Mörderisches Bergisches Land - Regina Schleheck - E-Book

Mörderisches Bergisches Land E-Book

Regina Schleheck

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Beschreibung

Schieferwände und von Schluchten durchzogenes Gelände. Kriegspfade und Pilgerwege. Wiege des Neandertalers wie weltweiter Innovationen. Touristenmagnet zwischen Natur und Industriekultur: Das Bergische Land war und ist nichts für Bequeme, sondern Bewährungsort für Bauern, Businessmenschen und natürlich Biker. Das Konfliktpotenzial dieser Region der Gegensätze führt Regina Schleheck, gebürtig und ansässig im Bergischen, in 11 Kurzgeschichten zu krimineller Blüte.

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Regina Schleheck

Mörderisches Bergisches Land

11 Krimis und 125 Freizeittipps

Zum Buch

Abgründig Bergisch Wer beim Bergischen Land Wanderschuhe assoziiert, mag auf die falsche Fährte geraten: Nicht der gebirgigen Landschaft verdankt die Region ihren Namen, sondern dem Adelsgeschlecht derer von Berg, das sie zu politischer Blüte brachte. Bodenschätze, Wasserreichtum und protestantisches Ethos sorgten für wirtschaftlichen Boom. Natur und Kultur zeichnen es als (Nah-)Erholungsgebiet aus, das per Pedes, auf Rädern, Schienen, auch schwebend, erobert werden kann. Dass in Schluchten und Schlachten gelegentlich jemand auf der Strecke geblieben sein dürfte, führt Regina Schleheck in 11 spannenden Kurzkrimis mit verschiedenen Protagonisten an unterschiedlichsten Schauplätzen auf bitterböse, schwarzhumorige und zu Herzen gehende Weise aus. Trotz der historischen Namensherkunft: Eines können Land, Leute und Lektüre nicht: platt.

Regina Schlehecks Biografie hat in ihrer Bibliografie Niederschlag gefunden. In der Bergischen Metropole Wuppertal geboren, in Köln aufgewachsen, lebt die hauptberufliche Oberstudienrätin, freiberufliche Autorin, Herausgeberin und Referentin sowie fünffache Mutter heute in Leverkusen an der Grenze von Rheinland und Bergischem Land. Seit 2002 veröffentlicht sie Kurzgeschichten, Erzählungen, Romane, Hörspiele und mehr, wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Phantastik Preis sowie dem Friedrich-Glauser-Preis in der Sparte Kurzkrimi. Mit dem „Mörderischen Bergischen Land“ legt sie nun den vierten Krimi-Band im Gmeiner Verlag vor, jeder davon mit eigenem biografisch begründeten regionalen Schwerpunkt.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Mörderisches Leverkusen und Umgebung (2018)

Der Kirmesmörder - Jürgen Bartsch (2016)

Wer mordet schon in Köln? (2016)

Impressum

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2019

Lektorat: Katja Ernst

Herstellung: Julia Franze

E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © sehbaer_nrw / stock.adobe.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6174-3

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Fieberkurve

 

Vibrieren auf Glas. Sie schreckte aus wirren Träumen hoch. Corega-Tabs und Power-Sprühflaschen wirbelten im Schleudergang durch ihr Hirn, verblassten, die Drehzahl verlangsamte sich. Der Schwindel blieb. Verfluchte Frittierkörbe! Horst war in dem Punkt seit einigen Wochen überpenibel. Der »Wütenden Wanze« 1  war das Gesundheitsamt auf den Panzer gerückt. Manchmal schaffte sie es einfach nicht. An Sonn- und Feiertagen bei entsprechendem Wetter brummte die Bude. Aus Hückeswagen 2, Wipperfürth 3, Radevormwald 4  und Wermelskirchen 5  kamen sie zur Bever-Talsperre 6  gefahren, geknattert und geradelt. Marga konnte gar nicht so schnell Fritten nachbrutzeln, wie sie ihr aus den Händen gerissen wurden. Wer mochte da nach Feierabend noch zur Bürste greifen? Klar, wenn sie es zu lange vor sich herschob, hatte sie ein Problem. Aber auch Tricks parat. Manuell. Maschinell. Im Eimer einweichen. Kochendes Wasser, konzentriertes Spülmittel, Essig, Grill- oder Gebissreiniger. In einen Kopfkissenbezug stopfen und im Kochgang in der Waschmaschine. Mit Natronlauge oder WC-Reiniger in der Wanne. Rückstände mussten eliminiert, Fett aufgefangen, gesammelt und entsorgt werden. Dennoch: Sollte nicht jeder seins wegkriegen?

Ihr Kopf dröhnte. Doch der letzte Gedanke gab ihr Kraft. Sie rollte auf die Seite und griff nach dem Smartphone auf dem Nachttisch. Dabei fegte sie ihren Ring von der Glasplatte. Jürgens Foto im Aufstellrähmchen guckte streng. Sie drehte es zur Wand und tastete ächzend auf dem Boden nach dem Ring. Er musste unters Bett gerollt sein. Der Ring. Jürgen war seit gestern nicht wieder in die gemeinsame Schlafstätte geplumpst. Wie sollte man diesen Vorgang auch anders bezeichnen? Sein aktueller Leibeszustand hatte mit dem im Rähmchen nicht mehr viel gemein. Die Sprungfedern ächzten, wenn er sich auf der Matratze niederließ. Wenn er sie – hieß es »zunehmend selten« oder »abnehmend häufig«? – bestieg, wusste sie oft nicht, was ihr größere Sorge bescherte: dass der Rahmen nachgeben oder seine Oberarmkraft nachlassen könnte. Sobald er kam, wand sie sich blitzschnell unter ihm hervor, um nicht unter drei zuckenden Zentnern begraben zu werden. Atemberaubende Körperfülle!

Erschwerend kam hinzu, dass ihr BMI auch nicht mehr dem im Bilderrähmchen links neben dem Bett entsprach. Dass Jürgen ihr die BMW überlassen hatte, lag nicht nur daran, dass er sich etwas Besseres leisten wollte. Er hatte Ballast loswerden wollen. No more Sozia. Seitdem fuhr er solo.

Mühsam stemmte sie sich hoch, rollte auf den Rücken. »Get up!«, sang es in ihrem Kopf. »Like a sexmachine!« Entsperrte das Smartphone. 7 Uhr! Wie lange hatte sie geschlafen? Eine Nachricht. Die Buchstaben auf dem Display tanzten vor ihren Augen. »Geilomat«, entzifferte sie, war gleichzeitig sauer und fühlte sich ertappt. Konnte er Gedanken lesen? Nach zwei Jahrzehnten hatte sich ein gewisser Gleichklang eingestellt. Neben dem, was ihr zunehmend zu schaffen machte. Die Augen tränten. Sie legte das Handy weg. Wo war das Fieberthermometer? Tastete das Laken ab. Erst als sie das Kopfkissen mit einem Ruck wegzog, war das blöde Teil wieder da. Der Schleudergang auch. Was half: Hochlage, Kissen unter den Kopf stopfen, Schrankknauf fixieren, Temperaturmesser unter die Zunge, Nasenatmung, Konzentration.

Nicht einmal angerufen von unterwegs! Gefragt, wie es ihr ging. Nur eine Messenger-Nachricht am zweiten Tag. Geilomat!

Ping! Als sie das Thermometer herausziehen wollte, klebte es an der Zunge. Ein Himmelreich für einen Tee! Wenigstens ein Wasser! Anzeige fixieren. Blinzeln. 39 noch was.

Die Tour war ihm wichtiger gewesen. 39 noch was und Jürgen jottwedee. Kawa, Kumpels, Campen. Skihütte Egen 7 ! Ein Witz! Es ging nur ums Saufen! Zwei Stunden im großen Bogen um die Kerspetalsperre 8, Abstecher in den Märkischen Kreis, über Großfastenrath 9  zurück, in der Hütte aufschlagen, Jungskram machen. Am nächsten Tag schliefen sie bis abends den Rausch aus, ehe sie wieder halbwegs auf den Maschinen sitzen konnten, um die paar Kilometer bis nach Hause zu schaffen.

»Eine Männertour, komm, Marga!«, hatte er gesagt. Gemeint: »Geh! Bleib weg!« Ergänzte: »Dir geht’s doch eh nicht gut. Dann hast du deine Ruhe. Morgen Abend bin ich zurück. Versprochen! Heike, Moni und Beate bleiben auch zu Hause.«

Okay. Aber die lagen jetzt nicht mit 39 noch was im Bett. Sie hatte an ihn gedacht! Obwohl es ihr selbst richtig scheiße ging! Eine Tüte Pommes und Würstchen eingepackt für ihn, Frittenfett abgefüllt. Horst um eins gesagt, es ginge nicht mehr. Erst auf dem Heimweg hatte sie gemerkt, wie sehr es sie erwischt hatte. Jede Streife hätte sie angehalten, so war sie geschlingert.

