Mord und alte Bücher - Norbert-Ullrich Neumann - E-Book

Mord und alte Bücher E-Book

Norbert-Ullrich Neumann

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Beschreibung

Zwei kunstsinnige Freunde aus München werden in Turin in mysteriöse Verbrechen verwickelt. Vieles dreht sich um ein altes Manuskript, welches Conte Antinori, neben zahlreichen anderen bibliophilen Kostbarkeiten, hinterlassen hat. Der Tod der Schwester und Erbin des Conte bleibt zunächst ebenso undurchsichtig, wie die Entführung des Kunsthändlers, der mit dem Verkauf und der Versteigerung der Hinterlassenschaft beauftragt worden war. Nach merkwürdigen Präliminarien fordern die Kidnapper die Übergabe der alten Handschrift. Die Lage scheint aussichtslos zu sein, da der Polizei das Original nicht zur Verfügung gestellt wird. Auch die Ermittlungen in Sachen der, höchstwahrscheinlich ermordeten, Erbin des Manuskripts, scheinen ergebnislos zu bleiben. Schließlich aber kommt es in beiden Fällen zu überraschenden Wendungen. Norbert-Ullrich Neumann, Jahrgang 1947, Nervenarzt im Ruhestand, lebt mit seiner Frau in Bayern. Er hat weit mehr als hundert medizinisch-wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. „Mord und alte Bücher“ ist sein erster Kriminalroman. Neumann ist passionierter Leser, Läufer und Golfspieler und Italienliebhaber.

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Seitenzahl: 255

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Norbert-Ullrich Neumann, Jahrgang 1947, Nervenarzt im Ruhestand, lebt mit seiner Frau in Bayern. Er hat weit mehr als hundert medizinisch-wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. »Mord und alte Bücher« ist sein erster Kriminalroman. Neumann ist passionierter Leser, Läufer und Golfspieler und Italienliebhaber.

Zwei kunstsinnige Freunde aus München werden in Turin in mysteriöse Verbrechen verwickelt. Vieles dreht sich um ein altes Manuskript, welches Conte Antinori, neben zahlreichen anderen bibliophilen Kostbarkeiten, hinterlassen hat. Der Tod der Schwester und Erbin des Conte bleibt zunächst ebenso undurchsichtig, wie die Entführung des Kunsthändlers, der mit dem Verkauf und der Versteigerung der Hinterlassenschaft beauftragt worden war. Nach merkwürdigen Präliminarien fordern die Kidnapper die Übergabe der alten Handschrift. Die Lage scheint aussichtslos zu sein, da der Polizei das Original nicht zur Verfügung gestellt wird. Auch die Ermittlungen in Sachen der, höchstwahrscheinlich ermordeten, Erbin des Manuskripts, scheinen ergebnislos zu bleiben. Schließlich aber kommt es in beiden Fällen zu überraschenden Wendungen.

Einfachheit ist die höchste Stufe der Vollendung

Leonardo da Vinci

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Epilog

Erstes Kapitel

»Das hat sich gut getroffen«, dachte Dr. Thomas Berger, als er seine Jacke in der Garderobe abgab, denn das Treffen mit Hubert Wolfrum hatte er problemlos mit dem Besuch der Ausstellung »Spaniens goldene Zeit« in der Kunsthalle verbinden können. Sicherlich blieb später auch noch genügend Zeit, um bei Hugendubel und ein paar anderen Geschäften vorbeizuschauen. Selten, wenn er in der Stadt war, versäumte er es, eine Blick in die CD-Abteilung des Geschäfts nahe beim Rathaus zu werfen. Die Auswahl dort war sensationell.

Am Abend war er mit Franz zum Badminton verabredet. Das würde auf jeden Fall klappen. Im Moment stand er in der Kunsthalle und wendete seine Aufmerksamkeit einem Poster zu, welches in groben Zügen die Wechselfälle der spanischen Geschichte im 17. Jahrhundert beschrieb. Alleine drei Staatspleiten fielen in diese Zeit. »Das war ja noch schlimmer als heute«, dachte Berger und schmunzelte dabei. Das Halbdunkel der Ausstellungsräume, durch welche vornehmlich ältere Herrschaften – typische, pensionierte GymnasiallehrerInnen – schlichen, sollte wohl die Bedrückung seitens der Kirche, unter welcher Spanien im 17. Jahrhunderts zu leiden hatte, heraufbeschwören. Wahrhaft düster und beeindruckend, ja fast bedrückend, war Zurbarans überlebensgroßes Gemälde – »Der heilige Franziskus von Assisi nach der Vision von Papst Nikolaus V.« – vor dem Berger gebannt verharrte. Ein unglaubliches Bild. Erst nach minutenlanger Betrachtung fiel Berger der Fuß auf, der samt schmutziger Zehennägel unter der Kutte herauslugte.

Die Malerei von Velazquez, El Greco, Murillo etc. war nicht das, was Berger als schön und gefällig bezeichnen würde, aber sie war eindrucksvoll und alles andere als banal.

In aller Ruhe drehte er wiederholt seine Runden durch die verschiedenen Säle. Mit Wolfrum war er erst gegen 13:30 Uhr bei einem nahegelegenen Italiener verabredet.

