Mordsmäßig harzig - Barbara Merten - E-Book

Mordsmäßig harzig E-Book

Barbara Merten

0,0

Beschreibung

Kriminalhauptkommissar Schneider und seine Frau Mathilde verbringen ihren Urlaub auf dem Campingplatz am Wiesenbeker Teich. Dort müssen sie mit ansehen, wie das alte, leerstehende Kurhotel in Flammen aufgeht. Erinnerungen an die Kindheit, an ein dickes Stück Torte im Café, an den Musiker, der zum Tanztee aufspielt, werden in Schneider wach. Schnell wird klar, dass Brandstiftung die Ursache war und er sich an den Ermittlungen beteiligen wird, denn ein zwielichtiger Duderstädter Immobilienmakler war einer der Kaufinteressenten. Zusammen mit Fiona von Berg, der Hauptkommissarin aus Bad Lauterberg, macht er sich an die Arbeit. Hat der Geophysiker aus Kanada, der im Wiesenbek nach Rohstoffen sucht, seine Finger im Spiel? Auch der Mann, der im abgebrannten Hotel tot aufgefunden wird, wirft neue Fragen auf. Schneiders Schnüffelnase gerät arg unter Druck, als in Duderstadt die Tochter des Immobilienmaklers entführt wird und ein Erpresserbrief auftaucht. Hin- und hergerissen zwischen Bad Lauterberg und Duderstadt versucht er, nicht die Übersicht zu verlieren. Wenn da nicht auch noch Mathilde wäre mit ihrem Hallux valgus ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 275

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Barbara Merten

Mordsmäßig harzig

EICHSFELD-HARZ-KRIMI

Impressum

Mordsmäßig harzig

ISBN 978-3-96901-039-6

ePub Edition

V1.0 (05/2022)

© 2022 by Barbara Merten

Abbildungsnachweise:

Umschlag (Baumharz) © shico3000 | #66974413 | depositphotos.com

Umschlag (Jäger) © MarkoAliaksandr | #312033912 | depositphotos.com

Porträt der Autorin © Ania Schulz | as-fotografie.com

Lektorat:

Sascha Exner

Verlag:

EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt · Deutschland

Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

E-Mail: [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Allgemeiner Hinweis:

Bei den Schauplätzen dieses Romans handelt es sich um reale Orte. Die Handlung und die Charaktere hingegen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen wären reiner Zufall und sind nicht beabsichtigt.

Inhalt

Titelseite

Impressum

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Nachwort

Auf den Spuren von ›Mordsmäßig harzig‹

Was ich unbedingt noch loswerden muss

Über die Autorin

Mehr von Barbara Merten

Eine kleine Bitte

Vorwort

Meine lieben mordlüsternen, naturverrückten

und wanderwütigen LeserInnen!

Ihr habt dieses Buch aufgeschlagen und seid voller Erwartung? Macht euch darauf gefasst: Jetzt wird’s harzig! ›Harzig‹ nicht in der Bedeutung von zähflüssig, schleppend oder gar langweilig. Oh nein! Der schwierige Fall, an dem der Duderstädter Hauptkommissar Schneider dieses Mal zu knabbern hat, führt ihn bis in den Harz, das sagenumwobene Gebirge, das sich nordöstlich des Eichsfelds erhebt.

Bevor ihr euch den ›holzspan(n)enden‹ Seiten intensiver zuwendet, schlage ich vor: Sucht euch ein Klümpchen Baumharz im Harzer Wald. Wenn es noch möglich ist. ;-)

Das Kauen von ›Kaupech‹ hatte dort früher aus gutem Grund eine lange Tradition. Die Holzfäller haben das ›Gold des Waldes‹ benutzt, um sich zu beruhigen, ihre Aufgeregtheit im wahrsten Sinne des Wortes wegzukauen, weil beim Fällen eines Baumes ihre Spannung bis ins Unermessliche wuchs. ›Fällt er richtig? Oder erschlägt er mich?‹ Ähnlich könnte es euch ergehen, wenn ihr Seite um Seite dem Geschehen folgt.

Damit das Lesevergnügen ein Fest für alle Sinne wird, gebe ich folgende Anregung:

Das Kauen des regionalen Harzes, das man von jedem tränenden Baum ‒ von Fichten, Tannen oder Lärchen ‒ leicht ablösen kann, beruhigt. Es hat sogar eine desinfizierende Wirkung auf Zahnfleisch und Zähne. Zur Freude eurer Mitmenschen erfrischt es den Atem und lässt euch tief und erleichtert durchatmen, sobald sich der Spannungsbogen wieder legt. Dieser biologisch wertvolle Wald-Kaugummi verliert schon nach einigen sanften Kaubewegungen den leicht bitteren Geschmack. Das Harz wird weich und bekommt eine wunderbar geschmeidige Konsistenz. Hat man genug, legt man es einfach zur Seite. An der Luft härtet es schnell aus und kann erneut gekaut werden, sobald die Spannung ansteigt.

Bei mangelnder Festigkeit der Zähne ist es ratsam, das Gold des Waldes nicht zu kauen, sondern wie Weihrauch in einer Schale zu verräuchern, um die heilsamen Aromen während des Lesens zu inhalieren. Zusammen mit einheimischen Kräutern hat es eine stimmungsaufhellende Wirkung. Die ätherischen Öle, die sich dabei mit der Raumluft vereinigen, desinfizieren diese nicht nur, sie wirken auch beruhigend und versetzen euch obendrein noch intensiver in die Handlung.

