MONSTRUM SUI GENERIS III - Isidor Rachenros - E-Book

MONSTRUM SUI GENERIS III E-Book

Isidor Rachenros

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Beschreibung

Es geht um die fehlgehende geistige und psychische und erotische Entwicklung eines außenseiterischen, sich isolierenden jungen Mannes Mitte der 1960er Jahre in Hamburg Der Autor versteht seine Tagebucheintragungen vor allem als Material für einen später zu schreibenden autobiographischen Roman. Ihre Veröffentlichung ist die Dokumentation eines fragwürdigen Erwachsenwerdens. * Auch in diesem dritten Band 1966 der Tagebücher MONSTRUM SUI GENERIS setzt sich die Misere des Verfassers fort. Im Dezember 1964 hatte die Beziehung zu seiner Freundin C. auf ihre Initiative hin geendet, woraufhin er einen extrem langen Prozeß der Ablösung von ihr durchläuft. Das ganze Jahr 1965 versuchte er, sich gedanklich von ihr zu lösen – was ihm nicht gelang. Die Verarbeitung der Trennung kann als Hauptmotiv des vorliegenden Bandes gelten. Er gerät bald an die Grenzen seiner Fähigkeit, die Welt adäquat zu erkennen, zu deuten und zu benennen. Der Bezug zur realen Welt schwindet, er bezieht sich zunehmend auf seine von ihm selbst erschaffene Realität. Es gibt keinen Adressaten seiner Äußerungen, sie sind selbstbezüglich, oft unverständlich für andere und vermutlich sogar für ihn selbst, wahnhaft, privatsprachlich. Manches ist regelrechter Stuß. So schafft er sich das Gitter seines eigenen System-Gefängnisses. Immer mehr zeigt sich ein Krankheitsbild nicht kommunizierbarer Wahnphantasien losesten Weltbezugs. Sinnlose Gedankenschleifen beherrschen ihn. Sozialpsychologisch-soziologisch ist er ein Zwerg. Er betreibt kleinstteilige Psychologisierung, rührt seine kleinbürgerliche Gedankenwelt um und um. Gespiegelt ist in dem Text nur seine eigene kleine Welt. Minimale Ereignisse reflektiert er. Er geht scheinphilosophisch, scheinlogisch seine oft unsinnigen Denkwege und ist bestrebt, seine Welt mit einem poetisierenden Firnis zu überziehen bzw. in ein ästhetisches Farbbad zu tauchen. Scharfsinn, Dummheit und Krankheit zeigen sich, letztere besonders ab Mitte des Jahres. Ein neutraler Leser mag den Text aller drei Bände als Eigenanalyse eines psychisch Beschädigten verstehen und der Meinung sein, der Autor hätte in die Hände eines kompetenten Psychoanalytikers gehört. Sein Verfahren ist das Aufschreiben aller seiner von ihm für relevant gehaltenen Überlegungen und Eindrücke zwischen Wahn und Depression. Er legt sich seine Freundin nachträglich gedanklich mit Vorurteilen und in Distanzurteilen zurecht, um nicht mehr an sie denken zu müssen. Dann verliebt er sich erneut, zuerst unernst, später eindringlicher, und erhält eine Absage. Er besitzt durchgängig ein Minderwertigkeitsgefühl, kompensiert es aber mit seinem Größenwahn. Es ist eine andauernde Selbstvergewisserung, die er betreibt, manchmal unreif, sogar pubertär.

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Seitenzahl: 554

Veröffentlichungsjahr: 2025

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19.11.65

Gegen die Gläubigkeit den Atheismus setzen (Seligsprechung Arrupes als Anreiz).

Meine „Gleichgültigkeit“, besser Kälte. Ich bin durch nichts mehr entflammt, kein Theatergang möglich etc., kein Glaube, keine Liebe. Ein Leichnam. Er ist aber voller Leid, doch ist es kein Leiden an der Kälte.

Ich habe verstanden, was die Frauen den Metzen neiden: sie verderben ihnen ihre Mittel zum erotischen Spiel. Kepler mit einer Hure ist ein Lebensentwurf wider mich.

Blutexzeß-Monolog des Mordes aus Rache von mir Krankem auf der Bühne zu deklamieren; ein Film darüber. Wie es lange gut schmeckt, daß die Menschen tot sind. Ihre Halluzinationen, ihr Blut.

Die Gefühle, sind sie ewig? Das Frankreichgefühl des Herbstes verblaßt. Nach Monaten ist es bisweilen wie selig zurück.

Einstieg in ihr Fenster; im Schlafe eine Kapsel Zyankali hinter ihren Lippen placieren. Sie erwacht nicht. Ich gehe dann. Dann die Reue. Das Gefühl, in dem ich ihre erste beißende Regung erwarte. Mordgewissengefühle wegen der Geliebten.

1.1.66

Traum von R.V. (Schüler des streng, scharf denkenden Pädagogen Dr. Schaedel) in der Schlüterstraße. Dieser unterrichtete im Freien links beim Studentenhaus auf einer Veranda. R.V. saß in der hinteren Ecke. Ich kam dazu und schenkte Schaedel ein Lächeln, der es erwiderte, A.W. ebenso. Sie fragte, warum ich ihn anlächle [Grafik]. Dann überkam mich ein Entsetzen vor dem dummen, widerlichen Profil R.V.’s.

Ein Traum. Ort und Situation eines Ruderstarts im Hafengelände [Grafik mit Wörtern]. Von dort ging eine Straße ab, dunkle Schuppen. Rechts dann bald eine Hofanlage, fast eine Ruine, allerdings noch bewohnt, die hinteren Fenster mit Gardinen versehen. Links [Grafik] ein Vogelbauer mit Wellensittichen darin. Dorthin ging ich, dann wieder zurück. Ruderer standen dort. Am überdachten Anfang der Ruderstrecke, entlang des Kais links, ein Bett, worin Pr.S. lag. Ich legte mich zu ihr unter die Bettdecke. Der Mund, der reizende! Sie war aber vorläufig ablehnend. Ihren Oberkörper begehrte ich nicht. Gegenüber sah ich Angelika Sch. Von ihrem Oberkörper fühlte ich mich angezogen. Die Beine des Pr.S. aber waren der süßeste Reiz. Sie zappelten und begehrten und breiteten sich. Ich küßte sie und ließ mich auf ihr nieder. A.S. war vergessen und lockte vergebens. Pr.S. war sanft und endlich nachgebend. Da wachte ich auf.

Szene am 27.2.64. Ihr Unwille, als ich statt Knop den letzten Tanz mit ihr getanzt haben wollte. Ich sagte, sie sei der einzige Mensch, den ich als Menschen anerkennte etc., daß ich keine andere außer ihr wählen könne. Dieser Liebesschwur versöhnte sie. Vorher hatte ich den Verdacht gehegt – weil ich mit ihr im nahen Wald spazierengehen, sie aber mit N.D. tanzen wollte, um ihn zu necken und zu ärgern –, daß sie auch mich mit der Zielrichtung W. foppen wollte. (Zur Versöhnung hatte ich die Schwere meiner Liebe betont.) Meine Forderung bei der Tanzstreitigkeit war: sie solle mich beständig treffen, mit mir tanzen gehen, dann seien ihr alle anderen Tänzer gestattet. Ich hatte die Befürchtung, lediglich ein Objekt ihrer Scherze zu sein.

2.1.66

Die unaufhaltsame Gedanken- und Assoziationskette (immer hauptsächlich nachts) verursacht um 1.00 Uhr wieder das Grauen vor dem bestimmten Wahnsinn. Von dieser Jagd ist kein Ende, kein Friede abzusehen. Das Herz schmerzt vor Unruhe, dem Druck. Angst vor dem Übersprung der Kette. Der drohende Wahnsinn aber – der Blödsinn, falsche Begriffe, die Sprache ohne logische Gelenke, nur noch in Klötzen der Sinnwörter in falschen Formen (Artikel, Endung etc.) – wird dennoch (eine Minute zuvor es schon so empfunden) zum Spiel, indem ich nicht mehr Angst davor habe, sondern es wird reines Warten und Wagen, Chance, Hasard, Balance, Seiltanz, bis es springt, bis ich krank und zusammengebrochen bin.

Es vollzieht sich das Denken nachts hauptsächlich so: zuerst ein voranschreitender Gedanke (d.i. etwas relativ Neues). Dann sogleich: den Gedanken habe ich gedacht. Dann wieder ein relativ neuer. Dann: den letzteren habe ich gedacht. Oft drei neue und: den ersten habe ich gedacht, dann den zweiten – dazwischen mag sich schieben: dann habe ich gedacht, daß ich die Gedanken 1 und 2 gedacht habe. Dann die Rettung: die Nr. 3 wird gedacht. Vor der Rettung hätte sich nun wieder das letzte ins Bewußtsein schieben können, und so weiter, sich immer abzweigend wie im Tractatus logico-philosophicus. 1; 1.1; 1.11; 1.12: 1.13; 1.2 usw. Unglück und Sprung, wenn nicht mehr nachvollzogen werden kann, wie die Reihenfolge war. Zittern, Zerren des einen Losen, Nichtüberwindung. (Die Gedächtnisübung des Kartenspiels. In die Haut des Gedächtnisses werden wie in das mürbe Band einer Schreibmaschine die Lettern, die Bilder und Klänge gesprochener Zahlen eingehauen.) Zwar vergißt sich die Reihenfolge leicht und hält sich nicht eine Woche – was Verzerrung ergäbe (siehe die Fensterbilder!), aber das Gedächtnis wird ausgebildet zum Vorgange des nächtlichen Denkens, das unaufhaltsam ist und ausleiert. Die zu große Fähigkeit macht irrsinnig. 30 Zahlen behalten. Fieber der Nerven. Wut. Haß. Aufregung. Herzschmerzen. Wahlverwandtschaft mit den Irren, die das Herz aufregen. Mein Bruder, Kepler. Sie spannen, die Wohlwollenden, den Geist.

Gott gib mir 20 Jahre, das ist meine Bitte. Noch viele Ziele: u.a. Nymphenliebe darstellen, Maupassant als Irren vor Augen, das Bild muß durchs Niederschreiben des Augenblicks, darin es herrschte, gebannt werden.

