Mörderisches Lipperland - Christian Jaschinski - E-Book

Mörderisches Lipperland E-Book

Christian Jaschinski

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Beschreibung

Das berühmte Hermannsdenkmal … die mystischen Externsteine … das gruselige Hexenbürgermeisterhaus … im ehemaligen Fürstentum Lippe gibt es viel zu entdecken und dazu jede Menge kriminelle Energie. Das ruft die Strafrichterin Tara Wolf, den Paläontologen Peter Falke und die Hackerin Lou Ritter auf den Plan. Folgen Sie dem Ermittlertrio in elf Kurzgeschichten mit 125 Freizeittipps durch die malerische Wald- und Hügellandschaft Lippes. Und bangen Sie mit Tara Wolf, ob sie jemals den Mörder ihres Mannes stellen wird.

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Seitenzahl: 238

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Christian Jaschinski

Mörderisches Lipperland

11 Krimis und 125 Freizeittipps

Zum Buch

Wer mordet schon in Lippe? Wie bekamen die Lemgoer Strohsemmeln ihren Namen? Wo kommen mitten in Deutschland Dünenfelder her? Kann man jemanden mit einem Golfball ermorden? Und wer hat Tara Wolfs Mann erschossen? Antworten auf diese und weitere Fragen liefern die elf Kurzgeschichten dieses Bandes. Dazu gibt’s 125 Freizeittipps für die Region Lippe. Eine Strafrichterin, ein Paläontologe und eine Hackerin ermitteln zwischen Hermannsdenkmal und Externsteinen. Entdecken Sie gemeinsam mit dem skurrilen Trio eine abwechslungsreiche Wald- und Hügellandschaft sowie zauberhafte Städtchen, erbaut im Mittelalter oder in der Weserrenaissance. Aber Vorsicht: Der rote Faden, der sich durch diese wild-romantische Idylle zieht, könnte eine Blutspur sein. Erkunden Sie mit dem ersten (Krimi-)Freizeitführer für das ehemalige Fürstentum Lippe einen einzigartigen Landstrich. Ausgewählte Fotostrecken zu einzelnen Locations finden Sie unter: www.Mörderisches-Lipperland.de

Christian Jaschinski wurde 1965 in Lemgo geboren, überlebte die harten 1970er in Breitcordhosen und Nickipullovern, verschrieb sich als Pianist und Keyboarder dem 80er-Jahre-Rock und ist nach kleineren Umwegen seit über 20 Jahren wieder in Lippe zu Hause. Als Rad- und Cabriofahrer ist er ein großer Fan der abwechslungsreichen lippischen Landschaft. Er schreibt Krimis und Comedy-Literatur, die er gemeinsam mit Singer-Songwriter Jonas Pütz in »Text-Konzerten« auf die Bühnen bringt.

www.christianjaschinski.de

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Zwei Ausnahmen aus Lemgo bestätigen diese Regel: der Stadtführer Werner Kuloge und der Wirt der »Weiten Welt« Ingo Sombray. Seitenangaben im Buch beziehen sich auf die Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2019

Lektorat: Christine Braun

Herstellung/Kartengestaltung/E-Book: Mirjam Hecht

Illustration Hermann-Figur und Foto S. 168: © Christian Jaschinski

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Reinhard Schäfer / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5360-1

Widmung

Für Klaus-Peter Wolf, meinen Freund und Lehrer.

Danke, dass Tara Deinen Nachnamen tragen darf!

Karte

Der Kreis Lippe

Das ehemalige Fürstentum Lippe gab nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Status als Freistaat auf und musste sich im Rahmen der Bundeslandgründungen entscheiden, ob es zu Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen gehören wollte. Beide Bundesländer zählten zur britischen Besatzungszone.

Während die Verhandlungen mit dem ersten Ministerpräsidenten Niedersachsens aufgrund interner Differenzen scheiterten, war man in Düsseldorf zu einigen Zugeständnissen bereit, die in den »Lippischen Punktationen« 1946 festgeschrieben wurden. Dazu gehörte unter anderem, dass die Bezirksregierung ihren Sitz in Detmold bekam und das Landesvermögen in Lippe blieb und verwaltet wurde.

Die Bedeutung des kleinen Kreises Lippe für das Land Nordrhein-Westfalen manifestiert sich zudem im Landeswappen, in dem neben dem westfälischen Ross (eigentlich Sachsenross) und dem (aus grafischen Gründen gespiegelten) Verlauf des Rheins die Lippische Rose als drittes Element zu sehen ist.

Auf einer Fläche von zirka 1.250 Quadratkilometern leben etwas über 360.000 Menschen in Lippe. Der Kreis wird begrenzt durch die Landkreise:

– Minden und Schaumburg im Norden,

– Hameln-Pyrmont und Holzminden im Osten,

– Gütersloh, Paderborn und Höxter im Süden,

– Herford sowie die kreisfreie Stadt Bielefeld im Westen.

