Mord im Park beim Yachthafen - Claudine Sandoz - E-Book

Mord im Park beim Yachthafen E-Book

Claudine Sandoz

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Beschreibung

Ein Vermögensverwalter wird in einem Park in Hongkong ermordet. Inspektor Cheung nimmt die Ermittlungen auf. Eine achtzigjährige Engländerin stößt auf seltsame Begegnungen und versucht, der Tat ebenfalls auf den Grund zu gehen. Sie wird zur Gejagten und gerät selbst in Gefahr. Auch Pamela, eine junge Engländerin, wird in dieses Verbrechen verwickelt. Werden sie dem Mord auf die Spur kommen?

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Seitenzahl: 279

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Von Claudine Sandoz im BoD-Verlag erschienen:

Alle Figuren dieses Kriminalromans sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit realen Personen wären reiner Zufall.

PERSONEN

Tim Kit

Immobilienmakler und Architekt

Wai Fong Chang

Architektin und Assistentin von Tim Kit

Dick Miller

Mitarbeiter von Tim Kit

Michael Lee

Kollege von Tim Kit

Henry Parker

Architekt, Segelkollege von Paul Ling

Daniel Po

Kollege von Henry Parker

Pamela Bright

Mitarbeiterin von Henry Parker

David Brown

Kollege von Pamela Bright

Bill Peng

Architekt, größter Konkurrent von Tim Kit

Paul Ling

Vermögensverwalter bei der South China

Bank, kennt George und Mary

George Chen

Vermögensverwalter bei der South China Bank, Gatte von Mary Chen

Mary Chen

Gattin von George Chen, befreundet mit Geraldine Hope

Geraldine Hope

Achtzigjährige Engländerin

Amy

Freundin von Geraldine Hope

Inspektor Cheung

Bei der Kriminalpolizei, Leiter der Ermittlungen

Gregory Kong

Ex-Kriminalkommissar, Bodyguard von Tim Kit

Siu Wa

Mitarbeiter von Gregory Kong

Inspektor Hui

Leiter einer Sondereinheit der Polizei

John

Anführer der Gruppe Yu, Peter, Alan

Yu

Assistent von John

Peter

Mitarbeiter von John

Alan

Mitarbeiter von John

Cheryl Lee

Sekretärin im Financial Center

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

1

Es war Donnerstag, der 10. März. Um neun Uhr abends war Tim Kit an Bord seines gelben Porsches auf dem Weg zum berühmtesten Hotel von Hongkong, dem Hotel Peninsula. Es befindet sich im Stadtteil Kowloon und liegt auf dem chinesischen Festland, nur wenige Gehminuten von der Meerenge entfernt, die Kowloon von der Insel Hongkong trennt. Der Stadtteil auf der Insel mit seinen schlanken Hochhäusern bildet die weltberühmte Skyline von Hongkong.

Tim, ein fünfundvierzigjähriger Mann in dunklem Anzug und Krawatte, hatte eine letzte Besprechung mit dem Hoteldirektor. Es ging um den bevorstehenden Event in zwei Tagen. Er hatte um die hundert Gäste aus der Wirtschafts- und Finanzbranche eingeladen. Wichtige Fernsehsender wie das chinesische Staatsfernsehen, CNN und BBC hatte er ebenfalls aufgeboten.

Als einer der größten Immobilienkönige von Hongkong hatte er es geschafft, in bester Lage in Kowloon eines der wenigen noch bebaubaren Grundstücke zu erwerben. Vier Hochhäuser mit Luxuswohnungen hatte er darauf als Architekt entworfen und errichten lassen. Das begehrte Grundstück an der Wasserfront mit Sicht auf die gegenüberliegende Insel Hongkong hatte seinen größten Konkurrenten, Bill Peng, ebenfalls auf den Plan gerufen. Gegen Tim hatte dieser nicht den Hauch einer Chance gehabt. Dieses erfolgreiche Projekt sollte nun in einem rauschenden Event im Peninsula gefeiert werden.

In Hongkong zählte Tim zu den schillerndsten Persönlichkeiten. Er war ein hochgewachsener, stets elegant gekleideter Hongkong-Chinese. Sein Vater stammte aus Hongkong, seine Mutter aus Italien. Die regelmäßigen schlanken Gesichtszüge mit der schmalen Nase hatte er von seiner Mutter geerbt, die mandelförmigen Augen und die dichten schwarzen, nach hinten gekämmten Haare von seinem Vater. In seinen gepflegten Bart mischten sich seit kurzem einige weiße Haare. Sein für Hongkong exotisches Aussehen und seine gewinnende Art wusste er gut in Szene zu setzen.

Bei den Medien war er mit seinem Charme und Humor sowie als wortgewandter Gesprächspartner sehr beliebt. Sendungen mit Tim Kit führten immer zu hohen Einschaltquoten. Sein Auftreten hatte mehr von einem Schauspieler als von einem knallharten Unternehmer.

Sein nächstes Projekt hatte er bereits in Angriff genommen.

