Mountain Home - Bracken MacLeod - E-Book

Mountain Home E-Book

Bracken MacLeod

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Beschreibung

Im Fadenkreuz einer Wahnsinnigen. Ein explosiver Thriller. Lyn arbeitet in den Bergen als Kellnerin in einem kleinen Restaurant. Ihr Leben langweilt sie, doch sie sieht keine Möglichkeit, das zu ändern. Bis zu dem Tag, als eine ausgebildete Scharfschützin das Feuer auf den Laden und seine Gäste eröffnet. Erbarmungslos belagert sie das Gebäude - und Lyn muss sich entscheiden: Wird sie sich dem Tod ergeben oder nimmt sie den Kampf gegen ihn auf? Andrew Vachss: 'Dieses atemberaubende Debüt ist ein echter cut-to-the-bone-Roman. Ein magisches Buch, ein Spiegel, der die Wahrheit reflektiert. und welchen Preis man dafür zahlen muss.' Jack Ketchum: 'Bracken - Du hast mich regelrecht durch Mountain Home gejagt. Du weißt, wie die Lokomotive Fahrt aufnimmt. Ein SEHR guter Debütroman. Die Hauptfiguren sind so real beschrieben, dass ich wirklich mitgelitten habe.'

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EPUB
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Seitenzahl: 284

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Aus dem Amerikanischenvon Christian Siege und Felix F. Frey

Impressum

Die amerikanische Originalausgabe Mountain Home erschien 2013 im Verlag Books of the Dead.

Copyright © 2013 by Bracken MacLeod

1. Auflage November 2014

Copyright © dieser Ausgabe 2014 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: www.smalldogdesign.ca

Alle Rechte vorbehalten

eBook 978-3-86552-346-4

www.Festa-Verlag.de

Für meinen Großvater Claude,der mir vorlebte, wie ein guter Mensch sich verhält.

Für meinen Sohn Lucien,der mich fortwährend daran erinnert,diesem Beispiel gerecht zu werden.

»Menschen, die nicht viel besitzen, werden böse, wenn man ihnen das wenige noch nehmen will.«

Andrew Vachss

Prolog

14. Juli 2013, 14:45 Uhr

Das Arschloch von Tisch drei zahlte mit Kreditkarte. Lyn Lowry las den Namen auf der Vorderseite, ehe sie dem Mann die Karte mit dem Beleg zurückgab. »Bitte sehr, Mr. Mills.«

Richard Mills lächelte steif und unterschrieb die Rechnung. Während er über die Höhe des Trinkgelds nachdachte, fummelte Lyn an der Halskette herum, die zwischen ihren kleinen Brüsten baumelte. Sie sah, wie Mills kurz zu dem silbernen Feenanhänger aufschaute, den sie vor zwei Jahren auf der FantastiCon in Portland gekauft hatte. Nach einer Ewigkeit entschied sich Mills und schob ihr die Rechnung hin.

Lyn spähte hinunter und sah, dass er im Feld für das Trinkgeld nur einen Strich gemacht hatte. Sie blickte über seine Schulter hinweg zu Luis, dem neuen Hilfskellner, der dabei war, den Tisch der beiden abzuräumen. Lyn fasste sich ans Ohrläppchen und signalisierte Luis damit: Wie viel hat er dagelassen?

Sie hoffte, Luis würde wenigstens einen Fünfer heben. Richard und seine Frau waren ziemlich anstrengend gewesen. Doch er hob nur eine einzelne Dollarnote und ein religiöses Flugblatt.

Ein lumpiger Dollar bei einer 30-Dollar-Rechnung.

Lyn schob die Registrierkasse ganz behutsam zu, um nicht ihre Verärgerung zu zeigen. Rick »Reimt-sich-auf-Fick« Mills und seine Frau waren nicht nur anstrengend und unfreundlich, sondern auch elende Geizkragen, die glaubten, sie, Lyn, auf den Pfad der Tugend zurückführen zu müssen.

Ständig gerate ich in diesem Scheißjob an Bibelspinner. Ich bin doch keine Hure, nur weil ich ein bisschen Ausschnitt zeige, um ein besseres Trinkgeld zu kriegen. Ich versuche doch nur, die Kohle für meine Ausbildung zusammenzukratzen, ihr Arschgeigen!

Anstatt die Gäste anzuschreien, behielt sie ihr Lächeln bei und sagte: »Vielen Dank für Ihren Besuch im Mountain Home Kitchen.«

Im Herausgehen warf Mrs. Mills ihr einen herablassenden Schulterblick zu, der verriet, dass sie mit Bediensteten nur redete, um eine Bestellung aufzugeben. Sie stieß die Tür mit ihrem freien Arm auf; im anderen hatte sie ihren grässlichen, kläffenden Köter eingeklemmt. Sie hatten darauf bestanden, den Hund mit ins Restaurant zu bringen: Also, wenn Sie mit uns ins Geschäft kommen möchten, Schätzchen ...

Dann traten sie hinaus in die Nachmittagssonne.

Lyn stellte sich vor, wie Rick und seine Frau in ihr Lexus-Cabrio stiegen, das Verdeck öffneten, die Straße hinunterrasten und in der Haarnadelkurve bei Mercy Lake von der Fahrbahn abkamen und in das felsige Tal stürzten. Vor ihrem inneren Auge sah sie das Auto in einem Feuerball explodieren, so wie im Film, und dabei lächelte sie zum ersten Mal an diesem Tag.

Natürlich wollte sie nicht, dass den Leuten wirklich etwas zustieß. Vielleicht könnten sie in der Kurve ein bisschen ins Schleudern geraten. Es würde sie daran erinnern, dass das Leben zu kurz ist, um ein voreingenommenes Arschloch zu sein.