Prägend für die gesamte Region ist der Teutoburger Wald im südlichen Lipperland. Es handelt sich um einen Mittelgebirgszug, der als Faltengebirge bis in die norddeutsche Tiefebene hineinreicht. Ältere Kämme in dieser Region bestehen teilweise aus Osning-Sandstein, weshalb der Teutoburger Wald früher »Osning« genannt wurde. Vermutlich im 17. Jahrhundert erhielt der Osning seine heutige Bezeichnung, die auf den römischen Historiker Tacitus zurückgeht. In seinen Schriften zur Varusschlacht zwischen Römern und Germanen im 9. Jahrhundert nach Christus verortet er die Schlacht im »Saltus Teutoburgiensis«.

In den Chroniken des ehemaligen Fürstentums hat vieles seinen Ursprung bei den Rittern oder »Edlen Herren tho de Lippe«, die erstmals 1123 Erwähnung finden. Als Vertraute des Welfen-Herzogs Heinrich des Löwen (zirka 1129 – 1195) wurden ihnen die beanspruchten Grafschaftsrechte an den Bezirken Thiatmelligau (Detmold) und Limgau (Lemgo) nicht streitig gemacht. Die Landesherren Bernhard II. zur Lippe (1140 – 1224) und sein Sohn Hermann II. (1175 – 1229) gelten als Bauherren der Falkenburg (zirka 1194).

Hermann der I. (vermutlich 1128 – 1160), Vater von Bernhard II., gilt als Stammvater des lippischen Regentenhauses. Dieses stellte bis 1895, als Fürst Woldemar (1824 – 1895) kinderlos starb, ununterbrochen den Fürsten. Derzeit ist Stephan Prinz zur Lippe (*1959) Herr im Detmolder Schloss. Durch die direkte Linie der Familie zu Lippe-Biesterfeld besteht eine enge Verbundenheit zum niederländischen Königshaus: Bernhard zur Lippe-Biesterfeld (1911 – 2004) war als Prinzgemahl mit der niederländischen Königin Juliana von Oranien-Nassau (1909 – 2004) verheiratet.

Eine besondere Situation ergab sich 1802, als Fürst Leopold I. (1767 – 1802) starb. Sein Sohn Leopold II. (1796 – 1851) war zu diesem Zeitpunkt erst sechs Jahre alt, sodass seine Mutter, Fürstin Pauline (1769 – 1820), in Vertretung die Regentschaft über das Fürstentum Lippe bis 1820 übernahm. Sie setzte sich neben ihrem politischen Engagement für ein Sozialsystem ein, das als Vorbild für viele deutsche Staaten galt. Zentrale Elemente waren ein Krankenhaus, eine Erwerbsschule und eine »Aufbewahrungsanstalt kleiner Kinder«, der erste Kindergarten Deutschlands. Die Paulinenstraßen in den größeren lippischen Städten Detmold, Lemgo, Bad Salzuflen und Lage erinnern an das vorbildhafte soziale Engagement der Fürstin, auch wenn ihr nachgesagt wird, dass die Erziehung der eigenen Kinder dabei teilweise auf der Strecke blieb.

Heute laden im Landkreis Lippe historisch wundervoll sanierte Stadtkerne der Weserrenaissance mit Museen und Parks zum Bummeln und Entdecken ein. Viele der in diesem Buch erwähnten Bürger- und Handwerkerhäuser mit ihren prächtigen Fassaden befinden sich in Privatbesitz. Die abwechslungsreiche grüne Hügellandschaft können Sie nicht nur beim Wandern, sondern auch auf reizvollen Rad-, Motorrad- und Cabriotouren entdecken. Viele Naturdenkmäler bieten historisch spannende Einblicke in die deutsche und europäische Geschichte. Ob drinnen oder draußen – lassen Sie sich in gemütliche Cafés, Lounges und Restaurants zum Verweilen und Genießen einladen.

Hinweis: Jeder der elf Kurzkrimis enthält mit Nummern versehene Freizeittipps, die im Anschluss an den jeweiligen Krimi unter Angabe der Nummer erläutert werden.

Und unter www.Mörderisches-Lipperland.de finden Sie zu ausgewählten Locations zahlreiche Fotos, die hoffentlich Lust machen auf eigenes Entdecken. Die Seite ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Lemgoer Fotografen Michael John Pitt, von dem der Großteil der ausdrucksstarken Bilder stammt. Die Fotos können Sie sich in geringer Auflösung kostenlos herunterladen – oder auf Wunsch als Abzug, auf Leinwand oder als Fototasse etc. bestellen.

Gute Unterhaltung bei der Lektüre des Buches und vor allem viel Spaß beim Erkunden des wunderschönen Lipperlandes!

Herzlich

Christian Jaschinski

 

www.Mörderisches-Lipperland.de

Prolog

Heute war ein guter Tag zum Sterben.

