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Die Einwohner von Moosgau, ein Dorf gelegen zwischen Murnau und Garmisch-Partenkirchen, werden erschüttert durch einen Mord. Der Konditor, manche nennen ihn auch bewundernd Patissier Joachim Finner, 61 Jahre alt, ist das Mordopfer. Dass das Hauptmerkmal des Cafés jetzt schlagartig nicht mehr auf die großen, glänzenden Schokoladenwindbeutel, gefüllt mit frischer Sahne liegt, spricht für sich selbst. Obwohl dieses Gebäck über die Grenzen Moosgaus hinaus ein Wahrzeichen seines Cafés ist. Ja, es ist der Renner überhaupt. Denn inmitten einer großen Pfütze mit Sahne und Blut findet Hauptkommissar Anton Geissacher den Feinbäcker liegend auf die SM, die Maschine, die für die Sahnebefüllung des Gebäcks konstruiert wurde. Mit einem Messer im Rücken. Theo, der älteste Sohn Finners, übernimmt sofort das Szepter. Zu lange hat er schon kleine Brötchen backen müssen. Veronika Bartlhuber, seine Verlobte, ist eine feste Kraft im Café und steht Theo auch in dieser Situation zuverlässig zur Seite. Joachim Finner war ja zeit seines Lebens ein echter Kotzbrocken. Nicht nur die geplante Hochzeit Veronikas mit Theo hat er verhindert, es gab auch noch andere Vorwürfe, die Veronika nur schwer verkraften konnte. Doch sie lässt sich nicht kleinkriegen, denn sie ist sich ihrer Position sicher. Schließlich weiß sie um ein Geheimnis bezüglich ihres toten Chefs . Anton Geissachers Nichte Lisa arbeitet im Unfallkrankenhaus Murnau. Sie mischt sich sich gerne in die Mordermittlung. Sehr zum Ärgernis ihres Onkels. Hauptkommissar Anton Geissacher weiß noch überhaupt nichts über Geheimnisse in dieser Familie, deshalb macht er sich auf der Suche, den Mörder zu finden. Jan, der jüngste seines Teams, hilft ihm mit erfrischende Bemerkungen und Sicht der Dinge. In Moosgau blocken alle ab. Sein Weg führt ihn dann bald nach Garmisch. Ob er da die Lösung des Geheimnisses findet? Hier erwartet Sie hervorragender Lese Spaß, garniert mit einer Prise Humor.
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Seitenzahl: 392
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LENIE HEEREN
Mord mit Sahnetupfer
Die idyllisch gelegene Caféterrasse vor den Bayerischen Alpen ist weit und breit bekannt und immer gut besucht. Besonders die großen Windbeutel mit hervorragendem Schokoladenüberzug sind im Café Finner die Renner. Wird wirklich gern genommen! Nur nicht, wenn Joachim, der Chef des Hauses tot in der Backstube liegt. Noch dazu mit einem Messer im Rücken!
Ganz Moosgau ist im Aufruhr, sogar im Nachbarort Murnau wird wild spekuliert, wer es denn getan haben könnte. Von Friede, Freude, Eierkuchen kann nun wirklich nicht die Rede sein, ist jedermanns Meinung.
Welches Geheimnis verbirgt sich hinter dem grausamen Mord? Hauptkommissar Anton Geissacher hat die Aufgabe, den Mörder zu finden. An Motiven fehlt es nicht, denn Joachim Finner ist zeit seines Lebens ein echter Kotzbrocken gewesen. Aber weder das Personal geben hilfreiche Auskunft, noch seine Ehefrau mit den 4 Söhnen, die regelrecht abblocken. Das macht es für Anton Geissacher nicht gerade einfach…
Hier erwartet Sie hervorragender Lesespaß, garniert mit einer Prise Humor.
Lenie Heeren, in den Niederlanden geboren, hat sich mit ihrem Mann, einem waschechter Münchner, in dem schönen Südbayern, am Ammersee, eingenistet.
Nach Stationen in der Schweiz und München als OP-Schwester und abwechslungsweise Übersetzungen in München, sind die Jahre von Lenie Heeren mit selbständiger Arbeit ausgefüllt, wobei in ihrer Freizeit das Schreiben und die immer gefüllten Bücherregale im Haus unentbehrlich für sie sind.
Das Ehepaar hat 2 Kinder.
Der Ort Moosgau zwischen Murnau und Garmisch sowie Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Erstausgabe
Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Copyright © 2021 der vorliegenden Ausgabe: LENIE HEERENErstausgabe
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1 – Moosgau
2 – 6 Uhr morgens
3 – Lisa in der Murnauer Unfallklinik
4 – Murnau
5 – Donnerstag
6
7
8 – Moosgau
9 – Lisa
10 – Moosgauer Kommissariat
11 – Moosgau, Hotel »zur Sonne«
12 – Moosgau
13
14 – Moosgau München
15 – Moosgau
16 – Moosgau
17 – Moosgau
18 – Polizeirevier Moosgau
19 – Moosgau Fliesskann im Polizeirevier
20
21 – Moosgau
22 – Moosgau Lisa im Polizeirevier
23 – Garmisch
24 – Garmischer Spielbank
25 – Nachfrage nach Testament Fahrt nach Garmisch
26 – Garmisch-Partenkirchen Rückblick
27 – Moosgau Lisa weiß Neuigkeiten
28 – Moosgau Fahrt nach Garmisch ins Rathaus. Standesamt
29 – München
30 – München. Was Veronika sah
31 – Sandra Mönchau.
32 – Joachim Finner
33 – Polizeirevier Moosgau Marlene erzählt zu Hause etwas
34 – Anton Geissacher und Jan fahren nach Garmisch
35 – Veronika Bartlhuber
36 – Garmisch. Ehepaar Mönchau
37 – Moosgau Joachim Finner
38 – Moosgau Die Finanzen
39 – Friedrich Mönchau
40 – Moosgau Café Finner
41 – RÜCKBLICK Maria Finner
42 – In der Bäckerei
43 – Moosgauer Polizeirevier
44 – Marlene und ihr Freund
45 – Sandra im Krankenhaus
46 – MOOSGAU An dem Abend, an dem Joachim Finner ermordet wurde
47 – Moosgauer Polizeirevier
48 – Moosgau Die Ermittlungen ziehen sich
Hauptkommissar Anton Geissacher war durch sein iPhone geweckt geworden. Das haben wir gerne, war sein erster Gedanke gewesen. Es bedeutete meistens Arbeit.
Er setzte sich auf den Bettrand, bis sein Gehirn imstande war, weitere Informationen zu verarbeiten. Ein Anruf, und das noch am frühen Morgen. Drei Uhr, sah er auf die Uhr.
Er kam in Bewegung, einen Wisch mit dem nassen Waschlappen übers Gesicht, dann Routine, Kleider an und weiter. Es wartete eine Leiche auf ihn.
Es regnete, sah er mit einem Blick durchs Fenster. Er stieg ins Auto und fuhr bei seinem Kollegen Severin vorbei, nicht weit von seiner eigenen Adresse entfernt. Durch den böigen Wind kamen die Tropfen schräg daher. Die Scheibenwischer am kleinen Auto wischten auf höchster Stufe heftig hin und her, als sie durch die Murnauer Straßen in Richtung Moosgau fuhren.
»Wer kommt denn auf die Idee, um 3 Uhr in der Nacht jemanden umzubringen! Dafür hat man doch von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends Zeit genug«, grummelte Geissacher, zog seine Jacke dichter um sich. Dann korrigierte er noch den Sitz seiner Kleidung, da er, wie fast als festes Ritual, am Abend zuvor Pulli und Oberhemd als eine Einheit ausgezogen und heute wieder genauso angezogen hatte.
Severin verzog seinen Mund, ein zustimmendes Lächeln gelang ihm noch nicht.
