Mord am Geierfelsen - Werner Carl - E-Book

Mord am Geierfelsen E-Book

Werner Carl

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  • Herausgeber: Werz, Jochen
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der Geierfelsen in Lug, auch Geierstein genannt, ist ein gewaltiges, bizarres Monument im Pfälzer Wald. Ein ruhiger, friedlicher Ort. Wäre da nicht diese Leiche, die Kriminalhauptkommissar Karl Kerner höchstselbst auf einer seiner von ihm so geschätzten Mountainbiketouren entdeckt. Manfred Kronauer, Gebrauchtwagenhändler aus Landau, hat auf diesem beschaulichen Felsen sein Leben ausgehaucht. Obwohl er als Jäger selbst bewaffnet war... Werner Carl ist, wie auch die Hauptfigur in seinem Buch, leidenschaftlicher Mountainbiker und kennt sich im Pfälzer Wald bestens aus. Man merkt sofort, wenn man seine Zeilen liest, dass er die Natur im Allgemeinen, aber seine Heimat und den Pfälzer Wald ganz besonders liebt. Er ist, 1958 in der Südpfalz geboren, der jüngste Sohn des Heimatschriftstellers Viktor CARL.

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Der erste Pfalz-Krimi mit Kriminalhauptkommissar Karl Kerner und seinem Ermittlerteam.

Mord am Geierfelsen

Ein Pfalz-Krimi

von Werner Carl

Beim Geierfelsen handelt es sich um ein gewaltiges, bizarres Monument im Pfälzer Wald. Ein ruhiger, friedlicher Ort. Wäre da nicht diese Leiche, die Kriminalhauptkommissar Karl Kerner höchstselbst auf einer seiner von ihm so geschätzten Mountainbiketouren durch den Pfälzer Wald entdeckt.

Seit er in Polizeidiensten war, hatte er schon viel sehen müssen, auch vieles Schlimmes, das gehörte irgendwo zu seinem Job. Dennoch verschlug es ihm jetzt den Atem und sämtliches Blut fuhr ihm aus den Extremitäten. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das was er da sah!

Vor ihm lag eine Leiche!

Ein Mann mittleren Alters. Ein Jäger, wie nicht nur die Kleidung unzweifelhaft verriet, sondern ebenso auch das danebenliegende, obligatorische Jagdgewehr.

Werner Carl ist, wie auch die Hauptfigur in seinem Buch, leidenschaftlicher Mountainbiker und kennt sich im Pfälzer Wald bestens aus. Man merkt sofort, wenn man seine Zeilen liest, dass er die Natur im Allgemeinen, aber seine Heimat und den Pfälzer Wald ganz besonders liebt.

Er ist, 1958 in der Südpfalz geboren, der jüngste Sohn des Heimatschriftstellers Viktor Carl.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Die Handlung des Romans ist frei erfunden und etwaige auftretende Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Auch die Handlungen der Personen der Zeitgeschichte sind fiktiv.

Die Rechte aller im Roman erwähnten Marken oder Warenzeichen gehören den jeweiligen Eigentümern.

Copyright © Jochen Werz Verlag 2016

Copyright Cover und Autor © Robert Carl, 2016

Alle Rechte liegen beim Verlag

ISBN 978-3-939434-30-6

Mehr Informationen unter www.4werz.de

Für meine Ehefrau Isolde, sowie unsere „Erzeugnisse“, Robert und Martina Carola.

Der Geierfelsen bei Wernersberg.

Eine der gewaltigsten Formationen des Pfälzer Waldes ist der Geierfelsen bei Lug, auch Geierstein genannt.

Man unterscheidet dabei zwischen dem Luger-Tor-Felsen (Westfels) mit dem Geierschnabel und Geierkopf sowie dem Luger-Geierstein (Ostfels). Um Schnabel und Kopf entsprechend wahrzunehmen gehört zwar etwas Phantasie, aber die hatten die früheren Namensgeber bestimmt.

Der Geierfelsen, so hatte man festgestellt, ist nicht nur eines von vielen Naturdenkmälern, die es vor allem im Wasgau viele gibt, sondern auch ein Kulturdenkmal. Man fand in dem Gestein Bearbeitungsspuren, die Felsen wurde in den vergangenen Jahrhunderten genutzt, nur über den Zweck ist man sich nicht ganz im Klaren (Quelle: Pfälzisches Burgenlexikon, Band II., von J. Keddigkeit, A. Thon, R. Übel).

Der Geierfelsen ist auch bei den Pfälzer Kletterern sehr beliebt und bietet, nicht nur wegen seiner maximal fünfundvierzig Metern Höhe, große Schwierigkeitsgrade.

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Kapitel 1 bis Kapitel 33 Inhalt Pfalz-Krimi

Kapitel 34 Persönliches

Kapitel 35 Glossar

Kapitel 36 Typische Pfälzer Spezialitäten

Kapitel 37 Tourenvorschläge

Kapitel 1

Ein Sonntagmorgen Ende April. Die Kirchturmuhren in den Queichtal-Ortschaften hatten gerade erst einmal acht Uhr geschlagen. Ein Zeitungsausträger ging seiner Beschäftigung nach, hier und da krähte ein Hahn, eine Promenadenmischung überquerte in aller Seelenruhe die noch nicht befahrene Straße, den Stammplatz für das Morgengeschäft fest im Visier. Die Welt in diesem schönen Bereich der Pfalz schien noch zu schlafen.

Ach ja, ein gewisser Karl Kerner war noch zu entdecken. Achtunddreißig Jahre alt, mittelgroß, durchtrainiert, Pfälzer seit Geburt und aus Überzeugung, auch wenn Deutscher im Personalausweis abgedruckt war, Kriminalhauptkommissar von Beruf und seines Zeichens Leiter des K1 in Landau.

Er war in vollem Biker-Dress auf seinem Mountainbike unterwegs. Bestückt mit Trinkflasche und, um nicht in den sogenannten Hungerast zu fallen, einer ausreichenden Menge an Müsliriegeln. Ebenfalls hatte er wie immer dabei, wenn auch als Sportlernahrung nicht wirklich geeignet, ein Leberwurstbrot. Egal, schmecken muss es!

Er frönte wieder so richtig seinem Hobby, besser gesagt seiner Leidenschaft. Seit vielen Jahren bereits war er von diesem Sport regelrecht infiziert. Angefixt! Er freute sich die ganze Woche über wie ein kleines Kind auf seine Ausfahrt.