Als sie die Lider schloss, tanzten rote Pünktchen darunter. Hinter der Stirn rumorte es. War da nicht noch was gewesen? Auf dem Display! Der rote Punkt auf dem Telefonsymbol. Hatte er doch angerufen und sie es schlicht verpennt? Was hatte sie noch deliriert? Irgendwas mit den Frittenkörben, die sie nicht mehr gereinigt hatte. Erneut tränten die Augen, als sie das Smartphone entsperrte. Auf der Anrufliste Horsts Name. Klar! Wenn es nach ihm ginge, stände sie heute Abend wieder in der Küche. Ätzende Tipperei mit glühenden Fingern. Buchstabe für Buchstabe. Groß: »BIN KRANK!« Den Zusatz »LMAA« sparte sie sich. Ließ das Telefon fallen. Die Zunge klebte am Gaumen. Was half’s? Abwarten und Tee trinken war nicht. Aufstehen und Tee machen!

Der Weg zur Küche: hochstemmen, torkeln, festklammern. Wie viel Kraft es kostete, den Wasserkocher zu füllen und zurückzustellen! Fritten und Würstchen standen da wie bestellt und nicht weggeräumt. Sie stopfte sie in den Kühlschrank. Wer weiß, wie spät es werden würde. Sein Essen konnte er sich diesmal selbst machen. Das Fett! – Lag die Flasche noch im Fahrradkorb? Sie erinnerte sich nicht, sie ins Haus getragen zu haben. Da war nur Watte im Kopf. Egal! Nicht ihr Problem. Wo hatte Jürgen bloß den Kamillentee verräumt, verdammt? Wahrscheinlich weggeschmissen. Das sah ihm ähnlich. Als er das letzte Mal von seiner Männertour zurückgekommen war – wer hatte ihm Kotzkübel, Waschlappen und Tee gereicht?

Arschloch! Sie würde es ihm zeigen!

*

Doktor Kluthen war Kummer gewöhnt. Wer an der Bevertalstraße ein Häuschen hatte, musste die Menschen ertragen, die es zur Talsperre zog. Trotzdem. Das mit den Motorrädern ging ihm über die Hutschnur. Er hatte den Verkehrsausschuss des Kreises ultimativ aufgefordert, an den Wochenenden bei solchen Wetterlagen eine Straßensperre einzurichten. Also nicht die, die de facto vorlag, wenn die Biker sich an den Imbisswagen versammelten und schwere Maschinen im dreistelligen Bereich rechts abstellten. Links hockten die schwergewichtigen Besitzer breitbeinig auf der Leitplanke, Frittenschale, Bier oder Eistüte in der Hand, mit ledrigen Kumpels fachsimpelnd, die mit Bierdosen davorstanden, die Fahrrinne gefährlich verengend und nur widerwillig zurückweichend, wenn er, Doktor Kluthen, sich mit seinem Cabrio hupend einen Weg zu bahnen versuchte. Ein Parkplatz musste her. Irgendwo unten, schön weit weg. Hinter dem Beverteich. Ein Kilometer Fußmarsch bergauf. Die sollten was tun für ihr Vergnügen! So wie er, Doktor Kluthen, sein Leben lang geschuftet hatte für sein Häuschen in idyllischer Seenähelage. Für einen wohlverdienten Ruhestand, der diesen Namen verdiente: Ruhe. Eine Straßensperre, die ihren Namen verdiente, trug ein Durchfahrt-Verboten-Schild mit dem Zusatz »Anlieger frei«. Okay. Vermutlich würde man noch hinzufügen müssen: »Es ist kein Anliegen, bis an die Bever-Talsperre zu fahren, sein Motorrad am Straßenrand zu parken und sich ebenda an einer der beiden Imbissbuden zu stärken.« Er dachte an die Strecke nach Odenthal 10. Holzkreuze markierten den Weg zum Altenberger Dom. Sie waren den Idioten genauso egal wie das Durchfahrt-Verboten-Schild an der L 101. Nur Linienbusse und Anlieger! Tja. Direkt an der Abzweigung auf die L 310 stand ein Kiosk. Klar kamen die Bullen auf ihren Bikes von Zeit zu Zeit vorbei. Um Broschüren zum Thema Fahrsicherheit zu verteilen. Dann gab’s Polizei-Kaffee gratis und dumme Witze. Die steckten doch alle unter einer Decke! Bei gutem Wetter ging gar nichts mehr. Hupen war keine Lösung. Zumal es den Lärmpegel nur noch erhöhte. Die Krawallos, die meinten, sie müssten den Anwohnern so richtig zeigen, wie viel PS sie unter den Klöten hatten, indem sie ihre Maschinen im kleinsten Gang röhren ließen, erreichte man damit ohnehin nicht. Da war jedes Entgegenkommen für die Tonne. Müll! Noch so ein Thema. Wieso kriegten diese riesigen Kerle in Lederstramplern es nicht hin, ihre Hinterlassenschaften ordnungsgemäß zu entsorgen? Wer die Natur nicht schätzte, hatte ihr gefälligst fernzubleiben. Sollten die sich gleich auf der Deponie treffen! Gut, die in Großenscheidt war eine Erddeponie für Bodenaushub, nicht für Flaschen und Frittengäbelchen. Aber die landeten doch ohnehin alle auf dem Boden!

Fairerweise musste man ergänzen: Es waren auch Frauen dabei. Obwohl. Wie sollte man die unterscheiden, wenn alle Ganzkörperkondome und Helme trugen? Dass darunter gelegentlich Pferdeschwänze hervorlugten, hatte nichts zu sagen. Von Friseurbesuchen hielten die meisten der Herren wenig. Der Körperbau war schon gar kein Indikator. Pferdehintern überwogen bei den Vertretern beiderlei Geschlechts. Allenfalls die Rauschebärte, die beim Hocken auf der Leitplanke entblößt wurden. Manche davon derartige Dickichte, dass man sich wundern musste, wie die Kartoffelstäbchen überhaupt ihren Weg in die Futterluke fanden.

Nein, es gab nicht viel, was Doktor Kluthen den Bikern abgewinnen konnte. Genau genommen nichts. Seit er sich zur Ruhe gesetzt hatte, war kein Tag verstrichen, an dem er nicht darüber nachgedacht hatte, wie er es ihnen zeigen konnte.

Auf einer Fachtagung war er mit einem Dermatologen aus Denklingen 11  zusammengekommen, einem Harley-Davidson-Fan, der auf seiner nächsten Chopper-Tages-Tour bei ihm reingeschneit war. Sie hatten eine kleine Spritztour zum Café Hubraum 12  gemacht und ein Selters genossen. Mit unschöner Regelmäßigkeit, hatte der Kollege geklagt, werde er auf seinen Ausflügen von Motorradfahrern genötigt, dem hippokratischen Eid Folge zu leisten. Ja, es gab neben den Krawallbolzen auch besonnene Biker. Akademiker. Die genauso unter den Chaoten litten.

Der Verkehrsausschuss hatte nicht die Bohne reagiert. Erst Wochen später kriegte Doktor Kluthen den Vorsitzenden ans Telefon. Der Kerl machte seinem Namen alle Ehre. Ausschuss halt! Eine Sperrung käme auf der Strecke überhaupt nicht infrage. Allenfalls könnte man darüber nachdenken, ob man den Imbisswagen die Genehmigung entzöge. Er könnte ja einen entsprechenden Antrag stellen.

»Das ist Ihr Job!«, hatte Doktor Kluthen gebrüllt, dem in dem Moment leider die Contenance flöten gegangen war. Wie kam dieser Idiot dazu, ihn derart abzuwimmeln? Er war Steuerzahler und Wähler. Ohne ihn wäre der andere ein Nichts! Das vermeintliche Nichts hatte sich freundlich verabschiedet und ihm viel Erfolg gewünscht. Doktor Klu­then hatte drei Tage geschäumt, schließlich zähneknirschend einen neuen Antrag geschrieben. Und nichts mehr gehört.

Heute lockte die Sonne den letzten Vandalen hinterm Ofen hervor. Ein heißer Ofen nach dem anderen knatterte an seinem Häuschen vorbei. Aus reiner Notwehr griff Doktor Kluthen schließlich zum Rasenmäher, um den Krach zu überdröhnen. Besser wurde es dadurch nicht. Aber der Rasen machte wieder etwas her. Dafür spannte die Kopfhaut. Der spärliche Haarwuchs! Er hätte sich schützen müssen! Doktor Kluthen verstaute den Rasenmäher im Schuppen, wo auch das Sonnenöl stand, nahm die Flasche mit zur Bank auf der Terrasse, wo er Kopf, Gesicht und Arme einrieb.

ROOOOAAAARRRHHHHHHH!

Doktor Kluthen zuckte zusammen. Jähe Wut packte ihn. Ehe er wusste, was er tat, flog die Sonnenölflasche im hohen Bogen über den Zaun hinweg Richtung Bevertal­straße. Platsch! Dem Geräusch nach hatte er den Hooligan nicht erwischt. Schade um das gute Öl! Doktor Klu­then beschloss, den Rest des Abends vor dem Fernseher zu verbringen.

Arschlöcher! Er würde es ihnen noch zeigen!