»Das ist doch das Finner Café, wo wir hin müssen, wenn ich mich nicht irre?«, fragte er seinen Chef.
»Moosgau, ziemlich am Ende, da wo die Fußgängerzone aufhört und man normalerweise einen freien Blick auf die Alpen hat. Das ist der Rindermarkt, kennst du sicher.« Und nach einer kleinen Pause: »Eine Leiche. Männlich.«
Anton Geissacher zog einen Zettel aus seiner Jackentasche. Mit ständigem Blick auf die Straße reichte er seinem Kriminalkollegen der Moosgauer Abteilung »Verbrechen und Mord« das Papier mit den schnell hingekritzelten Informationen.
Severin versuchte den Text zu entziffern. »Ja, Café am Rindermarkt.«
Sie rasten weiter durchs schlafende Dorf. Es war ruhig in Moosgau, nur einige Gäste, die es Zeit fanden wieder mal nach Hause zurückzukehren, stolperten oder wankten durch die Straßen. Während Anton Geissacher versuchte, das Quietschen der Scheibenwischer zu ignorieren, versuchte er zwischen den Bewegungen der hin und her schwingenden Scheibenwischer einen Blick auf die Alpen zu werfen. Die, wie er fast sicher wusste, um diese Zeit mit der Nacht verschmolzen. Aber es war schon fast zu einer Gewohnheit geworden, hinzuschauen.
Moosgau und Alpen, er liebte beides. Vom Dorf, etwa fünfzehn Kilometer von Murnau entfernt kannte er alle Straßen noch nicht. Als man ihm, so anderthalb Jahre waren es her, angeboten hatte nach Moosgau zu wechseln, hatte er eigentlich nichts dagegen gehabt mal etwas Neues zu wagen. Obwohl er sich in Murnau wohlgefühlt hatte und mit den Kollegen dort auch immer gut zurechtgekommen war.
Mit der Beförderung »Erster Hauptkommissar« hatte man ihn nach Moosgau gelockt. Und ja, er hatte zugesagt. Nach der Versetzung musste er sich zuerst mal beweisen, das war die erste Zeit seine wichtigste Sorge gewesen.
Jetzt ein Mord, Herrschaftszeiten, und das in dem idyllischen Moosgau!
Anton Geissacher parkte ein.
Ein Polizeiauto war schon da, Fritzen und Schindelbeck waren gerade dabei, mit Absperrband bewaffnet, den Tatort großzügig abzusperren.
»Morgen, die Herren, was gibt’s?«, grüßte Anton Geissacher.
»Männliche Leiche, hier rein und dann die erste Tür rechts. Anscheinend ist es der Chef«. Er zeigte mit seiner Hand die Richtung an.
»Danke, und die zwei Männer da?« Zwei junge Männer hatten sich einen trockenen Terrassenstuhl genommen und wollten zögernd wieder aufstehen, als sie sahen, dass die Gesichter der Polizeibeamten sich den zwei Männern zuwandten. Der dunkelhäutige Mann des Duos lief hinter Geissacher her und machte Anstalten, mit in den Flur hineinzulaufen.
»Bleiben Sie hier draußen. Und nichts anfassen bitte!«, sagte Geissacher freundlich zu dem mageren jungen Mann, der neben seinem Bäckerkollegen stand und ihn verständnislos anschaute.
Geissacher versuchte weltmännisch seine Kenntnisse der englischen Sprache hervorzukramen, um ihm zu erklären, wo er warten sollte. »Weett serr«. Er sah den Mann an, ob sein Versuch Früchte getragen hatte. »Plies«, hätte er nach der Aufforderung zu warten, noch hinfügen müssen, fiel es ihm ein. Severin schaute seinen Chef von der Seite an. Oxford Englisch ging anders.
Automatisch hatte Geissacher seinen Satz mit allgemein verständlichen Gebärden untermalt. Seine Hände, Kopf und Zeigefinger hatte der Kommissar mehrere Male von links nach rechts hin und her bewegt. Das Wort »Nein« und »No« wiederholte er auch nochmals. Gedankenlos war er davon ausgegangen, dass der Dunkelhäutige kein Deutsch verstand, obwohl er noch keinen Ton von ihm gehört hatte. Genauso gut hätte der Mann ein Universitätsdiplom in seiner Tasche haben und mehr Sprachen sprechen können als er selber, ging es Anton Geissacher durch den Kopf.
»Arbeitet ihr hier? Habt ihr was angefasst?« Der zweite junge Mann, der aus Moosgau stammte, starrte Hauptkommissar Geissacher nur mit seinen großen, ängstlichen Augen an und antwortete: »Ich habe nichts angefasst, das Licht war schon an. Dann haben wir ihn schon liegen sehen.«
»Die haben die Leiche gerade gefunden«, wusste Fritzen, Polizist im ersten Lehrjahr. »Joachim Finner heißt der Chef anscheinend.«
»Schau bitte, dass die beiden und auch kein anderer hier etwas anlangt oder überhaupt reinkommt.« Fritzen nickte.
»Severin, bitte ruf’ Jan an, und überhaupt Mathias, Marlene und auch Ignaz, denn gleich werden die Angestellten hier ihre Arbeit beginnen wollen. Die sollen alle warten, bis wir so weit sind. Und das wird dauern.« Seine Tochter Marlene arbeitete zeitweise in seinem Team mit, wenn Not am Mann war. Da die Abteilung ’Sitte’ zurzeit keinen Bedarf an weiteren Arbeitskräften hatte, war sie ihm sehr willkommen gewesen. Die Korrespondenz musste ja auch erledigt werden; auch wenn bei den Befragungen eine Kraft fehlte, wurde sie mit eingebunden.
»Severin, sag ihm auch noch, er soll darauf achten, dass keiner hier hereinschauen kann. Neugierige Gaffer stören hier nur. Fenster und Türen abdecken.«
Es dauerte nicht lange, bis das ganze Moosgauer Mordermittlungsteam anwesend war.
Anton Geissacher und Severin betraten das Café durch den Hintereingang.
Anton Geissacher ging durch den Raum auf und ab.
Nach vitalen Reaktionen beim Toten zu suchen war vergebens, das hatte er schon von Weitem gesehen.
Im Hintergrund war ständig ein unbestimmtes durchdringendes, nicht näher zu bezeichnendes Geräusch zu hören.
Severin stand in Türnähe und wartete lieber, bis sein Chef die Situation soweit abgecheckt hatte. So ein Mord kam ja in Moosgau nicht alle Tage vor. Gerade als er meinte, er könne sich wieder in Richtung Leiche in Bewegung setzen, rief der Kommissar laut:
»Ermordet! Mit einem Messer! Wer tut so was!«
Sein friesischer Mitarbeiter konnte darauf keine befriedigende Antwort geben, da sie erst vor zwei Minuten am Tatort eingetroffen waren. Deshalb hielt er den Mund.
Die Gesichter der Kripobeamten waren durch das Licht der Leuchtstoffröhren jetzt fast so blass, wie die weißen Nitril Einweghandschuhe, die sie sich angezogen hatten. Allerdings sahen sie alle miteinander um 3 Uhr morgens nicht taufrisch aus. Anton Geissachers Blick kam aus der Ferne zurück, während er verärgert an jedem einzelnen Finger der unhandlichen Plastikhandschuhe zog und rubbelte, bis sie genau passten. Die Plastikfüßlinge hatten sie schon über die Schuhe gezogen.
Severin schaute sich kurz im Raum um. Hier im kleinen Nebenraum der Backstube war es zwar sauber und ordentlich, aber doch so ganz anders als in den hochglänzenden, von vielen Lichtern hell erleuchteten Verkaufsräumen, die er von einem Cafébesuch her kannte. Er sah durch die schwere Eingangstüre hindurch zum angrenzenden Café, wo gemütliche Sitzgruppen standen. Der große Raum war durch üppige, teils tropischen Pflanzengruppen unterbrochen, die die Räume zwischen den Tischen teilten, um dadurch eine intimere Atmosphäre zu schaffen.
