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„Mr. Jervis der Millionär“ ist ein fesselnder Roman von B. M. Croker, der in die Feinheiten des britischen Koloniallebens in Indien des 19. Jahrhunderts eintaucht. Die Geschichte folgt einer Reihe lebhaft gezeichneter Charaktere, in deren Mittelpunkt der charmante und unabhängige Mark Jervis steht, ein junger Mann, der sich in komplexen Familienbanden und gesellschaftlichen Erwartungen zurechtfinden muss und im Netz gesellschaftlicher Erwartungen und persönlicher Wünsche gefangen ist. Vor dem Hintergrund der exotischen und herausfordernden Landschaften Indiens taucht die Handlung in persönliche Dilemmata, romantische Verstrickungen und den Druck der Tradition ein. Durch Crokers lebendige Schilderungen und pointierte Dialoge werden die Leserinnen und Leser in das Leben britischer Auswanderer entführt, in dem Klasse, Pflicht und Ehrgeiz oft aufeinanderprallen. Mit seiner Mischung aus Romantik, Abenteuer und Gesellschaftskritik bietet die Geschichte einen faszinierenden Einblick in eine Welt, in der der Schein an erster Stelle steht und die persönliche Identität sowohl ein Geschenk als auch ein Fluch sein kann. Crokers scharfer Verstand und ihre scharfsinnigen Beobachtungen der menschlichen Natur machen diesen Roman nicht nur zu einer Geschichte, sondern zu einer Studie über die Komplexität, die uns ausmacht.
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Seitenzahl: 532
Veröffentlichungsjahr: 2024
Bithia Mary Croker
Mr. Jervis der Millionär
Roman
Gesamtausgabe
In der überarbeiteten Übersetzung
von
Auguste Scheibe
MR JERVIS wurde in der englischsprachigen Originalfassung zuerst veröffentlicht von Chatto & Windus, London 1894.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
2024
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Gesamtausgabe
ISBN 978-3-96130-661-9
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Inhaltsverzeichnis
Mr Jervis der Millionär
Impressum
Erster Band
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Zweiter Band
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
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Zu guter Letzt
Erster Band
Kapitel 1
»Ich glaube, ich muß sie einladen zu kommen. Mir selbst kann es ja auch nur angenehm sein, sie hier zu haben; aber ich fürchte, Granby wird die stete Anwesenheit eines jungen Mädchens im Hause langweilig finden. Drei ist in Indien immer eine dumme Zahl.«
»Auch anderwärts ist sie bisweilen unbequem,« bemerkte eine Dame, die vor dem Kamine saß und mit einem verhältnismäßig kleinen Blasebalg in ein großes Kaminfeuer pustete.
»Du weißt, was ich meine, Milly,« versetzte die erste Sprecherin, eine hübsche, etwas blasiert aussehende Frau, die, mit einem offenen Briefe auf den Knieen, bequem in ihrem Lehnstuhle lag. »Die Häuser sind hier, und besonders in den Kantonnements, gewöhnlich nur für zwei Menschen eingerichtet. Die Viktoria und der Ponywagen bieten nur Platz für zwei, und Frühstück und Mittagessen lassen sich unter den hiesigen Verhältnissen auch stets am besten für zwei einrichten. Aber ich würde sehr gern ein junges Mädchen haben, das ich in der Gesellschaft bemuttern könnte. Es wäre immerhin ein Lebenszweck und würde mir wieder mehr Lust machen, Gesellschaften zu besuchen.«
»Ist das denn nötig?« fragte die Dame mit dem Blasebalge, indem sie sich der andern mit einem leichten Lächeln über die Schulter zuwandte.
»Ja, es ist nötig, du unangenehme kleine Person! Wenn eine Frau nicht mehr ganz jung und ihre eigene Blütezeit vorüber ist, so bietet ihr nur eine hübsche, junge Gefährtin noch passende Gelegenheit, sich an dem Glücksspiele einer Heirat zu beteiligen, eine Gelegenheit aus zweiter Hand freilich, aber doch immerhin anregend, während das Leben sonst in einem gewissen Alter nur zu sehr abgestandenem Sodawasser gleicht.«
»Das finde ich nicht,« entgegnete die Dame mit dem Blasebalg.
»Sollte mich auch wundern. Du bist so energisch und hast so viel Interesse für andre, widmest dich mit Leib und Seele deinen Wohltätigkeitsbestrebungen, beteiligst dich an allen Werken der Barmherzigkeit und nimmst so lebhaften Anteil an dem Wohl und Wehe andrer Leute, während mein Interesse und meine Tatkraft kaum über Granby und meine eigene Person hinausreichen. Ich bin nachgerade so stumpf und gleichgültig geworden, daß mir selbst die Aussicht, Mutter Brande auszustechen, keine Lust mehr macht, einen Ball zu besuchen. Die Dinge würden aber ein ganz andres Gesicht bekommen, wenn ich eine Nichte zu verheiraten und gut zu verheiraten hätte. Wie hübsch müßte es sein, andern Mädchen und ihren pläneschmiedenden Müttern den Rang abzulaufen, wie hübsch, wenn die besten Partieen am Orte dieser Nichte zu Füßen lägen! Ihr Triumph würde auch der meinige sein!« Dabei schloß Frau Langrishe langsam die schweren Lider und schien, nach dem Ausdruck ihres Gesichtes zu urteilen, gänzlich in diese beglückende Vorstellung zu versinken. Eine sehr prosaische Frage weckte sie aus ihrer Versunkenheit.
»Wie alt ist denn deine Nichte?«
»Ja, laß mich mal überlegen!« rief Frau Langrishe sich aufrichtend. »Laß mich mal sehen! Unter uns gesagt, ich glaube fast, sie muß ihre sechsundzwanzig Jahre haben. Wie doch die Zeit vergeht! Sie ist die Tochter meines ältesten Bruders, der eine sehr starke Familie hat. Meine Schwester Fanny nahm Lalla vor achtzehn Monaten zu sich nach Kalkutta, aber Fanny ist jetzt gezwungen, nach England heimzukehren, und wünscht nun, sie mir zu schicken.«
»Ich begreife,« gab die Freundin mit einem verständnisvollen Kopfnicken zur Antwort.
»So wirst du auch begreifen, daß, da wir beiden Schwestern keine eigenen Kinder haben, die übrigen Glieder der Familie allezeit bereit sind, uns mit ihren Sprößlingen auszuhelfen. Ich habe stets gedankt, habe ihnen immer meine abgelegten Kleider geschickt, aber ich will dir doch den Brief meiner Schwester vorlesen,« setzte sie hinzu, indem sie das Papier entfaltete.
»Chowringhee, den 22. Februar.
Teuerste Ida!
Die hiesigen Ärzte behaupten, Richard müsse sofort nach England. Er ist schon zu lange hier gewesen, und es ist die höchste Zeit, daß ihn ein andrer Teilhaber der Firma ablöst. Er hat tüchtig gearbeitet, und es wird nun nötig, daß er einmal ganz ausspannt. Ich muß ihn begleiten, aber die Sache kommt mir sehr unerwartet. Ich hatte bereits für die warme Jahreszeit ein Haus in Simla gemietet, was sich indessen glücklicherweise noch rückgängig machen läßt; aber was fange ich mit der lieben kleinen Lalla an?
Das arme Kind kam erst vor anderthalb Jahren herüber und kann sich mit dem Gedanken, Indien schon wieder zu verlassen, nicht befreunden, was auch bei der großen Menge ihrer Verehrer und einem Koffer voll neuer Kleider, den der letzte Dampfer mitbrachte, gar kein Wunder ist. Ich hatte die Absicht, ihr einen heiteren Winter zu bereiten und Dick allein nach Hause zu schicken, aber alle meine Pläne sind mir über dem Kopfe zusammengefallen! Um jedoch auf den eigentlichen Zweck meines Briefes zu kommen, würdest Du vielleicht Lalla zu Dir nehmen? Ich möchte sie in keinen andern Händen lassen, als in denen einer leiblichen Tante, obwohl ich weiß, daß Frau Monty-Kute vor Verlangen brennt, sie bei sich zu haben. Du würdest eine sehr amüsante Gesellschaft an ihr finden, denn wo Lalla im Hause ist, kann niemand verdrießlich sein. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen, mit dem Du Ehre einlegen würdest, hier gilt sie als die erste Schönheit. Auch singt sie recht hübsch, spielt Banjo F1 und Guitarre und tanzt vorzüglich. Was ihr Temperament anbetrifft, so ist nichts im stande, ihr die gute Laune zu trüben. Woher sie diesen heiteren Sinn nur haben mag? Ein Familienerbteil ist er nicht. Ich habe sie nicht ein einziges Mal verstimmt gesehen, und das ist mehr, als man von Tausenden von jungen Mädchen sagen kann. Ich würde sie Dir auch recht gut ausgestattet schicken. Unter andern besitzt sie ein neues Reitkleid, einen neuen Sattel und kann auch, wenn Du das wünschest, ihr Pony mitbringen. Ich bin überzeugt, liebe Ida, daß Du sie bei Dir aufnehmen wirst, wenn Du's irgendwie einzurichten vermagst, und daß Du alles tun würdest, um sie gut zu verheiraten, denn Du weißt: der arme Eustache hat noch Charlotte und Sophie, die inzwischen herangewachsen sind, zu versorgen. Auch May ist schon achtzehn. Du bist ja so klug, umsichtig, verständig und so allgemein beliebt und überragst mich in jeder Beziehung so sehr, daß ich überzeugt bin, wenn Du Lalla unter Deine Flügel nimmst, ist ihr Glück gemacht. Da wir Plätze auf dem ›Paramatta‹ genommen haben, der am 12. abgeht, bitte ich Dich um Antwort mit wendender Post.
