Mrs. Miller kann's nicht lassen - Waltraut Lang - E-Book

Mrs. Miller kann's nicht lassen E-Book

Waltraut Lang

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Beschreibung

Mrs. Miller, die Witwe eines Offiziers der US Airforce, ist eine resolute, kombinierfreudige Dame mit einem unverwechselbaren Charme, mit dem sie die Herzen der Bürger der kleinen Stadt Isle of Peace im Sturm erobert hat. Ihr Interesse an Kriminalfällen ist durch den Berufsweg, für den ihre Tochter sich entschieden hat, geweckt worden. Diese ist als Sekretärin bei der Pinkerton Detektivagentur angefangen und hat sich dann zur Detektivin ausbilden lassen. Mrs. Miller hat ihre Tochter von Anfang an dabei unterstützt und ist mittlerweile zu einer Expertin in Sachen Kriminalistik geworden. Isle of Peace ist ein ruhiger Ort im Staat Washington, USA, in der Nähe von Spokane und dem Grand Canyon. Man sollte meinen, dass Mrs. Miller hier nicht wirklich mit Kriminalfällen konfrontiert werden würde. Aber auch hier sind ihre Vorliebe für die Kriminalistik und ihre angeborene Neugier gefragt, denn der Sheriff vor Ort freut sich über ihre gelegentliche Unterstützung. So erlebt sie aufregende Fälle vom Fund eines alten Sarges über Spuren eines Saqsquatch bis hin zu Familiengeheimnissen. Lassen auch Sie sich vom Charme dieser alten Lady verzaubern und folgen Sie ihr bei ihren Abenteuern, die sie leidenschaftlich und mit Herz und Verstand angeht.

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Seitenzahl: 185

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Wie alles Anfing

Schatten der Vergangenheit

Geheimnis unter der Erde

Spuren im Sand

Die Geschichte einer Stadt

Der Brand

Nachwort

Wie alles Anfing

Und schon wieder ist ein Tag ohne meinen Eric vergangen‘, dachte Mrs. Miller, als sie sich dabei ertappte, zum wiederholten Male zur Uhr zu schauen.

Nun ist er schon fast ein halbes Jahr tot, und ich habe mich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt. Um diese Zeit ist er sonst immer voller Vorfreude auf einen schönen gemeinsamen Abend nach Hause gekommen'.

Müde ließ sie sich in ihren gemütlichen Schaukelstuhl nieder. Ihr Blick glitt durch das Wohnzimmer, in dem einfach Alles an ihr nun vergangenes, erfülltes Leben mit Eric und den gemeinsamen Kindern John, Josephine und Paul erinnerte.

Zuerst fiel ihr Blick auf das Hochzeitsfoto, das Eric in seiner Uniform als frischgebackenen Airforce-Captain und sie ganz in Weiß zeigte. Das Leben mit Eric war nie langweilig gewesen. Wenn man sich gerade an einen Stützpunkt gewöhnt hatte, erfolgte schon wieder eine Versetzung und es hieß, einen weiteren Umzug vorzubereiten. Auf diese Art und Weise hatten sie fast das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten kennengelernt.

Zuletzt war Eric als Flugausbilder nach Fort Worth versetzt worden und hier war sie dann auch nach seinem Tod geblieben.

Auf der Kommode standen die Bilder, die die Kindheit ihrer Kinder liebevoll in allen Einzelheiten dokumentierten.

Ja, wie doch die Zeit vergeht. Das konnte man wirklich nicht verleugnen, wenn man sich die letzten Bilder, die kurz vor Erics Tod anlässlich der Hochzeit ihres ältesten Sohns John gemacht worden waren, ansah.

John, 25 Jahre alt, war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und zur Airforce gegangen. Inzwischen hatten seine Frau Julia und er sie sogar schon zur Großmutter eines aufgeweckten Zwillingspärchens gemacht. Ihr jüngster Sohn, Paul, 20 Jahre alt, war bei einem Filmstudio als Regieassistent tätig und wohnte in Los Angeles.

Ihre Tochter, Josephine, 22 Jahre alt, wohnte noch zuhause und arbeitete als Sekretärin bei der örtlichen Filiale der berühmten Pinkerton-Detektiv-Agentur.