Die Bäckerei war entgegen seiner Erwartungen enorm groß. Anton Geissacher schaute sich alles genau an.
Es stellte sich heraus, dass die »Backstube« das Wort »Stube« nicht ganz gerecht wurde, handelte es sich eigentlich um ein Gebäude aus mehreren riesigen Räumen, in denen sich chromglänzende, technische Geräte, zahlreiche Rollcontainer, dann wieder gewaltige Mischmaschinen mit armdicken Quirl-Eisen drin. Die Funktion der einzelnen Geräte war für die Ermittler nicht immer ersichtlich.
Der Raum, wo der Tote gefunden worden war, war der kleinste Raum in dem sehr großen Bäckereikomplex, aber immerhin bestimmt 20 Quadratmeter groß. Der Tote, Eigentümer der Konditorei Finner in Moosgau, das größte Café weit und breit.
Hauptkommissar Anton Geissacher suchte, wo das nervtötende, immer wiederkehrende Geräusch herkam.
»Abstellen könnten wir es sowieso auch nicht, denn die Spurensicherung mit ihren Pinseln und Puderchen ist noch nicht da.«
»So ist es«, stimmte er Severin zu, »ich habe sie schon herbestellt. Werden gleich da sein.« Nachdem er mit seiner Nase in der Luft mehrere Male wie ein Suchhund geschnuppert hatte, näherte er sich nochmals der Leiche.
»Hier kommt der komische Geruch her. Ich meine jetzt nicht die sonst üblichen Gerüche bei einer Leiche, aber jetzt mischt sich hier auch noch ein säuerlicher Geruch mit ein, liege ich da richtig?«
Er signalisierte seinem Assistenten näher zu kommen.
Der tote Körper, der auf einer Art Förderband lag, wurde andauernd mit einem leichten Stoß vorwärts in einer Richtung gestoßen. Dahin, wo sich eine große eiserne Tülle und daneben noch eine Kleinere befanden.
Durch die ständige minimale Fortbewegung des Laufbands, hatte sich der Körper schräg vor den Tüllen positioniert und war dort hängen geblieben. Der Schädel des Opfers war durch die stetige mechanische Druckausübung auf den Knochen und durch die scharfkantigen Edelstahltüllen anscheinend verletzt worden. Allerdings kam es dem Kommissar so vor, dass der Mörder vorher den Schädel des Opfers schon schwer zugesetzt hatte, denn so eine Verletzung schafften die Einfülltüllen alleine bestimmt nicht. Er sah genau hin.
»So was habe ich auch noch nicht gesehen«, stellte er fest. »Gehe ich recht in der Annahme, dass das hier Sahne ist?« Er zeigte auf die ziemlich flüssige, teils weiße, teils rosa Masse, in der Kopf und Rumpf der Leiche lagen. Es tropfte. Vom Fließband, worauf der Tote lag, tropfte es unaufhörlich auf den Boden.
Der Tote lag halb auf dem Bauch, halb weggedreht. Ein Arm war vom Förderband gerutscht und hing seitlich runter. Geronnenes Blut vermischte sich mit halbfester und größtenteils flüssiger Sahne. Das Blut stammte teils von einer starken Kopfverletzung; außerdem waren Rücken und Kleidung des Mannes voller Blut. Im Rücken steckte ein Messer.
Auf einmal war der Raum voller in weißen Overalls gekleideten Spurensicherer mitsamt ihrer Ausrüstung, die sich einen Mundschutz umbanden. Sie nahmen ihre Werkzeuge in der Hand und begannen, die Leiche, den Raum und die Maschinen nach Fingerabdrücken, verdächtigen Fasern und Sonstigem abzusuchen. Der Arzt war auch mitsamt seinem Alukoffer dabei und tat seine Arbeit.
Es war eine fettige und ekelerregende Angelegenheit, was man da vorfand.
»Von so einem Stich in den Rücken, noch dazu Richtung Herzgegend, stirbt ein jeder«, stellte der Arzt fest. Kommissar Geissacher hielt die Bemerkung gerade noch zurück, dass sogar er, ohne medizinische Vorkenntnisse, das genauso hätte feststellen können.
Lukas hatte, auf Geissachers Bitte hin, das Geräusch abgestellt. Der Schalter, der das Piepen in Gang setzte, war als allererste mit einem Pinsel mit schwarzem Pulver untersucht und fotografiert worden. Gleich erschien dann auch neben dem Schalter eine kleine LED Anzeige mit dem Wort »leer« darauf. Überrascht sahen die beiden Beamten, dass auch die Vorwärtsbewegung des Förderbandes aufhörte. Geissacher atmete auf.
»Vorsicht, hier liegt ein Handy am Boden«, warnte der Forensiker die anwesenden Personen und stellte ein Plastikschildchen mit einer Nummer drauf hin.
Er nahm das Mobilgerät vorsichtig auf und deponierte es in einem Plastikbeutelchen, nachdem vorher ein anderer die Stelle mit einer Digitalkamera festgehalten hatte. Dann kam noch eine Nummer drauf.
»Er muss noch versucht haben, Hilfe zu holen, nehme ich an. Wahrscheinlich ist es ihm aus der Hand gefallen, beim Versuch, jemanden zu erreichen. Severin, überprüfe das bitte später, wenn die Spurensicherung es freigegeben hat«, sagte der Kommissar.
»Ja, er wird also noch nicht ganz tot gewesen sein, als er auf das Förderband geschmissen wurde. Denn von alleine legt man sich nicht darauf.«
»Weißt du was ich denke?« Severin schaute seinen Chef an. Der schaute mit übertrieben unwissender Mimik zurück.
»Durch die Vorwärtsbewegung des Laufbands werden die Gebäckstücke Richtung Einfülltüllen geschoben, wo das Gebäckstück dann einer nach dem anderen mit Sahne gefüllt wird. Das ist ganz genau von Sekunde zu Sekunde so programmiert. Und wenn sie gefüllt sind, geht’s wieder weiter. Raffiniert!« Der friesische Beamte betrachtete nachdenklich das Transportband.
»Und jetzt wird der Tote vorwärts geschoben«, konstatierte der Kommissar.
»Hier ist ein Schalter, ich versuche mal das Ding zum Stoppen zu bringen.« »Eigenartig«, fand Valentin und stolperte fast über die Nummerntafeln, die bereits am Boden aufgestellt worden waren. Jetzt erst, als der Spurensicherer die Maschine abgestellt hatte, lag der Körper still da.
In den hell erleuchteten Räumen setzten die Kriminaltechniker, ohne viel zu reden ihre Arbeit fort.
Jan war eingetroffen. Er berichtete, dass er gerade noch ein nasser Waschlappen über sein Gesicht hatte ziehen können, bevor er herkam. Hauptkommissar Geissacher hob seine Hand kurz zur Begrüßung hoch.
»Jan, bitte schau auf die beiden Zeugen draußen im Auto und versuche, etwas aus denen herauszubekommen. Sie haben den Toten hier vorhin gefunden. Und wenn der eine kein Deutsch spricht, müssen wir Fingerabdrücke von ihm nehmen und seine Papiere anschauen. Vom anderen natürlich auch. Die zweite Person wird sicher wissen, wie der Kollege heißt. Geissacher schaute Severin an.
»Und ist schon jemand von der Familie Finner arriviert? Da muss auch mal jemand kommen.« Jan murmelte etwas Unverständliches und warf ganz kurz einen Blick auf das Opfer auf dem Transportband. Dann trottete er zu den beiden Männern hin, die ängstlich und zitternd angelaufen kamen. Es tropfte noch ein wenig draußen, sie stellten sich unter.
