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Ihre Liebe zu alten Büchern und Handschriften hat die Kunstfreunde Berger und Wolfrum diesmal in eine für ihre großartige Bibliothek bekannte Abtei unweit von Vicenza geführt. Das besondere Interesse der beiden gilt einem höchst ungewöhnlichen Manuskript, einem Duplikat der „Très sainte Trinosophie“. Nachdem sich der Aufenthalt zunächst in klösterlicher Beschaulichkeit angelassen hat, wird der Frieden jäh gestört, weil eines morgens die Leiche eines Gastes vor der Basilika gefunden wird. Damit nicht genug, am selben Tag verschwindet noch die Trinosophie“ und die beiden Freunde stoßen zufällig auf ein altes Papier, auf dem eine ungewöhnliche Version des „dritten Geheimnisses von Fátima“ steht. Nicht nur Berger und Wolfrum, sondern auch die Ermittler, stehen vor verzwickten Rätseln. Aber mit Geschick, etwas Glück und der Hilfe der beiden cleveren Kunstfreunde werden (fast) alle Rätsel gelöst.
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Seitenzahl: 240
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Norbert-Ullrich Neumann, Jahrgang 1947, Nervenarzt im Ruhestand, lebt mit seiner Frau in Bayern. Er hat weit mehr als hundert medizinisch-wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht.«Tod in der Abtei« ist sein dritter Kriminalroman. Neumann ist passionierter Leser, Läufer, Golfspieler und Italienliebhaber.
Ihre Liebe zu alten Büchern und Handschriften hat die Kunstfreunde Berger und Wolfrum diesmal in eine, für ihre großartige Bibliothek bekannte, Abtei unweit von Vicenza geführt. Das besondere Interesse der beiden gilt einem höchst ungewöhnlichen Manuskript, einem Duplikat der »Très sainte Trinosophie«. Nachdem sich der Aufenthalt zunächst in klösterlicher Beschaulichkeit angelassen hat, wird der Frieden jäh gestört, weil eines morgens die Leiche eines Gastes vor der Basilika gefunden wird. Damit nicht genug, am selben Tag verschwindet noch die »Trinosophie« und die beiden Freunde stoßen zufällig auf ein altes Papier, auf dem eine ungewöhnliche Version des »dritten Geheimnisses von Fátima« steht. Nicht nur Berger und Wolfrum, sondern auch die Ermittler, stehen vor verzwickten Rätseln. Aber mit Geschick, etwas Glück und der Hilfe der beiden cleveren Kunstfreunde werden (fast) alle Rätsel gelöst.
»Eine auserlesene Büchersammlung ist der vortrefflichste Hausrat«
Francesco Petrarca
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreißigstes Kapitel
Einunddreißigstes Kapitel
Epilog
So freundlich und malerisch sich, die am Rande der Colli Berici gelegene Abbazia di Paderna (Abtei Paderna), am Tage zeigte, so düster und abweisend wirkte sie in dieser regnerischen Aprilnacht. Im fahlen Mondlicht, das gelegentlich durch die träge dahinziehenden Wolken kam, zeichneten sich die Umrisse des gewaltigen Gebäudekomplexes nur undeutlich von den schwarzen, dahinter liegenden Hügeln ab. Es war weit nach Mitternacht und die Bewohner und Gäste der Abtei hatten sich längst zur Ruhe begeben. Nur in einem der vielen kleinen Fenster des Nordflügels der Klausur war ein Lichtschein zu erahnen. Ganz ungewöhnlich war, dass in zwei Fenstern im Erdgeschoss des Westtraktes, wo sich die sogenannte kleine Bibliothek befand, ab und an ein schwaches Licht aufflackerte. Es schien so, als würde sich dort jemand mit einer Lampe bewegen.
Natürlich wurde das von niemandem beobachtet. Auch nicht von den zurzeit in der Abtei befindlichen Gästen, zu denen seit gestern auch Berger und Wolfrum gehörten. Nicht zuletzt weil die Benediktinerabtei Paderna eine bemerkenswerte Bibliothek beherbergt, hatten die beiden Kunstfreunde diese schon vor Jahren einmal besucht. Damals hatten sie allerdings nicht in der Abtei gewohnt, sondern im nahe gelegenen Vicenza. Schon seinerzeit hatten die beiden Bücherfreunde, unter strenger Aufsicht des knorrigen Pater Dionysius, alte Bücher, Handschriften und Inkunabeln bewundern können.