Perfekt, um genau zu sein.

Die Uhr am Ostturm der St.-Marien-Kirche  1  wurde von der Sonne warm angeleuchtet und zeigte kurz vor drei. Wie es aussah, würde der Steinklotz von einer Kirche an diesem lauen Maisamstag sehr voll werden.

Die Harley-Davidson ruhte leicht geneigt auf dem Seitenständer. Der Gärtner hatte den Motor ausgestellt und saß noch breitbeinig im Sattel seiner Maschine. Er zog die rechte Augenbraue hoch, was er sich als Kind bei Mr. Spock abgeschaut hatte. Faszinierenderweise musste er es damals nicht einmal üben. Er konnte es einfach.

Was hatten nur all diese Spießbürger mit dem Heiraten? Jeder, der halbwegs lesen konnte, wusste doch: Je spektakulärer der Antrag und je romantischer die Trauungszeremonie, desto höher war auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe nicht lange hielt.

Und der Gärtner würde alles dafür tun, die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns heute auf satte 100 Prozent zu kriegen. Bis dass der Tod euch scheidet, hahaha – das konnten sie haben! Ein guter Gärtner erkannte die überflüssigen Triebe einer Pflanze und schnitt sie weg, damit die Leitäste Luft und Raum hatten zum Wachsen. Die Aufgabe gefiel ihm.

Sie waren zu dritt. Die zwei anderen Biker fuhren ebenfalls Harleys, die nun neben dem Gärtner in Fluchtrichtung an der Stiftstraße neben einer Bruchsteinmauer parkten. Die Mauer gehörte zu dem ehemaligen Klostergebäude, in dem sich nun eine Antiquitätenhandlung befand.

Es würde schnell gehen müssen nachher, wenn sie die Stadt am Stumpfen Turm  2  vorbei Richtung Westen verlassen würden. Die Fluchtroute war perfekt ausgearbeitet. Wie immer mit einem Ersatzplan. Aber wenn alles gut lief, bräuchten sie ihn nicht.

Ihre ärmellosen Lederjacken waren abgetragen. Alle zierte dasselbe Emblem auf dem Rücken: ein flammender Reifen, der durch einen gespaltenen Totenkopf raste. Sie waren in diesen Jacken um die halbe Welt gefahren, hatten Geschäfte gemacht, gekämpft, geschlafen und gesoffen.

Der Gärtner trug ein T-Shirt unter seiner Biker-Kutte, sodass man seine gewaltigen Oberarme mit den Tattoos sehen konnte. Links das Superman-Logo und rechts die Buchstabenfolge A.C.A.B. – »All Cops are Bastards«. Unter dem Gewicht, das er sich für seine Bizeps-Curls auf die Langhanteln packte, würden andere beim Bankdrücken zusammenbrechen.

Die Kirchenglocke schlug dreimal. Durch die Fenster des dicken Gemäuers waren Orgeltöne zu hören. Gleich war es so weit.

Er war gut vorbereitet. Das musste er sein. Es würden Bullen da sein. Freunde vom Bräutigam. Die beiden SIG Sauer Super Target mit dem langen Lauf steckten unter seiner Kutte in den Achselholstern, geladen mit 9-Millimeter-Luger-Hohlspitzpatronen. 18 Schuss mussten reichen. Maximal vier für das Zielobjekt, die restlichen 14 für den Rückweg. Er ging einfach mal davon aus, dass die Bullen unbewaffnet zu einer Hochzeit gehen würden. Am Ende lag es an ihnen, wie hässlich es werden würde.

Das ist für dich, Eddie, dachte er zornig. Und für mich, damit du nicht mehr denkst, ich hätte was damit zu tun gehabt. Darum würde es spektakulär werden und sich schnell rumsprechen. Es sollte niemand auf die Idee kommen, dass er etwas vergaß. Und schon gar nicht vergab. Dafür konnte man die 250 Kilometer von Hamburg hierunter locker in Kauf nehmen.

Der Gärtner nickte seinen Kumpanen zu, stieg vom Bike und ging auf die schwere dunkelbraune Eingangstür zu, die linke Hand schon unter der Kutte.

Wolfsschwur

»Justitia mag eine Augenbinde tragen, aber glauben Sie nicht, sie wäre blind!« Tara Wolf war wütend. Versuchte dennoch, es sich nicht anmerken zu lassen, und presste beide Hände auf die dünne Ermittlungsakte.

Sie war wütend auf den eitlen Staatsanwalt Dr. Henning Plöger, der es einmal mehr vergeigt hatte, die Beweiskette so dicht zu stricken, dass sie nicht riss. Sie war wütend auf den schmierigen Strafverteidiger Sascha Amelung, der die Beweislage schnell und effektiv auseinandergenommen hatte, weil von der Staatsanwaltschaft Beweise vorgelegt wurden, die dem Verwertungsverbot unterlagen. Sie war wütend auf den Angeklagten, der sie und die Zeugin immer wieder selbstherrlich angegrinst hatte. Schlussendlich war Tara wütend auf sich selbst, weil sie als Strafrichterin erneut gezwungen worden war, den Angeklagten aus Mangel an Beweisen nicht verurteilen zu können.