2

Zwei Tage später, am Samstag, dem 12. März, war es so weit. Das Hotel Peninsula war für diese Nacht noch festlicher geschmückt als sonst. Bentleys und Rolls-Royces fuhren unaufhörlich die Rampe hoch zum Eingang. Beim Betrachten der Damen und Herren, die ausstiegen, hätte man sich in einer Modeschau geglaubt. Die schönsten Frauen in langen und kurzen Kleidern von Armani bis Yves Saint Laurent erstrahlten in den Blitzlichtern der Fotografen, bevor sie durch den prächtigen Eingang verschwanden. Auch die Herren boten interessante Einblicke in die aktuellen Modetrends. Im langen Gang und in den großen Sälen reihten sich auf chinesischen Kommoden monumentale Blumensträuße aneinander. Die gelben und weißen Gladiolen strahlten in den eleganten Vasen, die blaue Drachen auf weißem Hintergrund aufwiesen. Gelb, Weiß und Blau waren die Lieblingsfarben von Tim.

»Der größte Event des Frühlings im Hotel Peninsula!«, verkündete am nächsten Tag die Titelseite der englischsprachigen Tageszeitung South China Morning Post in großen Buchstaben. Die Zeitschriften und Fernsehsendungen überboten sich mit Kommentaren und Fotos von Tim Kit und seinen Gästen.

»Ein voller Erfolg!«, stieß Tim freudig zu seinem Freund Michael Lee aus, der ebenfalls eingeladen war. Sie saßen in der Bar im achtzehnten Stock des Peninsula-Hotels. Die Sicht auf die Hochhäuser der Insel Hongkong war unbeschreiblich. Die berühmten weiß-grünen Star Ferrys, die beide Stadtteile miteinander verbinden, wirkten wie Spielzeuge auf dem Wasser.

»Wie hast du die Party gefunden?«, wollte Tim wissen.

»Hervorragend! Das geschichtsträchtige Peninsula bietet den besten Service aller Hotels. Deine Ausführungen über dein Projekt haben unter den Gästen viel zu reden gegeben. Zwei Finanzmanager werden sich demnächst bei dir melden. Sie wollen die Wohnungen so schnell wie möglich besichtigen. Auch zahlreiche Frauen haben ihr großes Interesse bekundet. Wohnungen in solcher Lage mitten in der Stadt wird es nicht mehr viele geben. Es war wahrlich ein Erfolg! Zwei Personen habe ich jedoch vermisst, George, Vermögensverwalter bei der South China Bank, und seine Frau Mary.«

»Du hast recht, sie haben abgesagt. Sie sind seit gestern in den Ferien. Mary hat es sehr bedauert, unsere Party zu verpassen, aber George soll nahe einem Burn-out gewesen sein.«

Tim, als guter Kunde der South China Bank, kannte George Chen seit langem. Durch ihn hatte er dessen charmante Frau Mary kennengelernt. Aus der geschäftlichen Beziehung hatte sich über die Jahre eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihm und dem Ehepaar Chen entwickelt.

Nachdem sie sich noch einige Zeit über die Gäste unterhalten hatten, verabschiedeten sie sich voneinander.

3

Paul Ling, einer der Vermögensverwalter in der South China Bank, saß am Morgen nach der Party mit einer Tasse Kaffee in seinem Wohnzimmer. Seine Gedanken waren bei dem Fest. Er hatte sich mit der Gattin eines Botschafters blendend unterhalten. In ihrem langen, eng anliegenden blauen Kleid hatte sie bezaubernd ausgeschaut. Paul hatte sie um die vierzig Jahre alt geschätzt. Ein Lächeln ging über sein Gesicht. Ihre freche Kurzhaarfrisur hatte genau zu ihrem Humor gepasst. Er hatte sich schon lange nicht mehr so amüsiert wie mit ihr.

Dafür hatte ihn sein Segelkollege Henry Parker aus der Fassung gebracht.

Es war gegen Mitternacht, als es geschah.

Paul war im zweiten Saal allein unterwegs gewesen. Unter den vielen Gästen hatte er eine bekannte Stimme erkannt. Ein kurzer Blick in diese Richtung bestätigte ihm, dass Henry sich mit einem Mann unterhielt. Henry wirkte mit seiner hageren Gestalt und dem schmalen Gesicht älter als seine vierundvierzig Jahre. Sein grauer Bürstenschnitt und die dünnen Lippen verliehen ihm einen strengen Ausdruck. Er trug dunkelgraue Hosen, ein weißes Hemd, eine graue Krawatte und einen dunkelblauen Blazer. Paul kannte Henrys Gesprächspartner nicht. Während Paul nach einer Bekannten Ausschau hielt, hatte er sich wenig später, ohne es zu wollen, Henry genähert. Paul stand nun hinter den beiden, Rücken an Rücken.

»Tim arbeitet an seinem nächsten Projekt«, hatte Henry soeben gesagt.

»Wir müssen am Ball bleiben«, kam es so leise zurück, dass Paul sich anstrengen musste, um die Worte zu verstehen.

»Keine Sorge, er wird scheitern!«, entgegnete ihm Henry mit bissiger Stimme. »Ich sorge dafür! Ich muss jetzt weg, bis bald.«

»Was genau hast du vor?«, fragte ihn sein Gesprächspartner erschrocken.

»Wirst schon sehen«, hörte Paul den knappen Kommentar.

Was hatte Henry gesagt? Er sorge dafür, dass Tim scheitert … In diesem Augenblick war die Bekannte aufgetaucht und hatte Paul freudig begrüßt. Gleichzeitig hatte sich Henry zu ihnen umgedreht. Ihre Blicke hatten sich den Bruchteil einer Sekunde gekreuzt. Bloß weg von hier! Paul rang nach Fassung.