Der damalige Besuch der Abtei war eher beiläufig zustande gekommen, wohingegen der jetzige Aufenthalt einen ganz speziellen Grund hatte. Angeregt worden war dieser Besuch von Sebastian Hofreiter, einem Cousin Wolfrums und Pfarrer im Ruhestand. Wolfrum hatte zu dem deutlich älteren Hofreiter schon immer ein gutes Verhältnis gehabt. Das lag weniger an der Verwandtschaft und mehr daran, dass Hofreiter ein angenehmer Zeitgenosse und den schönen Künsten gegenüber aufgeschlossen war. Außerdem hegte er, ganz nach dem Geschmack Wolfrums, eine besondere Bewunderung für die Schriften von Giordano Bruno, Montaigne, Spinoza, Voltaire und Wittgenstein. Viele Jahre hatte er seinen Dienst in oberbayerischen Pfarreien verrichtet. Nach seinem 75. Lebensjahr war er in den Ruhestand getreten. Schon seit Jahrzehnten hatte er gute Verbindungen zu den Benediktinern in Ettal gepflegt und auch zur Abtei Paderna.
Die Bibliothek der Abtei erhält immer wieder Werke aus verschiedenen Quellen. Manchmal sind es Schenkungen von Privatpersonen, manchmal Bestände aus aufgelösten Schwesterabteien. So war vor Jahren ein bemerkenswerter Fundus aus einer aufgelassenen umbrischen Abtei hinzugekommen.
Bei seinem letzten Besuch Anfang Februar des Jahres hatte Hofreiter erfahren, dass bei der langwierigen Sichtung dieser Bestände eine Reihe bemerkenswerter und eigenartiger Originale aus dem 18. und 19. Jahrhundert entdeckt worden waren. Darunter befanden sich seltene Exemplare von Voltaire, Diderot und anderen – weniger bekannten – französischen Enzyklopädisten. Es waren auch ein paar gut erhaltene Erstausgaben von Alessandro Manzoni und schließlich eine Handschrift des ominösen Grafen von Saint Germain aufgetaucht. Vor allem bei Manzoni hatte Hofreiter an seinen Cousin Hubert Wolfrum gedacht. Außerdem wusste er, dass Berger und Wolfrum schon seit längerem einen zweiten Besuch in der Abbazia di Paderna machen wollten. Noch vor Ort hatte Hofreiter die Angelegenheit mit dem für die Bibliothek zuständigen Pater Bonifacio besprochen und diesem seinen Cousin wärmstens ans Herz gelegt.
Spätestens seit Umberto Ecos »Der Name der Rose« weiß fast jeder Laie, dass sich in Klosterbibliotheken nicht nur geistliche und heilige Schriften befinden, sondern, dass dort auch weltliches »Teufelszeug« lagert. Als weltliches »Teufelszeug« galten vor Jahrhunderten beispielsweise schon die Schriften von Galileo Galilei , Giordano Bruno und Giovanni Boccaccio. Freilich würde sich bei Menschen der Jetztzeit beim Lesen solcher Texte weder oberhalb noch unterhalb der Gürtellinie irgendetwas rühren. Anders könnte dies beim Studium von Ovids »ars amatoria« sein. Diese war jedoch – zumindest offiziell – in der Bibliothek von Paderna nicht vorrätig. Aber zweifellos schlummerten in den Regalen und Kellern, neben Tausenden von harmlosen Werken, auch einige »weltliche Spezialitäten«, wenn nicht gar dunkle Geheimnisse.
Daran, dass der noch längst nicht vollständig gesichtete Fundus der ehemaligen umbrischen Klosterbibliothek dunkle Geheimnisse bergen könnte, hatte der freundliche Monsignore Hofreiter natürlich nicht gedacht. Vielmehr dachte er, dass sein Cousin Hubert Wolfrum fachliches Interesse, vielleicht sogar ein wenig Freude, an den »alten Schwarten« haben und er sich mit den Fachleuten der Bibliothek austauschen könnte. Wolfrum hatte sich auf jeden Fall sehr interessiert gezeigt und die Sache sogleich mit seinem Freund und Geschäftspartner Berger besprochen. Die Terminkalender beider hatten es zugelassen, Ende April ein paar Tage in der Abtei Paderna zu verbringen.
Via Internet hatten sie zwei der schlichten, im Süd-West-Trakt der Abtei gelegenen, Gästezimmer gebucht. So schlummerten sie in dieser regnerischen Aprilnacht nun selig in ihren klösterlichen Betten, während sich in einem Teil der Bibliothek ein vermutlich ungebetener Gast zu schaffen machte. Dies sollte vorerst jedoch unentdeckt bleiben
Gäste der Abbazia di Paderna waren nicht gezwungen, sich dem klösterlichen Tagesablauf anzupassen, aber ein Besuch in einer Abtei ist natürlich etwas anders als der Aufenthalt in einem Wellness-Hotel. Als Berger und Wolfrum gegen 8 Uhr – für ihre Begriffe also recht früh – in dem großen Refektorium erschienen, waren dort keine Kleriker und Patres mehr zu sehen. Diese hatten sich längst ihren jeweiligen Verpflichtungen zugewandt. An dem einen der beiden langen Tische saßen nur zwei ältere Herren, die sich leise unterhielten, an dem anderen vier jüngere Leute, die etwas lauter diskutierten. Letztere waren, wie die beiden Freunde später erfuhren, Studenten der Universität Padua.