Deine Dich liebende Schwester Fanny Crauford.«
»Fanny hat ganz recht,« fügte Frau Langrishe mit einer leichten Beimischung von Geringschätzung im Tone hinzu. »Man kann sie jedenfalls nicht zu den klugen und umsichtigen Frauen rechnen. Sie ist ein gutmütiges Geschöpf, das sich ganz und gar von seinen Gefühlen bestimmen läßt, keine Spur von Takt besitzt, bei jeder Gelegenheit hereinfällt und von allen Seiten mißbraucht wird. Jedenfalls will ich aber das Pony nicht haben.«
»Du bist also schon fest entschlossen, das junge Mädchen zu dir zu nehmen?« fragte die Freundin in halb ungläubigem Tone.
»Ja,« gab Frau Langrishe zur Antwort, indem sie ihre langen weißen Hände hinter dem Kopfe kreuzte. »Lalla ist hübsch, amüsant, gut erzogen, heiter, ich wüßte nicht recht, warum ich diesmal nein sagen sollte, obgleich ich es bis jetzt immer abgelehnt habe, eine meiner Nichten zu mir zu nehmen. Als Vorwand diente mir stets, daß es Granby nicht gern sehen würde. Nun ist aber diese Nichte einmal in Indien gestrandet, und es würde häßlich aussehen, wenn ich mich weigerte, ihr förderlich zu sein. Außerdem kommt sie mir gerade jetzt ganz recht; wir können uns gegenseitig etwas sein. Sie wird mich amüsieren, mich erheitern und verjüngen, wird sich im Hause nützlich machen, die Blumen pflegen, notwendige Briefe schreiben, mir vorlesen, die Nippsachen abstauben, Kaffee und Salat machen, allerlei kleine langweilige Besorgungen übernehmen und mir außerdem zu einem Ruhmeskranze verhelfen, wenn es mir gelingt, in dieser Saison eine ›große Partie‹ zu stande zu bringen.«
»Und du -- was gedenkst du ihr dafür zu bieten?«
»Ich biete ihr ein reizendes Heim, werde ihr die angenehmsten Männer einladen, werde sie überall vorstellen, ihr, wenn nötig, einige neue elegante Ballkleider schenken, sowie den reizenden Theaterumhang, der mir zu eng geworden ist.«
»Oder, besser gesagt, für den du zu dick geworden bist,« bemerkte die andre mit einer leichten Hebung der Augenbrauen.
»Milly, du kannst wirklich schrecklich sein!«
»Und was wird der Major dazu sagen?« fuhr Milly fort, ohne sich einschüchtern zu lassen.
»O, Granby wird sich fügen ... aber ich muß mich beeilen, Fannys Brief zu beantworten und ihr zu sagen, daß ich sehr entzückt bin, Lalla aufnehmen zu können. Bitte, Milly, sei gut und brühe den Tee auf, während ich eine Zeile schreibe. Die Post geht um sechs Uhr ab.«
Die andre Dame, die sich bisher mit dem Feuer beschäftigt hatte und nun den Tee aufgoß, war nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, die Herrin, sondern nur eine alte Freundin des Hauses, die an diesem kalten Märznachmittage zu einem Plauderstündchen gekommen war. Eine schlanke, kränklich aussehende Erscheinung mit schwarzem Haar, schwarzen Augen und -- obgleich sie kaum älter als Dreißig sein mochte -- einem schmalen, von vielen frühzeitigen Fältchen durchzogenen, vergrämten, sorgenvollen Gesicht. Es fiel keinem Menschen ein, Frau Sladen hübsch zu finden, aber die meisten Frauen nannten sie ein »liebes Geschöpf«, und die Männer meinten, sie sei »eine Person, die alle Hochachtung verdiene«. Durch ihre Eltern noch sehr jung, ehe sie die Bedeutung des Schrittes recht verstand, an einen ältlichen Beamten verheiratet, war sie von Stund an die Sklavin eines selbstsüchtigen, grilligen, reizbaren Mannes geworden, dessen Horizont nicht über zwei Tische, den Mittagstisch und den Spieltisch, hinausging und dessen Liebe und Sorge nur seiner eigenen wichtigen Person galt. Milly Frasers Eltern waren gerade in Begriff gewesen, Indien zu verlassen, waren ohne Vermögen und hatten noch eine große Familie zu versorgen, sonst hätten sie sich wohl besonnen, ihre hübsche Milly (damals war sie noch hübsch), einem Manne zu geben, der zwar ein gutes Gehalt bezog und dessen Witwe pensionsberechtigt war, der aber doppelt so alt war, als ihre Tochter. Hätten sie sich genauer erkundigt, so würden sie außerdem erfahren haben, daß dieser Mann tief in Schulden steckte und ebenso wenig einen Freund besaß, als ein Diener längere Zeit im Hause blieb, und daß, um und um besehen, der arme junge Hastings, der beim Generalstabe stand und dessen Bewerbung sie so hochmütig abgewiesen hatten, doch ein ungleich annehmbarerer Schwiegersohn gewesen wäre. Frau Sladen hatte zwei kleine Mädchen in England drüben, die unter Fremden, in einem billigen Vorstadtpensionat, aufwuchsen. Wie oft hatte ihr der Gatte hoch und heilig versprochen, sie solle »nächstes Jahr« nach England reisen dürfen, um die Kinder zu besuchen; wenn aber die Zeit kam, verhärtete er sein Herz, wie ehedem Pharao, der König von Ägypten, und ließ sie nicht reisen. Wer sollte denn in ihrer Abwesenheit das Haus und die Leute in Ordnung halten und für seine, des Hausherrn, Bequemlichkeit sorgen? Er war doch wahrhaftig nicht der Mann, den man dem guten Willen eines Khansamah (Kochs) überließ. Und übrigens: woher sollte er denn das Geld zur Reise nehmen? Er hatte nicht eine Rupie übrig -- für sie.
Oberst Sladen war, wenn es seine eigenen Interessen betraf, ein sehr schlauer Mann. Er wußte, daß er nicht beliebt war, daß ihm aber viele Unannehmlichkeiten um der Frau willen erspart blieben, die er quälte und rauh behandelte; und ging sie nach England, so machte das für sein gesellschaftliches und körperliches Behagen einen großen Unterschied. Trotz dieses unliebenswürdigen Eheherrn brachte es Frau Sladen fertig, sich im ganzen heiter und meist mit lächelndem Gesicht zu zeigen. Sie war immer bereit, Kranke zu pflegen, bei festlichen Gelegenheiten das Klublokal auszuschmücken, jungen Mädchen bei ihrer Balltoilette zu helfen, ihre jungen Schmerzen und Sorgen zu teilen und ihnen mit gutem Rate beizustehen.
Frau Langrishe dagegen regierte ihren teuren Granby mit fester, aber anmutiger Hand. Die Partie war in England gemacht worden und hatte sich in einer Beziehung für beide Teile als Täuschung herausgestellt, oder -- um ein milderes Wort zu brauchen -- hatte beiden Teilen eine Überraschung bereitet. Hauptmann Langrishe war durch Ida Paskes hübsches Gesicht, vornehme Art und glänzende Toiletten bestochen worden, und ihre gänzliche Nichtachtung des Geldes hatte großen Eindruck auf ihn gemacht. Man sagte, sie verfüge über ein bedeutendes Einkommen; aber leider entbehrte dies Gerücht der Wahrheit. Ida gehörte zu einer kinderreichen Familie, war hübsch, hatte Ehrgeiz, großes Selbstvertrauen und war achtundzwanzig Jahre alt. Ihre Toiletten waren nicht bezahlt und ihr ganzes Vermögen bestand in ihrer angenehmen Erscheinung. Sie ihrerseits hielt den jungen unbedeutenden Offizier, dessen bleiches, schmales Profil genau aussah, als sei es aus einer Planke von Tannenholz geschnitten, für ungeheuer reich. Auch er heuchelte eine große Verachtung des Geldes, sprach von seiner Meute und seiner Jacht, und da er sofort nach Indien abreisen mußte, beschleunigte man die Hochzeit. Aber ehe das glückliche Paar noch Bombay erreicht hatte, waren beide Teile über ihren Irrtum aufgeklärt. Er wußte, daß seine junge Frau keinen Pfennig Vermögen besaß, und sie hatte erfahren, daß die Meute und die Jacht, von denen er gesprochen hatte, geliehen waren, und daß er, außer seinem Sold, nur über dreihundert Pfund Einkommen verfügte. Aber beide waren kluge Leute; sie nahmen die Sache von der besten Seite, und schließlich gelangte Hauptmann Langrishe zu der Überzeugung, daß er bei seiner Wahl dennoch in einen Glückstopf gegriffen habe. Seine Ida war überaus klug und taktvoll und hatte hervorragende Talente. Sie verstand sich im höchsten Grade auf die Kunst, den äußeren Anstand zu wahren, richtete ihrem Manne eine behagliche, angenehme Häuslichkeit ein, suchte, seinen Geschmack kennen zu lernen, schmeichelte seinen Schwächen, zeigte sich ihm stets heiter und liebenswürdig und war elegant gekleidet. Ihre kleinen, immer nur aus wenigen Personen bestehenden Diners waren berühmt, die Bereitung ihrer delikaten Zwischenspeisen war ein Geheimnis zwischen ihr und ihrem Koch, und die Gäste waren stets sorgfältig gewählt. Sie bestanden meist aus einigen hochgestellten Männern, anziehenden Frauen und allgemein beliebten Persönlichkeiten, die den Ruhm ihres feinen Tisches weiter verbreiteten und ihr das Empfangene mit Zinsen wiedergaben. Schäbiges Volk und gleichgültige, uninteressante Menschen erblickten nie das Innere ihres Hauses, dessen Einrichtungen als ein wahres Muster von Behaglichkeit und Geschmack gelten konnte. Ihre Toilette war stets gut gewählt und kostbar. Diamanten glänzten an ihren Fingern und an ihrem Halse, und ihr Auftreten war so sicher, ruhig und selbstbewußt, daß sie, die doch nur die Gattin eines einfachen Hauptmanns war, von vielen im Range höher stehenden Damen ohne Weigerung als ihresgleichen betrachtet und behandelt wurde, ja daß diese Frauen es sogar duldeten, von ihr in den Hintergrund gedrängt zu werden. So groß war ihre Geschicklichkeit, daß man eine Einladung zum Fünfuhrtee bei Frau Langrishe weit höher schätzte, als die zu einem glänzenden Mittagessen bei einer weniger wählerischen Wirtin.
