Mörderhitze - Eva Gründel - E-Book

Mörderhitze E-Book

Eva Gründel

4,6

Beschreibung

MORD IM KROATISCHEN URLAUBSPARADIES. Eine Luxus-Yacht und ein Toter im Thunfischbecken Mord inklusive: Unter der kroatischen Sonne auf einer Luxus-Yacht die Küste Dalmatiens von Dubrovnik bis Rovinj entlangzuschippern und dafür auch noch bezahlt zu werden - Elena Martells neuer Auftrag als Reiseleiterin scheint der Traumjob schlechthin. Doch rasch wird der Törn für sie zum Albtraum: Unweit von ihrem Ankerplatz auf Korcula wird eine nackte Leiche im Becken einer Thunfischfarm entdeckt. Hat jemand von Elenas Mitreisenden die Hände im Spiel? Die Polizei lässt den Mailänder Unternehmer samt Familie und Freunden zwar weiterziehen, aber Elena macht sich keine Illusionen - irgendwer an Bord führt Böses im Schilde. Noch dazu kriselt es gewaltig zwischen ihr und ihrem Lebenspartner Commissario Giorgio Valentino ... Pflichtlektüre für Krimifans - nicht nur im Reisegepäck! Blauer Himmel, klares Meer, idyllische Buchten in Dubrovnik, Korcula, Split und Rovinj - und trotzdem Gänsehaut! Eva Gründel versteht es wie keine andere, die Landschaften anderer Länder nachzuzeichnen und mit düsterer Krimispannung zu erfüllen. Sympathische Figuren, lebendige Beschreibungen und eine spannende Handlung machen ihre Krimis zur idealen Lektüre - im Urlaub ebenso wie zuhause, in Kroatien genau wie anderswo! ******************************************************** >>Mit Elena Martell geht man gerne auf Reisen - die resolute Wienerin ist immer für eine Überraschung gut! >>Eva Gründels Krimis sind herrlich spannende Urlaubsreisen im Kopf! >>Spannend bis zum Schluss - und hervorragend recherchiert! >>Wenn man die Krimis von Eva Gründel liest, möchte man sofort in ein Flugzeug steigen und an ihre Schauplätze reisen! ************************************** Reisekrimis mit Elena Martell bei Haymon: * Mörderwetter. Ein England-Krimi * Mörderhitze. Ein Kroatien-Krimi **************************************

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Eva Gründel

Mörderhitze

Ein Kroatien-Krimi

Table of Contents
Cover
Titel
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
Übersichtskarte
Danksagung
Eva Gründel
Zur Autorin
Impressum



Eva Gründel

Mörderhitze

Für Heinz

Lobbyismus ist wie ein Flipper.

Die Kugel, die rollt, sieht man, aber der

Mechanismus bleibt im Verborgenen.

Woody Allen

Prolog

Ein leichter Flossenschlag genügte und der leblose Körper drehte sich in einer perfekten Pirouette wieder und wieder um die eigene Achse. Eine einsame Darbietung ohne Publikum, nur ein einziger Thunfisch vergnügte sich noch mit dem ungewohnten Spielzeug. Seine Artgenossen fanden die Leiche, die seit ein paar Stunden wie eine Puppe zwischen ihnen trieb, mittlerweile gänzlich uninteressant.

In ihrem Gefängnis waren die großen Fische an kleine Menschlein gewöhnt, die weit mehr Unterhaltung boten als dieser merkwürdige Gast. Tagtäglich kamen sie in ihren schwarzen Gummianzügen zu ihnen in die Tiefe, schwammen mit seltsamen Geräten auf dem Rücken hin und her und stießen blubbernde Luftblasen aus.

Auch rochen diese Männer, die jeden Winkel des Käfigs mit grellen Lampen ausleuchteten und nach kranken Gefangenen absuchten, nicht nach Blut, so wie dieses Exemplar hier. Das Wasser hatte die unzähligen Wunden im Rücken und auf der Brust des Toten längst ausgewaschen, aber mit ihren empfindlichen Sinnesorganen konnten die Fische ihn nach wie vor blindlings aufspüren.

Doch wozu? Als Futter kam eine Leiche für sie nur im äußersten Notfall in Frage. Sie waren zwar Räuber, aber keine Haie und somit auch keine Aasfresser, die sich an Menschenfleisch gütlich taten. Die »Geparden des Meeres«, die in Freiheit bis zu siebzig Stundenkilometer erreichten und Tausende von Meilen zurücklegten, wurden in ihren Käfigen aus Bewegungsmangel zwar fast verrückt, aber man ließ sie nicht hungern. Im Gegenteil, man versorgte die gefangenen Giganten reichlich mit frischen Sardinen, damit sie Fett ansetzten und rasch an Gewicht zulegten.

Noch einmal kehrte der verspielte Thunfisch um, doch diesmal hielt er Distanz zu dem nackten Mann, der nunmehr mit ausgebreiteten Gliedmaßen in der Mitte des Beckens schwebte. Wie ein Fächer umspielten seine dunklen Haare den Kopf, als wollten sie das Gesicht verhüllen, das es nicht mehr gab.

1. Kapitel

Elena war nervöser, als sie es sich eingestehen wollte. Acht Uhr früh! Sie hatten noch nicht einmal in Dubrovnik angelegt, und in wenig mehr als einer Stunde sollte das Flugzeug aus Mailand landen. Mit dem Industriellen an Bord, der sie für einen zehntägigen Törn entlang der kroatischen Küste engagiert hatte. Ein ungewöhnlicher Auftrag, der sich gänzlich von der Routine ihrer sonstigen Reiseleiter-Jobs unterschied. Und jetzt das. Statt wie angekündigt die Nachmittagsmaschine zu nehmen, hatte Leonardo Mancuso im letzten Moment umdisponiert und den Frühflug gebucht. Oder besser gesagt: von seiner Sekretärin buchen lassen, die Elena ärgerlicherweise erst jetzt verständigt hatte.

Bei ihrer spontanen Zusage war ihr die Aufgabe, eine luxuriöse Segeltour noch luxuriöser zu gestalten, denkbar einfach erschienen. Auch wenn sie ihr Wissen über die Sehenswürdigkeiten Kroatiens ebenso im Schnellverfahren auffrischen musste wie die Informationen, wo man entlang der Route die schönsten Badebuchten und die besten Restaurants fand.

Jetzt aber war sich Elena alles andere als sicher, ob sie sich nicht überschätzt hatte. Dieser Leonardo Mancuso war schließlich nicht irgendwer, sondern sogar ihr ein Begriff. Wie er aussah, wusste sie aus der italienischen Klatschpresse, die in schöner Regelmäßigkeit über die neuesten Schmuckkreationen aus dem Hause Mancuso berichtete – oft bebildert mit Aufnahmen vom Chef, der sich gern an der Seite attraktiver Blondinen zeigte.

Diesmal aber kam er allein, es sei denn, er hatte sich auch das im letzten Moment anders überlegt. Wahrscheinlich reiste er aus Rücksicht auf seine Tochter ohne Begleitung, vermutete Elena, die sämtliche Daten der zu erwartenden Gäste inzwischen auswendig kannte.

Mit ihren 25 Jahren hätte Francesca Mancuso auch ihre Tochter sein können und ihr nur um weniges älterer Freund ihr Sohn. Elena spürte einen Anflug von Wehmut. Eigene Kinder – irgendwie war es dafür immer zu früh oder zu spät gewesen, und seit es einen Giorgio Valentino in ihrem Leben gab, war der Zug ohnedies unwiderruflich abgefahren.

Unbewusst straffte sie die Schultern. An Giorgio wollte sie später denken, erst nach dieser Reise, keine Minute früher. Im Moment hatte sie wahrlich andere Sorgen. Wieder beschlichen sie Zweifel, ob sie sich nicht blamieren würde. Auf Sizilien kannte sie jeden Stein und absolvierte ihre Führungen mit Bravour, hier aber fühlte sie sich selbst als Touristin, was nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine professionelle Reise­leitung war.