Wenn ihr nach dem Lesen den Rucksack schnürt, um Harz und Eichsfeld zu erwandern, und am Abend erschöpft aufs Sofa fallt, leistet euch eine Salbe aus Baumharz sehr gute Dienste. Ihre wärmende, entzündungshemmende Wirkung löst Muskel- und Gelenkschmerzen und verhilft schnell zu neuer Lese- und Wanderlust.

In diesem Sinn:

Mordsmäßig harzige Grüße!

Eure

Barbara Merten

Kapitel 1

Je reicher einer ist, desto leichter ist es für ihn, ein Lump zu sein.

– Gilbert Keith Chesterton –

Freitag in Heiligenstadt

Ulrich Zecke war ungehalten. Die vierteljährliche Sitzung mit den Mitarbeitern des Vereins WFE, den Wanderfreunden Eichsfeld e.V. in Heiligenstadt, lief wieder einmal aus dem Ruder. Die Wegewarte, die für den Duderstädter Bereich im Untereichsfeld zuständig waren, befanden sich im Urlaub, die aus dem Obereichsfeld, Jonny Meuchel und Fritz Freybier, sowie die Sekretärin Malwine Meise waren auf Konfrontation gebürstet. Nicht, weil das, was Zecke an Vorschlägen hatte, nicht gut war. Die Ideen gefielen ihnen im Grunde. Aber weil er es sagte und wie er es sagte, lehnten sie es von vornherein ab.

Als Vorstandsvorsitzender des WFE gab er sich in ihren Augen als überheblicher ›Wessi‹. Dieser Ehrenamtsposten, den er vor vielen Jahren auf Vorschlag von Duderstadts Bürgermeister Klapproth bekommen hatte, und den er trotz des Widerstands der Thüringer Mitarbeiter unbedingt behalten wollte, wackelte beträchtlich. Zecke war Abgeordneter im Göttinger Kreistag und Geschäftsführer der Zecke GmbH, einer Duderstädter Immobilienfirma. Seine Beziehungen waren dem Verein zu Gute gekommen. Doch die Euphorie der neunziger Jahre war hüben wie drüben längst in ein ›Jeder macht sein Ding‹ umgeschlagen. »Nägel mit Köpfen machen, mein lieber Ulrich! Du bist jung, also mach!«, hatte ihm damals der Bürgermeister bei seiner Ernennung geraten. »Die Politik allein kann nicht alles stemmen. Dem Ehrenamt und dem Engagement aktiver und vor allem fähiger Bürger wie dir muss mehr zugetraut werden, wenn wir Ober- und Untereichsfeld besser touristisch vermarkten wollen.«

Die ersten Jahre waren wirklich gut gelaufen. Es wurden neue Jobs geschaffen, das Wanderwegenetz grenzüberschreitend zwischen Thüringen und Niedersachsen ausgebaut und miteinander verbunden. Sie hatten neue Karten mit verschiedenen Wanderrouten ausgearbeitet, den Tourismus angekurbelt. Die Menschen waren sich näher gekommen, spürten, dass die Region am erfolgreichsten in enger Zusammenarbeit zu bewerben war.

Ihm, dem Vorstandsvorsitzenden, hatte dieser Posten ganz nebenbei gute Geschäfte verschafft, so dass die Zecke GmbH in ihrer Bilanz hervorragend dastand. Die Leute verkauften ihre Immobilien eben gern an gut bekannte, in der Politik engagierte und somit vertrauenswürdige Bürger.

Doch der Erfolg war Zecke zu Kopf gestiegen, seine Persönlichkeit hatte sich mehr und mehr verändert. Viele merkten nicht, in welchen Sumpf an Korruption und Verschlagenheit er abgerutscht war. Die, die es merkten, waren auf der Hut. Spannung lag in der Luft, sobald er auftauchte. Seine ›Noch-Freunde‹ gingen in Hab-Acht-Stellung oder vorsorglich auf Distanz. Die Neider warteten auf eine geeignete Gelegenheit, ihn vom Sockel zu stoßen. Bei öffentlichen Veranstaltungen zeigten ihn die Medien noch als sozial engagierten, empathischen Mann. Wie lange würde es dauern, bis sie umschwenkten? Es war offensichtlich, dass er sich als etwas Besseres fühlte. Das Klischee vom ›Wessi‹, dem Wirtschaft über alles geht, hatte sich nicht nur in den Köpfen der Heiligenstädter Wanderfreunde festgesetzt. Der glaubt, er ist der super Macher und wir die Ewiggestrigen. Lange lassen wir uns das nicht mehr gefallen, munkelten sie hinter vorgehaltener Hand. Das Maß ist voll.

Wenn Zecke selbst darüber nachsann, musste er sich eingestehen, dass es bessere Zeiten gegeben hatte. In den ersten Jahren hatten sie sich in euphorischer Aufbruchstimmung gefühlt, waren überzeugt gewesen, gut und zukunftsorientiert zusammenarbeiten zu können, trotz unterschiedlicher Geschichte. Ökonomie und Ökologie sollten das Maß für eine neue, moderne Zeit sein. Im Bereich Heimat-, Naturschutz und Tourismus wollten sie vorangehen, er als Zugpferd an der Spitze. Wo war dieses Gefühl geblieben? Hatte er sich wirklich so überheblich benommen, wie sie ihm vorwarfen? Darüber konnte er nur lachen.

Ich muss unbedingt mehr Leute aus dem Untereichsfeld aktivieren, die mich unterstützen. In sechs Wochen stehen Neuwahlen an. Wenn ich den Posten verliere, wird auch mein neues Projekt scheitern und die Göttinger heimsen sich das Geld ein. Das darf auf keinen Fall passieren. Schließlich hab ich schon in Immobilien entlang der Route investiert. Wäre fatal, wenn das in die Hose ginge. Das lass ich mir von den Sturköppen nicht kaputtmachen. Also: Augen zu und durch. The show must go on.