Zwischen der Abtei, genauer gesagt der Bibliothek der Abtei, und der Hochschule in Padua bestand seit vielen Jahrzehnten eine enge Kooperation. Diese bezog sich nicht nur auf bibliothekarische, historische und literarische Aspekte, sondern auch auf Aspekte der Konservierung und Restauration. Seit 1949 gab es in der Abtei auch eine Werkstatt zur Restaurierung historischer Handschriften und Bücher. Zahlreiche Manuskripte, Inkunabeln, Landkarten und Zeichnungen waren seither restauriert worden, darunter Originalwerke von Pietro Aretino, Galileo Galilei, Alessandro Manzoni und Giuseppe Garibaldi.
Die beiden Neuankömmlinge wurden nur kurz registriert, aber immerhin nickten die bereits Anwesenden freundlich und murmelten ein kurzes »buongiorno«. Das Frühstücksangebot in der Abtei war sicherlich nicht ganz so umfänglich wie im Hotel Danieli in Venedig, aber die Auswahl an Backwaren, Marmeladen, Honig, Wurst- und Käsesorten war reichlich, der Kaffee ausgezeichnet und die Bedienung freundlich. Ohne weiteres hätte die nette Küchenhilfe auch Sonderwünsche erfüllt. Apropos, freundliche Bedienung, um die Zimmer und das leibliche Wohl der Gäste kümmerten sich natürlich weltliche Kräfte. Die wenigen Benediktiner, fünfzehn an der Zahl, die noch in der Abtei lebten, hatten andere Aufgaben.
Noch vor »labora et lege« wird der Tag der Benediktiner von »ora«, also dem Gebet bestimmt. Der Tag beginnt mit der Vigil um 4 Uhr morgens, es folgt die Laudes um 6 Uhr. Die Terz, Sext und Non werden heutzutage meist zur Mittagshore zusammengefasst. Um 16.30 Uhr geht es weiter mit der Vesper und der Tag endet um 18 Uhr mit der Komplet. Danach gilt nächtliches Stillschweigen bis zum Nachtgebet um 01.00 Uhr.
In vielen Benediktinerklöstern, in denen Gäste aufgenommen werden, können diese heute auch an den Stundengebeten teilnehmen. Berger und Wolfrum stand der Sinn danach allerdings nicht. Sie wollten sich – nach dem Frühstück – um 9.30 Uhr mit Pater Bonifacio in der kleinen Bibliothek treffen.
Nachdem sich Wolfrum am Büfett mit dem »Nötigsten« versorgt hatte, sagte er: »Mein lieber Thomas, die wenigen Ordensbrüder, die ich bisher gesehen habe, wirkten alle eher asketisch. Das wundert mich, denn das gestrige Abendessen hatte es schon in sich und das Frühstücksangebot ist auch nicht ohne.« Wolfrum verwies auf seinen Teller.
»Vielleicht gehen die Patres auch zum Joggen«, fügte er schmunzelnd an.
»Das glaube ich nicht«, sagte Berger. »Die frommen Brüder wissen sich eben zu mäßigen und nach wie vor gilt neben Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Faulheit und Wollust auch die Völlerei als Todsünde.«
»Gut, dass du das sagst«, meinte Wolfrum mit halbvollem Mund.
»Das erinnert wieder einmal daran, dass wir alle der Verdammnis anheimfallen werden. Obwohl, vermutlich gilt das mit den Todsünden ja nur für die frommen Katholiken, und die sind mittlerweile ziemlich rar geworden.«
Berger verzog das Gesicht. »Ich denke, wir können dieses Thema abschließen. Zum Frühstücksangebot möchte ich noch sagen, dass ich die Leichtigkeit von Obst, Joghurt, Müsli, Knäckebrot und … ja, auch Lachs ein wenig vermisse.«
»Mein Gott«, brummte Wolfrum kopfschüttelnd, »du hast vielleicht Probleme. Ich bin richtig froh, dass hier vom Geist der virtuellen und veganen Welt noch nichts zu spüren ist und dir fehlen Müsli und Knäckebrot. Apropos Knäckebrot, hast du gehört, wie Pater Bonifacio gestern zu der netten, knackigen Küchenhilfe ›signorina‹ gesagt hat. Der traut sich was. Bei uns zuhause wäre einem das als sexistische Unverschämtheit ausgelegt worden.«
»Womit wir schon wieder bei einem dieser unersprießlichen Themen wären«, sagte Berger. »Wir lassen das jetzt mal und tauchen zufrieden und gelassen in die klösterliche Beschaulichkeit und die bibliophilen Abenteuer ein. Letzteres ist natürlich vor allem dein Metier. Wie Pater Bonifacio sagte, wird dir dabei ja auch einer der Experten der Universität Padua zur Seite stehen; ich natürlich auch. Aber wenn das Wetter es zulässt, werde ich ab und an im Freien eine Runde drehen. Das Gelände ist perfekt dafür.«
»Mein lieber Freund, nur in der Bibliothek und meiner Klosterzelle möchte ich die Tage auch nicht verbringen. Auf jeden Fall fahren wir Ende der Woche nach Venedig und ein kurzer Besuch in Vicenza sollte auch drin sein.«
»Ganz meine Meinung. Aber jetzt freue ich mich erst mal auf die Sachen, die uns Pater Bonifacio ausgesucht hat.«
Wolfrum nickte zustimmend, während er auf einer dicken Scheibe Fenchelsalami kaute.