»Alles in Ordnung, Elena?« Dragos besorgter Tonfall holte sie endgültig in die Gegenwart zurück. Ihr Skipper aus Rovinj, mit dem sie seit nunmehr drei Tagen von Istrien aus die dalmatinische Küste entlanggesegelt war, sah ihr die Nervosität offenbar von Weitem an. »Reg dich nicht unnötig auf, wir haben alles unter Kontrolle. Während wir die Leute vom Flughafen abholen, bewacht Mirko das Boot, damit keiner uns den Champagner stiehlt. Oder gar deine kostbaren Unterlagen.«

Drago Magdalenic und sein Neffe Mirko Babic – die beiden waren wirklich ein Glücksfall. Vom ersten Moment an hatte sich Elena mit dem erfahrenen Skipper und dem Schiffsjungen, die als Istrianer perfekt Italienisch sprachen, bestens verstanden. Mit Touristen durch die Adria zu schippern, war Dragos gut bezahltes Hobby, denn nach den Sommerferien würde er wieder unterrichten. Als Professor für Italienisch und Deutsch am Gymnasium von Rovinj.

Vom Meer aus hatte sich Elena Dubrovnik noch nie genähert. Sie kannte die Stadt noch aus der Zeit vor dem Balkankrieg, in dem vieles im historischen Zentrum zerstört worden war.

»Jetzt ist alles wieder wie früher«, hatte Drago versichert. »Hat zwar Unsummen gekostet, aber ein Kulturerbe der Menschheit muss der Welt schon was wert sein.«

Keine zehn Minuten später legte der Katamaran unterhalb der mächtigen Festungsmauern an. Im alten Hafen zu ankern, war ein Privileg, für das man gute Beziehungen zur Kommandantur benötigte. Wie Drago, der offenbar überall die richtigen Leute kannte.

»Für den Flughafenbus ist es zu spät, wir müssen ein Taxi nehmen«, stellte Elena nach einem Blick auf ihre Armbanduhr fest.

Drago sah sie erstaunt an. »Ich hatte nie etwas anderes vor. Warum um alles in der Welt wolltest du einem Millionär beim Sparen helfen?«

»Weil die Reichsten normalerweise die Geizigsten sind«, stellte Elena lakonisch fest, nachdem Drago dem Fahrer ihr Ziel genannt hatte. »Aber vielleicht ist dieser Mancuso ja eine Ausnahme. Bisher hat er von allem nur das Teuerste ausgesucht. Den Katamaran in Luxusausführung, das exquisiteste Catering …«

»… und dazu die brillanteste Reiseleiterin und den besten Skipper«, lachte Drago. »Ich habe übrigens einen vernünftigen Fahrpreis ausgehandelt, aus Prinzip. Touristen zahlen um einiges mehr, und auch wenn du jeden Cent abrechnen kannst …«

»Siehst du den Chauffeur vom Limousinen-Service hier irgendwo?«, unterbrach ihn Elena, als das Taxi mit einem beruhigenden Zeitpolster vor der Ankunftshalle des Flughafens anhielt. »Man hat mir einen weißen Mercedes versprochen, eine Luxuskarosse, in der fünf Personen bequem Platz haben.«

»Wieso fünf, mit dir seid ihr doch sieben?«

»Mach mich nicht verrückt. Leonardo Mancuso kommt allein, sein Gast, ein gewisser Yannis Zammit, ebenfalls. Bleiben noch die Tochter Mancuso und ihr Verlobter. Das Ehepaar Vukovic steigt erst in Split zu, habe ich dir das nicht gesagt?«

»Hast du nicht, aber egal. Das heißt, dass ich mich jetzt um das Gepäck von einer Frau und drei Männern kümmern muss. Dafür brauche ich keinen Kombi, ein gewöhnliches Taxi wird genügen. Dort drüben parkt übrigens gerade ein großer weißer Wagen ein, das dürfte deiner sein. Ich kann das für dich checken. Du bleibst am besten in der Halle, denn wenn ich die Durchsage richtig verstanden habe, ist die Maschine bereits gelandet. Eine Viertelstunde zu früh. Habe ich hier auch noch nicht erlebt, aber man lernt ja nie aus.«

Soll er sich ruhig über meinen Pünktlichkeitswahn lustig machen, sagte sich Elena, als sie Drago nachblickte, der in aller Ruhe zum Ausgang schlenderte. Sogar von hinten sieht dieser Mann gut aus, stellte sie nicht zum ersten Mal fest. Am besten aber gefiel ihr Drago im Halbprofil, da kamen seine dunklen, fast schwarzen Augen ebenso zur Geltung wie seine schmale, leicht gebogene Nase oder die vollen, ungewöhnlich roten Lippen. Und selbst im Alter würde er sich nicht vor einer Glatze fürchten müssen, solche Haare sind wie Schweinsborsten, die fallen nicht so leicht aus.

Unter anderen Umständen wäre dieser Drago Magdalenic eine Todsünde wert, gestand Elena sich ein. So hätte sich zumindest ihre Mutter ausgedrückt, die das Faible für fesche Männer mit ihrer Tochter teilte. Aber etwas Dümmeres, als ein Verhältnis mit einem Kollegen anzufangen – und das noch dazu am Beginn eines Törns, bei dem man auf engstem Raum und aufeinander angewiesen war –, hätte ihr wohl nicht einfallen können. Und außerdem gab es da noch Giorgio …

Rasch wischte sie den Gedanken an ihren Lebensgefährten beiseite und lauschte der auf Englisch wiederholten Ansage, die für sie ebenso unverständlich klang wie die kroatische zuvor. Da hatte man den im Krieg zerstörten Flughafen zur Gänze neu errichtet, aber bei Details gespart! Lautsprecher mussten wirklich nicht pfeifen oder krachen, sodass man kein Wort mehr verstand. Vorsichtshalber sah sich Elena nach dem Informationsschalter um. War die Maschine aus Mailand tatsächlich bereits gelandet?

Die Antwort erübrigte sich, als die Türen zur Ankunftshalle zur Seite glitten. Der Mann, der als Erster herauskam und sich suchend umblickte, war Leonardo Mancuso. Auch wenn Elena den auf den Illustriertenfotos stets konservativ gekleideten Industriellen in dieser Freizeitausführung erst auf den zweiten Blick erkannte: weißes T-Shirt, rote Leinenhose, Sneakers – und auf dem Kopf ein weißer Strohhut mit schwarzem Band. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht mit einem Millionär, der sich als gewöhnlicher Tourist verkleidete. Irritiert hob Elena die Hand zur Begrüßung.

Als sie ihre kleine Gruppe zur bereitstehenden Limousine führte, hatten sie die erste Panne bereits hinter sich. Ausgerechnet Leonardo Mancusos Koffer war verschollen, ein Ärgernis, das er mit erstaunlichem Gleichmut hinnahm.

»Solche Sachen passieren nun einmal, Elena. Ich darf Sie doch so nennen?«

Weshalb fragte er überhaupt? Dieser Mann machte ohnedies nur das, was er wollte, und keiner widersprach ihm. Der geborene Chef, das war Elena von der ersten Sekunde an klar gewesen. Mit jener undefinierbaren Ausstrahlung, die sich um kein Geld der Welt kaufen lässt: liebenswürdig und sympathisch – aber stahlhart, wenn es darauf ankam. Das sollte ich besser nie vergessen, ermahnte sie sich.

»Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich im Urlaub über jede Kleinigkeit aufregen. Das gehört doch dazu, dass auf Reisen unerwartete Dinge passieren. Angenehme und unangenehme. Wer das nicht einkalkuliert, bleibt besser zu Hause. Aber jetzt zum Tagesprogramm. Was schlagen Sie vor, Elena?«

»Eine Führung durch das historische Zentrum, anschließend Mittagessen in einem der Lokale in der Altstadt. Dann können Sie immer noch entscheiden, ob wir über Nacht in Dubrovnik bleiben oder bereits heute Nachmittag in die Inselwelt aufbrechen. Die Alternative wäre, gleich an Bord zu gehen und dort einen Imbiss einzunehmen. Es ist alles vorbereitet …«

»Auf dem Schiff sind wir noch lang genug. Da ich Dubrovnik nicht kenne, bin ich für den Stadtbummel, Papa«, mischte sich Francesca Mancuso ein. »Das ist doch auch in deinem Sinne, Titus?«

Der junge Mann an ihrer Seite brummte Unverständliches. Dass er zu jeder Gelegenheit einen lateinischen Spruch parat hatte – und damit seiner Umwelt bisweilen ziemlich auf die Nerven ging –, konnte Elena nicht wissen.