»Ich verstehe euch nicht«, setzte er an und begann seinen Mitarbeitern zu erklären: »Das Land Niedersachsen hat seinen Fördertopf für neue Rad-, aber auch Wanderwege kurzfristig aufgestockt. Bei der Kreistagssitzung im Frühjahr wurden wir aufgefordert, so schnell wie möglich attraktive Vorschläge zu unterbreiten. Für die besten wird der Landkreis einen Antrag auf Förderung beim Land Niedersachsen stellen. Von dem Kuchen will ich ein großes Stück für uns abschneiden. Ich hab mir das Radwegenetz von Niedersachsen angeguckt. Die meisten Wege laufen flach an den Flüssen entlang, was ja sinnvoll war. Nun haben sich die Zeiten geändert. E-Bike ist angesagt, und somit sind Steigungen im Gelände kein Thema mehr. Die Göttinger wollen den Weser- und den Leineradweg bis Hannover besser ausbauen. Aber ich will einen Radweg quer durchs Eichsfeld bis in den Harz, grenznah am Grünen Band entlang. Der BUND hat nämlich vor, die Welterbenominierung für das deutsche Grüne Band endlich erfolgreich voranzubringen. Da springen wir doch auf! Schaut her, ich zeig euch den Verlauf, den ich mir vorstelle.«

Zecke breitete eine Karte auf dem Tisch aus, in der mit einem Marker eine Route im Süden von Bad Sooden-Allendorf bis Duderstadt, von dort durch den Rotenberg und das Pöhlder Becken, mit Abstechern nach Herzberg und Bad Lauterberg und weiter nach Bad Sachsa eingezeichnet war.

»Da die Ausschreibung von den Niedersachsen ausgeht, muss die Route auf unserer Seite verlaufen. Was meint ihr?«, fragte er und richtete sich stolz auf. »Das ist meine Vision. Für euch, sprich: den WFE, bedeutet das, dass wir den Teil zwischen Duderstadt bis kurz vor Pöhlde bearbeiten. Ich bin mit Erfurt im Gespräch, dass wir auch die Thüringer Eichsfeldseite gefördert kriegen, damit alles aus einem Guss ist. Das Gute ist, dass nicht alles neu gebaut werden muss. Es gibt schon einige Streckenverläufe von festen Radwegen, zum Beispiel den alten Bahndamm von Hilkerode nach Herzberg. Auch durchs Pöhlder Becken bis nach Barbis, was ja nicht mehr zum Eichsfeld gehört, ist schon viel gemacht. Es muss besser, und vor allem mit einem neuen Logo ausgeschildert werden.«

»Moment«, wandte Jonny Meuchel ein. »Und was haben wir damit zu tun? Das ist doch nicht unsere Aufgabe.«

Zecke hob die Augenbrauen. »Doch, ist es. Wir haben zwar schon den Eichsfeldwanderweg mit seinen dreizehn Etappen, der wird natürlich daran angebunden, aber rechts und links vom Radweg müssen wir noch mehr Wanderrouten erschließen, die die Natur und ihre Schätze den Menschen näher bringen. Relikte der deutschen Geschichte müssen sichtbarer gemacht, touristische Informationen aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht werden. Die Leute sollen kommen, anhalten und ihr Geld hier lassen. Nachhaltigen Tourismus nennt man das. Wir müssen groß denken, nicht klein. Darum will ich zuerst mit den Harzer Wanderfreunden aus Bad Lauterberg zusammenarbeiten. Wenn die im Boot sitzen, kommt die Anbindung nach Süden. Es hat mich einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, bis die Harzer auf mein Angebot angesprungen sind. ›Urlaub im eigenen Land‹ ist in der Klima- und nach der Coronakrise die Marschrichtung nach vorn. Wir brauchen eine bessere Vernetzung mit dem Harz, so wie wir das zwischen Ober- und Untereichsfeld geschafft haben. Versteht ihr? Das ist die neue Chance. Klimaschutz treibt die Menschen um. Nicht mit dem Auto zum Wandern fahren, sondern mit dem Rad oder dem E-Bike. Das ist der Trend: umwelt- und klimafreundlich die Freizeit gestalten. Bis jetzt macht jeder nur sein Ding, wir hier im Eichsfeld und die im Harz. So läuft das für uns aber nicht effizient genug. Mit den Zuständigen von der Energiewirtschaft hab ich auch gesprochen. Die können sich sogar vorstellen, an den Hotspots der Radtouren zwischen Harz und Eichsfeld weitere Ladesäulen aufzustellen, wenn mein Projekt den Zuschlag kriegt. Das muss laufen! Ich will ›Biken & Wandern‹ hier eta-blieren. Man fährt eine Tagestour mit dem Rad durch unsere schöne Landschaft, nimmt die Highlights mit, steigt dann in einem Hotel, einer Pension oder auf einem Campingplatz ab, kehrt ein, erkundet für ein paar Tage die Gegend mit dem Rad oder zu Fuß. Aktive Kurzurlaube sind zukünftig der Renner! Und das Allerbeste: Wir locken die Harzer mal raus zu uns ins Eichsfeld! Keine Einbahnstraße mehr gen Norden. Die sollen zu uns kommen und ihre Gäste gleich mitbringen! Denkt nur mal an all die vielen Holländer, die im Harz die Campingplätze bevölkern. Das sind doch alles Radfahrer! Die Geschäftsleute in Leinefelde, Heiligenstadt und Duderstadt werden sich freuen. Leute, wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir abgehängt und können einpacken. Wir müssen schnell sein! Ich bin dabei, ein Portfolio zu erstellen, dass die Göttinger aussticht. Denen im Kreistag darf nichts anderes übrig bleiben, als mit dem Fördergeld mein Projekt zu finanzieren. Dann wird für den WFE einiges Geld abfallen.«

