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Seitenzahl: 223
Veröffentlichungsjahr: 2014
Musikmärchen
Märchen der Welt
Herausgegeben von Leander Petzoldt
FISCHER E-Books
Ein Graf hatte einen Geiger in seinem Schloß, der spielte sehr schön und vertrieb ihm manche böse Laune. Plötzlich starb aber der Graf, und da hatte der arme Geiger kein Brot mehr, denn die Erben wiesen ihn aus dem Schloß, und er konnte betteln gehen. Da geigte er vor den Türen der Reichen und der Armen und bekam ab und zu auch Geld und Brot, aber es kam ihn doch hart an, da er es viel besser gewohnt war. Bettelbrot, saures Brot, dachte er oft und war recht betrübt, so daß ihm das Weinen näher stand als das Lachen. Eines Abends kam er in einen Wald, da legte er sich unter einer Eiche nieder, betete recht fromm und schlief ein. Als er morgens aufwachte, stand ein alter Mann mit grauen Haaren vor ihm, der sah ihn an und fragte: »Lieber Musikant, wo fehlt’s denn? Ich dachte, du müßtest immer lustig sein.« Der Geiger klagte ihm seine Not, da sprach der Greis: »Dir kann geholfen werden. Gehe weiter in den Wald hinein, so kommst du an ein altes verfallenes Schloß, da geh hinein, rühre aber nichts an, bis du an ein Zimmer kommst, worin ein Korb mit drei jungen Schweinchen steht, die nimm mit, sie sind dein Glück.«
»Wie soll ich das verstehen?« fragte der Geiger, und der Greis antwortete: »Wenn du geigest, tanzen sie. Nimm sie mit zu des Königs Schloß, da wohnt die Prinzessin, die ist zwanzig Jahre alt und hat noch nie gelacht. Wer sie aber zum Lachen bringt, soll sie zur Gemahlin bekommen, das hat der König ausrufen lassen, und sie wird lachen, wenn sie deine drei Schweinchen tanzen sieht. Jetzt weißt du genug. Fehlt dir in der Folge etwas, dann denke nur an mich, und ich will bei dir sein.«
Der Geiger dankte dem Greis und ging weiter in den Wald hinein, bis er an eine große Lichtung kam, da lag das Schloß. Es sah zwar von außen verfallen aus, aber als er hineinkam, war es sehr schön darin. Im Hof lag ein großer Weiher, darauf schwammen drei schwarze Schwäne, die ließen die Köpfe hängen, als ob sie traurig wären. In den Zimmern waren große Reichtümer aufgehäuft, aber alles war schwarz ausgeschlagen. In dem letzten Zimmer endlich stand der Korb mit den drei Schweinchen, den nahm der Geiger und kehrte zurück bis vor das Schloß; da holte er seine Geige heraus und spielte einen Hopser. Alsbald sprang das erste Ferkel heraus, stellte sich auf die Hinterbeine, wedelte mit dem Schwänzchen und machte mit den Vorderfüßen allerhand Bewegungen. Da kam das zweite hinzu und gleich drauf das dritte, und alle drei tanzten und sprangen und quiekten dazu, daß der Geiger sich hätte totlachen mögen.
Jetzt schwoll ihm der Mut, und er zog getrost der Hauptstadt des Königreiches zu. Da stellte er sich vor das Schloß auf den großen Platz und fing an zu geigen und spielte so schön, daß der König mit seiner ganzen Familie ans Fenster kam, auch die schöne Prinzessin. Als der Geiger sie sah und wie sie ein so trostloses Gesicht machte, öffnete er seinen Korb, da sprangen die Schweinchen eins nach dem andern heraus und tanzten so possig, daß die Prinzessin vor Lachen gar nicht zu sich kommen konnte und rief und flehte, er möge doch die Ferkel wieder einsperren, sie stürbe sonst vor Lachen. Da wurde der Geiger ins Schloß beschieden, und der König fragte ihn, was er für seine Schweinchen haben wolle? »Ich verkaufe sie nicht«, sprach der Geiger, »denn sie tanzen nur, wenn ich aufspiele, aber ich begehre nun die Prinzessin zur Frau, da ich sie zum Lachen gebracht habe.«
»Das versteht sich von selbst, komm, laß uns zu ihr gehen«, sprach der König.