*

Horst fixierte die beiden Wagen 324 Meter Luftlinie jenseits des Wassers. Weiß und schwarz. Eine goldene Nase verdienten die sich an den Motorradfahrern. Dem Enzo war das doch in den Schoß gefallen! Der hatte seinen Imbissstand von seinem Onkel geerbt. Während andere um ihre Existenz kämpften! Um das Lokal übernehmen zu können, hatte er, Horst, sich fett verschulden müssen. Und kämpfte seitdem ums Überleben. Dabei war seine Terrasse mit Seeblick diesen Schießbuden am anderen Ufer weit überlegen! Sitzplätze drinnen und draußen, überdacht, umfangreiche Speisekarte, riesiger Parkplatz hinterm Haus. Genau das war aber für diese Mopedmopperer das Problem! Sie hatten während des Essens ihre Augensterne nicht im Blick! Was wiederum nur zeigte, was für Asis das waren. Sportsleute! Sich gegenseitig beklauen oder die Maschinen demolieren! Offensichtlich ging es doch immer nur darum, wer den Größten hatte. Und heimlich pinkelte man sich gegenseitig ans Bein. Zum Glück machten es die Wanderer und Badegäste halbwegs wett. Aber solange jede Tageseinnahmenabrechnung für Horst einen Offenbarungseid bedeuten konnte, gönnte er denen da drüben keinen Cent. Heute war endlich mal wieder richtig was los. Ausgerechnet da musste Marga sich krankmelden! Und war nicht mehr zu erreichen. Klar hatte er ihr gesagt, sie sollte sich hinlegen. Mittagsnickerchen. Bewirkt ja gelegentlich Wunder. Aber für den Abend hatte er fest mit ihr gerechnet. Eine Vertretung würde er so kurzfristig nicht finden. Bis gerade eben hatte er sich die Finger wund telefoniert. Wer weiß. Vielleicht war ihr Akku ja leer. Oder sie hatte das Ding auf lautlos gestellt. Logisch. Im Betrieb verlangte er das von ihr. Aber in ihrer Freizeit konnte er schließlich erwarten, dass sie erreichbar war! Er seufzte. Aufregen half nichts. Er würde nach ihr gucken. Den besorgten Chef markieren.

Fünf Minuten später stand er an der Ecke Beverdamm/Bevertalstraße. Kein Durchkommen. Hunderte Biker rangierten ihre Maschinen hin und her oder standen in Grüppchen rum. Horst fuhr rechts ran, schmiss die Autotür hinter sich zu und marschierte Richtung Enzos Frittenbude. Das wollte er doch mal sehen!

Es dauerte eine gute Viertelstunde, bis er zurück war, die Pappschale auf dem Schoß platzierte und Gas geben konnte. Was für ein Scheißservice! Vorsichtig stocherte er im Fahren mit dem Gäbelchen in der Mayo-Ketchup-Masse, um die Konsistenz der Kartoffelprodukte darunter zu begutachten. Viel zu weiß! Bereits im Begriff mit dem breiigen Belag eine Symbiose einzugehen, die geeignet war, den Verdauungskanal nachhaltig zu verkleistern! Sicherheitshalber schob er sich trotzdem eins der Stäbchen vorsichtig zwischen die Zähne, nachdem er endlich die Kurve gekriegt hatte und bergab Gas geben konnte. Schüttelte sich. Würgte und kurbelte das Seitenfenster runter. Ab in die Pampa mit dieser Pampe! Im Rückspiegel registrierte er befriedigt den satten Matschfleck auf dem Asphalt.

Sein Smartphone piepste. »BIN KRANK!«, las er.

Mit quietschenden Reifen wendete er in voller Fahrt. Ein entgegenkommender Biker wich aus, drohte mit der Faust.

Arschloch! Denen würde er es noch zeigen!

*

Als Doktor Kluthen den ohrenbetäubenden Crash hörte, fiel er fast vom Sofa. Dröhnen, Quietschen, Schliddern von Reifen auf Straßenbelag, Motorjaulen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall, überlagert von helleren Geräuschen, berstendem Metall, Scheppern, Kullern. Plötzlich eintretende Stille. Das Einzige, was fehlte: ein Schrei. Logisch. Der Kerl musste einen Helm aufgehabt haben. Doktor Kluthen schlüpfte in die Slipper, schnappte die Arzttasche und rannte nach draußen. Sah auf einen Blick, dass es keinen Sinn mehr machte, bei einem Menschen mit derartig abgewinkeltem Kopf und zerschmettertem Helm nach Lebenszeichen zu suchen. Eilte dennoch über die Straße zu dem Verunfallten und hätte sich fast langgelegt. Was für eine Sauerei! Eine zerschmetterte Glasflasche in einer Lache von hellem … – War das Frittierfett? Großflächig verteilte zermatschte Überbleibsel einer Schale Pommes mit Mayo und Ketchup. Und – sein Herz setzte für einen kurzen Moment aus – eine zerbrochene Sonnenölflasche! Doktor Kluthen bückte sich blitzschnell, klaubte die schmierigen Plastikteile auf und stopfte sie ins Außenfach seiner Tasche. Als er wieder aufblickte, knatterte ein Motorrad bergauf um die Kurve, näherte sich langsam, stoppte. Eine behandschuhte Pranke klappte das Visier hoch. Weit aufgerissene Augen. Im braunen Bartgestrüpp tat sich ein Abgrund auf, aus dem ein waidwunder Hirsch röhrte: »Neeein! Jürgen!«

 

Freizeittipps:

 1  »Wütende Wanze« (Zornige Ameise)

Die »Wütende Wanze« gibt es nicht. Wohl aber die »Zornige Ameise«, die nicht nur aufgrund ihres großartigen Namens eine Erwähnung – und einen Besuch! – wert ist. Wie der Inhaber, der ebenso wenig wie seine Gastwirtschaft Ähnlichkeit mit der »Wütenden Wanze« und deren Betreiber aufweist, versichert, waren weder das Insekt noch die ihm zugeschriebene Eigenschaft maßgebend für die Wahl des Namens, sondern dessen Besonderheit und Einprägsamkeit gaben den Ausschlag für die Benennung des Ausflugslokals. Der eifrige Googler findet im Ruhrgebiet weitere gastronomische Einrichtungen dieses Namens, die aber nichts miteinander zu tun haben sollen: einen Campingplatz an der Ruhr in unmittelbarer Nähe des Essener Gruga-Geländes, auch eines der Gruga-Bähnchen heißt »Zornige Ameise«, außerdem ein uriges Grilllokal in Essen im Sträßchen »Zornige Ameise« am Ruhrknick in einem historischen Gebäude von 1778: eine ehemalige Glashütte, seit 1858 Brauerei mit angegliederter Gaststätte. Hier findet sich eine Entstehungsgeschichte zum Namen: Mitglieder eines »Trampelklubs« – Wanderer – entdeckten in den 1860er-Jahren eine Ameise in ihrem Essen. Nach einem Disput mit der Köchin wurden sie an die frische Luft befördert, und sie rächten sich, indem sie über der Tür des Hauses ein Schild anbrachten, auf dem stand: »Zur zornigen Migampel« – plattdeutsch für Ameise. Der Wirt fand den Namen offensichtlich ähnlich werbewirksam wie der Besitzer des Ausflugslokals an der Bever-Talsperre, das im Übrigen unter anderem durch seine äußerst attraktive Lage direkt am Wasser besticht.

 2  Hückeswagen

Neben der Bever-Talsperre 6  und der Wupper-Talsperre 23 , die sich im Stadtgebiet befinden, kann die Schloss-Stadt wassertechnisch mit der Lage an der Wupper punkten. Vor allem aber mit ihrer Geschichte, die im Zentrum augenfällig wird. Hückeswagen beansprucht, die älteste Stadt im Oberbergischen zu sein, wenngleich das benachbarte Wipperfürth 3  ebenfalls den Titel für sich reklamiert. Vom Tal aus führt die Marktstraße durch die historische Altstadt hinauf zum Schlossberg. Eins der verschieferten Häuser ist das Geburtshaus von Maria Zanders, geborene Johanny (1839–1904), spätere Kulturstifterin in Bergisch Gladbach 35 .

Das heute von der Stadtverwaltung und als Heimatmuseum genutzte Schloss Hückeswagen wurde 1198 erstmals urkundlich als »castrum Hukingiswage« erwähnt, die Hückeswagener Grafen finden sich bereits 1138 dokumentiert. 1260 verkauften sie ihre Burg an die Grafen von Berg, später wurde diese zum Witwensitz der Gräfin Margarete von Hochstaden, Schwester des Kölner Erzbischofs, der den Grundstein des Kölner Doms legte und den Bürgern der Stadt das Stapelrecht bescherte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ging die Burg nach zahlreichen Verpfändungen und einer Umwidmung zum Schloss im Jahr 1397 in den Besitz der Stadt über. Der Eingang zum Heimatmuseum befindet sich im schiefwinkligen Torturm, dessen Baustil zwischen Spätromantik und Frühgotik liegt. Darin werden Exponate aus fast 1.000 Jahren Orts- und Kirchengeschichte ausgestellt. Achtung: Der Eintritt ist frei, aber nur sonntags, am ersten Samstag im Monat und nach Vereinbarung möglich. Sehenswert sind auch der Bergfried, der »Schelmenturm« genannt wird, und der Schlossgarten mit Pavillon und Rosenanlage.