Zecke schaute in die Runde, taxierte die Gesichter, bevor er weiter ausführte: »Die Harzer haben schon ein passables Know-how für Tourismus. Von denen können wir lernen. Wenn wir unsere Wandertouren hier vor Ort, auch auf Thüringer Seite, durch die E-Bike-Route mit dem Harz unter einem Namen vernetzen, sind wir wieder wer. Mitten in Deutschland.«

»Eichsfeld. Du denkst doch nur an Duderstadt. Glaubst du ehrlich, dass einer vom Harz bis nach Heiligenstadt oder Leinefelde mit dem Rad fährt? Pah! Wieso muss es überhaupt der Westharz sein? Klar, du glaubst, die Ostharzer haben das Know-how für Tourismus nicht. Zu DDR-Zeiten gab es aber bei uns auch Tourismus. Unsere Wege waren gut in Schuss, vor allem die Wegweiser. Da könnt ihr euch im Westen ’ne Scheibe von abschneiden. Ihr mit euren blöden Schildern. Da sind Fuchs und Hase drauf, aber keiner weiß, wohin der Fuchs läuft und wie weit der Weg ist«, ließ Jonny Meuchel, der Älteste in der Runde, Dampf ab. Viele Jahre hatte der gelernte Tischler für die Heiligenstädter liebevoll gestaltete Wanderschilder aus Holz geschnitzt. Echte Hingucker, aber anscheinend nicht mehr gefragt.

Zecke blies die Backen auf, ließ die angestaute Luft langsam aus dem gespitzten Mund entweichen. Wieder die alte Leier, keiner hört mir richtig zu, dachte er gereizt. Darauf einzugehen ist sinnlos. Diskussion abblocken. Er schaute sie an, einen nach dem anderen.

»Okay. Ihr seid dagegen, wie immer«, sagte er ärgerlich. »Jonny, wir sind ein Wanderverein, nicht einer im Ober- und einer im Untereichsfeld. Schon vergessen? Ich ziehe das durch und ihr geht mit. Ich bin der Vorsitzende und sage, wo’s langgeht. Die Bürgermeister ›hüben wie drüben‹ sind von meinem Vorhaben begeistert! Also keine Diskussion. Richtet euch alle darauf ein. Am Montag ist das erste Treffen mit den Bad Lauterbergern. Sie haben uns kurzfristig eingeladen, wollen mit uns zum Großen Knollen wandern, zum gegenseitigen Beschnuppern. Dass die Duderstädter Wegewarte im Urlaub sind, kann ich nicht ändern. Terminsachen sind manchmal kurzfristig und nicht anders zu lösen. Ich setze auf euch. Oben in der Gaststätte auf dem Knollen gibt’s Erbsensuppe. Wenn das Montag gut läuft, laden wir sie zu uns auf eine Wanderung, meinetwegen auch nach Heiligenstadt, ein. Ist das ein Angebot?«

»Erbsensuppe?« Malwine verzog das Gesicht. »Ohh, lecker. Wie bei Oma«, heuchelte sie. Fritz Freybier nickte grinsend.

»Malwine hat recht. In unseren Harzer Hütten gibt’s Thüringer Bratwurst oder leckere Soljanka, kein Armeleuteessen.«

Ärgerlich stand Zecke auf. »Es reicht. Ich habe keine Lust mehr, mich mit eurem kleingeistigen Gesülze auseinanderzusetzen. Wir sehen uns Montag. Es ist eure Arbeit. Auch wenn ihr nur als Mini-Jobber bezahlt werdet, erwarte ich, dass ihr das gut macht. Oder will einer von euch kündigen?« Er schaute in die Runde, fixierte sie nacheinander, wie sie zähneknirschend dasaßen und auf den Boden starrten.

»Wer übernimmt das Fahren? – Freybier? Du trinkst doch keinen Alkohol mehr.«

Fritz Freybier hob den Kopf. »Aha. Und nur weil ich trocken bin, muss ich fahren? Wollt ihr euch da oben die Kante geben? Nee, such dir einen andern. Diesmal fahr ich nicht.« Er zog eine Zigarettenschachtel aus der Gesäßtasche seiner Jeans, ging ans Fenster, um es zu öffnen. Während er sich eine Zigarette ansteckte, ergänzte er grinsend: »Meine Frau braucht das Auto.«

Jedem im Raum war bewusst, dass es gelogen war. Zecke presste die Lippen aufeinander, schluckte seinen Ärger hinunter, fragte so freundlich wie möglich Jonny Meuchel: »Kannst du fahren, Jonny?«

Der Angesprochene lief rot an, kratzte sich verlegen am Kopf. »Äh. Ich? Nee. Musste meinen Lappen abgeben, bis nächsten Monat. Bin in Duderstadt bei Rot über die Ampel gefahren.« Er zog die Schultern hoch, machte einen Schmollmund.

»Malwine, wie ist es mit dir?«, wandte sich Zecke an die Sekretärin.

»Das meinst du nicht im Ernst! Ich soll euch mit meinem kleinen Auto in den Harz fahren? Niemals, da kenne ich mich nicht aus. Und auf eure klugen Sprüche über meinen Fahrstil kann ich verzichten.« Energisch hob sie den Kopf, schob den Unterkiefer vor und setzte sich aufrecht hin.

