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Vier Kriminalgeschichten aus dem bayerischen Oberland. Regionalkrimis, die dazu gedacht sind, mit musikalischer Begleitung vorgelesen zu werden.
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2020
Die hier vorliegenden vier Konzertkrimis erlebten ihre Uraufführung im Rahmen einer Konzertreihe Bad Tölz. Mit dem „Mord im Konzerthaus“ erfüllte ich mir den persönlichen Wunsch, einmal einen Krimi zu schreiben. Ich liebe Krimis, ich liebe es zu schreiben und ich suchte eine Möglichkeit, Texte in ein Konzert einzubinden. Diese Texte sollten einen Zusammenhang haben, sozusagen ein Dach über den Abend spannen. Dadurch wurden wir völlig frei in der Auswahl der Musikstücke und konnten so jedes Konzert unterschiedlich gestalten. Die Besetzung besteht immer aus Erzähler und Klavier plus einer/m zusätzlichen Sprecher oder Sängerin.
„Wir“. Das waren zunächst Elisabeth Artmeier (Sopran), Peter Wolff (Klavier) und ich als Erzähler. Später kamen Johannes Behrens als Stimme des Dr. Kerbelmeier und Christine Adler als Bibliotheksleitung Frau Johnson hinzu, Annika Fritzsch-Hofmann übernahm gelegentlich den Gesangspart. Am Klavier wechselten Timm Tzschaschel und Stefan Delanoff ab. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank für die Inspiration und die Unterstützung.
Krimi Nummer zwei und drei folgten relativ schnell aufeinander und fast zeitgleich, denn die Besetzung musste kurzfristig geändert werden.
Es sind zunächst Krimis zum Vorlesen. Eine Aufführungsdauer von 60 bis 90 Minuten sollte nicht überschritten werden. Man möge bitte bedenken, dass es sich um Konzertkrimis handelt, nicht um Kriminalromane.
Die musikalischen Nummern haben sich, wie gesagt, Abend für Abend geändert. Um den Lesefluss nicht zu unterbrechen, habe ich musikalische Vorschläge für dieses Buch ausgeschrieben, die nächststehende Leerzeile wäre der Moment des musikalischen Beitrages.
Für die Mithilfe bei der Erstellung danke ich besonders Johannes Behrens für das Lektorat und Martin Lauterbach für die grafische Umsetzung.
Ein besonderer Dank an den Fotografen Hagen Schnauss. Von ihm stammt das Originalfoto auf der Titelseite. Besuchen Sie ihn auf www.hagenschnauss.de.
Ich wünsche viel Vergnügen!
Inspektor Bammer und der Mord im Konzerthaus
B
ESETZUNG
: Erzähler, Sängerin (die auch die Ballade liest und lacht), Pianist (der auch die Bühne verlässt und beim zurückkehren der Sängerin eine Kusshand zuwirft)
A
UFFÜHRUNGSHINWEIS
: Die Geburtstagskarte muss vorbereitet werden und in der ersten Reihe des Saales deponiert werden.
Giuseppe Giordani: C
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Franz Schubert: D
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Giacomo Puccini: W
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aus ,La Boheme‘
Francesco Sartori: C
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Robert Schumann: T
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,Der Vogelhändler‘
Johannes Brahms: U
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Bach/ Gounod: A
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Inspektor Bammer und der Fall in der Stadtklinik
B
ESETZUNG
: Erzähler, Sprecher der Aufzeichnungen des Dr. Kerbelmeier, Pianist
Domenico Scarlatti: K
LAVIERSONATE
141
Ludwig van Beethoven: K
LAVIERSONATE
N
O
. 23,
OP
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ONDSCHEINSONATE
‘
Pjotr Iljitsch Tschaikowski: Walzer op. 39, No. 9
Frederic Chopin: N
OCTURNE IN
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O
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W. A. Mozart: K
LAVIERSONATE
N
O
. 11
IN
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UR
, KV 331
Johannes Brahms: Z
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HAPSODIEN
op. 79
Franz Liszt: K
LAVIERSONATE H
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TRETTA QUASI PRESTO
Robert Schumann: ,V
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Guiseppe Verdi: T
RIUMPF
M
ARSCH
aus ,Aida‘
Inspektor Bammer und der Fall im japanischen Kaiserpalast
B
ESETZUNG
: Erzähler, Sängerin, Pianist
A
UFFÜHRUNGSHINWEIS
: Auch der Erzähler darf ab und an ein
Lied singen.