»Wir haben noch nicht alles gesichtet, Severin. Das Schlafzimmer des Opfers und das Büro zum Beispiel. Da möchte ich schon noch einen Blick hineinwerfen«, sagte Anton Geissacher zu Severin und deutete auf die umliegenden Räume. »Ob da die Schlösser alle in Ordnung sind und so weiter. Könnte ja eingebrochen worden sein, obwohl der eine von den beiden Männern gesagt hat, die Eingangstüre hier stand offen. Ist die Spurensicherung da schon fertig?« Während von draußen schon Anzeichen von eintrudelnden Autos und Stimmen zu hören waren, sämtliche Autotüren zugeworfen wurden, machten die Ermittler sich noch ein Bild von der übrigen Bäckerei. Die Küche, wo die kleinen Gerichte die auf der Speisekarte zu finden waren, zubereitet wurden, war auch bestens ausgestattet. Dort schwang Stefan, der jüngste Sohn der Finners das Küchenzepter, hatte jemand gesagt. Anton Geissacher sah Geräte und glänzende Apparaten stehen, die er weder schon mal gesehen noch bedient hatte.
Bald würden auch die Bäcker und Konditormeister ihre Arbeit beginnen wollen.
Mit fröhlichen Gesichtern waren zwei flinke junge Männer aus einem Auto gestiegen. Einer wollte draußen schon über das von den Uniformierten angebrachte Flatterband steigen, wurde jedoch durch Jan daran gehindert.
»Eintritt verboten. Bitte bleiben Sie, wo Sie sind!«, ordnete er an. »Es hat einen Todesfall gegeben.«
Die Männer, die normalerweise angefangen hätten, frische Teige zusammenzustellen, standen oder saßen alle mit ratlosen, teilweise entsetzten Gesichtern da. Alle Mitarbeiter waren im Café versammelt.
Theodor, Finners ältester Sohn, war inzwischen gehetzt und mit hochrotem Kopf eingetroffen und schaute wild um sich, was da alles los war. Er wurde von Jan informiert.
Es dauerte etwas, bis er sich wieder gefangen hatte, nachdem es zu ihm durchgedrungen war, was in der Nacht alles passiert war. »Papa, der Papa ist tot«, murmelte er immer vor sich hin. »Kann ich ihn sehen? Ich möchte ihn sehen.«
Jan erklärte ihm die Situation, dass es sofort nicht möglich war, in der Nähe des Tatorts zu kommen.
Als Theo die Situation soweit verarbeitet hatte, rief er alle seinen Mitarbeitern beisammen und lotste sie zu den anderen ins Café. Mit Erlaubnis der Spurensicherer hatte er das Café gewählt, das nicht zum Tatort gehörte, da das Café spätestens abends ab 20.00 Uhr immer zugesperrt wurde. Von den Forensikern war dort nichts Relevantes gefunden worden, sodass Theo die Erlaubnis bekommen hatte, das Personal dort in Ruhe zu befragen, einer nach dem anderen.
Bevor Theo seine Mannschaft zusammentrommelte, wollte Geissacher dann doch noch eine erste Frage an ihn loswerden: »Hatte nur der Papa einen Schlüssel von der Bäckerei und vom Café oder hat er die auch mal ausgeliehen?«
Theo schaute ihn verwirrt an. »Nein, die Schlüssel ausgeliehen? Wirklich nicht. Die hat er nicht aus der Hand gegeben! Wir, die nächste Familie, also Mama und meine Brüder haben natürlich auch Schlüssel. Aber die liegen bei den meisten wahrscheinlich nur zu Hause. Gebraucht haben wir die nie, weil der Papa immer alles zu- und aufgesperrt hat.«
Alles war auf einmal anders für die Angestellten des Cafés. Gerade aufgestanden und dann ein Mord, das ging noch gar nicht in den Köpfen der jungen Leute hinein.
An anderen Tagen hing hier der angenehme Geruch nach frischen Semmeln, Hefeteig, Nussbrot oder Apfelstrudel in der Luft, stattdessen war heute ein unbekannter, unangenehmer Geruch zu bemerken.
Sonst wusste jeder, wie eine gut eingespielte Mannschaft, fast auswendig was seine Aufgabe war und wo sich alles befand, was man brauchte. Heute waren sie zur Untätigkeit gezwungen.
Die Männer und auch Veronika Bartlhuber, die Verlobte vom ältesten Finner Sohn Theodor, die sonst auch sehr tüchtig im Café tätig war, standen traurig und unschlüssig herum. Keiner konnte auch nur einen Grund nennen, warum der Mord geschehen sein könnte. Ein paar Mitarbeiter wischten oder tippten schon eifrig auf ihren Handys herum.
Nach etwa einer halben Stunde schaute Mathias nochmals in die Backstube hinein und fragte Anton Geissacher, ob Theodor, der bereits befragt worden war und nun als »Chef« im Café galt, über alle Details des Ablebens seines Vaters informiert werden konnte oder ob er den Toten identifizieren müsse.
»Später, vollständig können wir ihn noch nicht informieren, Mathias, die Beweisaufnahme ist noch nicht abgeschlossen. So brutal, wie das jetzt ausschaut, können wir ihm das nicht zumuten. Er soll einfach warten. Er wird schon wissen, dass er seine Arbeit heute nicht wie gewohnt verrichten kann, er muss einfach umdisponieren. Und so viel Nerven hat meistens keiner, dass er zur Tagesordnung übergeht, wenn jemand, noch dazu sein Vater, ermordet worden ist. Übrigens, sollten sie es noch nicht kapiert haben, dass alle Leute, die jetzt hier eingetroffen sind, hier nicht arbeiten können, muss er das denen deutlich machen. Das Café, überhaupt alles hier bleibt bis auf Weiteres geschlossen. Sie sollen sich aber der Spurensicherung zur Verfügung stellen, du weißt schon was zu tun ist. Schild an der Tür hinhängen lassen und Türen schließen.«
Mathias salutierte und ging wieder hinaus.
Hauptkommissar Anton Geissacher hielt einen Moment inne.
»Jan soll gleich ein paar Fotos machen. Er weiß, wo mein Apparat ist.« Wie immer schaute derjenige der Spurensicherungstruppe, dessen Aufgabe es war, Fotos vom Tatort zu machen, ein wenig genervt bei dieser Aussage, aber das störte dem Kommissar nicht im Geringsten. Anton Geissacher hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, selber mit seinem eigenen Apparat, einem Geburtstagsgeschenk seiner Frau, einige Fotos zu machen, die er im Büro jederzeit zur Hand nehmen konnte. In der Praxis überließ er das Fotografieren Jan, der sich mit dem Hightech Apparat besser auskannte als er selber.
Einige zusätzliche Streifenwagen waren schon eingetroffen. Der Notarztwagen daneben hatte, trotz der frühen Stunde, schon eine Menge Neugieriger um sich versammelt, die das Geschehene beobachteten.
Jan, der den Apparat seines Chefs aus dem Auto geholt hatte, konnte es nicht lassen, den sich trotz aller Frühe versammelten Gaffern zu sagen: »Public Viewing gibt’s jetzt nicht.«
Worauf die Schaulustigen etwas beschämt schauten oder sich abwendeten.
»Voll krass, die ganze Sahne wird ihm direkt ins Hirn neigespritzt!« Jan betrachtete den Toten auf dem Laufband, nahm wie immer kein Blatt vor den Mund. Ein Blick von seinem Chef und er hielt den Mund. Als er die Staubkappe vom Objektiv entfernt hatte, fing er an, die gewünschten Einstellungen am Apparat vorzunehmen.
Jan war der Jüngste in Anton Geissachers Team, der Kommissar arbeitete gerne mit ihm. Es erinnerte ihn an seine eigene Anfangszeit. Jan hatte seine jugendliche Unbesonnenheit größtenteils bewahren können. Das zu ändern hatte der Polizeiapparat noch nicht geschafft. Zuweilen amüsierte der Kommissar sich über seine Kommentare, dann wieder versuchte er mit Blicken oder dezentem Räuspern Jans Spontanität ein wenig zu zügeln.