Zecke sah ihr in die Augen, fühlte ihre Ablehnung wie Nadelstiche auf der Haut. Sein Verhältnis zu der Sekretärin war jahrelang intim gewesen. Seit Monaten schon lag es auf dickem Eis. Nach der letzten feuchtfröhlichen Weihnachtsfeier waren sie, wie so oft nach Sitzungen, in Malwines Wohnung gelandet. Er war die Nacht geblieben und sie hatte sich wieder einmal Hoffnungen gemacht, dass sie ihr Verhältnis nicht mehr verheimlichen müsste. Am Morgen, beim Frühstück, hatte sie ihn darauf angesprochen. Zecke hatte eiskalt reagiert, ihr unmissverständlich erklärt, dass er sich niemals von seiner Frau trennen würde. Ausgelacht hatte er sie sogar. Der Klang seiner Stimme dröhnte noch immer in ihrem Kopf, wenn sie abends die Augen schloss. »Du willst in die Fußstapfen meiner Frau treten? Was denkst du eigentlich, wer du bist?« Das hatte gesessen. Sie war tief getroffen, fühlte sich missbraucht, schmiedete Rachepläne. Zusammenarbeit war seitdem kaum mehr möglich. Würde sie diesen Job als Sekretärin nicht brauchen, hätte sie längst das Weite gesucht.

»Na gut. Dann fährt uns Jonas mit dem Wanderbus«, entschied Zecke.

Jonas Busch absolvierte sein Freiwilliges Ökologisches Jahr im Verein. Nach dem Abitur konnte er sich nicht entscheiden, welches Studium er einschlagen sollte. Forstwirtschaft, Medizin oder etwas im IT-Bereich? Er war an vielem interessiert und hoffte, durch die Arbeit beim WFE herauszufinden, was ihm so wichtig war, dass er sich darin ausbilden ließ.

»Wo ist Jonas überhaupt?« Zecke schaute fragend in die Runde.

»Auf dem Hof. Der putzt den Bus. Gestern, auf der Wandertour zu den Dieteröder Klippen war so ein Sauwetter, dass die Leute mit ihren matschigen Schuhen den Wagen total verdreckt haben.«

»Gut. Dann bespreche ich das draußen mit ihm. Wir sind Montag für zehn Uhr in Bad Lauterberg auf dem Parkplatz ›An der Lutter‹ bestellt. Es reicht, wenn ihr um kurz nach acht hier in Heiligenstadt abfahrt. Ich steige in Duderstadt am Stadthaus zu. Denkt an festes Schuhwerk. Malwine, du besorgst einen Feldkieker, frisches Brot, ein Glas saure Gurken und einen Nordhäuser Schnaps, Holzbrett und scharfes Messer inklusive. Du weißt schon. – Ich steuere zwei Sechser-Packs ›Heimatliebe Bier‹ aus Duderstadt bei. Bevor wir zusammen loswandern, gibt’s auf dem Parkplatz eine kleine Eichsfelder Brotzeit auf die Faust, als Dank für die Einladung an die Lauterberger. So hab ich’s der Vorsitzenden vom dortigen Verein mitgeteilt, damit die Bescheid wissen.«

»Ich kann euch einen Feldkieker verkaufen. Kostet aber vierzig Euro«, meinte Fritz geschäftstüchtig.

»In Ordnung. Lass dir von Malwine das Geld aus der Kasse geben«, antwortete Zecke und schaute dabei auf die Uhr. »Ich muss los.«

Grußlos verließ er den Raum. Seine miese Laune und das offene Fenster waren wohl gleichermaßen die Ursache, warum die Tür mit lautem Knall ins Schloss fiel.

»Arschloch«, raunte Malwine. Es war ihr egal, ob er es noch gehört hatte.

Kapitel 2

Welche Schlauköpfe und Mondkälber laufen da nicht herum,

welches Edelgewächs und welch Unkraut blüht da lustig durcheinander?

Und alles ist gut und herrlich!

– Gottfried Keller –

Erleichtert räumte Kriminalhauptkommissar Christian Schneider vom Duderstädter Polizeirevier die fertig bearbeitete Akte vom letzten Fall in den Schrank und zog den Rollladen hoch. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn freute er sich auf den Urlaub. Die vergangenen Jahre mit den Beschränkungen durch das Coronavirus hatte ihm die Arbeit ziemlich vermiest. Der bürokratische Mehraufwand für all die Kleinigkeiten, die neuen Vorgaben und Änderungen, Einschränkungen und ständig neuen Beschlüsse zehrten an den Nerven. »Korinthenkackerei!«, hatte er so manches Mal geflucht. Dazu kamen Urlaubssperre, die Quarantäne von Kollegen, die sich angesteckt hatten, Kleinkriminelle, die sich hinter den Masken sauwohl fühlten und sich einen Spaß daraus machten, ihn und seine Kollegen vorzuführen.

»Endlich Urlaub! So spät im Jahr war ich noch nie dran.«

Frohen Mutes packte er seine Sachen und ging rüber zum Nachbarzimmer, um sich von seinen Wachtmeistern Carl-Otto Paschke und Maik Pfützenreuter zu verabschieden.

»In vierzehn Tagen bin ich wieder da! Hoffentlich hält sich das Spätsommerwetter noch ’ne Weile. Wenn was ist, meldet euch. Ansonsten – bleibt anständig und vor allem: haltet die Füße still«, meinte er mit einem Augenzwinkern.