Hugo Wolf: Z
UM NEUEN
J
AHR
(Empfehlung: Brigitte Fassbaender)
Hugo Wolf: D
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G
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Leonard Bernstein: G
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A
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G
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aus ,Candide‘
Giacomo Puccini: T
U CHE DI GEL SEI CINTA
Arie der Liu aus ,Turandot‘
Joseph Marx: J
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EGENLIED
(Empfehlung: Dorothy Irving
Ludwig van Beethoven: N
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(Empfehlung: Barbara Hendricks)
Robert Schumann: K
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UPRECHT
Franz Schubert: M
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N
O
5
Franz Liszt: V
ERGIFTET SIND MEINE
L
IEDER
(Empfehlung: Brigitte Fassbaender)
Johannes Brahms: Ü
BER DIE
H
EIDE
op. 86 Nr. 4
Inspektor Bammer und der Fall mit der griechischen Lyrik
B
ESETZUNG
: Erzähler, Schauspielerin (die die Texte der
Frau Johnson und auch das Gedicht der Sappho auf der CD spricht), Pianist
A
UFFÜHRUNGSHINWEIS
: Erzähler und Schauspielerin können beide auch Lieder zum Besten geben. Hier haben wir auch modernere Lieder und Popsongs ausgewählt.
Johannes Brahms: R
EGENLIED
Ludwig van Beethoven: Klaviersonate No. 21, W
ALDSTEINSONATE
‘
Gustav Mahler: G
ING HEUT
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MORGEN ÜBERS
F
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aus ,L
IEDER
EINES FAHRENDEN GESELLEN‘
Johann Sebastian Bach: F
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578
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MOLL
Johannes Brahms: S
APPHISCHER
O
DE
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OP
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R
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Frederic Chopin: S
CHERZO
N
O
. 2 (Empfehlung: Martha Argerich, 1966)
Edvard Grieg: B
ERCEUSE
aus den lyrischen Stücken op. 38 (Empfehlung: Emil Gilels)
Franz Liszt: K
LAVIERSONATE H
-
MOLL
, S
TRETTA QUASI PRESTO
Serge Prokoviev: T
OCCATA OP
. 11
W. A. Mozart: A
NDANTE
, K
LAVIERSONATE
D-D
UR
KV 311
Frederic Chopin: P
RELUDE
N
O
. 16
OP
. 28
FÜR ELISABETH ARTMEIER-MOGL
Ja, es war genau in diesem Saal und gerade deshalb ließ sich Inspektor Bammer dazu überreden, endlich einmal von seinem kuriosesten Fall zu berichten, dem Fall im Konzertsaal. Der Inspektor saß eingeklemmt zwischen Luise Kammerwerth und Edward Kempen, seinen alten Freunden, in Reihe 10. Edward, der alle Karriereschritte von Inspektor Bammer miterlebte, wie auch alle seine Ideen und Überlegungen zu den schwierigsten Kriminalfällen, saß entspannt und wartete mit Vorfreude. Er war für ein paar Tage aus der Nähe von Edinburgh herübergekommen. Wie es zur Lösung dieses Falles kam, war für Edward selbst noch unfassbar. Auch Luise hatte die Vorkommnisse dieses Falles nur am Rande mitbekommen. Fälle, an denen sie nicht direkt beteiligt war, nahm Luise grundsätzlich nicht ganz ernst. Dass Inspektor Bammer geplant hatte, Luise und ihn in ein Konzert hierher einzuladen, war Edward beim Ablegen der MS Princess Anne in Dover nicht bewusst gewesen.
