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Nach seinem Ausscheiden aus der Guardia Civil hatte sich Rafa González fest vorgenommen, den wohlverdienten Ruhestand auf den Golfplätzen im Urlaubsparadies Conil de la Frontera an der andalusischen Costa de la Luz zu genießen. Er wollte nur von Zeit zu Zeit ungefährliche Aufträge als Privatdetektiv annehmen, um seine durch gutes Essen strapazierte Rente etwas aufzubessern. Die Wunden, die das traumatische Ereignis in seiner Vergangenheit in seinen Körper und seine Seele gerissen hat, sollten endlich heilen. An einem schicksalshaften Augusttag wird jedoch auf einer Finca im Nachbarort Barbate die schrecklich entstellte Leiche eines Olivenbauern gefunden - der Auftakt zu einer grausamen Mordserie, deren Aufklärung González nicht nur ein Wiedersehen mit seiner alten Liebe Comandata Isabella Fernández, sondern auch mit windigen Immobilienspekulanten, militanten Umweltschützern, Drogenschmugglern mit Verbindungen in die höchsten Kreise und dem schmerzhaftesten Teil seiner Vergangenheit bescheren wird.
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Seitenzahl: 360
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Prolog
Kapitel 1: Conil de la Frontera – Sonntag, 15. August
Kapitel 2: Conil de la Frontera / Roche – Sonntag, 15. August
Kapitel 3: Isla Mayor – Sonntag, 15. August
Kapitel 4: Novo Sancti Petri, Real Club de Golf – Sonntag, 15. August
Kapitel 5: Bei Algeciras – Sonntag, 15. August
Kapitel 6: La Zagaleta – Sonntag, 15. August
Kapitel 7: Dehesa Montenmedio Golf & Country Club, Barbate – Sonntag, 15. August
Kapitel 8: Bei Barbate – Sonntag, 15. August
Kapitel 9: Chefchauen, Marokko – Sonntag, 15. August
Kapitel 10: Conil de la Frontera, Fischereihafen – Montag, 16. August
Kapitel 11: Bei Algeciras – Montag, 16. August
Kapitel 12: Conil – Montag, 16. August
Kapitel 13: Bei Barbate – Dienstag, 17. August
Kapitel 14: Conil de la Frontera – Mittwoch, 18. August
Kapitel 15: Barbate – Mittwoch, 18. August
Kapitel 16: Bei Algeciras – Mittwoch, 18. August
Kapitel 17: Conil de la Frontera / Barbate – Donnerstag, 19. August
Kapitel 18: Alcaidesa – Donnerstag, 19. August
Kapitel 19: Bei Algeciras / Conil de la Frontera – Donnerstag, 19. August
Kapitel 20: Bei Algeciras – Freitag, 20. August
Kapitel 21: Conil de la Frontera / El Palmar – Freitag, 20. August
Kapitel 22: Vejer – Freitag, 20. August
Kapitel 23: Conil de la Frontera – Samstag, 21. August
Kapitel 24: Bei Algeciras – Samstag, 21. August
Kapitel 25: Isla Mayor – Sonntag, 22. August
Kapitel 26: Jerez de la Frontera – Sonntag, 22. August
Kapitel 27: Bei Algeciras – Sonntag, 22. August
Kapitel 28: Conil – Sonntag, 22. August
Kapitel 29: Conil – Montag, 23. August
Kapitel 30: Cádiz / Conil – Montag, 23. August
Kapitel 31: Bei Algeciras – Montag, 23. August
Kapitel 32: La Zagaleta – Montag, 23. August
Kapitel 33: Barbate / Conil – Montag, 23. August
Kapitel 34: Conil – Montag, 23. August
Kapitel 35: Roche – Montag, 23. August
Kapitel 36: Conil – Montag, 23. August
Kapitel 37: Algeciras – Montag 23. August
Kapitel 38: Conil / Algeciras – Dienstag, 24. August
Kapitel 39: Barbate – Dienstag, 24. August
Kapitel 40: Conil / Barbate – Dienstag, 24. August
Kapitel 41: Cádiz – Dienstag, 24. August
Kapitel 42: Conil – Mittwoch, 25. August
Kapitel 43: Marbella – Mittwoch, 25. August
Kapitel 44: Conil – Mittwoch, 25. August
Kapitel 45: Arrecife – Mittwoch, 25. August
Kapitel 46: Conil / Novo Sancti Petri – Mittwoch, 25. August
Kapitel 47: Algeciras – Mittwoch, 25. August
Kapitel 48: Conil / Benalup – Donnerstag, 26. August
Kapitel 49: Benalup – Donnerstag, 26. August
Kapitel 50: Algeciras – Donnerstag, 26. August
Kapitel 51: Algeciras – Donnerstag, 26. August
EPILOG
Seine Brust bebte unter dem gewaltigen Pumpen seines Herzschlags. Adrenalin schoss ihm durch die Adern. Er war ein Draufgänger und machte diesen Job seit Jahren, aber heute fühlte er sich wie ein Junge am ersten Schultag, der sich hinter den Beinen seiner Mama verstecken wollte. Er wischte sich das Meerwasser aus den Augen, schob die Haarsträhne aus seiner Stirn und klemmte sie hinter das linke Ohr. Er atmete tief ein und aus, ein und aus, ein und aus und versuchte die verdammte Unruhe in seinem Magen zu ignorieren.
Kein guter Moment um sich einzuscheißen, dachte er. Fest umklammerte er das silberne Bolzenschussgerät, ließ es durch seine Hand nach unten gleiten, in Richtung des tiefen Blaus. Er durfte nicht ganz loslassen. Er durfte es nicht verlieren. Als er die Spitze der Waffe sehen konnte, schielte er von der Seite auf die Öffnung: Ja, die Patrone war an ihrem Platz. Sie würde ihre tödliche Wirkung entfalten. Und wenn nicht: Um seinen Bauch trug er einen Patronengürtel. Er konnte zehnmal nachladen. Die Waffe gab ihm Macht.
Ein und aus. Ein und aus. Ein letztes Mal atmete er ruhig und tief ein, dann setzte er die Brille auf, glitt langsam hinab und näherte sich seinem Opfer schweigend von hinten. Er hob das Schussgerät an, folgte der Bewegung, zielte direkt auf den riesigen Kopf – aber er drückte nicht sofort ab. Für einen kurzen Moment war er von der natürlichen Schönheit seines Gegenübers verzaubert: Große, eindrucksvolle Augen sahen ihm entgegen. Die reine Haut glänzte im Wasser und reflektierte die Sonnenstrahlen des kühlen Frühlingstages, sodass es aussah, als ob Blitze durchs Wasser schossen. Das große Auge schaute nicht ängstlich, sondern traurig. Tieftraurig. Er versuchte den Blick zu erwidern, schaffte es aber nicht. Diese Traurigkeit ertrug er nicht, diese verdammte Melancholie, diese Schuld.