Über der Nase von Wachtmeister Pfützenreuter bildete sich eine tiefe senkrechte Kerbe.

»Füße stillhalten? Wie meinst du denn das?«, hakte er nach.

Schneider schniefte. »Hmpf.« Die Naivität von Fuzzi war manchmal grenzwertig. Aber er musste zugeben, dass sie schon bei so manchem Fall auch Vorteile gehabt hatte. Weil der Wachtmeister nachfragte, wenn er etwas nicht verstand, half es oftmals, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Was soll’s. Übe dich in Geduld, Christian, dachte er wohlwollend und verkniff sich ein Grinsen, als er versuchte, den banalen Spruch zu erklären. »Also, pass auf, Fuzzi. Wenn ich nicht da bin, seid ihr doch meine Vertreter. Klar?«

»Klar.«

»Aber Leute mit kaputten Füßen kann ich nicht brauchen. Mathilde mit ihrem Klumpfuß reicht mir schon.«

Fuzzi krauste sein Gesicht. »Häh? Ich versteh kein Wort. Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Das würde ich niemals tun. Wenn ich schon jemanden auf den Arm nehme, dann nur unseren kleinen George«, lachte Schneider, hob die Hand zum Abschied und ging kopfschüttelnd zur Tür hinaus. Auf dem Flur kam ihm ein Spruch in den Sinn, den seine Mutter früher gern zitiert hatte: Herr Lehrer, Sie haben einen Tropfen an der Nase! Ein-fällt-dich-gleich-runter.

Während Schneider das dachte, schaute Fuzzi rüber zu seinem Kollegen. »Was sollte das schon wieder? Manchmal redet der so’n Quatsch.«

Cop griente. Fuzzi hatte zu Wortspielchen einfach keinen Zugang. »Stehst du auf der Leitung? Denk doch mal nach: ›Ver-treter!‹ Wir sollen uns als seine Vertreter auf der Dienststelle nicht die Füße vertreten. Das ist symbolisch gemeint! Die Arbeit soll weiterlaufen. Ohne Knacks an den Haxen.«

Es dauerte eine Weile, bis bei Fuzzi der Groschen fiel: »Ha ha, echt witzig. Und wieso hat Mathilde jetzt einen Klumpfuß? War die auch sein Ver-treter?«

Cop lachte schallend.

»Nee. Die ist vorige Woche in Bad Lauterberg am Hallux valgus operiert worden und trägt seitdem einen Vorfußentlas-tungsschuh.«

Verzweifelt kratzte sich Fuzzi am Kopf. »Ey. Verscheißern kann ich mich alleine. Am Hallux was? Sprich deutsch mit mir!«

»Mensch Fuzzi, es ist echt schwierig. – Mathilde hatte einen krummen Krischan, den Doktor Knackfuß gerichtet hat. Verstehste? Die humpelt mit so’m komischen Schuh rum und muss drei Mal die Woche zur Physiotherapie nach Bad Lauterberg. Weil das für Kommissar Schnüffel zu nervig ist, immer dreißig Kilometer hin und her zu juckeln, haben sie sich eine Hütte auf dem Campingplatz am Wiesenbeker Teich gemietet und machen da nebenbei Urlaub.«

»Und warum sagt mir das keiner?«

»Hab ich doch gerade«, seufzte Cop.

Kapitel 3

Liebschaften sind wie Pilzgerichte,

ob sie gefährlich waren, weiß man erst später.

– Heinz Ehrhardt –

Montagmorgen in Barbis am Bühberg

Total verkatert wachte Ulrich Zecke am Montagmorgen auf. Er hatte eindeutig zu wenig Schlaf bekommen. Der Sex mit Käthe war zwar unglaublich intensiv, aber kraftzehrend. Diese Frau hatte eine enorm lustvolle Energie. Ihr Verlangen war kaum zu stillen, und dem wollte er in nichts nachstehen. Als sie endlich gegen drei Uhr in der Frühe Ruhe gab und einschlief, war ein Motorradfahrer vor seinem Ferienhaus am Bühberg auf und ab gefahren, hatte den Motor bis zum Bersten aufheulen lassen, immer und immer wieder. Es hatte ihn maßlos aufgeregt. Schließlich war er aufgestanden, wutschnaubend nach draußen gelaufen, um sich den Kerl vorzuknöpfen. Doch als er vor die Tür trat, blendete ihn der vermummte Fahrer mit seinem Fernlicht. Dass der ihm den ›Stinkefinger‹ zeigte, bevor er mit hochgezogenem Vorderrad davonbrauste, konnte Zecke zwar silhouettenhaft erahnen, war aber von dem grellen Licht so geblendet, dass er minutenlang nur Sterne vor den Augen sah. Er fluchte, weil er weder das Kennzeichen noch etwas, das auf den Fahrer schließen ließ, erkannt hatte. Als er wieder ins Bett kroch, hatte sich Käthe selig gereckt und fing erneut an, ihn scharfzumachen. Am liebsten hätte er sie weggestoßen, überlegte sich aber noch im letzten Moment, dass er sie brauchte, nötig brauchte. Er musste sie gefügig halten, durfte es jetzt nicht vermasseln.

Nun sah er erschöpft auf die Uhr, gähnte. Gleich sieben. Ich muss mich beeilen, sonst wird’s knapp. Sämtliche Glieder schmerzten, als er aufstand und ins Bad schlich.