„Goldene Säulen und ein ehrbares Publikum, wie wir auch heute von einem ebensolchen umgeben sind, genau so saß ich seinerzeit“ zischte der Inspektor in Luise Kammerwerths Ohr. Luise hatte ihren 80. Geburtstag in weit zurück liegender Zeit gefeiert und wie man munkelte nicht nur einmal. Sie liebte die glänzende Umgebung, die so tat, als wäre der König nicht kinderlos im See ertrunken und als würde das Haus Wittelsbach bis heute ein glückliches Bayern wahrhaftig und großherzig regieren.
Einige Male hatte Edward den Inspektor darum gebeten doch einmal darzulegen, wie er auf die Lösung dieses Falles, dieses tragischen Falles kam. Wie konnte er so schnell alle Indizien feststellen und zu einer Lösung verbinden? Der Inspektor zog sein neues, schottisches Tweed Jackett glatt, halb geschmeichelt über das Interesse an seinem Fall, der noch vor wenigen Wochen die ersten Seiten der Stadtzeitungen stürmte und halb verzweifelt für den Fall, dass das vor ihnen liegende Konzertprogramm nicht ausreichte, seinen kriminalistischen Ausführungen einen passenden Rahmen zu geben.
„Gut, meine lieben Freunde, lasst mich euch diese Geschichte also Schritt für Schritt erläutern. Unser Konzert hat ja noch nicht begonnen. Damals übrigens saßen wir hier in der Mitte des Saales, vierte oder fünfte Reihe und hatten noch keine Ahnung.“
„Wie spannend! Ich bin schon ganz aufgeregt – erzähle!“ japste Luise Kammerwerth. Zu Edward gebeugt flüsterte Inspektor Bammer „Ich hoffe, sie bekommt keine gesundheitlichen Probleme, wenn ich ihr hier an eben diesem authentischen Tatort diesen schrecklichen Fall schildere.“
Edward Kempen zwirbelte an seinem Schnurrbart und grinste: „Ich denke, ihre Blase hat sie im Griff.“
„Hm, Schmutzfink“ raunte ihm der Inspektor entgegen und wandte sich erneut zu Luise, die ihrem Alter entsprechend nichts von der eben stattgefundenen Konversation verstanden hatte.
Der Inspektor sah in die erwartungsvollen Augen Luises und begann: „ Also, lasst mich überlegen. Es war ein Kurkonzert wie jedes andere und man unterhielt sich wie gewöhnlich über dies und das. Dann wurde es dunkel und die Sängerin trat auf. Ihr folgte ein Pianist. Das erste Stück, welches zu Gehör gebracht werden sollte, war, glaube ich, die altitalienische Arie ,Caro mio ben‘. Gut gelaunter Applaus begleitete die beiden an den Flügel.“
Der Inspektor erzählte weiter: „Die Künstlerin verbeugte sich und schien sich für einen Moment nicht sicher, ob sie die Bühne verlassen sollte oder nicht. Ein Mann erhob sich in der ersten Reihe. War jetzt schon eine Pause angedacht? Eine kleine Irritation lag in der Luft. Aber dass ein Zuhörer den Saal verließ, konnte für eine Sängerin dieses Ranges doch kein Grund zur Verwirrung sein. Sollte ein anderer Künstler auftreten? Nichts tat sich. Die Sängerin stand nur am Flügel und wirkte verunsichert. Sie sah, ich möchte fast sagen, über den leer gewordenen Platz verängstigt ins Publikum. Gerade so, als würde sie etwas Schlimmes erwarten oder als habe sie eine bösartige Vision. Danach schien mir, als würde sie auch mich ansehen. Ihr Blick aber war ganz unpersönlich, geradezu kalt. Kennt ihr diese Momente, wo man als geübter Zuschauer unmittelbar mitbekommt, dass jetzt eine Panne passiert ist?“
