Möwen, Strand und Küstentod - Die verschollene Meerjungfrau - Tilda Larsen - E-Book
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Möwen, Strand und Küstentod - Die verschollene Meerjungfrau E-Book

Tilda Larsen

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Beschreibung

Die gebürtige Berlinerin Ulla Sonnenberg reist zur Reha auf die wunderschöne Ostseeinsel Usedom. Ihre Erholung wird allerdings jäh unterbrochen, als an ihrem ersten Tag eine junge Frau aus der Klinik verschwindet. Die Polizei geht davon aus, dass Leni einfach weggelaufen ist. Ulla glaubt keine Sekunde daran. Doch wenn sie von den eigenwilligen Ückeritzer Bewohnern Informationen bekommen will, braucht sie Unterstützung. Diese rennt sie am Strand in Form der riesigen, aber sanftmütigen Bernhardinerhündin Gundula geradewegs um. Gundula gehört nämlich zu Klaus, und zusammen mit ihm und seinem Vater, dem ordnungsliebenden ehemaligen Tierarzt Bernhard, stellt Ulla Nachforschungen an. Dabei stoßen sie auf zwei weitere ungeklärte Vermisstenfälle im Ort. Die beiden anderen Frauen waren im selben Alter wie die verschwundene Leni. Treibt etwa ein Serientäter sein Unwesen auf der malerischen Insel? Hat er auch Leni in seiner Gewalt und falls ja, wie lange bleibt Ulla, Klaus und Bernhard noch, um sie zu retten?

Dies ist der erste Fall von Hobbydetektivin Ulla und dem kauzigen Usedomer Urgestein Bernhard. Das ungleiche, aber herzliche Duo ermittelt gemeinsam auf der schönen und wilden Ostseeinsel und kommt dabei dem ein oder anderen Übeltäter auf die Spur.

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Stimmen zu "Möwen, Strand und Küstentod - Die verschollene Meerjungfrau":

"Das ergibt einen ganz leicht düsteren, trotzdem auch lustigen und richtig spannenden Krimi mit einer starken Protagonistin, humorvollen Nebenfiguren und viel Frauenpower, die sich aber erst langsam entwickelt. Ein toller Roman und ein Figurenstab, der hoffentlich noch oft zusammen in Aktion tritt. ... Von mir gibt's eine glasklare Leseempfehlung!" (Immer_wieder_lesen, thalia.de)

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Prolog

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Danksagung

Über die Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Die gebürtige Berlinerin Ulla Sonnenberg reist zur Kur auf die wunderschöne Ostseeinsel Usedom. Ihre Erholung wird allerdings jäh unterbrochen, als an ihrem ersten Tag eine junge Frau aus dem Kurhotel verschwindet. Die Polizei geht davon aus, dass Leni einfach weggelaufen ist. Ulla glaubt keine Sekunde daran. Doch wenn sie von den eigenwilligen Ückeritzer Bewohnern Informationen bekommen will, braucht sie Unterstützung. Diese rennt sie am Strand in Form der riesigen, aber sanftmütigen Bernhardinerhündin Gundula geradewegs um. Gundula gehört nämlich zu Klaus, und zusammen mit ihm und seinem Vater, dem ordnungsliebenden ehemaligen Tierarzt Bernhard, stellt Ulla Nachforschungen an. Dabei stoßen sie auf zwei weitere ungeklärte Vermisstenfälle im Ort. Die beiden anderen Frauen waren im selben Alter wie die verschwundene Leni. Treibt etwa ein Serientäter sein Unwesen auf der wunderschönen Insel? Hat er auch Leni in seiner Gewalt und falls ja, wie lange bleibt Ulla, Klaus und Bernhard noch, um sie zu retten?

Dies ist der erste Fall von Hobbydetektivin Ulla und dem kauzigen Usedomer Urgestein Bernhard. Das ungleiche, aber herzliche Duo ermittelt gemeinsam auf der schönen und wilden Ostseeinsel und kommt dabei dem ein oder anderen Übeltäter auf die Spur.

Für Alle, die jetzt mit einem Lächeln an mich denken!

Alle in diesem Roman vorkommenden Personen, Ereignisse und Handlungen sind frei erfunden. Der Name und die Indikation der Rehaklinik in Ückeritz wurden von der Autorin verändert, ebenso die Namen einzelner Lokalitäten bzw. ihrer Inhaber.

Prolog

Es gibt gute Tage, es gibt schlechte Tage, und es gibt diesen einen Tag, auf den kein Morgen folgt.

Kalte, aufgewühlte Wellen umspülten ihre zitternden Beine, schwappten immer näher an ihre Hüfte und durchnässten ihre Kleidung. Sie lief hinein in die Ostsee, den Blick starr hinaus aufs Meer gerichtet. Ins Dunkle der Nacht.

Ein kräftiger Herbstwind trieb über die tanzenden Wellen, brachte sie ins Straucheln. Kurz hielt sie inne, hörte Geräusche, die nicht vom Sturm kommen konnten. Ein aufgeregtes Platschen, Füße, die hinter ihr viel zu schnell durchs Wasser wateten, es brachen. Dann ein tiefes Schnaufen! Er war ihr auf den Fersen. Schon viel zu nah!

Dreh dich nicht um!, schrie es in ihr. Lauf! Es gab kein Zurück mehr. Sie lief, und je weiter sie vorwärtskam, desto schwieriger wurde es, im aufgewühlten Wasser die Balance zu halten. Ihr Herzschlag wurde schneller und schneller, begann zu rasen. Aufkommende Panik übernahm das Kommando, ließ ihre Beine und Arme wie wild durchs Wasser pflügen. Immer weiter hinaus aufs offene Meer.

Es war zu spät, es wurde zu Ende gebracht, was längst begonnen hatte. Dieser Nacht würde kein Morgen folgen!

Erinnerungsfetzen tobten in ihrem Kopf. Die erste Schwimmstunde im Freibad, mit sechs Jahren, als sie nach dem Sprung ins Wasser die Orientierung verlor und dachte, es sei aus. Für immer. War es nicht, aber das Leben wurde nicht leichter, und ihre Angst vor dem Wasser wuchs zu einer Phobie heran.