Vor dem Schlossplatz steht die imposante, 1787 eingeweihte evangelische Pauluskirche, deren Vorgängerbau Sankt Nikolaus 1508 fertiggestellt wurde und nach einem Brand 1753 ersetzt werden musste. Ein weiterer evangelischer Sakralbau, die Johanniskirche in der Kölner Straße 34, wurde 2012 entweiht und wird heute als Kolumbarium genutzt.

Auf dem zentralen Wilhelmsplatz, wo der Besucher eins der zahlreichen gastronomischen Angebote und das Wasserspiel des »Schaschlikbrunnens« genießen kann, steht am Anfang der Islandstraße das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erbaute Montanus-Haus. Es wurde benannt nach dem in der Stadt zwischen 1848 und 1856 als Notar ansässigen Vinzenz Jakob von Zuccalmaglio (1806–1876), der unter dem Pseudonym »Montanus« Heimatgedichte und Theaterstücke veröffentlichte und dafür, obwohl seine Verdienste heute weitgehend unbekannt sind, in vielen Städten nicht nur im Bergischen in mehrfacher Weise gewürdigt wurde. Etwa in seinem Geburtsort Leverkusen-Wiesdorf 42 , 46  mit der Montanusstraße und der Montanus-Realschule. In Burscheid 96  – wo sein Vater, Jacob Salentin von Zuccalmaglio (Jurist und Politiker), 1812 die Musicalische Academie gründete – mit einer Büste in der Montanusstraße. In Bergisch Gladbach, wo er sich als Notariatskandidat betätigte, wurde er mit einem Denkmal in der Fußgängerzone geehrt, es wurde ebenfalls eine Straße nach ihm benannt und eine Plakette seines Namens wird jährlich verliehen. In Remscheid-Lennep 39  gibt es den Montanusweg und in Solingen 28  einen Montanushof.

In der Islandstraße stößt man außerdem auf das Tuchweberdenkmal, das daran erinnert, dass Hückeswagen einmal eins der wichtigsten Zentren der Tuchmacherindustrie war, wovon die Tuchmachervillen an der Bachstraße, da­runter die Villa Schnabel, zeugen.

Historisch bedeutsam und interessant anzusehen, wennauch zu Teilen nur von außen, sind einige erhaltene Mühlen auf dem Stadtgebiet: Die Schnabelsmühle liegt an der Vorsperre der Wupper-Talsperre und wird gastronomisch genutzt. Die Walkmühle befindet sich an der Wupper-Talsperre unterhalb der Ortschaft Pixberg und ist heute ein privates Wohnhaus. Die Hangbergermühle am Dörpebach wird inzwischen ebenfalls als Wohnhaus genutzt.

Wer mit dem Auto nach Hückeswagen kommt, wird sich wundern: Die Ampelmännchen aus der DDR wurden hier 2010 nach einer gewonnenen Wette des Bürgermeisters flächendeckend eingeführt, ohne dass die Stadt dafür zahlen musste.

Wer an Kleinkunst und Veranstaltungen interessiert ist, sollte das Kultur-Haus-Zach in der Islandstraße besuchen – ein ehemaliges Bekleidungsgeschäft von 1908, das immer wieder verschiedenen Zwecken diente und seit 2010 von einem Trägerverein betrieben wird, der aus bürgerschaftlichem Engagement erwuchs. Im Programm sind Kinovorführungen, Musikveranstaltungen und andere Events. Das prächtige Haus kann auch für private Zwecke angemietet werden.

 

 3  Wipperfürth

Die Stadt – deren Name eigentlich »Wupperfürth« lauten müsste, weil die Wipper im oberen Verlauf »Wipper« heißt, ab der »Furth« dann »Wupper« – wurde bereits 1131 als »Wepereforthe« erwähnt und gilt als älteste Stadt im Bergischen Land. Aufgrund ihrer durch den Wasserverlauf geprägten Bedeutung als Handelsverkehrsknotenpunkt nennt sie sich seit 2012 Hansestadt. Mitglied der Hanse war sie seit dem 14. Jahrhundert. Die Flusslage wirkte sich nicht nur auf den Handel, sondern auch auf das Handwerk aus, wovon viele Mühlen zeugen, die Mahl- und Hammerwerke antrieben. 1563 fand das Metallgewerbe bereits Erwähnung, das im 19. Jahrhundert Eisenfabriken, Kupferbergwerke und Schmelzhütten hervorbrachte. Aus einer Knochenstampfmühle entwickelte sich ein chemischer Industriezweig. Doch natürlich gab es in Wipperfürth auch Tuchindustrie. Beredtes Zeugnis legen heute noch einige Namen im Stadtgebiet ab – so zum Beispiel der Ortsteil »Hämmern«, die Straße »Alte Papiermühle«, aberauch manche Gebäude: Die Schnipperinger Mühle an der Lindlarer Sülz beherbergt nach langen Um- und Ausbauten nun wieder eine Speisen- und Schankwirtschaft, die nicht nur den Pächtern der angrenzenden Ferienhäuschen, Campingplatzgästen, sondern zudem Wanderern, insbesondere Familien, offensteht. Die Scheidermühle am Gaulbach, Nagelsbüchel 3 – ehemalige Wassermühle, später Freibad, zuletzt Gaststätte und Hotel –, kann heute nur von außen besichtigt werden. Die Vordermühle, nicht weit entfernt am Bach Dierdorfer Siefen, Zufluss der Lindlarer Sülz, wurde zuletzt als Bäckerei genutzt, ist nun ebenfalls nicht mehr zugänglich. 2014 entstand in der »Villa Ohl« in der Ortschaft Ohl, Sauerlandstraße 7, das Bergisch-Märkische Pulvermuseum, das über die Geschichte der Pulvermühlen im Tal der Wipper informiert. Der Eintritt ist frei, das Museum hat nur sonntags geöffnet.

Die Alte Drahtzieherei in der Wupperstraße 8 ist seit 2007 ein Kultur- und Veranstaltungszentrum. In der ehemaligen Werkshalle des Leuchtmittelproduzenten Radium wurden zwischen 1948 und der Jahrtausendwende Glühfäden aus Wolfram hergestellt. Nach einigen Jahren Leerstand gelang es der Bürgerstiftung »Wir Wipperfürther«, Sanierung und Umbau zur Kleinkunststätte samt Gastronomie zu stemmen.

Nach wie vor sehr belebt ist das Wipperfürther Ortszentrum. Am Marktplatz in prächtigen alten Bauten findet sich ein großes gastronomisches Angebot: Neben dem Gasthaus Penne in einem alten Herrenhaus, dem Hotel Haus am Markt, dem Hansecafé und dem Brauhaus stehen dort das Alte Stadthaus, das Rathaus und die evangelische Kirche, die 1877 eingeweiht wurde, nachdem der Vorgängerbau durch einen Stadtbrand zerstört worden war. Unbedingt sehenswert ist das mit Abstand älteste Gebäude von Wipperfürth, das sich ganz in der Nähe am Kirchplatz befindet: die katholische dreischiffige Pfeilerbasilika Sankt Nikolaus von 1143, die aufgrund ihres ausgewogenen romanischen Stils mit gotischen Elementen als bedeutendster und einheitlichster Kirchenbau im ganzen Oberbergischen Bezirk gilt.

Ebenfalls einen Besuch wert: das ehemalige Franziskanerkloster Wipperfürth auf dem Klosterberg mit der Antoni­uskirche von 1674, heute Sitz einer katholischen Familienbildungsstätte.

Eine interessante lokale Persönlichkeit und einer der erfolgreichsten Textilunternehmer in Deutschland war Alfons Müller-Wipperfürth, geborener Müller – den Namenszusatz ließ er sich 1952 von Stadt und Regierung genehmigen. Er war auch als »rheinischer Hosenkönig« bekannt, denn er gründete in Wipperfürth ein Textilimperium, indem er Anzüge von der Stange entwickelte und im Direktvertrieb per eigener Fahrzeugflotte in seine Läden auslieferte. Auf der Höhe seines Erfolgs verfügte er über 18 Fabriken in sechs Ländern mit mehr als 220 Bekleidungsgeschäften und über 8.000 Mitarbeitern. In seiner Freizeit war Alfons Müller-Wipperfürth ein waghalsiger Hobbyflieger und sprang 1964 bei einem Flugzeugabsturz, der drei Tote forderte, Freund Hein von der Schippe. Dem Zugriff des Fiskus konnte er sich aber nicht entziehen. Nicht nur aufgrund von steuerlichen Problemen, auch weil er den Trend weg vom Anzug zur Freizeitmode verpasst hatte, wurde der Betrieb 1982 schließlich geschlossen.