»Schauen Sie bald wieder bei uns vorb...«

Ein lauter Knall von draußen schnitt Lyn abrupt das Wort ab. Sie sah, wie der goldene Glorienschein von Mrs. Mills’ blondiertem Haar dunkel wurde und der Hinterkopf ihres Gatten sich öffnete wie eine blutrote Blüte in einem Zeitraffer-Dokumentarfilm.

Der Spiegel hinter der Kasse zerbarst. Myriaden von Glassplittern regneten zu Boden, prallten davon ab und flogen gegen ihre Waden. Lyns Sichtfeld verengte sich auf die Szene vor ihr, als Rick hinter seiner Frau zusammenbrach. Ihre Leichen hielten die Glastüren offen, die zum Parkplatz führten. Mrs. Mills’ Hündchen flitzte davon wie eine Ratte, die von einer Boa constrictor verfolgt wurde. Lyn versuchte zu schreien, aber das Blut des Mannes lief ihr in den Rachen und sie musste würgen. Der Geschmack drehte ihr den Magen um.

Die Schreie der anderen Gäste klangen meilenweit entfernt.

Lyn wischte sich mit der Rückseite ihres blutbesudelten Unterarms den Mund ab. Ausdruckslos starrte sie auf die Sauerei, die über die ganze Kasse verteilt war, und dachte: Mr. McCann wird mich umbringen! Sie bildete sich ein zu schreien. Aber da keiner der anderen Gäste zu ihr herüberkam, um nach ihr zu sehen, schrie sie wohl doch nicht.

Sie löste den Blick rechtzeitig von den toten Eheleuten, um zu sehen, wie die Fensterscheiben neben den Tischen fünf, sechs und sieben nach innen zerbarsten. Dem Mann an Tisch fünf, der eine »Cola-Flatrate« bestellt hatte, flogen die Glassplitter voll ins Gesicht. Sein Kopf wurde ruckartig zur Seite gerissen, aber sein mächtiger Bauch, den er nur mit Mühe in die Sitznische gezwängt hatte, hielt ihn an seinem Platz fest. Das Geschoss, das den größten Teil seines Unterkiefers und seines Kinns weggesprengt hatte, wurde nach rechts abgelenkt und streifte die Frau an Tisch neun, bevor es unter einem gerahmten Bild, das die Starköchin Paula Deen in inniger Umarmung mit dem Restaurantbesitzer zeigte, in der billigen Holzvertäfelung stecken blieb.

Lyn hörte ihre Schreie sirenenartig über dem Chaos anschwellen. Das kleine Restaurant in den Bergen wurde angegriffen.

Kapitel 1

Joanie begleicht ihre Rechnung

14:00 Uhr

Joanie Myer trat mit geschlossenen Augen auf ihre Veranda hinaus. Die warme Nachmittagsbrise wehte über den feinen Schweißfilm auf ihrem Körper. Vorsichtig ging sie weiter und tastete nach dem Holzgeländer, das sie gezimmert hatte, nachdem das alte vor zwei Sommern verrottet war. Die frische Brise fühlte sich bald erfreulich warm an, als ihr Schweiß in der Sonne verdunstete. Sie sog den Duft von Wacholder und Akelei ein, von Erdreich, Lavendel und Lupinen. Dennoch lag über allem der Geruch der Straße: heißer Teer und Abgase. Die Magie war dahin. Es gab nun keinen Grund mehr zu träumen. Sie öffnete die Augen.

Sie ging die Stufen zu ihrer Einfahrt hinunter. Ihre Beine brannten ein bisschen und sie genoss die wohlige Erschöpfung nach dem ersten Training des Tages – eines Zehnkilometerlaufs im Wald hinter ihrem Haus. Über die letzten drei Jahre hatte sie einen Rundkurs durch den Wald gepflügt, der an allem vorbeiführte, was sie an ihrem Wohnsitz in den Bergen so liebte.

Wie nennt man gleich noch diese Pfade, die Tiere anlegen? Sie dachte daran, was ihr Professor während ihres einzigen College-Jahres zu ihr gesagt hatte. Trampelpfade. Sie durchziehen ihr Gebiet mit Trampelpfaden.

Als sie die Einfahrt erreichte, blickte sie auf das, was für sie einst die beste Aussicht der Welt gewesen war. Die einzige Aussicht, die sich mit dieser messen konnte, war der Blick auf die Berge rund um den Luftwaffenstützpunkt von Bagram in Afghanistan. Das Panorama hier jedoch war ihr Zuhause.

Gewesen. Sie blickte zu der riesigen Neonreklame über dem Restaurant auf der anderen Straßenseite. Ein kleines Landhaus vor einer gezackten Comic-Bergkulisse. Das Ganze sah aus wie ein Leuchtfeuer der Geschmacklosigkeit. Darüber stand in großen Druckbuchstaben im Country-Stil, was das Restaurant sein sollte:

YOUR

MOUNTAIN HOME

KITCHEN

Darunter blinkte ein kleineres LED-Schild mit roter Laufschrift: Wir haben geöffnet! Treten Sie ein! Es war so aufdringlich grell, dass Joanie bei dem Anblick jedes Mal wütend wurde.

Leider bekam sie es jeden Tag zu Gesicht, seit es vor zwei Jahren errichtet worden war. Ihre einstige Aussicht ins darunterliegende Tal mit dem üppigen Kiefernwald war nun fast vollständig von dem unaufhörlich blinkenden Neonschild verdeckt.