»Was ist los?«, hatte ihn die Frau gefragt.

Noch mehr dumme Fragen? Paul musste sich zusammennehmen.

»Nichts, ich genieße den Abend«, hatte er versucht sie zu beruhigen, während er sie nach vorne zum wundervoll angerichteten Buffet geschoben hatte. Auf großen silbernen Platten bildeten Fische, Meeresfrüchte, Fleisch und bunte Gemüse kunstvolle Muster. An beiden Enden des Tisches standen prächtige Sträuße mit gelben und weißen Blumen.

Paul war der Appetit vergangen. Die vielen Fragen, die in seinem Kopf herumschwirrten, mussten auf später verschoben werden.

Ein Mann in dunklem Anzug mit schwarz-weiß gestreifter Krawatte hatte die Worte von Henry Parker ebenfalls mitbekommen. Auch der entsetzte Blick von Paul Ling war ihm nicht entgangen. Woran hatte Paul Ling wohl gedacht? An das Gleiche wie er jetzt? An den Fall vor etwa drei Jahren?

4

Henry Parker hatte sich am Tag nach der Party auf den Weg zum Yachthafen gemacht. Er war ein leidenschaftlicher Segler. Seine Freizeit verbrachte er hauptsächlich mit diesem Sport. Das Segeln war seit seiner Jugend sein liebstes Hobby. Mit seinen vierundvierzig Jahren war er noch nie von dieser Haltung abgewichen. Seine Yacht pflegte er mit Hingabe. Da er keine Familie hatte, konnte er sich voll seinem Sport und seinem Architekturunternehmen widmen.

Seine Niederlage bei der Vergabe des Projektes, das Tim Kit gewonnen hatte, machte ihn wütend. Er konnte Tim schon als Person nicht ausstehen, seinen Erfolg noch viel weniger! Ob dies an dessen zahlreichen Auftritten im Fernsehen und vor den Medien lag? Sein Projekt war besser als dasjenige von Tim. Was ihn auch zermürbte, waren seine finanziellen Probleme. Er brauchte dieses Projekt, um sich in den kommenden Jahren über Wasser halten zu können. Seine langjährige Assistentin hatte wegen des schlechten Geschäftsgangs vor einem Jahr gekündigt. Seither arbeitete er mit einer jungen Engländerin zusammen. Jetzt stand die Flughafenpiste zur Debatte. Er hatte Bill Peng zur Zusammenarbeit gewinnen können, den erfolgreichsten Konkurrenten von Tim. Dieses Mal musste es gelingen, mit welchen Mitteln auch immer …

Der Yachthafen befand sich auf der Insel Hongkong, nicht weit von seinem Büro und seiner Wohnung. Auf seinem Weg kam er am Hotel Excelsior vorbei. Kurz entschlossen betrat er es und ging auf die Bar zu. Er musste seine Gedanken ordnen, sich beruhigen.

Was hatte Tim mit der Flughafenpiste vor? Wo und wie könnte er dies in Erfahrung bringen?

Warum hatte Tim Paul Ling eingeladen? War er ein Kunde von Paul in der South China Bank? Unter normalen Umständen wäre ihm das egal gewesen. Paul war für Henry nur ein Segelkollege. Außer über den Sport hatten sie sich noch nie unterhalten.

Was hatte Paul von seinem Gespräch mit Daniel Po mitbekommen? Seit wann war er in ihrer Nähe gewesen? Reiner Zufall? Die Fragen quälten ihn.

Sowohl Henry als auch Daniel kannten Tim aus der Schulzeit. Drei Jahre lang waren sie in derselben Klasse gewesen. In all den Jahren danach waren sie sich nur ab und zu begegnet, und das erst noch zufällig.

Daniel hatte sich in Gartenarchitektur spezialisiert. Auch er hatte ein Interesse daran, dass Bill und Henry beim nächsten ausgeschriebenen Projekt den Auftrag bekamen. Vereinbart war, dass er die Gestaltung der Grünflächen übernehmen würde, die in Hongkong einen so hohen Stellenwert genossen.

Hätte er gewusst, was Tim in seinem nächsten Plan vorhatte, hätte sich Daniel bei ihm beworben …

5

Wie Paul war auch Pamela Bright an diesem Morgen nach dem Fest im Peninsula in ihrem Wohnzimmer und ging den Abend nochmals in Gedanken durch. Sie hatte sich auf ihrer Couch ausgestreckt, schließlich war sie erst frühmorgens nach Hause zurückgekehrt.

Dank David Brown hatte sie an der Party von Tim Kit teilnehmen können. David stammte aus Schottland und arbeitete seit einigen Jahren in Hongkong. Er war einer der leitenden Angestellten in einer Versicherungsfirma. Tim Kit gehörte zum Kreis ihrer wichtigsten Kunden. Er hatte ihnen Einladungen zu seiner Party geschickt. Eine davon hatte David erhalten. Da er Single war und die Einladung zwei Personen betraf, hatte er, ohne zu zögern, Pamela kontaktiert. Pamela war vier Jahre jünger als David. Sie hatten sich vor zwei Jahren auf der Ferry kennen gelernt. Seither hatten sie sich öfters getroffen und immer Spaß gehabt.