Daß in diesem Augenblicke wohl für immer Gottes Bild durch den heiligen Petrus in „Bruder Lustig“ entstehe, darf es, um nicht zu verzerren, für so lange, als es nicht vergessen ist, nicht ungeschrieben bleiben. Sonst klammert sich das zermürbende Bewußtsein daran. Das Bild des Irren (ich), von C. besucht, baut sich daraus auf (Fehling und Gorvin; es sei schwer gewesen für Gorvin, sagte C.).

Krankhafter Wunsch, Begehren, Sucht, es sei der Tod!, draußen zu liegen und zu schlafen statt im Bette, darin man Herzschmerzen hat, nicht frei, atemlos, flüssigkeitslos, durstig vertrocknet ist.

5.15. Einen Leideinbruch in Keplers Zimmer erleben. Es ist aber Welt vorhanden, so daß das Leid leicht zu tragen ist.

Er ist so krank, daß er wie an einem Galgen aufgehängt, so süchtig, daß er im Winde, im Regen dort hängen muß.

Vor einigen Stunden trug der heulende Wind hohe halb singende klagende Männerstimmen her, als wäre es eines Toten Geists Stimme, über Gärten, Mooren verwehend.

Inmitten der durstlöschenden Windgeräusche (beide Ohren frei!) war ich plötzlich einer, der im sterbenden Sommer, in späten Oktoberstunden im Niendorfer Garten beim gemauerten Schuppen liegen mußte. – Ein Altgewordener, einzuschlafen bereit, der im Kühlen, in kurzem Schlafe (langem nicht wegen der Leibeskälte) seine Hand unter seinen Kopf legte und ohne Angst vor störenden Geräuschen war, entsprechend der Natur allein noch mit dem Windesrauschen rechnete.

Die Gedanken, die die Verzerrung und das überspringende Bewußtsein hervorrufen, sind eine Erkenntnis und sind es wert, aufgeschrieben zu werden. Die ruhigen ewigen Bilder ohne Akutheit, wie Fabriken, Wälder (sie können auch erkenntnisreich und ganz gegenteilig sein) tauchen auf, sinken und hinterlassen nichts.

Es ist wegen der Vergangenheit keine Ehe, die wäre betrügerisch und unoffen, zu führen.

Mahnung an mich: Gespräche mit meinem geistigen Liebling Kepler im Roman verwenden. Im Frühling, am Fenster, echte Freundschaft war darin von meiner Seite, von seiner vermutlich auch. Er kam stets, war verläßlich (zumindest bei mir). Entwicklung der Freundschaft!

Im vorigen Jahre galt: Das Wort „Weinen“ bedeutete, ohne Tränen zu sein, nur Ursache dazu, „pleuré“ mit Tränen.

2.1.66

Im Roman ca. eine Seite über ihre Häßlichkeit a) im Alter, b) des Hinterns (kurze Beine, die hängenden Backen).

200 Soldaten der amerikanischen Landungstruppen in Italien vergewaltigen zwei Mädchen. Eine wird irre, die andere stirbt. Gelesen in einer Illustrierten.

3.1.66

Gestern abend Abschied von meinem Bruder. Ich glaube, er gehe bewußtlos fort und werde sterben, ohne daß ich ihn wiedersehe. Im Bett geweint. Ich habe ihn geliebt. Aus dem allgemeinen Schmerz über den Abschied entwickelte sich der Schmerz über den Tod. – Es kommt eine Zeit, da der Tod Angst macht und Grauen, der fremde Tod: C., grand-mère, mein Bruder.

Am Morgen wieder gepanzertes Bewußtsein, kein Tropfen Schmerzes. Ich bin fähig, mich des Schmerzes, des Lebens, zu überheben. Der voraussehbare Tod grand-mères: ich erweiche, bekomme Lust zur Flucht. Todesüberwindung durch Erinnerung: sie sei in der erinnerten, dadurch überlebt habenden Person noch anwesend, es könne jederzeit die Wiederholung der sie als lebendig gefühlten Erinnerung geben.

Folgende Beschaffenheit meines Geistes: Ist etwas gedacht, so erweckt jedes Ablassen davon, was die Ausführung betrifft, Mitleid. (Ich würde ein Buch kaufen. Tue ich es nicht, dann ist der Händler Gegenstand des Mitleids.)

Der Unterschied: Jetzt, da ich Nardo (sozusagen) verlassen habe, kann er mir dennoch nicht den Vorwurf machen, den ich C. mache; ich würde ihn ihr machen, wenn die Voraussetzungen wie jene bei Nardo gewesen wären: nur eines Sommers Nähe mit gegenseitiger Zuneigung, wiederholten Sätzen meinerseits wie „Ich hatte Sehnsucht nach dir“. Wäre das Verhältnis mit C. so gewesen: zeitweilig, begrenzt auf ein Jahr, „Zuneigung“ mit der Berechtigung, voneinander zu lassen, wohl hätte ich ihr den Vorwurf nicht erspart. Immer entscheidet der Körper. Wäre es mit Nardo zu einem Beischlaf gekommen, dann wäre sein Vorwurf berechtigt und von mir akzeptiert mit Schuld als Folge. Ohne körperliche Beziehung zu C. wäre es ein grundloser Vorwurf von mir, ich hätte ihn nie erhoben.

Das Verhältnis zu Kepler und sein Geist müssen im Roman das Hauptstück werden. – C. wurde alles zur Peinlichkeit, was mich, Kepler ähnlich, so zeigte, wie sie es nicht ertragen wollte, konnte und mochte: etwa in der Gurkenszene, als ich (gespielt und unecht, gewiß) anfing herumzualbern, aber dadurch in den Mittelpunkt der G.J. und G.Kr. geriet. C. war mit ihnen vorher auch so verfahren, allerdings mit anderer Neigung. Als ich G.J. jagte, sie mit Salbe beschmierte und sie vermeinte geküßt werden zu sollen, hätte ich sie mit Verführerkünsten küssen mögen, weil das Verhältnis zu C., wie es zu der Zeit der gemeinsamen Lektüre der „Lady L.“ bestand, verblaßt war; doch sie stand dabei und hinderte mich qua Notwendigkeit der Wahrung der Form daran, G.J. einen Kuß zu geben.

Diese Szene im Roman als Anekdote, ohne irgendeinen Zusammenhang, als Anekdote.

Das tägliche Leben mit seinem Bruder führt er, ohne sich dessen bewußt zu werden, intuitiv, ohne Absichten, ohne Rettung den hemmungslosen Ideen hingegeben. Bei ihm fühlt er sich trotz allem sonst herrschendem Mangel an Gesellschaft, Begleitung etc. wohl und glücklich. Er ist nicht einsam, sondern lebt sein Krankes ab, dem Kongenium mit ihm verpflichtet und von ihm gehütet auf seine brüderliche Art.

Danach, wenn jener weggetreten ist, ist er einsam. Der Tod in der Abgeschlossenheit mag der Ausweg sein, da ewig die drei, der Tod, der Bruder und er, zusammen zu denken sind.

Unter den falschen Augengläsern ist er steif, hat kein Leben, zeigt keine Nuance der Mimik.

4.1.66

Leugnung vergangener Jünglings-, Reinheitshaltung, weil sie völlig scheiterte, indem sie sich (durch C.) als undurchführbar erwies.

Szene, die C.’s Dummheit erwies: B. habe nur sie, ich hätte die Dichtung.

Mein Leben stellt sich immer als abgebrochen heraus, immer vernehme ich: Ick bün all hier; denn ick bün de Haas, nich de Swinegel. Z.B. Kriegsausbruch, notwendiger Umzug aufs Land. Das Stadtleben läßt sich nicht vollenden.

Sie wird immer ihrem aktuellen Begleiter die früheren zu verschweigen haben. Sie sind ihre Souvenirs. Solange das der Fall ist, liebt sie nicht.

Szene: Sie hatte Mitleid mit Vogts Sohn im Haus, was ein erotisches Moment war. Sie hätte ihn umarmen müssen.

Gestern abend: Der Wechsel vom 2. Januar abends zum 3. abends (nachdem mein Bruder abgereist war) war wie ein Voran von zwei Wochen. Die Zeit hatte einen entsetzlichen Sprung getan. – Jammer vor grand-mères Alter, ihrer Todesnähe.

Ein Abschieds-, ein zerreißendes Gefühl, als mein Bruder schied (vgl. die Empfindung bei meinem ersten erotischen Idol M.L.). Heute fast dasselbe. Das Scheiden: Mein Bruder weiß nicht, daß es für immer ist (so empfinde ich es). Mitgefühl heute mit Danielle Cohn, die Kepler scheiden sieht (obwohl sie es ist, die abreist).

Mitleid, Besitzgefühl: Da mein Bruder mir zwei Flaschen Bier schenkte, ich auch die zweite sogleich trank (ein Luxus für mich), hatte ich Mitleid mit ihm, da er sein Geld für das Bier gab und es sogleich vergeudet war. Obwohl er 8000 DM ausgegeben hatte, schien er mir arm – eben deswegen (vgl. die Situation, als ich die Glasmarmeln, die mir meine Mutter schenkte, sofort aufs Spiel setzte und verlor).

Abschied, Mitleid, Erinnerung. – Todesanzeige: „Mit zerspaltenem Herzen geben wir, I.R. …, bekannt …“

Als mein Bruder nach Flensburg fährt, ist es, als käme er nie wieder. Auch mit grand-mère verhält es sich so. Sie sehen, betrogen, mein Leben nie wieder, sie lieben die Welt, aber unbewußt, ungewappnet sind sie ihr ausgesetzt.

5.1.66

Beispiel des Mitleids: Wenn es bei maman gutes Essen gibt, habe ich das Gefühl, maman sei hilflos, betrogen – weil ich es aufesse.

Gefühl der größten Würde von Frauen in der Situation der Not einer einem Manne Angetrauten. C. im Kriege.

Noch empfinde ich nicht Verachtung für sie, noch ist es Haß. Eine andere, milde Form der Verachtung kannte ich früher, bevor ich sie kannte, heute kaum noch. Heute ist es eher Wertschätzung, wenn nicht, Gleichgültigkeit.

Meine Physiognomie wird unzärtlich, unlächelnd. Statt dessen alte kalte Augen, hassendes Gesicht, sich verzerrend, fies, böse.