Er drückte ab, schoss direkt in den Kopf. Eine Schallwelle durchzog das Wasser und ließ seine Trommelfelle erzittern. Ein dumpfer Knall. Blau zu Rot. Überall war das Blut des Thunfisches, er konnte sich nicht mehr orientieren in diesem Meer aus Fischblut. Dann spürte er den brennenden Schmerz an seinem rechten Bein.
In einer Mischung aus Angst und Euphorie tauchte er auf, um nachzusehen, was ihm geschehen war. Als er an sich nach unten sah, entdeckte er die klaffende Wunde unterhalb seines Knies. Die kleinen, dreieckigen Flossen am Schwanz seines Kontrahenten hatten seinen Unterschenkel abgetrennt. Seine Wade und sein Fuß hingen nur noch am Knochen und am zerfetzten Neoprenanzug. Die Sehnen und das Fleisch hatte das Tier zu einem matschigen Brei zersägt. Verdammte Scheiße, wieso passiert mir so etwas?
Als er hilfesuchend zu seinen Fischerkollegen an Bord des Schiffes aufschaute, verstanden sie nicht, was geschehen war, sondern ließen ein Seil mit einem großen Haken zu ihm herab, um den Fisch an Bord zu holen. Wie in Trance packte er den Riesen mit der linken Hand und schlug den Haken zornig durch das rechte Auge des Fisches tief in dessen Schädel. Fröhlich begannen die Fischer den riesigen Fang hochzuziehen. Der rote Thunfisch war der größte, den er je gesehen hatte. Er wog sicher 500 Kilo.
Er hingegen blieb allein und unbeachtet im roten, grobmaschigen Netz zwischen den Fischerbooten hängen und ballte zornig seine Fäuste zum Himmel. Das metallische Kreischen der rostigen Seilwinde verband sich mit seinem Schmerzensschrei zu einem schrecklichen Jammerlaut.
Es war ein wunderbarer Morgen an diesem 15. August. Als Rafa González vor die Tür seines weiß gekalkten Altstadthauses trat und ihn das grelle Morgenlicht für einen Moment blendete, deutete nichts auf die Ereignisse hin, die schon bald an die Oberfläche kommen sollten. Die frische Brise tat ihm gut. Sie füllte seine Lungen mit salziger Meeresluft. Rafa spazierte durch die engen Gassen des Barrio de los Pescadores1, um durch die Calle Boquerón hinauf zur Plaza del Molino de Viento2 zu gelangen. Die Gassen waren keine zwei Meter breit und wurden eingerahmt durch zweigeschossige, weiß gekalkte Häuschen links und rechts, die von Bougainvillea- und Oleandersträuchern überwuchert waren.
Er genoss die Ruhe am Morgen, die allein durch ein kurzes Schwätzchen mit Abuela3 Pilar unterbrochen wurde. Pilar, die von allen nur Pili genannt wurde, war eine Frau von undefinierbarem Alter. Er schätzte sie auf Anfang 80, sie könnte aber auch 105 oder 63 Jahre alt sein. Vor gut 20 Jahren war ihr Mann in einem verheerenden Sturm auf dem Atlantik vor dem Cabo Trafalgar umgekommen. Seither trug sie ausschließlich schwarz. Ihr Gemüt war über die Jahre wieder so freundlich und gut gelaunt wie früher geworden – vielleicht war sie am Ende auch ein bisschen froh, den alten Griesgram an das Meer verloren zu haben. Sie saß jeden Morgen vor ihrem Häuschen voller üppig bepflanzter Blumenkübel und nahm ihren Kanarienvogel in seiner Voliere mit vor die Tür, es sei denn natürlich, es regnete, aber es regnete hier eigentlich nie. Das Vogelgezwitscher war durch die Gassen weithin zu hören.
Das arme, eingesperrte Viech, dachte Rafa. Da kann man schon fliegen und durch den azurblauen Himmel gleiten und hockt in einem Käfig. Warum singt so ein bemitleidenswertes Tier so wunderschön?
Trotz dieser Gedanken genoss Rafa das Ritual der allmorgendlichen Unterhaltung mit der alten Dame. Diesen Teil der Stadt hatten die Touristen noch nicht überrannt. Sein Viertel war eine der letzten Oasen der Ruhe und des Friedens im sonst so hektischen Monat August in Conil. Nur gelegentlich verirrten sich Fremde hierher, wie z.B. jugendliche Partytouristen aus Großstädten wie Sevilla und Madrid. Letzten Sommer hatte eine Gruppe Teenies die handbemalten Blumenkübel vor Pilars Haus und den anderen Häusern in der Gasse im Morgengrauen umgetreten. Pilar hatte die Scherben und die Erde weggefegt. Als sie einige Wochen später keine neuen Kübel besorgt hatte, verstand Rafa, dass Pilar zwar die wenigen Meter zum Supermarkt nebenan noch bewältigen konnte, aber nicht mehr in der Lage war, zum Baumarkt „Campo y Hogar“ hinter der Plaza der España hinab zu gehen und schwere Dinge wie Blumenerde und Keramiktöpfe hier hoch zu bringen. Also hatte er ihr ungefragt neue besorgt und stand seither noch höher in der Gunst der alten Dame.
Auf der Plaza angekommen, setzte er sich auf die Terrasse der Bar El Molino. Er war der einzige Gast, wie immer morgens um 9 Uhr. Antonio war gerade dabei, den Boden des Ladens mit Wasser und Chlor zu wischen – mit sogar für spanische Verhältnisse viel zu viel Chlor.
„Huele a limpio4“, sagte er stets. Kaum war er fertig, schmiss er die Siebträgermaschine an und zapfte sicherheitshalber das erste Bier. Es könnten ja gleich einige Touristen oder jugendliche Partylöwen um die Ecke kommen und 50 Bier bestellen. Es war noch nie passiert, doch das hielt Antonio nicht davon ab, vorzusorgen. Rafa nickte seinem Freund kurz zu und schon kam dieser mit einem Café solo5 heraus. Er zündete sich einen Purito6 an und ließ den Blick über die Plaza schweifen. In der Mitte des Platzes erhob sich die alte Windmühle. Nackt wie eine gerupfte Weihnachtsgans stand sie da: keine Flügel, nur ein belangloser alter Turm aus gelbem Sandstein mit einer verschlossenen braunen Tür und einer unleserlichen, verblichenen Plakette. Ordentlich restauriert und vor allem mit Flügeln hätte sie vielleicht was hermachen können – und wäre dann sogar als Windmühle erkennbar –, aber so?