Resigniert steckte sie ihre geballten Fäuste in die Taschen ihrer Weste und ging über die Straße. Als sie ihr Haus bezogen hatte, hatte sie den Highway noch als Manko empfunden. Doch der gelegentliche Lärm vereinzelter Trucks oder Motorräder, die die 2A von Mercy Lake nach Jasper’s Fork hinauffuhren, erwies sich als eher geringfügiges Übel, das die Abgeschiedenheit ihres Hauses und die fantastische Aussicht auf die Selkirk Mountains mehr als wettmachten. Bis Adam Bischoff, Spezialist für Billigrestaurants, diese Kultstätte des panierten Beefsteaks auf einem Areal errichtete, das in ungefähr zehn Jahren wohl von der Erosion den Hang hinuntergespült werden würde. Joanie hatte sich nie erkundigt, aber sie war sich sicher, dass Bischoff die Zukunft des abgelegenen Restaurants ziemlich egal war. Ihm lag mehr daran, sie aus ihrem Haus zu vertreiben.

Der Parkplatz war zur Hälfte belegt. Sie zählte neun Autos. Drei Pick-ups, darunter zwei Ford und ein Chevy, ein Honda Civic, ein New Beetle, zwei Subaru-Kombis, ein BMW sowie ein 2012er Mercedes SLK-Cabrio. Ein Subaru, ein Ford und der Civic gehörten Mitarbeitern, der Chevy gehörte dem Manager und der Rest den Gästen. Sie öffnete die rechte Glastür und ging hinein.

Das Empfangspult war nicht besetzt. Lyn bediente gerade ein Ehepaar weiter hinten im Restaurant. Beim Bimmeln des Türglöckchens blickte sie auf und machte eine Bin-gleich-da-Geste. Als sie Joanie erkannte, guckte sie besorgt. Der Mann, den sie gerade bediente, machte eine spitze Bemerkung, worauf Lyn ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. Das Schoßhündchen seiner Begleiterin kläffte kurz, und die Leute neben ihnen, zwei Frauen, strafften die Schultern. Die anderen Gäste aßen oder redeten und kümmerten sich um ihren eigenen Kram.

Nachdem Lyn dem Paar Kaffee nachgeschenkt hatte, eilte sie hinüber zur Theke, um die Kaffeekanne zurückzustellen, dann ging sie zu Joanie, um sie zu begrüßen. Der besorgte Ausdruck passte nicht zu ihrem fein geschnittenen Gesicht. Ihre nach hinten frisierten Haare wurden im Nacken von einer Haarspange zusammengehalten, von der Joanie annahm, dass es dieselbe war wie immer, auch wenn man sie nicht sah. Der lächerliche pinkfarbene Dress, den Lyn tragen musste, war für eine weitaus fülligere Bedienung gedacht und nicht für ein dünnes Mädchen, das eine Figur hatte wie ein Model aus den Siebzigern.

»Hey, Joanie. Ähm, Beau ist da. Du verstehst?«

Joanie hatte noch nie erwartet, mit den Worten »Willkommen im Mountain Home Kitchen« begrüßt zu werden wie die anderen Gäste. Lyn sagte ihr immer nur Bescheid, ob der Manager hinten im Büro war.

»Schon okay. Ich will nur eine Tasse Kaffee.«

»Wenn er mich erwischt, dass ich dich bediene ...« Lyn sprach den Satz nicht zu Ende.

»Ich will ihn zum Mitnehmen. Ich habe keinen Kaffee mehr im Haus.«

Joanie wartete, während Lyn mit sorgenvoller Miene überlegte. Aber dann entspannten sich Lyns Züge. »Nein, schon gut. Dort hinten ist ein Tisch frei. Ich bringe dir eine Tasse und du kannst deinen Kaffee in Ruhe hier trinken. Scheiß auf die Kerle.« Sie lachte ohne jeden Humor.

»Genau.« Joanie lächelte, wollte dem Mädchen helfen, sich zu entspannen. Das Arschloch Adam Bischoff hatte Beau nur deshalb als Restaurantmanager eingestellt, weil er ein ebenso großes Arschloch war. Beau ließ das jeden spüren und alle hatten Angst vor ihm. Dabei sah er mit seiner Größe von kaum eins sechzig aus wie ein kümmerlicher Napoleon in einem grässlichen Country-Outfit.

Sie folgte Lyn in den Gästebereich. Als sie an einem Tisch in der Mitte des Raums vorbeikamen, musterte eine Rothaarige mit Kurzhaarfrisur Joanies Hintern. Es war ihr eine Freude, als sie mitbekam, wie die Frau von ihrer Begleiterin angeblafft wurde: »Ich bin hier drüben, Carol!«

Die Alte mit der Lederhaut und dem kleinen Kläffer atmete zischend ein, als sie Joanies verdreckte braune Wüstenstiefel sah. Geräuschvoll schlürfte ihr Mann an seinem Kaffee, darauf bedacht, sich nicht die Zunge zu verbrühen. Die beiden klangen wie eine Gemeinschaftsausgabe von Hannibal Lecter.

Der Tisch, an den Lyn sie führte, war der letzte ganz hinten, direkt neben dem Durchgang zu den Toiletten. Wahrscheinlich, damit sie nötigenfalls schnell durch den Seiteneingang abhauen konnte. Nichtsdestotrotz würde Joanie den Haupteingang nehmen.

»Bin gleich zurück«, sagte Lyn.

»Lass dir Zeit.« Die Bedienung-Schrägstrich-Wirtin-Schrägstrich-Kassiererin holte schnell die Kaffeekanne, nahm eine braune Tasse vom Regal und eilte zum Tisch zurück. Sie hatte gesagt »Scheiß auf die Kerle«, aber sie wusste sehr wohl, auf wen geschissen werden würde, falls sie die Regel brach, Joanie Myer nicht zu bedienen.

»Schwarz, nicht wahr?«, fragte Lyn, als sie die Tasse abstellte und Kaffee einschenkte.