Josephine wollte aber mehr als nur die Sekretärin eines Detektivbüros sein, sie wollte selber Detektivin werden. Es hatte sie einiges an Überredungskunst gekostet, aber schließlich war ihr Chef einverstanden gewesen, sie nebenbei als Detektivin auszubilden unter der Bedingung, dass ihr jetziger Job als seine Sekretärin nicht darunter leiden würde. Daher hatte Josephine auch alle Hände voll zu tun und stets wenig Zeit. Wenn sie nach Hause kam, dann nur um etwas zu essen und sich anschließend zu Studienzwecken in mitgebrachte Akten zu vertiefen.

Aber Mrs. Miller hatte vollstes Verständnis für den Eifer ihrer Tochter, denn sie selbst war stets an dem großen Feld der Kriminalistik interessiert gewesen. Dies wurde sofort ersichtlich, wenn man die große Sammlung an Kriminalromanen und Veröffentlichungen aus den Sachgebieten der Kriminalistik und der Gerichtsmedizin, die sich in ihrem Besitz befanden, und die die Regale an den Wänden füllten, betrachtete.

Plötzlich schreckte Mrs. Miller aus ihren Gedanken hoch. Die Haustür fiel ins Schloss.

„Bist Du es, Liebling“, rief sie aus.

„Ja, Mutter. Können wir gleich essen? Du weißt, ich habe noch viel zu tun. Aber vorher habe ich Dir auch noch viel zu erzählen. Du glaubst gar nicht, was wir heute für einen Fall hatten!“

Gemeinsam deckten sie den Tisch.

„Weißt du“, fuhr Josephine fort, „mein Chef wurde von der Zollbehörde des Flughafens um Mithilfe gebeten da man in einem aufgeplatzten Koffer eine große Menge an Rauschgift gefunden hat. Glücklicherweise werden die Nummern der Koffer auf den jeweiligen Flugscheinen notiert, und da war es nicht schwer, den Besitzer des Koffers ausfindig zu machen. Der Mann, auf dessen Flugticket insgesamt drei Koffer verzeichnet waren, stritt jedoch ab, den Koffer mit dem Rauschgift jemals gesehen zu haben. Verständlicherweise! Er behauptete steif und fest, dass es sich um ein Versehen handeln müsste, da er nur einen Koffer mitgebracht hätte.“

„Alles schön und gut“, unterbrach Mrs. Miller ihre Tochter, „aber warum hat man Deinen Chef und nicht die Polizei zu Hilfe gerufen?“

„Oh, das liegt daran, dass das Rauschgiftdezernat in Dallas für alle Delikte, die mit Rauschgift zu tun haben, zuständig ist.

Trotz sofortiger Benachrichtigung dieser Dienststelle kann jedoch erst morgen ein Beamter auf dem Flugplatz eintreffen. Um keine Zeit zu verlieren, hat sich der Chef der Zollbehörde, der übrigens ein sehr guter Freund meines Chefs ist, an unser Büro gewandt mit der Bitte um Mithilfe. Du weißt ja, Beweise müssen möglichst sofort sichergestellt werden und es darf dem Verdächtigen keine Zeit gegeben werden, etwas zu beseitigen oder zu vertuschen.

Ferner ist allgemein bekannt, dass unsere Leute eine der Polizeiausbildung vergleichbare Ausbildung erhalten.

Mr. Baker, mein Boss, fand, dass dies eine gute Gelegenheit für mich wäre, die Ermittlungsmethoden an Ort und Stelle kennenzulernen.“

„Da wäre ich zu gerne dabei gewesen“, seufzte Mrs. Miller. „Aber erzähl weiter, konntet Ihr Mr. Bakers Freund denn wenigstens helfen?“

„Ich denke schon. Als wir auf dem Flughafen ankamen, wurden wir gleich in einen kleinen Raum geführt, in dem der Verdächtige seit seiner Verhaftung durch die Flughafenpolizei unter strengster Bewachung stand. Mr. Battenrouge, der Leiter der Zollbehörde, stellte uns den finster dreinblickenden Mann als Mr. Khan vor. Ich höre noch jetzt Mr. Bakers ruhige, redegewandte Stimme:

„Mr. Khan, Sie wissen, dass Sie beschuldigt werden, mit dem Koffer, Gepäcknummer 7115 Rauschgift nach Deutschland schmuggeln zu wollen. Da Sie leider nicht geständig und die Gepäckscheine anscheinend verschwunden sind, können wir Ihnen die nun folgende Prozedur nicht ersparen. Fangen wir zunächst damit an, dass Sie Ihre Taschen leeren und den gesamten Inhalt vor sich auf den Tisch legen.“

Mr. Baker, die Ruhe selbst, wie immer bei solchen Untersuchungen, war nicht sehr überrascht, dass die gesuchten Gepäckscheine nicht sogleich zum Vorschein kamen.

„Das werden Sie noch bereuen. Ich hatte einen wichtigen Termin in Frankfurt und werde Sie persönlich haftbar machen, wenn ich durch das Verpassen meines Fluges geschäftliche Verluste erleide“, schimpfte Mr. Khan wütend.

Doch die Anwesenden fuhren ungerührt in ihren Bemühungen, die Gepäckscheine zu finden, fort.

Als nächstes musste Mr. Khan die Leibesvisitation durch einen Beamten der Flughafenpolizei über sich ergehen lassen. Aber die gesuchten Gepäckscheine waren auch nach der eingehenden Durchsuchung der Kleidungsstücke des Verdächtigen nach wie vor unauffindbar.

Also versuchte Mr. Baker es mit einem Bluff. „Der Beamte am Gepäckannahmeschalter hat Sie einwandfrei als denjenigen identifiziert, der ihm die drei Koffer anvertraut hat.

Leugnen hat also gar keinen Sinn. Wollen Sie nicht doch lieber ein Geständnis ablegen?

Wenn Sie Reue zeigen und mit uns zusammenarbeiten, wird der Richter das ganz bestimmt zu Ihren Gunsten auslegen.“

Aber es half alles nichts. Mr. Khan wusste sehr wohl, dass eine Verurteilung nur dann erfolgen würde, wenn man ihm anhand der verschwundenen Gepäckscheine den Besitz des betreffenden Koffers nachweisen könnte. Andernfalls würde das Prinzip 'Im Zweifel für den Angeklagten' zum Tragen kommen, denn bei der auf seinem Flugschein verzeichneten Nummer konnte es sich durchaus um einen Schreibfehler handeln.

Aber Mr. Khan wäre nicht der Chef unserer Pinkerton-Filiale geworden wenn er so schnell aufgeben würde. Wo könnte der Verdächtige die beiden Gepäckscheine versteckt haben? Viel Zeit konnte er ja nicht gehabt haben, diese verschwinden zu lassen. Der Beamte war die ganze Zeit bei ihm gewesen. Aber es ist ja menschlich, dass man sich nicht die ganze Zeit auf einen Punkt konzentrieren kann und dass man vielleicht mal einen kurzen Moment wegsieht. Als nämlich alles nichts half, musste der Beamte, der Mr. Khan die ganze Zeit bewacht hatte, zugeben, dass die Möglichkeit bestand, dass er sich bei einem Geräusch aus der Richtung der Zimmertür umgedreht hatte. Und dieser kleine Moment könnte durchaus genügt haben.

Also wurden als Nächstes sämtliche Schubladen in dem Raum untersucht, die sich in Greifnähe des Verdächtigen befanden. Die Oberflächen der Schreibtische wurden einer genauen Prüfung unterzogen. Selbst die an der Wand hängenden Bilder wurden abgenommen und umgedreht.

Zuletzt kam Mr. Baker der rettende Gedanke: Ihm war aufgefallen, dass Mr. Khan ziemlich lange Haare hatte, die er mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte. Ob bei der Leibesvisitation wohl auch die Haare genauer untersucht worden waren? Das galt es nun herauszufinden.