Daneben lag ein Boot auf dem Trockenen. Sein alter Bekannter Juan hatte es nach Jahrzehnten auf dem Ozean der Stadt Conil geschenkt, damit sie es auf dem Platz als Monument ausstellte. Er war damit sein Leben lang vom Fischerhafen Conil aufs Meer hinausgefahren. Die Almadraba, die traditionelle Art des Thunfischfangs war bis zur Rente sein Leben gewesen. Was gab es Schöneres für ein Boot, als am Ende aller Tage auf einem Platz ausgestellt und bewundert zu werden? Von Kindern beklettert und von den alten Fischern sehnsüchtig betrachtet? Das war eindeutig besser als zu Brennholz verarbeitet zu werden.
An der Südseite des Platzes begannen die Fischerhäuser, die von ultravioletten und roten Bougainvillea-Büschen überwuchert waren. Dahinter schimmerte als perfekter Kontrast der türkisblaue Ozean. Dieser Ausblick machte den Platz einzigartig. Rafa konnte die Feuchtigkeit des Meeres spüren und bis hier hoch riechen. Diese Mischung aus salziger Meeresbrise, dem Duft der Blumen, dem rauen Harz der Pinienbäume und dem Geruch von Chlor und altem Frittierfett aus Antonios Bar, das war für ihn der schönste Geruch der Welt. Nirgendwo anders auf der Welt konnte es besser duften. Das gab es nur hier. Das war seine Heimat.
Hier oben, hoch über dem Barrio de los Pescadores, hat sich in den letzten 30 Jahren nichts verändert, dachte er und zog genüsslich an seinem Purito, um dem Rauch langsam dabei zuzusehen, wie er in den blauen Morgenhimmel stieg. Dann begann es zu läuten: die Kirchenglocken der nahen Iglesia de Santa Catalina, die die Gläubigen zum Gottesdienst rief.
Kaum waren die Glocken verstummt, näherte sich albernes Teenie-Gelächter und durchdrang die sonntagmorgendliche Ruhe – kamen heute endlich die 50 Jugendlichen, die auf Antonios Bier aus waren? Zwei muskelbepackte Typen und ein stark geschminktes Mädchen stolperten die engen Gassen hinauf zur Plaza und torkelten dabei ein ums andere Mal gegen Wände der umliegenden Häuser.
Der größere der beiden Typen trug ein glänzendes Hemd, das nur von zwei Knöpfen zusammengehalten wurde. Dadurch sah Antonio, dass er ein beachtliches Sixpack und noch imposantere Oberarme für sein junges Alter hatte. Er verbrachte vermutlich viele Stunden seines jungen Lebens im Fitnessstudio. Seine glasigen Augen verrieten, dass er die Nacht durchgefeiert hatte und ziemlich drauf war.
Der Kleinere trug ein Netzhemd. Dass man so heutzutage ausgeht. Dass man so in die Clubs überhaupt reinkommt. Rafa schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich lag es an dem Mädchen. Sie trug ein kurzes, grünes Häkelkleid. Es bestand aus mehr Löchern als Stoff und war fast komplett durchsichtig und zu allem Überfluss zu weit hochgerutscht. Gefühlt bestand sie nur aus Beinen.
Das Mädchen lief barfuß. Ihre braunen High Heels hielt sie in der rechten Hand, die Handtasche in der linken. Die drei hatten sich vermutlich im endlosen Gewirr der Gassen verirrt und suchten jetzt ihre Unterkunft, um den Rausch auszuschlafen. Oder hatten sie etwa noch Anderes vor?
Auf der Plaza angekommen, wankte die Truppe Richtung Boot und versuchte nach einer kurzen Pause tatsächlich hinein zu klettern. Eine schlechte Idee, denn im Boot gab es keine Möglichkeit, es sich gemütlich zu machen. Das hatte jetzt auch der Muskelmann kapiert und kletterte wieder heraus. Ungeschickt stolperte er, fiel mit dem Gesicht auf den Boden und schlug sich die Stirn auf. Jetzt wurde der Typ sauer und begann, das Boot zu malträtieren, indem er darauf eintrat.
Rafa spürte Ärger ob dieser Respektlosigkeit in sich aufsteigen. Antonio trat aus seinem Laden auf die Plaza, während er ein Bierglas abtrocknete. Er wusste, was Rafa dachte, und schaute ihn an. Er schüttelte den Kopf. „No, Rafa, por favor!“
Er hatte ja recht. Das Boot würde es aushalten und Rafa hatte wirklich Besseres vor. Er war mit seinen Freunden Marcello, Ramón und Alejandro zum Golfspielen verabredet. Die sonntägliche Golfrunde war ihm heilig. Heute hatten sie eine Startzeit im Real Club de Golf de Sancti Petri. Sie wollten dort den 18-Loch-Meisterschaftsplatz Mar y Pinos7 spielen mit seinem legendären sechsten Loch, das auf einer Sanddüne über dem Meer thronte.
Gerade als er sich zu entspannen begann, sah er erneut zu den Jugendlichen. Der große Typ hatte eine Eisenstange in der Hand und hebelte damit an der Stütze des Bootes. Das große Boot kippte tatsächlich um und fiel zur Seite. Mit einem lauten Ächzen splitterten die Holzbalken am Bug des umgekippten Bootes und die Scheiben zerbrachen in tausende Scherben. Das Mädchen und der andere Typ lachten und johlten.
Was für ein Wahnsinn. All die Jahrzehnte hatte das Boot allen Stürmen getrotzt und nun kam dieser cabrón8 und zerstörte es einfach so? Respektloses Arschloch! Wenn andere Menschen Schwierigkeiten hatten, sich über die alltäglichen Ungerechtigkeiten und Grenzüberschreitungen aufzuregen und dagegen aufzustehen, war es bei Rafa genau umgekehrt. Ihm fiel es verdammt schwer, sitzen zu bleiben. Und das, obwohl er seit drei Jahren, sieben Monaten und 18 Tagen kein Polizist mehr war. Ohne Regeln war kein Zusammenleben möglich. Davon war er fest überzeugt. Und diese Regeln – die großen wie die kleinen – hatten nur Bestand, wenn sie notfalls auch durchgesetzt wurden.
Er brauchte nur wenige Sekunden, um über den Platz zu den drei Halbstarken zu rennen. Der größere Typ sah Rafas entschlossenen Gesichtsausdruck und verstand augenblicklich, dass es jetzt nicht nett werden würde. „Hey, Junge! Für den Schaden wirst du aufkommen.“
Da hob der Größere schwankend die Eisenstange und holte damit in Richtung von Rafa aus, der Kleinere ballte die Fäuste wie ein Tanzbär. Was für eine armselige Vorstellung der beiden besoffenen Teenager. Diese Jungs waren keine würdigen Gegner, aber nach der Nummer mit dem Boot hatten sie sich eine Lektion verdient. Er drehte sich in den Schlag des Kleineren und warf ihn seitlich über die Schulter. Er landete auf der Seite und stöhnte vor Schmerzen. Der Größere war so perplex, dass er kaum sah, wie Rafa sich blitzschnell drehte und ihm gegen die Brust trat. Er flog ein paar Meter durch die Luft, fiel auf die Seite und sackte dann jammernd wie ein Baby zusammen. Das Mädchen war von der Szene so geschockt, dass es sich übergab. Bedauerlicherweise spuckte sie die ekelhaft stinkende Ladung auf den kleineren der beiden Partyhelden.