Joanie lächelte wieder. Sie mochte Lyn. Das Mädchen erinnerte sie an sie selbst, als sie einundzwanzig war – voller Energie, Ehrgeiz und dem Willen, es den Leuten recht zu machen. Lyn schien jedoch keine Gelegenheit zu finden, diese Eigenschaften miteinander zu vereinbaren. Joanie zog für Lyn nur zwei Möglichkeiten in Betracht: Entweder ging sie zum Militär wie einst Joanie selbst, nachdem sie vom College geflogen war, oder – was viel wahrscheinlicher war – sie blieb bis ans Ende ihrer Tage Bedienung.

Sie pustete sanft auf die dampfende Tasse und sagte: »Danke.«

»Darf ich dich etwas fragen, Joanie?«

»Na sicher. Was möchtest du wissen?«

»Wozu die Kampfstiefel? Ich meine, klar sind sie echt hardcore und so, aber sie passen überhaupt nicht zu deinen Yoga-Klamotten, findest du nicht? Tut mir leid. Ich weiß, es ist echt unhöflich von mir, es so direkt zu sagen. Aber ich möchte Modedesignerin werden und deshalb interessiert mich, warum Leute sich in einem bestimmten Stil kleiden, und ich ...«

Joanie legte ihre Hand auf Lyns Arm. »Schon okay. Ich bin nicht beleidigt. Aber es ist schon schräg, stimmt’s?«

»Nicht schräg. Ich weiß nicht. Es ist irgendwie anders.«

»Ich habe gelernt, in den Stiefeln zu laufen, und konnte mich seither nie mehr an Turnschuhe gewöhnen«, erklärte sie. »Wie heißt es so schön: Im Alter lernt man nicht mehr dazu.«

»Du bist doch nicht alt.« Lyn beugte sich verschwörerisch zu ihr herunter. »Ich glaube, du hast gerade bei den beiden Lesben für einen Krach gesorgt.« Sie deutete kurz mit dem Kopf zu den Frauen, die noch immer über enge Hosen und verbotene Blicke stritten.

»Alt genug, um mir nicht wegnehmen zu lassen, was mir gehört.« Sie lehnte sich zurück. »Danke für den Kaffee.« Sie hob die Tasse und nahm einen tiefen Schluck von dem heißen Koffeintrunk, sichtlich immun gegen den Schmerz, den die Flüssigkeit auf der Zunge und im Hals verursachen musste.

»Natürlich nicht.« Lyn lächelte halbherzig und eilte davon, um das leere Glas entgegenzunehmen, mit dem ein fettbäuchiger Gast in der Nische am Fenster die ganze Zeit auf den Tisch trommelte.

»Noch eins?«, hörte sie Lyn entgeistert fragen.

Der Fettwanst antwortete: »Auf der Speisekarte steht ›Coca-Cola mit unbegrenztem Nachschenken‹. Also, mehr Cola, Schätzchen.«

Joanie sah, dass der Mann alleine da war, fest eingeklemmt in die Sitznische. Sie ging davon aus, dass einer der aufgemotzten Pick-ups draußen ihm gehörte. Wahrscheinlich der mit den silbernen Mädchensilhouetten auf den Kotflügeln und dem abgeriebenen »NObama«-Aufkleber auf der Stoßstange, der verriet, dass der Fahrer die Republikaner wählte. Lyn brachte ihm seine Cola und er stürzte sofort das halbe Glas hinunter. Sie vermutete, dass Lyn ihm gleich die nächste bringen musste.

Ihr Blick wanderte zu dem lesbischen Pärchen, das sich scheinbar wieder versöhnt hatte und auf dem Tisch Händchen hielt. Wie lieb, dachte sie. Sie musste an Jules und Amanda denken, die mit ihr im Irak stationiert gewesen waren. Damals hatte noch die Regel Don’t ask, don’t tell gegolten, durch die bekennende Homosexuelle einen schweren Stand beim Militär gehabt hatten. Jules wurde während ihres zweiten Einsatzes rausgeworfen, obwohl sie eine der besten Arabisch-Dolmetscherinnen im ganzen Land gewesen war. Amanda hingegen verstand es besser, ihre Neigung zu verbergen, und beendete ihre Laufbahn mit Auszeichnung. Joanie überlegte, ob die beiden Händchen haltenden Lesben im Restaurant sich im Klaren darüber waren, welche Folgen ihre öffentliche Liebesbekundung im ländlichen Norden von Idaho haben könnte.

Joanies Gedanken kreisten um einen Truppentransport außerhalb von Tikrit. Ihr Gesicht zuckte, während sie daran dachte. Sie hörte gar nicht, wie Beau sie anzischte, bis er zum dritten Mal sagte: »Verdammt noch mal, Miss Myers, was machen Sie hier?«

»Oh, hallo Beau.«

»Stecken Sie sich Ihr ›Hallo Beau‹ sonst wo hin. Sie wissen, dass Sie Hausverbot haben«, sagte er, während er einen frischen Zahnstocher aus der Verpackung nahm und ihn sich zwischen die Zähne steckte.

Sie fragte sich, warum er gerade jetzt aus seiner Höhle gekommen war. Wahrscheinlich hatte der Hilfskellner gepetzt. Er hatte wohl etwas gegen sie, obwohl sie ihm dazu keinen Anlass gab. Mehr als einmal hatte sie ihn dabei ertappt, wie er sie grimmig anblickte. Sie nahm an, dass es zur neuen Firmenpolitik von Adam oder Beau (oder beiden) gehörte, allen männlichen Mitarbeitern einzutrichtern, was für ein hinterhältiges Luder sie sei, ganz egal, was für einen geilen Arsch sie hatte.