Schließlich setzte er sich auf einen der unbequemen Hocker. Aber nicht um eines der Bilder intensiver zu betrachten, sondern, um ein weiteres Mal über das nachzudenken, was ihm Wolfrum gestern am Telefon erzählt hatte.

Wolfrum war kein Schwätzer. Mit seinem Kompagnon Gartner betrieb er erfolgreich ein alt eingeführtes Buch- und Kunstantiquariat in München. Er war ein großer Könner und Kenner in seinem Metier. Sie hatten sich vor Jahren verschiedentlich auf Auktionen getroffen, und sich im Laufe der Zeit angefreundet. Geholfen dabei hatte nicht nur die Liebe zu alten Büchern und Italien, sondern auch ihr gemeinsames Interesse an Musik und Fußball und nicht zuletzt auch ihre Abneigung gegen Geistloses und Neumodisches. Berger war 58, Wolfrum 60 Jahre alt und beide waren durchaus noch in Schuss. Es war nicht so, dass man sie als typische alte, weiße Männer hätte bezeichnen können, obwohl sie ein wenig zum Traditionellen neigten. Aber da beide sehr belesen und alles andere als dumm waren, hatten sie fraglos fundierte Meinungen über die Dinge der Welt.

Und diese Ansichten differierten in manchem von dem, was der politisch korrekte und digitale Zeitgeist vorschreiben wollte. Das rief natürlich nicht überall Begeisterung hervor. Aber Intoleranz war nicht ihr Ding. Sie waren, wenn es unumgänglich war, durchaus in der Lage sich in aller Ruhe den größten Blödsinn anzuhören, und diesen lapidar mit: »Wenn Sie meinen«, zu kommentieren. Von Freunden und Bekannten wurden sie gerne Bud Spencer und Terrence Hill genannt. Aus größerer Entfernung betrachtet, mochte das durchgehen. Tatsächlich aber bedurfte es schon einiger Phantasie, um Wolfrum für Spencer und Berger für Hill zu halten.

Bei allen Gemeinsamkeiten waren Berger und Wolfrum längst nicht in allem immer einer Meinung. Berger war Bayernfan und Wolfrum – als alter Münchner – Anhänger der »Sechzger«. Alleine dies führte oft zu lebhaften Debatten. Berger war aktiver Sportler, begeisterter Läufer und Badmintonspieler. Wolfrum war Sportfan vor dem Fernseher, neigte zur Bequemlichkeit und ein klein wenig zum Übergewicht.

Berger war Naturliebhaber und bevorzugte fleischarme mediterrane Kost. Gerne nörgelte er an Wolfrums reichlichem Fleisch- und Wurstkonsum herum. Dafür kritisierte Wolfrum ständig, dass Berger noch immer – wenn auch wenige – Zigaretten rauchte. Wolfrum selber hatte dem Tabakkonsum seit Jahren weitestgehend abgeschworen. Nur bei seltenen Gelegenheiten steckte er sich eine kleine Partagas an. Berger saß noch immer auf der Bank und sinnierte. Was Wolfrum ihm bei dem gestrigen Telefonat über ein kürzlich aufgetauchtes, bisher unbekanntes Manuskript, welches Thaddäus Xaverius Peregrinus Haenke zugeschrieben wurde, erzählt hatte, hatte wahrhaft abenteuerlich geklungen. Freilich kamen immer wieder Gerüchte über ganz erstaunliche Entdeckungen auf. Das war bei den Antiquaren nicht anders als bei den Kunstsammlern im allgemeinen. Aber diese Sache schien keine »Ente« zu sein.

Wolfrum, der besonders gute Verbindungen nach Italien hatte, war schon vor ein paar Wochen von einem Turiner Kollegen über einen bemerkenswerten Nachlass informiert worden. Von dem speziellen Exemplar war jedoch noch nicht die Rede gewesen. In und um Turin gab es viel »altes Geld« und daher auch viele Kunstliebhaber und Sammler. Das Manuskript soll in der Bibliothek eines alten piemontesischen Aristokraten entdeckt worden sein. Es sei zwar nicht die einzige Kostbarkeit gewesen, jedoch die spektakulärste. Thaddäus X. P. Haenke war Berger durchaus ein Begriff. Denn Bergers Spezialität waren Reiseberichte, ethnographische und geographische Bücher und Karten aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Bekannt waren ihm »La Expedición Malaspina (1789– 1794) – Trabajos científicos y corespondencia de Tadeo Haenke« und die »Reliquiae Haenkeanae, seu descriptiones et icones plantarum, quas in America Meridionali et Boreali, in insulis Philippinis et Marianis collegit« als Nachdruck der Prager Ausgabe von1830/31. Heankesche Originale waren ihm aber noch nicht über den Weg gekommen. Er hatte sich nach dem Telefonat mit Wolfrum im Internet noch einige Informationen über Haenke geholt

Haenke war ein Universalgelehrter gewesen, der auf Reisen durch Chile, Bolivien, Peru und Ecuador mehr als tausend Pflanzen und Insekten gesammelt hatte. Er erlernte und katalogisierte die Sprachen der Einheimischen, machte völkerkundliche und geographische Studien und bestieg als erster Europäer den Chimborazo. Im Auftrag der spanischen Vizekönige in Ecuador und Argentinien betrieb er breit gefächerte Forschungen auf geographischem, botanischem und zoologischem Gebiet. Darüber hinaus befasste er sich intensiv mit chemischen und pharmazeutischen Experimenten. Außerdem führte er Apotheken ähnliche Einrichtungen ein, die mit Produkten aus einer selbst aufgebauten pharmazeutischen Manufaktur beliefert wurden. Seine sehr guten Kontakte zur einheimischen Bevölkerung ermöglichten ihm genaue Einblicke in deren schamanisch-medizinischen Heilmethoden.