Ein Blitz jagte über den grauen Himmel. Wie makaber, dass sie sich gerade jetzt ihrer größten Angst stellen musste und aus eigenen Stücken immer weiter hinein in die Ostsee lief. Bald würde sie keinen Boden mehr unter den Füßen haben. Sie musste sich beeilen. Es gab nur diesen einen Weg.

Wie damals. Zitternd stand sie auf dem wackeligen Sprungbrett, unfähig, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Am Rand des Beckens der Lehrer, der ihr unmissverständlich klarmachte, dass es für sie keine Ausnahme und kein Zurück geben würde. Daneben die johlenden Klassenkameraden: »Angsthase! Zitteraal!« Sie sprang. Und als das Wasser über ihrem Kopf zusammenschlug, sah sie die Hölle. Heiß, rot glühend und ohne Erbarmen.

Lautes Donnergrollen. Der Schub einer riesigen Welle brachte ihren Körper erneut ins Wanken. Sie war keine gute Schwimmerin. Die Füße, die Füße, sie mussten zurück auf den Boden. Er war nah, zu nah. Bald würde er sie fassen. Schneller! Alles in ihr wurde durcheinandergewirbelt, die Gedanken, der Herzschlag, Ohnmacht ergriff langsam von ihr Besitz.

Wie lange hatte sie für den roten Bikini arbeiten müssen? Für den wunderschönen neuen, knallroten Bikini. Warum ging gerade der ihr jetzt durch den Kopf? Sie trug ihn voller Stolz. Ganze fünf Minuten. »Keine Möpse, kein BH«, witzelten die Jungs im Freibad und trieben ihr die Schamesröte ins Gesicht, zerstörten ihr letztes bisschen Selbstvertrauen. Sie war geflohen. Bis heute. Doch heute gab es kein Zurück.

Ein Stück Treibholz prallte gegen ihre Schulter. »Ich will nicht mehr! Lass mich in Ruhe.«

Sie konnte die Antwort nicht verstehen. Es waren eher Töne, tiefe, schwere, wie von einem heranrollenden Zug, wenn man den Kopf auf die Gleise legte. Nicht, dass sie das schon versucht hätte. Okay, einmal. Eine Mutprobe. Damals verließ sie der Mut. Und heute war sie zu feige, sich umzudrehen. Da war sowieso niemand. Ganz sicher nur Einbildung. Lauf einfach weiter. Aber die Töne wurden lauter, formten Silben.

Wie in Trance kämpfte sie sich die letzten Meter auf dem sandigen Grund voran. Bald würde der Boden steil abfallen.

Sie hatte noch so viel erleben wollen, hatte Träume, seit ein paar Monaten eine heimliche Beziehung ... Gab es vielleicht doch noch eine klitzekleine Chance?

Nein, es war zu spät. Eine letzte riesige Welle. Etwas entriss ihr den Boden unter den Füßen, das Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen, Hände packten sie, und plötzlich war es vorbei.

1

»Bist du dir ganz sicher, Ulla, dass die Haushälterin nicht doch zurück nach Polen zu ihrer Familie gegangen sein könnte?« Die Worte ihrer Freundin klangen noch immer in ihren Ohren. Maple und sie waren seit vielen Jahren Partner in Crime im Tatort-Forum, einer Community für ungelöste Mord- und Kriminalfälle.

Nein, ganz sicher war sie sich nicht. Ulla stieß einen tiefen Seufzer aus und ließ sich auf den Küchenstuhl sinken. »Was ist nur mit mir los?« Ihr Leben stand gerade Kopf, und sie hatte die ganze Nacht gegrübelt. Nicht nur diese Nacht. Über die Haushälterin, über ihr Leben, über ... Leichtigkeit, Freude, Spaß. Wo waren sie geblieben? Warum fühlte sich alles gerade so verdammt schwer und träge an?

Die Sonne blinzelte durchs Küchenfenster und kitzelte ihre Wange. Ulla runzelte die Stirn. »Und jetzt?«, fragte sie in die morgendliche Stille. »So geht das nicht weiter.« Resigniert verfing sich ihr Blick im top gepflegten Garten hinter der überdimensionierten Terrasse.

»Was geht so nicht weiter? Gibt´s schon Kaffee, Liebling?« Ohne eine Antwort abzuwarten, setzte sich Chris beschwingt an den Küchentisch und schlug die Tageszeitung auf. »Der Zeitungsjunge kommt auch immer später. Wir hätten uns das früher nicht getraut. Pünktlichkeit ist ...«

»Chris, bitte.« Müde trottete Ulla zur Anrichte.

»Na, aber ist doch wahr.«

»Mit Milch?«

»Nein, schwarz wie die Nacht.« Er lachte.

Und schwarz wie dein Herz, verkniff sie sich.

Blubbernd lief der Kaffee aus der Maschine. Wie gern hätte sie die Unverwüstlichkeit dieses sündhaft teuren Kaffeevollautomaten gehabt. Aber gerade eben fühlte sie sich eher wie eine zermahlene Bohne.

»Dauert das noch lange?«

»Es dauert so lange, wie es dauert. Vielleicht machst du dir deinen Kaffee selbst, wenn es dir nicht schnell genug geht?«

»Für was habe ich dich?« Ohne aufzublicken, studierte ihr Mann weiter die Tageszeitung. »Mensch, die Beiersdorf-Aktie hat wirklich ordentlich Momentum. Und schau an, der Lüders hatte einen Herzinfarkt. Den krieg ich auch gleich, wenn du dich mit dem Kaffee nicht beeilst ... Liebling.«

Mit Schwung stellte Ulla die Tasse auf den Tisch.

»Mensch, pass doch auf. Was ist denn mit dir los?« Mit der Handfläche wischte er den übergeschwappten Kaffee vom teuren Mahagoniholz des Esstischs.