»Ich will hier nur schnell eine Tasse ...«

»Ist mir egal, was Sie hier wollen. Aber ich bezweifle, dass Sie wegen einer Tasse Kaffee hier sind. Bestimmt wollen Sie nur unsere Anwälte provozieren.«

»Ich ziehe in Erwägung, zum Mittagessen zu bleiben. Können Sie mir etwas auf der Karte empfehlen?«

»Gütiger Himmel! Wissen Sie, Joanie, ich hätte Ihnen mit Freude Ihr Leben lang das tägliche Mittagessen spendiert, wenn Sie das Angebot für Ihr Haus angenommen hätten. Sie haben aber abgelehnt und daher hat ihnen Mr. Bischoff Hausverbot erteilt.« Er kaute intensiv auf seinem Zahnstocher.

Joanie trank den Kaffee aus und wischte sich den Mund ab. Dann fragte sie: »Was bin ich Ihnen schuldig?«

»Nichts, wenn Sie endlich gehen.«

»Ich zahle, was ich bestellt habe.«

»Sie werden schon noch zahlen, keine Sorge. Warten Sie nur ab, was das Gericht zu der von Mr. Bischoff erlittenen Geschäftsschädigung zu sagen hat. Sie werden noch für unsere Geschäftserweiterung zahlen. Vielleicht errichten wir eine Pension auf der anderen Seite des Highways.«

Joanie biss sich in die Wange und musste sich schwer zusammenreißen, um Beauregard McCann keinen Fausthieb zu verpassen. Sie würden ihr Haus nur über ihre Leiche bekommen. Leider hatte ihr Anwalt ihr mitgeteilt, dass ihre Klage wegen Belästigung abgelehnt worden war. So hatte Bischoff einen Sieg errungen, ohne die Kosten oder den Aufwand einer Gerichtsverhandlung in Kauf nehmen zu müssen. Sie hatte nicht damit gerechnet, mit einer Klage die Schließung des Restaurants zu erwirken. Sie hatte sogar erwartet, dass der Antrag abgelehnt würde. Es ging ihr nur darum, Adam Kosten zu verursachen. Aber die Tatsache, dass er sich den Sieg einfach kaufen konnte, ohne dass sie die Gelegenheit bekam, etwas zu ihrer Verteidigung vorzubringen, machte sie wütend.

»Wie lange arbeiten Sie heute?«, fragte sie Beau und unterdrückte den Drang, ihn zu beschimpfen oder anzuspucken.

»Wollen Sie etwa mit mir ausgehen?«

»Ich überlege nur, wo ich zu Abend esse.«

»Fahren Sie die Straße rauf nach Jasper’s Fork, in zwei Stunden sind Sie dort. Und Mercy Lake erreichen Sie in der anderen Richtung innerhalb von 45 Minuten. Sie können es sich aussuchen.«

Sie stand auf und stieß ihn im Vorübergehen so rüde an, dass er einen Satz zurück machte.

Du bist hier vielleicht das Alphamännchen, aber mir jagst du keine Angst ein, kleiner Mann. Du kannst mir nichts mehr antun, was mir nicht schon angetan worden ist.

»Ich werde nicht mehr herkommen«, versprach sie.

»Schlafen Sie beim Rausgehen nicht ein, Soldat.«

»Ich war bei der Air Force.«

»Meinetwegen. Dann machen Sie mal einen Abflug.«

Gemächlich ging Joanie zur Tür und zählte dabei die Sitznischen und die darin sitzenden Leute. Die Dame mit dem Hund kicherte, als sie an ihrem Tisch vorbeiging. Die Lesben vermieden jeden Blickkontakt. Der Fettwanst starrte sie an und leckte sich über die Lippen. Ein Paar, das am ersten Tisch bei der Tür saß und das sie vorher nicht beachtet hatte, winkte sie zu sich.

»Verzeihen Sie, wenn wir Sie stören«, sagte der Mann. »Wir glauben gehört zu haben, dass der Mann erwähnte, Sie seien beim Militär gewesen.« Im Gegensatz zu den anderen Gästen waren diese hier für Joanie nur schwer einzuordnen. Sie waren bescheiden gekleidet und zeigten keine Anzeichen von Exzentrizität oder andere auffällige Merkmale. Mann. Frau. Vielleicht Ende 30. Schlank, gesund, gut aussehend. Sie blickte auf ihre Hände, die auf dem Tisch ruhten. Sie trugen schmucklose, identische Eheringe aus Gold. Sie hatte keine Klunker an den Fingern.

»Jawohl, Sir. United States Air Force. Zwölf Jahre.«

»Wir würden Ihnen gerne für Ihre Verdienste danken«, sagte die Frau.

Einen Augenblick lang stand Joanie reglos da. Als sie damals in voller Kampfmontur am Flughafen angekommen war, hatte sie das sehr oft zu hören bekommen. Damals waren die Menschen in die Verlegenheit geraten, anerkennen zu müssen, dass sie einen Preis im Namen ihrer Nation bezahlt hatte. Kaum hatte sie die Uniform abgelegt – und sie hatte nicht vor, sie jemals wieder anzuziehen –, war es mit den Danksagungen vorbei.

»Nett von Ihnen«, sagte sie. Sie griff in ihre Westentasche, um ihre dünne Geldbörse aus Tyvek hervorzuholen. »Darf ich Ihr Essen bezahlen?«

»Ich glaube, wir sollten Sie zum Mittagessen einladen.«

»Ich werde hier nicht bedient«, wandte sie ein.

Das Paar guckte entrüstet, als wollten sie auf der Stelle aufstehen und gehen, ohne zu bezahlen. »Ist das Ihr Ernst? Ich versichere Ihnen, dass wir nie wieder hier essen werden, falls das wahr ist«, sagte der Mann. Er streckte die Hand aus. »Ich heiße Jeff und das ist Sarah.«

Joanie schüttelte ihm die Hand. Er hatte einen festen Händedruck, aber er drückte nicht zu fest zu. Das war meist ein Ausdruck von Unsicherheit bei Männern, nachdem sie erfahren hatten, dass sie beim Militär gewesen war. Sie schüttelte auch Sarah die Hand und sie hatte ebenfalls einen herzlichen, trockenen und festen Händedruck. Sie sahen ihr beide in die Augen und erhoben sich ein Stück bei der Begrüßung.