Er hatte sein Bike wie jedes Jahr im Winter einer Inspektion unterziehen lassen. Neue Bremsbeläge sorgten für Sicherheit, der Reifendruck passte und die Kraft seiner Beinmuskulatur wurde zudem über eine neue Kette auf einen frischen Zahnradsatz übertragen. Die Schaltung war sauber eingestellt, sodass jedem Schaltbefehl am Lenker ein sofortiges Umsetzen der Kette folgte. Kurzum, die Technik funktionierte.

Die Temperaturen an diesem frühen Morgen waren noch einstellig. Sehr einstellig! Er hatte sich deshalb nach dem sogenannten Zwiebelprinzip angezogen - mehrere Schichten von Funktionskleidung übereinander. Schweißdurchlässiges Shirt, Hemden mit Windstopperfunktion, Fleece-Pullover, Trikot, Winterjacke obendrauf, lange Radlerhosen und zwei Paar dicke Socken. Weiterhin ein Piratentuch über Kopf und Ohren und der Helm, ohne den er, safety first, nie fuhr.

Er kam sich mit dieser, im wahrsten Sinne des Wortes, umfangreichen Textil-Ausstattung zwar vor wie das bekannte Michelin-Männchen, aber derart angezogen und freilich durch die Bewegung, war ihm nicht mehr kalt. Außer an den Fingerspitzen! Er hatte keine Probleme damit, nach dem ersten Wecker-Klingeln das Bett zu verlassen, seinen inneren Schweinehund hatte er stets voll im Griff. Jedoch dauerte es eine Zeitlang bis analog auch seine kompletten Hirnfunktionen angefahren waren. Er war deswegen auch gerne etwas morgenmufflig. Seine Frau nahm darauf Rücksicht und vermied es deshalb grundsätzlich, mit ihm bereits am frühen Morgen irgendwelche Probleme besprechen zu wollen.

Aus vorgenannten Gründen hatte er heute in der Früh, mit „de Aache noch im Kopp“ (gedolmetschert: Mit den Augen noch im Kopf) im Kleiderschrank zielsicher danebengreifend, die „kurzärmeligen“ Handschuhe angezogen und deshalb entsprechend kalte Extremitäten. Oder wie es in der Pfalz so schön heißt, „kalte Griffel“.

Aber das sollte ihm die Laune nicht verderben. Er schaute sich um: Reif bedeckte den Boden, die Wiesen, die Bäume. Im Zusammenspiel mit der Sonne, die von einem phantastisch blauen Himmel schien, ergaben sich dadurch die herrlichsten Bilder. Spinnennetze wurden zu den schönsten Gebilden, Kunstwerken gleichend, an Kristalle erinnernd.

Nach dem sehr langen, tristen Winter wurden jetzt Ende April so langsam die Bäume und Sträucher, die ganze Natur immer grüner, immer bunter. Die Luft war klar, kein Wölkchen störte den Gesamteindruck, es war herrlich. Er fuhr in den Frühling. Er war bester Stimmung und sogar die Vögel schienen an diesem Tag etwas lauter zu singen als sonst. Was für ein Wetterchen! An Tagen wie diesen sind die Fotografen unterwegs, um Urlaubs-Prospekt-Bilder zu schießen.

Kerner, glücklich verheiratet, Hundefreund und Weingenießer, FCK-Fan und ein Liebhaber von feinem Humor, bezeichnete sich stets als Inhaber einer Großfamilie. Wenn auch zu seiner Familie außer seiner Frau lediglich zwei Kinder und der Hund dazu zu zählen waren. Die Kids kamen ganz nach „Bestellung“, nämlich ein Junge mit inzwischen acht und ein Mädchen mit fünf Jahren. Der Junge bekam den Namen Norbert und das Mädchen hörte auf den Namen Carola. Mit dieser Doppelbelastung von anstrengendem Beruf und Familie war er froh, wenn er es noch schaffte, Sport treiben zu können.

Ach ja, das Familienmitglied Hund: Ein Langhaardackel. Wobei, es heißt ja stets und da waren sich auch die Kerners einig, bei Dackeln handelte es sich nicht um Hunde, sondern um Persönlichkeiten. Und nicht selten sind sie das heimliche Familienoberhaupt. Der Vierbeiner hörte übrigens auf den Namen Jacko. Wenn er denn geruhte zu hören. Das war bei Dackeln ja immer so eine Sache…

So viel zum „Polizeihund“. Aber zurück zum Sport: Für Kerner war das Mountainbiken nicht nur eine Sportart, bei der man bedacht ist eine bestimmte Strecke in einer bestimmten Zeit zu schaffen. Nein, für ihn war es ebenso wichtig etwas „vor das Auge“ zu bekommen. Er liebte es auf einen der unzähligen, wildzerklüfteten Felsen des Dahner Felsenlandes zu steigen, von dort eine der herrlichen Aussichten zu genießen. Und er fand es immer absolut faszinierend, schöne Täler zu befahren, durch die sich ein Bächlein wand, oder mit Hilfe der Wanderkarte Burgen, Rittersteine und markante Punkte anzusteuern, diese Punkte zu finden und zu entdecken.

Für ihn war das Biken auch immer ein Stück weit ein Abenteuer. Und er konnte bei diesem Sport seine Gedanken kreisen lassen, nicht selten fand er dabei Lösungen für den privaten oder ganz besonders auch für den beruflichen Bereich. Nach der Tour war er stets randvoll mit Endorphinen, dementsprechend gut gelaunt und ausgeglichen. Er pflegte dann mit seiner Familie das Mittagessen einzunehmen und danach ein kleines Schläfchen zu halten. Wenn er dann die Augen schloss, lief in seinem Kopfkino die gefahrene Tour nochmals ab, hatte er die schönen Bilder von unterwegs wieder vor Augen.

Er war froh, in seiner Ehefrau Ilse eine so verständnisvolle Partnerin zu haben. Eine Partnerin, die für seine Bedürfnisse soviel Einsehen, soviel Verständnis hatte. Sie handelte da wohl nach dem Prinzip: Geht es meinem Mann gut, geht es der Familie auch gut. Sie war seit der Geburt der Kinder nicht mehr berufstätig, hatte aber natürlich zu Hause mit ihrem kleinen „Familienunternehmen“ alle Hände voll zu tun.

Kerner konnte an diesem Morgen bereits eine gute Leistung abrufen, obwohl er über den langen Winter fast überhaupt nicht gefahren war. Er hatte leider schon immer ein recht überempfindliches Atemwegssystem und gerade in der kalten Jahreszeit war er sehr infektanfällig, was sich bei ihm auch ziemlich schnell auf die unteren Atemwege schlug und ihn dann zu einem dankbaren Abnehmer der pharmazeutischen Industrie werden ließ. Dementsprechend war er achtsam, was seine Gesundheit betraf. Diesen Winter hatte er erfreulicherweise ohne größere gesundheitliche Probleme und ohne den Einsatz von Medikamenten hinter sich gebracht.