 

 4  Radevormwald

»Rade«, wie die Einwohner ihre Stadt nennen, bildet mit ihrer Lage 400 Meter über dem Meeresspiegel sozusagen das »Dach des Bergischen«. Seit 2012 trägt sie den offiziellen Namenszusatz »Stadt auf der Höhe«. Der Name »Radevormwald« leitet sich aus »Rodung vor dem Walde« ab. 1050 wurde der Ort als »Rotha« erstmalig urkundlich erwähnt. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts erhielt er von Graf Adolf VI. von Berg Stadtrechte und diente als Bollwerk gegen das märkische Sauerland. Eine wechselvolle Geschichte mit mehreren Eroberungen im 30-jährigen Krieg, Hungersnöten, religiöser Verfolgung und verheerenden Stadtbränden ließ nicht viel historische Bausubstanz übrig.

Die Lage an der Wupper hatte auch hier insbesondere die Textilindustrie befördert, viele mittelständische Unternehmen etablierten sich, aber mit dem Ende des 20. Jahrhunderts war in Sachen Textil nicht mehr viel los. Anbindung und Ausbau des Eisenbahnnetzes um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert waren für den wirtschaftlichen Aufschwung von Radevormwald segensreich. Am 27. Mai 1971 kam es zu einem tragischen Bahnunglück mit 46 Toten, darunter 41 Schüler, als ein Sonder- mit einem Güterzug kollidierte. Auf dem Kommunalfriedhof Am Kreuz erinnert ein Gedenkkreuz an die Toten. Viele Menschen bringen bis heute den Namen der Stadt mit dem Unglück in Verbindung.

Dem lassen sich zum Glück viele Aspekte entgegenhalten, für die sich ein Besuch von Radevormwald und Umgebung lohnt. Geschichtlich Interessierte sollten in der zweitältesten Jugendherberge der Welt an der Telegrafenstraße am Kollenberg einkehren. Das Heimatmuseum am Rathaus in der Hohenfuhrstraße 8 ist sonntags zu besichtigen. Es enthält mehr als 3.000 Exponate zu Handel, Handwerk, Wohnkultur und Stadtentwicklung Radevormwalds. Nach Voranmeldung kann man sogar eine Bergische Kaffeetafel 75  im Haus genießen.

Im Wülfing-Museum auf dem Gelände der ehemaligen Tuchfabrik »Johann Wülfing & Sohn« im Ortsteil Dahlerau, Am Graben 4–6, kann man sonntags und an Thementagen oder im Rahmen von Gruppenführungen die Tuchproduktion anschaulich nachvollziehen und entsprechende Maschinen kennenlernen, deren Bedienung von früheren Mitarbeitern des Unternehmens vorgeführt wird. Das Museum liegt übrigens an einer Fahrraddraisinenstrecke von der Stauseebrücke in Beyenburg 53 , 86  über Dahlerau, Dahlhausen bis Wilhelmsthal, ehrenamtlich betrieben von dem Verein Wuppertrail mit neun Draisinen, die acht Kilometer über Schienen an der Wupper entlangführt. Zwei rollstuhltaugliche Wagen sollen noch dazukommen. Je vier bis fünf Personen finden auf jedem Gefährt Platz, zwei bis drei müssen in die Pedale treten, um den Passagieren tolle Ausblicke zu gewähren: Neben dem Industriemuseum sieht man den Stausee, passiert eine alte Dampflok und ehemalige Bahnhöfe, aber vor allem kann man das Grün der idyllischen Wupperauen genießen. Für Wanderer und Radfahrer werden darüber hinaus in der Umgebung von Radevormwald viele Touren angeboten. Unter anderem führt der Graf-Engelbert-Weg durch Radevormwald.

Von ehemals zahlreichen Mühlen gibt es nicht mehr viele in der Umgebung zu entdecken, einige wurden niedergelegt oder mussten Talsperren weichen. Die noch vorhandenen sind meist nur von außen zu besichtigen. Die »Oberste Mühle« unter gleichnamiger Adresse an der Uelfe ist heute eine Gaststätte.

Apropos Gastronomie: Der in der Geschichte genannte Imbisswagen von Enzo hat einen realen Bezug, die geschilderte Qualität seiner Pommes ist hingegen rein fiktiv. Der Imbisswagen seines Vorbilds Renzo Valenti soll mittlerweile in Radevormwald-Rädereichen auf einem Grundstück direkt am Kreisverkehr einen neuen Standort gefunden haben, wo er außer Pommes und Currywurst auch selbst gemachtes Eis an Motorradfahrer, Berufspendler und Beschäftigte des Industriegebietes verkauft.

Noch ein imbissgastronomisches Bonbon zu Radevormwalde: 1963 erfand Friedhelm Selbach – Gründer der Friedhelm Selbach GmbH, die Getränke-Technologien wie Kühl- und Zapfgeräte vertreibt – hier zwar nicht die Currywurst, aber doch ein affines Erfolgsprodukt: den Currywurstschneider.

 

 5  Wermelskirchen

Der Ort wurde um 1150 erstmalig urkundlich als »Werenboldeskirken« erwähnt. In der Hansezeit – Mitte 12. bis Mitte 17. Jahrhundert – spielte Wermelskirchen eine wichtige Rolle beim Warentransport über Land, bis ins 18. Jahrhundert waren Fuhrunternehmen ein wichtiger Erwerbszweig für die Ortschaft.

1873 erhielt Wermelskirchen Stadtrechte, heute gibt es drei Stadtteile – Wermelskirchen, Dabringhausen und Dhünn. In allen dreien finden sich historische Gebäude, vor allem Fachwerkbauten, die unter Denkmalschutz stehen: im Wermelskirchener Stadtzentrum, am Markt und im Eich ganze Fachwerkhäuser-Ensembles, darunter der Kunstverein, das Restaurant Bergischer Löwe von 1758, die Bürgerhäuser an der Eich mit der Musikschule und das Hotel Zur Eich. In Dhünn-Haarhausen steht das älteste Fachwerkhaus Wermelskirchens, das aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammt, in Dhünn-Krähenbach ein weiteres, das 1583 errichtet worden sein muss. In Dabringhausen-Großeledder kann man ein Barockhaus von 1777 bewundern.

Die im Zuge der Reformation zu einem evangelischen Sakralbau umgewidmete romanische Bartholomäuskirche am Wermelskirchener Markt stammt ursprünglich aus dem 11. Jahrhundert, heute ist nur noch der Turm aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Seit 2002 ist die Michaelskapelle wieder zugänglich, die sich im zweiten Geschoss des Turms befindet und der älteste Teil der Kirche ist. Im 18. Jahrhundert wurde die Dachkonstruktion saniert und durch eine barocke Schweifhaube mit Zwiebelspitze ersetzt. Das Langhaus wurde 1838 abgerissen und im Stil des preußischen Neoklassizismus neu gebaut.

An der Kölner Straße steht die katholische neugotische Kirche Sankt Michael. Von dem ursprünglichen Bau aus dem 19. Jahrhundert ist ebenfalls lediglich der Turm erhalten geblieben. Das Schiff wurde 1952 niedergelegt und wieder errichtet.

Wer nach dem Besuch der Stadtkirche noch Bewegungsdrang verspürt: Gleich hinter der Kirche beginnt ein Wanderpfad durch eine Park- und Freizeitanlage, die nach kurzer Zeit zum Eifgenbach 113  führt.

Nur wenige Minuten in der anderen Richtung, an der oberen Remscheider Straße, kann man einen 1870 gepflanzten, mittlerweile 26 Meter hohen Riesenmammutbaum bewundern, der alljährlich zu einem der größten lebenden Weihnachtsbäume Europas geschmückt wird.

Wer das Exotische liebt: Unter der Adresse Emminghausen 80 befindet sich eine Farm, auf der Strauße und Bisons gehalten werden – zum Anschauen der Tiere und Kaufen entsprechender Produkte.

In Wermelskirchen sind überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen angesiedelt, doch auch das größte Unternehmen in der Region Rhein-Berg ist hier mit seinem Hauptsitz vertreten: Der Baumarktfachhändler Obi betreibt europaweit insgesamt 580 Baumärkte, 350 davon in Deutschland. 1970 wurde der erste in Hamburg-Poppenbüttel eröffnet. Das fünftgrößte Unternehmen, die Emil Lux GmbH, wurde 1918 in Wermelskirchen gegründet und ist dort nach wie vor ansässig. Sie liefert Werkzeuge und Schneidwaren innerhalb Deutschlands und nach Osteuropa aus und vertreibt mittlerweile mehr als 13.000 Do-it-yourself-Produkte.

Bis Ende der 60er-Jahre war die Schuh- und Schäfteproduktion ein bedeutender Wirtschaftszweig Wermelskirchens. Die Ende des 19. Jahrhunderts errichtete Kattwinkelsche Fabrik in der Kattwinkelstraße 3 ist eins der wenigen erhaltenen Zeugnisse aus jener Zeit. Heute ist das denkmalgeschützte Gebäude Begegnungs- und Kulturzentrum der Stadt, wo unterschiedlichste freizeitpädagogische und soziokulturelle Aktivitäten für alle Bevölkerungsschichten angeboten werden. Seit 1991 ist auch die Stadtbücherei hier untergebracht.