Dann sagte er: »Am meisten bin ich auf die Schrift dieses Grafen von Saint Germain gespannt.«
»Ich auch«, meinte Berger. »Gestern Abend habe ich mich über diesen Kameraden noch kundig gemacht. Scheint eine abenteuerliche Gestalt gewesen zu sein. Wenn man die ganzen Querverweise studiert, sind zwei Stunden im Nu vorbei. Was Schriften betrifft, so stößt man nur auf diese sagenhafte ›Hochheilige Trinosophia‹.«
»Richtig schlau bin ich aus diesem Grafen, wenn er denn einer war, auch nicht geworden«, meinte Wolfrum. »Zwar scheint es Mitte des 18.Jahrhunderts eine entsprechende Figur gegeben zu haben, aber über deren Herkunft und wahre Identität gibt es nur Spekulationen. Mal heißt es, er sei Sohn eines transsylvanischen Fürsten, mal Sohn einer Habsburgerin und eines jüdischen Bankiers, mal ein Bastard des Königs von Portugal gewesen – und so fort.«
Wolfrum holte sich noch zwei Panini. Als er wieder am Tisch saß, erklärte Berger: »Jedenfalls scheint der ominöse Graf von Versailles über London bis Petersburg in den besten Kreisen verkehrt zu sein. Zuletzt soll ihm der von Alchemie und Freimaurerei begeisterte Karl von Hessen-Kassel auf seinem Sommerschloss in Schleswig-Holstein ein Alchemielabor eingerichtet haben. Dort, genauer gesagt in Eckernförde, soll er 1784 verstorben sein.«
»Stimmt«, meinte Wolfrum. »Einige hielten ihn jedoch für unsterblich. Darunter auch dieser fragwürdige Rudolf Steiner. Du weißt schon, Antroposophie und so. Er will hellsehend erkannt haben, dass der unsterbliche Christian Rosencreutz, der tatsächlich ja nur eine Romanfigur ist, schon im 18. Jahrhundert als Graf von Saint Germain herumgeisterte. Du siehst, da gibt es den tollsten Unsinn. Lassen wir uns also überraschen. Übrigens, weil wir gerade bei Überraschungen sind. Sagt dir der Name Albino Luciani etwas?«
»Albino Luciani? Albino Luciani sagt mir nichts«. Berger schüttelte den Kopf.
»Na ja, die Geschichte liegt auch schon etwas länger zurück, und du bist ja auch kein frommer Katholik. Ein Moment bitte«
Wolfrum stand auf und holte sich ein Stück Pecorino.
»Finde ich super diesen Pecorino«, sagte er, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. »Also zurück zu Albino Luciani. Besser bekannt ist er dir vielleicht als Johannes Paul I.«
»Ah, ja, der Kurzzeitpapst. Und was hat der mit der Abtei zu tun?«
»Johannes Paul I. stammte aus Belluno, war später Bischof von Vittorio Veneto und danach Patriarch von San Marco. Während seiner Zeit im Priesterseminar Gregoriano in Belluno, besuchte er wiederholt die Abbazia di Paderna.«
»Wo hast du das denn nachgelesen?«
»Ich weiß nicht, wo man das nachlesen kann. Mein Cousin Hofreiter hat es mir erzählt. Allgemein bekannt scheint es wohl nicht zu sein.«
Beide widmeten sich für eine Weile ihrem Frühstück, ehe Berger sagte: »Schade, dass man dieses uralte Gemäuer nicht auf eigene Faust durchforschen kann. Ich bin sicher, dass man, alleine in der Bibliothek mit ihren 100 000 Büchern und Schriften, manch erstaunliche Entdeckung machen würde.«
»Das mag schon sein«, erwiderte Wolfrum. »Aber das könnte ein paar Jahre dauern und der viele Staub würde deiner Raucherlunge auch nicht gerade gut tun.«
In diesem Moment verließen die vier jungen Leute das Refektorium. Nun saßen nur noch Berger, Wolfrum und die beiden älteren Herren in dem weiten Raum, den an der Westseite ein hoher, offener, mit groben Stukkaturen versehener, Kamin schmückte. Das leise Gespräch der beiden Männer hatte, wie Berger fand, etwas Konspiratives an sich. Schon geraume Zeit hatte er ab und zu einen unauffälligen Blick auf die beiden geworfen. Die zwei Männer waren um die sechzig, grauhaarig, unauffällig und gediegen gekleidet. Der Größere der beiden hatte kurz geschnittene Haare und einen kleinen Schnurrbart. Der andere, etwas beleibte, trug eine Brille und die schon etwas dünn gewordenen Haare im Stile einer »Künstlermähne«. Die Unterhaltung wurde vornehmlich von dem Größeren bestritten, der sich bei seinen Ausführungen immer wieder nahe zu seinem Gesprächspartner beugte. Dieser nickte zumeist nur, oder machte kurze Bemerkungen.
