Richtiges«, sagt Oma. »Das kann man ihr nicht verbieten. Wo sind die überhaupt? Wollte Hilli nicht mit dir feiern?«

»Die feiern bei Freunden«, sagt Moni und macht ganz schnell die Wohnungstür auf. Wenn sie sich nicht beeilt, sind die auf der Straße vielleicht schon fertig mit dem Geknalle.

»Freunde«, sagt Oma. »Da weiß man, was das heißt.«

Aber Moni hört nicht mehr hin. Moni saust die Treppe nach unten, wo in der offenen Haustür auch Papes aus dem zweiten Stock stehen und Mewes aus dem Erdgeschoss links.

»Ein schönes neues Jahr!«, ruft Frau Pape.

»Das ist doch unsere Moni!«, sagt ihr Mann freundlich und dreht sich zu Moni um. Er erkennt die Leute immer am Schritt, Moni hat das auch schon mal probiert. Es ist aber nicht so einfach, sie müsste mehr üben.

»Ein schönes neues Jahr, Herr Pape«, sagt Moni und macht einen Knicks. Was bei Herrn Pape ja Quatsch ist. Aber ihre Knie machen es immer von alleine. Vielleicht sind ihre Knie das Höflichste an ihr. Moni kichert.

»Du hattest wohl ein schönes Fest«, sagt Herr Pape ganz lieb.

»Bowle«, sagt Moni und guckt zu, wie der große Uwe auf der Straße seine Knallfrösche anzündet.

Seine Verlobte kreischt und hüpft zur Seite. »Der war fast unterm Rock!«, schreit sie.

»Da will ich auch hin!«, sagt Uwe und greift zu, und jetzt kreischt seine Freundin noch lauter, und Moni ist es ein bisschen gruselig. Silvester benehmen sich die Menschen so sonderbar.

Aber dann sind Uwes Knallfrösche aufgebraucht. Nur am Ende der Straße zündet noch ein Mann ein paar Knaller, dann wird es still. Aus einem offenen Fenster hört man Heinz Rühmann singen, dass vor dem Bettchen zwei Schuh’ stehen, und das passt jetzt ja auch.

Plötzlich spürt Moni eine Hand auf der Schulter.

»So, Deern, das Fest ist vorbei«, sagt Oma.

»Gleich!«, flüstert Moni. »Gleich, Oma!«

Wenn sie den Kopf ein bisschen in den Nacken legt, kann sie oben über der Straße den Himmel sehen. Gerade zieht eine Wolke zur Seite, es ist doch komisch, dass es nachts auch Wolken gibt, man denkt, da gibt es nur den Mond und die Sterne.

Ich hab keine Vorsätze, denkt Moni. Eigentlich muss man das ja zum neuen Jahr. Mit zehn muss man das schon. Aber ich hab nur Wünsche.

»Moni!«, sagt Oma.

Einen Hamster, denkt Moni. Und dass ich die Prüfung schaffe. Und dass sie nett sind in der neuen Schule. Und dass ich schlau genug bin.

»Moni!«, sagt Oma wieder.

Und ein Kleid, wie es in Giselas Paket aus Amerika war. So was Schönes. Und dass wir im Sommer wieder an die Elbe zum Baden fahren, sonntags.

»Jetzt ist es wirklich Zeit«, sagt Oma und zieht Moni am Arm. »Da ballert doch längst keiner mehr.«

Moni läuft hinter Oma die Treppe nach oben. »Ich hab mir nur was gewünscht!«, sagt sie.

Oma dreht sich um und lächelt. »Das tu man, Deern, das tu man ganz fest«, sagt sie. »Denn geht das auch wohl in Erfüllung«, und da weiß Moni, woran Oma denkt, und sie schämt sich, dass sie sich etwas anderes gewünscht hat.

»Bisschen darf ich aber noch aufbleiben!«, sagt sie.

In der Küche hat Jenny ihren Arm um Mutti gelegt, und sie tanzen ganz, ganz langsam.

»1955«, sagt Oma. »Na, wollen wir mal sehen.«

2

Woran merkt man, dass ein neues Jahr angefangen hat? An gar nichts, denkt Moni. An nichts und nichts und gar nichts. Es ist genau wie Geburtstag. Man wacht auf und ist ein Jahr älter und fühlt sich genauso wie vorher. Und jetzt ist die Welt ein Jahr älter, und das merkt man auch nicht.

»Die Stiefel nicht, die drücken!«, sagt Moni böse. Mutti ist schon los zur Arbeit, aber noch nicht lange. Sonst ist sie schon immer längst weg, wenn Moni aufsteht. Aber heute hat Moni zum ersten Mal den weiten Weg, da musste sie auch früher aufstehen.

»Guck mal raus!«, sagt Oma. »Das hat getaut, Deern! In dem Matsch, da geht das nicht mit Halbschuhen. Da kriegst du mir noch eine Lungenentzündung.«

Moni löffelt ihre Haferflockensuppe. Morgens hat sie immer überhaupt keinen Appetit. Aber Oma sagt, essen muss der Mensch, und Moni muss was auf die Rippen kriegen. Sie ist ja sowieso nur ein Strich in der Landschaft.

»Und wenn du Lungenentzündung kriegst«, sagt Oma und lässt sich schwer auf einen Küchenstuhl sinken, »denn kannst du nicht mehr hin zu deiner Prüfung, Deern. Und das wolltest du ja nun so gern.«

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