Das alles ging Berger durch den Kopf, während er noch immer auf der unbequemen Bank saß. Ein unbekanntes, gut erhaltenes Manuskript mit Heankeschen Originalberichten, Karten und Zeichnungen betreffend eine Reise durch das peruanische Amazonasgebiet, welches insbesondere auch hochinteressante, botanische Aufzeichnungen und Beschreibungen seltener bzw. unbekannter pflanzlicher Heilkräuter und Gifte enthielt, wäre wahrlich eine Sensation. An der Authentizität des Manuskripts soll, so meinte Wolfrum, kein Zweifel bestehen. Mit dem Inhalt hätten sich bereits Experten, u. a. auch Botaniker, befasst haben, die zu den erwähnten, erstaunlichen Ergebnissen gekommen sind.

Wolfrum hatte vergangene Woche von dem Turiner Kollegen Massimo Lorenzi – per E-mail – eine ausführliche Information über den verstorbenen Sammler und einen Überblick über die bibliophilen Kostbarkeiten erhalten. Offenbar wollten die Erben den besonders wertvollen Teil der Büchersammlung zu Geld machen. Wolfrum war sofort sehr interessiert gewesen. Sein renommiertes Kunst- und Buchantiquariat hatte eine durchaus zahlungskräftige und illustre Kundschaft. Schon sein Vater war mit vielen Kunstsinnigen, Wohlhabenden und Prominenten aus München und Umgebung gut bekannt gewesen.

Hinsichtlich der jetzige Angelegenheit, waren mögliche Interessenten von Wolfrum bereits in Kenntnis gesetzt worden.

Unter anderem hatte sich eine sehr vermögende Person, die auch wegen ihrer Anteile an bayerischen Traditionsunternehmen bekannt war, großes Interesse angemeldet. Wie schon des öfteren hatte sie Wolfrum quasi bevollmächtigt. Wolfrum verfolgte aber auch eigene Interessen.

Die Auktion sollte Anfang Juni in Turin, vielleicht auch in Zürich, über die Bühne gehen. Liebhaber – und derer gab es für bibliophile Kostbarkeiten genug – konnten sich natürlich im Internet kundig und sich auch rechtzeitig vor Ort ein Bild machen. Nicht immer erschienen alle annoncierten Objekte auf den Auktionen. Denn nicht selten machten die Anbieter bereits

vorab lukrative Geschäfte. Es hieß also, sich beizeiten kundig zu machen und Interesse anzumelden. Nachdem was Wolfrum erfahren und gesehen hatte, schien es so, als wären unter dem Fundus nur wenig Exemplare, die für Berger erschwinglich, oder von Interesse sein würden. Dennoch wollten sie heute die Angelegenheit näher besprechen und den baldigen, gemeinsamen Flug nach Turin planen.

Berger saß immer noch auf der Bank, als sein Handy vibrierte. Er holte es aus der Hosentasche. Es war ein Anruf von Wolfrum. Von der Ausstellung hatte er genug gesehen. Es war erst 12:23 Uhr, er würde jetzt ohne Eile zur Garderobe und dann hinausgehen und zurückrufen.. Draußen suchte sich Berger eine ruhige Ecke und wählte Wolfrums Nummer. Er wurde mit der Mailbox verbunden. Anstatt etwas darauf zu sprechen, verfasste er eine kurze SMS.

Berger war gemächlich ein ein Stück weit auf der Theatinerstraße Richtung Rathausplatz gelaufen, als sein Handy erneut bimmelte. Es war ein Anruf von Wolfrum.

»Mensch Tom, ist das umständlich, Dich endlich an die Strippe zu bekommen«, fing Wolfrum an.

»Was heißt da umständlich, schon der zweite Anruf hat doch geklappt. Ich war in der Kunsthalle bei dieser Ausstellung der großen Spanier, da konnte ich ja wohl nicht telefonieren«, antwortete Berger.