»Scheinen gelehrte Herren zu sein und offenbar haben sie wichtige Dinge zu besprechen«, sagte Berger zu Wolfrum.
»Wenn man uns beobachten würde, käme man vermutlich zum gleichen Schluss«, erwiderte Wolfrum.
»Meinst Du? Ich finde, ganz so bieder und gelehrt sehen wir nicht aus. Zumindest ich nicht.«
»Stimmt. Du siehst aus wie ein typischer deutscher Tourist. Oder wolltest du auf deine sportliche Erscheinung anspielen?«
»Na, na lieber Hubert. So eine Gemeinheit hätte ich von dir am frühen Morgen nicht erwartet. Iss noch was, damit deine Laune besser wird.«
»Nicht nötig. Meine Laune ist gut. Ich wollte dir nur dein ›fishing for compliments‹ versalzen«, sagte Wolfrum schmunzelnd.
»Schluss damit. Mich würde tatsächlich interessieren, wer die beiden sind und was sie so Wichtiges zu besprechen haben.«
»Die treffen wir sicherlich noch ein paar Mal. Vielleicht kommt man ja ins Gespräch und dann wird man mehr erfahren«, meinte Wolfrum.
»Du hast recht. Außerdem ist es auch nicht wirklich wichtig.«
Damit stand Berger auf. »Lass dich nicht von deinem gemütlichen Frühstück abhalten. Ich bin satt, hole mir noch einen kurzen Caffè und genehmige mir meine morgendliche Zigarette.«
Berger blickte kurz auf seine Uhr. »In einer halben Stunde treffen wir uns dann vor der kleinen Bibliothek.«
»Vielleicht lassen sie dich, weil du weder an der Vigil noch an der Laudes teilgenommen hast, zum Rauchen gar nicht raus«, meinte Wolfrum
»Das wäre kein Problem«, erwiderte Berger. »Unter den weltlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen scheinen einige dem Tabakgenuss verfallen zu sein. Im hinteren Garten, nicht weit vom Haupteingang der großen Bibliothek entfernt, steht ein Aschenbecher. Gestern Abend war er ziemlich voll.«
»Ist mir unverständlich«, knurrte Wolfrum. »Überall drängt man die Raucherei zurück und in einem Kloster stellt man einen Aschenbecher auf. In dieser Umgebung sollte dergleichen eigentlich verboten sein.«
Als Berger das Refektorium verließ, sah ihm der Mann mit dem Schnurrbart aufmerksam hinterher.
Kurz vor 9.30 Uhr trafen sich die beiden Freunde am Eingang der kleinen Bibliothek. Dieser war nicht weit von dem Trakt entfernt, in dem die Gästezimmer lagen. Die Abbazia di Paderna war eine gewaltige, symmetrische, im Wesentlichen rechteckige, Anlage. Östlich lagen die Basilika und der Campanile. Nach Westen schloss sich ein erster fast quadratischer, eingeschossiger Gebäudekomplex an, der in seinem nördlichen Teil die Sakristei und den Kapitelsaal beherbergte. Ein erster Kreuzgang rahmte den begrünten Klausurgarten. Westlich davon folgte ein zweiter, kleinerer Kreuzgang. Die in Ost-West-Richtung liegenden langen Gebäude wurden hier von zwei kürzeren Querbauten durchbrochen. Am südlichen Querbau befand sich die große Klosterpforte. Ein zweites, in Architektur und Ausmaß dem ersten sehr ähnliches, Geviert und ein dritter Kreuzgang mit Garten vollendeten die Anlage im Westen. Der abschließende Querbau wurde von einem großen, mittigen Längsbau durchbrochen, in welchem sich die sogenannte große Bibliothek befand. Die Gästezimmer lagen im südwestlichen Teil der Anlage mit Blick auf den dritten Kreuzgang.
