Mord mit Sahnetupfer - Lenie Heeren - E-Book

Mord mit Sahnetupfer E-Book

Lenie Heeren

3,0

  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Die Einwohner von Moosgau, ein Dorf gelegen zwischen Murnau und Garmisch-Partenkirchen, werden erschüttert durch einen Mord. Der Konditor, manche nennen ihn auch bewundernd Patissier Joachim Finner, 61 Jahre alt, ist das Mordopfer. Dass das Hauptmerkmal des Cafés jetzt schlagartig nicht mehr auf die großen, glänzenden Schokoladenwindbeutel, gefüllt mit frischer Sahne liegt, spricht für sich selbst. Obwohl dieses Gebäck über die Grenzen Moosgaus hinaus ein Wahrzeichen seines Cafés ist. Ja, es ist der Renner überhaupt. Denn inmitten einer großen Pfütze mit Sahne und Blut findet Hauptkommissar Anton Geissacher den Feinbäcker liegend auf die SM, die Maschine, die für die Sahnebefüllung des Gebäcks konstruiert wurde. Mit einem Messer im Rücken. Theo, der älteste Sohn Finners, übernimmt sofort das Szepter. Zu lange hat er schon kleine Brötchen backen müssen. Veronika Bartlhuber, seine Verlobte, ist eine feste Kraft im Café und steht Theo auch in dieser Situation zuverlässig zur Seite. Joachim Finner war ja zeit seines Lebens ein echter Kotzbrocken. Nicht nur die geplante Hochzeit Veronikas mit Theo hat er verhindert, es gab auch noch andere Vorwürfe, die Veronika nur schwer verkraften konnte. Doch sie lässt sich nicht kleinkriegen, denn sie ist sich ihrer Position sicher. Schließlich weiß sie um ein Geheimnis bezüglich ihres toten Chefs . Anton Geissachers Nichte Lisa arbeitet im Unfallkrankenhaus Murnau. Sie mischt sich sich gerne in die Mordermittlung. Sehr zum Ärgernis ihres Onkels. Hauptkommissar Anton Geissacher weiß noch überhaupt nichts über Geheimnisse in dieser Familie, deshalb macht er sich auf der Suche, den Mörder zu finden. Jan, der jüngste seines Teams, hilft ihm mit erfrischende Bemerkungen und Sicht der Dinge. In Moosgau blocken alle ab. Sein Weg führt ihn dann bald nach Garmisch. Ob er da die Lösung des Geheimnisses findet? Hier erwartet Sie hervorragender Lese Spaß, garniert mit einer Prise Humor.

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LENIE HEEREN

Mord mit Sahnetupfer

Zum Buch mit dem Ti­tel »Mord mit Sah­ne­tup­fer«

Die idyl­lisch ge­le­ge­ne Ca­féter­ras­se vor den Baye­ri­schen Al­pen ist weit und breit be­kannt und im­mer gut be­sucht. Be­son­ders die gro­ßen Wind­beu­tel mit her­vor­ra­gen­dem Scho­ko­la­den­über­zug sind im Café Fin­ner die Ren­ner. Wird wirk­lich gern ge­nom­men! Nur nicht, wenn Joa­chim, der Chef des Hau­ses tot in der Back­stu­be liegt. Noch dazu mit ei­nem Mes­ser im Rü­cken!

Ganz Moos­gau ist im Auf­ruhr, so­gar im Nach­bar­ort Mur­nau wird wild spe­ku­liert, wer es denn ge­tan ha­ben könn­te. Von Frie­de, Freu­de, Ei­er­ku­chen kann nun wirk­lich nicht die Rede sein, ist je­der­manns Mei­nung.

Wel­ches Ge­heim­nis ver­birgt sich hin­ter dem grau­sa­men Mord? Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher hat die Auf­ga­be, den Mör­der zu fin­den. An Mo­ti­ven fehlt es nicht, denn Joa­chim Fin­ner ist zeit sei­nes Le­bens ein ech­ter Kotz­bro­cken ge­we­sen. Aber we­der das Per­so­nal ge­ben hilf­rei­che Aus­kunft, noch sei­ne Ehe­frau mit den 4 Söh­nen, die re­gel­recht ab­blo­cken. Das macht es für An­ton Geis­sa­cher nicht ge­ra­de ein­fach…

Hier er­war­tet Sie her­vor­ra­gen­der Le­se­spaß, gar­niert mit ei­ner Pri­se Hu­mor.

Über die Au­to­rin

Le­nie Hee­ren, in den Nie­der­lan­den ge­bo­ren, hat sich mit ih­rem Mann, ei­nem wasch­ech­ter Münch­ner, in dem schö­nen Süd­bay­ern, am Ammersee, ein­ge­ni­s­tet.

Nach Sta­ti­o­nen in der Schweiz und Mün­chen als OP-Schwes­ter und ab­wechs­lungs­wei­se Über­set­zun­gen in Mün­chen, sind die Jah­re von Le­nie Hee­ren mit selb­stän­di­ger Ar­beit aus­ge­füllt, wo­bei in ih­rer Frei­zeit das Schrei­ben und die im­mer ge­füll­ten Bü­cher­re­ga­le im Haus un­ent­behr­lich für sie sind.

Das Ehe­paar hat 2 Kin­der.

Der Ort Moos­gau zwi­schen Mur­nau und Gar­misch so­wie Per­so­nen und Hand­lung sind frei er­fun­den. Ähn­lich­kei­ten mit le­ben­den oder to­ten Per­so­nen sind rein zu­fäl­lig und nicht be­ab­sich­tigt.

Erst­aus­ga­be

Alle Rech­te vor­be­hal­ten.Un­be­fug­te Nut­zun­gen, wie etwa Ver­viel­fäl­ti­gung, Ver­brei­tung, Spei­che­rung oder Über­tra­gung kön­nen zi­vil- oder straf­recht­lich ver­folgt wer­den.

Im­pres­s­um

Co­py­right © 2021 der vor­lie­gen­den Aus­ga­be: ­LENIE HEERENErst­aus­ga­be

Co­ver­ge­stal­tung: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

Bild­nach­wei­se: © pai­roj, © Mara Zem­ga­lie­te, © black­day, © Anna-Mari West – stock.ad­o­be.com © Ma­ra­Ze, © pter­wort, © Gu­d­run Mu­enz, © koya979 – shut­ter­stock.com © gi­na­san­ders – de­po­sit­pho­tos.com

E-Book Kon­ver­tie­rung: Con­stan­ze Kra­mer, co­ver­bou­tique.de

www.epu­bli.de

Inhaltsverzeichnis

1 – Moosgau

2 – 6 Uhr morgens

3 – Lisa in der Murnauer Unfallklinik

4 – Murnau

5 – Donnerstag

6

7

8 – Moosgau

9 – Lisa

10 – Moosgauer Kommissariat

11 – Moosgau, Hotel »zur Sonne«

12 – Moosgau

13

14 – Moosgau München

15 – Moosgau

16 – Moosgau

17 – Moosgau

18 – Polizeirevier Moosgau

19 – Moosgau Fliesskann im Polizeirevier

20

21 – Moosgau

22 – Moosgau Lisa im Polizeirevier

23 – Garmisch

24 – Garmischer Spielbank

25 – Nachfrage nach Testament Fahrt nach Garmisch

26 – Garmisch-Partenkirchen Rückblick

27 – Moosgau Lisa weiß Neuigkeiten

28 – Moosgau Fahrt nach Garmisch ins Rathaus. Standesamt

29 – München

30 – München. Was Veronika sah

31 – Sandra Mönchau.

32 – Joachim Finner

33 – Polizeirevier Moosgau Marlene erzählt zu Hause etwas

34 – Anton Geissacher und Jan fahren nach Garmisch

35 – Veronika Bartlhuber

36 – Garmisch. Ehepaar Mönchau

37 – Moosgau Joachim Finner

38 – Moosgau Die Finanzen

39 – Friedrich Mönchau

40 – Moosgau Café Finner

41 – RÜCKBLICK Maria Finner

42 – In der Bäckerei

43 – Moosgauer Polizeirevier

44 – Marlene und ihr Freund

45 – Sandra im Krankenhaus

46 – MOOSGAU An dem Abend, an dem Joachim Finner ermordet wurde

47 – Moosgauer Polizeirevier

48 – Moosgau Die Ermittlungen ziehen sich

1

Moos­gau

Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher war durch sein iPho­ne ge­weckt ge­wor­den. Das ha­ben wir ger­ne, war sein ers­ter Ge­dan­ke ge­we­sen. Es be­deu­te­te meis­tens Ar­beit.

Er setz­te sich auf den Bett­rand, bis sein Ge­hirn im­stan­de war, wei­te­re In­for­ma­ti­o­nen zu ver­a­r­bei­ten. Ein An­ruf, und das noch am frü­hen Mor­gen. Drei Uhr, sah er auf die Uhr.

Er kam in Be­we­gung, einen Wisch mit dem nas­sen Wasch­lap­pen übers Ge­sicht, dann Rou­ti­ne, Klei­der an und wei­ter. Es war­te­te eine Lei­che auf ihn.

Es reg­ne­te, sah er mit ei­nem Blick durchs Fens­ter. Er stieg ins Auto und fuhr bei sei­nem Kol­le­gen Se­ve­rin vor­bei, nicht weit von sei­ner ei­ge­nen Adres­se ent­fernt. Durch den böi­gen Wind ka­men die Trop­fen schräg da­her. Die Schei­ben­wi­scher am klei­nen Auto wisch­ten auf höchs­ter Stu­fe hef­tig hin und her, als sie durch die Mur­nau­er Stra­ßen in Rich­tung Moos­gau fuh­ren.

»Wer kommt denn auf die Idee, um 3 Uhr in der Nacht je­man­den um­zu­brin­gen! Da­für hat man doch von 8 Uhr mor­gens bis 6 Uhr abends Zeit ge­nug«, grum­mel­te Geis­sa­cher, zog sei­ne Ja­cke dich­ter um sich. Dann kor­ri­gier­te er noch den Sitz sei­ner Klei­dung, da er, wie fast als fes­tes Ri­tu­al, am Abend zu­vor Pul­li und Ober­hemd als eine Ein­heit aus­ge­zo­gen und heu­te wie­der ge­nau­so an­ge­zo­gen hat­te.

Se­ve­rin ver­zog sei­nen Mund, ein zu­stim­men­des Lä­cheln ge­lang ihm noch nicht.

»Das ist doch das Fin­ner Café, wo wir hin müs­sen, wenn ich mich nicht irre?«, frag­te er sei­nen Chef.