»Wir müssen reden, Chris.«

»Brauchst du mehr Budget fürs KaDeWe? Oder ist schon wieder eine Haushälterin in der Nachbarschaft verschwunden? Das wäre wirklich tragisch.«

Wenn er nur ein Mal die schlechten Scherze bleiben lassen würde. »Es geht um meine Reha. Wenn ich ...«

»Ich habe einen Bärenhunger. Lass uns das nach dem Frühstück klären, hm?«

»Du bekommst das schon hin«, murmelte Ulla leise.

»Ich bekomme gar nichts hin, Liebling. Nicht allein. Das weißt du ganz genau. Wenn wir schon beim Thema sind, wer kümmert sich eigentlich um alles, wenn du zum Kururlaub abdampfst?«

»Das ist kein Urlaub. Drei Wochen, Chris. Du gehst sonst auch in die Trattoria oder ins Machiavelli.«

Chris zog die Stirn über der Nase zusammen. »Es geht nicht ums Essen, Ulla! Nicht nur.« Seine Augen blitzten. Er stand auf, faltete feinsäuberlich die Zeitung zusammen und legte sie neben die Kaffeetasse.

»Um was dann?«

»Du fährst und lässt mich hier mit der ganzen Arbeit allein! Ist diese Kur denn wirklich nötig? Es geht dir doch schon viel besser!« Er kniff ihr in das kleine versteckte Überkilo unterhalb ihrer Taille. »Ich liebe jedes Pfund an dir, Liebling. Und das schwache Herz bringen wir auch wieder auf Trab.«

Ulla schob seine Hand beiseite und schwieg. Jede Geste, jedes Wort war Zunder, wie sprödes, trockenes Holz, das man ins lodernde Feuer warf. Seine Anspielungen auf ihre weiblichen Rundungen an Bauch, Hüfte und Po schmerzten sie.

»Ückeritz, da will keiner hin. Pass auf, ich kläre das. Ich rufe morgen noch mal bei Rentenversicherungstante an und mache Sylt klar. Dann komme ich mit, bleibe in unserem Ferienhaus, und wir können am Nachmittag gemeinsam segeln oder schön essen gehen. Lass mich nur machen, Liebling. Ich regle das!«

»Nein, Chris.« Ulla schüttelte den Kopf. Erst leicht, dann immer energischer. Aber er hatte sich längst wieder die Zeitung geschnappt. Seit Wochen die gleiche Leier: Warum Usedom? Warum nicht Sylt? Warum überhaupt eine Reha? Kurz hatte sie überlegt, tatsächlich alles abzublasen und in Berlin zu bleiben. Aber sie war jetzt 48 Jahre und die Herzmuskelschwäche hatte ihr unerwartet stark zugesetzt, zwang sie immer wieder zur Ruhe. Ihr Akku stand kurz vor dem Aus. Diese Reha musste sein. »Es geht mir nicht gut. Ich werde am Donnerstag zur Reha fahren. Nach Ückeritz. Lass uns das Thema endlich beenden. Bitte.«

»Ende der Diskussion? Echt jetzt? Aber für den verschwundenen Mops von Frau Benders reicht deine Energie noch, ja?«

»Das ist kein gutes Beispiel.«

»Du weißt genau, was ich meine! Keine Kraft für nichts! Nicht für mich, nicht für die Firma, nicht für den Haushalt! Aber für deine dilettantischen Hobbyschnüffeleien und für dieses Krimiforum, dafür ist immer Zeit!«

»Chris, das ...«

Aber das Feuer war eröffnet. »Fassen wir mal zusammen. Der verschwundene Hund von nebenan, der irgendwann wieder auftauchte. Der war wahrscheinlich mit einer läufigen Hündin unterwegs. Aber du hast alle Nachbarn abgeklappert, mitten in der Nacht, bist sogar bei den Brockmeiers eingestiegen.«

»Frau Benders liebt ihren Mops und hat sich wahnsinnige Sorgen um ihn gemacht. Der war noch nie weggelaufen.« Ulla presste die Lippen aufeinander.

»Oder der Einbruch gegenüber, bei dem du zwei ominöse Kerle beobachtet haben willst, die neben der Beute auch noch eine Leiche aus dem Haus geschafft haben. Nur werden bis heute weder Dr. Schubert noch seine Frau vermisst. Und die Haushälterin ist längst zurück in Polen.«

Die Haushälterin. Ulla hielt die Luft an. Ihr linker Zeh zuckte. Und das bedeutete Alarm! Denn wenn Ulla eines hatte, dann ein Gespür für Verbrechen. »Woher willst du ...«

»Seit Jahren vergeht kein Tag, an dem du nicht in diesem Schnüfflerforum herumhängst und unbekannte Leichen mit dem Dienstmädchen abgleichst. Oder die toten Kois im Schwimmteich der Legenbruchs. Wer war das gleich noch mal? Kobolde vielleicht oder der Heilige Geist?«

Ulla zog ihre Schultern nach oben und wurde kleiner und kleiner. Ja, er hatte recht, mit dem Mops hatte sie es vielleicht übertrieben. Aber ohne sie würde Chris nicht einmal seine rechte Socke wiederfinden. Wie sehr hatte sie in den ersten Jahren ihrer Beziehung seine charmante Art geliebt, seinen Humor. Er hatte sie umworben, obwohl er ihre Geschichte kannte. »Lass uns bitte ...«

»Nicht jetzt!« Er schnappte sich die Zeitung und seinen Kaffee und verschwand aus der Küche. »Du machst uns zum Gespött der Leute, Ulla. Du verhältst dich schlimmer als jedes Kind.« Einen kurzen Moment drehte er sich im Türrahmen zu ihr um, sah ihr fest in die Augen und fügte ruhig hinzu: »Das wir zum Glück nicht haben. Du reichst vollkommen aus, um mir den Schlaf zu rauben.«

Das hatte gesessen. Ullas sehnlichster Wunsch, ein gemeinsames Kind mit Chris, war seit Beginn ihrer Beziehung vor 24 Jahren ein Streitpunkt gewesen. Ein wunder Punkt, der einfach nicht heilen wollte. Nicht heilen konnte. Wie sollte ein Tabu auch heilen?