Jan nahm den Fotoapparat zur Hand und ärgerte sich sofort. Sein Chef hatte wieder einmal unprofessionell an den Einstellungen herumgefummelt, sah er und stellte alles wieder her. Man sah, dass Jan gerne fotografierte, er knipste von oben bis unten jede Kleinigkeit: Von der Seite, von oben herab, von unten her genauso wie in einer sehr unbequemen Position halb neben dem Förderband liegend, hielt er alles auf dem digitalen Chip fest.
»Aus allen Blickwinkeln, Jan, gell? Und auch noch vom Sahneapparat selbst hier, die Tüllen und die Schalter und was weiß ich was noch alles, nicht wahr«, ordnete Geissacher an.
»Hab I scho, Chef.«
»Und vor allen Dingen auch die Schiebevorrichtung hier auf dem Band, ganz im Detail bitte, da sind ziemlich scharfkantige Einrichtungen drauf.«
Jan nickte eifrig und, erstaunlich behutsam um den Tatort herumschleichend, klickte er ununterbrochen mit dem digitalen Gerät. »Ich hoffe, dass man, trotz Sahne, noch etwas sieht.« Jan schaute skeptisch. »Kann ich hier die Sahne a bissl wegwischen?«, fragte er die Kollegen der KTU. Einer nickte zustimmend: »Wir sind schon fertig mit dem Ganzen da.«
»Prima, danke Jan«, lobte der Kommissar sein jüngster Mitarbeiter und fand, dass Jan für heute sein Pensum an Mitarbeitermotivation schon erhalten hatte.
Theo war sich bewusst, dass er seinen Vater noch identifizieren musste, eine Aufgabe, die ihm Angst machte. Es würde ihn umhauen, befürchtete er. Es war ihm außerdem bewusst, dass momentan viel von ihm erwartet wurde, er war der Älteste von seinen drei Brüdern, die inzwischen auch in seiner Nähe herumstanden. Einer der Brüder hatte gestammelt: »Vier Söhne hatte er, und keiner konnte dem Vater helfen!« Einige der Männer hatten Tränen in den Augen, sie konnten nicht fassen, was geschehen war.
Die Ermittler ließen die Familie und ihre Mitarbeiter schockiert zurück und an diesem Zustand würde sich so schnell nichts ändern.
Die Kusine von Kriminalhauptkommissar Anton Geissacher, Lisa Konradi, ging, wie jeden Morgen, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit. Die Unfallklinik Murnau war ja nicht allzu weit von ihrer Wohnung in Moosgau entfernt. Und wenn es regnete oder schneite, holte ihr Freund Georg sie gerne von zu Hause ab, um sie zur Klinik zu fahren. Nicht dass sie über kein eigenes Auto verfügte, aber der Umwelt musste hin und wieder doch auch Respekt gezollt werden, fanden beide.
Heute hatte sie das Fahrrad zu Hause gelassen und war zu Fuß unterwegs. Der Regen hatte aufgehört, die Straßen waren noch nass. Das Café Finner öffnete die Türen um sechs Uhr in der Früh, genau richtig für sie.
Die täglich wiederkehrende morgendliche Prozedur, bestehend aus Tasse und Unterteller aus dem Schrank nehmen, dazu ein Frühstücksteller, Messer, ein kleiner Löffel aus der Schublade und was alles noch gebraucht wurde, hatte sie heute unterbrechen wollen. Jeden Tag die gleichen Handlungen, Kaffee und Kaffeefilter hervorkramen, um ein kleines Frühstück für sich alleine zuzubereiten.
Heute, das Gehalt war gerade mal einen Tag auf ihrem Konto gutgeschrieben worden, wollte sie es sich auch mal gut gehen lassen und visierte die Frühstückstheke des Cafés Finner an.
Sie sah es schon von Weitem: Alles war dunkel. Was ist da los, fragte sie sich. Sonst ist doch alles um diese Zeit taghell erleuchtet! Noch dazu war heute kein Ruhetag. Die überdimensionale, glänzende Schokoladenhaube, die erstaunlich echt aussah und fast Tag und Nacht auf einer drehbaren Präsentationsplattform hin und her bewegt wurde, stand heute unbeweglich im Schaufenster. Von welcher Seite man die Räumlichkeiten von der Straßenseite auch betrat, immer war das übergroße, von geschickt platzierten Spots beleuchtete Kunststoffbackwerk zu sehen, mit der Absicht, Appetit auf die Spezialität des Hauses zu machen. Es war, so könnte man es bezeichnen, auch das Logo der Spezialitätenkonditorei Finner.
Lisa war ganz verblüfft. Keine Bewegung, weder von der übergroßen Werbe Schokohaube im Schaufenster, noch irgendwelche menschlichen Gestalten waren im Café zu sehen.
Kein Betrieb. Sie wusste aber, dass es bei Familie Finner keine Ruhetage gab. Auch in der gutbesuchten Ferienzeit, als Horden von Touristen in Moosgau und Umgebung übernachteten, wurde toujour weitergearbeitet. Nein, es war keine 0815 Bäckerei. Es war eine feine Patisserie, wo ausgesuchte Früchte, Gewürze und Teige verarbeitet wurden. Hier war der Maßstab doch etwas höher gehängt als anderswo. Die Bauern aus der Umgebung lieferten nach der Ernte ihre Produkte dort ab; im Winter wurde auf Tiefgefrorenes oder Eingemachtes zurückgegriffen, wobei jahreszeitgemäß die edlen, frischgeernteten Nüsse den Vorrang hatten.
Viele Touristen nahmen extra einen kleinen Umweg zum Café Finner in Kauf, um auf der riesengroßen Panoramaterrasse mit Blick auf die geliebten Alpen ein herrliches Stück Kuchen oder das berühmte Sahnegebäck mit Chocoladehaube zu genießen. Und sich dazu in der Sonne das Gesicht und die Arme zu bräunen. Wobei dann so manches Mal geseufzt wurde: »Herrlich, diese Berge!«
Die Bäckerei mit Café und angrenzender Terrasse hatte sich direkt vor den Alpen breitgemacht. Mit einem Aperol Spritz oder einer Latte macchiato war Lisa im Sommer auch schon mal auf der Terrasse zu finden, mit einer oder mehrere Freundinnen, die immer voll begeistert waren.
Eine bessere Adresse konnte man sich nicht vorstellen: Im Sommer kamen die Touristen und Ausflügler aus der Münchner Gegend zuhauf und im Winter waren die Ski- und Langläufer es, die, bevor sie sich zur Zugspitze begaben, noch schnell ein großes Frühstück einverleibten. Oder natürlich die großen gutschmeckenden Windbeutel, überzogen mit einer exquisiten Schokolade. Die waren der Renner bei den Gästen. Dann gab es noch das Ähndl, ein großes Naturgebiet einige Minuten von Moosgau entfernt, auf dem Weg nach Moosgau und Garmisch. Das Gebiet, das sich Naturpark Ammergauer Alpen nennt, war ein zusätzlicher Anziehungspunkt für Freizeitsportler.
Lisa wusste schon, warum sie hierherkam. Aber jetzt stand sie direkt vor dem anvisierten Ziel und sah sich erstaunt um. Und gerade heute hatte sie Lust auf einen Latte Macchiato gehabt, flankiert von einem ofenwarmen, gebackenen Vanille Croissant. Mist! Mit leerem Magen ins Unfallkrankenhaus, hieß das. Die Patienten würden das merken, wenn sie überhaupt nicht gefrühstückt hatte.