»Egal jetzt«, meinte Wolfrum, »aus unserem Treffen bei Luigi wird leider nichts. Lorenzi hat heute gegen 9:00 Uhr einen obskuren Anruf getätigt. Ich solle schleunigst nach Turin kommen. Für morgen Vormittag sei eine Reihe wichtiger Interessenten zur Besichtigung eingeladen. Mich hätte er beinahe vergessen. Das Interesse an den Objekten, vor allem an dem Haenke, sei enorm. Selbst Chinesen und eine Reihe offensichtlicher Strohmänner riefen ständig bei ihm an. Einige seien schon persönlich bei ihm aufgetaucht, ihm geradezu auf die Pelle gerückt. Es würden bereits satte Summen angeboten.«

Wolfrum machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Lorenzi ist offenbar mehr als froh, dass er darauf verweisen kann, dass die Eigentümer der Sammlung auf der Auktion bestehen und, dass die wertvollsten Bücher sicher im Tresor lagern. Ich sitze im Taxi, wie du wohl schon gemerkt hast. Bin auf dem Weg zum Flughafen. Habe noch einen Platz in der 14:20 Uhr Maschine bekommen.«

»Das hört sich ja nach einer echten Räuberpistole an«, sagte Berger. »Melde dich auf jeden Fall, wenn Du angekommen bist. Und lass mich wissen, ob es Sinn macht, wenn ich auch runterkomme. Zu zweit fühlt man sich in einer etwas undurchsichtigen Situation einfach besser, wie Du weißt altes Haus«

»Alles klar, ich melde mich bald. Ciao Thomas.«

»Ciao Hubert«, sagte Berger und verstaute nachdenklich sein Handy.

»Na ja«, dachte er, »morgen werde ich bestimmt mehr erfahren. Könnte sich zu einer spannenden Geschichte entwickeln, alleine schon wegen des alten Haenke.«

Bergers Programm war erst einmal über den Haufen geworfen. Er hatte damit gerechnet, erst am späten Nachmittag nachhause zu fahren. Also blieb jetzt mehr als genug Zeit, um ein paar Geschäfte zu besuchen. Es war Ende April und noch kühl und obendrein ging ein unangenehmer Wind.

So war er froh, als er endlich in das Gebäude mit der eindrucksvollen CD-Abteilung kam. Seine Liebe zur Musik, vor allem Bachs Musik, war nicht geringer als seine Liebe zu alten Büchern. Er stöberte ausgiebig und fand schließlich eine CD mit Bachschen Toccaten, eingespielt von Glenn Gould. Einspielungen von Gould waren bei vielen Bachliebhabern Kult. In der besagten Musikabteilung und in einer Reihe weiterer Geschäfte verbrachte er mehr als zwei Stunden, ehe er sich zum Parkhaus am Elisenhof aufmachte.

Berger wohnte seit zwei Jahren in einer Kleinstadt westlich von München. Er war dort hingezogen, nachdem er den Arztberuf an den Nagel gehängt hatte und sich ganz, auch in kommerzieller Hinsicht, seiner bibliophilen Leidenschaft zugewandt hatte. Möglich gemacht hatte dies eine großzügige Schenkung seines Vaters.

Sein, jetzt 84jähriger Vater, war noch bis vor einem Jahr Sozius einer renommierten und erfolgreichen Münchner Anwaltskanzlei gewesen. Er hatte es zu einem beachtlichen Wohlstand gebracht, den er, wie er anlässlich seines 80. Geburtstages sagte, noch zu Lebzeiten mit seinen Kindern teilen wollte. So vermachte er seinem Sohn Thomas und seiner Tochter Marianne teils in Immobilien, teils in Aktien und Wertpapieren je einen ordentlichen Betrag.

Berger hatte nach Erhalt dieses Geldsegens lange überlegt, was zu tun sei. Er war zu dieser Zeit noch Oberarzt an der neurologischen Abteilung einer Münchner Klinik und mit seinem Beruf nicht direkt unzufrieden. Zwanzig Jahre früher war die berufliche Situation freilich noch wesentlich ersprießlicher gewesen. Kommerzielles Denken, blödsinnige Bürokratie und diagnostische Zaubertricks hatten schon lange Einzug gefunden und redlichem, rein Patienten orientiertem Handeln das Wasser abgegraben. Aus seiner Einstellung, dass die Medizin eine »beschissene Gesundheitsindustrie« geworden war, machte er kein Hehl. Bei den nichtärztlichen »Geschäftsleuten« – Manager nennen sie sich heute – brachte ihm dies natürlich keine Sympathien ein. Er wusste, dass viele der Kolleginnen und Kollegen wie er dachten, in größerem Kreise aber lieber schwiegen.

Es wollte schon sehr gut bedacht sein, den Arztberuf aufzugeben. Aus dem Hobby der Bibliophilie einen Beruf zu machen, würde – rein formal – kein Problem sein. Um sich Antiquar zu nennen und als solcher tätig zu werden, bedurfte es keiner Ausbildung. Die finanzielle Seite der Medaille, glänzte allerdings keinesfalls ungetrübt. Ein Einkommen, welches seinem Oberarztgehalt entsprechen würde, war als kleiner Antiquar niemals zu erzielen. Berger hatte zwar keine besonderen finanziellen Verpflichtungen und keine Schulden, aber abgesehen von der väterlichen Schenkung auch keine nennenswerten Reichtümer.