»Wie bitte?«, fragte sie auf Deutsch. Laut ihren Unterlagen stammte Titus Reinthaler aus Bad Deutsch-Altenburg an der Donau und kam wie sie aus Österreich.

»Tertium non datur«, wiederholte ihr Landsmann geduldig und fügte nun seinerseits auf Deutsch hinzu: »Das heißt, ein Drittes gibt es nicht. Man könnte aber auch sagen: Utile e dulci – lasst uns das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden.«

Spinner, dachte Elena. Dabei sah er ganz und gar nicht verschroben aus, sondern nett und sympathisch. Groß, schlank, sportlich, ein wenig zu grobknochig vielleicht, aber mit feinen Gesichtszügen, einem Grübchen am Kinn und intelligenten, fröhlichen Augen.

Eigentlich hatte Elena an der Seite einer Frau aus der Mailänder Society einen ganz anderen Männertyp erwartet, einen in Designerklamotten gekleideten Feschak etwa. Aber auch Francesca mit ihren zu einem Pferdeschwanz gebundenen rotblonden Locken entsprach keineswegs ihren Klischeevorstellungen. Statt Designer-Jeans trug sie eine klassische Lee und auch das weiße T-Shirt, das über ihrem üppigen Busen ein wenig spannte, konnte sie, ebenso wie die lässig über die Schulter geworfene Jacke, durchaus auf irgendeinem Straßenmarkt erstanden haben.

»Kannst du nicht ausnahmsweise einmal klar und deutlich sagen, was du willst? Das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, meinst du damit Stadtführung und Restaurant oder Auspacken und Essen an Bord?«, hakte Francesca nach, was ihrem Vater ganz und gar nicht gefiel.

»Spart euch die Diskussion für später auf, ich will jetzt weg von hier. Mir ist es egal, also richten wir uns doch nach Yannis?« Bevor der Mann, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, antworten konnte, eilte Drago mit einem Koffer in der Hand auf die Gruppe zu. »Das ist doch Ihrer, Signor Mancuso? Namensschild ist keines dran, aber nach der Beschreibung müsste das Ihr Gepäck sein.«

»Ja, das ist mein Koffer, wunderbar! Worauf warten wir noch? Also Yannis, was meinst du?«

»Ich war noch nie in Dubrovnik, daher …«

»… ist die Sache entschieden.« Mit einem zufriedenen Lächeln stieg Leonardo als Erster in die Limousine. »Ich sag’s ja immer, wenn es um wichtige Entscheidungen geht, muss ein Mann aus Brüssel her.«

Mann aus Brüssel? Verwirrt blickte Elena auf ihre Liste. Yannis Zammit, 1966 in La Valetta geboren, war doch Malteser? Was freilich nicht ausschloss, dass er nunmehr in Belgien lebte. Verstohlen musterte sie den schweigsamen Mitreisenden, der zu jenen Männern zählte, die man leicht übersah. Alles an ihm war Durchschnitt: Die Größe, die Figur, der Haarschnitt, das nichtssagende Gesicht. Lediglich die angenehm modulierte Stimme war ihr bei den wenigen Worten, die er bisher von sich gegeben hatte, aufgefallen.

Lieber ein Langweiler als ein Besserwisser, dem man nichts recht machen kann, sagte sich Elena, doch da hatte sie ihre Zweifel. Die am harmlosesten wirkenden Zeitgenossen entpuppten sich nicht selten als das genaue Gegenteil. Wenn ihre Menschenkenntnis sie nicht trog, konnte auch dieser Yannis mit seiner zur Schau getragenen Verbindlichkeit noch für einige Überraschungen gut sein.

Darüber aber würde sie später nachdenken. Jetzt musste sie erst einmal entscheiden, wie viel an Kunst und Kultur ihrer kleinen Schar zuzumuten war. Dubrovnik light in maximal 30 Minuten oder doch eine komplette Führung von mindestens zwei Stunden, verbrämt mit einer ordentlichen Dosis Geschichte?

Weniger war zumeist mehr, das wusste Elena aus Erfahrung, aber galt das auch für einen Leonardo Mancuso, der für sein Geld die entsprechende Leistung erwarten durfte? Oder schätzte der erfolgsverwöhnte Geschäftsmann Flexibilität höher ein als die pflichtgemäße Erfüllung einer vereinbarten Quote?

Was auch immer sie beschloss, es war Elena bewusst, dass sie einen Fehler unter gar keinen Umständen begehen durfte: einmal zu oft nach den Wünschen der Gäste zu fragen – und damit das Heft aus der Hand zu geben. Wer als Reiseleiter bestehen wollte, musste Autorität ausstrahlen. Nur einer konnte das Programm bestimmen, sonst machte jeder, was er wollte, und schlussendlich waren alle unzufrieden. Das galt für eine 50-köpfige Gruppe ebenso wie für ihr Quartett.

Glück gehabt! Ein mehrstöckiges Kreuzfahrtschiff lief eben aus, weshalb das nächste, das wieder ein paar hundert Leute auf den Kai spucken würde, noch vor der Hafeneinfahrt warten musste. Bis die alle herbeigekarrt waren, herrschte innerhalb der mächtigen Festungsmauern eine geradezu idyllische Stimmung. Auf dem schimmernden Pflaster der Flanierstraße Placa, die seit dem Mittelalter Dubrovniks Zentrum durchschnitt, tummelten sich an diesem strahlend schönen Septembervormittag ungewöhnlich wenige Touristen.

»Wir befinden uns über einem zugeschütteten Meeresarm. Um etwa 1150 hat man die kleine Felseninsel Lausa, auf der wir hier stehen, mit dem Festland verbunden. Damit schuf man die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg der bis dahin unbedeutenden Stadt, die bis 1918 übrigens Ragusa hieß«, setzte Elena eben zu einer Erklärung an, als ein Mann aus dem Schatten eines Seitengässchens trat und heftig gestikulierend auf sie zuging.

»Sie veranstalten hier eine Führung? Haben Sie dafür eine Konzession?«, herrschte er sie auf Italienisch an. Entweder hatte der Fremdenführer, der Jagd auf illegale Konkurrenten machte, gut geraten, oder er war ihnen seit Längerem gefolgt. »Nein? Wie zuvor der Kollege von Studiosus, der war auch ein Illegaler. Das wird teuer für Sie, denn ich werde auch Sie anzeigen. Es sei denn …«

»Gar nichts werden Sie. Schauen Sie lieber, dass Sie weiterkommen, sonst gehen nämlich wir zur Polizei. Verstanden?«

Verblüfft blickte Elena in die wütend funkelnden Augen des Maltesers, der mit einem Mal alles andere als durchschnittlich aussah. Von dieser Seite hatte sie als Letztes Schützenhilfe erwartet.

»Lass es gut sein, Yannis«, sagte sie und legte beschwichtigend eine Hand auf seinen Arm. »Der Gute kann ja nicht wissen, dass wir keine Touristengruppe, sondern eine Familie sind.« Geistesgegenwärtig war Elena ins vertrauliche Du gewechselt.

»Familie oder nicht, das ist vollkommen egal. Als Gruppe gilt laut EU-Bestimmungen erst eine Anzahl von mehr als sechs Personen und wenn ich richtig rechnen kann, sind wir fünf. Außerdem hat der Mann versucht, Sie zu erpressen, haben Sie das nicht gemerkt? Entweder Bargeld oder Anzeige, so geht das Spiel. Aber nicht mit uns.«

Dem Stadtführer war offenbar klar, dass er auf verlorenem Posten stand. Mit einem unterdrückten Fluch suchte er das Weite.