Es wäre ein Abbruch der Existenz, wenn ich z.B. in die USA auswandern würde. Meine bisherigen Gefühle durchzuhalten ist nicht möglich, es werden andere entstehen und eine neue Sicht auf die Welt. Angst vor diesem Deutschland. Dagegen wäre Sicherheit vor einem Krieg in den Landstädten der USA gegeben, Montana etc. Dort will ich hin …

Meine politischen oder wirtschaftlichen oder technischen Denkphasen dienen dazu, die Größe des menschlichen Geists, vor dem meiner nichts ist, langsam aufzunehmen, so daß ich mich nicht vor einem lange mir verschlossenen Gebiet mit Grauen und Hoffnungslosigkeit, was meine Kleinheit, d.i. mein Leben, angeht, wiederfinde.

Die zwei möglichen Haltungen zum Abendhimmel mit der Sonne: a) er sieht wehmütig das Licht bis zur Nacht um 11 Uhr versinken. b) er trennt sich lachend auf dem Höhepunkt davon, so daß er nach einer viertel Stunde sich umsehen kann , während der Vorgang noch andauert.

Der Verlust der Liebe C.’s zehrt an mir wie eines Geliebten Tod, aber nicht ihr Tod, sondern meines Bruders, mamans u.ä. Es zerfleischt und macht zerreißend, skeptisch, achtungslos, frei. Ihr Tod wäre Verharren im Trunkenen der ersticken machenden weltlosen verrückten Liebe, wie jahrelange Frauenlosigkeit und Askese. Alleinsein (1961!).

6.1.66

Die Jungfräulichkeit, dauert sie lange, ekelt 25jährige. Die Schwammigkeit der B.F. Statt dessen das ästhetische „Ideal“ der Entjungferten. Es gehört zur Schönheit dazu.

Die Rache in einer Ehe mit C. würde vollkommen eingelöst wie folgt: a) Enthaltsamkeit, b) die Verblühte betrügen.

Mein Glaube, daß das Leben in seiner Dosierung das Kunstwerk erzeuge. Daß ich nur zu leben und zu notieren brauchte, woraus dann Harmonie wird (z.B. die Gnadenträume im steten Unglauben, die schöne Proportion).

Das Freiheitsgefühl, das darin besteht, nach der angemessenen, gerechten Benutzung der Notizen alle diejenigen, welche meinen Geist verzerren, verbrannt und überwunden zu haben und doch jeden Inhalt sicher wiederfinden zu können.

Selbstverständlich: Vermeidung meiner üblichen genauen Lektüre von Dichtungen – nur oberflächlich darüber hinwegfliegend. Das ist notwendige Abwehr fremden Einflusses, der bestünde, prägte ich mir die Lektüre ein.

Nach Kenntnisnahme der Rilkeschen Mädchensehnsüchte und der Erfahrung seiner eigenen (stets verhinderte erste Annäherungen) bleibt ihm dies: a) er gleicht sich den üblichen Maßstäben an; b) oder er verschreibt sich dem stärkeren Krankhaften, das ursprünglich nicht in ihm vorhanden war.

Das nichtkranke stete Anblicken der Mädchen gibt es auch.

Den gestörten Rilke mit seinen Mädchen geißeln, seine Sehnsucht, Einsamkeit etc., den Kranken, seine Methode, seine Sicht der Welt: sie durch genaues Denken und Hassen widerlegen. Lieber Huren, Ficken, Fleisch, Tier des überwundenen Menschen. Haß gegen den Menschensuchenden. Haß gegen die Menschen. Ihre Nutzlosigkeit auf mich bezogen. Ich kann mich von ihnen lösen; ich kann zufrieden mit Tieren sein. – Dagegen mein Anspruch, mein Ekel, die Lächerlichkeit des Unschönen. Das stolze Zurückweisen.

Mit einem fettigen Häßlichen gibt sich kein Schönerab. Nardos Leid und Gestarre sind reiner Ekel. Bloß keinen Schmerz wie: „daß mir in jedem Zusammensein Gewalt geschieht“ oder „Rückweg ins verfallene Alleinsein“ (Rilke). Steht ein solcher auf, ist er nur krank, entstellt, ein ekelhaftes fickend Tier, das die Frau beschmutzt, Schweißhände, Glasaugen, Geschrei, wie halbtot geschlagene kreisende Fliegen, eklig, klebrig, ohne Bewußtheit.

Die Lächerlichkeit der Aussage: „daß mir nicht zu helfen ist“.

Anläßlich des Tons mamans, mit welchem sie meinen früh in der Familie üblichen Kosenamen ausspricht, höre ich C.’s Stimme, und aus der herbstlichen französischen lichten Husumer Straße muß ein Grauen werden, insofern der Stimme und der Person Geister erscheinen. – Erzählhaltung: Stilschichten aller meiner Lebensphasen kommen vor, wörtliches Material, kein einheitliches Jetzt, sondern die Elemente beispielsweise von vor zwei Jahren, eines bestimmten Tages usw.

Unfreiwillige Nachahmung meines Bruders (des mimischen Ausdrucks seines Bewußtseins und seines Körpers) am 6.1. in der Universität.

Gereizte Nasenwurzelnerven, mein Tic des Schulterzuckens (Nachahmung des Professors P.).

Oft interessiert mich niemand, nichts. Was soll mir gerade das?, frage ich mich. Nur Kepler interessiert. Das Bild der Aufsteigenden, die leben, Werke, Geist schaffen, ihre Haltung haben, der Verkannten.

Mit solchem Interesse, in dieser Spannung, mit diesem Denken gilt mir C. nichts. Es wäre zu einer Katastrophe (in einer Ehe) gekommen.

Silvestergedanken: a) allein, b) in Gesellschaft. Was ziehe ich vor? Es ist klar.

Mein theoretischer Haß gegen das Schreiben von Briefen, weil sie Textquellen werden könnten. Triumph des kichernden Verlusts der gesprochenen Quelle, wenn telephoniert wird, das beläßt uns sauber und groß. In „sauber und groß“ steckt ein Keim des Ekels, denn mit der nahen Assoziation „unbeschmutzt“ wird Schmutz (Ekel) ins Spiel gebracht.

Es läßt uns nicht unbefriedigt zurück, daß in Unveröffentlichtem sich nichts Entstehendes zeigt, keine Vorstufen und Zwischenstufen, keine Entwicklung, welche eklig per se ist.

Wenn er ein intellektuelles Gesellschaftsleben (mit europäischen Größen, den Pariser Cohns etc.) führen würde, dann müßte er es exzessivlebend führen.

Das Imposanteste wäre, wenn alle Briefe und andere Lebenszeugnisse sich wiederfinden ließen, und daß er gar kein Buch hinterlassen hätte. Es wäre in sich konsequent.

Das Talent des Erkennens ganzer Sachverhalte durch einen ihrer Bruchteile; so erkenne ich die Substanz der besten Werke aus Sekundärliteratur, das Handwerkliche an schlechten.

7.1.66

Seinem Geiste scheint das Fließen angemessen zu sein, wenn er sich bewegen soll – weil er etwas tun muß, nicht verschwenden kann. Die schnelle Bewegung entspricht der konzentrierten oder beständigen Tätigkeit. – Er geht schnell, hat keine Zeit, keine Lust zu schlendern. Steuerte er selbst, wär’ es etwas anderes. Oft geht ihm das Lesen zu langsam, weil Rilke und Hölderlin erreicht).

Eine Labsal, daß Gewußtes, das verzerrte*, welches verhindert die Flucht in die Ruhe vor den Vorbildern („Von Klippe zu Klippe …“), vergessen werden kann. Auslaufen in die Heide, Wind. Mit dem aber kommt immer als Muster zurück Altes, Gesagtes.

*siehe auch das vorige: ein anderer Inhalt als im vorigen Jahre.

Die Substanz muß beim Produzieren bleiben. Gibt sie sich weg, ist das Produkt bald dahin. Es muß zuviel da sein, ein Überschuß, um Kraft zu erzeugen im Produkt. Muß man jedes Körnchen Substanz mühsam aufsammeln, wird das Produkt schlecht.

Zu verwenden: daß das Wort töte. Es rinnt der ganze Leib, ist flüssig. In der Luft harrt das Schicksal. Dahinein tönen die Worte, sie wirken wie in Kongruenz zum Gefühl des Aberglaubens, des gefühlten Tods, des Erkennens etc. Da trifft das Wort: er ist getötet; das ist genau des Wortes Sinn.Parallelität der Geisteranwesenheit und des Worts.

Phasen: a) le charmant, qui sait s՚établir dans la haute société etc.; b) der durch die Worte einer Tragödie tötet und auch getötet wird, vor allem: die Leichen, die zerstörten Menschen und deren Urheber, die Sieger, sieht. In der Phase b) kennt er a) nicht. Hat er b) durchschritten, gilt a) ihm tausenderlei. Es setzt sich bis zu seinem Tode fort, so hat es zu sein.

Die Bereitschaft des Hörenden für das Gesprochene des Sprechenden muß gegeben sein.

8.1.66

Manchmal lauteten ihre Anreden: Schatz, Spatz, Lumpi (nicht ich wurde so angesprochen).

Sein Mitleid entsteht aus seiner Bewußtheit (der höchsten Reflexionsstufe seiner selbst und der ihn umgebenden Verhältnisse), es ist ganz natürlich. Die anderen leben vor sich hin. Er lebt erhöht.

Es ist alles Trug: Kleist: es sei nicht mehr möglich, nachdem man sich der Bewegung bewußt geworden, sich wieder natürlich zu bewegen. Doch ist es möglich. Genau wie die Ewigkeit der Gefühle lächerlich ist. Es ist alles wiederholbar; auch die echten Gefühle für zwei Frauen sind möglich. Die Liebe ist dadurch nicht beeinträchtigt.

Der Vernichter, der sich zum Teufel entwickelt: er negiert alles 2000 Seiten lang nach dem ersten, noch gläubigen Teil. Dann gewinnt er wieder Beständigkeit. (Das Kleistsche Modell ist gefällig, aber eine Lüge der biederen Deutschen.) Er kann stets zurückgelangen, wieder natürlich, wieder unbewußt werden. Diesem Schema durch das ganze Buch hindurch folgen. Die Haltung zum Leben muß vorzüglich das Buch bestimmen. Die gewollte explizite Abneigung, Gegnerschaft (wie in der Politik) muß auch hinein. Entschiedene Stellungnahmen, Negierung philosophischer Modelle, nicht deren Widerlegung. Sie indiskutabel machen, dies deutlich zeigen.