Er besaß eine nette Eigentumswohnung in Allach und ein bescheidenes Aktiendepot. Seine Überlegung war, die Wohnung zu vermieten, ein möglichst günstiges Reihenhaus in der ländlichen Umgebung Münchens zu erwerben und den Rest des Geldes, bis auf einen Notgroschen, anzulegen. Die vermietete Wohnung und das Depot würden genug abwerfen, um über die Runden zu kommen. Wenn es ihm darüber hinaus gelänge, aus dem Antiquariatsgeschäft monatlich wenigstens ein paar Hunderter herauszuschlagen, könnte es reichen. »Untergehen« würde er auf keinen Fall, denn im Notfall standen sowohl die Rückkehr in den Arztberuf, wie sein Vater bereit. Nach reiflicher Überlegung und diversen Gesprächen mit seinem besten Freund Hubert Wolfrum, seinem Vater und seinem Sohn hatte er seine Pläne realisieren können.

Ausschlaggebend war gewesen, dass Wolfrum ihm einen Posten als freier Mitarbeiter angeboten hatte. Das hieß, recherchieren, Kontakte knüpfen, Angebote prüfen, Auktionen besuchen und viel herumfahren. Aber ein regelmäßiges Einkommen war damit gesichert.

Für alte Bücher hatte er sich schon in der Schulzeit begeistert. In späteren Jahren hatte er nach und nach einen beachtlichen Fundus alter Bücher – in verschiedenen Sprachen – mit Reiseberichten und Kriminalgeschichten angesammelt. Schließlich kamen auch noch ausgewählte Exemplare von Klassikern der Weltliteratur hinzu. Wann immer er im In- und Ausland unterwegs war, nutzte er jede Gelegenheit Antiquariate aufzusuchen.

Unter den Krimis befanden sich bemerkenswerte, alte Ausgaben von D. Sayers, A. Christie, R. Stout, S. S. van Dine, J. D. Carr und M. Innes. Seine Sammlung an Krimis beinhaltete aber auch zahlreiche Exemplare von eher geringem Wert. Dieser Fundus an älteren, gut erhaltenen Allerweltsausgaben bildete die Grundlage seiner eigenen Antiquariatsaktivität. Man musste schon über gutes Material verfügen, um mit den vielen Online-Angeboten leidlich mithalten zu können.

Natürlich hatte er eine Website – »antiquariat-berger.de« – die speziell hinsichtlich der Angebote regelmäßig aktualisiert werden musste. Aber Berger war sicherlich kein »Nerd«. Daher war er sehr froh darüber, dass ihm Tobias, der Sohn eines Kollegen, bei der Pflege der Website behilflich war. Wolfrum hatte für solche Arbeiten natürlich auch jemanden zur Hand. Aber der war nicht billig und wurde nur im Notfall angefragt. Die echten Kostbarkeiten zierten sein Wohnzimmer, das Büro und das Gästezimmer. Die »Massenware« für den Online-Handel lagerte im Keller.

Vom Münchener Zentrum bis nachhause waren es zwar kaum 25 km, aber bei den bekannten Verkehrsverhältnissen in und um München benötigte Berger stets mehr als 30 Minuten ehe er vor der Haustüre stand. Noch war Zeit ein paar Dinge zu erledigen, denn zum Badminton war er mit Franz erst um 18:30 in Gilching verabredet. In jüngeren Jahren hatte Berger in einem Münchener Club aktiv gespielt. Seit fast zwanzig Jahren war er nur noch Gelegenheitsspieler. Mit Franz Brandner, einem ärztlichen Kollegen, sowie Helmut Schwarz und Gerd Auermann, zwei Sportfreunden aus der aktiven Zeit, traf er sich ein- zweimal im Monat.

Zuhause warf Berger einen Blick auf seine E-Mails. Dann rief er die Website des Turiner Kollegen auf; las Grundsätzliches und durchforstete die neuesten Objekte, die in Bälde versteigert werden sollten. Das Haenkesche Original war nicht darunter. Dann nahm er eine Kleinigkeit zu sich, packte seine Sportklamotten und fuhr nach Gilching. Der Abend war, wie fast immer, unterhaltsam, obwohl Berger zwei der drei Sätze verloren hatte.

Wieder zuhause, war er rechtschaffen müde. Ein Blick aufs Handy zeigte eine SMS von Wolfrum. Hubert war gut angekommen und im Holiday Inn City Centre abgestiegen. Berger nahm noch eine Dusche und trank ein kleines Bier, ehe er zu Bett ging.

Zweites Kapitel

Am nächsten Morgen war Berger gerade dabei sein Frühstück zu beenden, als sein Handy klingelte. Es war ein Anruf von Wolfrum.

»Ein Moment«, sagte Berger. Er nahm sich eine Zigarette und die Kaffeetasse und ging auf die Terrasse. »Alles klar, was gibt’s«, fragte er.

»Ich kann Lorenzi nicht erreichen. Es meldet sich immer nur seine Mailbox. Eigentlich sollte ja heute um 10:30 Uhr die Besichtigung stattfinden. Aber der Herr ist offensichtlich nicht da. Selbst seine Sekretärin Antonella, wir haben sie letztes Jahr mit Lorenzi in Zürich getroffen, wenn du dich erinnerst, weiß nicht genau, wo er ist. Er hat sich telefonisch in aller Früh abgemeldet und entschuldigt. Angeblich habe er kurzfristig ganz dringende Geschäfte in Como zu erledigen, sei aber spätestens morgen Nachmittag wieder zurück. Er ließ ausrichten, dass ich unbedingt warten solle. Und er meinte, ich könne mir ja von Antonella oder Davide schon mal einiges zeigen lassen«, berichtete Wolfrum.