»Verzeihen Sie, Elena, dass ich Ihr Du-Wort ausgeschlagen habe, aber dazu lasse ich mich doch nicht von so einem dahergelaufenen Typen zwingen. Das holen wir nach. Stilvoll, wie es sich gehört.«

»Gilt da auch Campari Soda, oder muss es bei dir immer Champagner sein, wenn du einer Frau den Bruderkuss gibst?«, fragte Francesca mit spöttischem Unterton. »Ich habe jedenfalls Durst und im Moment auch keine große Lust, mir den Kopf mit der Vergangenheit Dubrovniks vollstopfen zu lassen. Das ist nicht gegen Sie gerichtet, Elena, Sie machen Ihre Sache wunderbar, aber dafür bleibt noch Zeit genug. Dort drüben das Kaffeehaus, das sieht doch nett aus. Marmortischchen, Thonetstühle, Kristalllüster, fast könnte man glauben, in Wien zu sein.«

»Francesca hat in Ihrer Heimatstadt antike Numismatik studiert«, erklärte Leonardo, dem Elenas fragende Miene nicht entgangen war. »Sie leben zwar auf Sizilien, aber Sie sind doch eine gebürtige Wienerin, die sich nach ein paar Semestern Kunstgeschichte als Werbetexterin einen Namen gemacht hat, nicht wahr? Das ist zwar schon eine ganze Weile her, aber zufällig kenne ich den Chef der Agentur, für die Sie gearbeitet haben.«

Gab es etwas, worüber dieser Mancuso nicht Bescheid wusste? Offenbar pflegte er sich genau zu informieren, bevor er jemanden engagierte, und sei es auch nur für einen Segeltörn.

Ja, ich bin in Wien geboren, als Helene Hubinek, und ich bin die Witwe des Südtiroler Bildhauers Paul Martell, der 2004 an einem Kopftumor gestorben ist, hätte sie fortsetzen können. Ich bin 45 Jahre alt, Skorpion, Hundeliebhaberin und nunmehr Lebensgefährtin des sizilianischen Kriminalkommissars Giorgio Valentino, den ich bei einer Mordermittlung kennen gelernt habe. Weil einer meiner Gäste so leichtfertig war, sich während einer von mir geführten Reise in den Ruinen von Selinunte erschlagen zu lassen.

Aber das brauchte sie einem Leonardo Mancuso nicht erzählen, fand Elena. Bis auf ein paar unwesentliche Details kannte er ihre Biographie vermutlich ziemlich genau, eine Tatsache, die ihr ganz und gar nicht gefiel. Dass sie nichts zu verbergen hatte, spielte dabei keine Rolle. Unwillkürlich runzelte sie die Stirn, doch dann gewann ihr Humor die Oberhand. Offenbar bedarf es nicht immer der NSA, um jemanden in einen gläsernen Menschen zu verwandeln. Und war es nicht eigentlich schmeichelhaft, wichtig genug zu sein, um nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet zu werden?

Geistesabwesend hatte Elena als Einzige einen Cappuccino bestellt, eine kluge Entscheidung, Mit einem Kaffee konnte man nicht anstoßen, und somit war das Thema Du-Wort erst einmal vom Tisch. Wie hatte sie nur so leichtfertig sein können, sich überhaupt in diese Situation zu bringen? Ihr Verhalten war ein Reflex gewesen. In ihren Anfängertagen, ehe sie die nötigen Prüfungen abgelegt hatte, war sie in Palermo einmal als illegale Reiseleiterin erwischt worden. Eine äußerst kostspielige – und peinliche – Erfahrung, die sie kein zweites Mal machen wollte.

Diesmal aber kam es in erster Linie darauf an, die nötige Distanz zu wahren. Auf einem Schiff konnte man sich nicht aus dem Weg gehen, was ihre Rolle doppelt schwierig gestaltete. Sie zählte nicht zur Crew wie der Skipper und der Schiffsjunge, sie war keine Stewardess, die sich um das leibliche Wohl der Passagiere kümmern musste. Auch wenn sie sich verpflichtet hatte, für das Frühstück und kleine Imbisse zu sorgen, bestand ihre Hauptaufgabe darin, die Landausflüge zu organisieren. Ihr oblag es, durch die interessantesten Städte entlang der Route zu führen, Taxis an den Kai zu bestellen und die passenden Lokale auszusuchen.

Irgendwie kam Elena sich vor wie eine Gouvernante in einem viktorianischen Haushalt, die nicht zum Personal, aber auch nicht zur Familie gehörte. Diesen Spagat galt es zu meistern, wobei ihr das nur gelingen konnte, wenn sie die richtigen Akzente setzte. Was bereits bei der Wahl der Kleidung anfing.

Das Kostüm, das sie bereits angehabt hatte, wäre viel zu förmlich gewesen, einer Uniform zu ähnlich. Das war ihr im letzten Moment klar geworden, und sie hatte sich vor der Fahrt zum Flughafen in aller Eile umgezogen. Jetzt trug sie ein schlichtes cremefarbenes Etuikleid, das ihr ausgezeichnet stand. An Bord würde es dann natürlich legerer zugehen, untertags Shorts und am Abend lange Hosen waren sicherlich eine unverfängliche Wahl. Wie ihr zeitloser, einteiliger Badeanzug mit dem dezenten Ausschnitt.

»Möchten Sie noch etwas bestellen? Wenn nicht, wir wären dann so weit.« Mit einem kräftigen Ruck, der die leeren Gläser zum Klirren brachte, schob Leonardo Mancuso den schweren Kaffeehaustisch von sich. Elena fuhr zusammen. Wie peinlich! Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass man nur noch auf sie wartete. War ihr etwas Wesentliches entgangen? Verunsichert blickte sie in die Runde.

»Animus in patellis est«, brummte Titus. »Was wörtlich übersetzt heißt …«

»Das will keiner wissen«, unterbrach ihn Francesca und runzelte unwillig die Stirn. »Du nervst. Für heute kein Latein mehr, bitte.«

Der Geist ist in der Schüssel, hätte Elena fortsetzen können. Sie kannte den Spruch noch aus ihrer Schulzeit weit besser, als ihr lieb war. Ihrem Professor war es damals nämlich nur selten entgangen, wenn sie wieder einmal gedankenverloren ins Narrenkastl geschaut hatte, wie man auf gut Wienerisch zu sagen pflegte. Seltsam, dass ein Mann von nicht einmal dreißig so versponnen war, bei jeder sich bietenden Gelegenheit die alten Römer zu zitieren.

Wahrscheinlich hatte er Latein und Geschichte studiert und unterrichtete an einem Gymnasium. Das konnte sie sicher bald herausfinden. Jedenfalls würde sie genau aufpassen, dass ihr bei den Ausführungen über die Vergangenheit Dubrovniks kein Fehler unterlief.

Alles ging gut. Wieder einmal bewährte sich ihr Erfolgsrezept, auf Daten und Jahreszahlen weitgehend zu verzichten. Elena verstand es meisterhaft, längst versunkene Epochen mit Leben zu erfüllen. So gelang es ihr sogar, einen anfangs ziemlich gelangweilten Leonardo Mancuso in ihren Bann zu ziehen.

Das spektakuläre Ambiente hatte ihr die Arbeit freilich leicht gemacht. Auf den meterbreiten Bastionen, die das alte Dubrovnik wie ein Schutzschild umgaben, konnte man hoch über der beeindruckenden Dachlandschaft spazieren gehen. Tief unten funkelte blitzblau das Meer, auf dem sich Lokrum als grüner Tupfen abzeichnete.