„ Aber ja“, unterbrach Edward Kempen und übersah den Blick des Inspektors, der eindeutig ,das war eine rhetorische Frage, du Dumpfpinsel' auszudrücken versuchte. „Ich war einmal im Burgtheater, die große Paula Wessely spielte. Ich war mit einer Cousine meiner Mutter dort und was soll ich sagen, plötzlich ging der Text nicht weiter. Die Wessely war einfach stecken geblieben und die junge Kollegin, die neben ihr auf einer Gartenbank saß, schien sich aus Ehrfurcht nicht zu trauen, der großen alten Dame des Wiener Theaters beizuspringen. Die Souffleuse hatte wohl ein oder zwei allgemein ungehörte Versuche unternommen der Wessely zu helfen, aber es hatte nichts genützt. Dann streckte sich die Souffleuse aus ihrem Kasten. Erst sah man nur ein Tuch, dann aber den ganzen Arm, schließlich lag sie mit halbem Oberkörper flach auf der Bühne. Ich in meiner Balkonloge hörte sie schon flüstern „So gehen Sie doch hinein, wenn Sie es nicht erwarten können.“ Und die Wessely sitzt da, schüttelt den Kopf und raunzt der Souffleuse in breitestem Wienerisch zu: “Aber i versteh‘s halt ned.“ Jetzt erst traute sich die junge Kollegin, dem Bühnenstar den Text direkt ins Ohr einzusagen und der Abend konnte weiter gehen.“
„Ja, ja, ja, so in etwa meinte ich es.“ Der Inspektor hielt dies für eine gute Möglichkeit, Edward Kempens Burgtheatergeschichte abzubrechen und mit seiner Kriminalgeschichte endlich fortzufahren.
„Und das muss ich noch erzählen“, fuhr Edward Kempen unaufhaltsam fort. „Als ich in der Pause meine Begleiterin darauf ansprach, hatte sie nichts davon bemerkt. Dabei konnte es offensichtlicher doch gar nicht geschehen.“
„Ja, eben.“ Der Inspektor wurde heftiger in seinem Bemühen, die eigene Geschichte fortzusetzen. „Es war offensichtlich für manche und einige andere schienen es nicht bemerkt zu haben. Die Sängerin war irritiert, aber wer wollte zu diesem Zeitpunkt ihren Blick in die erste Reihe und in mein Gesicht wahrheitsgemäß deuten? Es konnten viele Deutungen zutreffen.“ Inspektor Bammer wandte sich mit einem „also“ sowohl seiner ergebenst lauschenden Sitznachbarin, als auch der Fortführung des Falles zu. Doch bei dem Versuch, weiter zu erzählen sollte es bleiben. Inspektor Bammer entwich die eben eingeholte Luft mit einem resignierten „äch“, denn erneut erklang das Klavier. Das Vorspiel zu ,Du holde Kunst‘ von Franz Schubert begann.
„Also wie weiter“ fieberte Luise Kammerwerth.
„Sie haben es doch gehört“, sagte Inspektor Bammer, „es folgte ein weiteres Musikstück und die Sängerin schien sich gefangen zu haben. Alles deutete darauf hin, dass eben alles nur ein Moment der Dekonzentration war, ein kleiner Schreck im Geiste der Künstlerin, die offensichtlich großartig genug war, sich augenblicklich erneut zu sammeln und fortzufahren.
„Was hat sie denn als nächstes gesungen?“, piepste Luise neugierig dazwischen. „Das tut doch für den Fall gar nichts zur Sache“ empörte sich der Inspektor leicht gequält.
Doch Edward Kempen ließ seinen Blick wissend in die Ferne schweifen. „Mein lieber Freund, das meinst du sicherlich nicht ernst: Wenn wir hier schon zufällig in diesem Konzertsaal sitzen und wenn dieser Saal schon zufällig eine Sängerin und einen Pianisten ...“.
„Ich glaube nicht, dass es Zufälle gibt“, unterbrach Luise.
„Ach, ich bitte dich, kein Mensch glaubt heute mehr an Zufälle“, fuhr ihr Edward dazwischen, „jedenfalls keiner, der mitbekommt, was in der Wissenschaft so alles entdeckt wurde in letzter Zeit. Ich denke aber, du willst damit sagen, verehrte Luise, es könnte der Verständlichkeit der Erzählung unseres Freundes gut tun, alle hier vorhandenen Mittel zu nutzen, um Vorgänge ganz eindeutig darzustellen. Womöglich kannst du so, lieber Kurt, einen erneuten Fall nach diesem Muster verhindern.“
„Ja, genau.“ Luise sah ganz demütig aus. Allerdings hatte sie dieses Kleinmädchenlächeln auch aufgesetzt, wenn es darum ging, ihren gelegentlichen Blähungen etwas Entschuldigendes oder Unbeteiligtes hinzuzusetzen.