Nach einem Blick auf seine Uhr sagte Wolfrum: »Also, auf geht’s zum erbaulichen Studium alter Folianten.«
Zunächst kamen sie in einen schlichten, hohen Vorraum, in dem sich vier altertümliche, unbequem aussehende Stühle, zwei große Schränke und ein Kleiderständer befanden. Der Raum diente offensichtlich als Garderobe. Es herrschte vollkommene Stille und von Pater Bonifacio oder sonstigen Personen war nichts zu sehen. Die beiden Freunde zögerten kurz und sahen sich fragend an. Dann schritt Berger entschlossen auf die linker Hand liegende große Holztür zu und sagte: »Wir werden sicherlich schon erwartet.«
Kaum, dass sie die sogenannte kleine Bibliothek betreten hatten, blieben sie stehen und staunten. Der hohe, große und erstaunlich lichte Saal war von hinten bis vorne und von oben bis unten mit feinen hölzernen Regalen ausgefüllt und diese Regale waren voller Bücher. Auf halber Höhe umlief eine Galerie den gesamten Raum und auch an den Wänden dieser Etage, befanden sich Bücherregale. Nahe der Tür, die in die große Bibliothek führte, stand ein altes Cembalo des Instrumentenbauers Pietro Faby aus dem Jahre 1679. Der Fußboden bestand aus hellem Marmor, die Decke schmückten eine ganze Reihe von Stukkaturen und Fresken. In dem Saal befanden sich drei große Holztische mit je sechs schlichten, hochlehnigen Stühlen. Auf einem solchen Stuhl saß Pater Bonifacio, auf einem anderen ein bebrillter, älterer Herr mit Fliege.
Pater Bonifacio ließ die beiden Freunde noch ein wenig staunen, dann stand er auf und begrüßte seine Gäste.
»Buongiorno Signori. Wir hatten uns«, dabei verwies er auf den Herrn, der noch am Tisch saß, »darauf verlassen, dass Sie pünktlich sein würden.«
»Lieber Pater Bonifacio«, sagte Berger lächelnd, »wir mussten uns die deutsche Pünktlichkeit schon oft vorhalten lassen, aber zumeist ist sie ganz nützlich.«
»Natürlich Dottor Berger, natürlich. Nichts anderes wollte ich damit sagen.«
Inzwischen war auch der Herr mit der Fliege näher gekommen. Pater Bonifacio stellte die Herrschaften gegenseitig vor. Man begrüßte sich mit Handschlag. Der ältere Herr mit Fliege und Brille war Professor Bruno Gallarati von der paduanischen Universität. Er lehrte und forschte immer noch, wie er betonte, am Departamento di studi linguistici e letterali. Sein besonderes Interesse galt der italienischen und europäischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Seit Jahrzehnten war er nicht nur häufiger Gast in der Abtei, sondern auch offizieller Berater in Sachen Belletristik.
»Sehr erfreut sie kennen zu lernen, und wie ich höre, kommen Sie mit dem Italienischen gut zurecht. Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein«, sagte der professore freundlich.
»Kommen Sie Signori«, schaltete sich Pater Bonifacio ein und zeigte dabei auf den Tisch am rechten Ende des Raums.
»Ich habe dort für den Anfang ein paar Kostbarkeiten von Manzoni und dem Ihnen sicherlich auch bekannten Vittorio Alfieri sowie drei Bände von Voltaire zurechtlegen lassen. Professor Gallarati wird sich um Sie kümmern. Ich darf mich vorerst verabschieden. Morgen Nachmittag um 15.00 Uhr, wenn es Ihnen recht ist …?«, Pater Bonifacio sah die beiden Freunde an.
»Ja, ja, natürlich«, sagte Wolfrum nach kurzem Zögern.
»Also morgen Nachmittag treffen wir uns wieder hier«, vollendete Pater Bonifacio seinen Satz. »Sie können sich dann den Sachen von Diderot et cetera widmen und vor allem einen Blick auf die ungewöhnliche Schrift dieses wunderlichen Grafen von Saint Germain werfen. Bin gespannt, was Sie dazu sagen werden.«
Pater Bonifacio wollte sich schon verabschieden. Er fasste sich kurz an den Kopf, und deutete auf eine Karteikarte, die auf dem Tisch lag »Bitte tragen Sie sich noch ein. Am Nachmittag können Sie sich an den Hilfsbibliothekar Camilleri wenden. Ich sage ihm Bescheid.« Mit einem »salve« verließ Pater Bonifacio dann eilig den Raum.