2

»Frau Ulla Sonnenberg. Aha. Ist Ihr Aufnahmetermin nicht erst morgen?« Die Dame hinter der Rezeption schüttelte energisch den Kopf. »Zeigen Sie bitte mal Ihre Aufnahmepapiere. Das kann ja gar nicht sein.« Ihr Arm schnellte hervor.

Verlegen kramte Ulla in ihrer Burberry-Handtasche. Irgendwo mussten sie sein. Mit zittrigen Fingern tastete sie an Brillenetui, Portemonnaie und Kaugummipackung entlang. »Nur noch einen kleinen Augenblick, bitte.« Auch in der Manteltasche griffen ihre Finger ins Leere. Verdammt. »Ich hab's gleich.« Nicht genug, dass Chris urplötzlich keine Zeit mehr gehabt hatte, sie zur Reha zu fahren. Jetzt sollte sie auch noch den Tag verwechselt haben? Unmöglich! Oder doch? In letzter Zeit ging alles drunter und drüber, warum nicht auch hier?

Frau Siebert, wie auf dem Namensschild der Rezeptionistin zu lesen war, klopfte mit den Fingernägeln auf den Tresen und schüttelte weiterhin rhythmisch ihren blondierten, dauergewellten Haarschopf, die Lippen fest aufeinandergepresst. Dieses unablässige Kopfschütteln konnte einen seekrank machen.

»Nur noch einen kleinen Moment.« Denk nach, Ulla. Denk nach. Und endlich fiel es ihr ein. Sie hatte die Aufnahmepapiere beim Umsteigen am Stralsunder Bahnhof zusammen mit den Zugtickets in die Harper's Bazaar gepackt, damit sie nicht zerknitterten.

Endlich spürte sie den eingeforderten Zettel zwischen ihren Fingern und wagte einen vorsichtigen Blick. Aufnahmetermin: am Donnerstag, den 5.9., und heute war Donnerstag!

Eilig schob sie das Corpus Delicti in die immer noch geöffnete Hand des Rezeptionsdrachens. Hoffentlich spuckte die jetzt kein Feuer – sonst wäre ihr letzter Beweis futsch. Ein kleines »Es tut mir leid, Frau Sonnenberg« wäre jetzt auch nicht schlecht.

»Setzen Sie sich bitte erst einmal in die Lobby, Frau Sonnenberg. Das muss ich klären. Es wird ein wenig dauern.« Wenigstens klang sie verunsichert.

Na bitte, geht doch. Von Frau Siebert kam noch ein etwas freundlicheres »Vielleicht gehen Sie ein bisschen an den Strand? Heute Abend soll es gewittern. Nutzen Sie die Gelegenheit.«

»Warum eigentlich nicht?«, murmelte Ulla. Nur weg! Einfach raus! Zu Hause unerwünscht, hier unerwartet, puh.

Rumms! Am Ausgang stieß sie mit einer Frau zusammen, deren Gesicht, freundlich formuliert, zur Faust geballt war. Die Augen saßen zu eng beieinander, die gedrungene Nase zu nah am Mund. Mehr konnte Ulla nicht erkennen, denn die Frau hatte ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Die Schultern ihres Gegenübers strafften sich ruckartig nach hinten, die Brust schob sich nach vorn.

Die wird mir doch nicht etwa eine verpassen?

»He, mach mich nicht an! Sind denn heute nur Bekloppte unterwegs?«

»Tut mir leid! Ich war ganz in ...« Aber die Frau mit der grasgrünen Jacke war bereits weg.

3

»Gibt's das auch in bequem?« Ulla ruckelte ihren Po zurecht. Seit über einer Stunde saß sie jetzt auf dieser harten Holzbank unweit der Klinik mit Blick auf die Ostsee. Eine riesige weiße Stahltreppe, die zum Strand hinabführte, hatte sie ausgebremst. Über 100 Stufen, schätzungsweise. Mindestens 95 zu viel. Kaputt von der langen Zugfahrt reichten ihre Kräfte heute nicht mehr für einen Abstieg. Geschweige denn wieder zurück. Ein ungewöhnlich warmer Septemberwind strich über ihre Wangen. Kaum vorstellbar, dass es am Abend gewittern sollte. »Alles, was ich sehen muss, sehe ich auch von hier oben. Sogar noch viel besser.« Bisher war kaum etwas los am Strand. Wahrscheinlich schliefen die Usedomer genauso gern lang wie die Sylter. Ob hier auf der Insel auch so feuchtfröhlich gefeiert wurde? Das würde sie noch herausfinden. Später.