Rafas Rücken tat ihm nach der Kampfeinlage wieder mehr weh. Er sollte sich mit solchen Verrenkungen um diese Uhrzeit zurückhalten. In dem Moment kamen zwei Streifenpolizisten der Policia Local9 auf den Platz gerannt. Rafa kannte einen der beiden Beamten von früher, auch wenn ihm sein Name gerade nicht einfiel. Die beiden berichteten, dass Nachbarn aus dem Fischerviertel angerufen hätten, um zu melden, dass marodierende Jugendliche die Blumenkübel vor ihren Häusern zerstört hätten. Rafa berichtete von der Demolierung des Bootes und so gingen die Polizisten davon aus, die Verursacher der Schäden an den Blumenkübeln vor sich zu sehen. Man würde die leicht verletzten Störenfriede verarzten und in eine Ausnüchterungszelle sperren. Für die verursachten Schäden würden sie aufkommen müssen. Rafa ging zurück zur Bar, legte einen Euro für den Café auf den Tisch – hier hatten die Touristen die Preise noch nicht kaputt gemacht - und nickte Antonio zum Abschied zu.
Beim Gang hinab durch das Barrio de las Flores10 zu seiner Garage unten an der Strandpromenade, war Rafa schon in Gedanken auf dem Golfplatz. Er würde vor der Golfrunde ein wenig auf die Driving Range gehen, denn eine gute Vorbereitung war nötig. Gegen Marcello, Ramón und Alejandro gewann man nicht, wenn man seine Drives nicht traf und wie er oft mit einem Slice nach rechts ins Aus schlug. Einer der anderen gewann fast immer und Rafa zahlte relativ häufig das sonntägliche Mittagessen im Clubhaus. Und die Biere. Das war ihr Einsatz.
Da klingelte plötzlich sein iPhone. Eine ihm unbekannte Damenstimme meldete sich. „Spreche ich mit Rafa González, dem Privatdetektiv?“
„Das tun Sie, aber wenn das hier dienstlich werden soll, melden Sie sich morgen noch einmal. Es ist Sonntag und ich bin gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Termin.“
„Herr González, ich würde Sie nicht am Sonntag stören, wenn es nicht wichtig wäre. Einem guten Freund von mir ist etwas Schreckliches widerfahren. Geld ist für mich in dieser Sache sekundär, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich schicke Ihnen jetzt sofort meine Adresse. Bis gleich!“ Sie legte auf.
Was für eine eingebildete Person! Einfach aufzulegen und ihn herumzukommandieren. Seine Selbstachtung sollte ihm verbieten, jetzt dorthin zu fahren. Außerdem klang der Auftrag nicht ungefährlich! Er hatte sich nach den tragischen Ereignissen der Vergangenheit fest vorgenommen, seiner Gesundheit den Vorrang einzuräumen. Work-Life-Balance mit ganz viel Life und ganz wenig Lebensgefahr. Nur noch entspannte und gut bezahlte Aufträge annehmen. Gestohlene Oldtimer, untreue Ehemänner, weggelaufene Teenager reicher Familien, so was in der Art. Andererseits hatte der Anruf seine Neugier geweckt. Er könnte sich ja wenigstens einmal anhören, worum es genau ging. Was interessierte ihn daran am meisten? Die Stimme der jungen Frau, die keinen Widerspruch duldete, die Aussicht auf einen gut bezahlten Job oder hatte er doch insgeheim Lust auf Nervenkitzel? Er wusste es nicht, aber absagen konnte er ja immer noch, wenn er mehr Details kannte.
Immerhin lag die Adresse, die gerade auf seinem iPhone reinkam, auf dem Weg zum Golfplatz, also könnte er ja vielleicht beides schaffen. Ein kurzes Gespräch mit einer netten jungen Señorita, die ihm einen gut dotierten Auftrag erteilte, und dann auf den Golfplatz und Marcello, Alejandro und Ramón zeigen, wer der König auf den Grüns ist. Nichts schmeckte besser als ein Mittagessen im Clubhaus, das die Loser zahlen müssen.
1 Fischerviertel
2 Platz der Windmühle
3 Großmutter, alte Frau
4 Das riecht sauber
5 Spanische Variante des italienischen Espresso
6 Zigarillo
77 Meer und Pinien
8 Spanische Beschimpfung vergleichbar Bastard, Arsch
9 Lokale Polizei
10 Blumenviertel
Er fuhr die Avenida de la Música am Supermarkt Mercadona11 vorbei und bog nach zwei Kreisverkehren links in die Calle Carretera ein, um Conil nach Norden zu verlassen. Etwa zwanzig Minuten brauchte sein treues Fahrzeug – Mercedes W-123, 280 CE Coupe, Baujahr 1985, 185 PS, Reihensechszylinder, Servolenkung, silbergrau-metallic, Klimaanlage, die ständig kaputt war – für die knapp acht Kilometer die Küste hinauf. Sein Wagen hatte sehr gut gefederte Ledersitze, manche sagten, man säße auf den Sprungfedern wie auf einem Trampolin. Er hatte es aufgegeben, die Klimaanlage reparieren zu lassen, denn binnen kürzester Zeit war sie immer wieder im Eimer. Dabei brauchte er sie mehr denn je. Früher war es an der Costa de la Luz nicht so heiß. Früher wurde es vielleicht 30 Grad im August. Aber über 40 Grad? Tagelang? Hier?
Wir sind hier nicht in Sevilla oder in Malaga oder im Backofen, wir sind an der angenehm kühlen Atlantikküste, wo die Sommer trocken, aber nicht so unerträglich heiß wie im Hinterland oder an der Costa del Sol sein sollten. Verdammter Klimawandel. Verdammte Hitze. Verdammte Schweißflecken. Verdammtes nasses Hemd. Sein Deo versagte bereits um zehn Uhr morgens, denn schon jetzt zeigte das Thermometer 32 Grad. Und dass er gestern Abend ein bisschen zu viel Wein gehabt hatte, hatte mit der Schwitzattacke rein gar nichts zu tun. So viel war sicher!
Nach ein paar Minuten Fahrt über aufgerissenen, schwarzen Asphalt, der durch einen üppigen Pinienhain auf orange-roter Erde führte, erreichte er Roche. Roche war ein seltsamer und charakterloser Ort ohne jeden Charme. Mitte der siebziger Jahre hatte ein Immobilienhai mit guten Kontakten zur Politik die Genehmigung erhalten, in den unberührten Pinienwald eine Feriensiedlung hineinzubetonieren: Sein Name war Joaquin Pérez Sr.