Pamela hatte auf diesem Fest ihr meergrünes Cocktailkleid getragen. Mit ihrer schlanken Figur stand es ihr gut. Die halblangen braunen Haare hatte sie zu einem Knoten zusammengebunden. David hatte den obligaten dunklen Anzug mit weißem Hemd mit seiner schottischen Krawatte kombiniert. Das Tartanmuster der Krawatte in Grün, Weiß und Schwarz passte gut zu seinen rötlichen, gewellten Haaren. Da er groß gewachsen und schlank war, sah er sehr elegant aus.

Im Laufe des Abends hatte David Pamela diversen Leuten vorgestellt. Außer ihrem Vorgesetzten Henry Parker, den sie im Laufe der Party zweimal erblickte, hatte sie niemanden gekannt. Von den majestätischen Sälen mit den eleganten chinesischen Möbeln, den Vorhängen, den riesigen Blumensträußen in den blauweißen Porzellanvasen war sie überwältigt gewesen. David und Pamela waren dann auch Paul Ling begegnet. Sie hatten sich kurz begrüßt. Für Pamela glich er vielen Männern in Hongkong. Er wirkte sportlich, war von mittelgroßer Statur und hatte dichtes schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar.

Pamelas Gedanken schweiften nun von dem Fest in die Vergangenheit zurück. Sie war glücklich mit ihrem Leben.

Vor vier Jahren war sie von London nach Hongkong ausgewandert. Es war die beste Entscheidung, die sie mit 29 Jahren gefällt hatte. Die Arbeit in dem kleinen Architekturbüro seit einem Jahr und ihre Zweizimmerwohnung, beides auf der Insel Hongkong, begeisterten sie. Von ihrer roten Ledercouch aus fiel ihr Blick auf die schmale chinesische Truhe an der gegenüberliegenden Wand. Sie hatte sie inmitten dramatischer Ereignisse im berühmten Nachtmarkt der Temple Street erworben.

Es fror sie bei diesen Erinnerungen. Sie hatte diese Ereignisse unter dem Titel »Die chinesische Truhe« in einem Notizheft festgehalten. Sie war in eine kriminelle Geschichte verwickelt worden.

»Nie wieder!«, murmelte sie vor sich hin.

Sie täuschte sich …

6

In einem eleganten Hochhaus an der Wasserfront auf der Insel Hongkong saß Tim Kit am Donnerstag, dem 17. März, an seinem wunderschönen Schreibtisch. Seine fünf engsten Mitarbeiter hatte er zu einer Sitzung aufgeboten. Es ging um das neue Projekt auf dem alten Flughafengelände. Mit der einzigen langen Flugpiste, die auf dem Wasser zwischen beiden Stadtteilen gebaut worden war, hatte Hongkong früher einen der gefährlichsten Flughäfen der Welt. Nach dem Überfliegen der Hochhäuser mussten die Piloten in steilem Sinkflug die Piste treffen und vor deren Ende stehen bleiben. Ab und zu verpasste ein Flugzeug das Ende der Piste und landete im Wasser. Mit dem Bau des neuen Flughafens auf der Insel Lantau stand dieses Gelände nun ungenutzt. Trotz diverser Vorschläge hatte die Verwaltung von Hongkong noch keine definitive Entscheidung für seine Nutzung gefällt. Die außergewöhnliche Lage des Grundstückes, das auf drei Seiten von Wasser umgeben war, verlangte nach einem ebenso außergewöhnlichen Projekt. Tim hatte es.

Es klopfte an seiner Tür. Seine effiziente Assistentin Wai Fong Chang kam mit Kaffeegeschirr herein. Wai Fong war eine vierzigjährige hochgewachsene schlanke Chinesin. Sie kam aus Hongkong, ihr Architekturstudium hatte sie an einer Eliteuniversität in England absolviert. Danach war sie wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt. Da sie ihren chinesischen Vornamen liebte, hatte sie sich keinen englischen Vornamen verpasst wie viele Hongkong-Chinesen. Die von Tim ausgeschriebene Stelle als seine Assistentin hatte sie auf Anhieb erhalten und arbeitete nun seit bald zehn Jahren in seinem renommierten Unternehmen. Mit ihrem halblangen Haarschnitt, hinten kürzer als vorne, wirkte sie jünger als ihr Alter. Sie war stets elegant gekleidet, was auch Tim gefiel, dem Mode nicht unwichtig war.

Wenig später trafen seine Mitarbeiter ein. Am runden Tisch beim Fenster mit der atemberaubenden Aussicht nach Kowloon hinüber setzten sie sich. Tim wollte das Projekt mit seinen Experten nochmals durchgehen. So ergab sich einmal mehr eine rege Diskussion mit weiteren bestechenden Ideen. Das zuständige Gremium der Stadtverwaltung sollte schließlich nicht enttäuscht werden …

7

Während Tim Kit mit seinen Mitarbeitern das Projekt nochmals besprach, hatte wiederum eine Star Ferry die Insel Hongkong verlassen und steuerte auf Kowloon zu. An Bord befand sich eine bunte Mischung aus Touristen, chinesischen Frauen mit Kindern sowie Geschäftsmännern in maßgeschneiderten dunklen Anzügen. Mobiltelefone, die die unterschiedlichsten Melodien von sich gaben, waren immer wieder zu hören.