»Na ja, auf einen Tag mehr oder weniger wird es ja wohl nicht ankommen. Bin gespannt, was er da alles auf Lager hat und vor allem darauf, was du zu dem Heanke sagen wirst«, meinte Berger.

»Die ganz tollen Sachen sind vermutlich im Safe. Die werde ich dann wohl erst morgen sehen können. Egal, ich gehe dann mal zu Lorenzis Laden. Ist von hier ja nicht weit. Vielleicht zwanzig Minuten. Ciao Thomas, melde mich später nochmal, ciao«.

»Viel Vergnügen, ciao«, antwortete Berger.

Er rauchte in Ruhe seine Zigarette zu Ende und trank seinen Kaffee aus. Wieder im Haus warf er bei N-TV einen Blick auf die Börsenkurse. Dann machte er sich zu Fuß auf den Weg, um sich – wie immer wenn er zuhause war und Zeit dazu hatte – im nahe gelegenen Laden die Frankfurter Allgemeine zu holen.

Wieder zurück schnürte er die Laufschuhe, und begab sich auf eine seiner bewährten Joggingstrecken. Berger lief schon seit jungen Jahren oft und gerne. Von der Haustür war es nicht weit ins freie Gelände, wo sich mehrere schöne Wege auftaten. Auf dem Land zu laufen, fand er wesentlich erholsamer und angenehmer als in der Stadt, wo viel zu viel Menschen unterwegs waren.

Nach dem Lauf ging es unter die Dusche. Dann wurde in Ruhe Zeitung gelesen. Gegen 17:30 Uhr, nachdem Berger einige Einkäufe erledigt hatte, kam erneut ein Anruf von Wolfrum.

»Hallo Thomas, hier Hubert. Wo bist Du gerade? Muss etwas ausführlicher berichten«.

»Kein Problem, bin zuhause«, erwiderte Berger und setzte sich auf einen Küchenstuhl.

»Also die Geschichte ist wirklich merkwürdig«, erklärte Wolfrum. »»Weder die Sekretärin, noch Davide, noch Lorenzis Frau wissen genau, ob er in Lugano oder in Como ist. Antonella meinte zwar, dass Lorenzi, wenn er auf Reisen gehe, nicht immer alles offenlege, wenn er aber länger als einen Tag weg sei, teile er in aller Regel mit, wo er zu übernachten gedenke. Auch, dass er auf Anrufe nicht sofort reagiere, sei nicht ungewöhnlich«.

Nach einer kuren Pause fur er fort: »Ich denke, da es noch nicht mal 18:00 Uhr ist, wird er schon noch von sich hören lassen. Habe ihm eine SMS geschickt, mit der Bitte, sich heute noch bei mir zu melden.«

»Das wird sich schon klären«, meinte Berger. »Hast Du wenigstens einige der guten Objekte gesehen?«

»Davide hat mir einiges gezeigt. Es war auch ein gutes halbes Dutzend anderer Leute im Geschäft. Antonella sagte mir, dass es Herrschaften aus der Schweiz und aus Frankreich seien. Mir kam niemand bekannt vor. Zu den Angeboten muss ich sagen, dass neben Allerweltsobjekten durchaus erstaunliche Dinge dabei sind. Auch diverse Preziosen, die nicht auf der Website sind. Scheint aber noch nicht sicher zu sein, ob alles zur Auktion kommt«, , erklärte Wolfrum.

»Wirklich bemerkenswert«, fuhr er fort, »was der alte Conte Antinori angehäuft hat. Ich vermute stark, dass vieles schon länger in der Familie war. Alte Sachen, natürlich Erstausgaben von Goldoni, Alfieri, Manzoni und anderen Romanciers des 19. Jahrhunderts. Dann auch ziemlich gut erhaltene Berichte und Bücher von diversen Afrikareisenden und Forschern des 19. Jahrhunderts. Du wirst dich da besser auskennen. Gemerkt habe ich mir Giovanni Beltrame, James Chapman, und Louis Binger Noch nicht alle sind im Katalog«.

Sehr interessant«, warf Berger ein.

»Ein paar Enzyklopädisten«, machte Wolfrum weiter, »und vor allem, hör gut zu, echte Schmankerl von Voltaire. Wie beispielsweise die Tragödie Les Loix de Minos von 1773, dann Le Crocheteur borgne aus der Aprilausgabe 1774 des Journal des Dames und ein paar Flugschriften von 1771. Da staunst du, was? Einsehen konnte ich diese Sachen allerdings nicht. Sind, wie der Haenke, alle im Safe. Kommt nur Lorenzi persönlich dran.«

»Wahnsinn, das muss ja in der Szene ordentlich für Furore gesorgt haben«, meinte Berger bewundernd. »Kein Wunder, dass die Interessenten Lorenzi umschwärmen wie die Motten das Licht. Da wird noch einiges los sein in den nächsten Wochen.

»Manche Sachen werden leider auch für mich ein paar Nummern zu groß sein«, bemerkte Wolfrum. »Aber die Auktion soll ja erst im Juni starten. Davor werden wir beide den gesamten Fundus noch genauestens unter die Lupe nehmen. Und wenn ich Lorenzi morgen endlich treffe, wird man sehen, ob sich nicht doch das eine oder andere vorab verhandeln lässt«.