Weder die wütenden Angriffe ihrer Feinde (und sie hatte deren nicht wenige), noch die gelegentlichen Indiskretionen ihrer Freunde vermochten, die immer gleiche Gemütsruhe dieser Frau, die durchaus » grande dame« sein wollte, zu stören. Es war eine merkwürdige, aber unbestreitbare Tatsache, daß sie sozusagen immer auf einem Thrönchen saß, daß sie, wohin sie auch kam, aufs zuvorkommendste begrüßt und bewillkommnet wurde, die umfänglichste Gastfreundschaft genoß, und daß man sie stets nur mit Bedauern scheiden sah. Während andre Damen sich im Posthotel langweilten und in einem elenden Mietskarren herumfuhren, standen ihr die Kutschwagen der Rajahs zur Verfügung, und sie wurde mit Aufmerksamkeiten und Einladungen überhäuft. Natürlich genügte das vielen Leuten, um über sie zu reden und sie sich auf Armeslänge vom Leibe zu halten. Die Kameraden, die Hauptmann Langrishes Verhältnisse kannten, wunderten sich, wie er es möglich machte, so aufzutreten. »Seht nur die Toiletten seiner Frau! Und sie geben die feinsten Diners im ganzen Ort! Das wird über kurz oder lang zu einem gehörigen Krach führen!« hieß es. Aber Jahre gingen und kamen, und kein Zeichen einer solchen Krisis trat ein; denn Granby Langrishe hatte eine außerordentlich kluge, geschickte Frau, die sich und ihn vorwärts zu bringen wußte. Sie hatte nicht geruht und gerastet, bis sie auch ihn in den Vordergrund gedrängt hatte, und als Preis des feuchten Taues, der in den ausdrucksvollen Augen seiner Frau stand, so oft sie ihn darauf aufmerksam machte, daß es ihm noch nicht gelungen sei, sich bei der einen oder andern einflußreichen Persönlichkeit in die rechte Gunst zu setzen, erfreute er sich eines wohlgeordneten, eleganten und behaglichen Haushaltes, verfügte über eine monatliche Einnahme von zweitausend Rupien und genoß eine dem entsprechende Wertschätzung.
Ida Langrishe sah nicht im entferntesten wie eine Frau von vierzig Jahren aus. Sie hatte sich und ihre Schönheit sorgfältig gepflegt, war nie früh aufgestanden und hatte in den heißen Tagesstunden niemals Besuche gemacht. Sie war groß, hatte eine schöne Gestalt, wurde aber in letzter Zeit leider etwas stark. Ihre feinen Brauen waren schön gezeichnet, ihre Augen von wunderbarem echten Grau, ihre Züge regelmäßig. Hatte ihr Gesicht einen Fehler, so lag dieser in dem etwas zu starken Unterkiefer; aber, was auch der eine oder andre von ihr sagen mochte, so konnte doch keiner bestreiten, daß sie auffallend hübsch und ebenso klug als hübsch war. Sie selbst hatte bei ihrer Verheiratung nicht ganz das erstrebte Ziel erreicht; aber es hätte, wie sie meinte, doch merkwürdig zugehen müssen, wenn es ihr bei ihrem Verstande, ihrem Bekanntenkreise und ihrer reichen Erfahrung nicht gelingen sollte, die Nichte glänzend zu verheiraten.
Banjo, das landesübliche zitherartige Saiteninstrument. (Anmerk. d. Übers.)
Kapitel 2
Die Glastüren des reizenden Empfangszimmers, in dem sich Ida Langrishe und ihre Freundin Milly befanden, gingen auf eine tiefe steinerne Veranda hinaus, die mit Jelängerjelieber und Passionsblumen umzogen war und eine unvergleichlich schöne Aussicht bot. Der Vordergrund bestand freilich nur aus einem von gut gehaltenen Kieswegen durchzogenen Grasgarten und einigen Gruppen bleicher Winterrosen; aber jenseits der dahinter aufsteigenden, mit Tannenwald bestandenen Hügel, von denen hin und wieder rote Dächer herüberlugten, jenseits des Rhododendrotales und einer Kette in Purpur getauchter Felsspitzen erhoben sich die ewigen Schneeberge in ihrer wunderbaren, stets von neuem überraschenden Schönheit. Doch der Wind, der jetzt von dort herüberwehte, war scharf und kalt. Er hatte von jenen glänzend weißen Zacken und Hängen bis hierher sechzig englische Meilen zurückzulegen gehabt, kündigte den fröstelnden Rosen an, daß die Sonne untergegangen sei, und fuhr rauschend durch die majestätischen Cedern, die sich in dunklen Linien vom Himmel abhoben.
Frau Langrishe erhob sich von ihrem Schreibtisch und wandte sich mit dem vollendeten Briefe in der Hand zu ihrer Freundin zurück, die noch immer vor dem Kamin saß, ins Feuer blickte und vielleicht an die Zeit dachte, wo auch ihre Verwandten und Freunde so eifrig bemüht gewesen waren, ihr einen Mann zu verschaffen.
»Milly, du kommst ja an der Post vorüber und könntest wohl so gut sein, diesen Brief für mich aufzugeben,« sagte Frau Langrishe. »Ich glaube überhaupt, du würdest gut tun, jetzt heimzugehen; denn es ist bereits spät, die Luft ist kalt und du bist schon heiser.«
Mrs. Sladen stand sofort auf. Sie war daran gewöhnt, daß man ihr Besorgungen auftrug und ihre Gefälligkeit ausnutzte. So streifte sie denn hastig ihre billigen Handschuhe über, band ihre schäbige Boa um und griff nach dem Briefe, der Lalla Paske nach Shirani rufen sollte. Als die Freundin sie zum Abschied küßte, blickte sie besorgt zu ihr auf und sagte:
»Nicht wahr, Ida, wenn das junge Mädchen kommt, wirst du sie nicht als bloße verkäufliche Ware betrachten, die man um jeden Preis an den Mann zu bringen sucht, sondern ihr, wenn sie nun einmal heiraten will und muß, erlauben, eine Wahl nach ihrem eigenen Herzen zu treffen. Bitte, versprich mir das!«
»Du kleine törichte, phantastische Person!« rief die andre und tätschelte sie mit zwei Fingern auf die Wange. »Was für unnütze Sorgen machst du dir! Als ob man in unsern aufgeklärten Zeiten junge Mädchen gegen ihren Willen verheiratete.«
Frau Sladen antwortete nur durch einen unwillkürlichen Seufzer. Dann verließ sie, ohne ein Wort zu sagen, die Veranda, bestieg ihren Rickshaw F2, der sich sofort in Bewegung setzte, und nickte im Davoneilen ihrer hübschen Freundin ein etwas melancholisches Lebewohl zu. Ida, deren elegante Gestalt einen Augenblick in der Türöffnung erschien, rief ihr nach: »Die Post geht um sechs Uhr ab, du hast gerade noch zehn Minuten Zeit!« Dann trat sie mit einem leichten Frostschauer ins Zimmer zurück, schloß die Glastür und nahm an ihrem behaglichen Kaminfeuer Platz.