Señor Perez Sr. hatte die halbe Costa de la Luz nach seinem Gusto gestaltet. Ein paar Kilometer weiter die Küste hoch in Novo Sancti Petri hatte er bei einem alten verlassenen Fischerdorf vier Golfplätze errichten lassen und kreisförmig herum unzählige Luxushotels geplant sowie eine überdimensionierte Marina in der Mündung einer Lagune anlegen lassen. Eigentlich handelte es sich um fünf Golfplätze, wie Rafa sehr gut wusste, aber den fünften, Chiclana Family Golf, ein kleiner, aber netter 9-Lochplatz, ideal für Familien, kannte kaum jemand.
Der Yachthafen bot knapp 100 Yachten mit bis zu zwölf Metern und hunderten von kleineren Booten Platz. Am Anfang der Mole legte im Sommer eine Fähre zur vorgelagerten Insel ab. Auf ihr befand sich eine halb verfallene Burg, das Castillo de Sancti Petri. Das Beste an dem halb verfallenen Gemäuer war der kleine Kiosk im Burghof, der im Sommer eiskaltes Bier (200 ml Cruzcampo, rotes Etikett, drei Euro) und ausgewählte Tapas, unter anderem schmackhafte Oliven, verkaufte.
Früher hatte die Burg wohl mehr hergemacht. Es handelte sich bei ihr immerhin um den berühmtesten Tempel der Antike: den Tempel von Herkules, der auch Melqart genannt wurde. Angeblich soll Herkules die Stadt Cádiz gegründet haben, während er eine seiner zwölf Arbeiten vollbrachte: den Diebstahl der Stiere von König Geryon von Tartassos. Zum Dank für die Stadtgründung ist er bis heute auf den Wappen der Stadt Cádiz, der Provinz Cádiz, des Fußballklubs von Cádiz und der Autonomen Region Andalusien zu sehen. Im Goldrahmen des Stadtwappens befindet sich die lateinische Inschrift HERCULES FUNDATOR GADIUM DOMINATORQUE12. Das Beste an Novo Sancti Petri, neben dem wunderbaren Strand, waren nach Rafas Meinung die Golfplätze und auf einem dieser Plätze war er gleich verabredet.
Hier in Roche hatte Joaquin Pérez Sr. schachbrettartig Straßen in den Wald fräsen lassen und sie nach europäischen Ländern benannt. Was für eine einfallslose Idee. Ihn ärgerte die sinnlose Zerstörung für so einen künstlichen Retortenort mit zugegebenermaßen grandiosem Strand. Außer überdimensionierten Villen, zwei Restaurants, einer Strandbar und einem kleinen supermercado13 gab es hier nicht viel. Alles war viereckig und steril. Kein Charme, keine Tradition, kein Zauber. Außerhalb der Sommersaison war der Ort mausetot. Das hier hätte sogar Rafa eleganter gestalten können, ohne jemals Stadtplanung oder Architektur studiert zu haben.
Er fuhr die Av. Belgica entlang und passierte den Kreisverkehr an der Ecke zur Avenida Alemania. Wenigstens hatten sie auf der Insel in der Mitte des Kreisverkehrs ein paar Pinien stehen lassen. Schnaubend bog Rafa rechts in die Avenida España ein, um dann bald links abzubiegen in die Avenida Francia. Den Franzosen hatte man die vornehmste Lage in Roche gegönnt: erste Reihe am Strand. Häuser mit privatem Strandzugang und Infinity Pool. Warum gerade den Franzosen? Das hätte er Joaquin Pérez Sr. gerne einmal gefragt, der eigentlich doch stolzer Spanier und sogar Ex-Präsident von Real Madrid war, aber daraus würde wohl nichts mehr werden, wenn es stimmte, was in den Zeitungen über seinen Gesundheitszustand zu lesen war.
Als er in die Avenida Francia einbog, musste er scharf bremsen. „Me cargo en la hostia14!” Wer kam denn da wie ein Wahnsinniger aus der 30er-Zone geschossen! Ein weißer Pick-Up mit übergroßen Reifen. Da hielt sich wohl ein Clown für Colt Seavers. Auf der Tür an der Seite war ein großes Logo irgendeiner Firma angebracht. Er glaubte, Perla ltd15 gelesen zu haben. Hatte er von der Firma schon einmal Werbung gesehen? Er erinnerte sich nicht.
Dahinter kam ein brauner VW Passat mit einem alten Bekannten: Geraldo Frailes. Der gedrungene Immobilienanwalt mit Vollbart und einer unübersehbaren Leidenschaft für gutes Essen hatte im Laufe der Jahre häufig seine Wege gekreuzt. Er hatte ihm sogar einmal aus der Patsche geholfen, als er sein Haus im Barrio de los Pescadores gekauft hatte. Sein Vater hatte das Haus nicht ihm vermacht, sondern an wohlhabende Ausländer verkauft. Das war wohl die ultimative Strafe des Vaters für Rafa, denn er hatte genau gewusst, wie sehr Rafa an dem Haus hing.
Rafa war eine Zumutung für seine Eltern gewesen. Als Erster nach unzähligen Generationen war er kein Anwalt geworden. Er hatte zwar Jura studiert und sogar einen super Abschluss summa cum laude gemacht, doch dann war er nicht in die Kanzlei eingestiegen. Ein ruhiges Leben in einer feinen Kanzlei mit lukrativen Mandaten, ausgesuchten Kunstwerken an den Wänden unter den hohen Stuckdecken, Siebträgerespressomaschine und Designermöbeln war ihm vorbestimmt gewesen. Er hätte nur Ja sagen müssen, alles war arrangiert.
Aber er war zur Polizei gegangen. Als später das Unsagbare mit seiner Familie passiert war, hatten seine Eltern den Kontakt zu ihm abgebrochen. Den Verlust der Enkel hatten sie nie verwunden. Rafa hatte lange versucht, das alte Haus zurückzukaufen. Als die Immobilie dann tatsächlich auf den Markt kam, waren die Verkäufer zerstritten. Ein Scheidungsfall. Englisches Familienrecht. Er hatte zwei Jahre auf die Scheidungspapiere der Verkäufer aus England warten müssen, aus denen hervorging, wem der Zerstrittenen das Haus denn überhaupt gehörte. Das musste dann noch ein spanischer Notar und das spanische Registro de la propiedad16 verstehen. Ohne gute Kontakte ging so etwas nicht. Und Geraldo Frailes hatte gute Kontakte. Jeder kannte ihn. Seit er in der halben Stadt sein Konterfei auf übergroße Werbeplakate gedruckt hatte, kannten ihn sogar die Guiris.