Pamela saß inmitten dieser Leute. Ihr Blick war starr nach links gerichtet und schien etwas Ungewöhnliches zu fixieren. Dem Mann, der rechts neben ihr saß, war dies nicht entgangen. Er betrachtete die junge Frau, von der er sehr angetan war. Sein Blick folgte nun demjenigen seiner Nachbarin. Es musste sich wohl um die ältere Dame handeln, die neben einer jungen Chinesin saß. Die Frau hatte eine außergewöhnliche Ausstrahlung, musste er eingestehen. Unter ihrem weißen Hut kamen weiße, gewellte Haare hervor. Ihre schneeweiße Haut ließ auf eine aristokratische Engländerin schließen. Sie schien über achtzig Jahre alt zu sein. Sie trug einen weißen Rock und eine weiße Bluse. Ihre langen, schmalen Hände ruhten übereinander auf dem schwarzen Gehstock mit dem silbernen Knauf, den sie vor sich als Stütze benutzte.

Was sie wohl in ihrem Leben alles erlebt hatte? Warum war sie in Hongkong? Pamela liebte es, Leute zu beobachten. War sie von einer Person fasziniert, überschlugen sich ihre Gedanken. Nicht selten endeten sie in wildesten Biografien. Sie wurde aus ihren Gedanken herausgerissen, als sich die Frau zu ihrer Nachbarin beugte und zu ihr sprach. Diese stand sofort auf und stützte die große Frau, während sie sich erhob. Der große goldene Anhänger an ihrer langen Kette, der den Kopf einer Raubkatze darstellte, setzte sich ebenfalls in Bewegung. Die Frau blickte kurz zu Pamela herüber. Diese ausdrucksvollen hellen Augen werde ich wohl nicht so schnell vergessen, war sich Pamela sicher.

Die Ferry hatte unterdessen die Anlegestelle erreicht. Der Mann neben Pamela hatte sich ebenfalls erhoben. Enttäuscht begab er sich zum Ausgang. Pamela hatte ihn keines Blickes gewürdigt. Beim Aussteigen achtete sie darauf, die beiden Frauen nicht aus den Augen zu verlieren. Sie schritten in Richtung Nathan Road, der wichtigsten Geschäftsstraße in diesem Stadtteil. Als ein Taxi langsam vorbeifuhr, winkten sie es herbei. Es war einer der unzähligen roten Toyotas mit weißem Dach, die das Straßenbild von Hongkong prägen. Das Taxi hielt an. Sie stiegen hinten ein, und weg war der Wagen. Gebannt hatte Pamela die Szene verfolgt.

Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sie sich beeilen musste. Sie hatte sich mit einer Freundin in diesem Quartier verabredet.

»Ich will diese Frau kennen lernen«, murmelte sie noch ganz benommen vor sich hin.

Hongkong zählt über sieben Millionen Einwohner, überlegte sie kurz. Ich werde sie trotzdem finden!

Diese Frau, Geraldine Hope, die Pamela so fasziniert hatte, war eine achtzigjährige Engländerin. Sie hatte sich mit ihrer Freundin Amy im Stadtteil Central auf der Insel Hongkong getroffen. Amy, die bald 35 Jahre alt wurde, brauchte ein neues Kleid für ihre Geburtstagsfeier. Sie hatte Geraldine gebeten, ihr dabei zu helfen. Beide waren vor einem smaragdgrünen, ärmellosen Kleid in einem der zahlreichen Schaufenster an der verkehrsreichen Des Voeux Road stehen geblieben. Hinter ihnen brausten unaufhörlich Wagen und Lastwagen vorbei. Nur die vielen schmalen, zweistöckigen Trams kamen langsamer und ratternd daher. Die gab es nur hier, auf der Insel Hongkong.

»Das ist genau das Kleid für dich. Gehen wir hinein!«, rief Geraldine ganz aufgeregt.

Ohne zu antworten, stürmte Amy in den Laden. Geraldine, die mit ihren achtzig Jahren noch gut zu Fuß war, trotz des Stockes, der sie überall begleitete, folgte ihr, so schnell sie konnte. Das Kleid war genau auf Amy, die zierliche Hongkong-Chinesin, zugeschnitten. Der tiefe V-Ausschnitt passte gut zu ihren langen pechschwarzen Haaren. Mit der schmal geschnittenen Taille sah sie umwerfend aus.

»Hast du Zeit für eine kleine Mahlzeit?«, fragte Geraldine, nachdem sie den Laden verlassen hatten.

»In zwei Stunden habe ich einen Termin in Kowloon. Wenn wir die Ferry in anderthalb Stunden nehmen, reicht es«, erwiderte Amy. »Gehst du danach nach Hause?«

»Ja, dann fahren wir zusammen mit der Ferry zurück.«

Wie fast alle Leute hier hatte sich Amy einen englischen Vornamen zugelegt.

Nach einem schmackhaften Fischgericht hatten sie sich zur Ferry aufgemacht. In Kowloon angekommen, stiegen sie in ein Taxi. Zehn Minuten später hielt es vor einem großen Wohnblock in der Canton Road an. Hier stieg Geraldine aus. Das Taxi fuhr mit Amy weiter.