»Die arme Milly!« murmelte sie vor sich hin, während sie ihre elegant beschuhten Füße wärmte, »die arme Milly! Sie war immer so sonderbar und sentimental. Eine Wahl nach dem eigenen Herzen! Ja natürlich, nur muß es eine Wahl auch nach meinem Herzen sein!«
*
Milly Sladens Rickshaw war alt; das Verdeck von billigem amerikanischem Ledertuch, an vielen Stellen schadhaft und zerschlissen, und die Jampannis trugen, gleich ihrer Herrin, noch die abgenutzten Kleider vom vorigen Jahre. Als sie den Abhang hinabeilten, wären sie fast mit einem andern, sehr eleganten, in C-Federn hängenden Rickshaw zusammengestoßen, der von vier Männern in blau und gelber Livree in Bewegung gesetzt wurde. In dem Gefährt saß eine ältliche, wohlbeleibte, flachsblonde Dame, mit hübschem, behaglichem und stattlichem Doppelkinn. Es war Frau Brande, die Gattin eines der höchsten Civilbeamten des Bezirks. »Kubbardar, Kubbardar! Achtung! Achtung!« rief die Dame erschrocken und fuhr dann, zu Frau Sladen gewendet, fort: »Wie schnell Sie fahren! Aber freilich, Sie sind nicht schwer. Kommen Sie hier an meine Seite, liebe Frau Sladen, und erzählen Sie mir, was es Neues gibt. Es ist in Shirani noch gar zu langweilig. Noch kein Mensch da! Nächstes Jahr werde ich mich wohl hüten, wieder so früh zu kommen!«
»Ich glaube aber, daß alle Wohnungen bereits vergeben und bewohnt sind,« entgegnete die Angeredete freundlich, während die beiden Rickshaws nebeneinander dahin rollten. »Sogar das Monasterium und Haddon Hall sind bewohnt.«
»Was Sie sagen! Die Kamine rauchen ja dort in einer Weise, daß die Ärmsten, die dort gemietet haben, nur zu bedauern sind.«
»Ich glaube, der Mieter von Haddon Hall ist ein einzelner Herr, ein Hauptmann Waring. Er soll das Haus wegen der Nähe des Offizierkasinos gewählt und für die ganze Saison genommen haben.«
»Bei welchem Regiment steht er?«
»Ich glaube, er ist nicht mehr im Dienst, ist nur für die heiße Zeit hier und gedenkt, späterhin drüben in Tibet zu jagen.«
»Also vermögend!« bemerkte die andre.
»Es scheint so. Man glaubt überhaupt, daß wir eine heitere Saison zu erwarten haben.«
»Das glaubt man immer,« versetzte Frau Brande ungeduldig. »Ich glaube es erst, wenn ich's erlebe. Aber ich höre, daß Frau Kane einen Bruder erwartet, der Baronet ist. Er ist ein sogenannter Weltbummler und will sich den Himalajaschnee ansehen. Sie kommen wohl von der Prinzessin da oben? Ist sie ganz allein?«
»Ja, zur Zeit ist sie noch allein; aber sie erwartet eine Nichte, die von Kalkutta kommt.«
»Eine Nichte?« rief Frau Brande mit einer gewissen Schärfe in der Stimme. »Was für eine Nichte?«
»Eine Tochter ihres Bruders, Lalla Paske. Sie soll sehr hübsch, sehr gut erzogen und ein in jeder Beziehung angenehmes junges Mädchen sein.«
»Das bedarf keiner Erwähnung,« entgegnete die alte Dame im Tone tiefster Verachtung. »Ida Langrishe würde sich schwerlich mit einer häßlichen Nichte behaften. Was wird sie nun für Gesellschaften geben! Alle jungen reichen Männer wird sie einladen, den Baronet an der Spitze, aber gewiß keine kleinen, armen Beamten. Na, es wird hier ohne Zweifel gelingen, diese Nichte baldigst an den Mann zu bringen. So etwas tut sie ja gern, und außerdem ist ein junges Mädchen im Hause ein hübsches Mittel, die jungen Männer anzuziehen.«
»O, liebe Frau Brande, Sie wissen, daß Sie ihr damit unrecht tun,« fiel die andre ein.
»Na ja, sie ist Ihre Freundin, noch dazu eine Schulfreundin, und da will ich weiter nichts sagen. Aber Sie wissen auch, daß es mir unmöglich ist, zu heucheln, und ich kann die Person mit ihrer Vornehmtuerei, ihren fein angelegten Plänen und ihrem sich bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund Drängen nun einmal nicht ausstehen. Sitzt sie doch stets im Kirchenstuhle des Generals, fährt bei Wasser- und Landpartieen immer vor den Frauen der höchsten Beamten ab, war -- eine Unverschämtheit sondergleichen -- die erste, die den österreichischen Prinzen einlud, und die Leute lassen sich auch das alles gefallen. Wenn die arme kleine Jones, die doch, da sie aus vornehmer Familie stammt, ein besonderes Recht dazu hätte, sich so etwas herausnehmen wollte, dann möchte ich wissen, was man dazu sagte!« schloß die alte Dame und schlug dabei auf die Armlehne ihres Rickshaw, daß die C-Federn bebten.
»Sie vergessen, daß Ida meine Freundin ist,« fiel die andre ein.
»Freilich, und es ist besser, ihre Freundin zu sein, als ihre Feindin. Aber da ist meine Ecke; ich muß Ihnen Lebewohl sagen!« Und nach einer Abschiedsbewegung mit der rundlichen Hand donnerte Frau Brande den schmalen Weg hinab, der zu ihrer Villa, dem besten und gastfreiesten Hause in ganz Shirani, führte.
Milly Sladen gab ihren Brief zur Post und nahm dann ihren Weg an dem Klubhause vorüber, das den Haupt- und Mittelpunkt der Station bildete und von Tennis- und andern Spielplätzen umgeben war. An der Tür des Klubs begegnete sie einem ältlichen Mann von stämmiger Figur, mit struppigem, grauem Schnurrbart und zusammengezogenen Augenbrauen, der ein starkes, schwarzes Pony ritt.
»Ich habe dich überall gesucht; wo zum Kuckuck bist du gewesen?« fuhr er sie an. »Gewiß wieder bei einem Teeklatsch! Ich werde Soper und Rhodes zum Abendbrot mitbringen; also mach, daß du nach Hause kommst! Apropos, ich höre, daß soeben frische Fische eingetroffen sind; nimm also deinen Weg an dem Laden vorüber und bringe im Rickshaw mit, was du brauchst.«
Und so nimmt die schüchterne kleine Frau einen übelriechenden Fisch mit nach Hause und stellt sich wahrscheinlich in die Küche, um den Hauptteil des Abendessens selbst zu bereiten, während ihr Eheherr seinen Robber Whist spielt.
Der Rickshaw -- das landesübliche Gefährt in den Vorbergen des Himalaja -- gleicht einem verfeinerten, hübschen, leichten, vorn offenen Badekarren, wird von vier Männern gezogen und geschoben und fliegt auf den ebenen Straßen, wie auf den steil auf und ab steigenden Bergwegen, besonders wenn die »Jampannis« es darauf anlegen, ein andres Gespann auszustechen, mit der Schnelligkeit eines Ponywägelchens dahin. (Anmerk. d. Übers.)
Kapitel 3
Milly Sladen hatte »Mutter Brande« nicht nur eine Neuigkeit mitgeteilt, sondern sie auch auf einen großen Gedanken gebracht, einen Gedanken, der Wurzel schlug, wuchs und sich in dem etwas leeren Kopfe der Dame zur vollen Blüte entfaltete, während sie in ihrem jetzt einsamen Empfangszimmer vor dem Kaminfeuer saß, das sie in größter Unparteilichkeit mit einem aalglatten, sehr selbstbewußt aussehenden Foxterrier teilte.
Alle Welt stimmte darin überein, daß Frau Brande ihrer Zeit eine sehr schöne Frau gewesen sein müsse, und noch jetzt machten ihre zarte Hautfarbe, ihre blauen Augen und regelmäßig geschnittenen Züge sie zu einer bemerkenswert schönen Ruine. Dennoch schien es den meisten Menschen unbegreiflich, wie der fast überfeinerte, schwer zu befriedigende, egoistische Pelham Brande dazu gekommen war, die Nichte einer Zimmervermieterin zu heiraten, und wer weiß, ob er, wenn er eine Ahnung gehabt hätte, welche glänzende Laufbahn, welche unerwarteten Erfolge ihm bevorstanden, nicht selbst gezögert haben würde, diesen Schritt zu tun. Wie konnte er aber damals auf den Gedanken kommen, daß seine blonde Sally, die ihn so aufmerksam und gut gepflegt hatte, einst von Chuprassis (Dienern) in scharlachroter Livree bedient werden sollte, daß sie den Vortritt vor den Frauen von Generälen und andern hochstehenden Persönlichkeiten haben und in die Lage kommen würde, »eine Stellung« aufrecht zu erhalten! Wer ist denn im Alter von zweiundzwanzig bereits so klug, wie mit zweiundfünfzig? Pelham Brande war gerade zweiundzwanzig, als er sich auf den indischen Zivildienst vorbereitete, zu diesem Zwecke in London wohnte und an einem typhösen Fieber schwer erkrankte. Seine Wirtin Frau Batt und ihre reizende Nichte Sarabella, die so frisch wie eine Junirose und so unschuldig wie ein Märzlämmchen war, hatten ihn aufs sorgsamste gepflegt.
Da die berühmtesten Ärzte versichern, daß nichts einen so günstigen Einfluß auf die Genesung Kranker ausübe, als eine hübsche und geschickte Wärterin, so war es eben kein Wunder, daß auch Pelham Brandes Herstellung unter Sarabellas sanften Händen und Augen die überraschendsten Fortschritte machte; aber der Patient verfiel dafür in eine neue Krankheit, die sich als unheilbar erwies. Ohne seine Freunde und Angehörigen um ihren Rat oder ihre Meinung zu fragen, begab er sich eines schönen Morgens mit Sarabella in die St. Clemenskirche, ließ sich trauen, machte darauf einen achttägigen Ausflug nach Dover und löste dann zwei Schiffsbillets erster Klasse nach Bombay.