»Gar nicht übel, diese beschauliche Ruhe.« Sich einfach mal den maritimen Gerüchen und den beruhigenden Tönen der Natur hingeben. Wunderbare Idee. Ulla schloss die Augen. Das Meer rauschte, die Möwen kreischten, und wenn sie sich ganz stark konzentrierte, konnte sie sogar den Geruch von etwas Salzig-Sandigem wahrnehmen, vermischt mit Kiefernduft. »Hach.« Seufzend öffnete sie die Augen und schaute hinaus aufs weite Meer. Doch der gleichmäßige Rhythmus der Wellen konnte dieses tiefe Gefühl von Einsamkeit, das in ihrem Bauch grummelte, nicht vollständig überdecken. Das Grummeln wanderte am Herz vorbei in ihr Gesicht und drückte eine kleine Träne aus ihrem Augenwinkel. Was für ein Glück, dass selbst um die Mittagszeit kaum eine Menschenseele unterwegs war. Warum war sie in letzter Zeit nur so nah am Wasser gebaut? Eine Frohnatur wie sie, die sonst keinem Scherz abgeneigt war. Sie hatte sich nach dem Streit mit Chris sogar ein bisschen auf die Auszeit in der Klinik gefreut. Und jetzt würde sie am liebsten sofort wieder umkehren, ab nach Hause, obwohl sie gerade erst angekommen war. Ulla zog die Knie an die Brust, versuchte die Stiletto-Absätze auf der Bank abzustellen, was allerdings misslang. Also Füße wieder runter, kurz das Kaschmirkleid an den Oberschenkeln richten und ... Wenn Ulla eines gelernt hatte, dann, Haltung zu bewahren. Fast schon trotzig straffte sie ihre Schultern und verschränkte die Arme. »Nein, ich bleibe hier. Was soll ich zu Hause? Kaffee kochen, Socken suchen?« Obwohl – ihr Kleiderschrank musste dringend ausgemistet werden. Platz schaffen für Neues. Für die blauen Hangisi-Satin-Pumps, die würden hervorragend zu dem neuen Etui-Kleid passen, das Chris ihr letzten Monat geschenkt hatte. Als Wiedergutmachung für die vielen Überstunden und Geschäftsreisen. Seine Firma lief super, und auch wenn sie ihm im Büro den Rücken freihielt und auf Partys die eloquente, stolze Ehefrau mimte, der Preis dafür war Einsamkeit. Ja, Ulla liebte den Luxus, aber ihr fehlte die Nähe. Sie sehnte sich nach so etwas wie Familienleben, auch wenn Chris und sie keine gemeinsamen Kinder hatten. Nie war dafür der richtige Zeitpunkt, nie war er dazu bereit. Für ihn hatte sie ihren Wunsch nach einem gemeinsamen Kind immer weiter hinausgeschoben. Und irgendwann hatte sie es aufgegeben. Aber auch ihre Hoffnung auf gemütliche, innige Zweisamkeit blieb in den letzten Jahren unerfüllt. »Ach, Chris.« Sie seufzte. »Wie ist es nur so weit gekommen mit uns beiden?« Warum fühlte sich das alles schon seit Jahren nicht mehr richtig an?

»Au.« Ein einschießender stechender Schmerz in ihrem Rücken ließ sie zusammenzucken. Ihre Beine fühlten sich an wie Gummi. Selbst im Sitzen. Okay, sie musste sich nur einen Moment ausstrecken. Einen klitzekleinen Moment. Das würde bestimmt helfen. Langsam legte sie sich auf die Holzbank, winkelte die Knie leicht an und atmete durch.

»Hey, Füße von der Sitzfläche! Andere wollen sich schließlich auch hinsetzen!« Eine tiefe Männerstimme brachte sie zurück ins Hier und Jetzt. »Was machen Sie denn hier?«

Mit einem Schwung richtete sich Ulla auf. »Ich ... äh, ich muss auf mein Zimmer warten. In der Rehaklinik Inselblick.«

Der ältere sportliche Mann in Funktionskleidung, mit Kamera um den Hals und Gürteltasche um die Taille, schien zu überlegen. »Trotzdem kein Grund, sich hier breitzumachen!« Sein verschwitztes, ergrautes Haar stand wild in alle Richtungen ab. In der Jackentasche ließ sich ein Fernglas erahnen.

Oha, ein Spanner. »Tut mir leid, kommt nicht wieder vor.« Was der hier wohl machte? Dieses leicht aggressive Auftreten, der fordernde Ton, bestimmt war der früher mal bei der Polizei oder einem Sicherheitsdienst gewesen.

Der Blick des alten Mannes schweifte kurz in die Ferne, dann nahm er einen tiefen Atemzug. »Inselblick, aha. Dann nutzen Sie Ihre Zeit. Meine Frau ist auch an einem schwachen Herz gestorben.« Er wandte sich ab.

Wie bitte? Hallo? Also wirklich! Die Verwendung von auch und gestorben in einem Satz glich einem Leichentuch, das er gerade über eine ihm völlig fremde Person geworfen hatte. Wie eine Ostseewelle flutete die Wut heran, ließ Ulla erzittern und rief ein Gefühl von tiefer Unruhe hervor. Ihre geballte Faust schlug auf die Sitzfläche. »Jetzt ist aber Schluss!« Doch leider verhallte ihr Ausruf ungehört im Rücken des Rentners, der, unerwartet flink, die Hälfte der Strandtreppe nach unten gestiegen war und sich nicht einmal umdrehte. Vermutlich schwerhörig, der Alte. Das war ja eine reizende Insel, auf der sie hier gelandet war.

4

»Aufbettung.« Noch immer hallten die Worte der Rezeptionistin in ihren Ohren. »Doppelte Belegung.« Und hier saß sie nun. Die Fehlbuchung hatte keine andere als diese Möglichkeit zugelassen. Eine Nacht mit einer völlig Fremden, die sich bis jetzt nicht im Zimmer hatte blicken lassen. »Eine Ausnahme. Nur für eine Nacht. Keine große Sache.«

Inzwischen war es früher Abend. Und außer dem Therapieplan der Zimmergenossin, der verloren auf dem Tisch lag, gab es nicht viel zu entdecken. Anna-Lena Zingerle las Ulla auf dem Papier. Geboren am 15. September. Aha, Sternzeichen Jungfrau, 25 Jahre. Ein tiefer Seufzer entwich ihren Lippen. »Anna-Lena Zingerle, hm.« Wer sich wohl dahinter verbarg? Irgendwann hatte es eine Mutter gegeben, die ihrem Kind genau diesen Namen gab. Im besten Fall noch einen Mann dazu, der sich kümmerte und sie nicht verriet oder im Stich ließ. »Du fehlst mir so sehr, meine kleine Principessa.« Wehmütig strich Ulla über ihren Bauch.

Die Tür ging auf. Und fiel mit Schwung wieder ins Schloss.

»Hallo, ich bin Ul...«

»Nein, ich werde nicht zurückkommen! Das kannst du nicht machen! Jetzt hör mir endlich mal zu. Ist es eigentlich egal, was ich möchte?«

Die aufgebrachte blonde Frau, die ins Zimmer stürmte, kam Ulla vage bekannt vor.

Das Handy am Ohr, gestikulierte sie mit dem anderen Arm wild durch die Gegend. »Leg nicht auf! Leg ...« Ein kurzer Moment der Stille unterbrach das lautstarke Telefonat, als sie Ulla erblickte.