Rafa parkte vor der Nummer 69, die man ihm genannt hatte, da überkam ihn das seltsame Gefühl, dass er beobachtet wurde. Das Anwesen war von einer drei Meter hohen, weißen Mauer umgeben. Die Frontseite des Komplexes war gut dreißig Meter breit. In der Mitte befand sich ein mächtiges Holztor mit Eisenbeschlag, ebenso hoch wie die Mauer. Links und rechts am Rand waren Überwachungskameras angebracht, die auf das Tor gerichtet waren.
Rafa suchte nach einer Klingel, einer Glocke, nach irgendetwas, um sich bemerkbar zu machen, aber da war nichts. Nach wenigen Sekunden der erfolglosen Suche gab es ein Geräusch, ein Klicken. Dann schwang das Tor wie von selbst nach innen auf. Er trat in eine Art riesiges Patio: am Boden weißer Marmor, rechts und links am Rand im regelmäßigen Abstand jeweils zehn meterhohe Palmen. Der weiße Marmor des Innenhofs stand drei Zentimeter unter Wasser, nur in der Mitte befand sich ein leicht erhöhter Weg, ebenfalls aus Marmor, der trocken war. Er führte geradeaus zur Eingangstür.
Auch die öffnete sich von selbst, als Rafa sich näherte. Er ging hinein und hatte keine Augen für die elegante Empfangshalle, denn nun sah er sie. Daniela Leona. Er erkannte sie sofort. Das italienische Model hatte international Karriere gemacht, seit sie die Ehefrau von Joaquin Pérez Jr., Ex-Fußballprofi und Sohn des Immobilienmagnaten Joaquin Pérez Sr., geworden war. Während seiner Zeit in Mailand hatten die beiden sich kennengelernt. Ursprünglich hatte ihn Real Madrid verpflichtet – ein purer Zufall, dass sein Vater damals Präsident von Real gewesen war. Dort hatte er außer seinem Vater aber niemanden überzeugen können. Als Rechtsaußen, als Schienenspieler, wie man heute sagt, musste man schnell sein und einen feinen Fuß haben. Er wurde nach Italien verliehen zu einem Club in der zweiten italienischen Liga, um Erfahrung zu sammeln. Das tat er auch, allerdings mehr neben dem Platz als darauf. Er tobte sich im Nachtleben Mailands gründlich aus. Manche sagen, er wurde deshalb ins Ausland verliehen, damit Gras über ein paar unschöne Geschichten wachsen konnte. Nach einem Kreuzbandriss war seine Karriere dort dann zu Ende gegangen, bevor sie hatte beginnen können, und er war in die Immobilienfirma seines Vaters eingestiegen.
In natura war Daniela noch schöner als in der Hola17. Er hatte kürzlich beim Zahnarzt ein paar Klatschzeitschriften durchblättert und war bei Paparazzi-Fotos aus ihrem Sommerurlaub in Sotogrande hängen geblieben und hatte die Titelstory gelesen. Wenn der Artikel stimmte, stammte sie aus Mailand und kam aus einfachen Verhältnissen. Als jüngstes von sechs Geschwistern war sie dort aufgewachsen. Sie hatte in Mailand für mehrere Modelabels gemodelt, aber richtig bekannt wurde sie erst durch ihre Hochzeit mit Joaquin Pérez. Danach ging es für sie steil bergauf. Ihr perfekter Körper und ihr unschuldiges Lächeln hatten ihr zahlreiche internationale Modelaufträge eingebracht. Momentan war sie europaweit auf den Plakaten einer italienischen Bademodenfirma zu sehen.
Ihre grazile Schönheit verschlug auch Rafa die Sprache. Lag es an der Klimaanlage oder an ihrem roten Kleid, dass er Gänsehaut bekam? Immerhin war ihr auch kalt: Er konnte unter ihrem Kleid deutlich ihre harten Brustwarzen erkennen. Die Brüste konnten eigentlich nicht echt sein, dafür waren sie zu perfekt. Groß und rund. Sie schienen der Schwerkraft zu widerstehen.
Gut investiertes Geld, dachte er.
„Kommen Sie doch herein, bitte.“ Er tat, wie ihm geheißen, und folgte ihr, um dann wie gewünscht auf dem langen Ledersofa mit Blick über die Terrasse, den Garten und den Infinity Pool Platz zu nehmen. Dahinter der Atlantik, der im Moment eher an das Mittelmeer oder den Gardasee erinnerte: keine Brandung, nur das endlose, wunderschön glitzernde Hellblau des Ozeans.
„Ay perdón18, was darf ich Ihnen zu trinken anbieten? Bei dieser Hitze … Hätten Sie gern ein Wasser oder eine Cola?“
„Ein stilles Wasser für mich, bitte!“
Sie schlug die endlos langen, braun gebrannten, glatten Beine wieder auseinander und setze wie in Zeitlupe einen Pfennigabsatz ihrer hohen roten Sandalen nach dem anderen auf den Boden. Er betrachtete ihre zarten Füße und die perfekt pedikürten roten Fußnägel. Ferrari-rot, wie ihre Schuhe. Exakt der gleiche Farbton. Er wusste solche Details durchaus zu schätzen. Es sind die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.
Sie stand auf und er sah erst jetzt, dass ihr Kleid an der Seite hoch geschlitzt war, und zwar bis über die Hüfte. War ihr Höschen durchsichtig oder trug sie keins? Er tippte auf das Zweite, aber das konnte auch an der Hitze liegen. Sie schwebte im Modelgang mit wippenden Hüften in den Nebenraum und kam mit einer Flasche Wasser zurück, nur um sich erneut umzudrehen, ihre langen blonden Haare wie in Zeitlupe zurückzuwerfen und sich vor einen großen, dunklen Wandschrank zu stellen. Aus dem obersten Fach holte sie schwere Kristallgläser heraus. Er schaute von unten nach oben an ihr hoch.
„Hier bitte, Ihr Wasser!“ Sie reichte ihm das Glas. An dem Gelenk ihrer linken Hand hing eine goldene Rolex Lady Datejust, auf dem Zifferblatt Diamanten.