In der Regel werden junge Zivilbeamte ohne alle Barmherzigkeit nach sehr einsamen Distrikten des Landes geschickt, wo sie oft wochenlang kein weißes Gesicht erblicken und die ihnen untergebenen Eingeborenen und Diener, sowie die einfachen Bewohner der benachbarten Dörfer ihren einzigen Verkehr bilden. Dann und wann begegnen sie einem Opiumhändler oder einem Forstbeamten und tauschen mit diesen Zigarren und Zeitungen aus; aber selbst solche Begegnungen sind selten, und nach einem fleißigen Universitätsstudium, nach der gewaltigen Anstrengung, die das schwere Examen verlangt, ist das tödliche Einerlei und die Einsamkeit dieser abgelegenen Stationen hinreichend, um den stärksten Geist aus den Angeln zu heben, insbesondere, wenn dem neuen Ankömmling kein offenes Auge und Ohr für die Natur gegeben ist, wenn sich ihm die Schönheiten des rauschenden Waldes, der wogenden Kornfelder, der alten ehrwürdigen indischen Tempel und der herrlichen Sonnenuntergänge nicht offenbaren. Findet er kein Vergnügen daran, im Walde auf einen Frischling zu pürschen oder Schnepfen zu schießen, sondern bleibt er nach getaner Arbeit in der Kühle des Abends vor seinem Zelte sitzen, um der Sehnsucht nach Polopartieen, nach Karten und Theater nachzuhängen, so hat er wohl Ursache, sein Schicksal zu verwünschen.
Pelham Brande hatte die Schrecken dieser Einsamkeit wenig empfunden. Sarabella war ihm eine vortreffliche Gehilfin und Stütze gewesen, hatte die Landessprache mit erstaunlicher Leichtigkeit erlernt, sich schnell mit den Sitten des Landes vertraut gemacht und sich als ausgezeichnete Hausfrau erwiesen; aber sie hatte sich niemals für Bücher interessiert und sich gewisse Sprachfehler niemals abgewöhnt. Jahrelang hatten die Brandes in weltfremden Distrikten und kleinen Stationen gelebt, bis nach und nach die geleisteten Dienste und die dabei entwickelten Fähigkeiten Pelhams ihm Anerkennung und einen Platz in erster Reihe verschafften. Aber während er vorwärts kam, ging seine Frau zurück. Sie verlor an Schönheit, was sie an Leibesumfang gewann, und ihr Geschmack am Auffallenden trat mehr und mehr hervor und befestigte sich. Pelham schämte sich seiner Frau zwar nicht geradezu, aber er verschloß sich doch nicht dem Eindruck, daß seine gesellschaftliche Stellung eine ungleich angenehmere sein würde, wenn eine wirklich gebildete Dame an der Spitze seines Hauswesens stände.
Zweimal hatte er sie auf sechs Monate nach Australien geschickt, aber nie war er -- was sie auch gar nicht wünschte -- mit ihr nach England gegangen. Einmal, vor Jahren, hatte er selbst eine Reise nach seinem Geburtslande gemacht und war dort von seinen Angehörigen aufgenommen worden, wie man reiche, kinderlose, vom Glück begünstigte Männer im Familienkreise aufzunehmen pflegt. Seine Verwandten hatten es sogar über sich vermocht, nach Sara, wenn auch in etwas beklommenem Tone, zu fragen, und diese ihrerseits hatte ihnen reiche Gaben von Curry, rotem Pfeffer und andern ins hauswirtschaftliche Fach einschlagenden Dingen zugeschickt, auf die sich das Interesse der guten Frau beschränkte. Sara Brande las wohl ihre Tageszeitung, auch dann und wann einen modernen Roman, besonders wenn viele Lords und Ladies darin vorkamen; sie verstand es auch, ein Billet, eine Einladung oder Ablehnung abzufassen, ja mit Hilfe des Wörterbuches sogar einen Brief zu schreiben, im übrigen aber fand sie mehr Vergnügen an ihren Kühen, Hühnern und Gänsen und liebte ihren Hund »Ben« über alles. Sie gab vorzügliche, reiche, aber langweilige Diners, kleidete sich in prachtvolle Stoffe von schreienden Farben, fand hin und wieder Gefallen an einem kleinen Klatsch, spielte gern Whist und haßte Frau Langrishe. Im ganzen führte sie eine einförmige, harmlose Existenz und pendelte bei jedem Wechsel der Saison mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks zwischen ihrer Villa in den Bergen und dem Hause in der Stadt hin und her.
Im Moment fühlte sich Sara Brande, die vor ihrem Kaminfeuer saß und das Prasseln der Tannenholzscheite beobachtete, nicht glücklich. Offiziell war sie das Haupt der Gesellschaft, die » Burra Mem sahib« des Ortes, in Wirklichkeit spielte aber die kluge Frau Langrishe die Rolle der tonangebenden Person und schnappte ihr alle Ehren, sozusagen den Kern der Nuß, weg, während ihr, der Frau Pelham Brandes, nur die erbärmliche Schale blieb. Hatte jene verhaßte Rivalin nun gar noch ein schönes junges Mädchen zur Seite, so wurde sie sicherlich noch mehr aufgesucht und benahm sich dann noch unerträglicher, als bisher. Und was ließ sich dagegen tun? Nichts, gar nichts! Sara Brande tat dann am besten, die Waffen zu strecken und als freundlose, verlassene alte Frau zu sterben. Wäre ihre liebe kleine Annie am Leben geblieben, ja, dann hätten die Dinge anders gestanden; aber sie hatte keine Familie, keine Verwandten, nicht einmal eine Nichte. Und doch -- glücklicher Gedanke! Pelham hatte ja Nichten, drei Stück sogar, die arm und ohne alle Frage hübsch waren. Er hatte ihre Mutter, die seine Schwester war, unterstützt, hatte zur Erziehung seiner Nichten beigetragen und ihnen dann und wann Geld geschickt. Warum sollte seine Frau nicht eines dieser jungen Mädchen adoptieren und auch ihre Nichte haben? Gleich nach Tische (es gab heute ihres Mannes Lieblingsgericht) wollte sie mit Pelham sprechen, und je mehr sie sich mit dem Plane beschäftigte und darüber nachdachte, desto mehr gefiel er ihr, desto mehr befestigte sich ihr Entschluß. So waren die ganze Reise des jungen Mädchens, Dampfer, Zimmer, Toilette bereits fix und fertig, und Frau Brande wollte eben dazu übergehen, eine passende Partie für sie auszusuchen, als Pelham hungrig und fröstelnd ins Zimmer trat.
Nach dem Essen, während Brande eine Zigarette rauchte und sein kluges Weib ihm eine Tasse köstlich duftenden Kaffees reichte, brachte sie die Angelegenheit zur Sprache.
»Pelham, du bist so oft abwesend, und ich fühle mich dann recht einsam,« begann sie. »Ich bin nicht mehr so frisch und regsam wie ehedem und wäre zum Tanzen, zum Tennis und dergleichen Zeitvertreib, selbst wenn ich mir je viel daraus gemacht hätte, zu alt.«
»Du möchtest also vielleicht eine Reise machen, oder soll ich dir ein Pony kaufen oder eine Gesellschafterin halten?« fragte etwas von oben herab ihr Gatte, ein glattrasierter, grauhaariger Mann mit dünnen, beweglichen Lippen und scharfblickendem Auge, der, aus einiger Entfernung gesehen, einen merkwürdig knabenhaften Eindruck machte. »Was hast du für Wünsche?«
»Ich möchte nicht reiten und tanzen, aber jemand für mich reiten und tanzen lassen,« lautete die überraschende Antwort. »Laß uns, wenn es dir recht ist, eine von deinen Nichten zu uns einladen. Das junge Mädchen sollte es gut bei mir haben. Wenn unsre kleine Annie am Leben geblieben wäre, hätte ich freilich nicht nötig, mir andrer Leute Töchter zur Gesellschaft zu leihen.«
Brande, der seine Frau bis jetzt mit scharfen, prüfenden Blicken betrachtet hatte, fühlte sich bei Erwähnung seines einzigen Kindes, das in weiter Ferne unter einem Tamarindenbaum begraben lag, weicher gestimmt.
Ja, die kleine Annie würde, wenn sie am Leben geblieben wäre, jetzt fünfundzwanzig Jahre alt und wohl ebenso hübsch sein, wie in diesem Alter die Mutter gewesen war, die ihm den Kopf verdreht und ihm so selten Gelegenheit gegeben hatte, seine Wahl zu bereuen.
»Deine Schwester hat drei Töchter und befindet sich nicht in glänzenden Verhältnissen,« fuhr Sally fort. »Was ist denn die Pension eines Obersten? Es gibt Leute, die ihren Koch besser besolden.«
»Du hast ganz recht. Groß ist die Pension allerdings nicht, und meine Schwester, die nie eine besondere Haushälterin war, findet es schwer, durchzukommen. Aber du mußt auf der andern Seite bedenken, welche Verantwortlichkeit dir ein junges Mädchen auferlegen würde. Außerdem bist du nicht an den Verkehr mit jungen Leuten gewöhnt ...«
»Nein, aber es wird mir nicht schwer werden, mich daran zu gewöhnen; denn ich habe die Jugend gern. Sage ja, Pel, und ich schreibe sofort. Wir würden natürlich die Überfahrt bezahlen, und ich würde sie selbst von Allahabad abholen.«
Pel warf das Ende seiner Zigarette ins Feuer, drückte sein Augenglas fest auf die Nase und blickte seine Frau schweigend an.