Mit dem Aufzug fuhr Geraldine in den dritten Stock dieses Wohnblockes. In ihrer Wohnung angekommen, zog sie ihren weißen Hut aus und begab sich in das Wohnzimmer. Den Stock mit dem silbernen Panther als Knauf stellte sie in den Schirmständer. Seit dem Tod ihres Mannes hatte sie den Schirmständer zum Stockständer umfunktioniert und neben ihren antiken Sessel gestellt. In seiner Nähe fühlte sie sich sicher. Mit Genuss ließ sie sich in den Sessel fallen.

Zusammen mit ihrem Mann hatte sie im alten Quartier von Hongkong immer wieder nach antiken chinesischen Möbeln gestöbert. So kamen über die Jahre einige wundervolle Sessel, Tischchen und Schränke zusammen, die ihr Wohnzimmer schmückten. Entspannt lehnte sie sich zurück und betrachtete den zweitürigen schmalen Schrank mit dem großen ovalen Messingschloss in der Mitte, der zwischen beiden Fenstern stand. Die weiß und türkis gestreiften Vorhänge passten hervorragend zum hübschen Möbel aus dunklem Holz. Ihre Gedanken schweiften in vergangene Zeiten.

Fünfzig Jahre lang hatte Geraldine mit ihrem Mann in einer stattlichen Villa aus der Kolonialzeit auf der Insel Hongkong gelebt. Sie befand sich an einem Hang über den Hochhäusern unterhalb des Peaks, des dicht bewachsenen Hausberges von Hongkong. Die Sicht auf die Meerenge und nach Kowloon hinüber war überwältigend. Die Villa nebenan war im gleichen Stil gebaut. Beide Gebäude waren von prächtigen Gärten mit Palmen und dichten tropischen Pflanzen umgeben. Wie ihr Mann war auch der Nachbar vor Jahrzehnten als englischer Armeeoffizier nach Hongkong versetzt worden. Wie oft hatten sich die beiden kinderlosen Ehepaare zu fröhlichen Grillabenden eingeladen. Leider waren sie nach England zurückgekehrt.

Ein Jahr später war ihr Mann gestorben. Sie seufzte. Geraldine hatte danach die Villa verkauft und die Wohnung an der mehrspurigen Canton Road in Kowloon gekauft, in der Nähe der großen Schiffsanlegestellen nach Shanghai. Das Gebäude war kurz zuvor fertig gestellt worden. Sie hatte eine Wohnung im dritten Stock des dreißigstöckigen Hochhauses ausgewählt. Sollte der Fahrstuhl eine Panne haben, war die Wohnung immer noch zu Fuß erreichbar.

Sie liebte die Sicht auf die kleine Parkanlage auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die sie sowohl aus dem Wohnzimmer wie aus dem Schlafzimmer genießen konnte. Hübsche chinesische Eingangstore trennten den Park vom Gehsteig und verkündeten auf einer Messingtafel: »King George V Memorial Park«. In der sehr gepflegten Anlage mit den hohen Bäumen stand ein sechseckiger Pavillon aus roten Säulen und einem elegant geschwungenen grünen Dach. Spazierte man am Pavillon vorbei, stieß man auf ein tempelartiges offenes Gebäude. Dieses wies wiederum das charakteristische grüne Dach auf und war von roten Säulen getragen. Von hier aus gelangte man zum dritten Tor, das in die geschäftige Jordan Road führte, die im rechten Winkel zur Canton Road verlief.

8

Am nächsten Tag, Freitag, spazierte Geraldine in der Nathan Road. Die Nathan Road ist die wichtigste Geschäftsstraße in Kowloon. Sie führt von Norden nach Süden und endet beim Peninsula-Hotel, in der Nähe der Ferry-Anlegestellen.

In der Crawford Lane, dem Abschnitt der Nathan Road mit dem sehr breit angelegten Gehsteig, gab es Sitzbänke. Sie hatte Glück und den letzten freien Platz auf einer der vier Bänke ergattert. Außer in Parks waren Sitzbänke in Hongkong Mangelware. Sie lehnte sich zurück. Vor ihr erstreckten sich der breite Gehsteig und die kleinen einstöckigen Geschäfte. Hochhäuser gab es hier nicht. Die Leute gingen teils flanierend, teils in Eile ihren Zielen nach. In ihrem Rücken brauste der Verkehr unaufhörlich vorbei. Glücklich und entspannt hatte sie dem Treiben auf dem Gehsteig zugeschaut, bis zwei chinesische Männer auftauchten, die ihre ganze Aufmerksamkeit weckten. Der eine, etwa dreißigjährig, ein sportlich wirkender Chinese, sprach ganz aufgeregt zum Größeren. Dieser wirkte älter als sein Begleiter und war ihr mit seinem Lederhut und der dunklen Sonnenbrille aufgefallen. Eine Tarnung? Geraldine versuchte die Worte zu verstehen. Der Mann hatte englisch gesprochen. Offensichtlich hatten beide nicht die gleiche Sprache. Kantonesisch, die Sprache der Region Hongkong, und Mandarin, das traditionelle Chinesisch, unterscheiden sich stark voneinander und müssen mühsam erlernt werden.

»Wer führt die Tat aus?«, waren die Worte des größeren Mannes, die sie von ihrer Sitzbank aus vernehmen konnte.

Die Antwort war zu leise gewesen für Geraldine.