Damit er sich überhaupt überwinden konnte, in den kalten, dunklen Monaten auf sein Rad zu steigen, sollte die Quecksilbersäule auf mindestens plus fünf Grad Celsius empor gekrochen und einigermaßen schönes Wetter sein. Aber diese Voraussetzungen findet man in diesen Tagen jahreszeitenbedingt natürlich relativ selten vor. Deshalb war er in den letzten Wochen nur einmal unterwegs gewesen, als frisch gefallener Schnee für ein ganz besonderes Fahrerlebnis sorgte. Stattdessen war er öfters im Fitnessstudio. Und nicht nur im Winter. Im Studio konnte er seine komplette Muskulatur trainieren, was als Polizist grundsätzlich nicht verkehrt war. Da sein Job auch immer mehr Bildschirmarbeit nötig machte, waren Rückenschmerzen nicht selten.

In diese Körperbereiche drückten mitunter auch die Schicksale, die er beruflich erleben musste. Der Rücken, das Spiegelbild der Seele, sagt der Volksmund. Und hat recht!

Dieses Viel an Sport was er ausübte, hatte natürlich auch noch einen netten Nebeneffekt. Es gelang ihm auf diesem Weg sehr gut sein Gewicht zu halten. Und um in der kalten Jahreszeit nicht zu arg in Konditionsrückstand zu geraten, machte er im Studio auch gerne „Trockenübungen“, sprich Training auf dem Spinning-Bike. Zugegebenermaßen konnte man aber an diesen Trainingsgeräten, der Bequemlichkeit folgend, den Schweregrad jederzeit nach unten verstellen.

Diesen Luxus konnte er in der freien Natur wahrlich nicht ausleben. Wenn er da einen schönen Aussichtspunkt oder eine Burg erreichen wollte, musste er den Berg wohl oder übel erklimmen. Vor den Erfolg haben die Götter nun mal den Schweiß gesetzt. Da half nichts, auch wenn es eventuell schwer fallen sollte. Auf der anderen Seite wollte er es ja nicht anders, wollte er auf jeden Hügel hinauf. Und ein bisschen weh tun darf es ruhig…

Inzwischen war er durch das wunderschöne Queichtal bis nach Hauenstein gefahren. Er hatte an seinem Bike die Kette ganz nach rechts gelegt, sprich die höchste Übersetzung gewählt, um entsprechend Geschwindigkeit zu machen. Es war windstill, er musste sich lediglich gegen den Fahrtwind behaupten. Allerdings kam er so auch nicht in den Genuss, von einem strammen Rückenwind angeschoben zu werden. Aber alles kann man nun auch nicht haben.

Er bedauerte immer, dass er solche Transferstrecken fahren musste, um in „seinen“ geliebten Wald zu kommen, damit er seine Ziele anfahren konnte, aber der Transport seines Bikes per Auto kam für ihn aus Umweltschutzgründen nicht in Frage. Wie er sich nebenbei auch als „sozialverträglicher“ Mountainbiker sah, der nach Möglichkeit den schmalen Pfaden fernblieb und darauf achtete, die Wanderer, die wiederum ihrer Freizeitbeschäftigung nachgingen, nicht zu stören. Miteinander geht es besser als gegeneinander, soviel steht fest. In Deutschlands größtem zusammenhängenden Waldgebiet sollte Raum sein für beiderlei Vorlieben.

Eine weitere Möglichkeit wäre noch gewesen, ein Stück Weg mit der Bahn zu fahren. Aber bei der Linie Landau-Pirmasens bedeutete ein Zug pro Stunde bereits die „Rush-Hour“. Und diese Bahn hatte er leider knapp verpasst.

In „Häschde“, wie Hauenstein in der Pfalz genannt wird, fuhr er an der Hauensteiner Puppe, dem Burghaldefelsen vorbei, passierte den Paddelweiher und durchs Stephanstal mit den markanten Felstürmen kam er zur Queichquelle. Von dort aus ging es muskelanschwellend hoch zum Wanderheim Dicke Eiche. Weiter führte ihn sein Weg an der Wasgauhütte des Pfälzerwaldvereines Schwanheim vorbei und dann hinab in die zugehörige Ortschaft und dann weiter nach Lug.

Dort musste er an den alten Spruch denken: Lug, Schwane, Silz, kenner will´s (Lug, Schwanheim, Silz, keiner will es). Aber diese Waldgemeinden hatten sich in den vergangenen Jahren schön herausgeputzt, sich auch touristisch geöffnet.

Er begegnete einem älteren Einheimischen, der sauber gescheitelt und ausstaffiert mit dem feinsten Zwirn und Gesangbuch in der Hand noch vor dem ersten Glockenschlag Richtung Kirche unterwegs war. Er sprach ihn an.

„Recht schönen guten Morgen.“

„Morsche.“

„Entschuldigen Sie bitte, ich wollte auf den Heischberg hinauf, könnten Sie mir da unter Umständen weiterhelfen?“

„Hä?“

Aha!, dachte sich Karl, Hochdeutsch - Fremdsprache! Dann eben anders, ich bin ja zweisprachig aufgewachsen: „Tschuldichung, ich wollt uff de Heischberg nuff. Kennen se mir do helfe?“

„Jetzt verschteh ich dich. Ahjo kann ich des. Bass emol uff“, Kerner passte auf… „do gescht jetzt hie unn fahrscht Richtung Dorfbrunne“, Kerner folgte dem Finger des Auskunftsfreudigen, „unn genau dort muscht dann rechts abbieche.“ Der Finger machte hektische Bewegungen in die angegebene Richtung. „Unn dann glei widder links, des Berchsträßel nuff. Awwer horch, uff de Heischberch geht´s steil nuff. Ganz schee steil nuff sogar. Do werscht dei Plaisir hawwe. Bass uff, wann´s dann nimmie packscht, magscht halt efach die Kett´ runner, dann hoscht nit so ä Malheur mit dem Trete.“

Der „Wegweiser“ und ein weiterer älterer Einwohner, der, ebenfalls mit Gesangbuch ausgerüstet, inzwischen neugierig hinzugeeilt war, schütteten sich aus vor Lachen. So kann man auch mit kleinen Dingen, den Leuten eine Freude bringen…

„Vielen Dank“, bedankte sich Kerner, aus Höflichkeit mitlachend. Und dachte sich: Da habe ich wohl zwei Pfälzer Originale entdeckt! Die beiden erinnerten ihn vom Aussehen her an Statler und Waldorf, die beiden dauernörgelnden Opas aus der Muppet-Show.