»Aber wie kommst du so plötzlich, so mit einemmal auf die Idee?« fragte er endlich.
»Sie ist mir gar nicht -- gar nicht plötzlich gekommen,« gab Sally zögernd zur Antwort. »Ich fühle mich oft recht einsam; an deine Nichte habe ich aber, offen gestanden, erst heute gedacht, als ich hörte, daß Frau Langrishe eine ihrer Nichten aus Kalkutta erwartet.«
Pelham versenkte seinen Klemmer eiligst wieder in die Westentasche und tat einen langen, eigentümlichen Pfiff.
»Jetzt begreife ich! Frau Langrishe soll nichts voraus haben. Du willst ihrer Nichte deine Nichte entgegenstellen, und es soll einen Wettkampf geben, welche die ihrige am schönsten kleidet, ihr die meisten Anbeter verschafft und sie am schnellsten verheiratet. Nein, Sally, solche Pläne unterstütze ich nicht und werde keine meiner Nichten dazu hergeben.« Dabei schlug er die Beine übereinander und zündete eine neue Zigarette an.
»Höre mich nur erst an,« fuhr seine Frau fort, indem sie aufstand. »Was du da voraussetzest, wird nicht geschehen, und außerdem hätte deine Nichte eine ganz andre Stellung, als jene. Ich würde sie behandeln, als ob sie mein eigenes Kind wäre, und du weißt, es ist nicht schwer, mit mir zu leben,« fügte sie mit vor Erregung zitternder Stimme hinzu. »Die Gordons sind zudem deine nächsten Verwandten, und du bist ihnen etwas schuldig. Nach deinem Tode werden sie ja all' dein Hab und Gut erben. Deine Schwester ist kränklich, und wenn ihr etwas Menschliches begegnen sollte, so würdest du nicht eine ihrer Töchter, sondern alle drei auf dem Halse haben. Wie würde dir das gefallen? Ist aber eine gut verheiratet, so haben die beiden andern bei ihr eine Zufluchtsstätte.«
»Du wirst ja ganz beredt, und außerdem ist was Wahres an dem, was du sagst, Sally. Jedenfalls will ich die Sache in Erwägung ziehen und dir morgen Antwort geben. Was aber mein den Gordons zufallendes ›Hab und Gut‹ anbetrifft, so bin ich erst zweiundfünfzig Jahre alt und gedenke, noch ein gutes Teil davon für mich selbst zu verbrauchen.«
Damit griff Brande nach einer Zeitung und schien sich in deren Inhalt zu versenken. Aber er las nicht, sondern ging nur mit sich selbst zu Rate.
Er hatte die Töchter seiner Schwester nicht gesehen, seitdem sie ihr Alter mit zwei Ziffern schrieben: sie waren seine nächsten Verwandten, waren arm und lebten in irgend einem abgelegenen Winkel Englands. Ja, es war seine Pflicht, etwas für sie zu tun; seine alte Frau wünschte sich eine Gesellschaft und ihm selbst würde ein junges, frisches Gesicht im Hause angenehm sein. Aber was würde eine gut erzogene junge Engländerin von dieser Tante mit der fehlerhaften Sprache, der auffallenden Kleidung und dem ungenierten Benehmen denken? War es indessen auf der andern Seite nicht gewiß, daß sie bald entdecken würde, welches gute Herz und welche freigebige Hand diese brave, wenn auch äußerlich etwas sonderbare Frau hatte?
Am nächsten Morgen, nachdem er die Sache beschlafen hatte, gab Brande seine Einwilligung und überreichte Sally zugleich einen Check von ansehnlichem Betrage. In großer Aufregung schloß sie sich mit Schreibmaterial und Wörterbuch in ihr Zimmer ein, um ihren Brief ohne Störung entwerfen zu können, und wirklich war nach zweistündiger, harter Arbeit das Werk getan. Mit fester Hand drückte sie die Marke auf das Couvert der wichtigen Epistel und brachte sie dann selbst zur Post, um sie eigenhändig in den Kasten zu versenken.
Als sie dies vollbracht hatte und sich umdrehte, sah sie sich ganz unvermutet der verhaßten Rivalin gegenüber, die, von zwei jungen Herren begleitet, eben die Stufen der Vortreppe heraufkam. Frau Langrishe begegnete der Feindin immer mit der größten Liebenswürdigkeit, denn erstens war es »mauvais genre«, sich zu zanken, und zweitens wußte sie, daß ihre Höflichkeiten und ihr liebenswürdiges Lächeln die andre bis aufs Blut ärgerten.
So bot sie ihr denn auch jetzt die fein behandschuhte Rechte und fragte im herzlichsten Tone: »Wie geht es Ihnen, liebste Frau Brande? Ich habe Sie seit einem Menschenalter nicht gesehen! Freilich wäre es an mir gewesen, Ihnen einen Besuch abzustatten, denn ich bin später angekommen; aber ich hatte so viele Verpflichtungen, die Menge der Besucher --«
»O bitte, Sie haben gar nicht nötig, sich zu entschuldigen!« rief Sally Brande, der das Blut in die Wangen stieg. »Offen gestanden, ich bin so vergeßlich und glaubte, Sie wären schon bei mir gewesen!« (Möge der guten Frau diese grobe Lüge dereinst nicht angerechnet werden!)
Jetzt war die Reihe, der Feindin einen Stich zu versetzen, wieder an der andern.
»Natürlich werde ich das Vergnügen haben, Sie bei dem großen Diner zu sehen, das die Maitlands nächste Woche geben!« sagte sie, obwohl, oder vielmehr gerade weil sie wußte, daß die Gegnerin nicht eingeladen war. »Die ganze gute Gesellschaft wird da sein. Freilich sind noch längst nicht alle Familien angekommen, denn es ist noch früh in der Jahreszeit; aber es wird doch ungewöhnlich hübsch werden. Das Diner findet zu Ehren des Baronets statt!«
»Ich werde nicht dort sein; ich habe keine Einladung empfangen,« entgegnete Frau Brande, obgleich sie den Bissen schwer hinabschluckte. Sie sprach fast immer die Wahrheit, auch wo es ihr, wie in diesem Falle, schwer fiel.
»Nicht eingeladen? Das ist ja sehr sonderbar!« rief Frau Langrishe im Tone höchsten Erstaunens und setzte dann mit einem beschwichtigenden Lächeln hinzu: »Die Maitlands werden Sie sicherlich zu ihrer zweiten Gesellschaft einladen. Ich höre, daß wir eine sehr vergnügte Saison zu erwarten haben.«
»Und ich habe mir sagen lassen, es würde sehr an jungen Herren fehlen!«
»Wirklich? Nun, das wird Ihnen, da Sie weder tanzen, noch reiten, noch Tennis spielen, ziemlich gleichgültig sein. Für mich wäre es allerdings eine schlimme Neuigkeit, denn ich erwarte eine Nichte aus Kalkutta und rechne auf anregende, angenehme Geselligkeit.«
»Sie irren, mich geht die Sache ebenso viel an, wie Sie, meine liebe Frau Langrishe,« versetzte die Gegnerin mit triumphierendem Kopfnicken. »Sie wissen vielleicht noch nicht, daß ich ebenfalls eine Nichte erwarte, eine Nichte, die direkt aus England kommt! Sie sehen, andre Leute haben auch Nichten!« Damit machte die alte Dame einen tiefen Knix, rauschte die Treppe hinab, stieg in ihren Rickshaw und flog davon.
Ida Langrishe blieb einen Augenblick stehen, um den vier Jampannis in blau und gelber Livree, die bald in den aufwirbelnden Staubwolken verschwunden waren, mit spöttischem Lächeln nachzublicken.
»Sie sehen, andre Leute haben auch Nichten!« wiederholte sie, zu ihren Begleitern gewandt und Ton und Miene der alten Dame in der amüsantesten Weise nachäffend. »Sie ist nicht unterzukriegen. Man kann sich aber schon denken, welcher Art diese Nichte sein wird. Gerstenzuckerfarbenes Haar, Toiletten in allen Regenbogenfarben und ein steter Kampf mit der Grammatik lassen sich voraussehen.«
Kapitel 4
Es hatte seine Richtigkeit: Frau Gordon und ihre Töchter lebten in einem langweiligen, weltvergessenen Winkel Englands, in Hoyle. Sie lebten hier, erstens weil der Ort billig war. und zweitens weil Mrs. Gordon sich so an Hoyle gewöhnt hatte, daß nur das Abbrennen des kleinen Nestes oder ein Erdbeben sie zum Verlassen desselben hätten bewegen können.