„Vielen Dank, Señora. Wie ich bereits sagte, bin ich auf dem Weg zu einem dringenden Termin. Ich muss Sie also bitten, schnell zur Sache zu kommen. Was kann ich für Sie tun?“
Verzeihen Sie bitte
Sie rückte näher und säuselte vertrauensvoll: „Bei Ihrem Aufzug kann ich mir gut vorstellen, um was für einen Termin es sich handelt. Ich gönne Ihnen Ihre Runde Golf und werde mich daher kurzfassen. Meine Familie besitzt ein Grundstück in den Bergen hinten bei Barbate. Unbebaut, unspektakulär, alles voller Ungeziefer. Dort ist kürzlich etwas Furchtbares geschehen. Unser lieber alter Nachbar Pedro, ein gutmütiger Olivenbauer, wurde ermordet. Sehen Sie dort auf dem Esstisch die Flasche? Das ist Pedros Olivenöl. Er hat es uns immer geschenkt, obwohl er selbst oft kaum über die Runden kam. Er war so ein guter Mensch!“ Sie begann bitterlich zu weinen. „Nun wird die Guardia Civil alle Nachbarn befragen, auch meine Familie und mich. Ein gelangweilter Beamter hat mich angerufen. Ich habe die Befürchtung, dass unsere Freunde und Helfer den Fall so schnell wie möglich zu den Akten legen wollen!“
Er konnte es nicht ertragen, wenn schöne Frauen weinten. „Señora, das wird sich sicher alles aufklären. Die Guardia Civil wird sich darum kümmern.“
„Ja, aber Sie mit Ihren alten Kontakten zur Polizei und zur Guardia Civil könnten doch sicher helfen? Vielleicht könnten sie den Täter finden, falls die Guardia Civil scheitert?“ Sie schaute ihn mit ihren großen, blauen Augen an. Ihr Make-up war verschmiert.
„Eigentlich ist Mord und Totschlag nicht mehr mein Metier. Ich bin nicht mehr bei der Guardia Civil und als Privatdetektiv konzentriere ich mich auf andere Dinge.“ „Ich bitte Sie inständig, Sr. Gonzalez. Mir würde es sogar schon reichen, wenn sie mit ihren alten Bekannten von der Guardia Civil sprechen würden und schauen, ob die ihre Arbeit machen. Ich kann Ihnen ein Honorar von 1.000 € pro Tag anbieten und wenn Ihnen die Sache zu heiß wird, steigen Sie jederzeit einfach aus.“
„Nun gut, ich kann ja mal sehen, was ich tun kann. Es sollte kein Problem sein, in Erfahrung zu bringen, wer von den Offiziellen sich um den Fall kümmert und in welche Richtung die Ermittlungen gehen. „Das ist großartig! Ich bin Ihnen sehr dankbar dafür! Bitte halten Sie mich unbedingt Tag und Nacht auf dem Laufenden. Das meine ich ernst.“ „Gerne Señora. Was können Sie mir denn über den Toten sagen? Sie sagen, er war nicht wohlhabend. Gab es denn bei ihm irgendetwas zu holen? Hatte er Feinde?“ „Nein, das ist es ja. Pedro war ein einfacher Bauer. Er hatte nicht viel Geld, er kam gerade so über die Runden und war aufgrund seiner herzlichen Art bei allen beliebt. Ich habe keine Ahnung, wer ihm das angetan haben könnte. Und nun danke ich Ihnen für Ihre Zeit und wünsche viel Spaß auf dem Golfplatz.“
Sie nickte ihm zu und wies auf die Tür. Ohne seine Reaktion abzuwarten, stand sie auf und ging mit langen, eleganten Schritten zur Fensterfront, wo sie eine große Schiebetür öffnete. Er stand auf und ging in die entgegengesetzte Richtung zur Haustür, um zu gehen.
Kurz davor blieb er stehen und schaute noch einmal über die Schulter zu ihr hinüber. Auf der Terrasse vor dem Pool blieb sie stehen. Sie schaute aufs Meer und beachtete ihn nicht mehr. Als wäre er nie dagewesen, strichen die langen Fingernägel ihrer Zeigefinger vom Ansatz ihres langen Halses in beide Richtungen über ihren muskulösen Nacken Richtung Schultern. Dabei streifte sie die dünnen Träger ihres roten Seidenkleides über die Schultern. Das Kleid glitt langsam über ihren perfekt geformten Körper zu Boden. Jetzt sah er, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte. Das Einzige, was sich von ihrem olivbraunen Körper abhob, waren weiße Bräunungsstreifen zwischen ihren wohlgeformten Pobacken. Anscheinend trug sie sonst einen kleinen dreieckigen brasilianischen Tanga. Sie trat einen Schritt vor, aus dem am Boden liegenden Kleid heraus, stieg aus ihren Schuhen, hob die Arme nach oben und verschwand mit einem eleganten Hechtsprung im Pool.
Erregt ging er hinaus zu seinem Auto. In seinem Alter war eine Erektion grundsätzlich ein durchaus erfreuliches Ereignis, aber diese kam irgendwie unpassend. Hoffentlich war sie bis zum ersten Abschlag wieder weg. Er fuhr die Avenida España in Richtung Novo Sancti Petri hinunter. Dabei schaute er hektisch auf die Uhr, es sah so aus, als würde er seine Golfrunde noch schaffen. Wie so oft würde er gehetzt am ersten Loch angerannt kommen und den ersten Drive rechts in den Fairwaybunker oder gleich in die Villen am Fairway Rand schlagen. Marcello, Ramón und Alejandro würden heute vermutlich wieder auf seine Kosten zu Mittag essen.
Als er seinen Wagen an der Straße vor dem Clubhaus parkte, bekam er eine Mitteilung aufs Handy. Es war Daniela. Sie schickte ihm eine Adresse zwischen Conil und Barbate im Nationalpark Brisas y marismas de Barbate die Küste runter. Anscheinend war ihre Abkühlung im Pool bereits beendet. Er kannte die Gegend ganz gut, er war dort mit seiner Familie damals an den Wochenenden oft wandern gewesen. Seit sie alle tot waren, war er aber nicht mehr dort gewesen. Warum auch? Alles dort würde ihn erneut verletzen. Die Erinnerungen an die glücklichen Zeiten taten noch zu sehr weh.
11 Spanische Supermarktkette
12 Latein: Herkules, Gründer und Herrscher von Cádiz
13 Supermarkt
14 Übler spanischer Fluch
15 Spanisch: Perlen GmbH
16 Grundbuchamt
17 Spanische Hochglanz-Klatschzeitschrift
Es war zwei Uhr nachts auf der Isla Mayor. Eine Nacht wie viele andere Sonntagnächte. Miguel schlug sich mit der blanken Hand in den Nacken. Verdammte Mosquitos! Er hatte von den Vorfällen in Coria del Rio und La Puebla del Rio gehört. Beide Dörfer lagen unweit der Isla Mayor am Guadalquivir, dem fünftlängsten Fluss Spaniens. In beiden Orten waren dieses Jahr zusammen bereits 50 Personen am West-Nil-Fieber gestorben. Meist waren die Betroffenen älteren Jahrgangs, aber Angst machte ihm die Invasion der neuen Mückenart trotzdem. Vielleicht war an dem Klimawandel doch etwas dran. Er war jung und fit, aber bei seinem Job war er jede Woche hier draußen und die Mücken waren vermutlich der schlimmste Part an seiner „Arbeit“. Diese Scheiß-Mücken. Und die Scheiß-Warterei.