»Hallo, ich bin Ulla. Ist alles in Ordnung? Kann ich ...«

»Das fehlt mir jetzt gerade noch.«

Instinktiv ging Ulla in Deckung, und schon flog das Handy knapp an ihrem Kopf vorbei und knallte gegen die Wand. Ohne ein weiteres Wort verschwand die junge Frau im Bad.

Ulla hörte ihr leises Weinen hinter der zugeknallten Tür, ging zum Fenster und hob das Handy auf. Was für ein Glück. Es war nur ein ganz kleiner Riss auf dem Display. Mit wem sie wohl so heftig gestritten hatte? »Alles okay, Frau Zingerle?« Das Schluchzen im Bad wurde lauter. So schnell würde die junge Frau nicht herauskommen.

Sie sollte das nicht machen. Das gehörte sich nicht ... Ach, nur ganz kurz. Ulla gab dem grün-weißen Telefon auf dem Display einen Stups mit dem rechten Zeigefinger. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Handy in den Ruhemodus wechselte. Vater war der letzte Anruf, der sich im fast gleichförmigen täglichen Takt mit einem Bärchen abwechselte.

Ein kurzes Rascheln im Bad, und Ulla legte das iPhone erschrocken auf den Tisch. Sie fühlte sich ertappt – dabei hatte sie nur helfen wollen. Okay, ein bisschen neugierig war sie auch. Es war die Lust, Neues zu entdecken, und die Freude am Lösen von Problemen. Kein Spionieren oder die Nase in alles Hineinstecken wie bei dem Alten heute. Nein, ganz sicher nicht!

Je dunkler es draußen wurde, desto leiser wurde das Weinen im Bad. Sie konnte ihren Drang zu helfen nicht länger unterdrücken und klopfte sanft an die verschlossene Badezimmertür. »Kann ich etwas für Sie tun?«

»Mir ist nicht mehr zu helfen!«, ertönte die Stimme der jungen Frau.

Das hier würde dauern. Langsam rutschte Ulla mit dem Rücken an der Badezimmertür nach unten und blieb mit angezogenen Beinen auf dem Boden sitzen. »Es gibt für alles eine Lösung.«

»Aber nur im Märchen. Da wird immer alles gut. In meinem Fall sicher nicht!«, schluchzte die junge Frau.

»Ich bin vielleicht nicht mehr ganz so jung wie Sie, aber meine Ohren funktionieren. Sogar durch verschlossene Türen.« Stille. Also setzte sie nach: »Soll ich uns am Automaten einen Kaffee holen? Oder einen Tee?« Anna-Lena könnte ihre Tochter sein. Die Tochter, die sie jeden Tag so schmerzlich vermisste.

»Keinen Kaffee! Und auch keinen Tee! Ein neues Leben wäre gut. Hast du das neben deinen klugen Ratschlägen zufällig auch im Angebot?«

Ein Lächeln stahl sich auf Ullas Lippen. Sollte sie sie doch duzen und anschreien, solange sie überhaupt mit ihr sprach. Das war immerhin ein Anfang.

Sie unterhielten sich fast eine geschlagene Stunde, wobei Ulla eindeutig mehr redete, weil ihr das einfach im Blut lag. Sie redete gern und viel. Manchmal zu viel. Und manchmal sagte sie unbedachte Sachen, die sie später bereute. Dann war es allerdings zu spät. Was gesagt war, war gesagt. Aber hier tat es einfach nur gut.

Ulla erzählte vom Streit mit Chris vor ihrer Abreise, von diesem unfreundlichen Alten an der Bank draußen und von der Fehlbuchung, die sie beide letztendlich in diese prekäre Doppelzimmerlage gebracht hatte.

Die junge Frau, die sich irgendwann als Leni vorstellte, deutete einen Krach mit ihren Eltern an. Unterschwellig ließ sich der Vater als Antreiber des Konflikts erahnen. Es ging wohl um die Zukunft, darum, was man sich im Leben so vorstellte. Und diese Pläne schienen sich bei Leni und ihren Eltern nicht zu decken.

»Weißt du, Ulla, es geht nicht nur darum, dass ich eigentlich viel zu jung für so eine Herzscheiße bin. Das ist schon schlimm genug, aber ...«

»Du fühlst dich unverstanden.«

»Genau, keiner hört richtig zu!«

Zwei Pfefferminztee und vier Schokoriegel später, die Ulla durch die von Leni nur einen Spaltbreit geöffnete Tür geschoben hatte, saßen sich die zwei Frauen schließlich am Tisch gegenüber.

»Es tut manchmal verdammt weh, Ulla. Jeder weiß besser, was gut für mich ist.«

»Und keinen interessiert, was du selbst möchtest«, fügte Ulla leise hinzu. Leni fühlte sich so vertraut an. Es gab offenbar zwischen ihnen ein unsichtbares Band, auch wenn Ulla dieses starke Gefühl noch nicht in Worte fassen konnte.

Alles sah nach einem guten Ausklang des Abends aus. Dann piepste Lenis Handy. Sie tippte auf das Display, wurde blass, holte tief Luft, hielt sie an und wurde noch blasser. Wenn das überhaupt möglich war. Ihre Hände begannen zu zittern, dann ihre Unterarme, schließlich der ganze Körper.

»Ruhig, Leni. Was ist denn los?« Ulla legte die Hand auf Lenis Schulter, aber die stieß sie weg.

»Er hat die Wohnung gekündigt. Mein Vater hat ernsthaft die Wohnung in Berlin gekündigt!« Sie schüttelte den Kopf, ballte die Hände zu Fäusten, lief im Zimmer auf und ab wie ein unruhiges Tier. Der tätowierte Tigerkopf am linken Oberarm zuckte angespannt. »Das kann er nicht machen! Was soll ich denn jetzt tun?«

»Das lässt sich bestimmt klären. Schlaf eine Nacht drüber, und dann redet ihr morgen noch mal. Da sieht die Welt bestimmt schon wieder anders aus.« Ungewollt war ihr diese zwar gut gemeinte, aber irgendwie auch sinnlose Floskel rausgerutscht, die alles nur noch schlimmer machte. Wie hatte sie es früher gehasst, wenn ihr Ältere mit so etwas gekommen waren! War sie jetzt selbst schon zur Spießerin mutiert?