„Ah, wo kummt er dann her?“, kam es von Waldorf. Dieser sprach, wie bei den älteren Pfälzern noch mitunter üblich, in der dritten Person.

„Aus Kandel.“

„Aus Kannel, de Bienwald-Stadt? Ah Dunnerkeitel, do hott er schun e scheeni Tour hinner sich! Do isser awwer beizeite vun dehäm los. Do war er nit so lang in de Seech geleche.“

„Bitte?“

„Do war er nit so lang im Bett geleche. Ha, ha! Gell er hott Schlofstörunge?“

„Nein, das nicht, aber einen guten Wecker!“, konterte der Angesprochene.

Und wiederum wurde herzhaft gelacht. Statler prüfte derweil den Mountainbike-Sattel, indem er mit der Hand mehrmals draufschlug. „Wann ich die ganz Zeit dodruff hocke misst, kennt ich drei Dach nimmi auf meim Hinnerdähl sitze.“

„Alles eine Frage des Trainings.“

„Ah Gewitter, kriecht ma dann uff so emme harte Sattel nit die Hämorrhoide?“

Der nächste Schenkelklopfer!

„Ja kummt er dann vor lauter Rad fahre iwwerhaupt noch zum schaffe?“, wollte Waldorf wissen.

Karl sammelte sich gerade um etwas zu entgegnen, aber es kam bereits die nächste Frage.

„Was macht er dann beruflich?“

„Ich bin Kriminalhauptkommissar“, gestand er offen und ehrlich ein. Es war schließlich kein Geheimnis und er nicht undercover unterwegs.

„Ouh, ouh, jetzt hoscht mich awwer verschreckt. Wer mer jetzt verhaft?“

„Ja, haben Sie denn etwas angestellt?“

Der andere hob die Augenbrauen und schaute beim vor ihm stehenden Biker prüfend einmal links und einmal rechts. „Wo hott er dann sein Colt?“ Wieder ein Amusement.

Jetzt wird es langsam zu vertraulich!, dachte Karl Kerner und machte sich startklar. Damit die beiden nicht noch mehr in das Verhaltensschema ihrer Pendanten der Puppen-Show verfallen konnten, war es jetzt höchste Zeit, sich vom Acker zu machen. „Also dann, ich muss los.“

„Alla hopp! War schää mit dir zu plaudere.“

„Und vielen Dank für ihre Hilfe. Einen schönen Sonntag noch.“

„Winsch ich dir ach, Sheriff. Unn bass uff, dass nit von Deim Rädl borzelscht. Du hoscht jo noch en lange Wech retour.“

Schallendes Gelächter verfolgte Karl, während er weiterfuhr. Na, ich fasse es nicht, resümierte er, die beiden Kauze scheinen richtiggehend froh gewesen zu sein, dass jemand gekommen war, der sie etwas fragte. Vielleicht war ich ja für heute die einzige Attraktion in diesem beschaulichen Ort. Außer dem Kirchgang. Da hätte ich mal lieber in meine Wanderkarte geschaut, das wäre einfacher gewesen. Und schneller! Aber weiter geht´s. Also, rekapitulierte er, was haben die auskunftsfreudigen Herren aus der Landbevölkerung abgesondert: kurz vor dem Brunnen sollte ich rechts abbiegen. Aber die Kette werde ich drauflassen und wenn es noch so steil wird! Das wäre doch gelacht. Aha, da geht es auch schon hoch. Er erhaschte noch einen kurzen Blick auf das gewaltige Monument des gegenüberliegenden Friedrichsfelsens und spannte den ersten seiner dreißig Gänge ein. Die groben Stollen seiner Reifen bissen in den Waldboden und er erklomm den Heischberg.

Der steile Anstieg verlangte ihm alles ab, auf der einen Seite wich er Tannenzweigen aus, auf der anderen rumpelte er dafür über Baumwurzeln, wodurch das Hinterrad durchdrehte und die ganze eingesetzte Energie verpuffte. Immer weiter, sagte er sich, nur nicht absteigen, als er jedoch bei den bizarren Hornsteinen angelangt war, musste er einsehen, dass seinen Kräften Grenzen gesetzt waren. Er stieg ab und schob. Es gibt Wege, die sind nicht für Mountainbikes geschaffen. Dies war einer davon. Auf jeden Fall in dieser Richtung. Er beschloss, jenen Pfad aus dem Wegenetz seiner biologischen Festplatte zu löschen.

Er passierte als nächstes den Katerfelsen und hatte gleich darauf den Bergkamm erreicht. Jetzt konnte er wieder in den Sattel steigen. Er wuchtete sich noch hoch bis zum Aussichtsfelsen „Runder Hut“, derweil seine Pulsuhr bei Schlag einhundertundachtzig angelangt war. Mann oh Mann, welch eine Drehzahl! Unterwegs hatte er noch eine größere Rotte Wildschweine aufgeschreckt, die aus mehreren Bachen, Frischlingen und Überläufern bestand und die seinen Weg in fünfzig Meter Abstand kreuzten. Bei einer unheimlichen Begegnung dieser Art lag das Erschrecken durchaus auf beiden Seiten.

Seine „frühere Verlobte“ pflegte in der letzten Zeit immer zu behaupten, er würde sich mit seinem Extrem-Sport dem Älterwerden entgegenstemmen, zumal in absehbarer Zeit ein runder Geburtstag anstand. Auch wenn er daraufhin immer gerne scherzhaft zu entgegnen pflegte, Männer würden nicht älter werden, sondern nur interessanter und reifer, spürte er tief in sich drin, dass sie damit nicht so dramatisch weit danebenlag. Aber ab einer gewissen Bejahrtheit muss man nun mal den Spagat zwischen gefühltem und dem im Personalausweis eingetragenem Alter meistern.

Nicht zuletzt deshalb setzte er sich in seinem Sport Jahr für Jahr höhere Ziele. Letzte Saison hatte sein Fahrradcomputer fünfzigtausend Höhenmeter angezeigt, dieses Mal sollten es mindestens einundfünfzigtausend werden.

Vollkommen außer Atem war er schließlich am Aussichtspunkt angekommen. Nachdem sein Puls langsam wieder normal taktete, stieg er aus dem Sattel, drückte die Wirbelsäule durch und grinste. Auch sein verlängerter Rücken, auf dem harten Fahrradsattel gemartert, musste sich erst an die neue Radsaison gewöhnen. Er hatte das Gefühl, der Sattel wäre über den Winter härter geworden. Oder er weicher. Wahrscheinlich traf beides zu! Leidenschaften, die Leiden schaffen! Aber irgendwie hatte er die Empfindung, als wären die Spinning-Bikes doch etwas komfortabler…

Er verordnete sich eine kleine Pause, welche er auch zur Nahrungsaufnahme nutzte. Es war jetzt von der Temperatur her wesentlich angenehmer, der Fahrradcomputer meldete inzwischen immerhin schon fünfzehn Grad Celsius.