Er näherte sich Mr. Khan, hob den Pferdeschwanz leicht an und – siehe da! Ein kleiner weißer Zipfel kam zum Vorschein. Nun war es ein Leichtes, daran zu ziehen und hervor kamen die beiden verschwundenen Gepäckscheine!“

„Was für ein originelles Versteck“, rief Mrs. Miller aus, „und wie aufregend doch das Leben eines Privatdetektivs ist.“

„Ja“, stimmte Josephine ihr zu. „Und weißt Du was, Mr. Baker hat mir versprochen, mich morgen zu einem Treffen mit FBI-Beamten nach Dallas mitzunehmen. Diesmal hat das FBI ihn mit Nachforschungen beauftragt, und so wie es sich anhörte, wird der nächste Fall sogar noch aufregender werden. Da wir schon sehr früh aufbrechen müssen, möchte ich mich nur noch schnell darauf vorbereiten und dann ganz früh zu Bett gehen. Aber ich verspreche dir, dich auch weiterhin über meine Erlebnisse auf dem Laufenden zu halten. Gute Nacht, Mama.“

Mit diesen Worten eilte sie schnell die Treppe hinauf.

Schatten der Vergangenheit

Seit einer Woche hatte es in Isle of Peace bereits geregnet, und das so kurz vor Ostern. Alle Einwohner hofften, dass nicht sämtliche Pläne für Ostern wegen dieses schlechten Wetters sozusagen ins Wasser fallen würden. Aber dann wendete sich doch noch alles zum Guten. Karfreitag zog die Sonne wieder am Himmel auf. Daher beschloss Mrs. Miller, das gute Wetter auszunutzen und einen gemütlichen Spaziergang zu machen, denn wer konnte schon wissen, wie lange es anhalten würde. Ihre beste Freundin, Prudence Brimsy, war natürlich mit von der Partie.

Ihr Ziel war die Prachtstraße von Isle of Peace „Avenue of the Glorious Past“ oder auch „Allee der glorreichen Vergangenheit“ genannt.

Isle of Peace ist, wie bereits erwähnt, ein sehr ruhiger und friedlicher Ort. Aber nirgends spürt man diese Atmosphäre des Friedens und der Ruhe mehr als hier, in der Allee der Glorreichen Vergangenheit. Sogar die Straße war im alten Zustand belassen worden. Das Kopfsteinpflaster mochte zwar für die meisten Autofahrer eine Qual sein, aber es rundete das Gesamtbild gekonnt ab, so dass man das Gefühl hatte, als wäre die Zeit stehengeblieben. Knorrige alte Eichen säumten beide Seiten der Straße. Alle Häuser waren alt, sehr alt sogar, sozusagen Schmuckstücke aus den frühen Tagen, die von ihren Bewohnern liebevoll gepflegt wurden. Das Besondere an ihnen war, dass sie in all ihrer Pracht doch Einfachheit und Würde ausstrahlten. Sie lagen offen da, die Front der Straße zugewandt, und alle hatten sie einen kleinen Vorgarten. Mit ihren restaurierten Giebelfenstern und den Balkonen aus kunstvoll geschmiedetem Eisen wirkten sie auf jeden Besucher von Isle of Peace anheimelnd und zugleich vornehm.

„Prudence, ich weiß nicht, ob Du mich verstehst, aber als ich das erste Mal hierher kam, um die Tochter einer Freundin zu besuchen, da fühlte ich mich bereits zu diesem Ort hingezogen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Maggie, sagte ich mir, hier und nur hier möchtest Du Deinen Lebensabend verbringen. Weißt Du, was mich besonders beeindruckt hat: Die Vielfalt der verschiedenen Stilrichtungen, die hier vertreten sind. Ich war erstaunt, dass man hier ein Fachwerkhaus aus Deutschland neben einem Haus aus England zur Zeit Königin Viktorias finden kann. Und alle Stilrichtungen passen so gut zueinander, dass man meint, es gehört so. Diese Toleranz in den Stilrichtungen der Häuser findet sich auch im Verhalten der Menschen zueinander wider. Alle leben einträchtig beieinander, ob sie nun deutsche, griechische, russische, englische oder französische Vorfahren hatten. Hier kann jeder nach seiner Fasson glücklich werden, und das war für mich wichtig, denn ich lasse mich nicht gerne in Konventionen zwingen. Ich lebe am Liebsten frei und ungebunden, und es gefällt mir, wenn ich tun und lassen kann, was ich will.“

„Es freut mich, dass es Dir bei uns so gut gefällt, Maggie. Wir haben Dich inzwischen alle sehr lieb gewonnen und möchten Dich auch nicht wieder verlieren.“

Schweigend gingen die beiden Frauen eine Weile nebeneinander her, ganz in die Betrachtung der blühenden Pracht zu beiden Seiten versunken. Wohin sie auch blickten, überall kündeten blumige Boten davon, dass der Frühling Einzug gehalten hatte. Ein Meer von Krokus- und Osterblumen sowie Stiefmütterchen war in allen Vorgärten zu sehen. Die Blumen bildeten einen wunderbaren Kontrast zu den liebevoll in den verschiedensten hellen Farben gestrichenen Häusern.

