Mord ohne Titel - Lee Summers - E-Book

Mord ohne Titel E-Book

Lee Summers

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Beschreibung

Fahrerflucht, Mord und wieder Mord. Wer war´s? War es der geheimnisvolle Mr. Y, ein Waffenhändler und Freund vom ersten Mordopfer, den aber sonst niemand je gesehen hat? Warum kann die Polizei den Fall nicht aufklären? Ein Esoteriker bestätigt nach Tarot Karten lesen und pendeln, dass in allen drei Fällen, zwei Morden und Fahrerflucht, eine Frau die Täterin aus großer Angst war. Erst ganz zum Schluss wird durch Verrat der wahre Täter gefunden.

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Seitenzahl: 340

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ähnliche


Personen

Name, Sternzeichen

Alter Wohnort

1. Toter nach Sturz vom Balkon Financial Analyst

korrekt, diszipliniert, pünktlich, freundlich, offen, zuverlässig, verantwortungsbewusst, Einzelgänger, aber Familie ist wichtig

Chevron Harris

Steinbock

- . USA

2. Frau von Chevron Harris Hausfrau/Mutter

ruhig, beharrlich, sinnlich, naturverbunden, Gespür für Schönheit, strebt nach Sicherheit und Geborgenheit

Olympia Harris

.

Stier

47 USA/Portugal

3. Harris-Kinder: i. Archäologie-Studentin

Künstlerin, ästhetisch, liebt Schönes

,

diplomatisch, taktvoll, tolerant

Isabel Harris

Waage

21 USA

ii. Medizinstudent

geschickt, intelligent, sorgfältig ordentlich, tierlieb

Joel Harris

Jungfrau

20 Portugal

iii. Schüler

sensibel, emotional, gefühlvoll, romantisch, hilfsbereit, schüchtern

Samuel Harris

Krebs

17 Portugal

4. Event Managerin Schwester von Jack Tidzov

extrem, intensiv, leidenschaftlich, keine Kompromisse, gnadenlos, zäh, ausdauernd, willensstark, (selbst)zerstörerisch

Xenia Tidzov

Skorpion

38 USA

5. Detektiv Bruder von Xenia Tidzov

dynamisch, kämpferisch, impulsiv, mutig, selbstbestimmt, aktiv, treu, provoziert gern, liebt Abenteuer

Jack Tidzov

Widder

34 USA

6. Gelähmter nach Verkehrsunfall

mimosenhaft, schnell depressiv

,

versponnen, undurchsichtig, hilfsbereit

Walter Burgess

Fische

70 USA

7. Frau von Verkehrsunfallopfer

geschickt, intelligent, sorgfältig, ordentlich, tierlieb

Marian Burgess

Jungfrau

68 USA

8. Sohn von Verkehrsunfallopfer

optimistisch, idealistisch, interessiert an fremden Religionen, Kulturen und Philosophie

Allan Burgess

Schütze

43 USA

9. Journalistin/Hobby-Detektivin

charmant, unterhaltsam, kontaktfreudig, sammelt Informationen, neugierig, liebt Abwechslung

Eve Washington

Zwilling

31 Portugal/USA

10. Vater von Eve Washington,

originell, freiheitsliebend, unkonventionell, witzig, einfallsreich, schlagfertig, skurril, kameradschaftlich, Individualist

Lancelot Washington

Wassermann

55 USA

1. Fotograf bei DAWN

optimistisch, idealistisch, interessiert an fremden Religionen, Kulturen und Philosophie

Steve Catcher

Schütze

33 USA

12. Supermarktbesitzer Onkel von Steve Catcher

geschickt, intelligent, sorgfältig, ordentlich, tierlieb

Bertie Haynes

Jungfrau

57 USA

13. Herausgeberin von DAWN

Künstlerin, ästhetisch, liebt Schönes diplomatisch, taktvoll, tolerant

Victoria Hamilton

Waage

50

USA

14. Waffenhändler

weltmännisch, herzlich, großzügig, kreativ, selbstbewusst, entschlossen, kann gut delegieren, voll Lebensfreud

Yuri Cherkov

Löwe

49

USA

Inhaltsverzeichnis

Warwick Denver Hotel - Dienstagabend, 13. Juni 2000

KAPITEL 1

Xenia und Chevron - Montagabend, 12. Juni 2000

Sturz vom Hotelbalkon - Dienstagabend, 13. Juni 2000

Xenia wird verhört - Mittwoch, 14. Juni 2000

Smithson Entertainment Management, Denver Pavilions, Denver

Revier Police District 6, Downtown Denver

Olympia Harris

Eves Traumreise

Chevrons Begräbnis

Xenia und Jack in Colorado Springs

KAPITEL 2

Eve Washington

DAWN, Magazin für Anspruchsvolle

Eve als Praktikantin auf dem Revier

Eve in Lissabon - Oktober 2012

Olympia´s Version - 2013

Ermittlungen beginnen erneut - September 2013

Isabel Harris

Ermittlungen in USA - Oktober 2013

Besuch bei Yuri Cherkov - 21. Mai 2014

Rückblende

:

Flug mit Yuri Cherkov - 17. April 1997

Isabels Besuch bei Xenia - 18. Juni 2014

Bertie Haynes recherchiert in Denver - 2014

Eve und Yuri Cherkov - 8. Juli 2014

Isabels Tod - 3. August 2014

Eve trifft Xenia - 12. August 2014

Ermittlungen in Denver - September 2014

KAPITEL 3

Xenias Enthüllungen - September 2014

Xenias Flucht nach Rio - September 2014

Die Todesanzeige - 17. September 2014

Realos gerät in Panik

ANHANG

Eves Artikel für DAWN-Beilage

Golfkrieg

Sunniten und Schiiten

Warwick Denver Hotel - Dienstagabend, 13. Juni 2000

Eine laue, windstille Sommernacht in Colorado. Während einer kurzen Zigarettenpause steht Ellery, der junge Portier, unter dem dichten Laubwerk der Amberbäume vor dem imposanten Fünf-Sterne-Hotel und genießt die wohlverdiente Ruhe. Er zerreibt ein paar Amberblätter in seiner Hand und atmet genüsslich den angenehmen, leicht süßlichen Duft ein. Seine enge, braune Uniformjacke mit den goldenen Knöpfen hatte er geöffnet. Gedankenverloren fährt er sich langsam mit der Hand durch die kurz geschnittenen, dunkelblonden Haare. Die letzten Teilnehmer der Mammutkonferenz reisen gerade ab, Autos fahren vom Valet-Hotelparkplatz, ein paar Besucher stehen noch auf der breiten Treppe vor der schweren Glastüre des Hotels und warten auf Taxis, zum Bahnhof, zum Flughafen. Schon als Kind hatte Ellery ehrfurchtsvoll die riesigen Blumentöpfe und die zwei furchterregenden, weißen, grimmig dreinblickenden Marmorlöwen am Eingang bestaunt. Was hätte er wohl gedacht, wenn er damals schon den Dachgarten hoch oben im 14. Stock mit dem großen beheizten Swimming Pool und den Liegestühlen, Korbsesseln und Sonnen-schirmen und der Glaswand ringsum gesehen hätte?