Die Liebe spielt sich immer nur auf begrenztem Gebiete ab, insofern ich mich gegenüber vielen Menschen so sehr verschieden verhalte und mein Ich changiert. Tausendfältigkeit. Mein Benehmen gegen Kepler auf sie angewendet hätte C.՚s Liebe zerstört (meine ausgestreckte Zunge entsetzte sie), jenes gegen meinen Bruder Keplers usw. Ich entsetzte mich vor ihrem Verhalten gegen Jünglinge. Daraus erwuchs das, was Eifersucht heißt. In ihr kann die Zunge keine Eifersucht auslösen, aber ähnlich abstoßend sein, wie für mich ihre Jünglinge widerlich sind. Ich war den Sphären ihrer anderen Lebensbereiche nicht gewachsen, soweit es diese Fragen betraf; sie war meinen nicht gewachsen. Dabei war mein Verhältnis zu anderen Frauen freiwillig von mir ausgeklammert, weil ich an ihnen desinteressiert zu sein vermochte.

Im Juni vor vier Jahren war ich ohne Komplexe, danach voll davon, erst jetzt bin ich wieder ohne; sogar Schauspieler reizen mich und verursachen kein Grauen mehr (Grauen, weil sie zu denen und deren Welt jederzeit hätte überlaufen können und ihrem Gesetz gemäß untreu sein).

Meine Eifersucht entsteht allein aufgrund eines anderen, mir unbekannten Lebens. Keine von Eifersucht unbeeinträchtigte Liebe gibt es, solange nicht alle Bereiche des anderen Lebens gekannt und geduldet sind. Ich führe im Vergleich zu jedem anderen ein ganz verschiedenes Leben. Sie ist verhältnismäßig verschieden nur von einfachen Menschen.

Der im Saale mit Bewußtheit sitzt, wird angesprochen von C.; er ist vollkommen desinteressiert, sie existiert, nachdem sie ihn endgültig abgewiesen, gar nicht mehr, sie ist ganz außerhalb seines Bereichs. Wer bist du? Was interessierst du mich (mit aller Verachtung gesagt)? Um des Hochgespannten Kopf bilden sich für sie undurchdringliche Spinnenweben, er ist unheimlich geschichtet und vielfältig, nicht zu beherrschen.

Eine Haltung (wie die Keplers) vernichtet die andere (z.B. die deutsche à la Mörike). Allein die Haltung macht die Meinung überlegen, nicht der genaue Nachweis ihrer Überlegenheit, wie bisher von mir erstrebt; etwa Jähzorn, Hemmungslosigkeit, Tücke, schlechter Charakter (denn das sind Überlegenheiten mir gegenüber).

Solang er ohne Feuer (nicht mehr die Vorstellung hat, ewig trauern zu müssen, die Geliebte lieben zu müssen, höchstens in höhnischer, lustiger Art – was ja auch ein Reflex von Liebe sein kann), dient alles nur noch der Sammlung zum Roman. Zur Zeit der Totenliebeslieder hatte er dieses Feuer.

Gefährdungen des Dichters: a) Broterwerb, b) Veränderungen seiner selbst.

Schwitzen, Verzweiflung, wenn er viele Gedanken hat, wenn es so viele werden, daß er die ersten schon zu vergessen beginnt, und immer neue kommen. Ist ein Papier + Stift dabei, ist er glücklicher, er wendet ab den Schlafwunsch, die Ohnmachtsgedanken, die seelische, geistige Verzerrung.

Aufsatz über das Negative jener literaturwissenschaftlichen Methode, die sich der „Einblicke in die Werkstatt“ der Schriftsteller bedient. Sie sind höchstens für die Biologie, Medizin, die Physiologie des Gehirns nützlich (Beobachten des Verarbeitens einer Anregung, eines Elements, das Verfolgen seiner Bahnen etc.). Sie sind nur aufs Organische zu beziehen. Vgl. auch W. Kayser (gleicher Fehler: werkspezifische Entwicklung des Dichters). Zu etwas anderem trägt sie kaum etwas bei und ist bedeutungslos. Wird aber die Entwicklung des Dichters über große Zeiträume nachgezeichnet, wird es gleich interessanter und allgemeiner. Die Untersuchung der Minutenarbeit des Dichters stößt ab.

Kleists Kohlhaas und Der Findling mit ihrem extremen Rachemotiv: Es ist ein persönlichstes Motiv, individuumzentriert, subjektiv, aber gestaltet,

das sich wohl nur außerhalb der Literatur, psychologisch, autorgebunden ansiedeln und deuten läßt. Wiederum anders, wenn ein real existierender Brief keinen Eingang ins Werk findet, sondern sein Inhalt strikt verbannt wird. Das Individuum Autor würde sonst zum Forschungsgegenstand. Die Verwendung des biographischen Materials entscheidet über die Interpretationsangemessenheit. Und auch: Aus Prinzip hat das reale Leben keinen Platz in der Literatur (vgl. meine eigene Lebenshaltung à la Kepler).

Man hätte alles andere erwartet: Prof. Pilger erweist sich als Deutscher; deutsch ist Mörike: die einzige Liebe, sogar die ewige (Herzog Adolf!), das Gefühl der Erfüllung darin, auch wenn nichts erfüllt wird. Als zweites deutsch-Indiz: der eine bestimmte Denkvorgang [Grafik mit Text: „zweimal davon die Rede. Das zweite (was?) entlarvt das erste“]. Wo er sich verrät, wäre nachzusehen.

Beschaffenheit seines Geistes: Es genügt ihm, für sich etwas gesagt zu haben, es braucht nichts mitgeteilt zu werden, was nicht neu ist (Neues und Vollständigkeit waren immer sein Wunsch, nicht leere Wiederholung). Daher seine Schwierigkeit, etwas bereits Erkanntes aus(f)zusagen, sogar nur zusammenzufassen, zu referieren.

Zum ersten Mal befürchte ich anhand Mörikes meinen Begriffsmangel.

Maler Nolten, S. 807, ab Zeile 17. Mörike hätte, da das unaufgeräumte Zimmer an einem andern Tag nicht grauenvoll gewirkt hätte (schon gar nicht objektiv), als Erzähler „jetzt“ und „ihnen“ einfügen müssen. Die „herrliche Nachtigall“ ist korrekt. Im selbständigen Gedicht darf die Uhr weinerlich, das Zimmer grauenvoll sein. Hier nicht. Wie drücke ich dies mit abstrakten Begriffen aus?

Rilke macht zu viele Worte, wie in der Sekundärliteratur; zweitklassig, was erstklassig hätte gesagt werden können.

Schuld entsteht erst, küßt er eine zweite, wenn er die erste, die er geküßt hat, danach nicht wieder küßt (sie damit fallenläßt). Sind beide gleich reizend und bedient er sich beider: ist er frei und schuldlos. Vgl. die Szene, in der sie sagte: das Schlafen mit einem Dritten sei unmoralisch, das Küssen nicht.

Warum wurde z.B. der A.c.I. ins Deutsche übernommen (er ist grundsätzlich möglich)? Das ist keine rein linguistische Frage. Man darf niemals den widerständigen Menschen vergessen, der aus verschiedenen Motiven sich dem Gängigen widersetzt, z.B. aus Trotz. So ist es mit jeder Poetikfrage.

‚Werkemanente‘ Methode: Ihr wird das äußere Material selbst zum Forschungsstoff und Forschungsinteresse. Es ist bloße Zuordnung und Anordnung. Uns interessiert das gar nicht.

Eine mir neue Form der Eifersucht: Als ein zweiter Mann denselben Zeichnern direkt neben mir Modell stand, wurde ich eifersüchtig.

Gäbe es katholische und evangelische Jugendherbergen: in den evangelischen gälte eine freiere Hausordnung; in den katholischen wäre man darauf eifersüchtig, auch

wenn man glaubte, die eigene strengere habe sich in ihrem Geltungsbereich durchgesetzt und sei verinnerlicht worden. Es dehnt sich das Begehren eben auf alles aus.

S-Bahn-Szene. Es schien, als hörte er die Stimmen nicht. Aber es grunzten die sich Bewegenden, hin und her sich Schiebenden, als sie aufstehen (um auszusteigen) bzw. sich setzen wollten. Die Stimmen wurden zu Tieren, die ohne Verstand, nach Trieben sich ordneten.

Aus der Offenheit, doch, entgegen aller Erwartung, die Wahrheit zu sagen, sich zu ihr zu bekennen, obwohl die Lüge durchgehen könnte (in frühen Jahren beim Fußballspielen: „Ich habe Hand gemacht“); oder allgemein aus Ehrlichkeit, wenn jemand betrogen wurde, es danach rückgängig zu machen – folgt natürlicherweise die Teufelei. Analog dazu: Zu Jeanne sage ich anläßlich der Party bei Ruggiero: „Bringe Anke Kl. mit, nicht für mich, mein Liebling Kepler ist ja da.“ Was sie glauben muß wahr zu sein (schwul zu sein). Sie muß glauben, nicht aus der Neigung heraus, Witze zu machen, komme dies, sondern es sei wahr.

Seit dem Bruch zwischen uns ist die Erinnerung nicht mehr glücklich-süß, nur noch ein starres, nicht weichendes Bild (bis auf die Situationen meiner Erinnerungsanfälle; dann aber ist sie auch nicht mehr üblich süß, sondern voll Dämonie puren Lebens).

9.1.66

Zwei zum ersten Mal sich nackt Sprechende (z.B. ich und U.C.). Es wäre bedeutungslos, wenn nicht die Triebe in Form körperlicher Reaktionen (z.B. der Erektion, Flüssigkeiten, Mimik usw.) die Menschen als Geheimnis zeigten. Es verbindet wie nichts anderes, dies Geheimste gesehen zu haben, den Körper in seinen Funktionen in actu.

Traum von Puck. Es ist wie Abschiedsschmerz gewesen, ein berechtigtes Gefühl, weil ich sie wirklich kaum je wiedersehen werde. Um so mehr, weil meine Neigung zu ihr ganz einseitig ist und somit die Trennung ein vollständiger Abschied, denn die Situation kann ohne ihr Mitwirken nicht wiederholt werden.

Traum von mehreren Möwen, die unter Geschrei von Enten, Gänsen und weiteren Möwen eine einzelne Möwe in der Luft töteten.

Die Haltung jungfräulicher, träumerischer und auf dieser Stufe verharrender junger Mädchen ist gänzlich mühselig (die ganze Liebe zu C. wurde von mir so empfunden, obwohl sie die Stufe überschritten hatte).