Zielstrebig verließ sie den Gerichtssaal 165 des Landgerichts Detmold. So konnte es keinesfalls weitergehen. Straftäter durften nicht ungestraft davonkommen.

Etwas musste passieren.

Etwas musste sich ändern.

Sie musste etwas ändern!

Würde sie nach allem die Kraft dafür aufbringen?

Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust, hob den Kopf leicht an und schaute zufrieden aus dem Bürofenster. Professor Stefan Köcker genoss den Blick über Lemgo, der sich ihm vom siebten Stock der Hochschule aus bot. Besonders angetan hatten es ihm die ungleichen Türme der St.-Nicolai-Kirche  3 , die sich im Stadtzentrum in unmittelbarer Nachbarschaft zum Markplatz mit historischem Rathaus  4  befand. Einer der Türme war mit einem Zwiebelhelm gestaltet, am anderen wand sich ein Spitzhelm verdreht gen Himmel. So ähnlich sah sich der Professor auch selbst: die verschiedenen Gesichter des Stefan Köcker.

Sicher, sie hatten ihn erwischt und sogar vor Gericht gestellt. Das war überaus ärgerlich. Aber war er verurteilt worden? Nein. War er nicht. Hatten sie relevante Informationen gefunden? Nein. Hatten sie nicht. Nur die Spitze des Eisbergs gesichtet, und das mit einem nicht einmal genehmigten Hack. Was für Stümper.

War er gut genug, um diesen Apparat an der Nase herumzuführen? Oh ja, das war er.

Die dreckige Schlampe hatte doch tatsächlich versucht, ihn reinzureiten. Aber nicht mit ihm. Haha. Das war ja mächtig in ihr enges Höschen gegangen. Undankbares Weibsbild. Er hatte ihr einen Job gegeben und sie gut bezahlt. Schließlich war sie erst im vierten Semester. Wie kam die blöde Kuh dazu, ihn hinzuhängen?

Vor knapp zehn Jahren hatte alles ganz harmlos und klein angefangen. Ihren Namen wusste er noch. Sabrina Wittkämper war eine hübsche Studentin. Ein bisschen dumm. Sehr verzweifelt. Sehr unbegabt im wissenschaftlichen Arbeiten. Dafür sehr willig und begabt in anderen Belangen. Was später aus ihr geworden war, wusste er hingegen nicht. Es war ihm auch völlig egal.

Stefan Köcker konnte sich ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen. Die Zeiten, in denen ihm die Meinung der Kollegen im Fachbereich etwas bedeutete, waren längst vorbei. Schließlich hatte sich das Schreiben von Abschluss- und Doktorarbeiten mittlerweile zu einem einträglichen Geschäftsmodell entwickelt. Manchmal gab es auch Sex. Je nachdem. Er war flexibel.

Es war hart gewesen vorher und hatte Narben hinterlassen, dass sie ihn zwei Mal bei der Wahl zum Dekan übergangen hatten. Doch das war längst nicht mehr wichtig. Vielmehr lächelte er über die albernen Gehälter der ach so hochgeschätzten Kolleginnen und Kollegen. Wusste er doch nur zu gut, dass ihre Einkommen im Vergleich zu seinen Umsätzen lächerlich waren.

Vorsichtshalber führte er nach außen hin ein normales Leben, das er selbst bescheiden nannte. Auch wenn er sich wesentlich mehr vorzeigbaren Luxus leisten konnte. Doch das wäre nicht klug.

Er musste zugeben, dass er stolz war auf sein Vermögen, zu dem er es in den letzten Jahren gebracht hatte, und dass es ihm schwerfiel, diesen Erfolg nicht zu zeigen. Die Gründung der englischen Limited war eine geniale Idee gewesen. So konnte er überall auf der Welt Konten eröffnen und verwalten. Der faule Staatsanwalt und seine dämlichen Schergen bei der Kripo hatten die Schweizer Adresse über die Homepage gefunden, die Limited war aber mit keinem Wort zur Sprache gekommen. Also brauchte auch sein Strafverteidiger nichts davon zu wissen. Genauso wenig wie von der Villa am Gardasee, der Stadtwohnung in Berlin-Charlottenburg oder dem Reetdachhaus auf Zingst.