»Moos­gau, ziem­lich am Ende, da wo die Fuß­gän­ger­zo­ne auf­hört und man nor­ma­le­r­wei­se einen frei­en Blick auf die Al­pen hat. Das ist der Rin­der­markt, kennst du si­cher.« Und nach ei­ner klei­nen Pau­se: »Eine Lei­che. Männ­lich.«

An­ton Geis­sa­cher zog einen Zet­tel aus sei­ner Jack­en­ta­sche. Mit stän­di­gem Blick auf die Stra­ße reich­te er sei­nem Kri­mi­nal­kol­le­gen der Moos­gau­er Ab­tei­lung »Ver­bre­chen und Mord« das Pa­pier mit den schnell hin­ge­krit­zel­ten In­for­ma­ti­o­nen.

Se­ve­rin ver­such­te den Text zu ent­zif­fern. »Ja, Café am Rin­der­markt.«

Sie ras­ten wei­ter durchs schla­fen­de Dorf. Es war ru­hig in Moos­gau, nur ei­ni­ge Gäs­te, die es Zeit fan­den wie­der mal nach Hau­se zu­rück­zu­keh­ren, stol­per­ten oder wank­ten durch die Stra­ßen. Wäh­rend An­ton Geis­sa­cher ver­such­te, das Quiet­schen der Schei­ben­wi­scher zu igno­rie­ren, ver­such­te er zwi­schen den Be­we­gun­gen der hin und her schwin­gen­den Schei­ben­wi­scher einen Blick auf die Al­pen zu wer­fen. Die, wie er fast si­cher wuss­te, um die­se Zeit mit der Nacht ver­schmol­zen. Aber es war schon fast zu ei­ner Ge­wohn­heit ge­wor­den, hin­zu­schau­en.

Moos­gau und Al­pen, er lieb­te bei­des. Vom Dorf, etwa fünf­zehn Ki­lo­me­ter von Mur­nau ent­fernt kann­te er alle Stra­ßen noch nicht. Als man ihm, so an­dert­halb Jah­re wa­ren es her, an­ge­bo­ten hat­te nach Moos­gau zu wech­seln, hat­te er ei­gent­lich nichts da­ge­gen ge­habt mal et­was Neu­es zu wa­gen. Ob­wohl er sich in Mur­nau wohl­ge­fühlt hat­te und mit den Kol­le­gen dort auch im­mer gut zu­recht­ge­kom­men war.

Mit der Be­för­de­rung »Ers­ter Haupt­kom­mis­sar« hat­te man ihn nach Moos­gau ge­lockt. Und ja, er hat­te zu­ge­sagt. Nach der Ver­set­zung muss­te er sich zu­erst mal be­wei­sen, das war die ers­te Zeit sei­ne wich­tigs­te Sor­ge ge­we­sen.

Jetzt ein Mord, Herr­schafts­zei­ten, und das in dem idyl­li­schen Moos­gau!

An­ton Geis­sa­cher park­te ein.

Ein Po­li­zei­au­to war schon da, Frit­zen und Schin­del­beck wa­ren ge­ra­de da­bei, mit Ab­sperr­band be­waff­net, den Tat­ort groß­zü­gig ab­zu­sper­ren.

»Mor­gen, die Her­ren, was gibt’s?«, grüß­te An­ton Geis­sa­cher.

»Männ­li­che Lei­che, hier rein und dann die ers­te Tür rechts. An­schei­nend ist es der Chef«. Er zeig­te mit sei­ner Hand die Rich­tung an.

»Dan­ke, und die zwei Män­ner da?« Zwei jun­ge Män­ner hat­ten sich einen tro­ckenen Ter­ras­sen­stuhl ge­nom­men und woll­ten zö­gernd wie­der auf­ste­hen, als sie sa­hen, dass die Ge­sich­ter der Po­li­zei­be­am­ten sich den zwei Män­nern zu­wand­ten. Der dun­kel­häu­ti­ge Mann des Duos lief hin­ter Geis­sa­cher her und mach­te An­stal­ten, mit in den Flur hin­ein­zu­lau­fen.

»Blei­ben Sie hier drau­ßen. Und nichts an­fas­sen bit­te!«, sag­te Geis­sa­cher freund­lich zu dem ma­ge­ren jun­gen Mann, der ne­ben sei­nem Bä­cker­kol­le­gen stand und ihn ver­ständ­nis­los an­schau­te.

Geis­sa­cher ver­such­te welt­män­nisch sei­ne Kennt­nis­se der eng­li­schen Spra­che her­vor­zu­kra­men, um ihm zu er­klä­ren, wo er war­ten soll­te. »Weett serr«. Er sah den Mann an, ob sein Ver­such Früch­te ge­tra­gen hat­te. »Plies«, hät­te er nach der Auf­for­de­rung zu war­ten, noch hin­fü­gen müs­sen, fiel es ihm ein. Se­ve­rin schau­te sei­nen Chef von der Sei­te an. Ox­ford Eng­lisch ging an­ders.

Au­to­ma­tisch hat­te Geis­sa­cher sei­nen Satz mit all­ge­mein ver­ständ­li­chen Ge­bär­den un­ter­malt. Sei­ne Hän­de, Kopf und Zei­ge­fin­ger hat­te der Kom­mis­sar meh­re­re Male von links nach rechts hin und her be­wegt. Das Wort »Nein« und »No« wie­der­hol­te er auch noch­mals. Ge­dan­ken­los war er da­von aus­ge­gan­gen, dass der Dun­kel­häu­ti­ge kein Deutsch ver­stand, ob­wohl er noch kei­nen Ton von ihm ge­hört hat­te. Ge­nau­so gut hät­te der Mann ein Uni­ver­si­täts­di­plom in sei­ner Ta­sche ha­ben und mehr Spra­chen spre­chen kön­nen als er sel­ber, ging es An­ton Geis­sa­cher durch den Kopf.

»Ar­bei­tet ihr hier? Habt ihr was an­ge­fasst?« Der zwei­te jun­ge Mann, der aus Moos­gau stamm­te, starr­te Haupt­kom­mis­sar Geis­sa­cher nur mit sei­nen gro­ßen, ängst­li­chen Au­gen an und ant­wor­te­te: »Ich habe nichts an­ge­fasst, das Licht war schon an. Dann ha­ben wir ihn schon lie­gen se­hen.«

»Die ha­ben die Lei­che ge­ra­de ge­fun­den«, wuss­te Frit­zen, Po­li­zist im ers­ten Lehr­jahr. »Joa­chim Fin­ner heißt der Chef an­schei­nend.«

»Schau bit­te, dass die bei­den und auch kein an­de­rer hier et­was an­langt oder über­haupt rein­kommt.« Frit­zen nick­te.

»Se­ve­rin, bit­te ruf’ Jan an, und über­haupt Ma­thi­as, Ma­r­le­ne und auch Ig­naz, denn gleich wer­den die An­ge­stell­ten hier ihre Ar­beit be­gin­nen wol­len. Die sol­len alle war­ten, bis wir so weit sind. Und das wird dau­ern.« Sei­ne Toch­ter Ma­r­le­ne ar­bei­te­te zeit­wei­se in sei­nem Team mit, wenn Not am Mann war. Da die Ab­tei­lung ’Sit­te’ zur­zeit kei­nen Be­da­rf an wei­te­ren Ar­beits­kräf­ten hat­te, war sie ihm sehr will­kom­men ge­we­sen. Die Kor­re­spon­denz muss­te ja auch er­le­digt wer­den; auch wenn bei den Be­fra­gun­gen eine Kraft fehl­te, wur­de sie mit ein­ge­bun­den.

»Se­ve­rin, sag ihm auch noch, er soll dar­auf ach­ten, dass kei­ner hier her­ein­schau­en kann. Neu­gie­ri­ge Gaf­fer stö­ren hier nur. Fens­ter und Tü­ren ab­de­cken.«

Es dau­er­te nicht lan­ge, bis das gan­ze Moos­gau­er Mor­d­er­mitt­lungs­team an­we­send war.

An­ton Geis­sa­cher und Se­ve­rin be­tra­ten das Café durch den Hin­ter­ein­gang.

An­ton Geis­sa­cher ging durch den Raum auf und ab.

Nach vi­ta­len Re­ak­ti­o­nen beim To­ten zu su­chen war ver­ge­bens, das hat­te er schon von Wei­tem ge­se­hen.

Im Hin­ter­grund war stän­dig ein un­be­stimm­tes durch­drin­gen­des, nicht nä­her zu be­zeich­nen­des Ge­räusch zu hö­ren.

Se­ve­rin stand in Tür­nä­he und war­te­te lie­ber, bis sein Chef die Si­tua­ti­on so­weit ab­ge­checkt hat­te. So ein Mord kam ja in Moos­gau nicht alle Tage vor. Ge­ra­de als er mein­te, er kön­ne sich wie­der in Rich­tung Lei­che in Be­we­gung set­zen, rief der Kom­mis­sar laut:

»Er­mor­det! Mit ei­nem Mes­ser! Wer tut so was!«

Sein frie­si­scher Mit­a­r­bei­ter konn­te dar­auf kei­ne be­frie­di­gen­de Ant­wort ge­ben, da sie erst vor zwei Mi­nu­ten am Tat­ort ein­ge­trof­fen wa­ren. Des­halb hielt er den Mund.

Die Ge­sich­ter der Kri­po­be­am­ten wa­ren durch das Licht der Leucht­stoff­röh­ren jetzt fast so blass, wie die wei­ßen Ni­tril Ein­weg­hand­schu­he, die sie sich an­ge­zo­gen hat­ten. Al­ler­dings sa­hen sie alle mit­ein­an­der um 3 Uhr mor­gens nicht tau­frisch aus. An­ton Geis­sa­chers Blick kam aus der Fer­ne zu­rück, wäh­rend er ver­är­gert an je­dem ein­zel­nen Fin­ger der un­hand­li­chen Plas­tik­hand­schu­he zog und rub­bel­te, bis sie ge­nau pass­ten. Die Plas­tik­füß­lin­ge hat­ten sie schon über die Schu­he ge­zo­gen.

Se­ve­rin schau­te sich kurz im Raum um. Hier im klei­nen Ne­ben­raum der Back­stu­be war es zwar sau­ber und or­dent­lich, aber doch so ganz an­ders als in den hoch­glän­zen­den, von vie­len Lich­tern hell er­leuch­te­ten Ver­kaufs­räu­men, die er von ei­nem Ca­fé­be­such her kann­te. Er sah durch die schwe­re Ein­gang­s­tü­re hin­durch zum an­gren­zen­den Café, wo ge­müt­li­che Sitz­grup­pen stan­den. Der gro­ße Raum war durch üp­pi­ge, teils tro­pi­schen Pflan­zen­grup­pen un­ter­bro­chen, die die Räu­me zwi­schen den Ti­schen teil­ten, um da­durch eine in­ti­me­re At­mo­sphä­re zu schaf­fen.