Meine Physiognomie wird zynisch, der Mund verachtend.

Er ist gemacht für Huren (nur ein eintägiger Reiz). Es ist ihm unmöglich, z.B. Puck zu lieben. Er wüßte nichts zu sagen. Das Ziel wäre einzig der Beischlaf; danach ergäbe sich eine dauerhafte Störung.

Aber die Mädchen erwarten gar keine Ehe, wie ich es meist noch glaube. Wohl doch aber ein zumindest mehrere Monate dauerndes Liebesverhältnis, was mich abstoßen würde.

Er harrt immer noch auf den großen Wurf, die ewige, starke, überdauernde Liebe einer sich ihrer selbst Bewußten.

Die Patience Las Vegas spielend: Als er 15 Spiele nacheinander verlor (weniger als elf Karten ablegte), sie dann aber aufging (52 abgelegte Karten): da wachte mein Aberglaube auf, C. doch noch zu erringen. Sogar Napoleon soll Patiencen als Orakel für seine Schlachten benutzt haben.

Er wird Rationalist. Der Tod gehörte zum Liebenden. Der ist er nicht mehr. Er sehnt sich also abends nie mehr danach, nicht wieder aufzuwachen.

Er spürt den Verlust der Größe und des daraus erwachsenen Stolzes; er fühlt sich wie jedermann. A.Bu. etc. beurteilt er nicht mehr verächtlich. Ehen werden eher möglich. Puck gilt ihm trotz ihres Umgangs mit A.Bu. als unbefleckt. Sie hat nicht den Ruch der verderbt aus den Augenwinkeln blickenden Christine Keeler, nicht deren berechnendes Bewußtsein. Sie wurde verführt und sie bereut.

Der Falsche gehört zu den Falschen, zu Kepler, nicht zu der Güte grand-mères. Bei ihr heuchelt er, bei Kepler nicht, weil der sich zu wehren versteht mit gleichen Waffen.

Stolz, Lieblosigkeit nicht als Totheit, Stumpfheit, Nichts bewerten – sondern als einz’ges gültiges Leben. Es führt reiches Gedankenmaterial mit sich, das zurückgelassene Leben nur das Singen des Dichters.

Die Gefährdung der Liebe erfolgt a) durch Schwäche (wenn das Leben der Karriere dient), was zum Todeswunsch führt; b) durch ihre Einseitigkeit, durch ununterbrochenes Denken an die Liebe, durch Glut des Gefühls.

Er hat gelernt, lieblos zu sein.

Puck als Liebes- oder gar Eheobjekt gälte ihm wegen ihrer Lebensführung und wegen der moralischen Ansichten seiner Mutter als nicht geeignet.

Er wird durch seine Erfahrung stets sogleich zum Skeptiker, Schleierzerreißer (Puck bewertend): Verachtung ihres verbrauchten Zustandes; aber auch Verächter aller Jungfrauen und der diesen Status immer noch nicht überwunden Habenden. Damit scheide ich zwei Klassen aus. Die übrigen sind nicht zu lieben, es sei denn, ich hätte darunter noch keine dies Widerlegende gefunden.

Unmöglichkeit der Erfüllung.

Er kann nie halten, was sein freundliches, gefälliges Aussehen Aspirantinnen verspricht: Er liebt entweder zu sehr, oder er liebt zu wenig.

Anmerkung zu Puck: Nicht die Liebe verhindert die Scham, sondern das Ficken. Unter der Prämisse, Nacktheit verursache Scham, gilt: Ist der Partner auch nackt, entsteht keine Scham. – Liebe ist viel schamvoller (Entblößung der Seelen). Was hinderte Puck, da sie mit A.Bu. schon tätige Nacktheit erfuhr, den potentiellen Beischläfern, den Kunststudenten, Modell zu stehen und mehr?

Heute morgen Sehnsucht nach Puck.

Es ist alles unerfüllbar. Er wird sich als zu klein erweisen. Er kann nur negativ, Teufel sein.

Liebend ist er dem Todesexzeß nahe. Er darf es nicht mehr sein.

Eine neue, ganz andere Lebensperiode bestünde im Singen (wenn ich’s könnte).

C.’s Leib zuletzt beurteilt ist unförmig.

Sie nackt: der runde hängende Hintern, zu kurze Beine, zwar nicht objektiv, aber es wirkt doch so, weil das Becken nicht in die Höhe strebend ansetzt.

Keplers Abschied von Danielle. Er schickte sie frühzeitig fort, weil er ihretwegen aus Schwäche umgekippt wäre. Sie reagierte ohne Gefühl, wie tot.

Kepler müsse weinen, wenn er Gustaf Gründgens’ Foto als Snob (Sternheim) abfotografiere. Dann ergänzte er: „Heute abend hatte ich Lust, mit einem Mann zu schlafen.“ Später dann: „Als ich G.G. sah.“

Der Ausgeglichene: Als ich ihn zum ersten Mal nach seiner Rückkehr vom Besuch Danielles in Viroflay wieder sah, war er innerlich besänftigt, ruhig, gleichmäßig. Als A.Bu. + Puck eintrafen, war er ganz der Alte, agil, überschäumend, sofort richtete er ein galantes, erotisch aufgeladenes Bonmot an Puck.

Meine Skrupel, meinen Bruder literarisch im Roman zu verwerten, hingegen Kepler ganz ohne Scheu.

Man hörte dem sanft, schön Sprechenden, ohne Atem, manchmal nicht zu. Kepler ist eben allein. Eine aufsteigende Rangfolge des Alleinseins: A.Bu., Puck, Kepler, ich (gestern).

Worin er versagt: Er kann mit keiner Freundin (evtl. aber mit einer Frau?) öffentlich leben, z.B. Kepler besuchen, den er ebenso liebt wie die Freundin. Es besteht die Gefahr der Empfindung von Peinlichkeit. Er kann dann nicht sein, wie er ist. Sie müßte jederzeit ablegbar und wieder verfügbar sein.

Djerba-Sehnsucht; d.i. ein Gefühl der Krankheit dieser Insel, wegen der nackten Tunesierin (erstmals bin ich anfällig gegen braune Haut). Als mache die Sonne, der Strand (sehr breit sich vorzustellen) die Bevölkerung wie fiebrig, wie von Rauschgift, von Unheilbarem krank. Es ist ein Todesreich, sie verharren dort ewig. Lepra! Oder wie Gefangene, die dort unter dem Todesschwert leben. Die Nächte schwül, vielleicht ein Vergleich mit „Nacht des Leguans“. Oder sie sind schon halbes Aas. – Hier nähert sich die Wirklichkeit dem Gefühle an. Es wird legitimiert und allgewaltig. Auch der vermutete Italiener in Niendorf, duftend, erinnert mich an ein höchstwahrscheinlich unwirkliches Gefühl (mit Nardo im Zusammenhang). Die Unwirklichkeit speist sich aus wirklichen Anlässen, aber ihre Wirkung ist viel zu riesig, eine Wolke über dem Anlaß. In der Vorstellung von Italien ist auch der amerikanische Kunststudent gegenwärtig (froscio, schwul), mit dem ich im Zug von Innsbruck nach Bozen fuhr.

[Spätere Randbemerkung:] Der vorige und der folgende Eintrag sind Zeichen der Verrücktheit.

Erkenntnis, daß er auf dem Lande (Dänemark, Jylland) ersticke. Er kann nicht ohne Menschen sein. Er braucht Kepler. Die Schule und die Universität waren seine Rettung, da er dort stets Menschen um sich gehabt. Mit Bauern würd’ er verrückt. Er kann mit ihnen nicht sprechen. Auch ohne Anblick schöner Mädchen, Kinder könnte er nicht leben. Er würde toben, rasen, fliehen, die Nerven verlieren. Er braucht die Stadt.

Die erlebte (!) Vorstellung, wie er aus Kopenhagen an Kepler schreiend schreibt, komm her, ohne dich kann ich nicht leben. Angst, Angst wie im Fall C. (siehe meine Briefe).

Die Einsamkeit ist projiziert von etwas Eigenem auf ein dazu nicht Passendes; denn die Einsamkeitsangst fühlt er nur in Gesellschaft. Ist er tatsächlich allein, so ist er der Einsamkeit Meister und weiß das Richtige zu tun. Inmitten Leben mit Menschen fühlt er Grauen. Nie wird dies überwunden werden.

Es gilt zu untersuchen, ob sich nicht die Vorstellungen von „Osten“ nach den im Gehirn repräsentierten Himmelsrichtungen richten. So z.B. das Lokal, das Danielle weinend verließ: ist es nicht deshalb an einer Straße nach Norden gelegen, weil Viroflay südlich von Paris liegt? Daß es sich „rechts“ (rechts von Nord, im Osten) befand, ist aber nachzuprüfen. Wonach richtet sich das? Es sind Dissoziationen der Seele.

Die potentielle Einsamkeit in Dänemark bildet sich aus dem Wechsel von der Gesellschaft, die jetzt um mich ist, zur Einsamkeit. Wechselte mein Alleinsein ins Alleinsein in Dänemark, wäre es keine Einsamkeit.

Rilke ähnelt nicht einem Autor wissenschaftlicher Sekundärliteratur, sondern einem Autor der Sekundärliteratur, welcher Inhalte poetisch, eingängig, verführerisch zu umschreiben versucht.

Sie hielt Menschen mit braunen Augen für dumm. Braunäugige Jünglinge würde sie lieben, das ist sicher.

Etwas über Newton schreiben!

14.1.66

Die Schmerzen der Übelkeit, des Hinsinkens, Weinens, Fallens in der S-Bahn, die Sinnlosigkeit des augenblicklichen Fahrens: In solchem Augenblick gilt das Leben nichts. – Aber er kann auch den Augenblick rauschhaft erleben als schön. Es liegt die Vernichtung durch den Augenblick, wenn er an nichts Folgendes denkt, daran, daß er kein Gegenüber hat, um ihn stets zu erleben: daher fühlt er sich verdammt zu immerwährender Sehnsucht, die sich nicht erfüllt. Es ist zu vergleichen mit der immer besiegt werdenden Knaben-(Nymphen-)Sehnsucht. – Früher galt mir der Teufel als ewig Verdammter. Daraus jetzt ein Drama eines Helden solcher Psychologie machen.