»Ich heiße Joanie. Sehr erfreut.« Sie warf 40 Dollar auf den Tisch. »Das sollte reichen. Geben sie den Rest als Trinkgeld. Bei ihrem Hungerlohn könnte es Lyn gut brauchen.«

»Ehrlich, wir möchten ...«

»Bitte.« Sie hob die Hand. »Lassen Sie mich das übernehmen. Nehmen Sie das Geld und bezahlen Sie damit.«

Jeff und Sarah sahen einander an, als würden sie sich per Gedankenübertragung beraten. Gemeinsam sagten sie: »Danke sehr.«

Joanie war klar, dass sie beabsichtigten, ihre Rechnung selbst zu begleichen und Lyn die ganzen 40 Dollar zu überlassen. Sie hatten gesehen, wie sie Joanie zu ihrem Tisch geführt und ihr Kaffee serviert hatte.

Sie ging einen Schritt, dann hielt sie inne. »Verzeihen Sie, aber welches Auto fahren Sie?«

»Den Forester, warum?«

»Nur so. Ich mache mir einen Spaß daraus, zu sehen, ob ich Leute anhand ihrer äußeren Erscheinung ihrem Auto zuordnen kann. Der Forester passt zu Ihnen. Colorado-Kennzeichen?«

»Ja. Sie sind gut.«

»Ich habe viel Übung. Geben Sie acht. Die Straße rauf kommt eine scharfe Kurve.«

14:19 Uhr

Lyn saß auf dem Hocker hinter dem Kassentresen und beobachtete, wie sich Joanie mit dem Paar an Tisch eins unterhielt. Beau ließ sie gerne wissen, dass man genauso gut sauber machen konnte, wenn sonst nichts zu tun war, aber sie rechnete damit, dass Joanie vielleicht doch noch ihren Kaffee bezahlen würde, darum blieb sie an der Kasse. Sie widerstand der Versuchung, ihr Skizzenbuch aus der Schublade unter der Kasse hervorzuholen und an einer neuen Zeichnung zu arbeiten – vielleicht eine Zeichnung von Joanie in einem Cocktailkleid und mit hochhackigen Schuhen statt in einer Yoga-Hose und Kampfstiefeln. Joanie schüttelte dem Paar die Hände und wechselte noch ein paar Worte mit ihnen, aber Lyn konnte nichts davon verstehen.

Joanie drehte sich zackig auf ihren klobigen Stiefeln um und schritt anmutig zur Kasse. »Wie lange musst du arbeiten?«, wollte sie wissen.

»Bis Ladenschluss. Ich wäre normal schon zu Hause, aber meine Kollegin hat sich krankgemeldet.« Lyn zuckte die Achseln. »Ein paar Überstunden sind auch nicht schlecht. Mehr Geld für New York.« Aus einem nicht näher bestimmten Grund schien Joanie sich über die Nachricht aufzuregen, dass Deirdre sich krankgemeldet hatte.

»Klar bedeutet das mehr Geld. Tut mir trotzdem leid.«

»Was tut dir leid?«

Joanie stand einen Moment lang da und starrte ihr in die Augen. Lyn fand es gruselig, so intensiv gemustert zu werden. Aber genau das machte Joanie aus. Sie war in allem intensiv. Schließlich antwortete sie: »Tut mir leid, dass du so viel arbeiten musst. Gute Menschen sollten es leichter im Leben haben.«

»Ist schon gut. Die viele Arbeit macht mir nichts aus.«

»Hoffentlich. Die ganze Schufterei bleibt doch immer an den Kleinen hängen.«

Beau kam zur Kasse, sichtlich genervt, weil Joanie noch da war, und versuchte, so nachdrücklich zu sein, wie es ihm auf beruflicher Ebene möglich war. »Ich glaube, ich habe Ihnen gesagt, dass ...«

Joanie blickte den Manager eindringlich an, der mit rotem Gesicht und in die schmalen Hüften gestemmten Händen dastand und gequält lächelte, worauf er seinen Satz unterbrach. Sie drehte sich um und ging. »Pass auf dich auf, Lyn.«

Starr vor Wut beobachtete Beau, wie Joanie den Highway überquerte, ohne nach links und rechts zu schauen. Er hoffte insgeheim, dass sie von einem Sattelschlepper überrollt werden würde; das hätte vieles für ihn einfacher gemacht. Doch Joanie erreichte sicher die andere Straßenseite, und er überlegte, dass es wohl nur noch einen Tag dauern würde, bis das Gericht ihr die Höhe ihrer Geldstrafe mitteilen würde. Dann wäre sie gezwungen, das Haus zu verkaufen.

Er fauchte Lyn an: »In mein Büro. Sofort!«

»Und die Gäste?«

»Luis soll sich um sie kümmern. Er wird sowieso bald deinen Platz einnehmen.« Beau sah hinüber zum Hilfskellner. In den zwei Monaten, in denen der Bursche hier arbeitete, hatte er noch nichts Außergewöhnliches geleistet. Das wunderte Beau wenig. Luis war in Idaho geboren. Wäre er ein illegaler Einwanderer, würde er schuften wie eine verdammte Maschine. Er winkte Luis, der hinter der Theke Besteck polierte, zu sich und Luis kam herübergeschlendert.