Das Flatterband, das angebracht worden war, brachte sie als Erstes ins Staunen, bedeutete aber dennoch für sie kein Hindernis. Sie schaffte es schnell unter dem Flatterband durchzuschlüpfen, schaute mit der Nase dicht ans Schaufenster gedrückt in die Räumlichkeiten hinein, wobei sie am Fenster einen kleinen Fettfleck hinterließ. Nichts zu sehen. An den Fenstern waren die Luxaflex Rollos bereits heruntergefahren worden oder mit einem großen Laken zugedeckt. Was tun? Die Schilder, worauf mit Edding groß »GESCHLOSSEN« oder »VERBOTEN EINZUTRETEN« geschrieben stand, erstaunten sie.
Neugierde war eine von Lisa’s Eigenschaften, die manch einer als ihre auffallendste bezeichnete. In einigen Fällen kam ihr das jedoch wieder zugute, zum Beispiel in Sachen Aufspürung eines Täters in Mordfällen. Zum Beispiel Mordfälle bei der Polizei Moosgau, wo ihr Onkel Anton momentan das Sagen hatte.
Er konnte ein Lied davon singen. Zum unmöglichsten Zeitpunkt und zur unpassendsten Gelegenheit war Lisa immer aufgetaucht, wenn es galt, einen Mordfall zu lösen. »Ihre Nase hineinstecken«, nannte Anton Geissacher es. Die Schlussfolgerungen, die sie dann daraus zog, wenn sie etwas entdeckt hatte, waren nicht immer logisch, aber realitätsfremd konnte man sie auch nicht nennen. Ja, das musste er ihr lassen, sie lag auch oft richtig und hatte so manches Mal zur Lösung eines Falles beigetragen. Ihr triumphierendes Lächeln in so einer Situation musste ihr Onkel dann einfach mit in Kauf nehmen.
Ob hier von einem Mordfall die Rede war, wusste sie nicht, auf alle Fälle war es zappenduster, denn das Licht im Café war nicht eingeschaltet. Was konnte dahinter stecken, fragte sie sich. Wegen eines Stromausfalls würde man doch kein Flatterband draußen anbringen, da müsste doch etwas Schlimmeres passiert sein. Trotz der frühen Stunde hatte sich schon ein Grüppchen Hungrigen vor dem Café versammelt.
Dann entdeckte sie den Streifenwagen, etwas weiter noch einen! Sie schaute sich nochmals kurz um, ob sich noch irgendwelche Frühstückswilligen in der Nähe herumtrieben. Autos wurden wild vor dem Geschäft geparkt, Ärzte und ein junger Mann stiegen aus und schauten genauso ratlos wie Lisa zum ungewöhnlich dunklen Café hin.
»I mecht’ frühstücken«, stieß ein gerade hinzugekommener junger Mann im Blaumann aus.
»Was ist hier los?«, fragte ein in weißer Hose und dunkler Jacke gekleideter Arzt. Alle glänzten mit Nichtwissen und zuckten mit den Schultern.
Es war kurz vor halb sieben, um halb acht musste Lisa ihren Dienst im Krankenhaus Murnau antreten, viel Zeit um eine Alternative zum Café Finner zu suchen hatte sie also nicht. Genauso erging es allen anderen vor dem Café. Sie schaute kurz um die Ecke, wo die kleinen Autos für das Catering in einer Reihe standen. Lisa lächelte beim Lesen der Aufschrift auf der Seite der kleinen Kühllaster:
’Vom Frühstücksei bis großem Dinner
Alles liefert Catering Finner’.
Catering Finner war bekannt, mit einem kleinen Lieferauto hatten sie angefangen, nun standen da schon 3 von der Sorte.
Vom Polizisten unbemerkt, hatte Lisa es geschafft das Flatterband zu ignorieren und geschaut, ob drinnen nicht doch noch etwas zu sehen war. Durch den Spalt zwischen zwei Laken war auch nicht viel zu sehen. Gerade als sie umkehren wollte, hörte sie ein Geräusch, das aus dem Inneren des Frühstücksraumes zu kommen schien.
Sie sah gerade noch, dass drinnen an der Seite des Raumes eine Tür aufgesperrt, dann anschließend das Licht angeknipst wurde und zuerst das Gesicht ihres 55-jährigen Onkels, dann seine ganze, nicht ganz schlanke Gestalt sichtbar wurde. Unmittelbar hinter ihm war eine etwa 38 bis 40 Jahre alte attraktive Frau mit gepflegter Erscheinung zu sehen, gekleidet in einem repräsentativen bayerischen Dirndl. Sie zeigte ihm die Räumlichkeiten und Ausstattung im Frühstückscafé. Er wird doch nicht extra bedient werden, dachte seine Kusine Lisa. Das wär’ ja noch schöner. Wir wollen hier alle frühstücken!
Es dauerte keine zwei Sekunden bis Lisa feststellte, dass ihr Onkel nicht zwecks Nahrungsaufnahme da war, sondern dass er im Moment in seiner Position als Kriminalhauptkommissar ’Mord und Totschlag’, wie sie es nannte, tätig war. Ihr Onkel erweckte den Eindruck, als ob er konzentriert bei der Sache war, erst als sie mit dem Knöchel ihres Zeigefingers energisch auf das Schaufensterglas klopfte, zuckte er zusammen.
Die beiden Personen drinnen im Frühstücksraum, der jetzt hell erleuchtet war, schauten in ihre Richtung. Schon sah sie den entsetzten Blick ihres Onkels auf sich gerichtet, den sie so interpretierte, dass er sie in dem Moment lieber nicht hier sehen wollte. Ihr Eindruck täuschte nicht, da er zu seiner Begleitperson etwas sagte und diese eilig das Licht löschte, worauf die beiden wieder verschwanden und die Tür hinter sich schlossen.
Super freundlich konnte man ihr Onkel nicht nennen, das musste Lisa zugeben, aber etwas hätte er ihr doch sagen oder deuten können. Marlene, seine Tochter, war da kooperativer.
Lisa stand immer noch ratlos vor dem Fenster. Die anderen Anwesenden, die ebenfalls frühstücken wollten, hatten schon anderweitig eine Alternative gefunden, so schien es.
»Geh’mer, geh’mer«, rief plötzlich ein Polizist Lisa zu. »Hier gibt’s nichts zu schauen!« Sie machte, dass sie wieder zurück unters Flatterband schlüpfte. Unschlüssig stand sie herum.
Sie schaute sich die Berge an, die schon von ein wenig Licht erhellt wurden; sonst überherrschte in dieser frühen Stunde noch das anthrazit des Felsengebildes.
Es blieb ihr nichts anderes übrig, sie musste weiter, zum Unfallkrankenhaus Murnau. Lisa musste ihren Dienst als Krankenschwester antreten.
*
Die Morgendämmerung brach gerade herein, die Vorläufer der aufgehenden Sonne waren schon zu sehen. Langsam kam Leben in die Straßen und Geschäfte.
Alle Ermittler waren wieder im Büro eingetroffen, die Gesichter nicht mehr ganz so blass wie um 3 Uhr in der Nacht, aber frisch und freundlich sah keiner aus.
»Jungs, das war heute eine frühe Aktion. Wir genehmigen uns zuerst mal einen gescheiten Kaffee.« Hauptkommissar Anton Geissacher hantierte in der Küche des Polizeireviers am Kaffeeapparat herum, wobei er den Papierfilter mit dem alten Kaffeesatz gefährlich zur Seite hin kippen ließ, bis seine Tochter Marlene ihm die Arbeit abnahm. Den Dreck hinterher wegzuräumen wollte sie auf jeden Fall vermeiden.
Ihr Vater hatte bei einer Bäckerei angehalten, um einige Croissants und belegte Semmeln zu kaufen. Er öffnete die große Tüte und legte den Inhalt auf Teller, jeder bediente sich. Der Kaffeeapparat blubberte vor sich hin, eine Dampflok war nichts dagegen. Es erinnerte ihn sofort an das Geräusch des Sahneapparates in der Backstube, von der sie gerade eben zurückgekehrt waren. Der Hauptkommissar ließ sich aber den Appetit nicht verderben und biss herzhaft in sein Croissant.