Die Zurückgebliebenen begaben sich an den Tisch, auf dem etwa ein Dutzend mehr oder weniger dicke Bücher und drei Paar weiße Baumwollhandschuhe lagen. Bei den Büchern handelte es sich um vier Bände – Il cinque Maggio, Adelchi, La Monaca di Monza und I Promessi sosi – von Manzoni, drei von Alfieri und drei von Voltaire. Professor Gallarati machte zunächst ein paar Ausführungen dazu, wie diese vornehmlich belletristischen Werke den Weg in die Abtei von Paderna gefunden hatten. Danach erzählte er ein paar Details zur Entstehungsgeschichte der Werke und zu den Verlegern. Vieles war sogar dem Manzoniliebhaber Wolfrum unbekannt, aber mit einem gewissen Stolz wies er darauf hin, dass Manzonis Il cinque Maggio 1822 erstmals von Goethe ins Deutsche übersetzt worden war. Berger nickte anerkennend und Professor Gallarati sagte: »Bravo Signore, bravo. Kaum einer von tausend Italienern würde das gewusst haben.«
»Vielen Dank, professore. Ob solchen Wissens wird man heute auch schon mal als ›alter, weißer Mann‹ beschimpft.«
»Ja, ja da haben Sie recht. Manches ist inzwischen ziemlich verdreht. Man wartet schon darauf, dass Goethes Werke für minderwertig und rassistisch erklärt werden, nur weil er ein heterosexueller, weißer Mann war«, sagte Gallarati mit einem Lächeln.
»Na ja, so schlimm wird’s schon nicht kommen«, brachte Berger sich ein. »Obwohl, diese … äh Frau … nein, Frau darf man wohl nicht sagen. Also diese Judith Butler könnte sich damit dafür rächen, dass sie schon einmal den ersten Preis in einer ›Bad Writing Competition‹ gewonnen hat.«.
Bei lebhafter Unterhaltung und vorsichtigem Blättern in den kostbaren Büchern verging die nächste Stunde wie im Flug.
Ehe die zweite Stunde verstrichen war, schlich Berger nach draußen. Er wollte sich eine ruhige Zigarette gönnen und, wenn möglich, auch einen Caffè. Das Refektorium war verschlossen, also klopfte er vorsichtig an der Tür zur Küche. Leider erschien nicht die nette junge Dame vom Vormittag, sondern ein, wie Berger zunächst dachte, »alter Drachen«. Berger fragte höflich nach einem Caffè. Der »Drachen« entpuppte sich als »freundlicher, alter Drachen«, der Berger – mit den Worten »la gentilezza apre tutte le porte« – ohne Umstände einen doppelten Espresso in die Hand drückte.
Solchermaßen befriedigt, begab sich Berger in den Innenhof, wo er die beiden Herren, die während des Frühstücks seine Aufmerksamkeit erregt hatten, antraf. Der etwas rundliche Brillenträger rauchte einen Zigarillo, der andere sprach gerade, beendete seine Rede aber sofort, nachdem er Berger erblickt hatte. Man tauschte ein formloses »buongiorno«. Der Bebrillte drückte seinen Zigarillo im Aschenbecher aus. Dann gingen die beiden Herren zügig in Richtung Pforte davon.
Ich scheine sie gestört zu haben, dachte Berger und war mehr denn je entschlossen in Erfahrung zu bringen, wer die beiden Männer waren. Dann lenkte er seine Aufmerksamkeit auf die Architektur des Kreuzganges und auf den teils gepflasterten, teils begrünten Innenhof, auf dem auch mehrere große Pflanzkübel mit Zitronenbäumchen und Oleanderbüschen standen. Zitronen waren zu dieser Jahreszeit natürlich nicht zu sehen und auch der Oleander blühte nicht. In Gedanken versunken, schlürfte Berger seinen Caffè als zunächst zwei junge Frauen aus der Tür der großen Bibliothek kamen. Ganz kurz darauf folgte ein schwarzhaariger, bärtiger Mann mittleren Alters. Die jungen Frauen grüßten freundlich, der bärtige Mann ging, sein Smartphone am Ohr, grußlos Richtung Gästetrakt. Es gibt hier eine ganze Reihe weltlicher Gestalten, dachte Berger. Was die wohl alle machen? Hätte er gewusst, wer der Bärtige war und mit wem dieser gerade telefonierte, hätte ein raffiniertes Verbrechen verhindert werden können. Aber diese Art Hellseherei gibt es in der Wirklichkeit natürlich nicht und so nahmen die unheilvollen Dinge ihren Lauf.
Zunächst allerdings blieb das klösterliche Leben – zumindest nach außen hin – friedlich und beschaulich. Zu dieser friedlichen Beschaulichkeit passte auch das Bild, welches die beiden Bücherwürmer boten, als Berger in die kleine Bibliothek zurückkehrte. Leise und dennoch intensiv diskutierten Wolfrum und Gallarati über die Qualität der Alfierischen Tragödien. Beide waren sich einig, dass diese eher melodramatischen Stücke gänzlich vom Zeitgeist geprägt und zurecht aus den gegenwärtigen Spielplänen verschwunden waren.
Kurz nachdem sich Berger zu den beiden gesetzt hatte, sagte Gallarati: »Ich muss mich jetzt verabschieden Signori. Ich hoffe, Ihnen behilflich gewesen zu sein«.
»Natürlich Professore. Sehr freundlich von Ihnen«, beeilte sich Wolfrum zu sagen.