»Junge, das Schlachtfeld gehört dir. Gib acht, dass jeder was zu trinken hat, und wenn jemand etwas bestellen möchte, schreib es auf diesen Notizblock und bring ihn zu Leonard. Wir sind gleich wieder da.«

Beau packte Lyn am Ellbogen und schob sie in Richtung seines Büros. Als sie an der Küche vorbeikamen, rief er Leonard, dem Koch, zu, er solle ein Auge auf »den Jungen« haben. Leonard nickte und guckte ein wenig besorgt, weil Lyn in das Büro des Managers geschleppt wurde.

Am Ende des Ganges, gleich nach der Spülmaschine, dem Kühlraum und den Mitarbeiter-Spinden, öffnete Beau die Tür zu seinem Büro. Anstatt sie hineinzuschieben, ließ er Lyns Ellbogen los und bat sie mit einer höflichen Geste, einzutreten, wie ein Märchenprinz, der sie zum Tanz aufforderte.

Sie tat wie geheißen, setzte sich und starrte auf ihre Hände. Sie hoffte, dass er sie feuerte, denn dann könnte sie die einstündige Fahrt nach Hause antreten und sich nach einem besseren Job in der Stadt umsehen. Bedienen war zwar alles andere als anspruchsvoll, aber es war trotzdem sehr anstrengend. Sie hatte noch nie einen so einfachen Job gehabt, den sie gleichzeitig so hasste.

Beau nahm hinter seinem Sperrholzschreibtisch Platz und sah sie lange an. Hinter ihm glotzten die Glasaugen eines ausgestopften Hirschkopfes in den Raum. Darunter hing auf einem Gestell aus Kiefernholz das Gewehr, mit dem das Tier ihrer Vermutung nach jäh aus dem Leben gerissen worden war. Die meisten Leute bewahrten ihre Gewehre zu Hause auf oder hinten im Truck, aber Beau verbrachte mehr Zeit im Büro als zu Hause. Er hatte sein kleines Büro in eine Art persönlichen Unterschlupf verwandelt mit den ganzen Trophäen und anderen Dingen, auf die Männer seines Schlages stolz waren. Aushängeschilder seiner Leistungen. An einer Wand ächzte ein Buchregal unter dem Gewicht mächtiger Wälzer wie Die psychologischen Grundlagen des Wohlstands und Wie funktioniert Business. Sie sah Beau nie ein Buch aufschlagen, aber es wunderte sie nicht, dass er eine Sammlung bescheuerter Lebensratgeber mit gänzlich unversehrten Buchrücken besaß. Vor ihm auf dem Schreibtisch lag ein neues: Die Zähmung des Gestaltwandlers: Erfolgsstrategien der Ureinwohner von Miah ›Matoskah‹ Walkers. Der auf dem Einband abgebildete Mann sah aus, als sei er ein doppelt so großes Arschloch wie Beau. Jemand, dem er nacheifert?

»Was habe ich dir über Miss Myers gesagt?«, fragte er.

»Sie heißt Myer.«

»Verdammt, Lyn! Spar dir deine Klugscheißerei. Was zur Hölle habe ich dir über Joanie Myers gesagt?« Er schob den allgegenwärtigen Zahnstocher von einem Mundwinkel in den anderen und kaute auf dem Holz herum. Am liebsten hätte sie ihm das Ding weggenommen und ihm ins Auge gerammt. Sie verdrängte den Gedanken und tat eingeschüchtert, um ihren Manager zufriedenzustellen.

»Ich soll sie nicht bedienen.«

»Ganz genau. Fünf Worte. Du sollst sie nicht bedienen. Kannst du dir fünf simple Worte nicht merken?« Beau verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. Wenn ihm an seinem Job etwas am besten gefiel, dachte Lyn, dann war es, Bedienungen zusammenzustauchen (abgesehen davon, Adam Bischoff in den Arsch zu kriechen).

»Doch.«

»Doch, wer?«

Sie wusste, dass er ein »Sir« hören wollte. »Doch, kann ich«, antwortete sie nur. »Sind wir jetzt fertig? Luis verbrüht wahrscheinlich gerade jemanden mit Kaffee.«

»Nein, wir sind noch nicht fertig. Du bewegst dich auf dünnem Eis, Fräulein. Ich werde das in deiner Personalakte vermerken. Wenn du von mir Referenzen willst – und mit deiner Einstellung wirst du früher oder später Referenzen brauchen –, dann solltest du die Linie nicht schon beim Start übertreten. Du weißt, was das heißt?«

»Das kommt aus dem Laufsport.«

»Das heißt, dass du dich zusammenreißen und deinen Job gut machen sollst.« Beau versuchte, sich noch weiter zurückzulehnen. Für Lyn sah es so aus, als wollte er sich hinlegen. Sie wünschte, er würde hintenüberkippten. Stattdessen lehnte er sich wieder vor und stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch. »Geh da raus und erledige deine Arbeit. Und wenn das Management beschließt, irgendjemanden nicht zu bedienen, dann tust du gefälligst, was das Management sagt, zum Teufel. Kapiert?«

»Ja.« Beau verlangte kein »Sir« mehr. Er winkte sie einfach hinaus mit der Anweisung, die Tür hinter ihr zu schließen. Sie eilte zurück in den Gästebereich; als sie an der Küche vorbeikam, zeigte sie dem gackernden Leonard augenzwinkernd den Mittelfinger. Er zwinkerte zurück und machte mit der Hand die Geste einer feuernden Pistole in ihre Richtung.

Luis, der Hilfskellner, war tatsächlich gerade dabei, zwei Leuten an einem Tisch weit hinten an der Wand Kaffee zu servieren. Es waren ein schlanker Schwarzer und ein Junge im Teenageralter. Sie schienen beide in ihrer eigenen Welt versunken. Unterdessen hielt der Fettwanst von Tisch drei sein leeres Glas hoch, als ob es gleich Cola regnen würde.