Scham, vor Männern zu lieben. Größere noch vor anderen Frauen, die die Geliebte mißbilligen könnten. Das ergibt Peinlichkeit durch Außenbeeinflussung und Unsicherheit.

„Sich rühmen“: diese Vokabel findet sich überall bei Prof. P.

Mein Sprachbewußtsein beim Formulieren ist vollständig verlorengegangen. Kein syntaktisches, stilistisches, auf den Zweck sehendes Auge fürs Wort habe ich mehr, keine Form, es sind allein unmittelbare Krankheitsnotizen.

Wäre sie schwarzhaarig, wäre wie ein Knabe auf einem Baume, elfjährig oder wie ihr Bruder: dann wäre es vollends hoffnungslos, sie besiegen zu können.

Lust am scharfen Medikament, es zu trinken. Es ist das gleiche wie das Milchtrinken, wie ihr Blut zu trinken.

„Segne mich“ zur Toten, da man Segen vom Gott am besten anerkennt; die jetzt Tote, Leiche ist mir Gott gewesen.

In der Allegorie ist auch die Symbolidee enthalten. Jene ist theatralisch schöner, sinnlich dürrer, dennoch umfaßt sie auch den tieferen Gehalt.

Krankheitsrückfall in die Einsamkeit: Er scheint geistig allein auskommen zu können.

Die Allegorie ist keine bloße Einkleidung des Gemeinten, sondern es herrscht Identität der Allegorie mit dem Gemeinten (Bild, Begriff).

Größe. Er muß groß sein gegen alle anderen Erscheinungen, auch wenn er am Ende nur groß gegen Dumme ist. Noch aber ist er groß gegen die Anschauungen der übrigen Welt, des übrigen Lebens etc., die nicht die meinen sind. Er nimmt es mit ihnen auf. Er hat die Fähigkeit zu dichten. Er hat ein riesiges eigenes inneres Leben darzustellen. Es verleiht ihm der Gedanke, groß sein zu müssen, bereits die Rechtfertigung seiner Größe.

Was für Goethe noch ein ganzheitliches Phänomen war, muß analysiert werden als Wirkung elementarer, gleichsam atomarer, das Phänomen bildender Bausteine und ihrer Beziehungen zueinander (Erkenntnisatome). Die alten Phänomene (und Begriffe?) müssen zerlegt und zu neuen zusammengesetzt werden. Es darf zu keiner vorschnellen Fusion der Teile zu einem Phänomen kommen.

Seine beschränkte Produktivkraft. Er versteht aber alles. Darin ist er groß.

Seit dem Modellstehen ist das Studium uninteressant, ich folge ihm nicht, bin müde und schläfrig und höre nicht zu: wegen meines Bruders, der mir zu Hause keine Zeit läßt.

Gegen die Entstehungsgeschichte eines Textes und seine ihr gemäße Interpretation läßt sich allein das einzelne undatierte, sinngemäße Phänomen des Textes stellen.

Nachträge vom 13.1.66:

Scham wegen Stefanie, Peinlichkeit. Die Meinung von Dritten läßt ihn das Verhältnis zu ihr zerstören. Wie zu allen. Einzige Ausnahme ist C.

Kein sexueller Stolz! Immer nur das Betrachten, Beobachten von Mädchen, ähnlich Nardo. Generell kein Stolz, weil das Sexuelle alles durchdringt, etwa im WS 64/65 in den Seminarbibliotheken. Im Sommer ist es seltener.

Sie hat keine ästhetische Leidenschaft mit allen Konsequenzen.

Ekel vor der Haut, den Wimpern des Mädchens rechts vor mir im Seminar, aber der Körper war reizend und hübsch.

Es ist mir unmöglich, das Alter zu lieben, es nicht zu verachten. Alte Haut links vor mir im Seminar.

Mit 50 das erste Wiedersehen: Das Verhältnis ist dann tot. Wie ein Fremder wird sie mir sein.

Der betrunkene Gastgeber Ruggiero kann jähzornig, herrschsüchtig sein wie ein rüpelhafter Neuntkläßler in bezug auf Mädchen – Angelika Sch., die er vielleicht plötzlich anginge. Dies ließe mich nicht frei sein, bis es verhindert wäre.

Den Soldaten erhöhen! Centurionen im Gegensatz zu den windelweichen Studenten!

15.1.66, 0:05: Die Gotin und das blonde Schiefbein (genauer: Krummbein) sind die einzigen, die ich mir würdig als Alte vorstellen kann, 40 bis 50, verheiratet.

Da ich Dostojewskis Erzählungen, die mir grand-mère geschenkt hat, noch nicht gelesen habe, entwickele ich ein schuldiges Mitleid.

12.1.66: Gegen die Klugen vermag er nichts. Ein Beispiel ist die Studentin aus dem Althochdeutschkurs (die Gotin). In deren Augen ist er stets ungenügend.

15.1.66

Zum ersten Mal ist offenes Versagen wie in der Schule möglich. Gänzliches Nichtwissen.

An der Universität scheinen alle einen ‚Tick‘ zu haben und sich starr zu verhalten (oder liegt es an meiner Sicht?). In der Kunsthochschule herrscht Natürlichkeit vor.

Ihre mir übermittelten Grüße leiten nichts ein. In der Poesie würden sie neue Liebe bedeuten.

Meine Angst galt zuerst der Zeit ohne C. Jetzt grassiert sie frei, isoliert, ohne C., grundlos, objektlos. Ihr Motiv ist generelles Verlieren, Vergehen, wessen auch immer.

Seine Zuneigung zu H.H. und anderen Jungen ist kein Spiel mehr, sondern ein Zeichen dafür, daß er sich aus der Gesellschaft herausentwickelt hat. Er fühlt tatsächlich die Sehnsucht und mag H.H. nicht nur ästhetisch.

Einen Rausch gehabt. A. Wittland hatte eine Wirkung auf mich wie C. Unbedingtes Hinsehen, Weinen gar. Die Schönheit war unglaublich und der Gnade ähnlich. Ich hatte lange nicht mehr an die Möglichkeit geglaubt.

Wie der C.-Rausch. Moortiefen, Anbeten. Sonnenuntergänge damit assoziiert.

Das Vergessen ist des Dichters Fluch. Er bestrebt sich, alles zu behalten, und scheint nur durchs Nichtvergessen seiner Kraft nicht beraubt. – Je intensiver das Erinnern ausgeübt wird, desto sicherer ist, daß nichts vergessen wird. – Schreibt er alles Einzelne auf, wird es sich dennoch als umsonst herausstellen. Tut er’s nicht, denkt er an die Hälfte nicht mehr. Und doch vergißt er nicht, denn das scheinbar Vergessene wirkt unterbewußt weiter in ihm. – Insgesamt bleibt es seine ständige Angst, zu vergessen.

Die Kategorie „irrational“ ist für mich leer und hohl. Es ist lächerlich, daß etwas aus dem Irrationalen komme und es so sei.

Die kranken Eigenschaften, der kranke Hochmut sind vererbbar. Der aus dem Milieu entstandene nicht.

Sein pubertärer Zustand: in der Geistesverteidigung offenbart er – sich selbst. Er fühlt sich angegriffen. Er wehrt die Vorhaltungen ab mit Hilfe von Redewendungen der übertreibenden Höflichkeit und Leichtigkeit wie „die gewählte Methode hat den Vorzug“, „das schien mir unnötig zu bedenken, da es doch nichts zur Sache tut“ usw.

Kein Stolz mehr, statt dessen wieder Liebe, Fühlen, Demut, Angst.

Doppelwirkung der Anwesenheit meines Bruders auf mich: a) Befreiung, indem sich, nach meiner Beanspruchung durch mir Neues, Fremdes, massenhaft Material einstellt, das bisher von mir unterdrückt war. Durch die Pause von mir selbst gewinne ich Kraft und Klarheit. b) Nervosität, anstrengendes Leben. Hatz, Herzfliegen, weiche Brust, die in Angst wie zu einer Flüssigkeit geschmolzen, Druck, Atemnot.

Viele haben die üblichen Gesprächsmöglichkeiten wie: „Haben Sie Angst vor Gewittern?“ Ich aber versage, indem ich bei meinen Vorfestlegungen bleibe: Geniedisposition, Fühlen, Wahn, Rausch. So gerate ich mich unterhaltend schnell ins Schwimmen.

Eine Erkenntnis muß aufgehen wie eine Patience oder eine Rechenaufgabe und darf bis dahin nicht vergessen werden.

Das „Ewig-Weibliche“: Als 16jähriger sah er Eigenschaften von Mädchen und war gar nicht erweckt. Nach Jahren der Sehnsucht usw., Schwierigkeiten und zerschlagener Hoffnung: da wurde ihm z.B. jede wie er nervös Zuckende zu einer solchen, die alle Stufen, die er überwunden, in gleicher Weise hinter sich gelassen hatte. Dabei hat er sie nur zu einem zu späten falschen Zeitpunkt kennengelernt. Jede andere, jenseits der schon Erkannten, hätte das gleiche Potential gehabt, alle anderen überbieten zu können.

Da „Die eine“ schon einen Begleiter hatte, was ich nicht wußte, baute sich der Trotz der Eifersucht in mir auf. Ich führte keinen Kampf, der eine Entscheidung erzwungen hätte.

Er hält seine Hände und Finger wie im Barock: steif in die Luft (siehe Alcina und entsprechende Gemälde).

Daß ich heute bei S-Bahn-Fahrten ein Gefühl der Flüssigkeit der Brust habe, heißt nicht, daß schon in meinem „Faust“ mit „des Wahnes flüssige Brust“ die Flüssigkeit in diesem Sinne gemeint war.

Es gilt nicht mehr das Hemmungslosigkeitsprinzip; statt dessen Steifheit, Mäßigkeit.

Sie würde mir 30000 Mark geben können (für ein Zahnarztstudium).

Brief an Hermann H.: Ich hätte einen Erben (Fräulein Blume?), daher sei Beruhigung eingetreten.

Mich nicht Abstoßende sind an fünf Fingern abzuzählen.

H.H. umhalsen? Er ahnt nicht, daß er Objekt der Sehnsucht ist, der Liebe, wovor er sich ekeln würde.

Traum. Mir träumte von der Ewigkeit des Gefühls, die abbrach. Es war zum ersten Male die Gewißheit, daß es das Wesen des Gefühls sei, zu verlöschen. Die Liebe hört naturgesetzlich auf.