Als sie zu ihr kamen und der König ihr sagte, der Geiger sei ihr Bräutigam, ärgerte sie sich, denn sie war sehr stolzen und hochfahrenden Sinnes. »Wenn mein Vater dir eine Aufgabe gestellt hat, um mich zu erwerben«, sprach sie, »so stelle ich dir auch eine, und die ist, daß du drei Nächte in dem verwünschten Schloß im Walde schläfst. Jetzt gehe, und komme mir nicht eher wieder vor die Augen, bis du die Aufgabe gelöst hast.«
Da ging der Geiger traurig weg, und der König, dem das leid tat, führte ihn in ein schönes Zimmer und ließ ihn prächtig bedienen. Der Geiger aß aber nichts und trank nichts, blieb auch nicht in dem Schloß, sondern ging in den Wald. Da fiel ihm ein, was der Greis ihm gesagt hatte, und er dachte sehnsuchtsvoll an ihn; sogleich stand der Greis neben ihm, so schnell, als wenn die Sonne plötzlich hinter den Wolken hervorkommt und man mit einemmal seinen Schatten neben sich sieht. »Was fehlt dir denn? Du siehst so traurig aus«, wollte der Greis wissen.
Der Geiger erzählte ihm alles, und der Greis gab ihm gute Ratschläge, so daß er fröhlichen Herzens dem Schloß zuschritt.
Es war dasselbe Schloß, wo er die drei Schweinchen geholt hatte. Als er in den Hof kam, hoben die drei schwarzen Schwäne die Köpfe und schlugen mit den Flügeln, als ob sie sich freuten. Er kehrte sich aber nicht an sie, sondern ging in das vierte der schwarzen Zimmer, da stand ein Tisch mit allerlei Speisen, und er ließ es sich recht wohlschmecken. Gegen elf Uhr in der Nacht nahm er einige Kissen von dem Bett, welches in der Stube stand, legte sie auf den Boden und sich darauf, wie ihm der Greis befohlen hatte; einschlafen aber konnte er nicht. Er lag nicht lange, als die Tür aufsprang und eine große Schlange sich hereinringelte, die kam auf ihn zu und legte ihren kalten Kopf in sein rechtes Ohr. Gleich darauf sprang die Tür wieder auf, und eine zweite Schlange kam, welche ihren Kopf in sein linkes Ohr legte. Dann kam zuletzt eine dritte, die legte sich mit ihrem kalten glatten Leibe quer über seinen Hals, und sie war so schwer, daß sie ihn wie ein Mühlstein drückte. So blieben alle drei Schlangen liegen bis zwölf Uhr, dann krochen sie wieder der Tür zu und waren verschwunden; er aber stand auf und legte sich in sein Bett, wo er nach dem ausgestandenen Schrecken ganz prächtig schlief, denn daß er nicht ohne Angst war, kann man sich wohl denken. Am Morgen stand sein Frühstück schon bereit, das ließ er nicht kalt werden, denn er hatte gewaltigen Hunger. Alsdann ging er in dem Schloß umher und schaute sich die Zimmer alle an. Zuletzt kam er auch in den Schloßhof und an den Teich; da flogen die Schwäne auf ihn zu und taten gar freundlich mit ihm. Sie waren aber nicht mehr ganz schwarz, wie am Tage vorher, sondern ihre Köpfe und Hälse waren jetzt schneeweiß. Er strich mit den Händen über ihr Gefieder, da blickten sie ihn mit klugen Augen an, so daß ihm ganz sonderbar ums Herz wurde.