Ganz zu Anfang hatte er sich außerdem einen Mercedes 280 SL wie in der Serie »Hart aber herzlich« gekauft. Der Selfmade-Gedanke der Hauptfiguren gefiel ihm – er sah sich auch als Selfmade-Millionär. Und als er eines Sonntags mit einem Freund wie durch Zufall in dem Oldtimermuseum »D. kleine Lemgoer«  5  gelandet war, hatte Stefan Köcker gewusst: Er wollte sich ebenfalls eine solche Sammlung aufbauen. Mittlerweile versteckte er fünf Oldtimer in einer gut temperierten Garage in Detmold. Das waren lohnenswerte Investitionen gewesen. Welche andere Wertanlage hatte in den letzten Jahren solche Wachstumsraten zu bieten?

Woran man mal wieder sah, dass es nun wirklich nicht so schwer war, den ein oder anderen Geldstrom zu verschleiern. Die Großkonzerne machten es vor. Warum sollte es im Kleinen nicht auch funktionieren? Am Ende war alles ganz einfach, wenn man die richtigen Leute kannte und ein bisschen nachdenken konnte.

Professor Köcker hatte sich daran gewöhnt, im Verborgenen zu genießen.

Lediglich, dass seine eigene Ghostwriterin gegen ihn ausgesagt hatte, das wurmte ihn nun doch. Undankbare Schlampe.

Aber diese Richterin war echt klasse. Sie hatte ihn laufen lassen. Und sie sah toll aus. Sehr sexy mit der großen Schmetterlingsbrille, die roten, lockigen Haare hinten zu einem wuscheligen Zopf zusammengenommen, und sofern er das von seinem Platz aus sehen konnte, hatte sie viele Sommersprossen. Stefan Köcker fand Sommersprossen irgendwie süß. Ob sie im Dekolleté wohl auch welche hatte? Die Größe ihres Busens hatte er unter dem Talar leider nicht ausmachen können. Sie mochte es bestimmt auf die harte Tour. Das könnte sie von ihm kriegen.

Tara Wolf saß in ihrem schwarzen 1988er Saab-Cabrio und starrte durch die Windschutzscheibe auf die gegenüberliegende Garagenwand.

Das Verdeck war zu drei Vierteln geöffnet. Weiter ging es nicht auf. Angus hatte es bis zur Hochzeit reparieren wollen, aber die Ersatzteile waren erst heute geliefert worden. Die Pappkiste stand neben Tara auf dem Beifahrersitz. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihr Zwerchfell war völlig verkrampft, weil sie die Schluchzer unterdrücken wollte. Warum, wusste sie nicht. Niemand verbat ihr zu weinen.

Den Platz links in der Doppelgarage nahm das schwere Motorrad ein, das Angus so geliebt hatte und nun nie mehr fahren würde. Taras silbergrauer Volvo V90 parkte draußen vor der Garage.

Es tat so weh. Immer noch so höllisch weh.

Wie hatte das passieren können?

Sie schlug auf das Lenkrad ein.

Unfassbar. Die Schweine waren immer noch frei.

Sie hatte laufen gehen wollen. Es war einfach, von hier aus eine schöne Strecke durch den Lemgoer Stadtwald  6  zu finden, der direkt vor ihrer Haustür lag. Vielleicht eine Runde um die Försterteiche? Auf dem Weg vom Gericht in Detmold nach Lemgo hatte sie sich eine lange Runde vorgenommen. Und schnell hatte sie sie angehen wollen. Lange und schnell. Das Endorphin half gegen den Schmerz. Nicht immer. Aber manchmal. Und manchmal war besser als nie.

Doch als sie zu Hause war, waren der Schmerz und die Wut stärker gewesen. Sie hatte sich nicht aufraffen können. Seit einer Stunde saß sie hier nun.

Lag es an dem Haus, das sie ständig an Angus erinnerte?

Vielleicht sollte sie ausziehen?

»Magst du was essen? Oder trinken?« Seine Stimme war ganz sanft.

Dennoch schreckte Tara hoch. Sie hatte ihn nicht kommen gehört. Normalerweise klopfte er an die Haustür, weil er sie mit Klingeln nicht erschrecken wollte. Mehrfach hatte sie versucht ihm zu erklären, dass Klopfen auch nicht besser war, aber er fand es irgendwie – »organischer«.

Nun stand ihr Nachbar Dr. Peter Falke neben der Beifahrertür, in der Linken geschickt zwei Halbliterflaschen Duckstein, in der Rechten einen Teller, auf dem zwei mit Butter und Rapshonig geschmierte Hälften einer Lemgoer Strohsemmel  7  lagen. Er wusste, was sie mochte, und sah sie aus großen Augen an. Diese befanden sich normalerweise schon ziemlich weit oben, bei seinen schlaksigen 1,90. Weil er es zudem zwanghaft vermied, auf die Fugen zwischen den Fliesen zu treten, stand er wackelig auf den Zehenspitzen seiner großen Füße und war somit noch einen halben Kopf größer als sonst.