„Also gut, ich versuche mich zu erinnern. Was hatte die Sängerin noch gesungen?“ Inspektor Kurt Bammer kam ins Schwitzen und wollte unter allen Umständen überzeugend aussehen, wenn er jetzt irgendwelche Werke verkündete, nur um endlich mit seiner Geschichte fortfahren zu können. Doch buchstäblich in letzter Sekunde fiel es ihm wieder ein.
„Ein entzückendes Werk: Der Walzer der Musette aus ,La Boheme‘ gehört zu meinen Lieblingsstücken. Wenn wir den jetzt hören könnten!“ Luise, Kurt und Edward schmiegten sich in die Sitze und lauschten dem heiteren Walzer, der an jenem Abend, genau wie in der Oper, so tragisch Entsetzliches übertönen möchte und es dennoch nicht wirklich kann.
„Wisst ihr, was Puccini mit Ingolstadt zu tun hat?“ Luise sah in zwei sprachlose Gesichter. „Das dachte ich mir“, sprühte sie vor sich hin und klatschte lautstark und völlig ungeniert mit Schwung dem Inspektor auf den Oberschenkel. „Puccini hat in Ingolstadt eine Fischgräte verschluckt und ging zum Arzt. Und der hat festgestellt, dass er Kehlkopfkrebs hatte und daran ist er dann gestorben.“ Luise war völlig begeistert ihr Musikwissen an den Mann, respektive an die Männer, gebracht zu haben. Dafür erntete sie unerwarteter Weise zwei dermaßen hohle Blicke, als hätte man den beiden Grand Seigneurs mitgeteilt, alle Fußballplätze des Landes wären umgehend zur Radieschenzucht freigegeben.
„Soll ich nun weiter erzählen oder soll ich nicht?“
„Aber ja doch, so detailliert wie möglich“, ergänzte Edward Kempen und Luise nickte so eifrig, dass sich der blinkende Familienschmuck an ihren Ohren beinahe mit den kleinen Samtschleifen in ihren kargen Locken verheddert hätte.
„Die Sängerin brach in ein etwas übertriebenes Lachen aus und verkündete:
,Das ist jetzt vielleicht ganz unerwartet und es steht auch nicht im Programm. Ach, vielleicht gar nicht so ungewöhnlich für jemanden, der mich kennt.‘
Sie wandte sich dem Pianisten zu, der ebenfalls eigenartig zu grinsen begann, sich erhob und die Bühne verließ. ,Ich möchte, obwohl das, wie gesagt, gar nicht im Programm steht, an dieser Stelle eine sehr schöne, aber auch zeitkritische Ballade vortragen:
Zu Miltenberg, zu Miltenberg
da lebte einst ein Gartenzwerg.
Der hatte sich so viel geborgt
und hatte sich nun denn gesorgt
Wie kann er all das gute Geld
zurückgeben in diese böse Bankenwelt?
„Bankiers von schlimmer Art
schmieren einem so den Bart
und werfen, es ist der volle Graus
das ganze Geld zum Fenster raus.
Investitionen, die ohne Sinn,
das Wasser steht schon bis zum Kinn,
sollen unterzeichnet sein.
Wer so was macht, ist doch ein Schwein.
Und ich als Zwerg bekomm den Groll
stecken die sich mit Boni noch die Taschen voll.
Die ziehen die Leute übern Tisch
und kassieren Provisionen frisch.
Doch eines will ich mich wohl fragen,
was würd ich an deren Stelle sagen?
Könnt ich mir Boni und Provisionen schenken
ans Zurückgeben würd' auch ich nicht denken.