Ein weiteres Beispiel der Umnutzung von Zeugnissen der Industriegeschichte ist der Panorama-Radweg Balkantrasse 74 , der durch Wermelskirchen führt – auf einer ehemaligen Güterbahnstrecke.

Einer der bekanntesten Söhne der Stadt, wenngleich letzten Endes prägend für eine andere, ist Carl Leverkus (1804–1889). Nachdem der studierte Pharmazeut keine Zulassung für eine Apotheke bekommen hatte, wandte er sich der Herstellung von Farben zu und verlegte seine Fabrik nach Wiesdorf 46  am Rhein. Die dort neu entstehende Siedlung wurde nach ihm benannt. Nach seinem Tod kauften die Elberfelder Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co AG 43  seinen Betrieb und das Gelände und übernahmen für den immer weiter wachsenden Ort den Namen Leverkusen 42 .

Für Biker ist Wermelskirchen eine besondere Adresse: Von April bis Oktober findet in der Scheune von Rolf und Gabi Sonnborn im Ortsteil Eipringhausen an jedem dritten Sonntag im Monat seit einem Vierteljahrhundert ein Motorradgottesdienst 12  statt, an dem jedes Mal mehrere hundert Menschen teilnehmen.

 

 6  Bever-Talsperre

Wenn man sich der Bever-Talsperre von Hückeswagen über die Bevertalstraße nähert, kommt man zunächst am Beverteich vorbei. Der Weg führt bergauf und schnell wird klar, warum er eine beliebte Motorradstrecke ist (wie viele andere Straßen im Bergischen): Höhen und Tiefen, Kurvenlagen und viel Natur. Oben angekommen geht es auf der K5 direkt am Wasser weiter – ein wunderbarer Ort, um anzuhalten und eine kurze Pause einzulegen. Schade, dass hier kein Imbisswagen steht … Bis 2016 waren es gleich zwei – und bis zu 200 geparkte Motorräder, die ein Durchkommen mühsam machten, zumal die Fahrer auf den Leitplanken gegenüber hockten. Aus diesen Gründen musste der beliebte, Jahrzehnte alte Bikertreff nach Beschwerden von Anwohnern – und wie es hieß Konkurrenten – schließen. Eis- und Imbisswagen räumten das Feld und mit ihnen die Kundschaft. Als Biker-Treff-Alternative bietet sich die »Zornige Ameise« 1  an – mit Parkmöglichkeiten hinterm Haus. Renzo Valentis Wagen steht nun in Rade 4, wo ihn viele der Motorradfahrer weiterhin besuchen.

Der Freizeitwert der Bever-Talsperre ist dadurch nicht beeinträchtigt. Als sie 1898 fertiggestellt wurde, war sie die erste Nutzwasser-Talsperre 8  des Wuppergebietes. Nach der Erweiterung 1938 war sie bis zur Fertigstellung der Wupper-Talsperre 23  1987 mit einem Inhalt von 23,7 Millionen Kubikmetern zudem die größte. Es gibt vier ausgewiesene Badestellen an vier Seitenarmen, an anderen ist es nicht verboten zu schwimmen, allerdings auch nicht erwünscht, da sie für Rettungskräfte nur schwer erreichbar sind. Außerdem finden sich dort vier Zeltplätze und Wohnmobilstellplätze.

Am südlichen Ufer des westlichen Seitenarms liegen die Campingplätze Käfernberg und Großberghausen einander gegenüber. Viele Stammgäste sind hier anzutreffen, aberauch »neues« Publikum, während der Campingplatz Müller in Mittellage ausschließlich Dauercampern vorbehalten ist. Der nördlichste Platz, »Im Kellerchen« in Großhöhfeld, beherbergt ebenfalls überwiegend Dauergäste. Gastronomische Versorgung mit Seeblick garantieren neben der »Zornigen Ameise« das »Haus am See« am Campingplatz 1, wo man zudem Tretboote ausleihen kann, die »Bever-Klause«, Großberghausen 18 und der »Beverblick«, Beverblick 1. Überall hier und am Käfernberg darf man offiziell baden.

Technisch Interessierte können montag- bis donnerstagvormittags an Besichtigungen durch die Stauanlage teilnehmen (nach Vereinbarung).

Außer Motorbooten sind sämtliche Wasserfahrzeuge auf der Talsperre erlaubt, allein drei Segelsportvereine sind dort ansässig, die auch nationale Regatten veranstalten. Seit 2001 finden auf der Bever-Talsperre darüber hinaus Drachenbootrennen 86  statt. Daneben kann man dort tauchen und angeln. Die Wasserqualität ist laut Umweltministerium gut. Und natürlich lädt die gesamte Region um den See nicht nur zum Motorradfahren, sondern zu Wander- und Fahrradtouren ein.

 

 7  Skihütte Egen

Der Skiclub Remscheid Weiß-Blau betreibt am Platzweg in der Ortschaft Egen seit über 80 Jahren die Rudolf-Günther-Hütte. Erst 2018 jedoch wurde das Grundstück offiziell erworben. Auch Clubfremde können die zweistöckige Blockhütte anmieten, bis zu elf Selbstversorger darin nächtigen. Die obere Etage enthält zwei Schlafräume und die »Hasenstube« mit Tischen und Bänken und umlaufender geräumiger Holzterrasse. Parterre beziehungsweise Hanglage bedingt im Souterrain befindet sich ein geräumiger Partyraum mit Sitzgelegenheiten, bei dessen Nutzung man keine Bedenken haben muss, was die Dezibel der Musikbeschallung angeht: Die Location liegt einsam im Wald von Wipperfürth zwischen der Bever- und der Neye-Talsperre, die der Remscheider Trinkwasser-Versorgung dient und daher für Wassersport tabu ist. Weshalb sich von der Hütte aus auch ein Rundwanderweg über die Bever- zur Neye-Talsperre, an deren Ufer entlang in Richtung In den Eicken und zurück nach Egen anbietet.

Die Ortschaft Egen liegt auf der Wasserscheide zwischen den Bächen Bever und Lüttgenau, nicht weit von der Quelle des Egenbachs. 1548 wurde sie zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Ein »Jorgen op dem Eigen« wurde in den Listen der Bergischen »Spann- und Schüppendienste« angeführt. Er war demnach zu Frondiensten verpflichtet, musste Zugvieh und Geschirr für die Obrigkeit zur Verfügung stellen, außerdem bei der Anlage von Straßen, Wassergräben und Landwehren oder Rodungen helfen. Sehenswert: die 1850 errichtete katholische Bruchsteinsaalkirche »Unbefleckte Empfängnis«, die unter Denkmalschutz steht.

 

 8  Kerspetalsperre

Die Kerspetalsperre befindet sich im Oberen Volmetal an der äußersten Ostgrenze des Oberbergischen Kreises, gehört zu größten Teilen bereits zum Märkischen Kreis und liegt auf den Stadtgebieten der Städte Wipperfürth, Halver und Kierspe. Ihren Namen verdankt sie der Kerspe, einem rechtsseitigen Nebenfluss der Wupper beziehungsweise Wipper, den sie staut. Sie versorgt die Städte Wuppertal, Wipperfürth und Remscheid mit Trinkwasser und liegt im Wasserschutzgebiet, weshalb der Zugang zum Ufer durch einen Zaun versperrt wird. Neben der Trinkwassergewinnung speist sie eine kleine Wasserkraftanlage. Sie fasst 15,5 Millionen Kubikmeter Wasser, von denen 20 Millionen Kubikmeter jährlich entnommen werden, täglich maximal 70.000 Kubikmeter.1912 wurde die ursprüngliche Staumauer fertiggestellt, 1990 saniert und verstärkt.