Die Bä­cke­rei war ent­ge­gen sei­ner Er­war­tun­gen enorm groß. An­ton Geis­sa­cher schau­te sich al­les ge­nau an.

Es stell­te sich her­aus, dass die »Back­stu­be« das Wort »Stu­be« nicht ganz ge­recht wur­de, han­del­te es sich ei­gent­lich um ein Ge­bäu­de aus meh­re­ren rie­si­gen Räu­men, in de­nen sich chrom­glän­zen­de, tech­ni­sche Ge­rä­te, zahl­rei­che Roll­con­tai­ner, dann wie­der ge­wal­ti­ge Misch­ma­schi­nen mit arm­di­cken Quirl-Ei­sen drin. Die Funk­ti­on der ein­zel­nen Ge­rä­te war für die Er­mitt­ler nicht im­mer er­sicht­lich.

Der Raum, wo der Tote ge­fun­den wor­den war, war der kleins­te Raum in dem sehr gro­ßen Bä­cke­rei­kom­plex, aber im­mer­hin be­stimmt 20 Qua­drat­me­ter groß. Der Tote, Ei­gen­tü­mer der Kon­di­to­rei Fin­ner in Moos­gau, das größ­te Café weit und breit.

Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher such­te, wo das nerv­tö­ten­de, im­mer wie­der­keh­ren­de Ge­räusch her­kam.

»Ab­stel­len könn­ten wir es so­wie­so auch nicht, denn die Spu­ren­si­che­rung mit ih­ren Pin­seln und Pu­der­chen ist noch nicht da.«

»So ist es«, stimm­te er Se­ve­rin zu, »ich habe sie schon her­be­stellt. Wer­den gleich da sein.« Nach­dem er mit sei­ner Nase in der Luft meh­re­re Male wie ein Such­hund ge­schnup­pert hat­te, nä­her­te er sich noch­mals der Lei­che.

»Hier kommt der ko­mi­sche Ge­ruch her. Ich mei­ne jetzt nicht die sonst üb­li­chen Ge­rü­che bei ei­ner Lei­che, aber jetzt mischt sich hier auch noch ein säu­er­li­cher Ge­ruch mit ein, lie­ge ich da rich­tig?«

Er si­gna­li­sier­te sei­nem As­sis­ten­ten nä­her zu kom­men.

Der tote Kör­per, der auf ei­ner Art För­der­band lag, wur­de an­dau­ernd mit ei­nem leich­ten Stoß vor­wärts in ei­ner Rich­tung ge­sto­ßen. Da­hin, wo sich eine gro­ße ei­ser­ne Tül­le und da­ne­ben noch eine Klei­ne­re be­fan­den.

Durch die stän­di­ge mi­ni­ma­le Fort­be­we­gung des Lauf­bands, hat­te sich der Kör­per schräg vor den Tül­len po­si­tio­niert und war dort hän­gen ge­blie­ben. Der Schä­del des Op­fers war durch die ste­ti­ge me­cha­ni­sche Druck­aus­übung auf den Kno­chen und durch die scha­rf­kan­ti­gen Edel­stahl­tül­len an­schei­nend ver­letzt wor­den. Al­ler­dings kam es dem Kom­mis­sar so vor, dass der Mör­der vor­her den Schä­del des Op­fers schon schwer zu­ge­setzt hat­te, denn so eine Ver­let­zung schaff­ten die Ein­füll­tül­len al­lei­ne be­stimmt nicht. Er sah ge­nau hin.

»So was habe ich auch noch nicht ge­se­hen«, stell­te er fest. »Gehe ich recht in der An­nah­me, dass das hier Sah­ne ist?« Er zeig­te auf die ziem­lich flüs­si­ge, teils wei­ße, teils rosa Mas­se, in der Kopf und Rumpf der Lei­che la­gen. Es tropf­te. Vom Fließ­band, wor­auf der Tote lag, tropf­te es un­auf­hör­lich auf den Bo­den.

Der Tote lag halb auf dem Bauch, halb weg­ge­dreht. Ein Arm war vom För­der­band ge­rutscht und hing seit­lich run­ter. Ge­ron­ne­nes Blut ver­misch­te sich mit halb­fes­ter und größ­ten­teils flüs­si­ger Sah­ne. Das Blut stamm­te teils von ei­ner star­ken Kopf­ver­let­zung; au­ßer­dem wa­ren Rü­cken und Klei­dung des Man­nes vol­ler Blut. Im Rü­cken steck­te ein Mes­ser.

Auf ein­mal war der Raum vol­ler in wei­ßen Over­alls ge­klei­de­ten Spu­ren­si­che­rer mit­samt ih­rer Aus­rüs­tung, die sich einen Mund­schutz um­ban­den. Sie nah­men ihre Werk­zeu­ge in der Hand und be­gan­nen, die Lei­che, den Raum und die Ma­schi­nen nach Fin­ger­ab­drü­cken, ver­däch­ti­gen Fa­sern und Sons­ti­gem ab­zu­su­chen. Der Arzt war auch mit­samt sei­nem Alu­kof­fer da­bei und tat sei­ne Ar­beit.

Es war eine fet­ti­ge und ekel­er­re­gen­de An­ge­le­gen­heit, was man da vor­fand.

»Von so ei­nem Stich in den Rü­cken, noch dazu Rich­tung Her­z­ge­gend, stirbt ein je­der«, stell­te der Arzt fest. Kom­mis­sar Geis­sa­cher hielt die Be­mer­kung ge­ra­de noch zu­rück, dass so­gar er, ohne me­di­zi­ni­sche Vor­kennt­nis­se, das ge­nau­so hät­te fest­stel­len kön­nen.

Lu­kas hat­te, auf Geis­sa­chers Bit­te hin, das Ge­räusch ab­ge­stellt. Der Schal­ter, der das Pie­pen in Gang setz­te, war als al­le­r­ers­te mit ei­nem Pin­sel mit schwa­r­zem Pul­ver un­ter­sucht und fo­to­gra­fiert wor­den. Gleich er­schien dann auch ne­ben dem Schal­ter eine klei­ne LED An­zei­ge mit dem Wort »leer« dar­auf. Über­rascht sa­hen die bei­den Be­am­ten, dass auch die Vor­wärts­be­we­gung des För­der­ban­des auf­hör­te. Geis­sa­cher at­me­te auf.

»Vor­sicht, hier liegt ein Han­dy am Bo­den«, warn­te der Fo­ren­si­ker die an­we­sen­den Per­so­nen und stell­te ein Plas­tik­schild­chen mit ei­ner Num­mer drauf hin.

Er nahm das Mo­bil­ge­rät vor­sich­tig auf und de­po­nier­te es in ei­nem Plas­tik­beu­tel­chen, nach­dem vor­her ein an­de­rer die Stel­le mit ei­ner Di­gi­tal­ka­me­ra fest­ge­hal­ten hat­te. Dann kam noch eine Num­mer drauf.

»Er muss noch ver­sucht ha­ben, Hil­fe zu ho­len, neh­me ich an. Wahr­schein­lich ist es ihm aus der Hand ge­fal­len, beim Ver­such, je­man­den zu er­rei­chen. Se­ve­rin, über­prü­fe das bit­te spä­ter, wenn die Spu­ren­si­che­rung es frei­ge­ge­ben hat«, sag­te der Kom­mis­sar.

»Ja, er wird also noch nicht ganz tot ge­we­sen sein, als er auf das För­der­band ge­schmis­sen wur­de. Denn von al­lei­ne legt man sich nicht dar­auf.«

»Weißt du was ich den­ke?« Se­ve­rin schau­te sei­nen Chef an. Der schau­te mit über­trie­ben un­wis­sen­der Mi­mik zu­rück.

»Durch die Vor­wärts­be­we­gung des Lauf­bands wer­den die Ge­bäck­stü­cke Rich­tung Ein­füll­tül­len ge­scho­ben, wo das Ge­bäck­stück dann ei­ner nach dem an­de­ren mit Sah­ne ge­füllt wird. Das ist ganz ge­nau von Se­kun­de zu Se­kun­de so pro­gram­miert. Und wenn sie ge­füllt sind, geht’s wie­der wei­ter. Raf­fi­niert!« Der frie­si­sche Be­am­te be­trach­te­te nach­denk­lich das Trans­port­band.

»Und jetzt wird der Tote vor­wärts ge­scho­ben«, kon­sta­tier­te der Kom­mis­sar.

»Hier ist ein Schal­ter, ich ver­su­che mal das Ding zum Stop­pen zu brin­gen.« »Ei­gen­ar­tig«, fand Va­len­tin und stol­per­te fast über die Num­mern­ta­feln, die be­reits am Bo­den auf­ge­stellt wor­den wa­ren. Jetzt erst, als der Spu­ren­si­che­rer die Ma­schi­ne ab­ge­stellt hat­te, lag der Kör­per still da.

In den hell er­leuch­te­ten Räu­men setz­ten die Kri­mi­nal­tech­ni­ker, ohne viel zu re­den ihre Ar­beit fort.

Jan war ein­ge­trof­fen. Er be­rich­te­te, dass er ge­ra­de noch ein nas­ser Wasch­lap­pen über sein Ge­sicht hat­te zie­hen kön­nen, be­vor er her­kam. Haupt­kom­mis­sar Geis­sa­cher hob sei­ne Hand kurz zur Be­grü­ßung hoch.

»Jan, bit­te schau auf die bei­den Zeu­gen drau­ßen im Auto und ver­su­che, et­was aus de­nen her­aus­zu­be­kom­men. Sie ha­ben den To­ten hier vor­hin ge­fun­den. Und wenn der eine kein Deutsch spricht, müs­sen wir Fin­ger­ab­drü­cke von ihm neh­men und sei­ne Pa­pie­re an­schau­en. Vom an­de­ren na­tür­lich auch. Die zwei­te Per­son wird si­cher wis­sen, wie der Kol­le­ge heißt. Geis­sa­cher schau­te Se­ve­rin an.

»Und ist schon je­mand von der Fa­mi­lie Fin­ner ar­ri­viert? Da muss auch mal je­mand kom­men.« Jan mur­mel­te et­was Un­ver­ständ­li­ches und warf ganz kurz einen Blick auf das Op­fer auf dem Trans­port­band. Dann trot­te­te er zu den bei­den Män­nern hin, die ängst­lich und zit­ternd an­ge­lau­fen ka­men. Es tropf­te noch ein we­nig drau­ßen, sie stell­ten sich un­ter.