Kerner spürte plötzlich eine leichte Melancholie. Er musste wieder an seinen Vater denken, der voriges Jahr verstorben war. Er hatte sich sehr gut mit ihm verstanden, mit ihm über alles reden können. Sein Dad war aber auch als Handwerker eine wertvolle Unterstützung. Die Wohnung, in der Karl mit seiner Familie wohnte, hatten sie zusammen renoviert. Sie hatten tapeziert, gestrichen, Boden gelegt. Sein alter Herr war handwerklich sehr geschickt. Auch hatten sie so manche Radtour gemeinsam unternommen und dabei viel Spaß gehabt. Kerner senior war ein sehr kräftiger, muskulöser Mann gewesen, vor Gesundheit strotzend. Bis der Krebs kam. Der hatte ihn gefällt wie eine Pappel im Sturm. Er hatte lange Zeit keine Beschwerden gehabt und deshalb die Krankheit erst spät bemerkt. Zu spät, die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen. Niemand konnte ihm mehr helfen, auch sein Sohn nicht, der alles für ihn getan und unternommen hatte. Sie hatten gehofft und gebetet, der Vater hatte gekämpft, sich gegen die Krankheit aufgelehnt, aber vergebens. Am Ende bedeutete der Tod für ihn eine Erlösung… Da war er noch nicht einmal fünfundsechzig.

Jeder hinterlässt eine Lücke und der Schock und der Schmerz der Hinterbliebenen ist groß. Ihm stand das Wasser jetzt schon wieder obere Kante unteres Augenlid. Ach, er fehlte ihm ganz einfach. Aber c´est la vie, wie unsere französischen Nachbarn zu sagen pflegen - so ist das Leben! Und das ging weiter, musste natürlich weitergehen. Auch ohne seinen geliebten Vater. Zum Glück hatte er ja noch seine Mutter, war er lediglich Halbwaise.

Er schüttelte sich, schnäuzte einmal kräftig in sein Papiertaschentuch, fuhr über seine Augen und kam langsam wieder zurück ins Hier und Jetzt. Nun hatte er wieder eine Wahrnehmung für den beeindruckenden Ausblick, konnte die herrliche Natur auf sich einwirken lassen, was ihn tröstlich stimmte.

Ihm fiel dieses deutsche Volkslied „Oh Pfälzerland, wie schön bist du“ ein. So etwas haben wir in der Schule noch geträllert, erinnerte sich Kerner. In unserer schnelllebigen Zeit gerät solches Liedgut leider in Vergessenheit.

Aus dem Wald unter ihm hörte er Geraschel. Aha, grinste er in sich hinein, die Wildschweine waren wohl immer noch nicht da, wo sie hinwollten. Ein Eichelhäher warnte derweil die übrige Waldbevölkerung vor dem zweibeinigen Eindringling.

Die Kiefernwälder übten einen ganz besonderen Reiz auf ihn aus. Diese seine Lieblingsbäume waren wahre Überlebenskünstler. Auf einem Felsen gewachsen, von Luft und Wasser und einer Handvoll Erde lebend, mit den Wurzeln sich in jede Felsspalte klammernd, waren sie in der Lage auch größte Stürme zu überstehen und konnten dabei ziemlich alt werden, wie an der Kiefer auf dem sagenumwobenen Hinterweidenthaler Teufelstisch festzustellen war.

Nach dem er satt war und sich satt gesehen hatte, stieg er wieder auf seinen Drahtesel und wählte den Weg über den Bergkamm zum Geierfelsen. Dort angekommen, stieg er wieder von seinem Bike ab und ging zu Fuß auf den gut begehbaren Felsen um das phantastische Panorama zu genießen. Bei klarer Sicht konnte man von dort bis in die nördlichen Vogesen schauen. Des Weiteren waren etliche Natur- und Kulturdenkmäler des Wasgaus zu entdecken, wie zum Beispiel die nahen Felsen des Dim- und Nesselberges oder den Engelmannsfelsen bei Gossersweiler-Stein, aber auch die Reichsfeste Trifels und der noch weiter entfernte Stäffelsbergturm der „Dornröschen-Gemeinde“ Dörrenbach. Alle diese Sehenswürdigkeiten hatte er natürlich schon mehrmals mit seinem Mountainbike „erfahren“.

Er konnte nicht genug bekommen von diesem Anblick. Aber es half nichts, ihn drückte etwas. Einem natürlichen Bedürfnis nachgebend, ging er ins Gebüsch um eine Fichte „frisch zu machen“ und blieb abrupt stehen.

Seit er in Polizeidiensten war, hatte er schon viel sehen müssen, auch vieles Schlimmes, das gehörte irgendwo zu seinem Job. Dennoch verschlug es ihm jetzt den Atem und sämtliches Blut fuhr ihm aus den Extremitäten. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das was er da sah!

Kapitel 2

Vor ihm lag eine Leiche!

Ein Mann mittleren Alters. Ein Jäger, wie nicht nur die Kleidung unzweifelhaft verriet, sondern ebenso auch das danebenliegende, obligatorische Jagdgewehr.

Er lag da, auf dem Rücken, die Arme von sich gestreckt, als wenn er sich ausruhen oder die Natur genießen würde - zumindest auf den ersten Blick sah es so aus. Wenn da nicht diese Einschussstelle in der Herzgegend gewesen wäre. In den weit aufgerissenen Augen des Toten lag ein Erschrecken.

Kerner brauchte erst einen Moment um seinen Schock zu überwinden. Erst dann wurde er wieder handlungsfähig. Er tastete für alle Fälle am Hals des Waidmannes nach dem Puls. Er musste aber leider feststellen, dass da nichts mehr pulsierte und sich auch schon seit längerer Zeit nichts mehr rührte. Der Mann war bereits kalt. Er schaute links und rechts des Körpers, viel Blut war nicht zu sehen. Womöglich hatte der Mann nach innen geblutet oder er lag darauf. Allzu lange konnte er jedoch noch nicht tot sein, denn die Totenstarre hatte noch nicht nachgelassen. Aber für präzise Angaben war die Gerichtsmedizin die kompetentere Anlaufstelle.

Nach der Spurenlage konnte von Selbsttötung nicht die Rede sein. Hier handelte es sich um Mord, ganz eindeutig! Und er und sein Team waren dafür zuständig! Das war leider auch eindeutig.