Hier und da brennen noch vereinzelt Lichter in den Zimmern. Ein paar Gäste stehen auf den Balkons. Mit einem Drink in der Hand werden sie wohl den phantastischen Ausblick auf die vielen Hochhäuser ringsum bestaunen. Unzählige bunte Neon-lichter, ganz in der Nähe das angestrahlte Colorado State Capitol Building aus weißem Granit mit seiner vergoldeten Kuppel, eine Imitation des Kapitols in Washington, und am Horizont die schwarzen Ausläufer der Rocky Mountains.

Ellery schmunzelt schadenfroh. Er muss wieder an den Knall von vorhin denken. Hatte der Hotelmanager etwa vorgehabt, wie ein Fakir durch Glas hindurchzugehen? Er musste doch gesehen haben, dass sich die Glastür im Eingang schon automatisch geschlossen hatte. So blind konnte er doch nicht sein. Die Tür war jedenfalls härter als sein Kopf gewesen und hatte den Aufprall unbeschadet überstanden. Aber Ellery hatte da ein paar interessante neue Redewendungen kennengelernt.

Ein grässlicher Schrei reißt ihn jäh aus seinen Träumen. Ellery erschreckt sich fast zu Tode. Die Zigarette fällt ihm aus der Hand. Blindlings stürzt er auf die andere Straßenseite zum Hoteleingang und stolpert beinahe über jemand, der dort auf den Steinplatten vor ihm liegt. Er bleibt abrupt stehen. “Nein, nein, das kann nicht wahr sein!” Ihm wird schwarz vor den Augen. Zitternd beugt er sich vor, um zu sehen ob der noch lebt. Aber wie kann er das? “Da ist ja überall Blut” ruft er entsetzt. Hastig eilt er Hals über Kopf die Treppe in die Lobby hoch. Der aufgelöste, leichen-blasse Empfangschef telefoniert schon mit Polizei und Krankenwagen. Er soll angeben, wer auf die Straße gestürzt ist, Name und Adresse, aus welcher Höhe und wie das passieren konnte. “Aber das weiß ich doch noch nicht, das ist ja gerade erst passiert. Kommen sie ganz schnell.” Ellery irrt kopflos hinter dem Empfangsdesk auf und ab “Was muss ich denn jetzt machen?” fragt er unschlüssig. Aber niemand beachtet ihn. Ungeduldig hastet er wieder zum Eingang zurück und jammert ver-zweifelt “Mann, die müssten doch schon längst hier sein.”

Endlich, mit durchdringendem an- und abschwellendem Heulton und grellem Blaulicht kommen Polizei und Krankenwagen angerast. Beamte in Uniform und in Zivil sperren routiniert und schnell den Unfallort und einen Teil der Straße vor dem Hotel ab und scheuchen die zahlreichen Neugierigen zurück, die aufgeregt durch-einander laufen. Manche sind herbeigeeilt um zu sehen, was passiert ist. Andere sind auf dem Nachhauseweg stehen geblieben und halten jetzt ihre Handys für Fotos hoch, bevor sie unschlüssig weitergehen. Ein Polizist, zwei Sanitäter und ein Arzt bleiben bei dem Toten. Aus der klaffenden Wunde am Kopf sickert langsam, aber stetig hellrotes Blut, ein Arm ist ganz verdreht und blutig, die Beine liegen weit aus-einander. Das zerrissene Oberhemd färbt sich allmählich auch rot. Jemand flüstert ängstlich “Da, er hat sich bewegt“ und beugt sich vor. “Nein, nein, das scheint nur so wegen der Blitzlichter” winkt der Polizist ab und telefoniert nach Verstärkung. Immer wieder hat er Schwierigkeiten, die neugierigen Zuschauer zurückzudrängen.

Im Hotel befragt ein Polizist den besorgten Empfangschef. “Ich stand gerade im Eingang, um einen Gast zu verabschieden, als ich den Schrei hörte. Nein, nein, ich hab den Fall nicht mitgekriegt. Das ging ja alles viel zu schnell. Ich guckte da viel zu spät hin.“

Die wenigen Gäste, die noch in der Lobby geblieben waren und in den bequemen, tiefen Sesseln sitzen und in ihren Unterlagen bei Kaffee oder Drinks blättern oder sich leise mit Geschäftsfreunden unterhalten, hatten natürlich nichts hören können. Zwei Beamte untersuchen kurz die vier Fahrstühle und gehen dann die Treppen zu den Hotelzimmern und Suiten hoch und sehen sich die hell beleuchteten, eleganten, breiten Flure auf den einzelnen Etagen genau an. Ölgemälde an den matt glänzenden, cremefarbigen Wänden, dunkelrote Hochflor-Veloursteppiche, die jedes Geräusch in den Gängen dämpfen. “Mann oh Mann, hier möcht ich auch mal ne Nacht verbringen” staunt ein junger Polizist tief beeindruckt. Im siebten Stock hockt eine Frau zusammengekauert, die Hände vor ihrem Gesicht, neben einer der Zimmer-türen und jammert verzweifelt “Von hier ist Mr. Harris runtergefallen. Ich war nur ganz kurz im Badezimmer. Und schon ist´s passiert.“ Die Polizisten suchen sorg-fältig auf dem Flur und im Zimmer nach irgendwelchen Hinweisen und Spuren. Auf dem dichten, weichen Teppich liegt nichts. Dann untersuchen sie das Balkongitter. Zum hastig herbeigeeilten Etagenpersonal bemerken sie achselzuckend “Komisch. Rein gar nichts beschädigt, kein Blut zu entdecken. Das Gitter ist auch noch in Ordnung. Hier scheint überhaupt nichts Auffälliges zu sein. Die Kollegen von der Spurensicherung sollten auch bald kommen. Die werden garantiert mit ihren Pinseln, Puder und Lupen irgendwas finden. Warten wir die erst mal ab.”

Unten vor dem Hotel wird der schwarze Leichensack unsanft auf einer Tragbahre in den Krankenwagen geschoben. Die Kameras der Reporter flackern wieder kurz auf, der Krankenwagen fährt ab und die meisten Neugierigen gehen allmählich weg. Außer dem Blut, das langsam auf dem Bürgersteig eintrocknet, ist nichts besonderes mehr zu entdecken. Nur einige Wenige bleiben noch unter den Amberbäumen stehen und diskutieren, wie so etwas geschehen konnte. Sie wundern sich, weil die Balkongitter ja stabil aussehen und nicht gerade niedrig sind. Jemand vermutet einen Mord. Das wird abergleich als Unfug erklärt “Niemals hier. Nicht in dieser guten Gegend.”