* * *

Am Freitagabend war er wütend hierher nach Barbis in seine Blockhütte geflüchtet. Die angespannte Atmosphäre zuhause hatte sich wieder einmal in heißen Diskussionen und Beschimpfungen entladen. Seine Frau Doro hatte ihm seine Affären vorgeworfen, dass er sich nicht kümmere, nie da sei. Er selbst bombardierte Marvin, seinen achtzehnjährigen Sohn mit dem Vorwurf, dass er mit dem Motorrad schon zum zweiten Mal in dieser Woche an seinem Mercedes entlanggeratscht sei. »Zwei dicke Schrammen! Kannst du nicht aufpassen? Die Einfahrt ist doch wohl groß genug. Was denkst du, was ich dafür bezahlen muss? Das zieh ich dir vom Taschengeld ab, mein Lieber.«

Marvin hatte sein Gesicht zu einer Grimasse verzogen und geantwortet: »Bingo, war ja klar, dass ich das war. Wer anders kommt ja auch nicht in Frage. Wenn du meinst, Alter ...« Betont lässig hatte er sich aufs Sofa gefläzt und mit dem Handy gedaddelt.

Zecke waren Zweifel gekommen. Ob Marvin unschuldig ist? Warum verteidigt er sich nicht? Straft mich mit Nichtachtung. Toll.

Als Lena, sein vierzehnjähriger Sonnenschein, ihn dann auch noch selbstbewusst mit einem Lippenpiercing und einem Tattoo am Arm überraschte, war er explodiert. Lena, das Papakind, auf das er alles setzte, entzog sich ihm auch, ließ sich nichts mehr sagen. Er hatte die Nase voll von seiner Familie. Warum dankten sie ihm nicht?

Ich scheffele das Geld ran. Was denken sie sich eigentlich, woher alles kommt? – Nun ja, ich hab kleine Affären. Aber wer in meiner Position hat die nicht? Und weiß ich, ob Doro nicht auch jemanden hat? Ich frage sie nicht danach. Also, was will sie? Sie kann sich doch wohl nicht beklagen, fand er.

* * *

Hier in Barbis hatte er Ruhe vor dem häuslichen Stress. Sollten sie ihm doch den Buckel runterrutschen. Er duschte, packte seine Sachen und ging zurück ins Schlafzimmer.

Käthe blinzelte verschlafen. »Wieso bist du schon angezogen?«

»Ich muss los, schlaf noch ein bisschen. Wir sehen uns um 10 Uhr auf dem Parkplatz an der Lutter. Und tu mir einen Gefallen: Versau es nicht. Also kein vertrauter Blick. Wir kennen uns nicht, sind noch per ›Sie‹. Hörst du? Ich hab schon genug Ärger am Hals. Wenn du unser Verhältnis fortsetzen willst, dann hältst du dich an die Vorgaben. Okay?« Er drückte seiner neuen Eroberung einen Schmatzer auf.

Sie schaute ihn mit verkniffenen Augen an. »Dein Ton gefällt mir nicht, Zecke. Wenn du unser Verhältnis fortsetzen willst, sprichst du anders mit mir. Okay?«, ahmte sie seine leicht drohende Stimme nach. Beethoven, Käthes Husky, strich ihm um die Beine, schaute flehend zu ihm auf, als wolle er gut Wetter machen.

»Ich geh nicht mit dir Gassi. Das macht Frauchen«, sagte er zerknirscht, strich dem Hund aber doch über den Kopf. Mit einem Zungenschlecker über seine Hand versuchte Beethoven ihn umzustimmen. Unangenehm berührt zog er seine Hand weg.

»Okay. Also bis nachher.« Er beugte sich übers Bett. »War ein schönes Wochenende. Ich hoffe, es hat dir auch gefallen«, sagte er bemüht liebevoll, küsste sie noch einmal heftig, so wie sie es mochte, und verließ die Hütte.

Käthe setzte sich im Bett auf, wuschelte ihre langen blonden Haare. »Ja, war ein schönes Wochenende, Zecke. Eigentlich liege ich nicht schon nach ein paar Stunden bei einem fremden Mann im Bett. Hast mich ganz schön überrumpelt. Mich, Frau Dr. Käthe Harzer, Juristin bei der Stadt Bad Lauterberg und 1. Vorsitzende vom WFH, den Wanderfreunden Harz.« Sie hörte ihre Stimme nachhallen und schaute träumend ins Leere, gähnte. Wie ist es eigentlich so schnell dazu gekommen?, überlegte sie.

Am Samstagmorgen um neun Uhr hatte Zecke sie privat angerufen. Seine Stimme, wie er etwas sagte, hatte sie schon beim ersten Anruf vor vierzehn Tagen, als er ihr das Projekt Biken & Wandern vorgestellt hatte, beeindruckt. Sie mochte klare Worte, kurz und präzise. Kein rumeiern. Der Mann wusste, was er wollte, genau wie sie.

Ohne Umschweife hatte Zecke sie gefragt, ob sie sich nicht im Vorhinein schon treffen könnten, um sich kennenzulernen, ohne die anderen. Sie hätten sich doch am Telefon auf Anhieb gut verstanden. Er würde das gern vertiefen. Außerdem sei er auf seiner Hütte in Barbis, sozusagen gleich nebenan. »Ja. Das trifft sich gut«, hatte sie ihm geantwortet. »Ich habe mir eh für heute eine kleine Wanderung zur Burgruine Scharzfels vorgenommen. Oben in der Schlossberghütte wollte ich zu Mittag essen. Okay. Treffen wir uns in einer Stunde am Bahnhof in Scharzfeld.«

Sie kamen zur gleichen Zeit an. Nach der Wanderung und dem guten Essen waren sie in seine Blockhütte gefahren und dort geblieben. Es hatte schnell zwischen ihnen gefunkt.