Den weiteren Werdegang seines sportlichen Vormittages im Allgemeinen und des restlichen Sonntages im Besonderen hatte er sich wahrhaftig ganz anders vorgestellt. Logisch! Aber er musste seinen Pflichten nachgehen. Und er musste seine Mitarbeiter Franz Huber und Carla Weber anrufen. Die hatten ihren Tag auch anders verplant, aber Dienst ist nun mal Dienst.

Er fischte sein Handy aus einer seiner Trikot-Rückentaschen heraus, die wichtigsten Nummern hatte er glücklicherweise eingespeichert. Zum Telefonieren drehte er sich um, weil der Anblick von Leichen bei ihm selten zur Besserung seiner Befindlichkeiten beitrug. Nicht wirklich!

Hoffentlich befinde ich mich an diesem Ort nicht zu allem Überfluss auch noch in einem Funkloch, dachte er. So etwas kann ich jetzt gar nicht gebrauchen. Zwei Balken zeigte sein Mobiltelefon an - das sollte ausreichen!

Weiterhin musste die Spurensicherung, die „SpuSi“ informiert werden. Und dann mussten noch einige Kollegen der Polizei beauftragt werden, das umliegende Waldgebiet nach tatrelevanten Hinweisen abzusuchen. Das war hier nicht so einfach wie beispielsweise auf einem Parkplatz.

Er hatte nach einigen Klingeltönen seine Mitarbeiterin Carla Weber erreicht.

„Weber“, ertönte es recht verschlafen aus dem Lautsprecher, Karl wollte sich gerade melden, kam aber nicht zu Wort.

„Wer Sie auch sind, ich hoffe Sie haben einen verdammt triftigen Grund mich am Sonntag in aller Früh anzurufen.“

„Kerner hier, Guten Morgen, Carla. Leider habe ich einen verdammt triftigen Grund dich anzurufen. Habe ich dich geweckt?“

„Jep.“

„Tut mir leid zu hören und ich störe dich nur sehr ungern, aber wir haben einen Mordfall.“

„Das habe ich mir inzwischen schon gedacht!“ Sie war mittlerweile hellwach geworden. „Wo denn?“

„Zwischen Lug und Wernersberg, auf dem Geierfelsen. Ich selbst habe die Leiche entdeckt.“

„Was machst du denn zu nachtschlafender Zeit zwischen Lug und Wernersberg auf diesem, auf diesem…, was für ein Felsen?“

„Geierfelsen.“

„Wie auch immer. Weißt du eigentlich wie viel Uhr es ist? Leidest du unter Schlafstörungen?“

„Das bin ich vor einer halben Stunde auch schon einmal gefragt worden.“

„Ah ja, dann wird wohl etwas dran sein. Und warum hast gerade du die Leiche entdeckt? Moment, Moment, Stop, mein biologischer Computer hat jetzt gebootet. Gehe ich recht in der Annahme, dass du auf deinem Mountainbike gesessen warst. Stimmt´s oder habe ich recht?“

„Jep.“

„Pass auf, erkläre mir schnell, wo sich der Tatort befindet, dann werde ich alles Weitere in die Wege leiten. Ist das okay für dich?“

„Das ist sogar sehr okay! Hör mal, am besten du holst dir zuerst im K1 einen Dienstwagen. Am einfachsten ist es, wenn Du dann die B 10 bis Annweiler nimmst. Dann über die L 490 bis nach Sarnstall. Dort biegst du dann links ab. Die nächste Ortschaft ist dann bereits Lug. Lug fährst du durch, dann hältst du dich links und fährst auf der L 495 Richtung Völkersweiler. Der Geierfelsen liegt nach ungefähr einem Kilometer im Wald. Ebenfalls links. Das siehst du dann schon.“

„Okay, ich denke, ich habe es begriffen. Für alle Fälle nehme ich auch noch mein Navi mit. Ich werde mich auf jeden Fall beeilen. Dann bis gleich. Halt die Stellung!“

„Ja, bis gleich und vielen Dank für deine Hilfe! Tschüss.“

„Schon recht! Auch tschüss.“

Carla würde sich jetzt um alles kümmern. Er wusste, er konnte sich auf seine Mitarbeiterin verlassen, das gab ihm besonders in dieser für ihn so belastenden Situation ein gutes Gefühl.

Nun nahm er wieder die Umwelt war. Die Vögel zwitscherten, die Sonne schien, ein leichter Windhauch bewegte die Blätter der Bäume. Alles war wie immer an dieser Stelle im Pfälzerwald, die Natur nahm keinen Anstoß. Alles war wie immer, bis auf die Tatsache, dass vor ihm eine Leiche lag!

Ein Schauer lief ihm wieder den Rücken hinunter. Es war ein komisches Gefühl, hier bei einem Toten auf die Kollegen zu warten. Er bemerkte erst jetzt wieder, weswegen er vorhin das Gebüsch aufsuchen wollte. Dafür jetzt umso deutlicher und dringender. Der erste Kaffee des Morgens drängte jetzt mit aller Macht ins Freie. Oder war es die letzte Schorle des Abends? Oder beides? Unwichtig!

Er ging dazu ein paar Schritte, herunter vom Felsen, weg vom Geschehen. So konnte er wenigstens etwas Erleichterung finden…

Zurück am Tatort musste er sich unbedingt mit etwas beschäftigen. Er benutzte die Fotofunktion seines Mobiltelefons und fotografierte den Tatort und die Leiche aus verschiedenen Blickwinkeln. Diese Bilder hatte er schon einmal sicher. Sicher und sofort. Er konnte sie nachher im Büro auf seinen Rechner ziehen.

Dann rief er seine Mutter an. Seine Familie und er waren mit ihr verabredet, hatten vorgehabt, sie an diesem Nachmittag zu besuchen. Das ging nun natürlich nicht mehr.

„Kerner.“

„Hallo Mam, hier ist Karl.“

„Hallo, grüß dich.“

„Du Mam, sei mir nicht böse, aber ich muss dir für heute Nachmittag leider absagen. Ich muss arbeiten. Wir haben einen Mordfall.“

„Oh je, oh je! Wo denn, wenn ich fragen darf?“

„In Lug, auf dem Geierfelsen.“

„Ach herrje. Aber wolltest du heute Morgen nicht mountainbiken?“

„Das ist richtig. Und dabei habe ich die Leiche entdeckt.“

„Was, du hast die Leiche selbst entdeckt? Mein Gott, das ist ja schrecklich!“, regte sich seine Mutter auf.

Er sah ein, dass es ein Fehler war, ihr dies mitzuteilen.