Am nächsten Morgen sitzen Mr. und Mrs. Bird in Downtown Denver beim Frühstück. Für ihr leibliches Wohl sorgen wie jeden Morgen Rührei, Toast, Orangensaft und Kaffee. Für ihr geistiges Wohl lesen sie die Denver Post. Mr. Bird regt sich wieder einmal auf, dass Diskussionen im Gang sind, den Cannabis-Konsum in Colorado zu erlauben. Er ist zum xten Mal empört. “An jeder Straßenecke verkaufen die mittlerweile das Zeugs. Gestern noch hab ich einen Laden gesehen, der das Gift sogar als Wellnesstees und Salben getarnt verhökert. Wie kann man nur? Bald haben wir Zustände wie in Afghanistan! Ach, guck mal hier. In der Nacht hat uns doch das Sirenengeheul geweckt. Hier steht ´Ein leitender Angestellter der Drilling Equipment Co. aus Dallas ist im Hotel Warwick Denver aus dem 7. Stock entweder gefallen oder gestoßen worden. Die polizeilichen Ermittlungen laufen auf Hoch-touren. Zeugen sollen sich bei ihrem Revier melden.´

Mrs. Bird sieht sich die Bilder an und meint ärgerlich “Das ist ja gruselig. Der schwarze Leichensack auf dem Boden, die Blutlache und all die Neugierigen. Müssen die das denn nun wirklich so in allen Einzelheiten zeigen? Na, wir beide können ja nicht gerade viel Relevantes zu den Ermittlungen beitragen. Außer, dass wir unsanft mitten in der Nacht aufgescheucht worden sind.”

“Und da steht auch noch was von nem Unfall am Montag mit Fahrerflucht in der Nacht. Das ist ja übel. Muss wohl im Park hinten bei der Raleigh Street gewesen sein. Hat den Schwerverletzten einfach am Straßenrand liegengelassen. Das ist doch wirklich die Höhe! Die Polizei sucht nach Zeugen. Wenn du was weißt, Finderlohn sind 3000 Dollar. Hoffentlich schnappen die den Kerl.”

“Darling, machst du mir noch eine Scheibe Toast?”

KAPITEL 1

Xenia und Chevron - Montagabend, 12. Juni 2000

Nach dem Abschluss einer weiteren, erfolgreichen Übernahme wurde der Sieg des expandierenden Maschinenbauunternehmens Drilling Equipment Co. aus Dallas im eleganten Hyatt Regency Denver Hotel gebührend gefeiert. Die Firma stellte hauptsächlich Apparaturen für die Erdölförderung her und hatte Filialen in Seattle, Alberta/Kanada und in Riad/Saudi-Arabien und jetzt auch noch in Denver.

Bei Drinks und anschließendem opulenten Abendessen im Altitude´s Restaurant sollten sich die Mitarbeiter der beiden Firmen besser kennenlernen. Jeweils vier Angestellte saßen an den vielen festlich gedeckten Tischen entlang der hohen Fensterfront. Furcht vor einschneidenden Veränderungen und den unausweichlichen Kündigungen bei der Denver Firma wurden ganz bewusst vom Management in Dallas klein geredet und heruntergespielt. Vorläufig bliebe alles erst einmal beim Alten. Hier und da wurde aber hinter vorgehaltener Hand Wer´s glaubt, wird selig geflüstert. Von fröhlichem Beisammensein konnte da wohl keine Rede sein. Das Dallas Team war misstrauisch und das Denver Team hatte Angst vor den Änderungen, die unweigerlich kommen würden und gegen die man sich nicht würde wehren können. Vom Management der Drilling Equipment hatte man gehört, dass sie aggressiv, rücksichtslos und fordernd waren. Soziales und gutes Betriebsklima, so wurde gemunkelt, wären da Fremdwörter. Nur der Profit sei ausschlaggebend. Sogar die überaus große Auswahl an exotischen Drinks und die Kochkunst des Hotelchefs hatten die gedrückte Stimmung des Denver Personals nicht sonderlich verbessern können. Auch Chevron Harris aus Dallas fühlte sich bei diesem Zirkus, wie er es insgeheim nannte, ausgesprochen unwohl. Er versuchte mehrmals, mit dem Denver Team ins Gespräch zu kommen, stieß aber nur auf höfliche, aber ganz offensichtlich frostige Einsilbigkeit.

Recht bald wurde Chevron auf Xenia Tidzov aufmerksam, eine der wenigen, die gute Laune ausstrahlten. Ihm fielen ihre langen, blonden Haare und ihre sportliche Figur auf. “Wohl der einzige Lichtblick bei dieser jämmerlichen Fete“ murmelte er. Er ging zu ihr hin und fragte, ob er ihr einen Drink holen dürfe. Xenia war sichtlich erfreut über die unerwartete Aufmerksamkeit und folgte ihm zur Bar. Das Interesse schien gegenseitig zu sein. Nach einem Pina Colada schlug sie vor “Komm, wir fahren mal nach oben in die Peaks Lounge im 27. Stock. Da ist es jetzt ein wenig ruhiger. Der Ausblick von dort ist phantastisch. Lass dich überraschen.” Chevron war erleichtert, der bedrückten Stimmung im Restaurant, wenn auch nur für kurze Zeit, zu entkommen und folgte ihr bereitwillig.

Der Panoramablick aus der acht Meter hohen Rundum-Fensterwand auf die Stadt und auf die düstere Rocky Mountains Bergkette im Hintergrund, all die bunten Lichter weit unten, über sie der sternenübersäte, indigoblaue Himmel, er war tief beeindruckt. Sie setzten sich in die bequemen Sessel vor der Glaswand. Chevron entspannte sich langsam und genoss das Lichtermeer. Xenia meinte “Wenn du das nächste Mal nach Denver kommst, dann zeig ich dir mal Denver bei Tag. Das ist ganz anders. Aber genauso schön. Kommst du jetzt öfters hierher? Oder bleibst du jetzt vielleicht für immer in Denver?” fragte sie hoffnungsvoll.

“Ab und zu komm ich in unsere Filialen. Jetzt ja auch nach Denver.“

“Was genau machst du denn in der Firma? Oder darfst du mir das nicht sagen? Fällt das etwa unter Betriebsgeheimnis?” fragte sie augenzwinkernd.

“Du willst wissen was ich mache?“ wunderte er sich.