Auf einmal rief Mrs. Miller: „Prudence, warte doch mal. Sieh mal, das Grundstück dort drüben, das mit den Ulmen. Die sind so hoch, dass sie bestimmt uralt sein müssen. Wie oft bin ich hier schon entlang gegangen in dem halben Jahr, das ich jetzt schon hier lebe. Aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, das Haus zu sehen, das zu dem Grundstück gehört. Leider kann man es von der Straße nicht einsehen. Meinst du, dass der oder die Besitzer etwas dagegen hätten, wenn ich mir das Grundstück mal näher ansehen würde?“

„Ich denke nicht, Maggie. Dort lebt die alte Mrs. Green. Sie ist schon seit sehr langer Zeit Witwe und ihr einziger Sohn ist in Vietnam gefallen. Da ihr nach dem Tod ihres Mannes gerade noch genug Geld für ihren eigenen Lebensunterhalt blieb, musste sie alle Hausangestellten entlassen. Seitdem lebt sie allein in dem großen Haus, das früher übrigens das Herrenhaus einer großen Plantage war. Ich denke, dass sie sich bestimmt über unseren Besuch freuen wird.“ Durch ein schmiedeeisernes Tor gingen sie einen breiten Weg zum Haus hinauf. Der Weg war von Bäumen mit ausladenden Ästen gesäumt, deren Zweige sich von beiden Seiten verschränkten und über dem Weg ein dichtes Blätterdach formten. Endlich erblickte Mrs. Miller das Haus. Es war groß und einladend, aber im Gegensatz zu den anderen Häusern der Alle der Glorreichen Vergangenheit war das Haus nicht im besten Zustand. Die Farbe begann bereits von der Fassade des Eingangstors abzublättern und die Fensterrahmen konnten auch mal wieder einen Anstrich gebrauchen. Aber auch an den roten, naturbelassenen Ziegelsteinmauern war der Zahn der Zeit nicht spurlos vorüber gegangen, denn selbst die beinahe unverwüstlichen Backsteine zeigten schon Anzeichen von Verwitterung. Durch das auf den Betrachter bombastisch wirkende Eingangsportal, dessen Giebeldach von sechs weißen Marmorsäulen getragen wurde, gelangten sie an die Eingangstür und klingelten.

Wie Prudence Brimsy vorausgesagt hatte, war Elizabeth Green hocherfreut, Mrs. Miller und Mrs. Brimsy zu sehen.

„Hallo Liz, ich hoffe, wir stören nicht. Aber meine Freundin, Mrs. Miller, interessiert sich sehr für Dein Haus und das Grundstück.

Würde es Dir was ausmachen, wenn sie sich alles näher anschaut?“

„Keineswegs, ich fühle mich geehrt, dass Sie sich für mein bescheidenes Haus interessieren, Mrs. Miller. Aber wollen Sie und Prudence nicht erst einmal eine Tasse Kaffee mit mir trinken?“

„Meine Freunde nennen mich Maggie, Mrs. Green. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auch so nennen würden, denn ich hoffe, dass wir beide auch bald Freundinnen sein werden. Und, was die Einladung zum Kaffee angeht, die nehme ich gerne an.“

„Freut mich, dass Ihr meine Einladung annehmt, und für meine Freunde heiße ich Liz, das ist die Kurzform von Elizabeth. Aber lasst uns doch reingehen!“

„Bedaure, Liz. Ich kann leider nicht zum Kaffee bleiben. Schade, aber es gleich vierzehn Uhr, und ich muss die Bücherei wieder aufmachen. Also muss ich Euch alleine lassen, so Leid es mir auch tut. Aber ich wünsche Euch viel Spaß. Wir werden uns morgen Abend beim Osterfeuer bestimmt wiedersehen. Macht's gut, Ihr beiden!“

So bleiben Maggie Miller und Elizabeth Green alleine zurück. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. Es war, als würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen. Hier hatten sich zwei gesucht und gefunden. Es bestand gewissermaßen eine Seelenverwandtschaft zwischen den beiden. Beim gemütlichen Kaffeetrinken hatten sie ausgiebig Gelegenheit, über alle möglichen, für sie interessanten Themen zu sprechen.