Tara hätte auch der blanke Estrich in der Garage genügt, aber Angus hatte auf den Fliesen bestanden. »Wenn, dann machen wir es gleich richtig.«

Tara wischte sich mit dem rechten Handrücken die Tränen weg und zog die Nase hoch. Dann legte sie den Kopf in den Nacken. Es machte ihr nichts aus, ihn aus verheulten Augen anzuschauen. »Setz dich.« Sie beugte sich hinüber, zog am Türöffner und drückte zugleich die Beifahrertür auf. Bevor sich Peter Falke auf den Sitz fallen ließ, zog Tara noch schnell den Ersatzteilkarton weg.

Penibel, wie Peter war, hatte er die Bierflaschen schon zu Hause geöffnet und die Kronkorken wieder vorsichtig auf die Flaschenöffnungen gedrückt. Er reichte Tara eine Flasche, beide drückten mit den Daumen die Korken weg und stießen mit den Flaschen an.

»Aus der Flasche?« Sie lächelte ihn schief an.

»Auf dich!«, sagte Peter Falke nur, bevor er einen tiefen Schluck nahm.

Tara Wolf nickte dankbar, sagte aber nichts. Mit Peter konnte man gut trinken und schweigen. Gleichzeitig fühlte sie sich verstanden. Das tat gut nach so einem Scheißtag. Sie war froh, dass er da war. Und sie nichts sagen musste.

Der Teller mit der Strohsemmel stand unberührt auf dem Armaturenbrett. Noch.

»Ich musste heute schon wieder einen laufen lassen«, sagte Tara in die Stille, die vorher nur durch gelegentliches Flaschengluckern und Schlucken unterbrochen worden war.

»Scheibenkleister!« Das war so ziemlich das Ordinärste, was sie jemals von Peter gehört hatte. Als er sich ihr zuwandte, stieß er sich das Knie an der Handschuhfachklappe.

»Kannst du laut sagen.«

»Scheibenkleister!«, schrie Peter Falke.

Tara musste lachen und verschluckte sich am Bier. Als sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie ernst: »Ich bin das einfach alles so unendlich leid. Ich meine, in weiten Teilen ist unser Rechtssystem okay. Dafür stehe ich auch mit meinem Job. Aber wenn sich der Täter ins Fäustchen lacht und davonstiehlt? Nee, mein Lieber. Damit ist jetzt Schluss!«

»Wovon redest du?«

»Na, rate mal!«

»Du bist Richterin. Beamtin.«

»Ach was.«

»Hör mal. Ich bin auf deiner Seite. Aber wenn du das selbst in die Hand nimmst, das wäre doch …«

»Sag’s nicht.«

»Na gut, aber stell dir vor, du liegst falsch. Was dann?«

»So wird es nicht laufen.«

»Hm.«

»Wie lange ist Angus jetzt tot?« Tara schniefte, und erneut liefen ihr Tränen über die Wangen. Diesmal mehr Tränen der Wut als der Trauer.

»Zwei Monate.«

Als ob sie das nicht selbst am allerbesten wüsste. Wie sollte sie jemals die furchtbaren Bilder von dem Tag aus ihrem Kopf kriegen, der der schönste Tag ihres Lebens hätte werden sollen? Sie nickte energisch. »Genau. Zwei Monate. Und welche Ermittlungsergebnisse haben wir?«

Peter zuckte mit den Achseln.

»Genau. Nullkomma-überhaupt-garnix. Ich meine, was soll der Scheiß? Alle haben die Typen gesehen. Der Hochzeitsfotograf hat sie auf Video. Die haben Patronenhülsen dagelassen. Und keine einzige Spur von den Bikern? Das kann doch gar nicht sein!«

»Vielleicht sagen sie nur dir nichts.«

»Glaubst du, ich hab keine Quellen?« Tara schüttelte den Kopf, dass ihre rote Mähne flatterte. »Nee, nee. Es passiert nichts. Da läuft irgend so ein Undercover-wir-schützen-unsere-V-Leute-Scheiß.«

»Musst du so oft ›Scheiß‹ sagen?«

»Ja, muss ich.«

Peter Falke nickte. Langsam und bedächtig. »Okay, ich mache mit.«

»Wobei?«

»Bei dem, was nötig ist – im einen wie im anderen Fall.«

»Hab ich nicht verlangt.«

»Nein, hast du nicht.«

Ihr Vorname war nicht das einzige, das Luise Ritter an sich hasste. Dieses Problem war noch ein verhältnismäßig einfach zu lösendes – stellte sie sich doch ausschließlich als Lou vor.

Sie schaute in den angeschlagenen Badezimmerspiegel, den ein langer Riss diagonal in zwei Hälften teilte. Gammelige Wohnung. Alte Einrichtung. In zehn Minuten musste sie los und wusste nicht, wie sie das verheulte Gesicht in einen Zustand versetzen konnte, der es ihr erlaubte, ihren Job als Kellnerin wahrzunehmen. Darauf war sie angewiesen. Wie hatte sie sich nur in so eine verzwickte Situation bringen können? Wie hatte sie nur so bescheuert sein können?