Da in den Tipps nur eine kleine Auswahl der Fülle an Talsperren im Bergischen Land Platz findet, werden sie an dieser Stelle mit Angaben zu Ort, Fertigstellung, Nutzung und Größe in Hinsicht auf die Wasseroberfläche aufgelistet, gestaffelt nach Größe:

* Große Dhünn-Talsperre bei Kürten 87, Trinkwassertalsperre, 1985, 440 Hektar

* Wupper-Talsperre 23  bei Hückeswagen 2, Nutzwassertalsperre, 1987, 225 Hektar

* Wiehltalsperre 71  bei Reichshof 70, Trinkwassertalsperre, 1973, 220 Hektar

* Bever-Talsperre bei Hückeswagen 2, Nutzwassertalsperre, 1898, 200 Hektar

* Kerspetalsperre bei Großfastenrath 9, Trinkwassertalsperre, 1912, 150 Hektar

* Aggertalsperre bei Bergneustadt 68, Nutzwassertalsperre, 1928, 140 Hektar

* Neyetalsperre bei Wipperfürth 3, Trinkwassertalsperre, 1909, 68 Hektar

* Genkeltalsperre bei Gummersbach 81, Trinkwassertalsperre, 1952, 64 Hektar

* Herbringhauser Talsperre bei Wuppertal 32, Trinkwassertalsperre, 1901, 29,3 Hektar

* Lingese-Talsperre bei Marienheide 76  Nutzwassertalsperre, seit 1899, 38,8 Hektar

* Sengbachtalsperre bei Solingen 28, Trinkwassertalsperre, 1903, 20 Hektar

* Beyenburger Stausee 86  bei Wuppertal 32, ursprüngliche Nutzwassertalsperre, 1953, 15,5 Hektar

* Stausee Ehreshoven bei Engelskirchen 73, Nutzwassertalsperre, 1932, 15,4 Hektar

* Biebersteiner Stausee bei Reichshof 70, Nutzwassertalsperre, 1936, 14,4 Hektar

* Eschbachtalsperre bei Remscheid 30, Trinkwassertalsperre, 1891, 14 Hektar

* Talsperre Diepental bei Pattscheid 102, Nutzwassertalsperre, 1908, 9 Hektar, verlandet aktuell

* Schevelinger Talsperre bei Wipperfürth 3, Trinkwassertalsperre, 1941, 8 Hektar

* Brucher Talsperre 85  bei Marienheide 76, 1913, Nutzwassertalsperre, 4,7 Hektar

* Panzertalsperre, bei Remscheid-Lennep 30, ursprüngliche Trinkwassertalsperre,1893, 3 Hektar

* Ronsdorfer Talsperre bei Ronsdorf 114, ursprüngliche Trinkwassersperre, 1899, 2, 47 Hektar

Wer die Kerspetalsperre umrunden möchte, kann dies auf einem etwa 14 Kilometer langen Wanderweg durch das umgebende Waldgebiet tun, der jedoch nur wenige Aussichten auf das Wasser freigibt und weitgehend auf asphaltierten und befestigten Straßen verläuft. Hinweisschilder informieren zum Thema Wasser und Trinkwasserversorgung, und es gibt eine kleine Freiluftausstellung von historischen Armaturen, die früher im Betrieb verwendet wurden.

 

 9  Großfastenrath

1445 erstmalig als »Vastenroede« urkundlich erwähnt, nannte sich der Ort 1715 bereits »gr. Fastenrod« und umfasste drei Höfe. Über hundert Jahre später zählten sieben Gebäude zu »Gr. Fastenrath«, wie er zu jener Zeit hieß. Heute liegt Großfastenrath 300 Meter von der Kerspetalsperren-Staumauer entfernt, auf der Grenze des Oberbergischen Kreises. Dass es kein allzu heimeliger Wohnort war, davon zeugen noch die als Bodendenkmäler geschützten Reste einer Landwehrlinie, die im Norden und Südwesten des Ortes verlief. Diese Linie ist von Wuppertal-Elberfeld bis nach Marienheide-Krummenohl nachweisbar. Eine Datierung ist bisher nicht eindeutig, manche verorten ihren Ursprung in der karolingischen Zeit, doch die Mehrzahl der Historiker geht davon aus, dass das Herzogtum Berg damit die Landesgrenzen gegen Einfälle aus dem Märkischen zu sichern versuchte. Mindestens aber diente die Befestigung dazu, Zollgrenzen zu markieren und Menschen daran zu hindern, die Grenzen einfach außerhalb der angelegten und mit Schlagbäumen gesicherten Straßen zu übertreten.

Mittelalterliche Landwehren bestanden in der Regel aus Erdwällen und Gräben, wobei die Ersten beim Ausheben der Zweiten aufgeworfen wurden. In Waldgebieten wie um Großfastenrath herum sind sie oft erhalten geblieben, in den Orten selbst fielen sie häufig Bautätigkeiten zum Opfer. Der Bodenwall wurde im Mittelalter durch eine entsprechende Vegetation ergänzt und fast undurchdringlich gemacht. Diese Bepflanzung, oft Hainbuchen, wurde ineinander verflochten, sodass sie zu einem Dickicht zusammenwuchs, das »Gehölz« genannt und von »Gedörn« umpflanzt wurde, dornigen Sträuchern wie Brombeeren, Weißdorn, Schwarzdorn, Heckenrosen, Ilex. Keine Berliner oder Chinesische Mauer, aber für die damaligen Zwecke effektiv. Heute können solche Zeugnisse früherer Besiedlung nicht nur historisch-geografische Aufschlüsse liefern, sondern sie vermitteln zudem eine Ahnung vom Lebensgefühl der Bewohner der Region.

 

 10  Odenthal

Odenthal-Altenberg kann insofern als Wiege des Bergischen Lands gelten, als dort in der Burg Berge seit der Zeit Adolfs II. von Berg (circa 1095–1170) die Grafen von Berg residierten, bevor sie Schloss Burg in Solingen zu ihrem Hauptsitz erkoren, den sie ursprünglich »Neuenberge« nannten. Das Bergische Land verdankt ihnen seinen Namen, nicht etwa, wie oft angenommen wird, seiner bergigen Landschaft. Auch das Bergische Wappen, der doppelt gezinnte Querbalken auf Silber, ist auf sie zurückzuführen, ebenso wie der später hinzugefügte Limburger Löwe im silbernen Feld und mit blauer Krone, der heute, versehen mit verschiedenen regionalen Symbolen, auf den Stadtwappen vieler Bergischer Gemeinden zu finden ist. Heinrich von Limburg (1195–1247) führte den Löwen 1226 ein, nachdem die Grafschaft Berg nach der Ermordung des kinderlosen Erzbischofs Engelbert (um 1185–1225) über Heinrichs Ehefrau Irmgard von Berg (um 1204–1249) an ihn gefallen war.

Als 1233 Zisterziensermönche aus dem Burgund nach Altenberg kamen, überließen die Grafen von Berg ihnen ihre Burg, damit sie dort ein Kloster errichten konnten. Der Orden legte 1259 den Grundstein zu einem gotischen Dom, der 1379 geweiht und 1400 mit einem großen Westfenster versehen wurde, das das himmlische Jerusalem zeigt – bis heute das größte Kirchenfenster jenseits der Alpen. Die Philosophie der Zisterzienser war von Askese und Klarheit geprägt, die sich in dem Bau niederschlugen und spätere Epochen überlebten, weshalb der Dom – eine Kathedrale konnte er sich nie nennen, weil der Ort kein Bischofssitz war – zu einer der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten im Bergischen Land wurde. Sehr sparsame figürliche Darstellung – die doppelseitig geschnitzte »Altenberger Madonna« über dem Altar stammt von 1530 – und farbige Gestaltung sowie ein kleiner Dachreiter, der den Turm ersetzt, stehen für diese Zurückhaltung. Als eine wichtige Pilgerstation auf dem Bergischen Jakobsweg von Wuppertal-Beyenburg 32 , 53 , 86  über Remscheid-Lennep 30 , Wermelskirchen 5  und weiter in Richtung Köln und Aachen geriet Odenthal im Zuge der Säkularisation und der Auflösung der Abtei 1803 in Vergessenheit, das Gebäudeensemble gelangte in den Besitz eines Kölner Weinhändlers, der es an Chemieunternehmer verpachtete. Als es durch eine Explosion und einen Brand schwer beschädigt wurde, verfiel es lange ungenutzt beziehungsweise wurde als Steinbruch missbraucht. Die Wende kam mit Franz Egon von Fürstenberg-Stammheim, der die Ruinen erwarb, um sie zu sanieren, was dank der Finanzierung durch den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. schließlich gelang, der die Unterstützung an die Auflage band, dass die Kirche fortan als Simultankirche genutzt werden sollte. Heute im Besitz des Landes NRW wird sie nach dem »Nacheinander-Prinzip« betrieben: Um 9 Uhr findet die evangelische, um 10:30 Uhr die katholische Messe statt. Dicht neben dem Küchenhof ist die Markuskapelle zu besichtigen, die in ihrer Schlichtheit und Ruhe zu meditativem Verweilen einlädt, 1225 erbaut wurde und damit das älteste Gebäude in Altenberg ist.

Die Wanderwege rund um den Dom – abseits oder in Kombination mit dem Pilgerpfad – sind eine weitere Attraktion des Ortes. Sie sind oft thematisch ausgerichtet, so zum Beispiel zum Thema Mühlen, Bäche, Kräuter, Wildpark, Waldlehrpfad, Denkmäler, Hexen (vgl. 37 , 124 , gerne unter Einbezug des 200 Jahre alten Märchenwalds (am Märchenwaldweg 15). Wer das Außergewöhnliche liebt: In Altenberg-Blecher bietet eine Tierpädagogin Trekking-Touren nach Altenberg und zurück mit Eseln an.

Gastronomisch empfehlen sich das direkt am Dom gelegene Hotel und Restaurant Zur Post in altehrwürdigem prächtigem Fachwerkbau, in dem unter anderem Krimidinner stattfinden, und viele weitere Einkehrmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe.