“Na klar. Sag schon, was machst du so den ganzen Tag?“

“Ich bin jetzt Abteilungsleiter. Ich hab mein eigenes Büro mit Assistent, Sekretärin und einen Mercedes. Jetzt muss ich auskundschaften, ob irgendwelche Firmen im Bereich Maschinenbau für eine freundliche, und notfalls auch feindliche Übernahme infrage kommen. Wie sind die Zukunftsaussichten? Soll die Zielfirma ganz ge-schluckt werden? Soll man nur in einen großen oder nur in einen kleinen Teil der Aktien investieren? Ich muss an den Übernahmeverhandlungen teilnehmen und mitentscheiden, ob ja oder nein.”

“Dann bist du also mitverantwortlich für die Übernahme hier? Hab ich Recht?”

“Stimmt. Manchmal hab ich die alten Mesopotamier um ihre Astrologen beneidet. Einen Hellseher könnte ich ab und zu ganz gut gebrauchen" meinte er lachend. "Aber zeig mir lieber mal wo du wohnst. Kann ich das von hier oben aus sehen?”

Sie zögerte etwas, bevor sie antwortete “Mein Haus liegt viel weiter im Westen. Das kannst du von hier aus gar nicht finden. Aber du kannst den Park sehen. Wenigstens einen kleinen Teil davon. Da geh ich immer morgens um 6.00 vor der Arbeit joggen. Sonntagmorgens spiel ich da meistens Tennis. Sieh mal, hinter dem Hochhaus mit den roten Lichtern.“ Sie zeigte auf ein etwas weiter entfernt stehendes, hohes Gebäude. Chevron kniff die Augen zusammen und versuchte, in der Dunkelheit den Park ausfindig zu machen, konnte allerdings nichts erkennen. Xenia lachte, als sie sein Gesicht sah, wie er angestrengt blinzelte. Sie zog ihn am Ärmel und meinte “Komm, wir müssen wieder zurück zur Feier.”

Unten empfing sie gedämpftes Licht und gleichmäßiges, eintöniges Stimmengemurmel. Jeder schien sich an seine Zigarette und an einem Glas in der Hand zu klammern und starrte angespannt und ernst vor sich hin. Chevron unterhielt sich mit ein paar seiner Kollegen aus Dallas und Xenia überprüfte, ob die Drinks an der Bar wohl noch ausreichen würden. “Wo warst du denn die ganze Zeit?” fuhr sie eine Kollegin unwirsch an. “Imagepflege!” Das blöde Schnepfe hinter ihrem Rücken überhörte Xenia gelassen.

Mittlerweile war es schon fast 1.00 Uhr nachts geworden und die Feier löste sich langsam auf. Chevron stand vor dem Hoteleingang und sah sich ungeduldig nach einem Taxi um. Xenia kam ihm zuvor. Sie rief ihm zu “Dein Hotel liegt doch auf halbem Weg zu meinem Apartment. Komm, fahr mit mir. Mein Wagen steht hier gleich um die Ecke.” Er freute sich über die unverhoffte Einladung und stieg mit in ihr Coupé ein. Die warme Luft im Wagen und seine Müdigkeit taten ihr Übriges, so dass er bald anfing zu dösen, während Xenia ihn immer wieder beobachtete, als sie statt zum Hotel durch den Park fuhren.

Er dachte im Halbschlaf an das Meeting, welches morgen anstehen würde, an seine Frau und seine Kinder, die er bald wiedersehen könnte. Er durfte nicht vergessen, morgen seinen Chef in Dallas wegen der Black Ridge Sache zu fragen. Dieses Meeting mit den Geschäftspartnern musste auf jeden Fall reibungslos verlaufen und er brauchte weitere Details. Ein plötzliches dumpfes Geräusch ließ ihn zusammen-zucken. Es war dunkel um ihn herum. Xenia neben ihm hielt das Lenkrad fest. Jetzt fuhren sie ganz langsam. Er setzte sich auf. "Alles in Ordnung?" fragte er. Sein Mund war völlig trocken. Xenia antwortete nicht. Sie starrte geradeaus. Sie hatte ihn wohl nicht gehört.

"Ist alles Okay?" wollte er wissen.

Wieder sagte sie nichts. Sie beschleunigte den Wagen. Jetzt war er beunruhigt. So gut kannte er sie schließlich noch nicht. War er mit einer Wahnsinnigen in einem Auto gelandet? Er berührte sie am Arm "Xenia?"

"Sei still!" schrie sie ihn an. "Oh, Entschuldigung" murmelte sie. "Entschuldigung".

"Xenia, bitte halt an." Sie drehte sich zu ihm um und er sah, peinlich berührt, dass sie Tränen in den Augen hatte. Sie lächelte ihn an und meinte, während sie weiterfuhr "Ich hab doch wohl einen Cocktail zuviel getrunken. Aber jetzt geht´s schon wieder."

Als sie am Warwick Denver ankamen bedankte er sich kurz für den Lift “Komm gut nach Hause“ wünschte er ihr beim Aussteigen. Unmittelbar vor dem Eingang drehte er sich noch einmal um und bemerkte irritiert, dass ihr Coupé noch immer vor dem Hotel stand. “Muss ich wohl oder übel“ dachte er und rief ihr zu “Komm doch noch mit zu einem Drink in der Hotelbar.“ Xenia versuchte zu verbergen wie sehr sie sich freute. Zögerlich meinte sie “Eigentlich muss ich in ein paar Stunden schon wieder in die Firma. Aber trotzdem, gerne.“

Bevor der Barkeeper die Bestellungen entgegennahm fragte Chevron “Kennst du den Blanco 43? Den trink ich am liebsten.“

Sie lächelte ihm zu “Bis jetzt noch nicht. Aber ich lass mich gerne überraschen. Mit was mixt man den?“ In ihrer Handtasche suchte sie nervös nach Zigaretten. “Auch eine?“

“Nein. Ich bin Nichtraucher. Der Drink ist einfach. 50 ml spanischer Licor 43, 100 ml kühle Mandelmilch, Zimt und 50 ml Maracujasaft, gut schütteln. Das Ganze kommt dann in ein Glas mit Eis. Kannst du dir das vorstellen, das Rezept für den Blanco 43 soll schon über 2000 Jahre alt sein? Scheinbar wussten die schon damals was gut war.“ Sie meinte lächelnd "Wer Sorgen hat, hat auch Likör." Belustigt las sie auf dem Cocktailglas Spanische Seele und sanfter Geschmack. Der Barkeeper brachte noch eine kleine Schale mit Amorgos und meinte, dass zu einem spanischen Cocktail auch echt spanische Plätzchen gehörten.

“Da müssen ja an die hundert Flaschen von Drinks im Regal stehen. Praktisch, der Barkeeper braucht nur hinter sich zu fassen. Wohl jede Art und Abart von Alkohol griffbereit. Ich kenn das Warwick nur von außen, und jetzt nun auch die Hotelbar von innen. Bist du hier gut untergebracht?" fragte sie interessiert.