„Was ist wenn dieser Verbrecher noch in der Nähe ist? Pass auf dich auf, mein Junge! Pass bloß auf dich auf! Hörst du?“

„Mam, die Leiche liegt bereits seit etlichen Stunden hier.“

„Trotzdem. Ich mache mir jetzt Sorgen. Und du hast doch bestimmt nicht deine Dienstwaffe dabei.“

„Nein“, jetzt musste er trotz der Umstände lachen, „die habe ich beim Biken bestimmt nicht dabei. Ich kann mich nur mit meiner Fahrradluftpumpe verteidigen.“

„Würdest du meine Befürchtungen bitte ernst nehmen, mein Sohn?“, entgegnete sie ihm in einem etwas strengeren Tonfall.

„Ja, natürlich, du hast ja recht. Entschuldige bitte meine unangebrachten Scherze!“

„Hast du schon jemand angerufen, damit du Unterstützung bekommst? Ich kann dir diesbezüglich auch gerne behilflich sein.“

„Danke, aber ich habe meine Kollegin bereits angerufen, Mutter. Sie kümmert sich um alles Weitere. Du, hör zu, das was ich dir jetzt gesagt habe, musst du aber unbedingt für dich behalten. Zumindest solange, bis es in der Zeitung steht. Verstehst du?“

„Ja, geht klar, ich weiß ja sowieso nicht wo dieser, dieser Dingsda-Felsen liegt.“

„Das ist auch besser so. Du, wenn es die Arbeit zulässt, würde ich im Laufe der nächsten Woche einmal abends bei dir vorbeikommen. Passt das? Ich rufe aber vorher an.“

„Ja, geht klar. Ich freue mich. Komm aber nur, wenn du wirklich Zeit hast. Übernimm dich nicht. Und pass bitte auf dich auf. Denk daran, du hast Familie.“

„Das mache ich, versprochen. Also tschüss, bis die Tage.“

„Tschüss, Karl.“

Er steckte sein Handy ein und machte seine Jacke wieder zu. Er kratzte sich am Kopf, bei ihm ein untrügliches Anzeichen für Nervosität. Auf dem Felsen auf und ab laufend, machte er sich seine Gedanken, kam ins Philosophieren: Warum müssen sich Menschen nur gegenseitig umbringen? Seit es Menschen gibt, geschehen Verbrechen.

Welches Motiv war wohl hier wieder ausschlaggebend? Leichen, ermordete Menschen, gehörten zu seinem Job. An den Anblick konnte er sich jedoch nie gewöhnen, wollte er aber auch nicht. Die Opfer, jäh aus ihrem Leben gerissen, hinterließen Familie, Freunde, Bekannte, Kollegen - Menschen die um sie trauerten. Das war das Schlimme an seiner Arbeit.

Den Täter zu finden, das war seine Aufgabe, der Kern seiner Tätigkeit. Diesen Beruf hatte er sich selbst ausgewählt und der machte ihm Freude. Kerner sah Sinn darin, Verbrechen aufzuklären, die Täter dingfest zu machen und der Gerichtsbarkeit zu überstellen. Und irgendeiner musste den Job ja machen…

Er schüttelte den Kopf. Normalerweise lief es so ab, dass er nach einem Schwerverbrechen an den Tatort gerufen wurde. Da wusste er genau, dass er eine Leiche vorfinden würde. Dass er als Erster am Ort des Verbrechens war, diesen entdeckte, dies war ihm in all seinen bisherigen Dienstjahren auch noch nicht passiert. Er musste trocken schlucken.

Aber es gibt ja bekanntlich für alles irgendwann ein erstes Mal. Auch wenn er auf Erlebnisse und Erkenntnisse dieser Art absolut keinen Wert legte. Er fühlte sich nicht gut dabei. Aber in diesem Leben wurde man nicht danach gefragt…

Kapitel 3

Gleich darauf erreichte die Kommissarin mit dem Dienstwagen den Tatort. Carla Weber, dreißig Jahre alt, mittelgroß, lange schwarze Haare, schönes Gesicht, kurzum eine sehr attraktive Frau, nach der sich die Männer umdrehten, teilte das Faible für Sport mit ihrem Chef. Sie pflegte bis zu viermal in der Woche im Fitnessstudio zu trainieren, was sich in einem wohlgeformten Körper sehen ließ.

Am Feierabend war es für die ledige Katzenliebhaberin anscheinend nicht ganz so einfach abzuschalten, denn ihr bevorzugter Lesestoff bestand stets aus Kriminalromanen, die sie regelrecht verschlang.

Zu diesem Thema wollte sie schon seit langem ein eigenes Buch schreiben. Leider war sie bisher noch nicht dazu gekommen, sie hatte zu viel mit den Delikten anderer Leute zu tun.

Ihr Vorgesetzter war den Abhang hinuntergestiegen und ihr entgegengegangen. Er begrüßte sie herzlich, denn er war richtig froh und erleichtert seine Mitarbeiterin bei sich zu haben. Etwas später, er hatte den längeren Anfahrtsweg, traf Kollege Huber ein.

Franz-Dietrich Huber, stammte aus dem oberbayerischen Grainau. Die Liebe zu einer pfälzischen Frau und nicht zuletzt auch zur pfälzischen Küche hatte ihn vor einigen Jahren in diese Region verschlagen. Inzwischen verheiratet und gerade fünfunddreißig Jahre alt geworden, wohnte er nun in der Großgemeinde Haßloch. Wie er aber bei jeder passenden, beziehungsweise eher nicht passenden Gelegenheit anmerkte, war ja die Pfalz früher einmal bayrisch und er ja quasi hier auch „dahoam“.

Aufgrund seines Namens wurde er kurz FDH genannt, was bei ihm jedoch weiß Gott nicht „Friss die Hälfte“ bedeutete. Diese Abkürzung wurde aber auch nur genutzt, wenn er selbst nicht zugegen war, denn Franz war der Meinung, dass diese Kürzel absolut nicht zu ihm passen würden.

Er hatte hin und wieder einen recht seltsamen und auch schwarzen Humor. Wenn er diesen dann noch im Alpenjargon vortrug, war es eine ganz spezielle Mischung.

Dementsprechend waren bei seiner Ankunft die ersten Worte zu seinem Vorgesetzten: „Oh, oh, oh, ja do schau her, der Karl! Auch am Sonntag is er auf unseren Broterwerb bedacht. Mitten in der Wildnis fohrt er umanand und hat uns a Leich aufgstöbert. Aber hättst die nit erst am Montag entdecke kenne? Toter wär´s da auch net gwesen.“

Die Blicke des Kommissariatsleiters in Richtung seines bajuwarischen Mitarbeiters drückten in diesem Moment mehr aus als alle Worte.