»Wo?«, fragte der Größere weiter, der lauter sprach als sein Begleiter.

»Heute Abend erfahren wir mehr«, antwortete der Kleinere mit leiser, aber für Geraldine gerade noch wahrnehmbarer Stimme.

Sichtlich nervös sah er sich kurz um. Sein Blick richtete sich den Bruchteil einer Sekunde auf Geraldine, bevor er sich wieder seinem Begleiter zuwandte und sie sich davonmachten. Geraldine erhob sich und folgte ihnen.

»Es muss sich um einen gut situierten Mann handeln«, hörte sie die Worte des Kleineren.

»Sei endlich still!«

Der Größere drehte sich blitzschnell um und blieb stehen.

»Können Sie nicht aufpassen!«, stieß Geraldine, die dicht hinter ihnen herging, wütend aus.

Reflexartig hielt sie ihren Gehstock schräg vor sich als Bremse, während der Kleinere darüberstolperte.

In diesem Moment schoss jemand ein Bild von ihnen.

»Die spioniert uns nach, vorher saß sie noch auf der Bank«, waren die letzten Worte, die sie mitbekommen hatte, bevor die Männer davonstürmten. Eine Narbe auf der rechten Wange des Jüngeren war ihr aufgefallen.

Zu Hause machte sie sich Notizen über diese seltsame Begegnung. Sie notierte sich sorgfältig das Datum, Freitag, 18. März, sowie die Worte »die Tat« und »ein gut situierter Mann«.

Sie nahm sich fest vor, die Zeitungsberichte in nächster Zeit genauer unter die Lupe zu nehmen.

Man wusste ja nie …

Pamela war zu dieser Zeit ebenfalls in der Nathan Road unterwegs. Sie genoss ihren Spaziergang, bis sie wie vom Blitz getroffen stehen blieb. Auf einer der vier Sitzbänke in der Crawford Lane saß genau die Frau, die sie gestern auf der Ferry so fasziniert hatte. Zwei Bänke weiter wurde ein Platz frei. Sie setzte sich. Da die Bänke in einer Reihe standen, musste sie sich nach vorne lehnen, um die Frau sehen zu können. Sie war wieder ganz in Weiß gekleidet. Wie auf der Ferry stützte sie sich mit beiden Händen auf den silbrigen Panther des schwarzen Gehstockes vor ihr.

Keine zehn Minuten später schritten zwei asiatische Männer die Sitzbänke entlang in Richtung Ferry. Die Frau stand plötzlich auf und folgte ihnen, bis es zum Zusammenstoß kam. Die Männer ergriffen die Flucht. Die Frau gab die Verfolgung auf. Sie kehrte um und folgte der Nathan Road in der entgegengesetzten Richtung.

Warum war die Frau diesen Männern gefolgt? Reflexartig hatte Pamela ihr Smartphone gezückt und den Zusammenstoß fotografiert. Leider war die Frau nur von hinten zu sehen. Schade, dass auch die Männer auf dem Bild waren. Sie mussten aus dem Bild verschwinden. Sie nahm sich vor, das Foto zu Hause zu korrigieren.

Das war der Tag, an dem Pamela zum ersten Mal ihr neues goldgelbes Kleid trug.

9

Die zwei Männer hatten nach der Begegnung mit Geraldine die Ferry zur Insel Hongkong genommen und waren weiter mit einem Ausflugsboot zur Insel Peng Chau gefahren.

Drei Viertelstunden später stiegen sie dort aus und begaben sich zu einem kleinen, einstöckigen Haus. John, ein älterer Chinese, sowie ein etwa vierzigjähriger Mann, der sich Yu nannte, warteten auf sie. Peter, der Jüngere mit der Narbe auf der Wange, und Alan, der Größere mit dem Hut, setzten sich zu ihnen um den alten rechteckigen Holztisch. Yu, der seine Haare nach hinten zu einem Knoten gebunden hatte, lehnte sich gespannt in seinem Sessel zurück.

»Das ist der Plan«, begann John.

Nach seinen Ausführungen herrschte Totenstille im kargen Raum.

»Noch Fragen?«

Es kamen keine Fragen. Nach einer Weile erwähnte Peter die Begegnung mit Geraldine.

»Wie sah sie aus?«, fragte John scharf.

John und Yu machten sich genaue Notizen zur Beschreibung von Geraldine.

»Warum hat sie euch verfolgt?«, fragte John weiter.

»Das wissen wir nicht«, kam die zögernde Antwort von Alan.

»Ihr wisst es nicht?«, schrie John die beiden an.

Sie schwiegen. Sie kannten die Wutausbrüche von John. Jedes weitere Wort hätte die Lage nur verschlimmert.

Wenig später kehrten Peter und Alan zum Pier zurück und warteten auf die nächste Schiffsverbindung nach Hongkong Central.

Sie wussten jetzt, was zu tun war am folgenden Abend.