“Ganz gut. Deluxe Suite eben“ meinte er nonchalant, während er sein Glas fixierte.

Der Polizei erzählte der Barkeeper später, sie seien nur etwa zwanzig Minuten zusammen geblieben, bis jeder getrennt voneinander gegangen war, Monsieur Harris in seine Suite und Mademoiselle Tidzov zum Ausgang des Hotels.

Früh am Dienstagmorgen, sie hatte überhaupt nicht geschlafen, eilte Xenia nach Kaffee, Orangensaft und Croissants wieder in ihre Event-Management-Firma, um die nächste Party vorzubereiten.

Chevron ging nachdenklich und nicht sonderlich gut gelaunt nach unten zum Frühstück auf das Patio vom Randolph´s Restaurant. Ihm standen heute den ganzen Tag Meetings mit dem Führungspersonal und Durchsicht von Protokollen und Akten-bergen in der neuen Filiale bevor. Und am Nachmittag würde er auch noch mehrere Stunden in Konferenzen mit den Ingenieuren, Wirtschaftsprüfern und Abteilungs-leitern verbringen müssen. Er sehnte sich schon jetzt nach einer Dusche und seinem Bett. Auf das Abendessen im Warwick Denver würde er heute Abend auf jeden Fall verzichten. Er wollte nur noch schlafen.

Aber dann sollte alles anders kommen.

Sturz vom Hotelbalkon - Dienstagabend, 13. Juni 2000

Die merkwürdige Geschichte ließ Chevron nicht mehr los. Er war beim Meeting am Vormittag schon unkonzentriert und reizbar gewesen, unschlüssig darüber, ob er sich richtig verhalten hatte und seinen Sinnen trauen konnte. Als ihn McHillary in der Mittagspause wegen der Unterlagen ansprach und er feststellen musste, dass er sie im Hotel liegengelassen hatte, wusste er, dass er etwas unternehmen musste. Jetzt war er erleichtert, dass er sich entschlossen hatte, anzurufen und zur Polizei zu gehen. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Er stand auf dem Balkon, ein Glas Whisky in der Hand und sah in die Ferne. Der Drink ließ ihn müde werden, der ganze Stress der letzten Wochen in der Firma, die dumme Geschichte, die sie jetzt gemeinsam der Polizei berichten würden, permanenter Schlafmangel. Er runzelte die Stirn und nippte an seinem Glas, während er sich am Balkongitter aufstützte. Wenn Xenia jetzt doch nur aus dem Bad kommen würde. Vielleicht hatte der Schwindel ja auch mit seinem Kreislauf zu tun. Er senkte den Kopf. Während ihm langsam die Sinne schwanden, spürte er, wie er über das Geländer gestoßen wurde. Dann verlor er das Bewußtsein.

*

Nach einem beunruhigenden Anruf am Abend war Xenia zu Chevron ins Hotel geeilt. Wie sie später der Polizei berichtete, war sie gerade im Badezimmer, als er von seinem Balkon in die Tiefe stürzte. “Als ich wieder ins Zimmer kam, konnte ich ihn nirgends finden. Da hab ich mich über das Balkongitter gelehnt. Warum weiß ich auch nicht so genau. Das werd ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Wie er so da unten lag. Ich hab ganz einfach laut geschrieen und bin in Panik aus dem Zimmer gestürzt. Dann bin ich vor der Tür zusammengebrochen. Und so haben sie mich ja auch gefunden.”

Obwohl schon spät am Abend wurden erst einmal der Hotelmanager, der Empfangschef, der junge Portier Ellery und Xenia, die Chevron wohl als letzte gesehen hatte, in der Lobby befragt.

Sergeant Jenkins vermutete, dass der Zimmerservice von der 7. Etage eventuell mehr gesehen haben könnte und schlug vor, dass Sergeant van Close das Zimmermädchen Eve Washington schon vorab gesondert befragte.

Ein paar der Gäste in der Lobby blieben stehen und sahen interessiert zu. Ein Gast machte sogar ein Foto mit seinem Handy. Der Hotelmanager wurde sichtlich nervös. Er trat von einem Fuß auf den anderen und fasste sich wiederholt ans Kinn. Dann bat er Sergeant Whitman zur Seite und flüsterte ihm zu

“Das ist ganz schrecklich für unsern Ruf. Was unsere Gäste nur dazu sagen werden. Der Betrieb muss doch weiterlaufen. Hier hat keiner irgendwas gesehen. Kann man uns nicht morgen einzeln diskret auf dem Revier befragen?”

”Leider nein. Hier ist schließlich jemand tödlich verunglückt. Verhöre auf dem Revier, das kommt noch, keine Sorge. Aber woher haben sie denn die beachtliche Beule an ihrer Stirn? Etwa von einer Prügelei mit dem Opfer?”

“Um Himmelswillen! Nein!” wehrte der Manager erschrocken ab. “Ich bin gegen unsere Eingangstüre gelaufen. Die war schon geschlossen. Jetzt hab ich obendrein auch noch Kopfschmerzen und eine Gehirnerschütterung.” Sergeant Whitman kniff misstrauisch seine auffallend blauen Augen zusammen. Er sah ihn mit strenger Miene an und wollte wissen “Gibt´s dafür auch Zeugen?”

“Ja, das haben schon einige gesehen. Wenn sie wollen …”

“Lassen wir das im Augenblick” unterbrach ihn Whitman. “Aber geben sie mir eine Liste mit Namen, Adresse, Alter und Beruf aller Angestellten. Für heute Abend war´s das erst mal. Und noch was. Sagen sie ihrem Personal, dass keiner die Stadt verlässt.“

Die Angestellten gingen eilig an ihre Arbeitsplätze zurück und Sergeants Whitman und Jenkins fuhren wieder zurück ins Revier.

*

Eve saß in einem fensterlosen Seitenzimmer der Lobby auf einem kleinen Hocker und sah den Polizisten, der vor ihr stand, aufmerksam an. Auf seinem Namensschild las sie Vincent van Close und sah hoch in sein rundes Gesicht und den roten Haaren. Mitte 20, nicht gerade attraktiv, trotz der schicken Uniform. Eve liebte Uniformen und ganz besonders die von der Polizei. Man konnte die Geräusche aus dem Arbeitszimmer nebenan gut hören. Telefone klingelten andauernd, die Kollegen am Service murmelten in die Hörer. Eve fand, dass es hier muffig nach altem Staub roch, obwohl bestimmt immer sauber gemacht wurde. Der Polizist hatte ihr gesagt, dies sei nur eine vorläufige Routinebefragung.

"Ihr Name?"

"Eve. Eve Washington."

"Wie der Präsident?" wunderte sich van Close.

"Ja. Aber wir sind nicht verwandt" erwiderte Eve lächelnd aus alter Gewohnheit, stöhnte aber innerlich, als sie unweigerlich wieder an die blöden Witze aus ihrer Schulzeit dachte.