Er ging das Geschehene nochmals in Gedanken durch.
Als alle Mitarbeiter der Bäckerei und auch die vier Söhne eingetroffen waren, hatte sich bald herausgestellt, dass es tatsächlich Joachim Finner, der Chef des Betriebes war, der fehlte. In seinem Schlafzimmer wurde er nicht angetroffen. Frau Finner hatte somit, nachdem Theodor in ihr Schlafzimmer gestürmt war, in aller Herrgottsfrühe die traurige Mitteilung erhalten. Sie hatte inzwischen vom Notarzt eine Beruhigungsspritze erhalten.
»Ja, das ist mein Vater«, hatte Theo bei der Identifizierung erschüttert bestätigt. Die blitzsaubere Bäckerei betonte nur noch deutlicher das Furchtbare, das geschehen war.
Die Witwe hatte sich schluchzend hingesetzt und immer wieder geklagt: »Wie? Ermordet? Wieso denn? Wie soll es jetzt weiter gehen hier in der Firma?« Ihre Söhne hatten sie getröstet, so gut es ging, denn selber waren sie ebenfalls tief betroffen. Maria, die Frau des toten Finner hatte aber nicht den Wunsch geäußert, ihren Mann zu sehen, fiel Jan auf und sagte das dem Kommissar auch.
»Manche reagieren so und andere wieder anders«, war Anton Geissachers Meinung. »Jan, schau bitte nach, ob eine Lebensversicherung existiert. Und wer profitiert, vor allen Dingen.« Jan nickte.
Wie es weiterging mit der Firma, darauf konnte bis jetzt keiner eine Antwort geben. Die so ungewohnt dunklen Räume der Bäckerei kamen den jungen Leuten, die normalerweise dort arbeiteten, fremd vor. Sonst bot sich hier ein ganz anders Bild, dann war hier ab 3 oder 4 Uhr früh alles schon hell erleuchtet und es herrschte ein reger Betrieb.
Morgens um etwa 6 Uhr kam dann wirklich viel Leben in die Bude, hatte Veronika, erzählt.
Auf Anregung von Veronika Bartlhuber, wie die Verlobte Theodors hieß, hatte man vor einem Jahr eine lange Frühstückstheke eingerichtet, an der man schnell einen kleinen Espresso, einen Latte Macchiato oder einen Cappuccino, Tee oder Kakao trinken konnte. ’Frühstücks Bistro’ hatte man es getauft. Die Kunst, aus dem Milchschaum oben auf dem Kaffee ein Herzchen zu zaubern, beherrschte Veronika aus dem FF. Und hier hatte sie das Sagen.
Schon wenn man die Türe öffnete und eintrat, roch man den herrlichen Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, die sich mischte mit dem der fluffigen, ofenfrischen Croissants.
Unmittelbar neben der Eingangstüre links war ein länglicher Raum geschaffen worden, wo Kaffeemaschinen auf Knopfdruck das braune Getränk fertigten und auf Wunsch einige Brötchen oder sonstige kleine Backwaren gereicht wurden. Einige Stehtische waren für besonders eilige Kundschaft gedacht und auch ein paar normale Sitzgelegenheiten boten denjenigen, die ausführlich frühstücken wollten, die Gelegenheit dazu.
Angegliedert am Café war der Laden, wo die süßen Leckereien, die tagsüber im Café serviert wurden, auch für die Laufkundschaft angeboten wurden.
Es gab eine Menge Leute in Moosgau, die sehr früh ihre Arbeit antreten mussten, wie die Ärzte vom Unfallkrankenhaus Murnau, das sich nicht weit entfernt von Moosgau befand, oder Notdienstmitarbeiter, Wachmänner, Polizisten, Schichtarbeiter und Großhandel. Für Frühaufsteher hatte man eine Theke eingerichtet. Toastgerichten, auch Rührei, sowie zwei Sorten belegte Brote wurden angeboten. Es gab zwei Kaffeesorten, für die Teeliebhaber wurde einen Schwarztee angeboten. Sie hatten sich auf diese kleine Speisekarte für das »Schnelle Frühstück« in der Früh geeinigt.
Es war ein voller Erfolg geworden, Veronika beherrschte ihren Job voll und ganz. Es war immer gerappelt voll. Der Zugang zum eigentlichen Café war so früh noch verschlossen. Es herrschte eine gemütliche Atmosphäre, gerade so, dass die Gäste am liebsten in dem warmen, mit angenehmen Gerüchen gefüllten Raum bleiben wollten. Das Radio ließ die Morgensendung hören, mit viel Musik. Einige quatschten so früh schon darauf los, anderen wiederum tranken in Ruhe ihren Kaffee, lasen Zeitung und bissen ihre Brote ab. Die Bedienung, freundlich und schnell arbeitend, kannte oft die Vorliebe des Kunden schon und musste nicht mehr viel nachfragen.
»Einen Schwarztee wie immer, Marcel?«, hieß es dann. Der musste nur nicken und schon wurde der Becher vollgeschenkt. Der Arbeiter stand neben dem Arzt, der Postarbeiter neben dem Koch, es ging alles friedlich zu.
Ab halb zehn wurde dann das »Schnelle Frühstück« nicht mehr gereicht, die Theke wurde geschlossen und der übliche Cafébetrieb nahm seinen Lauf. Dort konnte man an größeren Tischen etwas aus der reichlich bestückten Speisekarte aussuchen oder ein ausführliches Frühstück mit allem Pipapo bestellen.
Alle Mitarbeiter von Hauptkommissar Anton Geissacher hatten das improvisierte Frühstück verdrückt und wurden von ihm im Konferenzzimmer erwartet. Es galt jetzt, die gesammelten Informationen des Morgens auszuwerten. Die Kollegen würden außerdem ihren Senf dazu geben, was allgemein unter dem Namen »Brainstorming« betitelt wurde. Das erste Meeting war angesagt. Wie Anton Geissacher es immer noch nannte: »die Lagebesprechung«.
Jan kaute noch kurz auf einem Stück Stollen, das er aus seiner Jackentasche gezaubert hatte und nahm neben Severin Platz. Die anderen formierten sich ebenso rund um den großen Tisch.
Anton Geissacher schaute in die Runde und schon wurde es mucksmäuschenstill. Er hatte die ganze Aufmerksamkeit aller Anwesenden und schilderte einen ausführlichen Bericht des Todesfalles, der an dem Tag kurz vor 3 Uhr von zwei Bäckereimitarbeitern gemeldet worden war.
»Zwei Männer haben den Leichnam mit Namen Joachim Finner gefunden, als sie um etwa 3.00 Uhr ihre Arbeit in der Backstube beginnen wollten. Die eine Person ist noch nicht namentlich bekannt, beziehungsweise sein Kollege sagt, dass er Serdar heißt. Mehr hat er nicht von ihm gewusst. Da er kein Deutsch spricht und auch kein Englisch, wissen wir noch nichts Genaues von ihm. Es kann auch ein Flüchtling aus weiß Gott woher sein, der unweit von hier in Moosgau einquartiert wurde, das wird alles noch eruiert. Im Moment sind die beiden hier im Polizeirevier, da wir die Fingerabdrücke noch abnehmen und ein Foto machen müssen, genauso wie vom übrigen Personal. Wir können ihn ja nicht nach Namen und Adresse fragen, wenn er uns nicht versteht.« Anton Geissacher nahm ein Papiertaschentuch und schnäuzte sich kurz.