Jetzt saß sie grübelnd auf der Bettkante. Beethoven legte seine Schnauze in ihren Schoß. Sie knuddelte ihn.

»Was hältst du von ihm? Er ist ein Macho, nicht wahr? Eigentlich mag ich diese selbstherrlichen Typen nicht. Aber im Bett ist er unglaublich gut. Sollen wir uns auf ihn einlassen? Was meinst du?«

Beethoven fiepte und sprang zur Tür. Stöhnend erhob sie sich.

»Ja, ja, ihr Männer. Allesamt Egoisten. Ein schmelzender Blick und schon sollen wir nach eurer Pfeife tanzen. Glaub bloß nicht, dass ich euch nicht durchschaue. Ich geh jetzt duschen, mein Lieber. Und erst, wenn ich mich in Ruhe fertig gemacht hab, gehen wir Gassi«, warnte sie mit erhobenem Zeigefinger. Beleidigt knurrend legte sich der Hund auf den Flokati, platzierte die Schnauze auf seinen Pfoten, schnaufte und strafte sie mit einem mürrischen Blick.

Als sie die Hütte verließ und die Tür zuzog, wartete ein Motorradfahrer auf seiner Maschine sitzend vor dem Jägerzaun. Beethoven schlug an, legte die Pfoten auf die Zaunlatten, bellte.

»Aus!« Sie leinte den Hund an, bevor sie das Gartentürchen öffnete.

Der Motorradfahrer schob sein Visier hoch, so dass sie sein jugendliches Gesicht sah. Strahlend blaue Augen fixierten sie. Sie nickte ihm zu.

»War ganz schön laut in der Nacht. Warst du das mit deiner Maschine?«, fragte sie ihn ohne Umschweife.

Der Junge antwortete nicht auf ihre Frage. Stattdessen sagte er: »Lass die Finger von dem Alten. Der ist nichts für dich, glaub mir.« Dann ließ er den Motor aufheulen, startete durch, und raste den Abhang hinunter.

Nachdenklich schaute Käthe hinter ihm her. »War das eine Warnung oder ein guter Rat? Was meinst du Beethoven?«

Kapitel 4

Für den wahren Lebenskünstler ist die schönste Zeit

immer diejenige, die er gerade verbringt.

– Orson Welles –

Montagmorgen, Campingplatz am Wiesenbeker Teich

Auf dem Campingplatz waren fast alle Plätze belegt. Die Menschen waren froh, nach den Einschränkungen durch das Coronavirus endlich wieder ein halbwegs normales Leben führen zu können. Fast alle waren geimpft. Trotzdem hielten noch viele Abstand zum anderen. Zu sehr hatte sich die Angst vor Ansteckung in ihren Köpfen festgefressen. Mehr als zwei Jahre lang hatten die Menschen auf Distanz gelebt, waren, wie von einem unsichtbaren Ballon umgeben, niemandem nahegekommen. War jetzt die Zeit, diesen Schutzraum zu überwinden, um das herzliche Miteinander so, wie man es früher ganz selbstverständlich gelebt hatte, neu zu entdecken? Oder würde diese Verunsicherung in den Köpfen der Menschen bleiben? Allzu stark hatte das Virus gewütet. Doch neben der Skepsis war auch eine neue Aufbruchstimmung hautnah spürbar. Am schnellsten lösten sich die Kinder vom Druck der Einschränkungen, sprangen befreit ins Leben hinein.

Das Ehepaar Schneider erwachte gegen acht Uhr in der Blockhütte auf dem Campingplatz. Mathilde gab ihrem Mann einen verschlafenen Guten-Morgen-Kuss.

»Ich hab geschlafen wie ein Bär. Das war eine super Idee von Steffens Schwiegereltern, sich hier einzuquartieren. Es fühlt sich wunderbar an. Tapetenwechsel! Urlaub!«

Christian gähnte. »Ja, wirklich. Das Blockhaus ist schön, die Betten sind gut, das Essen gestern Abend spitze. Das Einzige, was ich schade finde, ist, dass wir kein eigenes Bad mit Dusche haben und in die Sanitäranlagen gehen müssen. Brrr! ›Glamping‹ nennt sich das, glamourös Campen. Was die alles erfinden ...« Er rümpfte die Nase, schniefte. »Hmpf. Vielleicht stürze ich mich einfach in den Teich und schwimm ’ne Runde. Ich hab gelesen, dass das Wasser Trinkwasserqualität hat.« Er schaute seine Frau an.

»Wann wirst du vom Shuttle-Dienst zur Reha abgeholt?«

Mathilde nahm ihr Handy und scrollte nach dem Terminplaner.

»Um halb elf. Genug Zeit. Geh ruhig schwimmen. Ich humple derweil zur Dusche und mach mich dann in Ruhe fertig. Es dauert jetzt alles so lange. Dieser blöde Fuß ist echt ’ne Spaßbremse«, stöhnte sie.

Christian grinste. »Sei nicht ungeduldig, Schatz. Bald hüpfst du wieder wie ein junges Reh die Berge hoch und ich stapfe schnaufend hinterher.« Er schwang sich aus dem Bett. »Frühstücken wir um halb zehn in der Baude? Otto wollte um halb elf mit seinem neuen E-Bike hier sein. Wir wandern dann zum Ravensberg hoch. Am späten Nachmittag werden wir wohl zurück sein. Kommst du solange ohne mich klar?«

»Das werde ich wohl müssen«, tat Mathilde enttäuscht.

Christian warf ihr einen Schmatzer zu. »Vielleicht können wir zusammen mit Elsbeth und Otto in der Baude zu Abend essen. Wie findest du das?«