Das an der Altenberger-Dom-Straße 1 gelegene Schloss Strauweiler – 1300 erstmalig aktenkundig als Sitz der Edlen von Odenthal, heute als Bau aus dem 16. und 17. Jahrhundert im Besitz des Prinzen zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg – ist für die Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich, aber öffnet seine Pforten regelmäßig im Rahmen des Altenberger Kultursommers, der an verschiedenen Veranstaltungsstätten entlang der Dhünn ein breites Spektrum an Musikrichtungen von Klassik bis Rock präsentiert, oft auch Open Air, so zum Beispiel im Garten von Schloss Strauweiler.

Für archäologisch Interessierte empfiehlt sich eine Wanderung zur Wallanlage Erberich, südöstlich von Odenthal-Erberich an einer Felsnase eines Höhenzugs oberhalb der Dhünn – strategisch sowohl zur Verteidigung wie zur Kontrolle der durchziehenden Reisenden hervorragend gelegen. Eine bodengeschichtliche Auswertung der eindrucksvollen Anlage ist noch nicht abgeschlossen, aber viele Funde in der Umgebung aus der Stein-, Eisen-, Bronze- und Römerzeit belegen die Bedeutung des Geländes und lassen vermuten, dass es sich um die älteste Befestigung dieser Zeit im Rheinland handelt.

Wer über das Wandern hinaus sportliche Bewegung liebt: Am Kramerhof 100 in exponierter Lage auf einem Hügel und mitten in einem Wäldchen liegt ein Hochseilgarten, in dem man unter fachlicher Anleitung allein, mit Familie oder im Team Spitzen-Erfahrungen machen kann. Das Thalfahrt-Festival lockt jedes Jahr im Sommer Skater und BMX-Fahrer in den Skatepark und vor die Konzertbühne im Dhünntalstadion.

 

 

 11  Denklingen

Der »Buwe as zu Dencklyngen gebuwet is« (hochdeutsch: »Bau, der in Denklingen erbaut ist«) wurde in einem Gerichtsstreit zwischen dem Herzog von Berg und dem Grafen von Sayn 1404 erstmals erwähnt und macht deutlich, dass die von Bergs um die Zeit eine Burg auf Denklinger Gebiet errichtet hatten, das ursprünglich Eigentum derer von Sayn gewesen war. Die kleine Ortschaft der heutigen Gemeinde Reichshof 70  war also schon früh bedeutsam und bereits unter den Saynern Gerichtssitz. 1413 deklarierte der damalige Besitzer Johann von Gimborn die Burg als »Offenhaus«, unterwarf sich damit freiwillig der Lehnsherrschaft und genoss so gleichzeitig den Schutz Graf Adolfs von Berg, dem sie nun jederzeit »offenstand«, weshalb dieser von »unserem Slosse« sprach. Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert wurde die Anlage als Wasserburg neu errichtet. 1672, nach dem Einmarsch der Franzosen und der Abschaffung der Leibeigenschaft, diente sie als Rentmeisterei, als Finanzamt. 1969 wurde die Gemeinde Reichshof, die sich aus Denklingen und Eckenhagen bildete, mit Verwaltungssitz in Denklingen gegründet. Wer sich traut, kann heute im ersten Stockwerk der Burg eine standesamtliche Verbindung eingehen. Neben dem historischen Gemäuer steht eine kleine, denkmalgeschützte evangelische Kapelle, 1693 bis 1694 als Simultankirche errichtet.

Auf dem Burghof findet jedes Jahr zu Pfingsten der Oberbergische Töpfermarkt statt, auf dem Handwerker und Künstler aus ganz Deutschland, Belgien und Holland Ware und Kunstwerke feilbieten.

Auch wenn der Burggraben heute nicht mehr erhalten ist, so ist nahe der Burg doch reichlich Wasser vorhanden: Der Volksmund hat Denklingen den Spitznamen »Klein-Venedig« verpasst, weil die Häuser mitten im Ortskern dicht ans Wasser gebaut sind, und zwar an den Mühlenteich, den »Klus«, an dessen Rand ein großer Mühlstein zum Picknicken einlädt. Dahinter liegt die katholische Kirche Sankt Antonius von 1886 an der Hauptstraße 17.

Neben vielen Wandermöglichkeiten bietet die Region Radfahrern ein besonderes Schmankerl: Am Rathaus startet die 23 Kilometer lange Fahrradrunde »Tour de Denklingen«, eine von vier Strecken, die die Stadt Reichshof mithilfe des dort ansässigen Fahrradreifenherstellers Bohle – Markenname »Schwalbe« – ausgearbeitet hat. Der gut beschilderte »Fahrradpark« kann mit entsprechendem Kartenmaterial erforscht werden.

 

 12 Café Hubraum

Direkt an der Wupper an der kurvenreichen L74 liegt seit 1993 das gemütliche Café Hubraum, ein Biker-Treff samt Biergarten, in dem auch Wanderer, Radfahrer, Reiter und sonstige Gäste willkommen sind, die draußen mit Blick aufs Wasser an Biertischen oder in Liegestühlen im Beach-Bereich wie im urigen Inneren mit Motor-Zapfanlage und Kaminraum speise- und getränketechnisch versorgt werden.

Das Bergische Land mit seiner abwechslungsreichen Landschaft und unzähligen sakralen und industriegeschichtlichen Bauten, Burgen und Schlössern zum Gucken und Staunen ist neben der fahrerischen Herausforderung zur »Er-Fahrung« per Motorrad hervorragend geeignet. Entsprechend finden sich viele Touren im Netz. Eine beliebte Strecke führt zum Beispiel über Remscheid 30 , Solingen 28 , Kürten 87 , Wipperfürth 3  und Radevormwald 4 . Unterwegs gibt es natürlich viele Einkehrmöglichkeiten, die sich auf Motorradfahrer eingestellt haben. Neben dem Solinger Café Hubraum gilt das Hotel, Café und Restaurant Landhaus Fuchs, Unterbersten 27, in Kürten als klassischer Treff. Wen es weiter nordwestlich in den Kreis Mettmann zieht, der wird das Café Schräglage in der Mettmanner Straße 20, 40699 Erkrath 119  schätzen, nach längerer Auszeit nun endlich wiedereröffnet.

Neben dem bereits erwähnten Biker-Gottesdienst in Wermelskirchen 5  existiert seit 2007 eine vergleichbare Veranstaltung in Gummersbach 81 , wo sie seitdem mit wenigen Unterbrechungen jährlich an der Neuapostolischen Kirche, In der Kalkschlade 2, stattfindet. Begonnen hat alles in Erkrath im September 2006, wo die Messe mit gut 200 Teilnehmern aus ganz NRW, den Niederlanden, Berlin, Halberstadt, Hamburg, Heilbronn, Lüneburg und Stralsund zum ersten Mal gefeiert wurde. Auf dem Marktplatz von Waldbröl 67  wird 2018 bereits der 20. Biker-Gottesdienst zelebriert. Im viel frequentierten Bergischen gibt es also zahlreiche Möglichkeiten für Freunde des Motorradsports, sich außer mit guter Schutzkleidung, entsprechender Fahrweise und vielen Rast- und Stärkungsmöglichkeiten auch mit himmlischem Segen auf sichere Tour zu begeben.

2. Sauber, Sog und Tod

Jahrelang hatte sie das Bergische durchstreift. Immer neue Touren zwischen Neandertal 13  und Nümbrecht 14, Heiligenhaus 15  und Hanfgarten 16. Immer auf der Suche nach dem Fachwerkhaus mit der geschieferten Nordseite. Eine Stecknadel im Nutscheid 17  zu finden, war vermutlich einfacher. Aber was wollte sie mit einer Stecknadel? Wer es kannte, konnte es nicht machen. Oder doch?

Stecknadelspitze tief unter den Fingernagel rammen. Hand auf heiße Herdplatte drücken. Teelöffel voller Salz hineinwürgen. Wenn sie eines konnte, eines gelernt hatte in dieser Zeit des Beherrschtwerdens, dann war es: nicht die Beherrschung zu verlieren.

»Was hattest du, verdammt noch mal, am Montag in Morsbach 18  verloren?«, fragte Kurt, der sie ins Büro beordert hatte. »Kara hat mir eine Aufnahme von deinem Van geschickt. Es ist ihr Revier.«

»Und?«, fragte Elli. »Hab ich gewildert?«

Er stützte beide Fäuste auf den Schreibtisch. Sie wich seinem Blick nicht aus, blieb mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzen, während er sich aus dem Stuhl hochstemmte, dem Wandscreen zuwandte und mit der flachen Hand erst auf die darauf markierte gelbe Schlängellinie der B56 schlug, dann weiter nördlich auf die B237. »Das ist deine Route!«

»Reg dich ab, Kurt«, sagte sie. »Erfülle ich mein Soll? Alles andere kann dir sonst wo vorbeigehen. Ich bin ein freier Mensch.«

Freier Mensch!, echote es in ihrem Kopf. Freier Mensch! In derselben Frequenz wie das Geräusch seiner flachen Hand auf dem Bildschirm. Hirnklatsche. Du hast einen an der Klatsche.

Er hatte dem nichts entgegenzusetzen.