»Läuten Sie bitte«, Gallarati verwies auf eine Klingel neben der Tür zur großen Bibliothek, »nach dem Hilfsbibliothekar, wenn Sie fertig sind. Wir sehen uns morgen wieder. Buona giornata signori«. Gallarati gab beiden die Hand und marschierte von dannen.
Kaum, dass er verschwunden war, langte Wolfrum nach einem der Folianten, der mehrere der Alfierischen Tragödien enthielt. Er schlug den Buchdeckel auf, zeigte auf das am oberen Rand mit Tinte geschriebene, stark verblasste und kaum noch lesbare, »harmadik titok/1957« und flüsterte: »Schau mal. Was hältst du davon?«
Berger setzte seine Lesebrille auf und sah forschend auf die ihm völlig unbekannten Wörter »harmadik titok«.
»Mein lieber Hubert, damit kann ich überhaupt nichts anfangen. Glaubst du, dass da etwas Besonderes dahinter steckt? ›harmadik titok/1957‹? Keine Ahnung.«
Berger hatte sich mittlerweile Baumwollhandschuhe übergestreift und war mit den Fingern mehrmals prüfend über die Innenseite des Buchdeckels gefahren.
»Ist dir aufgefallen, dass das Anpappblatt hier überklebt ist und etwas verdickt und uneben erscheint?«
»Ganz sauber verarbeitet ist es nicht. Aber das kommt bei alten Büchern schon mal vor. Und schon ein wenig Nässe führt dazu, dass das Papier sich wellt.«
Wolfrum fuhr mit den Fingerspitzen der rechten Hand nun auch noch einige Male über den Deckel.
»Aber stimmt, jetzt wo du es sagst, scheint es mir auch so, als sei das Anpappblatt überklebt worden. Außerdem löst es sich am unteren Rand ein wenig ab. Da tut sich natürlich die Frage auf: Warum wurde hier überklebt?«
Beide sahen sich eine Weile an. Wolfrum wackelte ein paar Mal mit dem Kopf. Berger schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Hubert, nein, das können wir nicht machen. Wir sind so freundlich und vertrauensvoll aufgenommen worden. Wir können an diesen alten Büchern nicht auf eigene Faust herumdoktern, oder sie sogar beschädigen.«
»Ich bin aber neugierig und habe keine Lust diese Sache mit Pater Bonifacio oder Gallarati zu besprechen. Immerhin ist es meine Entdeckung.«
Wieder schwiegen beide eine Weile, wobei Berger erneut den Deckel prüfte. Schließlich sagte er: »Wir machen erst mal ein Foto. Das wird wohl gestattet sein und dann versuchen wir zu ergründen, was »harmadik titok« bedeuten mag. Wenn wir uns diesen Band am Nachmittag noch einmal herauslegen lassen, dürfte das kaum auffallen. Und schließlich wird es sich bei all dem um eine ganz banale Angelegenheit handeln.«
Während die beiden Freunde etwas gedankenverloren vor den alten Büchern saßen, trat durch die Verbindungstür zur großen Bibliothek ein Mann in den Raum, der geradezu der Karikatur eines Hilfsbibliothekars entsprach: Mittelalt, mittelgroß, mittelgraue Haare, Brille, leicht gebeugt, anthrazitfarbene Weste und Hose. Wie er die beiden Signori höflich, aber mit klarer und fester Stimme darauf hinwies, dass die vormittägliche Besuchszeit schon längst abgelaufen sei, wollte gar nicht zu dieser unscheinbaren Person passen.
Berger und Wolfrum wurden jedenfalls jäh aus ihrer Beschaulichkeit gerissen und Wolfrum stotterte kurz: »Oh ja, ja, natürlich, natürlich.« Geordneter fügte er an: »Entschuldigen Sie, es ist so interessant und wir haben uns etwas verplaudert. Darf ich fragen, ob Sie Signor Camilleri sind?«
»So ist es. Und Sie sind vermutlich die Signori Berger und Wolfrum. Pater Bonifacio hat mich entsprechend informiert. Wenn Sie am Nachmittag wiederkommen, finden Sie mich in der großen Bibliothek. Notfalls klingeln Sie bitte.«
»Diese Werke«, Wolfrum verwies auf die Bücher am Tisch, »würden wir nachmittags sehr gerne noch intensiver studieren. Geht das in Ordnung?«
»Das ist kein Problem, Signori«, gab Camilleri zur Antwort, wobei er seine Hose hochzog. Ich hätte gewettet, dass er Hosenträger hat, dachte sich Berger und musste dabei schmunzeln. Die beiden Freunde verabschiedeten sich mit einem »a piu tardi«. Camilleri sah ihnen interessiert nach.
Als sie im Freien waren, blieben sie erst einmal stehen und besprachen, wie sie die Mittagszeit und den weiteren Tag gestalten wollten. Wolfrum plädierte für ein »kleines« Mittagessen im Refektorium und eine nachfolgende Si