Jan meldete sich. »Ich möcht’ nicht wissen, wie viele solche Männer hier in Moosgau und Umgebung so schon gearbeitet haben. »Schnell mal mit anpacken« nennt man das. Offiziell dürfen sie’s nicht. Obwohl ich das auch nicht gut finde. Die Burschen sind gezwungen, sich zu langweilen. Das sind ja junge Männer, die meisten. Und die wollen arbeiten. Das ist doch normal.« Jan musste das loswerden. Seine Kollegen nickten. Mathias wollte ebenso nicht mit seinem Wissen zurückhalten und berichtete noch, dass früher nur Jobs für einen Euro für die Flüchtlinge erlaubt waren. »Aber das hat sich inzwischen auch schon geändert, mit der Arbeitserlaubnis. Die können jetzt sogar schon eine Ausbildung beginnen.«
Der Hauptkommissar sagte ruhig: »Also ich fahre fort: Dann noch war Lukas Ivansic, 25 Jahre alt, in der Früh als zweiter dabei und wohnt hier in Moosgau. Herr Ivansic hat auch noch bestätigt, dass die Türen auf waren, als sie ankamen. Das war insofern verwunderlich, da sonst Herr Finner, also der Chef Joachim Finner abends bei seinem Rundgang alles zusperrt und in der Früh auch alles aufsperrt. Oder einer der Söhne.«
»Dann kann man ja davon ausgehen, dass der Joachim Finner gestern Abend nicht zugesperrt hat. Und, dass da schon irgendetwas geschehen ist.« Jan schaute in die Runde. »Mal schauen, ob der Pathologe auch so rechnet.« Sein Chef nickte.
»Und auf unsere Frage hin, ob die zwei gleichzeitig das Gebäude betreten haben, oder ob einer von den beiden schon da war, als der andere ankam, hat Herr Ivansic geantwortet:
»Der Serdar war schon eine Sekunde vor mir da, ich habe von meinem Parkplatz aus gesehen, wie er angelaufen kam. Aber drinnen war er noch nicht.«
Gefragt, ob er den Toten kennt, hat er den Toten als »der Chef« bezeichnet, was später auch vom ältesten Sohn Theodor, der seinen Vater identifiziert hat, so bestätigt wurde. Der Tote ist also Joachim Finner, 61 Jahre alt.« Er schilderte den weiteren Verlauf des frühen Morgens und vergaß nicht zu erwähnen, in was für Material der Tote gelegen hat. Und wie die Position war, wie der Tote gelegen hatte. Er vergaß auch nicht, wie die fettige Sahne/Blutmischung sich ausgebreitet und gerochen hatte.
»Theodor hat bei der Befragung zu Anton Geissacher gesagt: ’Ja, das ist die SM’«.
»’Was, SM?’«, habe ich daraufhin nachgefragt.« Dass er dabei recht blöd geschaut hatte, verschwieg er lieber.
»Die SM, die Sahnemaschine. Um die Schokoladenhauben zu füllen. Hat mein Vater selbst entwickelt und von einem Bekannten herstellen lassen«, hat Theo gesagt. Damit war die Funktion des rätselhaften Gerätes für alle Anwesenden bekannt.
Dann teilte er noch mit, dass die Witwe insgesamt vier Söhne hat, drei davon arbeiten eben hier als Konditor oder Koch mit«, fuhr der Hauptkommissar fort. »Der eine Sohn mit Namen Bastian wollte nicht im elterlichen Betrieb mitarbeiten und ist vor einem Jahr nach Amerika gegangen, ist aber vor einer Woche wieder heimgekehrt, beziehungsweise wohnt bei seiner früheren Freundin Marianne Krämer in Seehausen. Amerika ist passé für ihn, hat die Mutter gesagt.
Der jüngste Sohn Stefan ist auch schon fertig mit der Ausbildung zum Konditor oder war es Koch, ist mir entfallen. Ist ja auch egal jetzt. Weiter konnten wir Frau Finner noch nicht befragen, sie stand noch unter Schock und wurde dann ärztlich behandelt.«
Anton Geissacher nahm ein weiteres Blatt Papier mit Notizen. »Die Frau, die jeden Tag hinter der Frühstückstheke steht, ist die Verlobte vom ältesten Sohn Theodor und heißt Veronika Bartlhuber. Sie wurde noch nicht so ausführlich befragt, da es ihr schlecht wurde als wir miteinander sprachen. Die ausführliche Befragung müssen wir etwas später, aber heute noch, vornehmen. Jan, denk bitte daran. Die Mutter der toten Joachim Finner, die Oma also, lebt noch und wohnt auch in dem Haus da, ganz oben, im privaten teil des Anwesens hier. Das Obergeschoss ist übrigens mit einem Lifta erreichbar. Das erste Mal, dass ich so was eingebaut sehe.« Anton Geissacher rieb seine Nase.
»Ich nehm’ dann den Lifta, wenn wir demnächst zu ihr hingehen.« Jan musste natürlich wieder seinen Kommentar hinzufügen. »Gibt’s mit einem Lifta auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung?«, fragte er noch, naiv schauend.
»Ja, mit Kurve 15 km/h und ohne Kurve 50 km/h«, gab Severin zur Antwort. »Am Ende wirste dann herausgeschleudert und du landest direkt im Bett.«
Anton Geissacher schaute genervt.
»Übrigens, die Witwe dürfen wir nicht vergessen. Na ja, sie wurde ja ärztlich versorgt, hat man mir gesagt. Die Befragung bei ihr müssen wir unbedingt noch nachholen.«
»Die Fahrer, die das Catering normalerweise liefern, zwei an der Zahl, haben wir auch noch nicht erfasst.
Ich habe die Liste der Lieferanten angefragt, die wird von Theodor Finner noch nachgeliefert. Es könnte ja sein, dass die etwas über den Toten zu erzählen haben. Haben wir noch jemanden vergessen?«, fragte er in die Runde. »Ja, die Putzfrauen oder die Reinemachefrauen, wie man sie jetzt nennt, und die Bedienungen natürlich. Die kommen noch dran.«
Alle dachten nach und lieferten einen Kommentar dazu.
Jan sagte kurz:
»Die direkten Nachbarn müssen wir noch befragen.«
»Das stimmt, Jan, das machen wir anschließend, wenn sie richtig wach sind.«
Mathias wollte wissen, wie umfangreich man sich den Catering Service vorstellen musste.
»Der Maximilian, der zweitälteste Sohn, hat mir gesagt, dass die Familie Finner zum Cafébetrieb noch ein Catering dazu genommen hat, einfach um gegen die Konkurrenz bestehen zu können. Allerdings umfasst das Sortiment hauptsächlich Desserts und sonstige Süßigkeiten aus der eigenen Konditorei. Herzhafte Gerichte oder pikante, deftige Kanapees können auch noch geliefert werden, wie Lachshäppchen und so weiter, hat man mir gesagt. Delikate Kleinigkeiten halt.
Man darf sich das Ganze allerdings nicht zu klein vorstellen. Die Finners decken die gesamte Umgebung hier ab, von Weilheim über Murnau bis nach Garmisch. Sogar wenn direkt über die Grenze, an der Südseite der Alpen, in Ehrwald, ein bedeutendes Ereignis zu verzeichnen ist, wird, falls gewünscht, dorthin geliefert. Bei allen Großveranstaltungen sind die dabei, ob Firmenjubiläum oder Betriebsfeier, bei fast jedem Empfang, du kannst dir nicht ausdenken, was es zu feiern gibt, es werden immer die bekannten und beliebten Schokoladenhauben, eine Art Riesenwindbeutel aus Brandteiggebäck, geliefert. Sahnehauben, heißen sie. Es gibt sie in Kuchenstückgröße und ziemlich Kleine als Fingerfood. Die Windbeutel, wie wir sie meistens bezeichnen, sind mit einer spitzenmäßigen Schokolade überzogen und innen drin mit steifgeschlagener Schlagsahne gefüllt.