»Die kleine Insel befand sich zuletzt in Privatbesitz der Habsburger, aber sie hat ihnen kein Glück gebracht«, sagte Elena. »Es ist natürlich nur ein Zufall, aber ich finde es interessant, dass die letzten zwei Angehörigen dieses Hauses, denen Lokrum etwas bedeutet hat, gewaltsam ums Leben gekommen sind.« Spätestens jetzt konnte sich Elena über mangelnde Aufmerksamkeit nicht mehr beklagen. »Erzherzog Maximilian hat Lokrum Mitte des 19. Jahrhunderts gekauft und das romanische Benediktinerkloster zu einem Schloss umgestalten lassen. Entsprechend dem Zeitgeschmack …«

»Hat ihm denn seine protzige Residenz bei Triest nicht genügt?«, unterbrach Francesca, die sich mit Schaudern an die ihrer Ansicht nach grässliche Innenausstattung von Schloss Miramare erinnerte. »Sie sprechen doch von dem Maximilian, dem späteren Kaiser von Mexiko?«

»Ganz richtig. Maximilian wurde von einem Exekutionskommando erschossen und sein Neffe, Kronprinz Rudolf, hat sich selbst die Kugel gegeben. In Mayerling, Sie alle kennen die Geschichte. Der österreichische Thronfolger hatte die Insel geerbt und sich hauptsächlich um den Schlosspark gekümmert. Er hat auch ein bisschen herumgebaut, aber dann …«

»Schluss, aus, Themenwechsel«, fuhr Leonardo mit sich überschlagender Stimme dazwischen. »Die waren doch alle beide Verlierer, die haben ihr Schicksal selbst verschuldet. Mir ist es völlig egal, ob sie Opfer politischer Intrigen waren oder nicht, für Versager habe ich nichts übrig. Nicht für die von gestern und schon gar nicht für die von heute. Wer die Spielregeln der Macht nicht beherrscht, sollte besser die Finger davon lassen.«

Was war denn das jetzt?, fragte sich Elena, als sie Mancusos grimmig verzerrte Miene musterte. Wieso brachten ihn diese alten, von der Unterhaltungsindustrie bis zum Erbrechen verkitschten und ausgeschlachteten Tragödien dermaßen aus dem Gleichgewicht? Da musste mehr dahinterstecken.

»Hinrichtungen und die Macht des Stärkeren, Aggressionen und Gewalt, die vor Mord und Selbstmord nicht Halt machen, sinnloses Sterben für nichts und wieder nichts, ich will davon nichts hören«, setzte er unerwartet leise fort. »Tot ist tot. Ich halte es mit den Lebenden. Carpe diem, so sagt man doch, Titus? Also pflücken wir den Tag. Auf geht’s ins Restaurant, das Elena für uns ausgesucht hat.« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte Leonardo sich um und stapfte in die Richtung des nächstliegenden Treppenabgangs, der von der Stadtmauer hinunter ins Zentrum führte.

»Einen Moment noch, Signore«, hielt Elena den Mann, der Widerspruch offensichtlich nicht gewöhnt war, zurück. »Wenn Sie mir hier heroben noch einige wenige Schritte folgen würden … Danke. Und jetzt schauen Sie bitte nicht in die Ferne, sondern nach rechts. Direkt unter uns befindet sich der alte Hafen – und die schönste und größte Yacht mittendrin ist Ihre …«

»Die Seacloud, tatsächlich, hier liegt sie in all ihrer Pracht! Sieht sie nicht wundervoll aus, meine alte Freundin?« Beifall heischend blickte Leonardo in die Runde. »Unser letztes Rendezvous hatten wir in der Karibik. Vor ziemlich genau einem halben Jahr. Da war ich allerdings nur als Gast an Bord, gechartert hatte sie ein amerikanischer Geschäftspartner. Aber jetzt …«

»… geschieht auf der Yacht einzig und allein das, was du möchtest. Das ist es doch, worauf es dir ankommt, Papa?«, sagte Francesca lächelnd, doch Elena war der leise Anflug von Bitterkeit, der in ihren Worten mitschwang, nicht entgangen. Es konnte nicht einfach sein, ihn zum Vater zu haben. Eine Kostprobe davon, wie es war, neben einem Machtmenschen dieses Kalibers zu bestehen, hatte sie eben selbst erhalten.

Auf diesem Törn würde noch so einiges auf sie zukommen, das war Elena nach seinem Auftritt eben klar geworden. Leonardo Mancusos Wunsch war Befehl, daran ließ er keine Zweifel aufkommen, und sie durfte gespannt sein, was er als Nächstes zum Tabu-Thema erklären würde.

Dass man in seiner Gegenwart nicht über Gewaltverbrechen diskutierte, hatte er deutlich zum Ausdruck gebracht. Gespräche über Mord und Totschlag zu vermeiden, dürfte freilich nicht allzu schwierig werden.

Schon der nächste Tag sollte Elena allerdings eines Besseren belehren.

2. Kapitel

Italiener im Ausland kulinarisch auch nur einigermaßen zufriedenzustellen, war keine einfache Aufgabe. Dementsprechend sorgfältig hatte Elena die erste gemeinsame Mahlzeit geplant und stundenlang Gourmet- und Reiseführer gewälzt, um letztendlich doch auf Dragos Tipp zurückzugreifen. Das »Arsenal« im alten Stadthafen sah zwar wie eine klassische Touristenfalle aus, aber zu Elenas Erleichterung klappte alles wie am Schnürchen.

Im Schatten der überdachten Terrasse saß man angenehm kühl, zudem wehte vom Meer eine leichte Brise herüber. Plötzlich war ein leiser Wind aufgekommen, der jedoch nicht ausreichte, um eine Yacht wie die Seacloud zum Schaukeln zu bringen. Die kleineren Boote hingegen tanzten auf den kurzen, schaumgekrönten Wellen, die unerwartet kräftig an die Kaimauer schlugen.

»So habe ich mir das vorgestellt. Eine gute Pasta auf dem Tisch und mein Schiffchen in Sichtweite.« Rundum mit sich und der Welt zufrieden schob Leonardo seinen leergegessenen Teller von sich und griff nach dem Weinkühler. »Ausgezeichnet, dieser Chardonnay.« Er zückte die Brille, um das Etikett zu studieren. »Aus Brodski Stupnik, wo auch immer das sein mag.«

»In Slawonien«, antwortete Elena wie aus der Pistole geschossen. Welch ein Glück, dass ihr Drago erst gestern einen Vortrag über kroatische Weine gehalten hatte.

»Unter den Kommunisten ging Quantität vor Qualität, das heißt, der Wein aus Jugoslawien war so schlecht wie sein Ruf. Heute ist es umgekehrt, aber es wird noch einige Zeit brauchen, bis sich die ambitionierten Winzer aus Kroatien international einen Namen gemacht haben«, wiederholte Elena fast wörtlich Dragos Ausführungen, die der Malteser unvermutet rüde unterbrach.

»Und wie passt das Ihrer Meinung nach damit zusammen, dass die kroatische Regierung die Weinanbauflächen vor dem EU-Beitritt noch rasch vergrößert hat? Nicht um ein paar Hektar hier und da, sondern landesweit und in einem beträchtlichen Ausmaß?« Yannis Zammit sah Elena spöttisch an. »Was Sie uns erzählen, klingt nach den PR-Texten der Fremdenverkehrswerbung. Die Realität sieht leider anders aus.«

»Dieser Wein hier ist jedenfalls mit Sicherheit kein Massenprodukt, das können Sie mir glauben.« Mit der Routine eines professionellen Sommeliers nahm Titus Reinthaler einen kleinen Schluck aus seinem Glas und ließ ihn im Mund kreisen. »Erinnert ein wenig an einen einfachen Chablis, ist aber ein reiner Chardonnay mit den genau richtigen feinen Säuren. Mein Vater und mein Bruder sind Winzer, und ich habe Önologie studiert …«

»Von der Theorie zur Praxis ist es oft ein weiter Weg.« So leicht wollte Yannis sich nicht geschlagen geben. Noch dazu von einem um so viel jüngeren Mann.

»Was willst du damit sagen, Yannis?«, fuhr Francesca dazwischen. »Dass Titus von Wein weniger versteht als du? Oder dass deine EU mit ihren seltsamen Bestimmungen wieder einmal alles besser weiß …?«

»Gebt Ruhe, alle beide, und zwar sofort.« Leonardo Mancuso brauchte seine Stimme nicht zu erheben, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Francesca und Yannis verstummten abrupt.

Na bravo, das fängt ja gut an, dachte Elena. Offenbar ist das nicht die erste Auseinandersetzung zwischen den beiden. Wenn sie jetzt bereits zusammenkrachen, wie wird das erst an Bord weitergehen? Unauffällig musterte sie Mancuso, der bei seinem Machtwort keine Miene verzogen hatte. Als wäre nichts geschehen, brach er das unbehagliche Schweigen, das sich breitzumachen drohte.