Hoyle liegt im südlichen Teile Englands, einen Steinwurf von dem steinigen Meeresstrand, und gewährt einen weiten Ausblick auf die weiße Küste von Frankreich. Es ist ein altmodischer, in allem um fünfzig Jahre hinter der Zeit zurückgebliebener Weiler, wo noch zum Auslöschen des Feuers und des Lichtes geläutet wird, der Anblick eines Telegramms immer die Bedeutung eines Todesfalles hat, und nur ein- oder zweimal am Tage ein an dem einsamen Strande hinkriechender Bummelzug bei der etwa eine halbe Stunde vom Orte entfernten Station anhält. Die Einwohner des Ortes stehen im Geruche, ihren Wohlstand einem schwunghaft betriebenen Schmuggelhandel zu verdanken, für den Hoyle, bei der Nähe der französischen Küste, wie geschaffen scheint. Man erzählte sich von vielen mit diesem gefährlichen Gewerbe verbundenen Abenteuern, die sich hier zugetragen haben sollten, und die weitläufigen Kellerräume eines außerhalb des Ortes liegenden Gasthofes sollten seit Menschengedenken von ungeheuren Massen hier versteckter Cognacfäßchen und Seidenwarenballen zu berichten wissen.
Zwischen diesem Gasthofe und dem Dorfe lag ein altes rotes, solid gebautes Häuschen mit kleinem Vorgarten, durch den man auf einem gepflasterten Wege die schmale, grün angestrichene Haustür erreichte. Die Fenster des Häuschens waren klein, die unregelmäßigen Zimmer zwar warm und geräumig, aber niedrig, der geringe Mietspreis entsprach diesen Verhältnissen, und alles dies paßte den jetzigen Bewohnern, als wäre es für sie gemacht. Die kleine Besitzung war früher ein beliebter ländlicher Vergnügungsort mit Kaffeegarten gewesen und führte von jener Zeit her noch den Namen: »Zur Erheiterung«, wurde aber seit nunmehr fünfzehn Jahren, das heißt seit dem Tode des Obersten Gordon, von dessen Witwe und ihren drei Töchtern bewohnt.
Der Oberst hatte einige Zeit vor seinem Ableben den Abschied genommen, hatte sich, um sein schmales Einkommen zu verbessern, an einem industriellen Unternehmen beteiligt, und da dies mißglückte, dabei sein ganzes Vermögen verloren. Diesem Schlage nicht gewachsen, war er, wie man sagte, an gebrochenem Herzen gestorben und hatte es seiner Witwe und seinen drei kleinen Töchtern überlassen, sich mit der Zukunft abzufinden, so gut sie konnten.
Die Verwandten Gordons waren wegen des Verlustes seines Vermögens so zornig auf ihn gewesen, daß sie sich entschieden geweigert hatten, seiner Witwe zu Hilfe zu kommen, und so hatte diese die Trümmer des häuslichen Schiffbruches zusammengesucht und sich mit ihren Kindern und einer alten Dienerin nach Hoyle zurückgezogen. Hoyle war der Geburtsort der letzteren, und sie hatte ihn ihrer Herrin dringend empfohlen, weil sie hier billig und friedlich leben und in Ruhe überlegen könne, wie sie sich künftig einrichten wolle. Frau Gordon hatte die »Erheiterung«, die zum Teil möbliert war, auf drei Monate gemietet und wohnte nun seit fünfzehn Jahren hier. Sie war über ihre Zukunftspläne noch immer nicht im klaren und sprach zwar häufig vom Ausziehen, kam aber über dieses Stadium niemals hinweg. Gelegentlich sagte sie wohl: »Ja, Kinder, beim nächsten Quartalwechsel kündige ich bestimmt. Wir müssen fort, müssen uns zu irgend etwas entschließen. Ich werde an ein Wohnungsnachweisbureau schreiben. Du brauchst im Garten nichts zu säen, Honor, und die Küche braucht auch nicht frisch getüncht zu werden.« Wenn dann aber die Kündigungszeit heranrückte, waren diese Vorsätze längst wieder verflogen, im Garten wurde gepflanzt und gesäet und die Küche wurde getüncht wie immer.
Frau Gordon versank von Jahr zu Jahr tiefer in eine gewisse geistige und körperliche Stumpfheit, und ihre Unentschlossenheit nahm einen beinahe krankhaften Charakter an. Endlich überließ sie ihrer ältesten Tochter das ganze hauswirtschaftliche Regiment und beschränkte sich auf ein freundliches, aber apathisches Interesse am Garten, am Wetter, an der Zeitung und den dort angekündigten Patentmedikamenten; aber sie war noch immer eine bemerkenswert schöne Frau und von einer Liebenswürdigkeit, die alle, die mit ihr in Berührung kamen, vom Fleischerjungen bis zum Eigentümer des Hauses, bezauberte. Zur Verbesserung ihrer Lage unternahm sie nicht den kleinsten Versuch, sondern begnügte sich damit, in ihrem behaglichen Lehnstuhle zu sitzen, liebenswürdige Bemerkungen zu machen und hübsch, vornehm und müde auszusehen.
Das Leben in der »Erheiterung« verlief sehr einförmig, und die Ankunft der Zeitung bildete häufig das einzige Ereignis des Tages. Dennoch wurden die drei Mädchen nicht müde, auf das Eintreffen einer wichtigen Neuigkeit, eines aufregenden Briefes, auf etwas ganz Unerwartetes zu hoffen, das ihnen die Post bringen sollte, und befanden sich in so steter Erwartung einer bedeutungsvollen Wendung ihres Schicksals, eines überraschenden Zufalles, als ob sie inmitten eines breiten, bewegten Lebens gestanden hätten.
Jessie, die älteste der drei Schwestern, war sechsundzwanzig Jahre alt und von eigentümlicher Häßlichkeit. Sie hatte bei dunkler Hautfarbe helle Augen und eine lächerlich große, mißgestaltete Nase, war aber klug, von starker Willenskraft, sehr praktisch und regierte Haus und Familie, die alte Dienerin Susanne inbegriffen, mit bewunderungswürdigem Geschick.
Jessie Gordon hatte ihren Namen durch mehrere hübsche, in verschiedenen »Zeitschriften für die Jugend« veröffentlichte Erzählungen vorteilhaft bekannt gemacht. Ihre schriftstellerische Tätigkeit trug ihr jährlich etwa hundert Pfund ein, die gewöhnlich unverkürzt in die gemeinschaftliche Kasse flossen, und Bekannte und Freunde betrachteten sie infolge dieser Tätigkeit mit einem gewissen Stolze, in dem sich indessen nicht selten eine leichte Beimischung von Unbehagen fühlbar machte: denn wie leicht konnte sie nicht den einen oder andern Bekannten in ihren Geschichten anbringen! Deshalb aber versäumte man nicht, die Hefte, welche Beiträge von ihr enthielten, zu kaufen und damit zu ihren Erfolgen beizutragen.
Die ihr im Alter zunächst stehende Schwester war Fee, deren eigentlicher Name Flora lautete. Sie war etwa zweiundzwanzig Jahre alt und, was das Gesicht anbetraf, von tadelloser Schönheit, einer Schönheit, wie sie Poeten und Künstler begeistert. Feingeschnittene, regelmäßige Züge, überstrahlt von einem Paar ausdrucksvoller, blauer Augen, die zarteste Hautfarbe und eine Fülle glänzenden, goldbraunen Haares bildeten ein bezauberndes Ganzes. Saß sie bei einem Gartenfeste oder in einem Ballsaale, so drängte sich sofort die gesamte Männerwelt herbei, um sich ihr vorstellen zu lassen, aber, o Schrecken, wenn dies geschehen war und sie aufstand, um einer Aufforderung zum Tanz zu folgen! Sie war ein Zwerg, ein armseliges, kleines Geschöpf von nur vier Fuß vier Zoll Höhe, mit schriller, rauher Stimme. Ihre Gestalt war wie auf Täuschung berechnet, der Oberkörper viel zu lang, die Beine lächerlich kurz.
Ob sie wohl je die Bestürzung in den Gesichtern ihrer Tänzer gelesen hatte? Es schien nicht so; denn Fee war nicht im stande, von irgend einer Lustbarkeit fern zu bleiben, ja, sie besuchte selbst Schulfeste und Kinderbälle mir Leidenschaft. Im Hause galt es als Gesetz, daß sie in allen Dingen und bei jeder Gelegenheit zuerst berücksichtigt werden mußte, daß ein jeder sie zu verziehen, ihr Angenehmes zu erweisen und hinter ihr zurückzutreten hatte, und wer auf dies ungeschriebene Gesetz am meisten hielt, das war sie selbst. Sie war sich ihrer Schönheit voll bewußt, sprach ihren nächsten Freunden gegenüber ohne Scheu davon, erwähnte ihre kleine Gestalt aber niemals, und wenn ihre Schwestern unter vier Augen davon sprachen, geschah es mit leiser Stimme. Die Nachbarn waren an Fee gewöhnt und betrachteten sie als ein liebenswürdiges, verzogenes Kind, das nicht herangewachsen war. Was Fee aber mit den Feen wirklich gemein hatte, das waren ihre geschickten Hände. Sie hatte Feenhände, stickte wundervoll und verdiente mit Kirchenstickereien ziemlich viel Geld, das sie indessen ausschließlich für sich und auf den Ausputz ihrer eigenen kleinen Person verwendete. Auch eine vorzügliche Schneiderin und Putzmacherin war sie, fand aber keinen Geschmack an Musik, Litteratur oder an den sich täglich wiederholenden häuslichen Beschäftigungen, die sie ruhig ihren Schwestern überließ.