»Wir ha­ben noch nicht al­les ge­sich­tet, Se­ve­rin. Das Schlaf­zim­mer des Op­fers und das Büro zum Bei­spiel. Da möch­te ich schon noch einen Blick hin­ein­wer­fen«, sag­te An­ton Geis­sa­cher zu Se­ve­rin und deu­te­te auf die um­lie­gen­den Räu­me. »Ob da die Schlös­ser alle in Ord­nung sind und so wei­ter. Könn­te ja ein­ge­bro­chen wor­den sein, ob­wohl der eine von den bei­den Män­nern ge­sagt hat, die Ein­gang­s­tü­re hier stand of­fen. Ist die Spu­ren­si­che­rung da schon fer­tig?« Wäh­rend von drau­ßen schon An­zei­chen von ein­tru­deln­den Au­tos und Stim­men zu hö­ren wa­ren, sämt­li­che Au­totü­ren zu­ge­wor­fen wur­den, mach­ten die Er­mitt­ler sich noch ein Bild von der üb­ri­gen Bä­cke­rei. Die Kü­che, wo die klei­nen Ge­rich­te die auf der Spei­se­kar­te zu fin­den wa­ren, zu­be­rei­tet wur­den, war auch bes­tens aus­ge­stat­tet. Dort schwang Ste­fan, der jüngs­te Sohn der Fin­ners das Kü­chen­zep­ter, hat­te je­mand ge­sagt. An­ton Geis­sa­cher sah Ge­rä­te und glän­zen­de Ap­pa­ra­ten ste­hen, die er we­der schon mal ge­se­hen noch be­dient hat­te.

Bald wür­den auch die Bä­cker und Kon­di­tor­meis­ter ihre Ar­beit be­gin­nen wol­len.

Mit fröh­li­chen Ge­sich­tern wa­ren zwei flin­ke jun­ge Män­ner aus ei­nem Auto ge­stie­gen. Ei­ner woll­te drau­ßen schon über das von den Uni­for­mier­ten an­ge­brach­te Flat­ter­band stei­gen, wur­de je­doch durch Jan dar­an ge­hin­dert.

»Ein­tritt ver­bo­ten. Bit­te blei­ben Sie, wo Sie sind!«, ord­ne­te er an. »Es hat einen To­des­fall ge­ge­ben.«

Die Män­ner, die nor­ma­le­r­wei­se an­ge­fan­gen hät­ten, fri­sche Tei­ge zu­sam­men­zu­stel­len, stan­den oder sa­ßen alle mit rat­lo­sen, teil­wei­se ent­setz­ten Ge­sich­tern da. Alle Mit­a­r­bei­ter wa­ren im Café ver­sam­melt.

Theo­dor, Fin­ners äl­tes­ter Sohn, war in­zwi­schen ge­hetzt und mit hoch­ro­tem Kopf ein­ge­trof­fen und schau­te wild um sich, was da al­les los war. Er wur­de von Jan in­for­miert.

Es dau­er­te et­was, bis er sich wie­der ge­fan­gen hat­te, nach­dem es zu ihm durch­ge­drun­gen war, was in der Nacht al­les pas­siert war. »Papa, der Papa ist tot«, mur­mel­te er im­mer vor sich hin. »Kann ich ihn se­hen? Ich möch­te ihn se­hen.«

Jan er­klär­te ihm die Si­tua­ti­on, dass es so­fort nicht mög­lich war, in der Nähe des Ta­t­orts zu kom­men.

Als Theo die Si­tua­ti­on so­weit ver­a­r­bei­tet hat­te, rief er alle sei­nen Mit­a­r­bei­tern bei­sam­men und lots­te sie zu den an­de­ren ins Café. Mit Er­laub­nis der Spu­ren­si­che­rer hat­te er das Café ge­wählt, das nicht zum Tat­ort ge­hör­te, da das Café spä­tes­tens abends ab 20.00 Uhr im­mer zu­ge­sperrt wur­de. Von den Fo­ren­si­kern war dort nichts Re­le­van­tes ge­fun­den wor­den, so­dass Theo die Er­laub­nis be­kom­men hat­te, das Per­so­nal dort in Ruhe zu be­fra­gen, ei­ner nach dem an­de­ren.

Be­vor Theo sei­ne Mann­schaft zu­sam­men­trom­mel­te, woll­te Geis­sa­cher dann doch noch eine ers­te Fra­ge an ihn los­wer­den: »Hat­te nur der Papa einen Schlüs­sel von der Bä­cke­rei und vom Café oder hat er die auch mal aus­ge­lie­hen?«

Theo schau­te ihn ver­wirrt an. »Nein, die Schlüs­sel aus­ge­lie­hen? Wirk­lich nicht. Die hat er nicht aus der Hand ge­ge­ben! Wir, die nächs­te Fa­mi­lie, also Mama und mei­ne Brü­der ha­ben na­tür­lich auch Schlüs­sel. Aber die lie­gen bei den meis­ten wahr­schein­lich nur zu Hau­se. Ge­braucht ha­ben wir die nie, weil der Papa im­mer al­les zu- und auf­ge­sperrt hat.«

Al­les war auf ein­mal an­ders für die An­ge­stell­ten des Ca­fés. Ge­ra­de auf­ge­stan­den und dann ein Mord, das ging noch gar nicht in den Köp­fen der jun­gen Leu­te hin­ein.

An an­de­ren Ta­gen hing hier der an­ge­neh­me Ge­ruch nach fri­schen Sem­meln, He­fe­teig, Nuss­brot oder Ap­fel­stru­del in der Luft, statt­des­sen war heu­te ein un­be­kann­ter, un­an­ge­neh­mer Ge­ruch zu be­mer­ken.

Sonst wuss­te je­der, wie eine gut ein­ge­spiel­te Mann­schaft, fast aus­wen­dig was sei­ne Auf­ga­be war und wo sich al­les be­fand, was man brauch­te. Heu­te wa­ren sie zur Un­tä­tig­keit ge­zwun­gen.

Die Män­ner und auch Ve­ro­ni­ka Bartl­hu­ber, die Ver­lob­te vom äl­tes­ten Fin­ner Sohn Theo­dor, die sonst auch sehr tüch­tig im Café tä­tig war, stan­den trau­rig und un­sch­lüs­sig her­um. Kei­ner konn­te auch nur einen Grund nen­nen, war­um der Mord ge­sche­hen sein könn­te. Ein paar Mit­a­r­bei­ter wisch­ten oder tipp­ten schon eif­rig auf ih­ren Han­dys her­um.

Nach etwa ei­ner hal­b­en Stun­de schau­te Ma­thi­as noch­mals in die Back­stu­be hin­ein und frag­te An­ton Geis­sa­cher, ob Theo­dor, der be­reits be­fragt wor­den war und nun als »Chef« im Café galt, über alle De­tails des Ab­le­bens sei­nes Va­ters in­for­miert wer­den konn­te oder ob er den To­ten iden­ti­fi­zie­ren müs­se.

»Spä­ter, voll­stän­dig kön­nen wir ihn noch nicht in­for­mie­ren, Ma­thi­as, die Be­weis­auf­nah­me ist noch nicht ab­ge­schlos­sen. So bru­tal, wie das jetzt aus­schaut, kön­nen wir ihm das nicht zu­mu­ten. Er soll ein­fach war­ten. Er wird schon wis­sen, dass er sei­ne Ar­beit heu­te nicht wie ge­wohnt ver­rich­ten kann, er muss ein­fach um­dis­po­nie­ren. Und so viel Ner­ven hat meis­tens kei­ner, dass er zur Ta­ges­ord­nung über­geht, wenn je­mand, noch dazu sein Va­ter, er­mor­det wor­den ist. Üb­ri­gens, soll­ten sie es noch nicht ka­piert ha­ben, dass alle Leu­te, die jetzt hier ein­ge­trof­fen sind, hier nicht ar­bei­ten kön­nen, muss er das de­nen deut­lich ma­chen. Das Café, über­haupt al­les hier bleibt bis auf Wei­te­res ge­schlos­sen. Sie sol­len sich aber der Spu­ren­si­che­rung zur Ver­fü­gung stel­len, du weißt schon was zu tun ist. Schild an der Tür hin­hän­gen las­sen und Tü­ren schlie­ßen.«

Ma­thi­as sa­lu­tier­te und ging wie­der hin­aus.

Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher hielt einen Mo­ment inne.

»Jan soll gleich ein paar Fo­tos ma­chen. Er weiß, wo mein Ap­pa­rat ist.« Wie im­mer schau­te der­je­ni­ge der Spu­ren­si­che­rungs­trup­pe, des­sen Auf­ga­be es war, Fo­tos vom Tat­ort zu ma­chen, ein we­nig ge­nervt bei die­ser Aus­sa­ge, aber das stör­te dem Kom­mis­sar nicht im Ge­rings­ten. An­ton Geis­sa­cher hat­te es sich zur Ge­wohn­heit ge­macht, sel­ber mit sei­nem ei­ge­nen Ap­pa­rat, ei­nem Ge­burts­tags­ge­schenk sei­ner Frau, ei­ni­ge Fo­tos zu ma­chen, die er im Büro je­der­zeit zur Hand neh­men konn­te. In der Pra­xis über­ließ er das Fo­to­gra­fie­ren Jan, der sich mit dem Hight­ech Ap­pa­rat bes­ser aus­kann­te als er sel­ber.

Ei­ni­ge zu­sätz­li­che Strei­fen­wa­gen wa­ren schon ein­ge­trof­fen. Der Not­a­rzt­wa­gen da­ne­ben hat­te, trotz der frü­hen Stun­de, schon eine Men­ge Neu­gie­ri­ger um sich ver­sam­melt, die das Ge­sche­he­ne be­ob­ach­te­ten.

Jan, der den Ap­pa­rat sei­nes Chefs aus dem Auto ge­holt hat­te, konn­te es nicht las­sen, den sich trotz al­ler Frü­he ver­sam­mel­ten Gaf­fern zu sa­gen: »Pu­blic View­ing gibt’s jetzt nicht.«

Wor­auf die Schau­lus­ti­gen et­was be­schämt schau­ten oder sich ab­wen­de­ten.

»Voll krass, die gan­ze Sah­ne wird ihm di­rekt ins Hirn nei­ge­spritzt!« Jan be­trach­te­te den To­ten auf dem Lauf­band, nahm wie im­mer kein Blatt vor den Mund. Ein Blick von sei­nem Chef und er hielt den Mund. Als er die Staub­kap­pe vom Ob­jek­tiv ent­fernt hat­te, fing er an, die ge­wünsch­ten Ein­stel­lun­gen am Ap­pa­rat vor­zu­neh­men.

Jan war der Jüngs­te in An­ton Geis­sa­chers Team, der Kom­mis­sar ar­bei­te­te ger­ne mit ihm. Es er­in­ner­te ihn an sei­ne ei­ge­ne An­fangs­zeit. Jan hat­te sei­ne ju­gend­li­che Un­be­son­nen­heit größ­ten­teils be­wah­ren kön­nen. Das zu än­dern hat­te der Po­li­zei­ap­pa­rat noch nicht ge­schafft. Zu­wei­len amü­sier­te der Kom­mis­sar sich über sei­ne Kom­men­ta­re, dann wie­der ver­such­te er mit Bli­cken oder de­zen­tem Räus­pern Jans Spon­ta­ni­tät ein we­nig zu zü­geln.