Beim Schwimmtraining im Eau Le  8  war sie auch schon ewig nicht mehr gewesen. Dabei taten ihr die 1.000 Meter jedes Mal so gut. Sie bemerkte zudem, dass ihre Jeans in letzter Zeit immer enger wurden.

Im Nachhinein war es klar, dass es eine komplett beschissene Aktion gewesen war. Sie sich nicht darauf hätte einlassen dürfen. Aber wie immer war das Geld knapp gewesen, und es schien ein einfacher Weg zu sein. Hochlukrativ. Vielleicht hätte sie mit jemandem reden sollen. Aber – mit wem? Wer hätte das verstanden? Alle hätten ihr abgeraten. Zu Recht, wie sie nun zugeben musste. Aber hinterher war man immer schlauer.

Wenigstens durfte sie weiterstudieren. Musste nicht einmal die Hochschule wechseln. Irgendwie hatte der Staatsanwalt das mit dem Dekan hinbekommen, sozusagen als Belohnung für die Zeugenaussage. Bloß, dass der ganze Aufwand nichts genutzt hatte. Alles war umsonst gewesen.

Köcker war noch frei und ihr Name besudelt.

Darum war »umsonst« auch das falsche Wort, denn es hatte sie unendlich viel gekostet.

Sie ekelte sich vor sich selbst.

Wie hatte sie so etwas tun können?

Ihr Name war durchgesickert. Die Kommilitonen schauten sie komisch an. Als ob die noch nie bei einer Klausur gemogelt hätten. Sich noch nie bei einer Hausarbeit irgendwo Hilfe geholt hätten. Aber wehe, man war der, von dem die anderen abschreiben wollten, und man ließ sie nicht. Dann war man das Kollegenschwein. Und sie? Sie hatte doch mit ihrer Arbeit geholfen.

Aber klar. Das war genauso illegal wie abschreiben lassen. Mehr als ein Täuschungsversuch. Das war Betrug. Und nun war es öffentlich und sie die Gearschte.

Lou hasste sich für die Dummheit, die sie begangen hatte. Ach was, »Dummheit« beschrieb nicht annähernd das, was geschehen war. Wie hatte sie da nur hineingeraten können? Es schien leicht verdientes Geld. Genau. Es schien so.

Klar, dass Patrick sie verlassen hatte. Einerseits verstand sie es. Andererseits: Konnte er nicht gerade in dieser Zeit zu ihr stehen? Sie hatte einfach die falschen Entscheidungen getroffen. So wie es aussah, war er in der Vergangenheit wohl ebenso eine gewesen.

Dann war da die Polizei, die sie hatte glauben machen, alles würde gut, wenn sie aussagen würde. Wenn sie sich auf die Finte mit der IP-Adressen-Protokollierung einlassen würde. Sie hatte ihnen vertraut. Was hätte sie auch sonst tun sollen. Wie hätte sie ahnen können, dass es für die Aktion keinen Durchsuchungsbeschluss gab. Dass der Strafverteidiger ihnen die mutmaßliche Beweismittelbeschaffung als illegalen Hack um die Ohren hauen würde.

Und jetzt?

Schon seit einer Woche war sie nicht vor der Tür gewesen, nun musste sie wieder arbeiten gehen.

Lou ging die paar Schritte, die nötig waren, um die kleine schäbige Wohnung in einem der Hochhäuser am Biesterberg  9  zu durchqueren. Bis zum Fenster, von dem aus man die acht Stockwerke hinabschaute.

Waren acht Stockwerke überhaupt hoch genug? Oder müsste sie noch höher steigen? Sie wusste nicht, ob sie den Mut aufbringen würde, hinunterzuspringen.

Sie hatte sich entschieden. Das war ein gutes Gefühl. Tara Wolf saß unter einem Sonnenschirm auf dem Lemgoer Marktplatz, der auch als Steinerner Saal bezeichnet wurde, und genoss mit der beeindruckenden Kulisse des historischen Rathauses im Rücken ihren Cappuccino. Beobachtete die Menschen, die an den Tischen saßen, sich unterhielten oder bei einem großen Latte in einer Zeitung blätterten.

Das Wetter war schön, und sie war mit dem Mountainbike in die Stadt gefahren, wo sie sich mit Peter verabredet hatte. Von ihrem Haus oben am Weißen Weg war sie entspannt hinuntergerollt, über die Hamelner Straße am Junkerhaus  10  vorbei bis zum Ostertor mit dem Kanzlerbrunnen  11 . Dort war sie abgestiegen und hatte ihr Rad langsam schlendernd durch die Fußgängerzone in der Mittelstraße  12  geschoben, bis sie am Marktplatz angekommen war.