Honor, die jüngste Gordon, war zwanzig Jahre alt, von schlanker, graziöser, hoher, vielleicht etwas zu hoher Figur, denn sie hätte ihrer kleinen Schwester gut und gern die dieser fehlenden Zolle abgeben können, ohne darunter zu leiden. Sie hatte ein ovales Gesicht, dunkelgraue Augen, dunkles Haar und ein bezauberndes Lächeln, wie denn überhaupt ihre größte Schönheit im Ausdrucke lag. Dabei war sie das nützlichste Mitglied der Familie. Jessie war nicht im stande, einen Blumenstrauß zu binden, ein Kleid zuzuschneiden oder, und wenn ihr Leben auf dem Spiele gestanden hätte, einen Kuchen zu backen. Honor konnte das alles. Sie hatte für diese und andre Dinge eine »glückliche Hand«. Alles, was sie unternahm, von der Anfertigung eines Staatshuts bis zu der eines Apfelpuddings, sah hübsch und appetitlich aus. Ihre unverwüstlich heitere Laune stimmte zu ihren lustig blitzenden Augen, und von ihr ging das eigentliche Leben im Hause aus. Sie spielte vortrefflich Violine, zwar nicht so, daß sie besonders schwierige Stücke zu bemeistern vermocht hätte, aber sie und ihr Instrument schienen eins und ihr Spiel hatte eine Art von intimem Reiz, der sich nicht erklären ließ, dem aber niemand widerstand.
Auch diese jüngste Schwester hatte ihre Fehler, und die schlimmsten waren: rücksichtslose Offenheit, große Unvorsichtigkeit im Reden, eine verblüffende Art und Weise, laut zu denken, und eine fatale Manier, die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen, mochte diese in ihrer nackten Gestalt noch so unwillkommen sein. Honors Freunde, die sehr zahlreich waren, behaupteten indessen, sie werde diese Fehler mit den Jahren auswachsen, und jedenfalls war sie die beliebteste der drei Schwestern.
An einem stürmischen Märzmorgen, wo die See in hochgebäumten, mit gelblichen Schaumkämmen gekrönten Wellen heranbrauste und der Regen klatschend gegen die Scheiben schlug, stand Jessie an einem Fenster des Erdgeschosses und wartete auf das Kochen des Teewassers und das Erscheinen des Postboten. Endlich erschien der Mann in seinem glänzenden Gummirocke an der Tür, klopfte, warf die für das Haus bestimmten Sendungen in den Kasten und ging davon.
»Die Zeitung, eine Kohlenrechnung und ein Brief aus Indien,« sagte Jessie zu Fee, die, in ein warmes Tuch gewickelt, am Feuer saß. »Ich werde die Sachen zu Mama hinauftragen. Du achtest wohl inzwischen auf den Kessel.«
Frau Gordon frühstückte, wie sie sagte, »um Mühe zu sparen« -- wem sie die Mühe sparen wollte, wußte freilich niemand -- stets im Bette und drehte jetzt die Postsendungen langsam in den Händen um.
»Ein Brief aus Indien von Sara Brande!« rief sie. »Es geschehen doch immer noch Wunder! Was kann sie denn von uns wollen? Schicke mir doch sogleich den Tee herauf. Wenn ich Saras Epistel gelesen habe, bekommt ihr sie hinunter. Die Zeitung kannst du gleich für Fee mitnehmen.«
Jessie ging hinab, um den Tee vollends fertig zu machen (sie und Honor führten wochenweise abwechselnd die Wirtschaft); aber noch hatten sie kaum angefangen zu frühstücken, als die alte Susanne, was selten geschah, ins Zimmer stürzte.
»Miß Jessie, die gnädige Frau reißt fast die Klingelschnur ab. Ich dachte, wir hätten Feuer im Hause. Sie sollen gleich die Minute hinaufkommen.«
Jessie blieb eine gute Viertelstunde aus, und als sie, mit einem Briefe in der Hand, wieder erschien, sah sie so strahlend und so aufgeregt aus, daß ihre Schwestern, noch ehe sie die Lippen öffnete, wußten, daß endlich das lange erwartete Ereignis eingetreten war.
Kapitel 5
»Große, große Neuigkeiten, ihr Mädchen!« rief Jessie, das Papier über dem Kopfe schwingend. »Tante Sally hat geschrieben und wünscht, daß eine von uns zu ihr hinüber kommen soll. Und sie scheint ganz sicher, daß die Einladung angenommen wird, denn sie hat gleich einen Check für Ausrüstung und Überfahrt beigelegt. Aber die Zeit ist kurz gemessen: denn wer von uns Lust hat, Indien zu sehen, muß schon in vierzehn Tagen abreisen.«
Honor und Fee blickten einander ungläubig an. Fee wurde abwechselnd blaß und rot.
»Ich will euch den Brief vorlesen,« fuhr Jessie fort: »die Handschrift ist höchst wunderlich, und einige Worte sind viermal unterstrichen. Also hört!
›Rookwood, Shirani.
Liebe Schwägerin!
Es kommt nicht oft vor, daß ich die Feder ergreife; aber ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen. Ich bin nicht mehr so jung, als ich war, und empfinde das Bedürfnis nach jemand, der mir Gesellschaft leistet. Pelham ist oft abwesend, und ich bin dann mit Ben allein, der zwar das herzigste Geschöpf auf der Welt ist und jedes Wort versteht, der aber doch nicht sprechen, mir nicht im Haushalt beistehen und weder zu Ball, noch in die Kirche mit mir gehen kann, dieweil er nur ein Hund ist. Wie wäre es, wenn Sie mir eine Ihrer Töchter schickten? Sie haben drei und können gewiß eine entbehren. Drei unverheiratete Töchter müssen ja eine schreckliche Last für jede Mutter sein. Wir gedenken, etwa in Jahresfrist nach England heimzukehren, und so könnten Sie im schlimmsten Falle Ihre Tochter in zwölf Monaten wiedersehen. Welche Sie mir aber auch schicken, Sie können versichert sein, daß ich sie halten werde, als wäre ich ihre leibliche Mutter. Ebenso Pelham. Sie soll, was Kleider und Geselligkeit betrifft, das Beste haben, was es hier gibt, soll die berühmtesten Beaux kennen lernen, und das wird ihr gewiß Vergnügen machen. Da demnächst die heiße Jahreszeit eintritt und es nach April schon gefährlich wird, zu reisen, sowohl zu Wasser als zu Lande, so wäre es gut, wenn Sie mir das Mädchen so bald als möglich schickten. Sie müßte also spätestens vierzehn Tage nach Empfang dieses Briefes abreisen, sonst ginge das erst wieder im Oktober, und sechs Monate hier wären doch eine zu kurze Zeit für die weite Reise. Pel legt einen Check für das Überfahrtsbillet und vierunddreißig Pfund für Koffer, Handschuhe, Unterröcke u. s. w. bei. Die Kleider werde ich selbst wählen, denn sie sollen hübsch sein. Sie, liebe Schwägerin, sind doch wohl nicht in der Lage, das Neueste zu sehen, und man kleidet sich hier sehr elegant. Käme Ihre Tochter Mitte April in Bombay an, so würde ich sie aus Allahabad abholen; denn ich mag es nicht leiden, daß junge Mädchen allein reisen. Pel hofft mit mir, daß Sie unsre Einladung nicht ausschlagen werden. Sie wissen, er ist ein Mann von großem Einfluß, und Ihre Töchter sind seine nächsten Verwandten. Sie verstehen mich wohl ohne weitere Erklärung. Übrigens ist Shirani während der Saison ein sehr angenehmer Ort; wir haben hier Tamashas F3 die schwere Menge, und was das Klima anbetrifft, so brauchen Sie sich nicht zu ängstigen. Auch Schlangen gibt es hier nicht.
›Wir haben gewöhnlich einen ganzen Schwarm junger Männer in Shirani, und viele davon verkehren bei uns. Ihre Tochter soll auch ein hübsches, ruhiges Pony, sowie einen neuen Rickshaw haben, und so erwarten wir sie mit aller Bestimmtheit. Viel Liebes für Ihre Töchter und besonders für die, welche zu uns kommt.
Ihre herzlich grüßende Sarabella Brande‹«
»Na, was denkt ihr von der Geschichte?« fragte Jessie, abwechselnd die beiden Schwestern ansehend.
»Ich denke, daß du dir einen Spaß mit uns machst,« rief Honor, nach dem Briefe haschend.
»So lies selbst und besieh die Postmarke,« entgegnete Jessie, den Brief auf den Tisch werfend.
Ja, da war kein Zweifel mehr möglich, der Brief war wirklich aus Indien! Nachdem ihn Honor mit den Augen überflogen, fragte sie lachend: »Aber hast du denn das gelesen? Die Nachschrift ist ja das Schönste an der ganzen Geschichte!«
Beide Schwestern beugten sich neugierig über das Schriftstück, das auf der letzten unbeschriebenen Seite die flüchtig hingekritzelten Worte trug:
»P. S. Schicken Sie mir aber ja die Hübscheste von Ihren Töchtern.«
»Das muß eine originelle Person sein,« rief Honor mit blitzenden Augen. »Und was, ums Himmels willen, ist wohl ein Tamasha?«
»Da fragst du mich umsonst!« entgegnete Jessie.
»Und was sagt Mama zu dieser Einladung?«