Jan nahm den Fo­to­ap­pa­rat zur Hand und är­ger­te sich so­fort. Sein Chef hat­te wie­der ein­mal un­pro­fes­si­o­nell an den Ein­stel­lun­gen her­um­ge­fum­melt, sah er und stell­te al­les wie­der her. Man sah, dass Jan ger­ne fo­to­gra­fier­te, er knips­te von oben bis un­ten jede Klei­nig­keit: Von der Sei­te, von oben her­ab, von un­ten her ge­nau­so wie in ei­ner sehr un­be­que­men Po­si­ti­on halb ne­ben dem För­der­band lie­gend, hielt er al­les auf dem di­gi­ta­len Chip fest.

»Aus al­len Blick­win­keln, Jan, gell? Und auch noch vom Sah­ne­ap­pa­rat selbst hier, die Tül­len und die Schal­ter und was weiß ich was noch al­les, nicht wahr«, ord­ne­te Geis­sa­cher an.

»Hab I scho, Chef.«

»Und vor al­len Din­gen auch die Schie­be­vor­rich­tung hier auf dem Band, ganz im De­tail bit­te, da sind ziem­lich scha­rf­kan­ti­ge Ein­rich­tun­gen drauf.«

Jan nick­te eif­rig und, er­staun­lich be­hut­sam um den Tat­ort her­um­schlei­chend, klick­te er un­un­ter­bro­chen mit dem di­gi­ta­len Ge­rät. »Ich hof­fe, dass man, trotz Sah­ne, noch et­was sieht.« Jan schau­te skep­tisch. »Kann ich hier die Sah­ne a bissl weg­wi­schen?«, frag­te er die Kol­le­gen der KTU. Ei­ner nick­te zu­stim­mend: »Wir sind schon fer­tig mit dem Gan­zen da.«

»Pri­ma, dan­ke Jan«, lob­te der Kom­mis­sar sein jüngs­ter Mit­a­r­bei­ter und fand, dass Jan für heu­te sein Pen­sum an Mit­a­r­bei­ter­mo­ti­va­ti­on schon er­hal­ten hat­te.

Theo war sich be­wusst, dass er sei­nen Va­ter noch iden­ti­fi­zie­ren muss­te, eine Auf­ga­be, die ihm Angst mach­te. Es wür­de ihn um­hau­en, be­fürch­te­te er. Es war ihm au­ßer­dem be­wusst, dass mo­men­tan viel von ihm er­war­tet wur­de, er war der Äl­tes­te von sei­nen drei Brü­dern, die in­zwi­schen auch in sei­ner Nähe her­um­stan­den. Ei­ner der Brü­der hat­te ge­stam­melt: »Vier Söh­ne hat­te er, und kei­ner konn­te dem Va­ter hel­fen!« Ei­ni­ge der Män­ner hat­ten Trä­nen in den Au­gen, sie konn­ten nicht fas­sen, was ge­sche­hen war.

Die Er­mitt­ler lie­ßen die Fa­mi­lie und ihre Mit­a­r­bei­ter scho­ckiert zu­rück und an die­sem Zu­stand wür­de sich so schnell nichts än­dern.

2

6 Uhr mor­gens

Die Ku­si­ne von Kri­mi­nal­haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher, Lisa Kon­ra­di, ging, wie je­den Mor­gen, zu Fuß oder mit dem Fahr­rad zur Ar­beit. Die Un­fall­kli­nik Mur­nau war ja nicht all­zu weit von ih­rer Woh­nung in Moos­gau ent­fernt. Und wenn es reg­ne­te oder schnei­te, hol­te ihr Freund Ge­org sie ger­ne von zu Hau­se ab, um sie zur Kli­nik zu fah­ren. Nicht dass sie über kein ei­ge­nes Auto ver­füg­te, aber der Um­welt muss­te hin und wie­der doch auch Re­spekt ge­zollt wer­den, fan­den bei­de.

Heu­te hat­te sie das Fahr­rad zu Hau­se ge­las­sen und war zu Fuß un­ter­wegs. Der Re­gen hat­te auf­ge­hört, die Stra­ßen wa­ren noch nass. Das Café Fin­ner öff­ne­te die Tü­ren um sechs Uhr in der Früh, ge­nau rich­tig für sie.

Die täg­lich wie­der­keh­ren­de mor­gend­li­che Pro­ze­dur, be­ste­hend aus Tas­se und Un­ter­tel­ler aus dem Schrank neh­men, dazu ein Früh­stück­stel­ler, Mes­ser, ein klei­ner Löf­fel aus der Schub­la­de und was al­les noch ge­braucht wur­de, hat­te sie heu­te un­ter­bre­chen wol­len. Je­den Tag die glei­chen Hand­lun­gen, Kaf­fee und Kaf­fee­fil­ter her­vor­kra­men, um ein klei­nes Früh­stück für sich al­lei­ne zu­zu­be­rei­ten.

Heu­te, das Ge­halt war ge­ra­de mal einen Tag auf ih­rem Kon­to gut­ge­schrie­ben wor­den, woll­te sie es sich auch mal gut ge­hen las­sen und vi­sier­te die Früh­stücks­the­ke des Ca­fés Fin­ner an.

Sie sah es schon von Wei­tem: Al­les war dun­kel. Was ist da los, frag­te sie sich. Sonst ist doch al­les um die­se Zeit tag­hell er­leuch­tet! Noch dazu war heu­te kein Ru­he­tag. Die über­di­men­si­o­na­le, glän­zen­de Scho­ko­la­den­hau­be, die er­staun­lich echt aus­sah und fast Tag und Nacht auf ei­ner dreh­ba­ren Prä­sen­ta­ti­ons­platt­form hin und her be­wegt wur­de, stand heu­te un­be­weg­lich im Schau­fens­ter. Von wel­cher Sei­te man die Räum­lich­kei­ten von der Stra­ßen­sei­te auch be­trat, im­mer war das über­gro­ße, von ge­schickt plat­zier­ten Spots be­leuch­te­te Kunst­stoff­back­werk zu se­hen, mit der Ab­sicht, Ap­pe­tit auf die Spe­zi­a­li­tät des Hau­ses zu ma­chen. Es war, so könn­te man es be­zeich­nen, auch das Logo der Spe­zi­a­li­tä­ten­kon­di­to­rei Fin­ner.

Lisa war ganz ver­blüfft. Kei­ne Be­we­gung, we­der von der über­gro­ßen Wer­be Scho­ko­hau­be im Schau­fens­ter, noch ir­gend­wel­che mensch­li­chen Ge­stal­ten wa­ren im Café zu se­hen.

Kein Be­trieb. Sie wuss­te aber, dass es bei Fa­mi­lie Fin­ner kei­ne Ru­he­tage gab. Auch in der gut­be­such­ten Fe­ri­en­zeit, als Hor­den von Tou­ris­ten in Moos­gau und Um­ge­bung über­nach­te­ten, wur­de tou­jour wei­ter­ge­ar­bei­tet. Nein, es war kei­ne 0815 Bä­cke­rei. Es war eine fei­ne Pa­tis­se­rie, wo aus­ge­such­te Früch­te, Ge­wür­ze und Tei­ge ver­a­r­bei­tet wur­den. Hier war der Maß­stab doch et­was hö­her ge­hängt als an­ders­wo. Die Bau­ern aus der Um­ge­bung lie­fer­ten nach der Ern­te ihre Pro­duk­te dort ab; im Win­ter wur­de auf Tief­ge­fro­re­nes oder Ein­ge­mach­tes zu­rück­ge­grif­fen, wo­bei jah­res­zeit­ge­mäß die ed­len, frisch­ge­ern­te­ten Nüs­se den Vor­rang hat­ten.

Vie­le Tou­ris­ten nah­men ex­tra einen klei­nen Um­weg zum Café Fin­ner in Kauf, um auf der rie­sen­gro­ßen Pan­orama­ter­ras­se mit Blick auf die ge­lieb­ten Al­pen ein herr­li­ches Stück Ku­chen oder das be­rühm­te Sah­ne­ge­bäck mit Cho­co­la­de­hau­be zu ge­ni­e­ßen. Und sich dazu in der Son­ne das Ge­sicht und die Arme zu bräu­nen. Wo­bei dann so man­ches Mal ge­seufzt wur­de: »Herr­lich, die­se Ber­ge!«

Die Bä­cke­rei mit Café und an­gren­zen­der Ter­ras­se hat­te sich di­rekt vor den Al­pen breit­ge­macht. Mit ei­nem Ape­rol Spritz oder ei­ner Lat­te mac­ch­i­a­to war Lisa im Som­mer auch schon mal auf der Ter­ras­se zu fin­den, mit ei­ner oder meh­re­re Freun­din­nen, die im­mer voll be­geis­tert wa­ren.

Eine bes­se­re Adres­se konn­te man sich nicht vor­stel­len: Im Som­mer ka­men die Tou­ris­ten und Aus­flüg­ler aus der Münch­ner Ge­gend zu­hauf und im Win­ter wa­ren die Ski- und Lang­läu­fer es, die, be­vor sie sich zur Zug­spit­ze be­ga­ben, noch schnell ein gro­ßes Früh­stück ein­ver­leib­ten. Oder na­tür­lich die gro­ßen gut­schme­cken­den Wind­beu­tel, über­zo­gen mit ei­ner ex­qui­si­ten Scho­ko­la­de. Die wa­ren der Ren­ner bei den Gäs­ten. Dann gab es noch das Ähndl, ein gro­ßes Na­tur­ge­biet ei­ni­ge Mi­nu­ten von Moos­gau ent­fernt, auf dem Weg nach Moos­gau und Gar­misch. Das Ge­biet, das sich Na­tur­park Am­mer­gau­er Al­pen nennt, war ein zu­sätz­li­cher An­zie­hungs­punkt für Frei­zeit­sport­ler.

Lisa wuss­te schon, war­um sie hier­her­kam. Aber jetzt stand sie di­rekt vor dem an­vi­sier­ten Ziel und sah sich er­staunt um. Und ge­ra­de heu­te hat­te sie Lust auf einen Lat­te Mac­ch­i­a­to ge­habt, flan­kiert von ei­nem ofen­war­men, ge­ba­cke­nen Va­nil­le Crois­sant. Mist! Mit lee­rem Ma­gen ins Un­fall­kran­ken­haus, hieß das. Die Pa­ti­en­ten wür­den das mer­ken, wenn sie über­haupt nicht ge­früh­stückt hat­te.