»Du hast doch keine Ahnung! Ach, ihr könnt mich mal alle mit eurem dummen Gerede! Nichts wisst ihr, gar nichts!« Stahlblaue Augen funkelten sie an.

Bevor Ulla reagieren konnte, schnappte sich Leni eine froschgrüne Jacke und eine regenbogenfarbene Mütze aus dem Kleiderschrank, und weg war sie. »Die froschgrüne Jacke, die Frau mit dem Knautschgesicht von heute Morgen. Verdammt.« Sie tippte sich mit der Hand an die Stirn. »Wie oft werden wir zwei wohl noch zusammenkrachen?«

5

Rasselt der Wecker, schlummern die Eulen noch tief und fest. »Aus mir wird nie eine Lerche«, seufzte Ulla, als sie den Weckton ihres Handys ausstellte. »Ich bin und werde kein Frühaufsteher.« Um 6.30 Uhr sollte sie zum Wiegen und zur Blutdruckkontrolle im Schwesternzimmer erscheinen. »Das ist keine Reha, das ist wie bei der Bundeswehr. Fehlt nur noch das Antreten zum Morgenappell und einmal zackig durchzählen!« Verschlafen quälte sie sich aus dem Bett. Apropos Durchzählen. Lenis Bett war leer und unberührt. Oder war sie schon vor ihr aufgestanden und hatte es fein säuberlich hergerichtet? Nein, davon wäre sie sicher wach geworden.

Auf dem Weg ins Bad klopfte es an der Zimmertür, und noch bevor Ulla »Herein« sagen konnte, stand eine weiß gekleidete Frau mit einem klappernden Wagen voller Wasserflaschen im Zimmer. »Guten Morgen, ich bin Ramona, die Stationsschwester.« Sie blickte sich um. »Wo ist denn Frau Zingerle?«

Ulla zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Nur weil sie zwei sich ein Zimmer teilten, oder auch nicht, meldete sie sich nicht bei ihr ab.

»Hat Sie nichts zu Ihnen gesagt?«

Ulla schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Immer Ärger mit den jungen Dingern. Zum Glück geht's heute heim«, brummelte die Schwester. »Und für Sie, Frau Sonnenberg: 6.30 Uhr im Schwesternzimmer. Nicht vergessen!«

»Nicht vergessen, nicht vergessen!«, wiederholte Ulla amüsiert und verzog sich ins Bad. Dort stand ausschließlich ihre eigene Kulturtasche. Nicht ungewöhnlich, wenn es für Leni heute nach Hause ging. Oder doch? »Hm, komisch.« Ihr linker Zeh zuckte. »Ach, Guido, nicht so früh. Ich bin noch gar nicht richtig wach.« Sie krallte ihren linken Zeh, der seinen Namen nach Commissario Guido Brunetti bekommen hatte, im Badeschlappen ein und aus. Brunetti hatte ein Näschen für Verbrechen, Ulla stattdessen einen Zeh. Und ein zuckender Zeh bedeutete nichts Gutes. »Das Duschen muss wohl warten. Komm Guido, dann schauen wir uns vor dem Wiegen mal ein bisschen genauer im Zimmer um.« Im Morgenmantel ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen. Chris würde es als krankhafte Neugier abtun. »Nur, weil du dreimal Law & Order oder Criminal Minds geschaut hast, bist du noch lange kein Profiler«, witzelte er immer. »Egal. Da ist etwas im Busch. Dem muss ich auf den Grund gehen.« Zwiegespräche gaben ihr Kraft, auch wenn sie wusste, dass das Außenstehenden seltsam erscheinen könnte.

Neben Lenis Bett stand eine gepackte Reisetasche. Die seit gestern immer noch geöffnete Schranktür offenbarte hingegen gähnende Leere. Innerlich leer und verlassen hatte Ulla sich bisher auch gefühlt – doch seit dem Gespräch mit Leni hatte sich über die graue Einsamkeit etwas anderes, Farbigeres gelegt. Ulla hielt inne und spürte dem nach. War es ein Gefühl von Verbundenheit, von Nähe? Oder lenkte sie die Neugier um das Verschwinden der jungen Frau einfach nur erfolgreich von ihren eigenen negativen Gefühlen ab?

»Das Nachtschränkchen.« Ulla setzte ihre Suche fort und öffnete die Schublade. »Ach, schau an, was haben wir denn da?« Unter einer Geldbörse blitzten Fotos hervor. Fotos waren immer gut, verrieten sie doch meist etwas mehr über ihre Besitzer. Auf dem oberen war eine junge, stylische Frau zu sehen. Vielleicht Mitte zwanzig, mit Piercings in Nase und Augenbraue, kurzem dunklem Haar und so einem modischen Undercut, wie ihn nur wenige tragen konnten. »Hübsch, hübsch.« Foto Nummer zwei zeigte zwei Katzen, die sich gemütlich in einem grauen Strandmon-Ohrensessel rekelten. »Ach, wie süß!« Ein wohliges Gefühl breitete sich in Ullas Bauch aus. »Katzenmenschen sind oft sensibel, feinfühlig und ...« Ein Pfeifen ließ sie zusammenzucken, und sie blickte zum Fenster. »Was für ein stürmischer Wind. Der hat mich heute Nacht schon geweckt.« Weiter kam sie nicht, denn eine angefangene Tüte Schokolinsen lenkte sie ab. »Schokolade.« Am liebsten Lauensteiner Edelmarzipan und belgische Schicht-Nougat-Pralinen. »Gutes Essen und edler Wein, da werde ich schwach.« So hatte Chris damals ihr Herz erobert. »Ich habe so einen Hunger.« Sie schaute auf die Uhr. »Noch über eine Stunde bis zum Frühstück. Und vorher muss ich auch noch zum Wiegen. Das passt ja.« Ihr Magen knurrte und machte seinem Unmut Luft. »Ja, ja, ich weiß. Wir müssen uns beeilen.« Redete sie jetzt tatsächlich schon mit ihrem hungrigen Magen? Ein weiterer Gedanke tauchte auf. Wann hatte sie zum letzten Mal ein Essen so richtig in vollen Zügen genossen? Die frische Ostseeluft schien ihren Kopf und eingestaubte Erinnerungen frei zu pusten. Zumindest setzte sie längst vergessene Gefühle frei, die Ulla schon lange nicht mehr gespürt hatte. Ein Lächeln verirrte sich auf ihr Gesicht und brachte einen kleinen Funken in ihrem Herzen zum Glühen. »Eis mit heißen Himbeeren, das wär's jetzt. Nicht mit Vanille. Mit Schoko! Ja, das gönne ich mir heute Nachmittag. Irgendwo wird es an der Promenade bestimmt ein hübsches Eiscafé geben.« Gab es überhaupt eine Promenade in Ückeritz? Egal, Eis gab es ganz sicher irgendwo.