Lyn trat hinter Luis, legte ihm die Hand auf die Schulter und nahm ihm die Kaffeekanne ab, als er fertig war. »Danke«, sagte sie.

»Kein Problem.« Er mache sich so eilig daran, wieder das Besteck zu polieren, dass Lyn dachte, er würde bei der Aussicht auf richtige Arbeit wohl am liebsten aus dem Fenster springen.

Lyn kam rasch den Bestellungen nach, die sich immer anhäuften, sobald sie eine Pause machte. Dabei stellte sie sich vor, wie sie in einer Fantasy-Taverne namens Brandybuck’s bediente. Das ließ die Arbeitszeit ein bisschen schneller vergehen. Sie füllte dem Paar aus den Dunklen Landen mit ihrem kleinen kläffenden Hausgoblin Kaffee nach, brachte dem Zwerg aus den Minen noch eine Cola und servierte den lesbischen Waldelfen ihr Mittagessen. Die Leute von Tisch eins, die sie nicht einordnen konnte, winkten nach der Rechnung. Sie fischte sie aus ihrer Schürzentasche und brachte sie ihnen.

»Waren Sie zufrieden?«, fragte sie.

»Das Essen und der Service waren in Ordnung, aber Sie können dem Manager ausrichten, dass wir nie wieder herkommen werden.«

»Das tut mir leid. Kann ich etwas tun, um ...« Die Frau legte Lyn eine Hand auf den Arm. Lyn mochte es nicht, bei der Arbeit angefasst zu werden. Jeder dachte, es sei okay, nach der Bedienung zu grapschen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Das jagte ihr jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Nur dieses Mal nicht. Die Berührung der Frau war angenehm und beruhigend.

»Sagen Sie nichts zu Ihrem Manager, Liebes.« Sie richtete den Blick auf ihren Ehemann. »Du hast doch gesehen, wie er sie gerade behandelt hat. Und jetzt verlangst du, dass sie ihm erzählt, dass ein Paar, das nicht mal aus diesem Staat kommt, hier nie wieder essen möchte? Schäm dich, Jeff.«

»Was? Es gefällt mir nicht, wie man hier umgeht mit ...« Er verstummte, als seine Frau ihn erneut strafend ansah.

»Gut, du hast ja recht.« Er schaute Lyn an, die überlegte, ob sie weggehen sollte, bis das Paar sich einig wurde, oder ob sie stehen blieb, bis die beiden so weit waren zu bezahlen.

»Das Essen war gut und Ihr Service war ausgezeichnet. Mehr gibt es nicht zu sagen.« Er reichte ihr die Rechnung mitsamt seiner Kreditkarte. Lyn ging zum Tresen, kassierte ab und brachte ihm die Karte mit der Quittung zurück.

»Danke«, sagte Jeff und steckte seine Karte weg. »Könnten Sie uns vielleicht bei einer Wette helfen?«

»Ich weiß nicht.«

»Gibt es hier oben Bären?«

»Klar. Vor ein paar Jahren musste die Fischerei- und Jagdaufsicht einen Grizzly erschießen, der regelmäßig in den Ort kam und die Mülltonnen plünderte. Darum sind unsere Müllcontainer mit Vorhängeschlössern gesichert.«

»Ein Grizzly!«, rief Sarah.

»Schon, aber das war der einzige, von dem ich in dieser Gegend je gehört habe. Schwarzbären kommen häufiger vor. Warum?«

»Sarah sagt, sie habe einen Bären gesehen ...«

»Einen riesigen Bären. Wie einen Grizzly.«

»Wir haben unterwegs ein ziemlich großes Tier gesehen. Ich bin der Meinung, für einen Bären war es zu groß. Ich glaube eher, dass es ein Elch war.«

Lyn lachte. »Nun, es kann beides gewesen sein. Wir sind hier mitten in der Wildnis. Aber es ist schwer, die beiden zu verwechseln. Einer davon hat nämlich ein Geweih.«

»Ich habe ein Geweih gesehen.«

»Ich habe zwischen den Bäumen einen Bären gesehen und du auch«, sagte Sarah fröhlich. »Elche stehen nicht auf den Hinterbeinen.«

»Wo haben Sie – was auch immer – denn gesehen?«

»Nicht ganz einen Kilometer in dieser Richtung.« Sarah zeigte aus dem Fenster in Richtung Mercy Lake. »Es stand neben der Straße.«

»Puh, mir sind beide im Zoo lieber«, sagte Lyn. »Sie sind mir zu groß und furchteinflößend, um frei herumzulaufen, nicht wahr?«

»Da haben Sie recht«, erwiderte Jeff. Er und Sarah lächelten sichtlich zufrieden, dass sie irgendetwas im Wald gesehen hatten, ganz egal, was es war.

»Tut mir leid, dass ich Ihnen bei Ihrer Wette nicht helfen konnte.« Lyn ging wieder zur Kasse und bekam nicht mit, wie Jeff die beiden Zwanziger von Joanie unter die Salz- und Pfefferstreuer schob. Das Paar stand auf, packte seine Sachen zusammen und ging zur Tür hinaus.

Lyn schaute von ihrer Skizze auf und sagte, so wie es ihr beigebracht worden war: »Vielen Dank für Ihren Besuch im Mountain Home Kitchen.« Eigentlich sollte sie noch »Schauen Sie bald wieder bei uns vorbei« anfügen, obwohl sie so etwas nie im Leben von alleine gesagt hätte. Niemand in der Gegend redete so, aber Beau war der Meinung, es klinge professionell. Sie hingegen fand es verlogen. Wie auch immer, die beiden hatten ohnehin angekündigt, nie wieder herkommen zu wollen. Sie hoffte jedoch auf das Gegenteil. Es waren nette Leute. So etwas kam in letzter Zeit selten vor.

14:25 Uhr