Das Flat­ter­band, das an­ge­bracht wor­den war, brach­te sie als Ers­tes ins Stau­nen, be­deu­te­te aber den­noch für sie kein Hin­der­nis. Sie schaff­te es schnell un­ter dem Flat­ter­band durch­zu­sch­lüp­fen, schau­te mit der Nase dicht ans Schau­fens­ter ge­drückt in die Räum­lich­kei­ten hin­ein, wo­bei sie am Fens­ter einen klei­nen Fett­fleck hin­ter­ließ. Nichts zu se­hen. An den Fens­tern wa­ren die Lu­xaflex Rol­los be­reits her­un­ter­ge­fah­ren wor­den oder mit ei­nem gro­ßen La­ken zu­ge­deckt. Was tun? Die Schil­der, wor­auf mit Ed­ding groß »GE­SCHLOS­SEN« oder »VER­BO­TEN EIN­ZU­TRE­TEN« ge­schrie­ben stand, er­staun­ten sie.

Neu­gier­de war eine von Lisa’s Ei­gen­schaf­ten, die manch ei­ner als ihre auf­fallends­te be­zeich­ne­te. In ei­ni­gen Fäl­len kam ihr das je­doch wie­der zu­gu­te, zum Bei­spiel in Sa­chen Auf­spü­rung ei­nes Tä­ters in Mord­fäl­len. Zum Bei­spiel Mord­fäl­le bei der Po­li­zei Moos­gau, wo ihr On­kel An­ton mo­men­tan das Sa­gen hat­te.

Er konn­te ein Lied da­von sin­gen. Zum un­mög­lichs­ten Zeit­punkt und zur un­pas­sends­ten Ge­le­gen­heit war Lisa im­mer auf­ge­taucht, wenn es galt, einen Mord­fall zu lö­sen. »Ihre Nase hin­ein­ste­cken«, nann­te An­ton Geis­sa­cher es. Die Schluss­fol­ge­run­gen, die sie dann dar­aus zog, wenn sie et­was ent­deckt hat­te, wa­ren nicht im­mer lo­gisch, aber re­a­li­täts­fremd konn­te man sie auch nicht nen­nen. Ja, das muss­te er ihr las­sen, sie lag auch oft rich­tig und hat­te so man­ches Mal zur Lö­sung ei­nes Fal­les bei­ge­tra­gen. Ihr tri­um­phie­ren­des Lä­cheln in so ei­ner Si­tua­ti­on muss­te ihr On­kel dann ein­fach mit in Kauf neh­men.

Ob hier von ei­nem Mord­fall die Rede war, wuss­te sie nicht, auf alle Fäl­le war es zap­pen­dus­ter, denn das Licht im Café war nicht ein­ge­schal­tet. Was konn­te da­hin­ter ste­cken, frag­te sie sich. We­gen ei­nes Strom­aus­falls wür­de man doch kein Flat­ter­band drau­ßen an­brin­gen, da müss­te doch et­was Schlim­me­res pas­siert sein. Trotz der frü­hen Stun­de hat­te sich schon ein Grüpp­chen Hung­ri­gen vor dem Café ver­sam­melt.

Dann ent­deck­te sie den Strei­fen­wa­gen, et­was wei­ter noch einen! Sie schau­te sich noch­mals kurz um, ob sich noch ir­gend­wel­che Früh­stücks­wil­li­gen in der Nähe her­um­trie­ben. Au­tos wur­den wild vor dem Ge­schäft ge­parkt, Ärz­te und ein jun­ger Mann stie­gen aus und schau­ten ge­nau­so rat­los wie Lisa zum un­ge­wöhn­lich dunk­len Café hin.

»I mecht’ früh­stü­cken«, stieß ein ge­ra­de hin­zu­ge­kom­me­ner jun­ger Mann im Blau­mann aus.

»Was ist hier los?«, frag­te ein in wei­ßer Hose und dunk­ler Ja­cke ge­klei­de­ter Arzt. Alle glänz­ten mit Nicht­wis­sen und zuck­ten mit den Schul­tern.

Es war kurz vor halb sie­ben, um halb acht muss­te Lisa ih­ren Dienst im Kran­ken­haus Mur­nau an­tre­ten, viel Zeit um eine Al­ter­na­ti­ve zum Café Fin­ner zu su­chen hat­te sie also nicht. Ge­nau­so er­ging es al­len an­de­ren vor dem Café. Sie schau­te kurz um die Ecke, wo die klei­nen Au­tos für das Ca­te­ring in ei­ner Rei­he stan­den. Lisa lä­chel­te beim Le­sen der Auf­schrift auf der Sei­te der klei­nen Kühl­las­ter:

’Vom Früh­stück­s­ei bis gro­ßem Din­ner

Al­les lie­fert Ca­te­ring Fin­ner’.

Ca­te­ring Fin­ner war be­kannt, mit ei­nem klei­nen Lie­fer­au­to hat­ten sie an­ge­fan­gen, nun stan­den da schon 3 von der Sor­te.

Vom Po­li­zis­ten un­be­merkt, hat­te Lisa es ge­schafft das Flat­ter­band zu igno­rie­ren und ge­schaut, ob drin­nen nicht doch noch et­was zu se­hen war. Durch den Spalt zwi­schen zwei La­ken war auch nicht viel zu se­hen. Ge­ra­de als sie um­keh­ren woll­te, hör­te sie ein Ge­räusch, das aus dem In­ne­ren des Früh­stücks­rau­mes zu kom­men schien.

Sie sah ge­ra­de noch, dass drin­nen an der Sei­te des Rau­mes eine Tür auf­ge­sperrt, dann an­schlie­ßend das Licht an­ge­knipst wur­de und zu­erst das Ge­sicht ih­res 55-jäh­ri­gen On­kels, dann sei­ne gan­ze, nicht ganz schlan­ke Ge­stalt sicht­bar wur­de. Un­mit­tel­bar hin­ter ihm war eine etwa 38 bis 40 Jah­re alte at­trak­ti­ve Frau mit ge­pfleg­ter Er­schei­nung zu se­hen, ge­klei­det in ei­nem re­prä­sen­ta­ti­ven baye­ri­schen Dirndl. Sie zeig­te ihm die Räum­lich­kei­ten und Ausstat­tung im Früh­stücks­ca­fé. Er wird doch nicht ex­tra be­dient wer­den, dach­te sei­ne Ku­si­ne Lisa. Das wär’ ja noch schö­ner. Wir wol­len hier alle früh­stü­cken!

Es dau­er­te kei­ne zwei Se­kun­den bis Lisa fest­stell­te, dass ihr On­kel nicht zwecks Nah­rungs­auf­nah­me da war, son­dern dass er im Mo­ment in sei­ner Po­si­ti­on als Kri­mi­nal­haupt­kom­mis­sar ’Mord und Tot­schlag’, wie sie es nann­te, tä­tig war. Ihr On­kel er­weck­te den Ein­druck, als ob er kon­zen­triert bei der Sa­che war, erst als sie mit dem Knö­chel ih­res Zei­ge­fin­gers ener­gisch auf das Schau­fens­ter­glas klopf­te, zuck­te er zu­sam­men.

Die bei­den Per­so­nen drin­nen im Früh­stücks­raum, der jetzt hell er­leuch­tet war, schau­ten in ihre Rich­tung. Schon sah sie den ent­setz­ten Blick ih­res On­kels auf sich ge­rich­tet, den sie so in­ter­pre­tier­te, dass er sie in dem Mo­ment lie­ber nicht hier se­hen woll­te. Ihr Ein­druck täusch­te nicht, da er zu sei­ner Be­gleit­per­son et­was sag­te und die­se ei­lig das Licht lösch­te, wor­auf die bei­den wie­der ver­schwan­den und die Tür hin­ter sich schlos­sen.

Su­per freund­lich konn­te man ihr On­kel nicht nen­nen, das muss­te Lisa zu­ge­ben, aber et­was hät­te er ihr doch sa­gen oder deu­ten kön­nen. Ma­r­le­ne, sei­ne Toch­ter, war da ko­ope­ra­ti­ver.

Lisa stand im­mer noch rat­los vor dem Fens­ter. Die an­de­ren An­we­sen­den, die eben­falls früh­stü­cken woll­ten, hat­ten schon an­der­wei­tig eine Al­ter­na­ti­ve ge­fun­den, so schien es.

»Geh’mer, geh’mer«, rief plötz­lich ein Po­li­zist Lisa zu. »Hier gibt’s nichts zu schau­en!« Sie mach­te, dass sie wie­der zu­rück un­ters Flat­ter­band schlüpf­te. Un­sch­lüs­sig stand sie her­um.

Sie schau­te sich die Ber­ge an, die schon von ein we­nig Licht er­hellt wur­den; sonst über­herrsch­te in die­ser frü­hen Stun­de noch das an­thra­zit des Fel­sen­ge­bil­des.

Es blieb ihr nichts an­de­res üb­rig, sie muss­te wei­ter, zum Un­fall­kran­ken­haus Mur­nau. Lisa muss­te ih­ren Dienst als Kran­ken­schwes­ter an­tre­ten.

*

Die Mor­gen­däm­me­rung brach ge­ra­de her­ein, die Vor­läu­fer der auf­ge­hen­den Son­ne wa­ren schon zu se­hen. Lang­sam kam Le­ben in die Stra­ßen und Ge­schäf­te.

Alle Er­mitt­ler wa­ren wie­der im Büro ein­ge­trof­fen, die Ge­sich­ter nicht mehr ganz so blass wie um 3 Uhr in der Nacht, aber frisch und freund­lich sah kei­ner aus.

»Jungs, das war heu­te eine frü­he Ak­ti­on. Wir ge­neh­mi­gen uns zu­erst mal einen ge­schei­ten Kaf­fee.« Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher han­tier­te in der Kü­che des Polizeireviers am Kaf­fee­ap­pa­rat her­um, wo­bei er den Pa­pier­fil­ter mit dem al­ten Kaf­fee­satz ge­fähr­lich zur Sei­te hin kip­pen ließ, bis sei­ne Toch­ter Ma­r­le­ne ihm die Ar­beit ab­nahm. Den Dreck hin­ter­her weg­zu­räu­men woll­te sie auf je­den Fall ver­mei­den.

Ihr Va­ter hat­te bei ei­ner Bä­cke­rei an­ge­hal­ten, um ei­ni­ge Crois­sants und be­leg­te Sem­meln zu kau­fen. Er öff­ne­te die gro­ße Tüte und leg­te den In­halt auf Tel­ler, je­der be­dien­te sich. Der Kaf­fee­ap­pa­rat blub­ber­te vor sich hin, eine Dampf­lok war nichts da­ge­gen. Es er­in­ner­te ihn so­fort an das Ge­räusch des Sah­ne­ap­pa­ra­tes in der Back­stu­be, von der sie ge­ra­de eben zu­rück­ge­kehrt wa­ren. Der Haupt­kom­mis­sar ließ sich aber den Ap­pe­tit nicht ver­der­ben und biss herz­haft in sein Crois­sant.