»Da steckt jedenfalls verdammt viel Kohle drin. Warum kommen diese Kostbarkeiten eigentlich unter den Hammer?«, fragte Berger.

»Entweder sind die Erben Banausen, oder sie brauchen dringend Geld«, antwortete Wolfrum.

»Ich werde auf jeden Fall versuchen mich bei Lorenzi kundig zu machen. Hoffe sehr, dass er morgen endlich auf der Matte steht. Ciao Thomas, melde mich morgen wieder.«

»Mach’s gut Alter. Bin schon gespannt, was du zu berichten hast. Ciao«, sagte Berger.

Er saß noch eine Weile und dachte über die bemerkenswerten Neuigkeiten nach. Dann ging er auf die Terrasse und rief seinen Vater an, mit dem er Samstag ein Konzert im Gasteig besuchen wollte.

Erst gegen 17 Uhr am Donnerstag meldete sich Wolfrum wieder bei Berger. Am Vormittag hatte er Lorenzi endlich angetroffen. Den unauffälligen, dunkelhaariger Mann mittleren Alters, der seit geraumer Zeit in einem Cafe auf der anderen Straßenseite saß und sehr genau registrierte, wer Lorenzis Geschäft betrat, hatte Wolfrum natürlich nicht registriert. Später übernahm ein jüngerer, ebenso unauffälliger Mann diese Aufgabe. Bei dem Getriebe, welches in der Via Massena herrschte, fielen die beiden Herren, obwohl sie ziemlich lange in der Nähe des Antiquitätengeschäfts waren, nicht auf.

»Mach’s dir bequem Thomas, ich habe einiges zu erzählen«.

»Na, da bin ich ja gespannt«, meinte Berger.

»Lorenzi ist am späten Vormittag endlich eingetrudelt. Er wirkte nervös und gestresst. Ob seine kurzfristige Reise nach Como oder Lugano etwas mit der aktuellen Situation zu tun hatte, ließ er sich nicht entlocken. Mir fiel noch auf, dass er seine Besucher sehr genau beobachtete und er ab und zu etwas n seinem Notizbuch vermerkte. Wie du weißt benutzt er ja so eine ganz spezielle Kladde. Einige Male ging er auch zum Telefonieren in sein Büro. Der war richtig beschäftigt«.

»Was soll daran verdächtig sein?«, fragte Berger.

»Eigentlich nichts«, erwiderte Wolfrum, »aber zwei Typen kamen mir komisch vor. Bei der Besichtigung, gegen 13:00 Uhr, waren wieder die Franzosen und die Schweizer, die ich gestern schon sah, da, und ein paar Italiener, Yankees und Briten. Aber da waren auch noch zwei typische italienische Angeber, die sich angeregt mit zwei Amerikanern unterhielten. Antonella sagte mir, dass dies Vater und Sohn Agostini, Schwiegersohn und Enkel des verstorbenen Conte, seien. Was die genau wollten, wusste sie aber auch nicht. Übrigens, Lorenzi hatte auch zwei Wachmänner im Hause. Die Lage scheint ernst zu sein«.

»Chinesen, Japaner oder Scheichs waren also nicht da. Das muss nichts bedeuten«, meinte Berger. »Wer weiß, ob die persönlich erscheinen. Ahnung von diesen Dingen haben die ohnehin nicht. Außerdem kaufen sie noch immer lieber jeden noch so fraglichen Impressionisten als das schönste Buch. Schon Courbet soll, so um 1875, mal gesagt haben, dass bereits 3000 seiner 1500 Werke in Amerika sind. Weitere 2000 sind mittlerweile sicherlich in Japan, China und Russland«.

»Du übertriebst ein wenig«, erwiderte Wolfrum.

»Die drei Stündchen mit diesen Herrschaften waren durchaus-interessant. Einer der Franzosen und einer der Amerikaner scheinen Botanik- bzw. Pharmaexperten gewesen zu sein. Man fragt sich schon, was solche Herren ins Antiquariat führt. Den Haenke konnte man im Original leider nicht sehen. Ich weiß nicht mal, ob der überhaupt bei Lorenzi ist. Aber man bekam sehr gute Abbildungen und eine sehr ausführliche Inhaltsangabe. Was die Authentizität betrifft, so liegen Expertisen zweier Koryphäen vor«, erzählte Wolfrum.

»Das Ding scheint echt zu sein. Ich habe mich natürlich, soweit dies in dieser Situation möglich war, mit Lorenzi diskret unterhalten«, fuhr er fort.

»Neben echten Kostbarkeiten fanden sich in der Bibliothek des Conte auch Sachen, die für dich interessant sein könnten. Der Conte scheint ein Faible für Krimis gehabt zu haben. Man findet diese Marotte also nicht nur bei »einfachen« Medizinern, sondern auch bei Blaublütigen«, frozzelte Wolfrum.

»Was hat er denn so?«, fragte Berger interessiert.

»Da gab es nur eine, vermutlich unvollständige, Liste. Details wollte ich ohnehin dir überlassen«, , erklärte Wolfrum.