"Wann und wo geboren?"

"Am 1. 6. 1983 in Reliez Valley, Kalifornien."

Van Close murmelte leise beim Schreiben in seinem Notizblock "Reliez Valley, Kalifornien ...83 und sie sind hier Zimmermädchen - steht ja auf ihrem Namensschild." Er blickte Eve kurz an und schrieb dann weiter.

"Ja, aber ich möchte nicht für immer Zimmermädchen bleiben."

"Will nicht für immer Zimmermädchen hier bleiben" notierte van Close.

"Schreiben sie alles auf was ich sage?" fragte Eve beunruhigt.

"Nein, nicht alles. Aber das Wichtigste."

Mit seinem breiten Mund und den hervorstehenden Zähnen und den buschigen Augenbrauen erinnerte er Eve an einen grinsenden Orang Utan. Eve zog ihre Knie schützend weiter an und schlang ihre Arme um die Beine.

"So. Eve aus Reliez, Kalifornien. Sie haben also diesen Dienstag gearbeitet, als Mr. Harris vom Balkon gefallen ist."

"Gefallen? Ich dachte er sei geschubst worden!"

Van Close´s Bleistift fiel auf den Boden. "Wie kommen Sie denn da drauf?"

"Na, sonst würde ich doch nicht mit ihnen hier in diesem Kabuff hocken."

"Meint er sei geschubst worden" murmelte van Close, während er sich nach seinem Bleistift bückte.

Eve verdrehte die Augen. Wie sollte diese sinnlose Fragerei und das wahlweise Aufschreiben ihrer Aussagen den Mord aufklären? "Jeder im Hotel denkt doch er ist geschubst worden" fuhr Eve fort.

"Haben sie eine Vermutung warum er gestoßen wurde?"

Eve zuckte mit den Schultern "Vielleicht hatte er eine heimliche Geliebte oder so."

"Wissen sie denn was von irgendeinem Besuch, der kam? Vielleicht nachts? Oder hat einer ihrer Kollegen was bemerkt?"

Sie zögerte "Eigentlich hat nur Ellery gesehen, wie der Harris mal mit einer Frau auf sein Zimmer gegangen ist."

"Wann war das?"

"Keine Ahnung. Vielleicht war das ja auch seine Frau" fügte sie zweifelnd hinzu.

"Klar." Van Close grinste während er weiter in sein Notizbuch schrieb. "Und sie haben Dienst gehabt, als Mr. Harris gestorben ist?"

Eve nickte.

"Haben sie was Besonderes gesehen? Ist ihnen irgendwas aufgefallen?"

Sie versuchte sich zu erinnern. Wenn bloß der verdammte Hocker nicht so unangenehm zum Sitzen wäre. Sie verlagerte ihr Gewicht etwas. Der Hocker knarrte bedenklich. Vielleicht war es doch wieder Zeit für eine Diät. Sie versuchte, sich zu konzentrieren und sich zu erinnern. Hatte sie noch etwas gehört? Wie sie da aus dem Lift gekommen war mit dem Aschenbecher, den die blöde Mrs. Riley aus 12 gefordert hatte. Wie konnte ein Aschenbecher nicht sauber genug für neue Asche sein? Hatte die etwa daraus trinken wollen? Da fiel es ihr ein. Sie hatte doch, als die Lifttür mit einem leisen Pling aufging, gehört, wie eine Zimmertür geschlossen wurde. War da noch jemand außer ihr im Gang gewesen?

"Ich weiß nicht, ich glaub ich hab noch gehört wie eine Tür ins Schloß gefallen ist."

Van Close sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Sie wissen es nicht genau?"

"Nee, ich weiß es nicht ganz genau. Achten sie denn darauf, ob eine Tür zugeht, wenn sie ahnungslos aus dem Lift kommen?"

"Sie waren da ja wohl kaum ahnungslos." Miss Washington kann sich nicht genau erinnern, ob eine andere Tür geöffnet oder geschlossen wurde, kritzelte er in sein Notizbuch.

Eves Beine fingen an ihr weh zu tun. Sie glaubte, dass sie schon mindestens eine halbe Stunde fast bewegungslos mit angewinkelten Beinen vor dem Polizisten saß. Sie versuchte, ihre Beine zu strecken und massierte dabei ihre Waden. Van Close blieb ungerührt vor ihr stehen und schrieb weiter. Dann frage er "Kannten sie Mr. Harris?"

"Nein, ich war ja nur für den Zimmerservice zuständig."

"... nur für Zimmerservice zuständig". Eve rollte mit den Augen. "Und Frau ... Moment" er blätterte in seinem Notizbuch "ah, Frau Tidzov, kennen sie auch nicht?"

"Wen?"

"Alles klar. Sie können jetzt gehen. Ihre Adresse gibt mir das Personalbüro. Kopie vom Pass auch." Van Close murmelte weiter vor sich hin während Eve versuchte aufzustehen. Ihre Beine stachen, als ob ihr jemand kleine Nadeln in die Waden gerammt hätte. Sie trat von einem Bein auf das andere und sah van Close im Stehen an. Sie war ja fast genau so groß wie er. Von unten hatte er so groß und imposant ausgesehen. Sie wollte gerade hinausgehen, als er meinte "Sie waren wirklich sehr hilfreich, Miss Washington. Immerhin könnten sie den Mörder gehört haben. Woll´n wir mal hoffen, dass er´s nicht mitbekommen und sie auch gesehen hat."

Dann zwängte er sich an ihr vorbei hinaus in den kleinen Flur, der in die Lobby führte. Sie sah ihm nach, wie er selbstbewusst mit leichtem Hüftschwung den ganzen Weg bis zur Eingangstür ging.

*

Spät am gleichen Abend kam Sergeant Hale von der Verkehrskontrolle nach einem anstrengenden Tag müde nach Hause. Nach dem Abendessen fragte ihn seine Frau “Wie war´s auf dem Revier? Was Aufregendes in Denver passiert? Außer dem Fall heute Abend vom Hotelbalkon? Der kam vorhin in den Lokalnachrichten.”

“Außer den üblichen Delikten nur noch nen Unfall mit Fahrerflucht. Fiese Sache. War aber schon gestern. Das war vielleicht komisch. Die Leute, mit denen man zu tun hat.” Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand mehrmals über seine dichten schwarzen Haare.

“Da ist noch ein Stück Kuchen übrig. Ich mach dir noch nen Kaffee dabei.”

“Nee, ich muss die Nacht schlafen. Lieber kein Kaffee.”

“Dann nimm doch den Kakao aus der Thermos. Jason hat den nicht leer getrunken. Er hat nach dir gefragt. Nach einer Gute-Nacht-Geschichte vom Papa. Diese ewigen verdammten Überstunden. Und jetzt lass hören. Ist ja noch nicht zu spät.”