Freiwillig sagen: „bitte nein“,
das muss bei meinem Kontostand
doch auch nicht sein.“
Doch hilfreich und edel sei ein Zwerg
und er machte sich sofort ans Werk:
„Das Geld würd‘ ich nur für mich benutzen
Und niemand anderen böse stutzen.
So richtig sinnvoll müsst‘ es sein.
Ich zahlt‘ es auf mein Konto ein.
Eine Schönheits-OP pro Jahr
das erfreut den Zwerg fürwahr,
der nach vielen OPs kein Zwerg mehr ist.
Wenigstens nach außen, das ist eine List!“
Die Sängerin lachte erneut zu laut und zu lange, völlig operettenhaft. Ich sah meine nächsten Nachbarn an und auch diese schienen etwas irritiert. Die Ballade war ganz und gar unpassend zu einem klassischen Konzert. Der Applaus war dennoch höflich. Und dann ging das Konzert weiter. Der Pianist betrat wieder die Bühne, warf der Sängerin eine verstohlene Kusshand zu. Diese schien wie erleichtert, wandte sich dem Publikum zu und sang mit einer bis zu diesem Zeitpunkt ungehörten Frische ,Time to say Good-bye‘.
Danach kam eine kleine Pause. Mir schien, als drängte die Sängerin beim Abgehen mit gereiztem Lächeln zur Eile.“
Inspektor Bammer musste an dieser Stelle seine Erzählung erneut unterbrechen, denn sowohl sein Freund Edward Kempen, als auch Luise Kammerwerth waren als Persönlichkeiten in diesem kleinstädtischen Getriebe gern umschwirrte Gäste. Inspektor Bammer korrigierte erneut den Sitz seines neuen Jacketts. Zu Edward Kempen trat der Bürgermeister heran, schmeichelte ihm, er habe in der internationalen Presse Edwards wissenschaftliche Abhandlung über das extraterrestrische, quantenspezifische Verknüpfen immaterieller Teilchen im non-molekularen Raum‘ gelesen und sehr bewundert. Um das ungläubige Rollen der Augen zu verbergen, begann der Inspektor vorzutäuschen, er habe seine Schnürsenkel zu binden. Er tauchte zwischen seinen Knien mit leichtem Räuspern ab, um für längere Zeit nicht wieder aufzutauchen. Seine Bewegungen gerieten dem Inspektor so heftig, dass man meinen konnte, er habe unter den Sitzen Würgeschlangen zu bändigen. Dem Bürgermeister des Städtchens, der im Allgemeinen mit dem geistigen Erfassen eines Kinderreimes überfordert war, war es einfach nicht zuzutrauen, dass er sich mit solch komplexen Inhalten auseinandersetzte. Mit dem Zitieren des Titels war der selbstverliebte Bürgermeister ganz offensichtlich an die Grenzen seines intellektuellen Vermögens geraten, was an den Schweißperlen auf seiner fettigen Stirn leicht abzulesen war.
Auf der anderen Seite hatten sich zwei Damen aus der Ehrenamtsliga zu Luise Kammerwerth herübergebeugt. Hier gab es Klatsch und Tratsch, welcher abwechselnd mit Entsetzen oder Schadenfreude kommentiert wurde. Inspektor Bammer stand auf, stemmte seine Arme in den Rücken, streckte sich ein wenig und ließ den Blick durchs Publikum schweifen. Hie und da wurde er erkannt, lächelte höflich. Er winkte der Direktorin der Stadtbibliothek zu, mit der ihn seit Jahren eine ebenso diskussionsfreudige wie Rotwein intensive Freundschaft verband.
Es klingelte zum Pausenende. Der Bürgermeister tupfte sich mit einem akribisch gefalteten Taschentuch seine Glatze trocken und zog sich höflich zurück, die Damen der Ehrenamtsliga versicherten sich im Hinsetzen gegenseitig absolutes Stillschweigen über die eben ausgetauschten Unglaublichkeiten. Luise Kammerwerth mutmaßte selbstironisch: „Die Haltbarkeitsdauer dieses Abkommens dürfte weniger als ein halbes Konzert betragen.“ Sie wollte gerade ansetzen, dem Inspektor