Désinterêt: Sie war mir so familiär, so bekannt geworden, daß das Désinterêt möglich wurde („Wozu sagst du mir das?“). Dies gilt auch für maman etc. Keine Höflichkeit war mehr erforderlich, denn sie war auch rücksichtslos. Das erotische Interesse war tot. Bei allen solchen Exemplaren: sie stören mich dabei, ich zu sein.

Fühlten die Antiken schon wie wir? Z.B. Mesopotamier, Syrer zu Alexanders Zeit und davor?

Sonntag Traum von Nardo. Ich verließ ihn. Er wollte mich zurückhalten. Seine Schläge oder ähnliches waren aber Liebkosungsversuche, die mich wegen seines feuchten Gesichts, seiner feuchten Hände ekelten und so, auch wenn sie liebevoll gemeint gewesen, die gegenteilige Wirkung hatten, mich in die Flucht zu schlagen. Ich wäre vielleicht dageblieben, wenn es eines anderen Mannes Liebkosungen gewesen wären.

Szene. Sie glaubte, H. glaube, ich sei ein Genie. Feststehend!

A.Bu. wäre, kennte ich ihn nicht seit langem, wie ein Nichts, gegen den ich erotisch (Puck!) angehen würde.

Ihr Charakter, sinngemäß: „Ich kann nicht ohne Männer leben“ (kein wörtliches Zitat von ihr). Es gab nur eine Äußerung dagegen: „Ich brauche später keinen Mann, wie bisher nicht.“ Dies entspricht meinem Selbstverständnis, nicht nicht allein sein zu können. Das Erste wird von mir als Eifersuchtsmotiv aufgefaßt. Das Zweite ist bloß eine Sache der Vernunft, ein Ehehindernis. Es sind beides Charaktereigenschaften; nur deren eine macht heiß.

Puck: vor 24 Stunden sah ich sie noch – ein sehnendes Gefühl wie bei der von mir geschiedenen C.

Keine kurzen Küsse, sondern nur Zungen- und Gaumenküsse und mehr verlange ich.

Meidung von alten Bekannten. Es weitet sich auf sie aus, such bad interest.

Szene. Sie scheue sich nicht vor dem Alter.

Veränderung der Begriffe. „Funktion“ ist heute korrekt. In 50 Jahren wird das Wort sich abgenutzt haben. Er wird abgelöst werden müssen von einem anderen. Beispiel für eine Begriffsmode, Denkmode, die die Wissenschaftlichkeit strapazieren.

Er hat ein widerspruchsfreies Denken erlangt. Er setzt jetzt Ringe an.

Sagt eine, „es hat ein bißchen geblutet“, dann sind Zweifel an ihrer Devirgination erlaubt.

Amors Pfeil trifft den steifen, harten Mann. Für die folgenden Komplikationen ist der komische Mythos geeignet, weniger der Roman.

In der Ehe: Er wacht auf: die ungeliebte Gattin ist ihm nicht fremd, denn er sieht die Nymphengeliebte in ihr. Die ist in ihr.

Der Traum wird zum greifbaren, materialisierten Gefühl. Solche Wirkung ist auch vom Gedicht zu fordern.

Sinnliche „Harmonie“ sei der Ausgangspunkt für ästhetische Schönheit. So dachte ich 1964. Kepler: Schönheit ist ein leerer Begriff, wie „irrational“ für mich. Werde ich auch dorthin gelangen?

Der Jungfrauenstatus ist mir suspekt. Geringschätzung desselben gegenüber dem Status der Gattin. Die späten Jungfrauen sind unrein, wässerig. Zum ästhetischen Menschen gehört der Beischlaf.

Zwischen Verliebten ist ein einseitiger abrupter Abschied, ohne dem anderen vorher davon eine Ahnung zu vermitteln, ein totaler, unheilbarer.

Liebe etc., kein einziges Gefühl ist unendlich. Um unendlich zu sein, muß es vergehen.

Leben, nicht Rilke …

Der Begriff der Wurzel ist kontaminiert, weil die Erscheinung der Wurzel häßlich ist.

Pucks nähere Beschäftigung mit mir an dem Abend: sie glaubt A.Bu. vorgaukeln zu können, mich verführen zu wollen, um in ihm Eifersucht auszulösen, mich, der ich viel zu entfernt von ihrer Welt bin. Puck, die Ahnungslose, die sein Vorleben nicht kennt, die Arme.

Ahnungen am 9.1.: A.Bu. und Puck seien bei Kepler. Der Fischmarkt war erwähnt worden (nicht von mir getan), dahin mein Bruder am nächsten Morgen ging. Monika sei Weihnachten dagewesen. Sie hätte traurig sein müssen, zerschmettert. Beides traf zu.

Ca. vom Juni 64: Entwicklung meiner Philosophie: eine pragmatische Weltanschauung, immer mit Zusätzen, Veränderungen, die das Vorherige korrigieren.

Vom 13.: Mädchen fangen unter sie begehrenden Blicken an zu zucken, sexuell motivierte Beinbewegungen zu vollführen.

Es ist leider notwendig, daß ich, was sie nicht hassend tut, hassend tue: sie überwinden. Sie benötigt mich nicht mehr. Daher bin ich gezwungen, sie auch nicht mehr zu benötigen, was gegen meine Natur ist. Die Ersttuende zwingt den andern, dasselbe als Zweiter zu tun.

Mich zurückzuziehen in die Ecken des Seminars entspricht meiner Demut, meinem Gefühl.

Diese Notizarbeit ist folgende: was später von mir (was auch immer) soll erinnert werden können, wird jetzt als Gegenwart zu notieren angestrebt, versucht und getan.

Mein Verhalten gegen Prof. Pilger ist unaristokratisch. Ich gucke und rede über ihn wie ein dummes Mädchen, jede seiner Handlungen beobachtend. Ich benötige ihn. Der Adel indes wäre sozial über ihn erhaben und ihm überlegen. – Jedoch anders mein Verhalten in Lokalen! Dort gebe ich mich manchmal so, als wäre ich in dem Sinne aristokratisch (wohl eher bloß arrogant-überlegen).

Die Liebeswege sind jedem Menschen die überdrüssigen gleichen. Ich habe Unlust an den sich küssenden A.Bu. und Puck und allen anderen. Mich offensichtlich so zu benehmen habe ich seit ca. Januar 1963 abgewehrt. Es gilt wenig, was alle machen: das Betasten der Brust, der Beginn der Kopulation, die begleitenden Geräusche.

Seit Urzeiten: Der Mensch ist so beschaffen, daß er sich so lange erinnert, daß er leidet. – Der Einzelne kann sich nicht selbst schmerzvoll fühlen, wenn er an die frühen Menschen denkt. Das ist seine Rettung. Dennoch vergißt er nie, solange er lebt.

Er verachtet die Menschen, ohne Berechtigung, ohne Gedicht: das ist der eigentliche Wahnsinn. Er kommt nicht dazu, etwas in einem Gedicht zu sagen. Der gedichtet hat, ist immer gerechtfertigt, der nicht und immer noch verachtet, der ist krank.

16.1.66

Es wäre darzustellen, wie einzig die Wut die Verhängnisse einer drohenden Situation, die Angst, daß alles entsetzlich ende, ungeschehen macht – während der Verstand, die Vernunft, untätig wartend, allein durch Zulassen der Angst das Verhängnis erlauben (Odoardo im 5. Akt).

Sie hat mich beleidigt durch ihr Verhalten. Eine größere Beleidigung ist’s, daß sie lachend mit dem jeweiligen neuen Verehrer die alten einlädt, mitzulachen.

Ich erkannte zum ersten Mal, daß mir sämtliche geistigen Verhältnisse, Überlegungen, Erörterungen, Motive und alles, was der Geist erkennend finden mag zu einer Situation, ekel sind. Um so schöner ist die Situation selbst. Darin ist Wahrheit. Das Denken darüber ist todlangweilig. Ich vermag auch, nichts zu etwas zu sagen.

Das Gesicht verzieht sich oft (beim Betrachten) so: die Stirn nach oben gezogen, auch die Augen, der Mund aber [Grafik] wie alter Leute Mund nach unten. Zu vergleichen wären Keplers Lippen und grand-mères, wenn beide nach etwas gucken und es sich ansehen.

Ich liebte allein die (mich) Liebende. Die Ausgelassene, Laute ist mir verhaßt gewesen, heute ist es peinlich, sie zu sehen, und ich wehre sie ab.

Ihre Überwindung geschieht, wenn sie (für mich) häßlich wird. Dann ist sie zu verachten. Sie war es immer dann, wenn sie nicht liebte. Offen muß ich werden, bin es schon.

Des verzerrten Erinnerns und Denkens Grund ist eigentlich der Wille, nicht zu vergessen. Ist der weg, bin ich beruhigt.

Darzustellen: sie als Krankhafte, die erst zwischen zweien pendelt und zu beiden Liebe glaubwürdig gestaltet, dann zum dritten, vierten wechselt. Es wendet sich ins Widerliche, Neurotische, wie ich es bei Rilke, Kafka empfinde (welch Sakrileg!). Unsauberkeit. Solche Abscheu muß ich auch bei ihr empfinden.

Goethes Stella: Die Situation verschafft mir seelische Verzerrung und Überanstrengung der Nerven, Doch dann ist der Schluß erlösend, der „Knoten gelöst“. Gilt für beide Fassungen.

Meine neue Auffassung der Zerrissenheit. Nie kann ein ganzer Mensch zerrissen sein. Einzig einer, der bereits zwei widerstreitende Züge in sich trägt.

Darstellung einer, die immer weint, krankhaft weich wird, immer Angst hat und weinend bittet: Bleibe bei mir.

Die Erinnerungsverzerrung betreffend: Die Erkenntnis, daß E. Galotti meisterhaft ist, alles enthält, was zu dem Thema später gesagt werden kann, scheint aufgeschrieben werden zu müssen. Wenn dies nicht geschieht, wenn vergessen wird, verzerrt sich der Geist.

14.1.66: Traum, H.H. spräche, nachdem es zwischen C. und mir schon beendet war, vor uns bekannten, von unserer Liebe nichts ahnenden Zuhörern, ihr zur Beschämung von unserer Liebe Ruhm. Er zeichnete die schönste Liebe nach.