“Ich war mit Derek da. Halbtot lag der am Straßenrand. Hatte aber zum Glück seinen Ausweis dabei. Wohnt in der Raleigh Street, nicht weit vom Tatort.”

Mrs. Hale meinte “Ich glaub die kenn ich. Sind das nicht lauter Reihenhäuschen? Grau verputzt, unansehnlich, schmucklos. Meistens viele kleine, mickrige Büsche in den Vorgärten.“

“Genau. Alle Fenster stockdunkel. Wir mussten ewig lang schellen. Burgess hießen die. Dann kam endlich ne ältere Frau in einem uralten Morgenrock lustlos ange-schlurft. Ob die überhaupt unsere Ausweise ohne Brille lesen konnte? Das war die Frau vom Halbtoten. Dann haben wir vorsichtig versucht, ihr den Unfall beizu-bringen. Du glaubst das nicht. Die fiel prompt wie auf Kommando in Ohnmacht. Mitten im schummrigen Flur. Ja, was jetzt? Was zum Teufel sollte man da machen? Die Frau musste doch wieder aufwachen. Die konnt doch nicht auf dem kalten Steinfußboden einfach so liegen bleiben. Derek meinte ob man die schütteln kann. Ich hab da kurzen Prozess gemacht. Bin in die Küche und hab mir ne Kanne genommen. Die stand da auf der Spüle. Ich hab der kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und die Mrs. erwachte mit nem grellen Schrei. Die zitterte am ganzen Leib und prustete und klagte wehleidig in allen Tonlagen. Die wollt sofort ein Handtuch haben.”

”Du meine Güte. Seid ihr brutal!” Mrs. Hale schüttelte entrüstet ihren Kopf.

“Och, lass mal. Die konnt das ab. Aber das hat ne ganze Weile gedauert. Aus dem Gestammel merkten wir, da gab´s noch nen Sohn Allan. Der wär grad zu nem kurzen Besuch nach Denver gekommen. Wo der jetzt war, wollten wir wissen. Wir zogen die an ihren Armen hoch. Und die schwankte dann schwerfällig ins halbdunkle Wohnzimmer.”

“Nach dem Schock und der Kopfwäsche wär ich auch geschwankt. Kannst du mir glauben."

“Ja, aber da ist ja weiter nichts passiert. Und da hat sie erst mal in irgendwelchen Unterlagen wie geistesabwesend wahllos rumgekramt. Derek war besorgt. Die könnt ja jeden Augenblick wieder ohnmächtig werden, wer weiß. Endlich hatte sie die Telefonnummer gefunden. Sohn Allan meldete sich gleich. Ich hab ihm dann vor-sichtig erklärt, was bis jetzt passiert war. Zum Glück fiel der nicht auch noch ins Koma. Er schien vernünftig und praktisch veranlagt zu sein. Er würd sofort ein Taxi rufen, seine Mutter abholen und dann zusammen mit ihr zur Klinik fahren.”

"Seid ihr wenigstens noch solang geblieben bis der Sohn kam?"

Sergeant Hale gähnte, stand auf und meinte “Na klar. Sind wir. So, ich geh jetzt duschen und dann nur noch schlafen.”

*

Sergeant Hale winkte am Mittwochmorgen Sergeant Bloom zwei Schreibtische weiter hinten zu “Ich hab das Colorado Health an der Strippe. Der Burgess ist wieder ansprechbar. Die Ärzte meinen, wir können den jetzt befragen. Kommst du mit?” Sergeant Bloom formte mit seiner Hand ein großes Fragezeichen in der Luft. "Der von dem Fahrerflucht-Fall!" rief Hale lautstark. Die Krankenschwester am anderen Ende der Leitung zuckte jäh zusammen und hielt den Hörer weiter weg. Mit halbwegs normaler Lautstärke bestätigte er in den Hörer "Okay, wir kommen jetzt."

Hale stand auf, zog seine Jacke an, die immer über seiner Stuhllehne hing und ging schon mal zum Parkplatz. Pfeifend warf er die Autoschlüssel in die Luft und fing sie gutgelaunt wieder auf. Die Sonne schien und auf dem Rückweg würden sie einen Zwischenstopp bei McDonalds einlegen. Bloom würde auch bald nachkommen wenn er seine teure Anzugjacke angezogen und im Spiegel überprüft hatte, dass seine Gelfrisur auch perfekt saß. Hale stellte Sirene und Blaulicht an und amüsierte sich, wie sich die anderen Autofahrer bemühten, schnell irgendwie auszuweichen.

Am Empfang beschrieb ihnen eine hübsche junge Krankenschwester den Weg. Der Lift, groß genug für mindestens zwei Betten, kam auch gleich und brachte die beiden in den 10. Stock. Sobald die Lifttüren aufgingen, rochen sie das aufdringliche Desinfektionsmittel, mit dem die Böden geputzt wurden. Schwestern in weißen und Ärzte in grünen Kitteln, teils mit, teils ohne Mundschutz, eilten stumm an ihnen vorbei. Ein paar Patienten in Schlafanzug und Morgenrock, blass, apathisch und lustlos, wanderten schweigend, wie in Zeitlupe, in den neonerleuchteten, langen, schmucklosen Fluren langsam auf und ab.

“Ist das deprimierend. Der reinste Fußmarsch durch die öden, verwinkelten Gänge bis dahin” brummte Bloom. Sie verliefen sich ein paar Mal in dem riesigen Krankenhaus-Komplex. “Warum hat die das auch so blöd erklärt” ärgerte er sich. "Wir sind jetzt mindestens fünfmal an demselben Bild an den Wänden mit dem Klavier und der doofen Blumenvase vorbeigekommen. Als ob sich die kranken Leute hier die billigen Kopien an dem erbsengrünen Gemäuer angucken würden."

Hale lachte “Vielleicht hätten wir besser zuhören sollen.” Endlich fanden sie Zimmer 1039 und Bloom klopfte vorsichtig an. Das lange Gehen und die Zimmer-sucherei hatten ihn nervös gemacht. Als sie keine Antwort bekamen, öffnete er vorsichtig die Tür. Mr. Burgess lag friedlich schlafend in seinem Bett. Die Sonne schien auf sein unrasiertes Gesicht. "Den müssen wir wohl oder übel wecken" meinte Hale und schüttelte den Kranken vorsichtig wach.

"Mr. Burgess ... Burgess ... Hallo, Hallo." Schlaftrunken und verwirrt öffnete Mr. Burgess langsam seine Augen und sah die beiden Fremden neben seinem Bett verwundert an.

"Guten Morgen. Wir sind von der Unfallpolizei. Sie hatten vorgestern Abend einen Autounfall. Können sie uns dazu etwas sagen?"