»Wie heißen diese wunderbaren hausgemachten Nudeln, Elena? Die einen nennt man Fuzi, das habe ich mir gemerkt, und die anderen …«

Dankbar nahm Elena den Gesprächsfaden auf: »Pljukanci, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das richtig ausspreche. Am besten, wir fragen Drago. Er war es übrigens, der mir das Restaurant empfohlen und unser Menü zusammengestellt hat.«

»Guter Mann, dieser Drago«, brummte Leonardo. »Das habe ich sofort erkannt. Und was bekommen wir als Nächstes?«

»Ausnahmsweise heute keinen Fisch, sondern eine Pašticada, eine dalmatinische Spezialität. Dafür wird Rindfleisch mehrere Tage lang in Rotwein eingelegt …«

»Sie meinen, dass wir das unbedingt probieren müssen? Eigentlich bin ich schon satt.« Sichtlich skeptisch griff Mancuso nach der Speisenkarte. »Und zur Not kann ich mir ja immer noch ein paar Garnelen bestellen. Oder gleich etwas Süßes.«

»Hören Sie nicht auf Papa, was seinen Gaumen betrifft, ist er stockkonservativ. Ich bin jedenfalls sehr neugierig, was uns erwartet.« Mit einem fröhlichen Lachen stieß Francesca ihren Vater an. »Und du, mein lieber Titus, wirst auch nicht meckern. Die nächsten zwei Wochen bekommst du nämlich keinen Schweinsbraten, kein Gulasch und kein Schnitzel, sondern nur Fisch, Fisch und nochmals Fisch und ab und zu ein paar Muscheln oder Krebse. Also sei froh, dass du heute noch einmal an die Fleischtöpfe darfst.« Francesca ließ sich ihren Ärger von vorhin ebenfalls nicht mehr anmerken. Sie war zwar keineswegs so streichelweich, wie Elena bisher angenommen hatte, aber ohne sie wären die drei Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein könnten, wohl noch mühsamer zu handhaben gewesen.

»Ich habe vergessen zu erwähnen, dass der Rotwein mit allerlei Kräutern gewürzt wird. Und man darf auch nicht irgendeinen billigen Fusel verwenden. Das marinierte Fleisch wird nämlich auf kleiner Flamme so lange geschmort, bis sich eine dunkle Soße bildet. Die schmeckt natürlich besonders köstlich, wenn man bei der Weinqualität nicht gespart hat«, konnte Elena noch rasch anbringen, bevor sich die beiden Kellner, die an ihrem Tisch bedienten, mit dampfenden Schüsseln näherten.

Außer dem Klirren des Bestecks war bald nichts mehr zu hören. Diesmal aber war das Schweigen, in das die vier wie auf ein Kommando verfielen, eindeutig positiv. Doch Elena durfte sich keinen Illusionen hingeben: Die Gruppe war eindeutig zu klein, der nächste Konflikt würde nicht lange auf sich warten lassen. Sobald das Ehepaar Vukovic dazustieß, würde alles einfacher werden. Dann waren sie zwei Leute mehr, was in diesem Fall immerhin ein Plus von 50 Prozent bedeutete. Bis dahin aber musste sie irgendwie zurechtkommen.

»Kein Mahagoni und auch sonst kein Schnickschnack, du hast wirklich nicht übertrieben, Papa. Die Seacloud ist einfach wundervoll.« Spontan fiel Francesca ihrem Vater um den Hals. »Dieser Salon, Walzer tanzen könnte man hier drinnen, so groß ist er. Und unsere Kabine erst. Da bekommt nicht einmal Titus Platzangst. Nein, korrigier mich nicht, ich weiß, das heißt Klaustrophobie, aber das klingt so geschwollen. Ihm ist immer alles zu eng und zu klein, genau wie dir. Auch wenn er es nie zugeben würde, er hat sich davor gefürchtet, gemeinsam mit mir in eine Kajüte gesperrt zu werden, aber hier …«

»… fällt mir der Himmel sicher nicht auf den Kopf«, fiel ihr der sichtlich beeindruckte Titus ins Wort. »Nochmals vielen Dank für die Einladung, Signore«, fügte er wohlerzogen hinzu.

»Dieses Schiff passt zu dir, mein lieber Leonardo. Minimalismus pur, und das bei größtmöglichem Luxus.« Yannis Zammit ließ sich in einen der weißen Lederfauteuils fallen und grinste seinen Gastgeber an. »Stilvoll und effizient, dieser Kahn aus der Danziger Werft. Etwas anderes habe ich von dir auch nicht erwartet.« Mit einer theatralischen Geste umfasste der Malteser den Raum, der bis ins kleinste Detail in japanischem Design ausgestaltet war. »Die Reederei hat sich da wirklich was einfallen lassen, aber das muss sie wohl auch. Zählt nicht auch das belgische Königshaus zu ihren Kunden? Die schöne Paola kreuzt doch jeden Sommer ein paar Wochen im Mittelmeer. Früher haben die Illustrierten ein kleines Vermögen für Bikini-Fotos von ihr gezahlt, heute lockt sie freilich keinen Paparazzo mehr hinter dem Ofen hervor. Aber sie ist immer noch gern unterwegs, auf einer gecharterten Yacht mit polnischer Besatzung und italienischem Personal …«

»Da weißt du mehr als ich«, antwortete Mancuso kurz angebunden. »Ihrer königlichen Hoheit dürfte die Seacloud allerdings um einige Schuhnummern zu klein sein. Hier ist nur Platz für eine kleine Crew, für den Skipper und seinen Helfer. Die beiden werden euch sicher nicht die Betten machen. Und um das gleich klarzustellen: Elena auch nicht. Dafür habe ich sie nicht engagiert. Dass sie uns jetzt ein Glas Champagner als Welcome-Drink kredenzt, verdanken wir nur ihrer Liebenswürdigkeit. Ab sofort gilt Selbstbedienung, egal, ob jemand etwas essen oder trinken möchte. Und jeder muss seinen Mist danach aufräumen.«

Elena seufzte erleichtert auf. Ohne zu überlegen, hatte sie eine Flasche Taittinger Brut geöffnet und nicht bedacht, dass man daraus falsche Schlüsse ziehen konnte. Rechtzeitig waren ausgesuchte Delikatessen und Getränke, die sich in Kroatien nur schwer oder gar nicht auftreiben ließen, aus Triest angeliefert und in Rovinj gebunkert worden. Unter der strengen Aufsicht von Drago, der nun geduldig auf Anweisungen seines neuen Chefs wartete.

»Sie meinen, die Elaphiten sind an den Wochenenden überlaufen? Alle dreizehn Inseln?« Leonardo tippte auf die Karte, die sein Skipper im Kommandostand ausgebreitet hatte. »Nicht, dass ich an Ihren Worten zweifeln möchte, aber bei der Agentur hat man mir versichert, dass wir im September ideale Bedingungen vorfinden werden.«

»Das ist schon richtig, der große Ansturm ist vorbei. Vor allem weiter im Norden. Aber im südlichsten Archipel Dalmatiens, noch dazu vor der Haustüre Dubrovniks, tut sich an einem Samstag schon einiges. Aber wenn es nicht unbedingt Šipan, Lopud oder Koločep sein muss, werden wir schon irgendeinen einsamen Flecken finden.«

»Vergessen Sie die Elaphiten«, sagte Mancuso nach kurzer Überlegung, »segeln wir lieber gleich nach Korčula. Wie lange brauchen wir dafür?«

»So lange Sie wollen«, schmunzelte Drago. »Mit der Fähre sind es drei Stunden, für uns ist es also nur ein Katzensprung. Ich könnte mir aber vorstellen, dass Sie oder Ihre Gäste nach der Siesta vielleicht ins Wasser springen möchten …«

»Worauf warten wir noch? Anker lichten und los. So sagt man doch?« Über das ganze Gesicht strahlend klatschte Francesca wie ein kleines Mädchen in die Hände. Jede andere Frau, die sich so benimmt, macht sich lächerlich, dachte Elena. An ihr aber wirkt nicht einmal das affektiert. Und mit einem Mal wusste sie, an wen die Mailänderin sie erinnerte. Die rotblonden Haare, die Stupsnase, die Sommersprossen, die schmal geschnittenen blaugrauen Augen – die Ähnlichkeit mit der jungen Shirley MacLaine in »Irma la Douce« war unverkennbar. Für sie – doch vermutlich konnten Francesca oder Titus mit diesem Vergleich nur wenig anfangen. Wem sagte denn dieser Film noch etwas? Elena hatte ihn sich im Lauf der Jahre mehrmals ansehen müssen, ihrer Mutter zuliebe, die für Billy Wilder schwärmte. Heute kannte man die MacLaine bestenfalls als seriöse alte Dame und nicht als quirliges Temperamentsbündel, das einst Hollywood-Geschichte geschrieben hatte.