Über den Jägersmann gebeugt, hatte Kollegin Weber inzwischen aufgrund der vorliegenden Ausweispapiere die Identität des Tatopfers festgestellt. „Karl, bei dem Toten handelt es sich um einen Herrn Manfred Kronauer, wohnhaft in Landau. Er ist sechsundvierzig Jahre alt. Er hat mehr als zweihundertfünfzig Euro in seinem Geldbeutel und eine echte Rolex am Arm. Es war also definitiv kein Raubmord.“ „Dieses Tatmotiv scheidet also aus. Aber sagt mal, Kronauer, Kronauer, ist das nicht dieser Gebrauchtwagenhändler aus Landau?“, entgegnete ihr Vorgesetzter.

„Das wäre möglich, aber das lässt sich bestimmt leicht herausfinden“, fand Carla.

„Mir ist bei dem kleinen Parkplatz unten an der Straße ein Mercedes-Geländewagen aufgefallen, der die Buchstaben MK auf seinem Nummernschild hatte. Das könnte das Fahrzeug des Manfred Kronauer sein.“

„Gut aufgepasst, Franz. Aber auch das finden wir heraus. Der Tote führte Wagenschlüssel bei sich.“

„Mensch, wir sind ja hier janz weit draußen“, schallte es durch die Bäume. Dr. Knut Hansen, der Gerichtsmediziner, über den seine Kollegen scherzten, er wäre von der Nordsee emigriert, war inzwischen bestens gelaunt und auf beiden Backen kauend am Tatort erschienen. Er ließ sich nicht so schnell weder den Appetit noch die gute Laune verderben. Hansen trug helle Jeans und einen langen, dunklen Mantel. Er hatte seine dunklen Haare stets nach hinten gekämmt und eine ordentliche Portion Gel darin verarbeitet. Dies war sein Markenzeichen. Mit einer runden Brille auf der Nase und seinem jugendlich-sportlichen Auftreten, erinnerte er an einen bundesdeutschen Kurzzeit-Verteidigungsminister. Hingegen wurde er von allen wegen seines Berufes „der Aufschneider“ genannt. „Moin, Moin, Herrschaften, ganz schön frisch heute! Kalter Schwede“, registrierte dieser, worauf er sich äußerst geräuschvoll und anhaltend seine Nase schnäuzte. Einige Mitarbeiter drehten sich zu ihm herum, wähnten sich auf einer Elefantensafari…

„Guten Morgen, Herr Hansen. Schön trompetet.“

„Wie? Ach so. Sehr witzig, Herr Kerner! Sehr witzig!“ Worauf er dem K1-Chef-Ermittler zur Begrüßung kräftig die Hand drückte. Dieser hatte wieder einmal den Eindruck unter eine Straßenwalze geraten zu sein…

Hansen war auch selten um einen flotten Spruch verlegen, so auch jetzt wieder. „Wer hat sich denn hier zur letzten Ruhe gebettet? Noch dazu auf eine solch dubiose Art und Weise.“ Er blickte kurz in Richtung des Toten. „Ah, der Jäger aus Kurpfalz! Hmh, hat das Wild ausnahmsweise zurückgeschossen?“

Kerner konnte nur fassungslos den Kopf schütteln.

„Sagen Sie einmal, Herr Kerner“, fuhr der Doc im jovialen Ton fort und legte ihm dabei eine Hand auf die Schulter, „in Krisenzeiten wie diesen muss man sich seine Arbeit suchen, was? Ihr förmlich hinterherfahren. Da muss man sich sogar am Wochenende aufmachen und zwecks Jobsicherung den Wald abklappern. Also ich muss schon sagen, tüchtig, tüchtig, mein lieber Herr Kriminalhaupt!“

„Ja, ja, was für ein Joke, ich schmeiß mich gleich weg. Sagt einmal, habt ihr heute alle einen Komiker verfrühstückt?“ Kerner wurde deutlich, denn bei Tötungsdelikten verstand er nun mal gar keinen Spaß.

„Ach wissen Sie, der Tod gehört doch schließlich zum Leben dazu“, philosophierte der Mediziner gedehnt, „und außerdem bin ich der Ansicht, es gibt wesentlich hässlichere Orte um sein Leben zu beschließen.“ Er blickte sich um. „Wo sind wir hier noch einmal gleich?“

„Bei ihrem Humor stellen sich einem die Nackenhaare auf, sofern vorhanden. Wir behandeln hier aber immer noch ein Schwerverbrechen, wenn Sie also gelegentlich ausgescherzt haben und gedenken mitzuarbeiten, würde mich die Nennung des ungefähren Todeszeitpunktes mit Freude erfüllen.“

„Mein lieber Herr Kriminalhauptkommissar“, kam die Erwiderung leicht gereizt, „das ist doch immer wieder das Gleiche mit Ihnen. Sie wissen doch genau so gut wie ich, um sicher bestimmen zu können, wann der von uns Gegangene von seinem Ableben Gebrauch machte, sollte ich ihn erst einmal in der Gerichtsmedizin auf meinem Tisch liegen haben. Außerdem sollte man mir gefälligst mitteilen, welche Temperaturen heute Nacht in dieser Region oder noch besser auf diesem der Gesundheit so abträglichen Wasgau-Felsen herrschten. Wann lernen Sie das endlich einmal?“

„Okay, okay, ich weiß schon, Herr Gerichtsmediziner!“, gab der Angesprochene genauso gereizt zurück. „Ich habe es begriffen! Es muss wohl ihrer geschätzten Aufmerksamkeit entgangen sein, dass ich vom ungefähren Todeszeitpunkt gesprochen habe.“ Ihn regte die Fachterminologie des „Aufschneiders“ wie immer auf. „Wenn es also nicht so viel verlangt wäre…“

„Warum echauffieren Sie sich denn so, Herr Kommissar? Sankt Hubertus ist gestern Abend, wohl noch vor Mitternacht, in die ewigen Jagdgründe abgetreten.“

„Wunderbar, das ist doch mal eine klare Ansage! Vielen Dank. Hier hat sich übrigens jemand übergeben. Unter Umständen war es der Mörder.“

Der Medizinmann war bereits dabei, mit seinen handschuhgeschützten Fingern im ehemaligen Mageninhalt herumzupulen.

„Das was hier unbedingt wieder das Licht der Welt erblicken wollte, ist erst ein paar Stunden alt.“

Er schaute genauer hin. „Okay, ich kann Kartoffeln, Fleisch, Brät und Kraut entdecken. Das ganze recht schlecht durchgekaut. Aha, Aha, jetzt sehe ich klar!“

„Bitte?“

„Es sieht ganz so aus, als wenn das Abendessen aus Pfälzer Saumagen mit Sauerkraut und Bratkartoffeln bestanden hätte. Also so etwas…“

„Ja, bitte?“