Burgess sah sie weiter schweigend an, aber dann murmelte er etwas und deutete lächelnd auf seinen Nachttisch hin. Als ihm Hale das Hörgerät reichte, schoss ein durchdringender, greller Pfeifton durch das Zimmer. Hale verkniff sein Gesicht und zog den Kopf ein. Bloom nahm ihm das kleine Gerät aus der Hand und drehte an einem Rädchen. "Meine Mum hat auch so eins."

Eine angenehme Stille breitete sich im Raum aus und Burgess schob sich das Hörgerät ins linke Ohr. "So, jetzt kann ich sie auch hören."

"Wir sind von der Polizei. Sie sind am Montagabend angefahren worden und haben das Bewusstsein verloren. An was können sie sich noch erinnern? Was haben sie gesehen?"

Mr. Burgess versuchte, sich mit einem Ruck aufzurichten. Er sah die Polizisten irritiert an. "Was? Angefahren sagen sie? Haben die sich dann wenigstens ent-schuldigt?"

"Äh, hm, nein. Nicht wirklich. Die haben sie angefahren und sind dann einfach weitergefahren."

Wütend schlug Burgess mit seiner Faust auf die Bettdecke. "Unverschämt! Unerhört! Wenn ich die zu fassen krieg, dann ..."

Hale unterbrach ihn schnell "Haben sie das Auto erkennen können? Vielleicht das Nummernschild?"

Mr. Burgess zögerte. Er schien intensiv nachzudenken und kratze sich ausgiebig am Kinn. Nach einer ganzen Weile meinte er zögerlich "Hm, nein, eigentlich nicht. Das Auto, und der Park. Alles war dunkel. Diese Halunken! ... Ach was, jetzt weiß ich´s wieder. Das war ein Coupé, dunkle Farbe. Könnte dunkelgrün oder dunkelblau gewesen sein. Vielleicht auch schwarz. Das ging alles viel zu schnell. Mich trifft ein gewaltiger Schlag in den Rücken. Vollkommen aus dem Blauen raus.” Er machte eine Pause und berichtete dann langsam weiter “Den Wagen hab ich nicht kommen gehört. Ich hatte Kopfhörer auf den Ohren. Ich stürzte zu Boden. Dann sah ich noch das Auto. Das bremste kurz. Und raste dann mit Vollgas auf und davon.”

“Konnten sie vielleicht die Fahrzeugnummer erkennen?“

“Nein, die weiß ich nicht. Da war ich ja schon längst ohnmächtig. Außerdem war es ja stockdunkel. Aber wie bin ich denn hierher ge ...?”

Mr. Burgess war schon erschöpft eingeschlafen bevor sie antworten konnten. Ein Arzt bat die beiden Polizisten wieder zu gehen. Hale fragte "Können sie uns sagen, wie schwer Mr. Burgess verletzt ist?"

"Die Nervenleitungen in seinem Rückgrat sind blockiert. Ein Wirbel ist gebrochen. Seine Beine sind komplett gelähmt. Die gute Nachricht: Er hat nur eine leichte Kopfwunde. Nichts Ernstes. Und er kann noch beide Arme, Hals und Kopf uneingeschränkt bewegen."

Frustriert gingen die beiden zurück zum Parkplatz und fuhren zum nächsten McDonald.

Xenia wird verhört - Mittwoch, 14. Juni 2000

Ebenfalls am Mittwochmorgen erklärte Sergeant Jenkins von der Mord, mit einem Pappbecher Kaffee in der Hand lässig gegen einen Aktenschrank gelehnt, den beiden neuen Rekruten “Wir sammeln erst mal alles. Selbst Kleinigkeiten. Das können später wichtige Beweisstücke sein. Wenn die erst mal aussortiert sind. Erinnerungen von Zeugen, unsere Eindrücke. Einfach alles. Danach sehn wir weiter.“

“Wir wissen dann warum der vom Balkon fiel“ meinte ein Azubi. “Und wer den Gelähmten umgefahren hat und dann verschwunden ist“ ergänzte der andere.

“Träumt weiter. Zuerst hören wir den Leuten zu. Die sollen ihre Geschichte mit ihren eigenen Worten erzählen. Ohne Unterbrechung versteht sich. Da kommen oft scheinbare Widersprüche zu Tage. Später geben die uns wertvolle Hinweise. Manch-mal jedenfalls.”

Xenia wurde als erste zum Police District 6 Downtown, 1566 N Washington Street, zitiert. Ein Officer brachte sie ins Verhörzimmer. “Warten sie hier.“ Einen alten Tisch mit einem Aufnahmegerät und vier Stühle, sonst gab es nichts in dem kahl wirkenden, fensterlosen Zimmer. Eine Neonröhre spendete grelles, kaltes Licht. Nach ein paar Minuten kamen Sergeants Whitman und Jenkins und setzten sich ihr gegenüber.

”Guten Morgen. Sie sind unsere Hauptzeugin.” Dass sie gleichzeitig auch die Hauptverdächtige war, verschwiegen sie ihr. ”Wir wollen wissen, was genau vor dem Sturz passiert ist.”

Damit hatte sie gerechnet und hatte vorher das Verhör wiederholt in Gedanken durchgespielt. Jack, ihr Bruder, hatte ihr vorher geraten "Erzähl nie die Wahrheit, solange dir etwas Interessanteres einfällt." Sie wusste, dass man sie durch das Sichtschutzglas-Fenster beobachten würde. Sie saß auf der Stuhlkante und sah die Sergeants an.

Sie räusperte sich “Ein paar schöne Bilder an den Wänden und ein Blumenstrauß auf dem Tisch. Das würde hier doch schon viel freundlicher aussehen.”

Sergeant Jenkins sah seinen Kollegen an und zog seine Augenbrauen hoch. Beide ignorierten den ironischen Vorschlag und blätterten erst einmal in den Protokollen. Dann stellte Sergeant Whitman das Aufnahmegerät an und das Verhör konnte beginnen.

“8.37 Uhr, Mittwoch, 14. Juni 2000. Befragung im Fall Chevron Harris, Dallas. Anwesend die Zeugin Xenia Tidzov, Denver, Sergeant James Whitman und Sergeant Roy Jenkins.”

Sergeant Whitman forderte Xenia auf, jetzt wahrheitsgemäß zu schildern, was passiert war, nachdem sie um 19.45 Uhr am Vorabend das Hotelzimmer betreten hatte.

“Wie sie ja schon wissen, Chevron hatte mich gestern Abend angerufen. Ich bin dann zu ihm ins Hotel gefahren. Wir wollten zusammen im Randolph´s Restaurant zu Abend essen. Er bestellte erst noch einen Kaffee beim Zimmerservice. Wir hatten beide den ganzen Tag gearbeitet und waren etwas müde.”