Er hockte mit seinen beiden Begleitern in kurzer Jeanshose, grünem T-Shirt und Gummistiefeln hinter einem Ginsterbusch und beobachtete angestrengt den Fluss. Hier im Nationalpark Coto de Doñana an der Costa de la Luz waren die Mücken heute Nacht die einzigen Zeugen. Seit der Erweiterung im Jahr 2004 war der Nationalpark über 50.000 Hektar groß, dazu kamen noch einmal über 25.000 Hektar als Umweltschutz-Pufferzone. Der Park dehnte sich von Sanlúcar de Barrameda bis nach Huelva aus. Wer von Conil in Spanien an die Algarve nach Portugal fahren wollte, musste seinetwegen einen mehrstündigen Umweg über Sevilla nehmen.
Der Nationalpark war Spaniens wichtigstes Feuchtgebiet. Manche sagten gar: Europas wichtigstes Feuchtgebiet. Der Nationalpark bildete nämlich nicht nur eine einzigartige Landschaft, auch die Fauna war einzigartig. Hier überwinterten tausende Zugvögel, hier lebten seltene Vogelarten wie Flamingos, Zwergadler, Geier und zahlreiche Rehe und Hirsche, diverse Schlangenarten und auch Raubtiere wie der andalusische Luchs waren hier heimisch.
Miguel mochte Feuchtgebiete, denn der Nationalpark in der Schwemmlandschaft der Guadalquivir-Mündung hatte sich in den letzten Jahrzehnten zum größten Einfallstor des Haschisch-Schmuggels nach Europa entwickelt. Der Guadalquivir-Fluss war Europas Drogenautobahn Nummer Eins geworden und gab Miguel und vielen anderen Arbeit. Seine hunderten unübersichtlichen Kanäle und Nebenflüsse und seine schwierige Zugänglichkeit machten ihn zu einem idealen Versteck für die Haschisch-Schmuggler.
Wann kamen diese Scheiß-Morros19 endlich? Es dauerte weitere 20 Minuten bis eine Lancha20 mit hoher Geschwindigkeit den Guadalquivir hinauf kam, bis zu einer der kleinen Anlegestellen, wie sie von den Aal-Anglern in dieser Gegend errichtet und benutzt wurden. Das Schnellboot hatte alle Lichter ausgeschaltet. Man konnte ihre Ankunft nur an ihrem Motorlärm festmachen und an den schemenhaften Umrissen im Mondschein. Wie fanden die Morros ohne Licht überhaupt den Weg den Fluss hinauf und wieso liefen sie nie auf eine der vielen Sandbänke auf? Vermutlich hatten sie GPS und Sonar an Bord oder sie benutzten Nachtsichtgeräte, glaubte Miguel.
Als die Lancha angehalten hatte, sprangen Miguel und seine beiden Begleiter schnell zum Boot, um die Fracht abzuladen und sie zu den in der Nähe geparkten Todoterrenos21 zu bringen. In zehn Minuten hatten zwei Tonnen Haschisch den Besitzer gewechselt, dann schoben sie das Boot ächzend zurück aufs Wasser. Die beiden großen Außenbordmotoren der Lancha wurden angelassen und schrien wie wild auf. Das Boot drehte ab und machte sich auf seinen Rückweg die Küste hinunter in Richtung Marokko.
Die Geländewagen mit der Ware fuhren nach La Puebla. Dort warteten gelbe Lieferwagen eines bekannten Online-Versandhandels. Die Ware wurde in Original-Verpackungen des Versandhändlers verpackt. Die Fahrer verdienten sich so etwas dazu und hatten kaum ein Risiko. Wenn die Polizei oder die Guardia Civil sie anhalten sollten, würden sie sagen, dass sie nur Pakete auslieferten und die Ladung nicht kannten. Diese Variante des Schmuggels war simpel wie effektiv.
Sein Boss Francisco Castrana wusste, was er tat, und hatte viele Leute auf dem Gehaltszettel, was ein offenes Geheimnis war. Sein Boss war untouchable. Seine Operationen flogen niemals auf, zumindest nicht wenn er es nicht wollte. Wenn einer seiner Deals einmal platzte, hatte das seine Gründe. Dann brauchte einer seiner Freunde bei der Guardia Civil oder jemand in der Politik dringend einen Erfolg und Francisco Castrana brachte ihm ein kleines Opfer als Gegenleistung für ungestörte Geschäfte.
Der ganze neumodische Scheiß, den die konkurrierenden Narcos durchzogen, war viel zu auffällig. Er glaubte manchmal, die Kokainschmuggler konsumierten zu viel von ihrer eigenen Ware, sonst würden sie nicht so verrückte Dinge versuchen. Kürzlich war eine Flugschule in Medina-Sidonia hochgenommen worden. Die Flugschüler waren auffällig oft in Marokko gewesen. Sieben Cessnas waren zum Transport der Drogen eingesetzt worden und die flogen jede Woche immer nur nach Marokko. Natürlich fiel so etwas auf.
In Marbella war Ende 2019 sogar ein U-Boot samt Kokain im Wert von 100 Millionen Euro beschlagnahmt worden, das zum Drogenschmuggel verwendet worden war. Ein U-Boot! Idioten! Was war bitte auffälliger als ein U-Boot? Man konnte froh sein, wenn die spanische Armada und die NATO das Ding nicht als militärische Bedrohung wahrnahmen und bei der Überfahrt versenkten. Eine Surfschule importierte 100 Surfbretter aus Kolumbien. Alle voller Koks. Die Ideen der Schmuggler waren so grenzenlos wie der Profit.
Als einmal eine Lancha voller Drogen auf ein Riff vor Sanlúcar de Barrameda lief und unzählige Drogenpäckchen an den Strand gespült wurden, rannten hunderte Einwohner an den Strand, sammelten die Päckchen einfach auf und hauten damit ab, obwohl ein Militärhubschrauber über ihren Köpfen kreiste und obwohl die Guardia Civil mit mehreren Booten in Sichtweite war. Wer über das Geschäft auspacken wollte, wurde dagegen auf offener Straße hingerichtet.
Das Geschäft war brutal und zu lukrativ in einer Gegend, in der es sonst kaum Jobs gab. Pro Tour konnten die von Arbeitslosigkeit um ihre Träume betrogenen Jugendlichen 3.000 € machen. 3.000 € für eine Nacht Arbeit. In einem Monat mit vier Touren würde Miguel ungefähr so viel verdienen wie ein Kellner in einer der vielen Standbars in einem ganzen Jahr. Nach einer Saison war man damit so wohlhabend, dass man sich ein kleines Apartment oder vielleicht sogar ein Häuschen im Campo kaufen konnte. Dann könnten seine Freundin und er endlich zu Hause ausziehen und ihr Leben beginnen. Miguel müsste sich nicht mehr ständig die Vorwürfe seiner keifenden Mutter anhören. Bald war es so weit.