»Davide kümmert sich darum. In die Auktion kommt da wahrscheinlich ohnehin nichts. Wenn überhaupt werden sie vor Ort und im Internet angeboten. Es scheint sich vor allem um Erstausgaben zu handeln«, fuhr Wolfrum fort.

»Für dich sicherlich interessant, aber vielleicht eine Nummer zu groß. Die Sache ist aber insgesamt sehr, sehr spannend, daher meine ich, du solltest mit einem der nächsten Flieger runterkommen.«

»Gute Idee, ich mache mich schlau und melde mich sobald ich einen Flug habe. Bis später«, beendete Berger das Telefonat.

Erfreulicherweise bekam er einen Platz für den Flug am Nachmittag des nächsten Tages. Berger teilte dies Wolfrum unverzüglich mit, schnürte dann seine Laufschuhe und begab sich noch vor dem Abendessen auf eine lockere Runde.

Der Flug am nächsten Tag verlief problemlos und Wolfrum, der sich mittlerweile einen Mietwagen besorgt hatte, holte Berger am Turiner Flughafen »Sandro Pertini« ab. Die Zimmerreservierung für Berger hatte Wolfrum bereits erledigt, so dass sie sich entspannt auf die Fahrt zum Hotel machen konnten.

Noch am Vorabend und während des Fluges hatte sich Berger über exotische Gifte, Heilpflanzen und neue pflanzliche Medikamente kundig gemacht. Bewogen dazu hatte ihn, dass das ominöse, neu entdeckte Buch Haenkes Beschreibungen bisher unbekannter, exotischer Heilkräuter enthalten soll und der Umstand, dass sich offenbar Pharmakologen, vielleicht auch die Pharmaindustrie, für die Handschrift interessierten.

Von Berufs wegen war Berger natürlich über Phytopharmaka informiert, aber mit den neuesten Trends war er nicht vertraut. Vertraut war er allerdings mit den landläufigen Vorurteilen hinsichtlich pflanzlicher Substanzen und Medikamente.

Der scheinbar aufgeklärte Patient hat vorderhand lieber etwas »Sanftes«, Pflanzliches, wenn er nicht ohnehin gleich zu Globuli greift. Nun sind Pflanzen und pflanzliche Extrakte per se, wie beispielsweise Kokain, Opium, die Amatoxine und Phallatoxine des grünen Knollenblätterpilzes, und der gefleckte Schierling zeigen, nicht immer gesundheitsfördernd.

Auf der anderen Seite gibt es, richtig hergestellt und vernünftig angewandt, durchaus verträgliche und effektive Phytopharmaka. Über die Medien hatte Berger in der jüngeren Vergangenheit beiläufig aufgeschnappt, dass sich die Suche nach neuen pflanzlichen Substanzen deutlich intensiviert hatte. Bei seiner Recherche im Internet erfuhr er, dass einerseits bereits hunderte von Medikamenten aus – vornehmlich – tropischen Pflanzen entwickelt wurden, aber andrerseits höchstens zwei Prozent der rund 200.000 tropischen Pflanzenarten entsprechend untersucht sind.

Auf dem Weg zum Hotel machten sie Pläne für den Abend und die nächsten Tage. Bei Lorenzi konnten sie auf jeden Fall noch bei ihm vorbeischauen, denn der machte erst gegen 19.00 Uhr zu. Sie waren aber noch unentschlossen, ob sie diese Aktion komplett auf den nächsten Tag legen und den Rest des Tages lieber gemütlich verbringen sollten.

»Das Auto ist in Turin natürlich eher lästig«, sagte Wolfrum, »aber da wir schon mal hier sind, dachte ich, dass wir, je nachdem, wie die Dinge verlaufen, den einen oder anderen Ausflug machen könnten. Es gibt in der Umgebung, wie du weißt, wunderbare Städtchen wie beispielsweise Avigliana, Chieri, Rivoli, Moncalieri usw. und unbedingt anschauen sollten wir uns das Stupinigi.«

»Keine Frage, sehr gute Idee. Machen wir uns doch heute einen gemütlichen Nachmittag mit einem kleinen Bummel und einem Besuch im Bicerin oder Baratti und am Abend gehen wir in eines der netten, erschwinglichen Lokale in der Nähe des Hotels. Wir können dabei auch unsere Ausflugspläne in Ruhe überdenken«, meinte Berger mit deutlicher Begeisterung.

Ihr Hotel – Holiday Inn Turin City Centre – obwohl ziemlich zentral gelegen, verfügte immerhin über eine Garage, was Wolfrum schon bei der Buchung bedacht hatte. Berger bezog sein Zimmer, brachte seine Sachen unter, und den späten Nachmittag und den Abend gestalteten Berger und Wolfrum dann so entspannt, wie sie sich vorgenommen hatten.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen, kurz vor 9 Uhr, telefonierte Wolfrum mit Lorenzis Geschäft. Er erreichte aber nicht Lorenzi selber, sondern nur dessen Sekretärin Antonella.

Diese ließ ihn wissen, dass Signor Lorenzi noch nicht im Geschäft sei. Sie würde sich aber melden, sobald er eingetroffen sei.