Er ging das Ge­sche­he­ne noch­mals in Ge­dan­ken durch.

Als alle Mit­a­r­bei­ter der Bä­cke­rei und auch die vier Söh­ne ein­ge­trof­fen wa­ren, hat­te sich bald her­aus­ge­stellt, dass es tat­säch­lich Joa­chim Fin­ner, der Chef des Be­trie­bes war, der fehl­te. In sei­nem Schlaf­zim­mer wur­de er nicht an­ge­trof­fen. Frau Fin­ner hat­te so­mit, nach­dem Theo­dor in ihr Schlaf­zim­mer ge­stürmt war, in al­ler Herr­gotts­frü­he die trau­ri­ge Mit­tei­lung er­hal­ten. Sie hat­te in­zwi­schen vom Not­a­rzt eine Be­ru­hi­gungs­sprit­ze er­hal­ten.

»Ja, das ist mein Va­ter«, hat­te Theo bei der Iden­ti­fi­zie­rung er­schüt­tert be­stä­tigt. Die blitz­sau­be­re Bä­cke­rei be­ton­te nur noch deut­li­cher das Furcht­ba­re, das ge­sche­hen war.

Die Wit­we hat­te sich schluch­zend hin­ge­setzt und im­mer wie­der ge­klagt: »Wie? Er­mor­det? Wie­so denn? Wie soll es jetzt wei­ter ge­hen hier in der Fir­ma?« Ihre Söh­ne hat­ten sie ge­trös­tet, so gut es ging, denn sel­ber wa­ren sie eben­falls tief be­trof­fen. Ma­ria, die Frau des to­ten Fin­ner hat­te aber nicht den Wunsch ge­äu­ßert, ih­ren Mann zu se­hen, fiel Jan auf und sag­te das dem Kom­mis­sar auch.

»Man­che re­a­gie­ren so und an­de­re wie­der an­ders«, war An­ton Geis­sa­chers Mei­nung. »Jan, schau bit­te nach, ob eine Le­bens­ver­si­che­rung exis­tiert. Und wer pro­fi­tiert, vor al­len Din­gen.« Jan nick­te.

Wie es wei­ter­ging mit der Fir­ma, dar­auf konn­te bis jetzt kei­ner eine Ant­wort ge­ben. Die so un­ge­wohnt dunk­len Räu­me der Bä­cke­rei ka­men den jun­gen Leu­ten, die nor­ma­le­r­wei­se dort ar­bei­te­ten, fremd vor. Sonst bot sich hier ein ganz an­ders Bild, dann war hier ab 3 oder 4 Uhr früh al­les schon hell er­leuch­tet und es herrsch­te ein re­ger Be­trieb.

Mor­gens um etwa 6 Uhr kam dann wirk­lich viel Le­ben in die Bude, hat­te Ve­ro­ni­ka, er­zählt.

Auf An­re­gung von Ve­ro­ni­ka Bartl­hu­ber, wie die Ver­lob­te Theo­dors hieß, hat­te man vor ei­nem Jahr eine lan­ge Früh­stücks­the­ke ein­ge­rich­tet, an der man schnell einen klei­nen Es­pres­so, einen Lat­te Mac­ch­i­a­to oder einen Cappuc­ci­no, Tee oder Ka­kao trin­ken konn­te. ’Früh­stücks Bis­tro’ hat­te man es ge­tauft. Die Kunst, aus dem Milch­schaum oben auf dem Kaf­fee ein Herz­chen zu zau­bern, be­herrsch­te Ve­ro­ni­ka aus dem FF. Und hier hat­te sie das Sa­gen.

Schon wenn man die Türe öff­ne­te und ein­trat, roch man den herr­li­chen Duft von frisch auf­ge­brüh­tem Kaf­fee, die sich misch­te mit dem der fluf­fi­gen, ofen­fri­schen Crois­sants.

Un­mit­tel­bar ne­ben der Ein­gang­s­tü­re links war ein läng­li­cher Raum ge­schaf­fen wor­den, wo Kaf­fee­ma­schi­nen auf Knopf­druck das brau­ne Ge­tränk fer­tig­ten und auf Wunsch ei­ni­ge Bröt­chen oder sons­ti­ge klei­ne Back­wa­ren ge­reicht wur­den. Ei­ni­ge Steh­ti­sche wa­ren für be­son­ders ei­li­ge Kund­schaft ge­dacht und auch ein paar nor­ma­le Sitz­ge­le­gen­hei­ten bo­ten den­je­ni­gen, die aus­führ­lich früh­stü­cken woll­ten, die Ge­le­gen­heit dazu.

An­ge­glie­dert am Café war der La­den, wo die sü­ßen Le­cke­rei­en, die tags­über im Café ser­viert wur­den, auch für die Lauf­kund­schaft an­ge­bo­ten wur­den.

Es gab eine Men­ge Leu­te in Moos­gau, die sehr früh ihre Ar­beit an­tre­ten muss­ten, wie die Ärz­te vom Un­fall­kran­ken­haus Mur­nau, das sich nicht weit ent­fernt von Moos­gau be­fand, oder Not­dienst­mit­a­r­bei­ter, Wach­män­ner, Po­li­zis­ten, Schicht­a­r­bei­ter und Groß­han­del. Für Früh­auf­ste­her hat­te man eine The­ke ein­ge­rich­tet. Toast­ge­rich­ten, auch Rührei, so­wie zwei Sor­ten be­leg­te Bro­te wur­den an­ge­bo­ten. Es gab zwei Kaf­fee­sor­ten, für die Tee­lieb­ha­ber wur­de einen Schw­a­rz­tee an­ge­bo­ten. Sie hat­ten sich auf die­se klei­ne Spei­se­kar­te für das »Schnel­le Früh­stück« in der Früh ge­ei­nigt.

Es war ein vol­ler Er­folg ge­wor­den, Ve­ro­ni­ka be­herrsch­te ih­ren Job voll und ganz. Es war im­mer ge­rap­pelt voll. Der Zu­gang zum ei­gent­li­chen Café war so früh noch ver­schlos­sen. Es herrsch­te eine ge­müt­li­che At­mo­sphä­re, ge­ra­de so, dass die Gäs­te am liebs­ten in dem war­men, mit an­ge­neh­men Ge­rü­chen ge­füll­ten Raum blei­ben woll­ten. Das Ra­dio ließ die Mor­gen­sen­dung hö­ren, mit viel Mu­sik. Ei­ni­ge quatsch­ten so früh schon dar­auf los, an­de­ren wie­der­um tran­ken in Ruhe ih­ren Kaf­fee, la­sen Zei­tung und bis­sen ihre Bro­te ab. Die Be­die­nung, freund­lich und schnell ar­bei­tend, kann­te oft die Vor­lie­be des Kun­den schon und muss­te nicht mehr viel nach­fra­gen.

»Einen Schw­a­rz­tee wie im­mer, Ma­r­cel?«, hieß es dann. Der muss­te nur ni­cken und schon wur­de der Be­cher voll­ge­schenkt. Der Ar­bei­ter stand ne­ben dem Arzt, der Post­a­r­bei­ter ne­ben dem Koch, es ging al­les fried­lich zu.

Ab halb zehn wur­de dann das »Schnel­le Früh­stück« nicht mehr ge­reicht, die The­ke wur­de ge­schlos­sen und der üb­li­che Ca­fé­be­trieb nahm sei­nen Lauf. Dort konn­te man an grö­ße­ren Ti­schen et­was aus der reich­lich be­stück­ten Spei­se­kar­te aus­su­chen oder ein aus­führ­li­ches Früh­stück mit al­lem Pi­pa­po be­stel­len.

Alle Mit­a­r­bei­ter von Haupt­kom­mis­sar An­ton Geis­sa­cher hat­ten das im­pro­vi­sier­te Früh­stück ver­drückt und wur­den von ihm im Kon­fe­renz­zim­mer er­war­tet. Es galt jetzt, die ge­sam­mel­ten In­for­ma­ti­o­nen des Mor­gens aus­zu­wer­ten. Die Kol­le­gen wür­den au­ßer­dem ih­ren Senf dazu ge­ben, was all­ge­mein un­ter dem Na­men »Brain­stor­ming« be­ti­telt wur­de. Das ers­te Mee­ting war an­ge­sagt. Wie An­ton Geis­sa­cher es im­mer noch nann­te: »die La­ge­be­spre­chung«.

Jan kau­te noch kurz auf ei­nem Stück Stol­len, das er aus sei­ner Jack­en­ta­sche ge­zau­bert hat­te und nahm ne­ben Se­ve­rin Platz. Die an­de­ren for­mier­ten sich eben­so rund um den gro­ßen Tisch.

An­ton Geis­sa­cher schau­te in die Run­de und schon wur­de es mucks­mäus­chen­still. Er hat­te die gan­ze Auf­merk­sam­keit al­ler An­we­sen­den und schil­der­te einen aus­führ­li­chen Be­richt des To­des­fal­les, der an dem Tag kurz vor 3 Uhr von zwei Bä­cke­rei­mit­a­r­bei­tern ge­mel­det wor­den war.

»Zwei Män­ner ha­ben den Leich­nam mit Na­men Joa­chim Fin­ner ge­fun­den, als sie um etwa 3.00 Uhr ihre Ar­beit in der Back­stu­be be­gin­nen woll­ten. Die eine Per­son ist noch nicht na­ment­lich be­kannt, be­zie­hungs­wei­se sein Kol­le­ge sagt, dass er Ser­dar heißt. Mehr hat er nicht von ihm ge­wusst. Da er kein Deutsch spricht und auch kein Eng­lisch, wis­sen wir noch nichts Ge­nau­es von ihm. Es kann auch ein Flücht­ling aus weiß Gott wo­her sein, der un­weit von hier in Moos­gau ein­quar­tiert wur­de, das wird al­les noch eru­iert. Im Mo­ment sind die bei­den hier im Polizeirevier, da wir die Fin­ger­ab­drü­cke noch ab­neh­men und ein Foto ma­chen müs­sen, ge­nau­so wie vom üb­ri­gen Per­so­nal. Wir kön­nen ihn ja nicht nach Na­men und Adres­se fra­gen, wenn er uns nicht ver­steht.« An­ton Geis­sa­cher nahm ein Pa­pier­ta­schen­tuch und schnäuz­te sich kurz.