Mein Haß beruht auf der Vorstellung, ihre Liebe brenne noch nach in ihr. (Sie sah sich nie für etwas ganz verantwortlich, auch für ihre Liebe nicht.) Wenn sie ohne Gefühl für mich ist, verdient sie den Haß nicht, aber dann ist sie krank.

Ich habe nie wieder gespürt, daß ein Mensch ganz Mensch war, dem geholfen werden mußte, wie bei ihr, bei dem geblieben werden konnte, [durchgestrichen: weil er] – (Dies Durchstreichen ersparte mir die seelische Verzerrung. Andernfalls hätte, was gemeint war, hingeschrieben werden müssen.) – Ihr allein konnte ich mich bisher opfern.

Gestern:

Tanz: [Grafik]. Tänzerin mit Schleier.

Es löst sich C. wie von selbst von mir ab, durch Erkenntnisse, die mir in letzter Zeit wie Schuppen von den Augen fallen, sie in negative Stücke zerbrechen.

Sie berührt mit ihrem Körper allein ihre Geliebten. Ein fröhliches, ausgelassenes Verhältnis hat sie öffentlich nur zu ihren Bekannten (z.B. Jean-Lars K. und dem Sohn des Schuldirektors), nicht zu den Geliebten. So sehe ich es. Doch ist dies nicht richtig – vielleicht aber doch, insofern ein Geliebter, wenn sie ausgelassen mit ihm ist, von ihr zu einem Bekannten herabgestuft wird.

Kann ich sie als neurotische Kranke betrachten, bin ich erlöst. Einen Ansatz dazu gab es heute, als sie im Theaterfoyer lärmend sich freute, mich zu sehen. Daraufhin meine Geste: meine Hände abwehrend gegen sie gehalten, sogleich mit einem irritierten Gesicht, verstärkt durch die Hände, mich belästigt fühlend, wandte ich mich von ihr ab. War die Wirkung auf sie: a) schneidend?, b) beleidigend?, c) ruhig? Wäre sie liebevoll gewesen (eine Liebende!) und nicht lärmend, hätte ich sie selbstverständlich begrüßt. Aber sie agierte beinahe wie Th.St., kein zarter Ton, unsensibel, als wäre nichts zwischen uns gewesen. – (Ich hätte auch stilvoll-reserviert-arrogant reagieren können wie Kepler gegenüber J.-P.O.: „Muß denn das sein?“)

Auch ihre Geistlosigkeit (Gegenbild Gründgens) hilft mir, sie zu überwinden: Sie wird sich vielleicht noch ‚Ausdruck‘ geben wollen und im Tanz, in der Musik auch haben, ähnlich wie es B.F vorhat und wie sie das Symbol des Todesvogels tänzerisch gestalten will. Sie wird mit Empfindungen „Kunst“ machen wollen.

Wenn ich Bekannte im Theater begrüße, wäre zu sagen: Was gibt es denn zu bereden außer der Begrüßung? Dann würde man dennoch gefragt: „Was hat Sie hierhergebracht?“ – „Neugier“. – Daraus folgt: Man sollte gar nicht erst mit dem Begrüßen beginnen.

Keplers Bemerkung, ich hätte schon jetzt etwas von einem Opa, der in der Straßenbahn so blöde Dinge sagt wie: „Allerhand los heute“ (über das städtische Leben gesagt). Aber: Was soll ich sonst sagen? Ich rede nicht mehr, selbst über ‚Geistiges‘ nichts‚ weil ich reale Situationen schöner finde. Der Rest langweilt. Ich bin geistfeindlich geworden.

Nachtrag. Wenn ich Rilke und Trakl lese: Eifersucht. Ich sei nichts. Es liegt an der Seelenvergötterung der beiden. Ihre Seelen, ihre Krankheits- und Rauschpotenz.

Ich habe viel von Marinelli. Ich lüge, um überhaupt irgend etwas zu sagen (statt zu schweigen). Wenn die Lügen und die Sinnlosigkeit des Gesprächs aufgedeckt sind, antworte ich: „Ja! Was soll ich Ihnen auch sagen, wenn nicht irgend etwas Beliebiges?“

Die Ehrlichkeit meiner Meinungsäußerungen im Gespräch, die ich in Unterhaltungen mit C. pflegte (unschuldig, ohne Hinterhalt), erfahre ich nun an Kepler. Elfriede (Elfie) fragt Kepler nach dem Theaterbesuch: „Wie fandest du es?“ – „Das habe ich mir nicht überlegt.“ Und Kepler in Böges Schiffchen, als ich auf vier neue Gäste aufmerksam wurde: „Ich sehe, du bist viel besser zum Schriftsteller geeignet als ich. Als die vier dort eintraten, interessierte mich das gar nicht. Aber du …“

Warum etwas schön sei, interessiert mich nicht. Kein Interesse an gemalten Bildern, dem Theater usw. Nur, daß etwas schön ist. Schönheit von Situationen!

17.1.66

Eine typische neue subjektive Erkenntnis. Der Hund, der mitten in der Nacht bellt, vermittelt wohl zuerst Angst vor etwas Drittem. Aber schließlich vor ihm selbst.

Es gehört, um die ‚Verzerrung des Denkens‘ zu beschließen, doch nur der Wille dazu, es zu tun. Was nützt aber der Wille, wenn nichts weiter, keine Tat geschieht? Daher: Schon der Beschluß, der Beschluß selber, beendet die Verzerrung. Das ist aber ein alter Topos, daß der ausgeführte Wille es tue.

Keplers Lebensauffassung ist wie eine sexuelle Regung. Egal, wer das Gegenüber ist, der wird geliebt. Es kann jeder sein.

Wenn zwei oft zusammen sind, können sie nicht umhin, bald zu sagen: Ich liebe dich. Eben dadurch haben sich aufgrund Gewöhnung Täuschung oder sogar Betrug eingeschlichen – denn jeder andere, der selteneren Umgang pflegt, wird weniger geliebt. Der oft Gesehene wird der privilegierte Geliebte. Die Diskriminierung geht weiter: Es gibt Unterschiede im Gereiztsein durchs Objekt. Wir haben bei Häßlichen Hemmungen. Wer am schönsten ist (dessen er kein Verdienst hat) sticht den Zweitschönsten aus, so daß dann zu ihm gesagt wird: Ich liebe dich – was Kepler für Zufall, für absurd hält.

Zur ‚Haßübernahme‘ (s.o.): Es scheint, ich bleibe, da sie treulos war, nur selber treulos gleichen Wertes wie sie. Sie hat mir dann nichts mehr voraus (die Treulosigkeit). Daß meine Treue ein Vorteil sein könnte, halte ich für unmöglich (weil von keinem Erfolg gekrönt?)

Nachträge:

10.1.66

Eine Art Aberglaube durch die Tonplastiken: Schnitt man ihnen ein Bein wieder ab, so auch mir. Das gedankliche Fechten des Modells mit ihnen: Sind sie schwer zu vollenden, so bin ich es auch.

Er scheint unnahbar; denen, die er lieben will, ist er unansprechbar.

Sie ist bei der Partnerwahl (W.) genauso unzugänglich der Vernunft gewesen wie Puck gegenüber A.Bu. Ein ähnliches schwaches Urteilsvermögen offenbart sie hierin: Sie mag Eichberg nicht, er ist objektiv aber vortrefflich.

Eine Möglichkeit der Verliebung: einfach nach der Sitznachbarin Hand greifen und sie drücken. Sie willigt ein. Zuvor kannten wir uns nicht, nichts ist zwischen uns gewesen.

Historismus: die Gefühle und Eindrücke, die ich von den syrischen Straßen habe, gleichen denen, die ich von den Straßen Milanos habe.

Wullenwever-Drama, Lübeck, plattdeutsch, „Christian (II.) Tyrann“.

Der kranke Strand. Verlorenheit des Djerba-Strands. Die Weite der afrikanischen Wüste, Israel fern fast wie der Pazifik. Die Rettung erfolgt in Spanien oder Italien. Wenn ohne Rettung, Vereinsamung der Person aus Deutschland, der Heimat in mittleren Breiten. (Assoziation zum Abfall Tunesiens von Frankreich.) [Skizze des Mittelmeers mit Djerba]

Volkmann-Schluck. Methode der Psychoanalytischen Literaturwissenschaft wie die Runen als Abbilder der menschlichen Exkremente.

Schmerz darüber, daß er Deutscher ist, nie mittelmeerisch, italienisch wird denken können.

Zweifacher Kampf in Zeitschriften zu führen gegen dies Deutschland. Wenn aber Welsche triumphieren und auf mich verweisen, sie hätten mich nötig, gegen die Deutschen zu Felde zu ziehen (besonders Angelsachsen): dann sind sie unfähig, Deutschland treffend zu bekämpfen, weil sie deren Eigenschaften nicht besitzen. Italiener können besser angreifen, sie haben mich nicht nötig.

20.1.66:

Einen großen Durst verspüre ich beim Hören der Ilias, beim Reden von Achill und von den grünen und blauen Gewässern.

19.1.66

Wenn ein Mädchen mit mir beischlafen will, ich sie zurückweise, ist sie für mich immer ungünstigen Geschicks. Ist es umgekehrt, sage ich mir: ich bin gefeit, ich wollte nur das, beischlafen, woanders erhalte ich es, der entgangene Segen darüber hinaus war mir gar nicht erwünscht. – So könnten alle sagen und tun es auch. Mitleid mit den anderen, denen ich solches Hilfsmittel der Abwehr nicht zutraue.

20.1.66

In den Augenblicken der Verliebtheit in A.S. zeige ich unwillkürlich kein zynisches Gesicht mehr.

Die Zuneigung zu A.S. dämpft, erstickt die zweifelnden, scharfen Gedanken. Es ist aber auch nötig, ein weiser Ratschluß. Ich denke stündlich an sie (wie damals an C.). Alles bezieht sich auf sie. Es gibt keine Ich-Zersetzung aus zu großer Freiheit mehr, andere Themen betreffend. Gesundung der Dinge.

18.1.66

Er begründet sich allein durch sich selbst, durch nichts von außerhalb.

Erzählung: Er entwickelt sich zum Mörder, dann zum Wahnsinnigen. Er legt es darauf an, er geht freiwillig ins Irrenhaus. Da er aber nicht irrsinnig ist, unterliegt er seiner Verdammung, die er selbst exekutiert.

Zerrissenheit: Desinteresse an Männern, Überinteresse an Mädchen.