10

Am Tag nach der seltsamen Begegnung mit den beiden Männern beschloss Geraldine, den Abend im italienischen Restaurant des Hotels Marco Polo zu verbringen. Es war Samstag, der 19. März. Das Hotel lag neben den Ferryanlegestellen in Kowloon. Die Aussicht auf die gegenüberliegende berühmte Skyline der Insel Hongkong war unbeschreiblich. Elegant streckten sich die Hochhäuser zum Himmel hoch. Sie kam oft zum Nachtessen hierher. Sie liebte dieses Lokal wegen seiner einmaligen Lage, wegen der vorzüglichen Gerichte und des netten Servicepersonals. Sie setzte sich an ein Tischchen draußen vor dem Restaurant und bestellte einen weißen Martini. Bald würde die Sonne untergehen. Vor ihr lagen der lange Steg, der die Anlegestelle der Kreuzfahrtschiffe der Star Cruises war, sowie ein großes Parkfeld.

Ein weißer BMW hielt wenig später auf dem Parkfeld zwischen einem Porsche und einem Jaguar an. Ein Mann in dunklem Anzug stieg aus und schritt zum Steg des Kreuzfahrtschiffes Virgo hinüber, das in wenigen Augenblicken loslegen würde. Der Sonnenuntergang stand jetzt kurz bevor. Gebannt verfolgte Geraldine die Szene vor ihr. Die riesige Heckklappe wurde hochgezogen und geschlossen. Auf beiden Seiten waren Lotsen auf ihren Booten damit beschäftigt, die Ausfahrt der Virgo aus der engen Wasserstraße ins offene Meer vorzubereiten. Der Mann stand breitbeinig auf dem Steg und verfolgte das emsige Treiben. Langsam, scheinbar lautlos bewegte sich nun das Schiff. Es bog nach links ab und glitt majestätisch in Begleitung der beiden Lotsenboote zwischen Kowloon und der Insel Hongkong davon. Die Sonne verabschiedete sich in einem atemberaubenden Spektakel. Lichtketten beleuchteten nun die Virgo. In der Dunkelheit begannen die Fassaden der Hochhäuser in bunten Farben zu leuchten. Der Mann blieb reglos stehen, während er das unbeschreibliche Schauspiel betrachtete, welches die Virgo auf der engen Wasserstraße zwischen den Hochhäusern bot. Langsam drehte er sich um und schritt zur Restaurantterrasse des Hotels, das das Ende des Steges bildete. Er setzte sich an ein Tischchen vor Geraldine und bestellte einen Fruchtsaft.

Der Mann genoss die Sicht auf die gegenüberliegende Insel und atmete tief durch. Die Umrisse des von üppiger Vegetation umsäumten Peaks, des Hausbergs von Hongkong, waren dank der Warnlichter für Flugzeuge und Helikopter gut zu erkennen. Obschon der Mann aus Hongkong stammte und hier lebte, überwältigte ihn dieser Anblick jedes Mal von neuem.

Er betrachtete das Hochhaus, das genau gegenüber dem Hotel stand, das Financial Center, das für ihn seit einiger Zeit ein Rätsel darstellte. In bestimmten Stockwerken blinkten grüne und weiße Lichter an beiden Seiten des Gebäudes. Er nippte an seinem Glas, während er die Fassade nicht aus den Augen ließ. Würde es heute kommen? Er wartete gespannt. Immer noch nichts! Er wartete weiter. Endlich! Ein kleines gelbes Licht im sechzigsten Stockwerk leuchtete kurz dreimal auf. Er wollte diesem Signal auf die Spur kommen. Wem galt es? Was hatte es zu bedeuten, und wer stand dahinter? Er hatte dieses Mal für alle Fälle Vorkehrungen getroffen. Sein stechender Blick konzentrierte sich jetzt auf das Wasser. Ein kleines Fischerboot tauchte auf, das sich zwischen dem Hotel und dem Hochhaus bewegte und aufs offene Meer zusteuerte. Dieses Boot war ihm schon die letzten Male aufgefallen. Kurz darauf fuhr ein Motorboot in die gleiche Richtung wie das Fischerboot. Der Mann bezahlte sein Getränk und verließ die Terrasse.

Geraldine hatte die Szene ebenfalls verfolgt und mit einem Lächeln dem kleinen Fischerboot nachgeschaut. Schön, dass es sie hier noch gab, diese alten Fischerboote, freute sie sich. Nur das kleine gelbe Licht war ihr entgangen.

Während sie sich in das Restaurant begab, zogen Wolken auf. Der Wetterdienst hatte für diese Nacht einen schweren Sturm vorausgesagt.

Eine halbe Stunde später saß der Mann in seinem Wohnzimmer und starrte auf sein Smartphone. Gespannt wartete er auf eine kodierte Mitteilung seines Mitarbeiters Siu Wa. Eine Stunde später traf sie ein. »Interessant«, sagte er nachdenklich, nachdem er sie gelesen hatte. Siu Wa hatte das kleine Fischerboot in seinem Motorboot verfolgt. In Kennedy Town, einem Vorort von Hongkong auf der Insel Hongkong, hatte es angelegt. Ein jüngerer chinesischer Mann war ausgestiegen. Ob sich im hinteren Teil des Bootes, das aus drei Holzwänden und einer Holzdecke bestand, weitere Leute befanden, hatte Siu Wa in der Dunkelheit nicht erkennen können. Er war dem Mann bis zu einer engen Werkstatt gefolgt. Dort verschwand dieser im hinteren Bereich. Siu Wa hatte eine Skizze der Lage des Gebäudes angefertigt. Für ein Foto ohne Blitz war es zu dunkel gewesen. »Wir treffen uns morgen um zehn«, schrieb er Siu Wa zurück.

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