Francesca musste sich in Windeseile umgezogen haben. In Bikini und wehendem Pareo stand sie auf dem Oberdeck – als einziger Farbtupfen auf der eleganten weißen Yacht, die in majestätischer Gemächlichkeit aus dem Hafenbecken glitt.

Höchste Zeit, dass auch ich aus dem Kleid schlüpfte, sagte sich Elena. In ihrer Einzel-Kabine, die auf der Seacloud um einiges größer war als auf anderen Booten eine doppelte, ließ sie sich erschöpft aufs Bett sinken. Auch wenn sie stets ruhig und gelassen gewirkt hatte, war sie doch seit Stunden unter Stress gestanden.

Warum tue ich mir das überhaupt an?, fragte sie sich. Nicht aus finanziellen Gründen jedenfalls, das Geld brauchte sie nicht, denn Paul hatte sie als wohlversorgte Witwe zurückgelassen. Aus Abenteuerlust? Unsinn, ein Törn auf der Adria war keine Atlantiküberquerung, und selbst der wäre an Bord dieser Luxusyacht bloß ein Jausenspaziergang.

Warum also? Um Giorgio aus dem Weg zu gehen, lautete die Antwort. Aber warum fiel es ihr so schwer, sich das einzugestehen? Weil sie nicht wahrhaben wollte, dass zwischen ihnen seit einiger Zeit vieles nicht mehr stimmte. Genauer gesagt seit ihrer Rückkehr aus London Ende Mai. Damals war ihr zum ersten Mal bewusst geworden, dass sie mehr vom Leben erwartete als das beschauliche Dasein in einem Häuschen in Taormina – die große weite Welt, an der Seite des berühmten Bildhauers Paul Martell war sie ihr offen gestanden. Bis er gestorben war und sie mit ihren 38 Jahren verzweifelt und allein in ihrer Atelierwohnung in Rom zurückgelassen hatte. Elena stand damals an einer Wegkreuzung.

Irgendwann war ihr die Millionenmetropole am Tiber zu groß geworden, zu grell, zu laut, zu oberflächlich. Nach Wien wollte sie damals aber auch nicht zurück, also entschied sie sich für Sizilien, wo sie allmählich wieder zu sich fand. Dort begegnete ihr der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Giorgio Valentino, klug, charmant, gutaussehend, fünf Jahre älter als sie – und seit Langem geschieden. Hals über Kopf stürzte sie sich in ihre neue Liebe. Elena erinnerte sich noch gut an die Schmetterlinge im Bauch, an ihre zugeschnürte Kehle und die feuchten Hände – doch was zählte das heute noch? Unbewusst verzog sich ihr Mund zu einem bitteren Lächeln. Verliebtheit vergeht, Liebe bleibt, so einfach war das.

Liebte sie Giorgio? Liebte sie ihn genug, um bei ihm zu bleiben? Seit sie Londoner Luft geschnuppert und wieder einmal das Pflaster einer Weltstadt unter ihren Schuhsohlen gespürt hatte, fragte sie sich das immer und immer wieder. War ihre Beziehung nur eine Liebelei? Dann würde die Sehnsucht nach einem bunteren Leben, wie sie es nur in einer Weltmetropole finden konnte, letztlich die Oberhand gewinnen.

Wenn sie Taormina verließ und nach London oder New York übersiedelte, würde sie Giorgio verlieren, darüber machte sie sich keine Illusionen. Einmal war er für sie ins kalte Wasser gesprungen, ein zweites Mal würde er das sicher nicht tun. Wie auch? Ihretwegen hatte er seinen Posten als Chef der Mordkommission des verschlafenen Provinzstädtchens Trapani an den Nagel gehängt und bei der italienischen Kunstpolizei einen Neustart gewagt – und es innerhalb kürzester Zeit zum Leiter der Tutela Patrimonio Culturale von Catania gebracht. Aber damit war für den Commandante Tenente Valentino der Plafond seiner Karriere erreicht.

Darüber nachzugrübeln bringt jetzt gar nichts, rief sich Elena zur Ordnung. Stattdessen sollte sie sich lieber aus dem zerknitterten Kleid schälen. Sonst schlief sie, angezogen wie sie war, glatt noch ein und verpasste womöglich die Ankunft auf Korčula. Entschlossen drehte sie die Dusche auf und überhörte deshalb fast das Fiepen ihres Handys, das noch immer in ihrer Handtasche steckte.

»Tutto a posto in Dubrovnik? Soeben in Triest gelandet. Was glaubst du, wen ich getroffen habe? Errätst du nie! Baci, Giorgio.«

War das jetzt Gedankenübertragung?, fragte sich Elena. Seit zwei Tagen hatte er sich nicht gemeldet und kaum dachte sie an ihn, kam eine SMS. Plötzlich musste sie laut auflachen. Dieser raffinierte Kerl! Giorgio wusste genau, wie neugierig sie war. Wahrscheinlich war ihm jemand völlig Uninteressanter über den Weg gelaufen und jetzt wollte er sie damit auf die Folter spannen.

Einen Augenblick lang war alles wie früher. Fast. Denn seit ihrem eher frostigen Abschied hatte er sie nicht mehr mit seinen unsäglichen Kosenamen überschüttet. Nicht einmal carissima, tesoro oder amore mio nannte er sie – dass sie das einmal vermissen würde, hätte sie auch nicht gedacht.

In ein flauschiges Badetuch gewickelt, warf Elena sich aufs Bett und stopfte sich sämtliche Polster in den Rücken, um sich bequemer anlehnen zu können. »Danke, alles bestens. Nächste Station Korcula. Viel Spaß in Triest.« Dass sie nicht nachfragen würde, damit rechnete Giorgio sicher nicht. Nach kurzem Zögern fügte sie noch »mille baci« hinzu, schließlich wollte sie mit – verbalen – Küsschen nicht so kleinlich sein wie Giorgio, und drückte die Taste, um ihre SMS zu verschicken.

Der Stopp zwischen den Inseln Mljet und Pelješac dauerte länger als vorgesehen. Dabei verzichteten Leonardo und Yannis einhellig auf ein Bad mit vollem Magen und auch Titus entfernte sich nicht allzu weit von der Yacht. Gleich dreimal hatte er das Nylonseil, das ihn wie eine Nabelschnur mit der Seacloud verband, um sein Handgelenk gewickelt. Francesca hingegen glaubte nicht an die Gefahr, abgetrieben und nur mit Mühe wieder aufgefischt zu werden, und ging recht sorglos mit der Sicherheitsmaßnahme um. Immer weiter schwamm sie hinaus und konnte vom Herumplanschen gar nicht genug bekommen. Erst als ihr Vater ein Machtwort sprach, kletterte sie widerwillig an Bord.