Beide waren sie verwitwet, und sie vermissten ihren Mann, der der Mittelpunkt ihrer beider Leben gewesen war, sehr. Aber dies war nicht die einzige Gemeinsamkeit, die sie entdeckten. Maggie Miller hatte eine Zeit lang mit ihrem Mann in Deutschland gelebt, als er in Frankfurt stationiert war, und sie war erfreut zu hören, dass Liz gebürtige Deutsche war, und dass sie nun jemand haben würde, mit sie Erinnerungen an ihre Zeit in Deutschland, an die sie immer gerne zurückdachte, austauschen könnte. Liz erzählte ihr, dass sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem damals zweijährigen Sohn Hand im Jahr 1939 aus Nazi-Deutschland flüchten musste, weil sie Juden waren. Darüber war sie sehr verbittert gewesen, aber inzwischen hatte die Zeit die Wunden geheilt, und sie war genauso erfreut wie Maggie, dass sie nun mit jemandem über ihre alte Heimat sprechen konnte. Die beiden Frauen waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie gar nicht gemerkt hatten, wie spät es inzwischen geworden war. Es war zwanzig Uhr und draußen fing es bereits an, dunkel zu werden als Mrs. Miller auf ihren ursprünglichen Wunsch, das Grundstück und das Haus näher betrachten zu dürfen, zurückkam.

Gerne führte Liz ihre neue Freundin herum. Maggie war beeindruckt. Allein im Erdgeschoss waren zehn Räume. Über eine breite, nach oben schmaler zulaufende Treppe mit einem kunstvoll geschwungenen Geländer gelangten sie in das Obergeschoss mit ebenso vielen Räumen.

„Zwanzig Zimmer! Also sag mal, Liz, ist das Haus für Dich alleine nicht viel zu groß? Ich jedenfalls würde mich hier auf die Dauer einsam fühlen.“

„Leider fühle ich mich tatsächlich einsam, aber nicht um viel Geld der Welt würde ich dieses Haus aufgeben. Hier bin ich mit meinem Mann Harry und unserem Sohn glücklich gewesen. Weißt Du, als wir nach Amerika kamen, da war es anfangs sehr schwer, unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber Harry war ein guter Tischler, und nach schweren Entbehrungen schaffte er endlich den Durchbruch. Und wie Du siehst, haben wir uns dann nach weiteren zehn Jahren dieses wunderschöne Haus kaufen können. Es steht für all die Träume, die wir jemals gehabt haben und dafür, dass man mit einem starken Willen alles erreichen kann, was man will. Nein, das Haus werde ich niemals hergeben. Mit der Zeit musste ich mich schon von viel zu vielen Dingen trennen, die mir lieb und teuer geworden waren. Wie es ebenso geht, ich war finanziell nicht gerade gut gestellt nach Harrys plötzlichem Tod. Siehst Du diese Gemälde, die überall an den Wänden hängen? Jetzt sind es nur noch Kopien, die ich anfertigen ließ, um mich über den Verkauf der echten Gemälde hinwegzutrösten. Alles sollte zumindest noch den Anschein erwecken, als ob sich nichts verändert hätte. Und die meisten Zimmer hier werden natürlich auch nicht mehr benutzt. Da ich meine Dienstboten aus Geldmangel auch entlassen musste, und ich allein es nicht schaffte, im ganzen Haus für Ordnung zu sorgen, habe ich die Möbel in den nicht genutzten Räumen zum Schutz mit Planen abgedeckt. Ich hoffe nur, dass ich sie behalten kann und dass ich mich nicht irgendwann gezwungen sehe, auch sie zu verkaufen. Du musst wissen, dass Harry sie alle selbst gefertigt hat.“