Wieder zuckte ihr linker Zeh. »Guido! Was gibt es denn so Dringendes?« Ihr Blick fiel erneut auf das unberührte Bett. Instinktiv griff sie nach Decke und Kissen und hob sie an. Unter der Decke: nichts. Aber als sie das Kissen zur Seite schob, blitzte am hinteren Bettrand die Hälfte eines kleinen, mintgrünen Heftchens auf. Leni schien eine Vorliebe für Grün zu haben.

Ein Poltern auf dem Flur ließ Ulla heftig zusammenzucken.

»Du schnüffelst!«, hörte sie die Stimme des Ehemannes in ihrem Kopf. »Hör auf mit diesem Kindergartenkram!«

Doch Guido zuckte erneut. Sie nahm das Heftchen und ließ es in ihre Morgenmanteltasche gleiten. Dort lag es viel sicherer als zwischen Wand und Bett geklemmt. Natürlich würde sie es Leni später zurückgeben, wenn sie sich verabschiedete. Wenn!

6

Wo steckte die junge Frau? Warum war sie bisher nicht wieder aufgetaucht? War sie abgehauen? Dann hätte sie doch ihre Sachen mitgenommen, wenigstens die wichtigsten. Aber waren Turnschuhe, Sportklamotten und eine Waschtasche wirklich überlebenswichtig? Immerhin hatte sie ihr Handy dabei. Aber keine Geldbörse. Verdammt, hätte sie sich gestern nur ihre Nummer notiert. Vielleicht hatte sie sich in ihrer Wut verlaufen? Oder war ihr etwas Schlimmes zugestoßen? Wie ein Holzwurm fraß sich dieser letzte Gedanke in Ullas Herz. »Ich werde dich finden, Leni.«

Nach dem Wiegen hatte Ulla sich so sehr auf ein ausgiebiges Frühstück gefreut, aber außer einem dünnen Kaffee brachte sie nichts hinunter.

»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte ihre Tischnachbarin, die sich als Frau Habermann vorstellte. »Sie sind ja ganz blass um die Nase.«

Ulla schüttelte den Kopf. Sie hatte keine große Lust auf Konversation.

»Wo ist eigentlich Frau Zingerle? Hat sie sich bei Ihnen verabschiedet, Herr Schuhmann? Kein Benehmen, die jungen Dinger. Wissen einfach nicht, was sich gehört.«

Ulla horchte auf. »Die junge Frau, die heute abreist? Saß sie an ihrem Tisch?«

»Eigentlich ja. Aber meistens hat man sie nicht zu Gesicht bekommen. War wohl nicht gut genug das Essen hier. Nicht regional, nicht bio, nicht vegan oder so was. Dieses Großstadtgetue geht mir echt auf die Nerven. Wo kommen Sie her, Frau ...?«

»Sonnenberg, Ulla Sonnenberg. Aus Berlin.«

Frau Habermann verstummte kurz. »Kommen hier alle aus Berlin?«

Herr Schuhmann schmunzelte. »Herzlich willkommen, Ulla. Lassen Sie sich nicht von Frau Habermann abschrecken. Eigentlich ist sie ganz nett. Sie muss nur immer das letzte Wort haben.«

»Muss ich gar nicht. Aber ...«

»Sehen Sie, ich sag's ja.« Er zwinkerte der älteren Dame zu und stand auf. »Ich muss leider los. Mein Therapieplan platzt heute aus allen Nähten.«

Auch Frau Habermann erhob sich.

Ulla nahm einen letzten Schluck Kaffee. Leni saß also an diesem Tisch. Sie musste unbedingt noch einmal in Ruhe mit ihren Tischnachbarn reden. Auch wenn sie nur sporadisch anwesend war, konnten die zwei ihr sicher mehr über die junge Frau erzählen. Aber jetzt brauchte Ulla erst einmal frische Luft. Zurück auf dem Zimmer schnappte sie sich ihren weißen Wollmantel, weil der so perfekt zu ihrer knallrot gefassten Lieblingsbrille und den meerblauen Pumps passte, und machte sich auf in Richtung Promenade. Zumindest dorthin, wo sie sie vermutete. Durch den Küstenwald mit seinen im Wind wogenden Baumwipfeln und den knarzenden Bucheckern. Kiefernduft hing in ihrer Nase. Sie blieb stehen, schloss ihre Augen und sog ihn ein wie eine Aromatherapie. »Mist, das Heftchen. Ich hätte es mitnehmen sollen.« Sie war angespannter wegen Leni, als sie sich selbst eingestehen wollte, doch die kühle Luft half ihr, sich zu beruhigen. Bisher hatte sie noch nicht in das Heft hineingesehen. Ein Tagebuch war etwas sehr Persönliches. Und irgendwo ganz tief saß dieses kleine Fünkchen Hoffnung, dass Leni plötzlich wieder auftauchen würde.

»Nicht bummeln, Zeit ist kostbar.« Am Ende der Strandstraße lief Ulla rechts am Kunstpavillon vorbei und stieg die Treppe beim Strandcafé Utkiek hinab zum Strand.