Es war zwar noch hell, als sie sich Korčula näherten, doch der Einbruch der Nacht würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

»Von der Marina hat man einen herrlichen Blick auf die Altstadt. Ins Zentrum ist es nicht weit, aber ich würde Ihnen dennoch ein Taxi empfehlen …«

»Lassen Sie es für heute gut sein, Elena«, fiel ihr Leonardo Mancuso ins Wort. »Morgen ist auch noch ein Tag, da können Sie uns dann herumführen und alles erzählen.«

»Sie wollen an Bord bleiben?«

»Ja, aber nicht in der Marina. Drago soll eine Bucht ansteuern, je einsamer, desto lieber. Die Kühlschränke sind gefüllt, also wird uns keiner verhungern oder verdursten. Und keine Sorge, Sie wissen ja, jeder nimmt sich, was er will …«

… und ich darf danach aufräumen, setzte Elena im Stillen fort. Darauf läuft es letztlich doch hinaus. Untertags mochte das mit der Selbstbedienung ja klappen, aber nicht beim Nachtmahl. Andererseits, der Ankunftstag war eine Ausnahme, ab morgen würden sie nicht zu Mittag, sondern am Abend ein Restaurant aufsuchen. Mit einem leisen Seufzer blickte sie Mancuso nach und begann, das frische Brot, das sie in Dubrovnik gekauft hatte, aufzuschneiden.

»Drago schickt mich«, platzte Mirko in ihre Gedanken. »Wenn du willst, bringt man uns frische Austern an Bord. Von Pelješac, dort werden sie gezüchtet. In weniger als einer Stunde können sie geliefert werden. Oder auch ein Muschel-Eintopf. Wir kennen den Wirt, er hat ein kleines Lokal gleich gegenüber.« Der Schiffsjunge deutete auf die benachbarte Halbinsel, die an dieser Stelle zum Greifen nahe schien. »Und ein Mädchen, das nachher aufräumt, könnte auch gleich mitkommen.«

Elena überlegte nicht lange. Das müsste Mancuso eigentlich gefallen. Und falls nicht, dann würde eben sie stillschweigend die Rechnung übernehmen. Es war zwar unwahrscheinlich, dass ein Millionär, der mehr als 30.000 Euro pro Woche für eine gecharterte Yacht ausgab, wegen jeder Extraausgabe gefragt werden wollte, aber man wusste ja nie. Vielleicht mochte dieser Mann, den Elena durchaus als Kontrollfreak einschätzte, auch prinzipiell keine Überraschungen.

Womit sie völlig richtig lag, wie sich nur allzu bald herausstellte.

3. Kapitel

In einer eleganten Kurve umkreiste das Polizeiboot die Yacht, bevor es sich mit leise tuckerndem Motor auf Rufweite näherte. Mit den kroatischen Wortfetzen, die zwischen den zwei Uniformierten und Drago hin- und herflogen, konnte Elena nichts anfangen. Wahrscheinlich ging es bloß um irgendein Formular, das sie ausfüllen sollten. Vielleicht langweilten sich die Beamten auch nur und wollten sich die Luxusyacht aus der Nähe ansehen.

Automatisch blickte Elena auf ihr Handgelenk. Noch nicht einmal acht Uhr, kein Wunder, dass außer ihr und dem Skipper noch niemand auf zu sein schien. Sie selbst war freilich seit der ersten Morgendämmerung munter. Wann immer das Wetter es erlaubte, schlief sie an Deck. Weil es für sie nichts Schöneres gab, als unter einem samtschwarzen Sternenhimmel zu liegen, so dunkel und gleichzeitig hell funkelnd, wie es ihn nur in der Wüste oder auf dem Wasser zu sehen gab. Und mit der ersten Ahnung des anbrechenden Tages aufzuwachen, wenn sich der Mond noch schwach vom zarten Blau des Firmaments abhob und die Welt wie frisch geputzt aussah.

Wenigstens machten die Motoren im Leerlauf keinen Krach, als das Polizeiboot an der Backbordseite der Seacloud zum Stillstand kam. Elena strich das überlange T-Shirt glatt, das ihr je nach Bedarf als Strandkleid oder Nachthemd diente.

»Was ist los, Drago?«

»Inspektor Srna bittet um Erlaubnis, an Bord zu kommen.«

»Was will denn die Polizei bei uns?«

»Herausfinden, ob wir jemand vermissen.«

»Nein, uns geht niemand ab. Hast du ihm das nicht gesagt?« Unwillig schüttelte Elena den Kopf. »Jedenfalls waren gestern Abend alle da, heute habe ich natürlich noch niemand gesehen. Außer dich. Mirko schläft sicher auch noch.«

»Der Inspektor möchte sich selbst überzeugen, dass keiner fehlt.«

»Wie will der gute Mann das feststellen? Und wozu überhaupt?«

»Ganz einfach, er muss nur eure Daten in den Computer eingeben. Ihr seid alle registriert. Dich habe ich in Rovinj einklariert und die anderen gestern, gleich nach der Ankunft. In der Hafenkommandantur von Dubrovnik. Normalerweise muss man das persönlich erledigen, aber ich kenne da wen …«

Bevor Drago weitersprechen konnte, überschüttete ihn der Polizeibeamte mit einem Redeschwall, der ebenso abrupt endete wie er angefangen hatte.

»Es wurde eine Leiche gefunden, die man noch nicht identifiziert hat. Daher werden jetzt alle Boote überprüft …«

»Und deshalb soll ich unsere Gäste aufwecken? Wir haben damit nichts zu tun! Sag deinem Inspektor, er soll später wiederkommen.« Nur mit Mühe rang sich Elena ein Lächeln ab. »Ich will ja nicht unfreundlich sein, aber …«

»Was geht hier vor?« Elena fuhr herum, als sie Leonardo Mancusos Stimme vernahm. Im Gegensatz zu ihr, die noch immer in dem zerknitterten Baumwoll-Shirt dastand, sah er in seinem hellblauen Hemd und der langen weißen Hose wie aus dem Ei gepellt aus. »Kein Problem, ich habe nichts dagegen, dass der Mann seine Pflicht tut«, sagte er gelassen, nachdem ihm Drago die Situation erklärt hatte. »Aber vielleicht sollten wir ihm zuerst einen Kaffee anbieten, damit die anderen Zeit haben, sich anzuziehen.« Mit einem maliziösen Grinsen betrachtete er das Nachtlager, das Elena auf einer der Matratzen des Badedecks aufgeschlagen hatte.

Der Seitenhieb saß, gestand Elena sich ein, als sie Decke und Polster zusammenraffte und in ihre Kabine eilte. Die Situation war mehr als zweideutig. Sie hätte es Mancuso nicht einmal übel nehmen können, wenn er daraus falsche Schlüsse zog. Weiß der Teufel, was er jetzt dachte. Vielleicht gar, dass sie hier heroben mit Drago schlief? Sie beschloss, die Lage bei erster Gelegenheit zu klären, aber das musste warten. Jetzt war dafür mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt.

Als Elena zwanzig Minuten später den Salon betrat, werkte Mirko an der Espressomaschine. »Signor Mancuso und der Polizist sind versorgt, Signorina Francesca und Signor Titus wollen ihren Kaffee erst später, also bist jetzt erst einmal du dran«, sagte er und drückte Elena einen Cappuccino in die Hand. »Sie sind alle auf dem Oberdeck, nur Signor Zammit fehlt noch.«

»Dasselbe für mich, bitte.« Wie auf ein Stichwort tauchte der Kopf des Maltesers im Treppenaufgang auf. Er war sichtlich noch verschlafen und versuchte erst gar nicht, das Gähnen zu unterdrücken. »Verschönerung folgt«, brummte er und strich sich über das unrasierte Kinn. »Guten Morgen, Elena! Sagen Sie, was hat die Polizei bei uns zu suchen?«

»Bald nichts mehr, da Sie sich ja offenbar bester Gesundheit erfreuen«, fertigte Elena ihn kurz angebunden ab. Smalltalk in aller Herrgottsfrüh – darauf hatte sie nun wirklich keine Lust.

»Welche Laus ist denn Ihnen über die Leber gelaufen? Oder sind Sie um diese Tageszeit immer so schnoddrig? Ich habe doch nur höflich gefragt …«

Schuldbewusst verzog Elena den Mund zu einem Lächeln. Yannis konnte ja wirklich nichts dafür, dass heute nichts so lief, wie es sollte. »Verzeihen Sie, aber eine Leiche auf nüchternen Magen bekommt mir nicht.«

»Welche Leiche? Wer ist gestorben? Doch nicht Leonardo?« Mit weit aufgerissenen Augen ließ Yannis seinen Blick zwischen Elena und dem Schiffsjungen hin- und herwandern.