„Mach Dir nur jetzt noch keine Sorgen. Lass Dir gesagt sein, dass ich immer für Dich da sein werde, wenn Du Probleme hast. Ich werde ganz bestimmt mein Bestes tun, um dir zu helfen.“

„Ich danke Dir, Maggie. Obwohl wir uns heute erst kennengelernt haben, habe ich Dir Sachen erzählt, über die ich bis jetzt mit niemandem sprechen konnte. Aber ich habe das Gefühl, dass ich Dir vertrauen kann. Ich danke Dir dafür, denn es hat mir gut getan, Dir mein Herz auszuschütten.“

„Wie ich bereits sagte, ich werde immer ein offenes Ohr für dich haben, wenn Du Sorgen hast oder wenn Du auch nur mit jemandem reden möchtest. Aber nun muss ich wohl nach Hause. Ich denke, dass es für eine Besichtigung des Parks sowieso zu spät geworden ist. Sieh mal, man kann draußen nicht einmal mehr die Auffahrt erkennen. Aber, wie heißt es doch so schön: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das können wir ja nachholen wenn ich Dich nächstes Mal besuchen komme. Ach, beinahe hätte ich es vergessen: Wie wäre es, hättest Du nicht Lust, Ostersonntag bei mir zu verbringen? Weißt Du, dies ist das erste Osterfest, das ich nicht gemeinsam mit meiner Tochter verbringe, und es würde mir sehr helfen, wenn Du kommen würdest und ich nicht alleine bleibe, sagen wir gegen fünfzehn Uhr?“

„Wenn das so ist, Maggie, dann komme ich natürlich gerne. Also bis Sonntag dann.“ Am nächsten Morgen, dem Samstag vor Ostern, wurde Mrs. Miller von der Vorfreude auf das Osterfest, die überall in Isle of Peace zu spüren war, regelrecht angesteckt. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, ihr Haus irgendwie österlich zu schmücken. Für wen denn auch? Ihre Tochter konnte aus Fort Worth nicht weg, und ihre Söhne hatten auch keine Zeit, sie zu besuchen. Aber als sie durch die Straßen schlenderte und alle damit beschäftigt waren, kleine selbstgefertigte Osterbäume, die sie mit ausgeblasenen, kunstvoll verzierten Eiern geschmückt hatten, in ihre Vorgärten zu pflanzen, da konnte sie nicht widerstehen. Sie kaufte sich einen Strauß Weidenkätzchen, suchte ihre beste Vase heraus und schmückte die Weidenkätzchen mit bemalten Eiern. Das Ergebnis war ganz allerliebst und genau der richtige Tischschmuck.

Abends traf sich dann ganz Isle of Peace zum großen Osterfeuer auf dem außerhalb der Stadt gelegenen Hügel. Ganz im Sinne der alten Bräuche hatten die Kinder schon lange vorher das Brennmaterial gesammelt. Und sie hatten auch dieses Jahr wieder gute Arbeit geleistet. Berge von Stroh und Holz waren dort aufgetürmt.

Mrs. Miller, die in Begleitung von Prudence Brimsy war, beobachtete erstaunt das Treiben, das sich vor ihr abspielte. Einige Kinder hatten Laternen mitgebracht, in die sie Kerzen gesteckt hatten. Sobald sie diese am Osterfeuer entzündet hatten, liefen sie davon. Andere Jugendliche hielten die mitgebrachten Fackeln an langen Stangen in das Feuer und reihten sich dann in eine Prozession von Jugendlichen ein, die die Fackeln schwenkend um das Feuer herumtanzten und laut die Nationalhymne anstimmten.

„Warum sind die Kinder mit den Kerzen denn so schnell davongelaufen, Prudence? Wollen sie gar nicht mit uns weiterfeiern?“

„Weißt Du, Maggie, sie folgen einem alten Brauch, den Einwanderer einst aus Österreich mitbrachten. Am Karfreitag wurde das Feuer im Herd gelöscht und nun bringen die Mädchen und Buben die am Osterfeuer entzündeten Kerzen heim, um damit das Herdfeuer wieder zu entzünden. Meine Mutter hat mir erklärt, dass dieser alte Brauch den ewigen Kreislauf des Lebens symbolisieren soll.“