Ihre Entscheidung hatte Tara ruhiger werden lassen. Es gab noch keinen Plan. Nur einige Ansatzpunkte. Sie hatte sich etwas versprochen. Nein, wenn sie es genau nahm, hatte sie es geschworen. Das war sie sich und Angus schuldig. Schritt für Schritt würde sie vorgehen. Trauer war ein schlechter Ratgeber. Wut sowieso. Das wusste sie, auch wenn beides in ihr schwelte. Aber wenn sie sich nicht zusammenriss, sich nicht konzentrierte, würde sie den Weg nie zu Ende gehen können. Das Ziel nicht erreichen.

Eigentlich waren es zwei Wege. Die parallel verliefen. Manchmal würde es einen Spagat erfordern. Sie würde es schaffen. Nicht nur für sich. Nicht nur für Angus. Aber auch.

Tara nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und musste lächeln. Sie dachte an Angus, wie er über Leute gelästert hatte, die einen »großen« Cappuccino bestellen. »Das ist doch völlig unlogisch«, hatte er gesagt. »Ein Cappuccino ist ja nur etwas aufgeschäumte Milch, durch die ein Espresso in die Tasse gelaufen ist. Was soll ein großer Cappuccino sein? Ein Riesenespresso mit Schaum?« Modeschnickschnack hatte er das genannt. Er, der passionierte Teetrinker. Tara mochte lieber Kaffee in den verschiedensten Erscheinungsformen. Tee war ihr zu dünn.

»Ist hier noch frei, junge Frau?«

»Erklär’s mir«, sagte zehn Minuten später Peter Falke und nahm den ersten tiefen Zug von seinem Weizen. Über den Rand des Glases schaute er Tara Wolf erwartungsvoll an, die ihm an dem kleinen Bistrotisch gegenübersaß. Sie hatte ihn um das Treffen gebeten, weil sie neue Erkenntnisse bezüglich des Ghostwriter-Falles mit ihm teilen wollte.

Peter genoss die Zeit mit Tara und ebenfalls den Blick auf das Haus Wippermann  13 . Als Paläontologen interessierten ihn Versteinerungen aus ehemals organischem Material wesentlich mehr als menschengemachte Baukunst. Dennoch mochte er die geheimnisvolle Stimmung, die von den aus unterschiedlichen Epochen stammenden Gebäuden rund um den Marktplatz ausging. Einmal, als er gerade nach Lemgo zurückgezogen war, hatte er einen Nachtwächterrundgang  14 , eine besondere historische Stadtführung durch den alten Stadtkern von Lemgo, mitgemacht. Peter gefiel die Art, wie Stadtführer und »Nachtwächter« Werner Kuloge liebevoll über die Gebäude sprach und mit seinem vollen Bariton alte Lieder anstimmte.

Tara erklärte ihm auf seine Frage hin nun ausführlich, was sie über das Vorgehen von Ghostwritern selber herausgefunden hatte. Denn Informationen, die aus Gerichtsverhandlungen stammten, durfte sie offiziell natürlich nicht mit ihm teilen. »Es ist frustrierend einfach. Du schreibst eine Mail an einen Ghostwriter-Service wie den von Stefan Köcker. Gibst an, welches Thema sie bearbeiten sollen und ob es sich um eine Hausarbeit oder Bachelor-Thesis, oder was auch immer du brauchst, handeln soll, welchen Umfang sie haben soll et cetera. Dann kriegst du per Mail ein Angebot und Hinweise, wie ein erstes und anonymisiertes Telefongespräch abläuft.«

»Aha?«

»Ja, alle reden sich nur mit Vornamen an. Der Moderator, der Auftraggeber, der Ghostwriter.«

»Schöne kranke Wissenschaftswelt.«

Tara nickte. »Allerdings. Anschließend werden Termine für Teillieferungen der Texte und die Endabnahme vereinbart. Du leistest entsprechende Teilzahlungen und kriegst, wenn es sich um eine …«, Tara malte mit Zeige- und Mittelfinger beider Hände Anführungszeichen in die Luft, »›seriöse‹ Agentur handelt, am Ende tatsächlich eine Arbeit.«

»Feinster Betrug«, sagte Peter Falke düster. »Ich nehme an, du hast schon eine Idee.«

Tara schaute ihn verschmitzt an. »Jap. Jetzt essen wir erst mal schön, und nachher holen wir uns ein bisschen Unterstützung in Sachen IT-Kompetenz.«

Die Weite Welt in der Engelbert-Kaempfer-Straße  15  war für sie mehr als ein neuer Arbeitsplatz. Es war eine Chance. Ein Grund weiterzumachen. Weiterzuleben. Auch wenn sie lieber einen Job gehabt hätte, der weniger mit Menschen und Öffentlichkeit zu tun hatte. Aber einen Programmierjob konnte sie nach allem abhaken. Lou war froh, dass sie das hier hatte.