Jan mel­de­te sich. »Ich möcht’ nicht wis­sen, wie vie­le sol­che Män­ner hier in Moos­gau und Um­ge­bung so schon ge­ar­bei­tet ha­ben. »Schnell mal mit an­pa­cken« nennt man das. Of­fi­zi­ell dür­fen sie’s nicht. Ob­wohl ich das auch nicht gut fin­de. Die Bur­schen sind ge­zwun­gen, sich zu lang­wei­len. Das sind ja jun­ge Män­ner, die meis­ten. Und die wol­len ar­bei­ten. Das ist doch nor­mal.« Jan muss­te das los­wer­den. Sei­ne Kol­le­gen nick­ten. Ma­thi­as woll­te eben­so nicht mit sei­nem Wis­sen zu­rück­hal­ten und be­rich­te­te noch, dass frü­her nur Jobs für einen Euro für die Flücht­lin­ge er­laubt wa­ren. »Aber das hat sich in­zwi­schen auch schon ge­än­dert, mit der Ar­beits­er­laub­nis. Die kön­nen jetzt so­gar schon eine Aus­bil­dung be­gin­nen.«

Der Haupt­kom­mis­sar sag­te ru­hig: »Also ich fah­re fort: Dann noch war Lu­kas Ivan­sic, 25 Jah­re alt, in der Früh als zwei­ter da­bei und wohnt hier in Moos­gau. Herr Ivan­sic hat auch noch be­stä­tigt, dass die Tü­ren auf wa­ren, als sie an­ka­men. Das war in­so­fern ver­wun­der­lich, da sonst Herr Fin­ner, also der Chef Joa­chim Fin­ner abends bei sei­nem Rund­gang al­les zu­sperrt und in der Früh auch al­les auf­sperrt. Oder ei­ner der Söh­ne.«

»Dann kann man ja da­von aus­ge­hen, dass der Joa­chim Fin­ner ges­tern Abend nicht zu­ge­sperrt hat. Und, dass da schon ir­gen­d­et­was ge­sche­hen ist.« Jan schau­te in die Run­de. »Mal schau­en, ob der Pa­tho­lo­ge auch so rech­net.« Sein Chef nick­te.

»Und auf un­se­re Fra­ge hin, ob die zwei gleich­zei­tig das Ge­bäu­de be­tre­ten ha­ben, oder ob ei­ner von den bei­den schon da war, als der an­de­re an­kam, hat Herr Ivan­sic geant­wor­tet:

»Der Ser­dar war schon eine Se­kun­de vor mir da, ich habe von mei­nem Park­platz aus ge­se­hen, wie er an­ge­lau­fen kam. Aber drin­nen war er noch nicht.«

Ge­fragt, ob er den To­ten kennt, hat er den To­ten als »der Chef« be­zeich­net, was spä­ter auch vom äl­tes­ten Sohn Theo­dor, der sei­nen Va­ter iden­ti­fi­ziert hat, so be­stä­tigt wur­de. Der Tote ist also Joa­chim Fin­ner, 61 Jah­re alt.« Er schil­der­te den wei­te­ren Ver­lauf des frü­hen Mor­gens und ver­gaß nicht zu er­wäh­nen, in was für Ma­te­ri­al der Tote ge­le­gen hat. Und wie die Po­si­ti­on war, wie der Tote ge­le­gen hat­te. Er ver­gaß auch nicht, wie die fet­ti­ge Sah­ne/Blut­mi­schung sich aus­ge­brei­tet und ge­ro­chen hat­te.

»Theo­dor hat bei der Be­fra­gung zu An­ton Geis­sa­cher ge­sagt: ’Ja, das ist die SM’«.

»’Was, SM?’«, habe ich dar­auf­hin nach­ge­fragt.« Dass er da­bei recht blöd ge­schaut hat­te, ver­schwieg er lie­ber.

»Die SM, die Sah­ne­ma­schi­ne. Um die Scho­ko­la­den­hau­ben zu fül­len. Hat mein Va­ter selbst ent­wi­ckelt und von ei­nem Be­kann­ten her­stel­len las­sen«, hat Theo ge­sagt. Da­mit war die Funk­ti­on des rät­sel­haf­ten Ge­rä­tes für alle An­we­sen­den be­kannt.

Dann teil­te er noch mit, dass die Wit­we ins­ge­samt vier Söh­ne hat, drei da­von ar­bei­ten eben hier als Kon­di­tor oder Koch mit«, fuhr der Haupt­kom­mis­sar fort. »Der eine Sohn mit Na­men Bas­ti­an woll­te nicht im el­ter­li­chen Be­trieb mit­a­r­bei­ten und ist vor ei­nem Jahr nach Ame­ri­ka ge­gan­gen, ist aber vor ei­ner Wo­che wie­der heim­ge­kehrt, be­zie­hungs­wei­se wohnt bei sei­ner frü­he­ren Freun­din Ma­ri­a­n­ne Krä­mer in See­hau­sen. Ame­ri­ka ist passé für ihn, hat die Mut­ter ge­sagt.

Der jüngs­te Sohn Ste­fan ist auch schon fer­tig mit der Aus­bil­dung zum Kon­di­tor oder war es Koch, ist mir ent­fal­len. Ist ja auch egal jetzt. Wei­ter konn­ten wir Frau Fin­ner noch nicht be­fra­gen, sie stand noch un­ter Schock und wur­de dann ärzt­lich be­han­delt.«

An­ton Geis­sa­cher nahm ein wei­te­res Blatt Pa­pier mit No­ti­zen. »Die Frau, die je­den Tag hin­ter der Früh­stücks­the­ke steht, ist die Ver­lob­te vom äl­tes­ten Sohn Theo­dor und heißt Ve­ro­ni­ka Bartl­hu­ber. Sie wur­de noch nicht so aus­führ­lich be­fragt, da es ihr schlecht wur­de als wir mit­ein­an­der spra­chen. Die aus­führ­li­che Be­fra­gung müs­sen wir et­was spä­ter, aber heu­te noch, vor­neh­men. Jan, denk bit­te dar­an. Die Mut­ter der to­ten Joa­chim Fin­ner, die Oma also, lebt noch und wohnt auch in dem Haus da, ganz oben, im pri­va­ten teil des An­we­sens hier. Das Ober­ge­schoss ist üb­ri­gens mit ei­nem Lifta er­reich­bar. Das ers­te Mal, dass ich so was ein­ge­baut sehe.« An­ton Geis­sa­cher rieb sei­ne Nase.

»Ich nehm’ dann den Lifta, wenn wir dem­nächst zu ihr hin­ge­hen.« Jan muss­te na­tür­lich wie­der sei­nen Kom­men­tar hin­zu­fü­gen. »Gibt’s mit ei­nem Lifta auch eine Ge­schwin­dig­keits­be­gren­zung?«, frag­te er noch, naiv schau­end.

»Ja, mit Kur­ve 15 km/h und ohne Kur­ve 50 km/h«, gab Se­ve­rin zur Ant­wort. »Am Ende wirs­te dann her­aus­ge­schleu­dert und du lan­dest di­rekt im Bett.«

An­ton Geis­sa­cher schau­te ge­nervt.

»Üb­ri­gens, die Wit­we dür­fen wir nicht ver­ges­sen. Na ja, sie wur­de ja ärzt­lich ver­sorgt, hat man mir ge­sagt. Die Be­fra­gung bei ihr müs­sen wir un­be­dingt noch nach­ho­len.«

»Die Fah­rer, die das Ca­te­ring nor­ma­le­r­wei­se lie­fern, zwei an der Zahl, ha­ben wir auch noch nicht er­fasst.

Ich habe die Lis­te der Lie­fe­ran­ten an­ge­fragt, die wird von Theo­dor Fin­ner noch nach­ge­lie­fert. Es könn­te ja sein, dass die et­was über den To­ten zu er­zäh­len ha­ben. Ha­ben wir noch je­man­den ver­ges­sen?«, frag­te er in die Run­de. »Ja, die Putz­frau­en oder die Rei­ne­ma­che­frau­en, wie man sie jetzt nennt, und die Be­die­nun­gen na­tür­lich. Die kom­men noch dran.«

Alle dach­ten nach und lie­fer­ten einen Kom­men­tar dazu.

Jan sag­te kurz:

»Die di­rek­ten Nach­barn müs­sen wir noch be­fra­gen.«

»Das stimmt, Jan, das ma­chen wir an­schlie­ßend, wenn sie rich­tig wach sind.«

Ma­thi­as woll­te wis­sen, wie um­fang­reich man sich den Ca­te­ring Ser­vice vor­stel­len muss­te.

»Der Ma­xi­mi­li­an, der zwei­t­äl­tes­te Sohn, hat mir ge­sagt, dass die Fa­mi­lie Fin­ner zum Ca­fé­be­trieb noch ein Ca­te­ring dazu ge­nom­men hat, ein­fach um ge­gen die Kon­kur­renz be­ste­hen zu kön­nen. Al­ler­dings um­fasst das Sor­ti­ment haupt­säch­lich Des­serts und sons­ti­ge Sü­ßig­kei­ten aus der ei­ge­nen Kon­di­to­rei. Herz­haf­te Ge­rich­te oder pi­kan­te, def­ti­ge Ka­na­pees kön­nen auch noch ge­lie­fert wer­den, wie Lachs­häpp­chen und so wei­ter, hat man mir ge­sagt. De­li­ka­te Klei­nig­kei­ten halt.

Man darf sich das Gan­ze al­ler­dings nicht zu klein vor­stel­len. Die Fin­ners de­cken die ge­sam­te Um­ge­bung hier ab, von Weil­heim über Mur­nau bis nach Gar­misch. So­gar wenn di­rekt über die Gren­ze, an der Süd­sei­te der Al­pen, in Ehr­wald, ein be­deu­ten­des Er­eig­nis zu ver­zeich­nen ist, wird, falls ge­wünscht, dort­hin ge­lie­fert. Bei al­len Groß­ver­an­stal­tun­gen sind die da­bei, ob Fir­men­ju­bi­lä­um oder Be­triebs­fei­er, bei fast je­dem Emp­fang, du kannst dir nicht aus­den­ken, was es zu fei­ern gibt, es wer­den im­mer die be­kann­ten und be­lieb­ten Scho­ko­la­den­hau­ben, eine Art Rie­sen­wind­beu­tel aus Brand­teig­ge­bäck, ge­lie­fert. Sah­ne­hau­ben, hei­ßen sie. Es gibt sie in Ku­chen­stü­ck­grö­ße und ziem­lich Klei­ne als Fin­ger­food. Die Wind­beu­tel, wie wir sie meis­tens be­zeich­nen, sind mit ei­ner spit­zen­mä­ßi­gen Scho­ko­la­de über­zo­gen und in­nen drin mit steif­ge­schla­ge­n­er Schlag­sah­ne ge­füllt.