Also ging die Zeit vorüber bis zum Abend, da machte er sich sein Lager zurecht, und bald kamen die Schlangen wieder und legten sich zu ihm, wie in der vorigen Nacht. Diesmal drückte ihn die eine, welche auf seinem Halse lag, noch viel schwerer, doch er rührte und regte sich nicht, und um zwölf Uhr verschwanden sie wieder. Als er des Morgens an den Teich im Schloßhof kam, da flatterten die Schwäne gar zu freudig auf dem Wasser, und sie waren jetzt weiß bis zum Schwanz, der hatte noch einige schwarze Federn. Das freute ihn so sehr, daß ihm der Tag verstrich, er wußte nicht wie.
In der folgenden Nacht ging’s ihm wieder wie die beiden vorigen Nächte, nur drückte ihn die dicke Schlange diesmal, daß er es kaum aushalten konnte und all seine Kraft zusammennehmen mußte, um nicht zu schreien. Als die Schlangen aber um zwölf Uhr verschwanden, da krachte das Schloß, als sollte es zusammenbrechen, dann wurde es ganz still. Morgens stand er schon früh auf, um nach seinen lieben Schwänen zu sehen, aber als er die Tür seines Zimmers öffnete, da kam im Gang eine ganze Reihe von Dienern und Dienerinnen dahergeschritten und zuletzt drei schöne Jungfrauen, die traten zu ihm heran und sprachen: »Wir waren die drei Schwäne und die drei Schlangen, du hast uns erlöst aus unserer Verwünschung. Wir gehen nun heim zu unserm Vater und schenken dir zum Dank dieses Schloß mit allen Schätzen, welche darin sind.« Alsdann nahmen sie Abschied von ihm, setzten sich in einen Wagen und fuhren weg.
Nun wurde ihm die Zeit bald zu lang in dem Schloß, er befahl den Dienern, den schönsten Wagen mit den schönsten Pferden zu bespannen, und fuhr in das Schloß des Königs. Diesem erzählte er alles, und der König führte ihn zu der Prinzessin und sprach: »Er hat sein Leben für dich eingesetzt, und jetzt mußt du ihn heiraten; er kann dich ernähren, denn er hat ein Schloß mit großen Reichtümern.« Sie antwortete: »Die Schätze sind mir nicht genug, er muß vorher beim Kaiser von Marokko das Geld holen, welches derselbe uns seit Jahren schuldig ist; es ist eine ganze Schatzkammer voll.«
Das ärgerte den König, aber er war recht schwach, und die Prinzessin war sehr eigensinnig, und wenn sie etwas wollte, so setzte sie es durch. So blieb dem Geiger nichts übrig, als zu sehen, wie er diese neue Aufgabe erfüllen könne.
Er ging vor die Stadt hinaus, da fiel ihm der Greis ein, und kaum dachte er an ihn, so stand er auch schon da. »Du siehst mir ja wieder recht betrübt aus, was fehlt dir denn?« fragte der Greis, und der Geiger erzählte ihm von der neuen Aufgabe, die so schwer sei, daß er nicht wisse, wie man sie ohne eine große Flotte mit vieler Seemannschaft lösen könne. Der Greis sprach: »Nimm dir Reisegeld aus deinem Schloß und reise ans Meer. Unterwegs werden wackere Gesellen zu dir stoßen, die nimm mit, sie sind dir von großem Nutzen.« Da wurde der Geiger wieder guten Mutes, stopfte sich in seinem Schloß die Taschen voll Geld und zog dem Meer zu.
Der Weg führte aber durch einen Wald, der war sehr lang. Als er eine Tagereise weit darin war, hörte er ein Krachen und Rumoren, als wenn Bäume umstürzten. Er ging auf das Geräusch zu, da sah er einen Kerl, der riß Eichen aus wie unsereiner ein Unkraut; die legte er auf einen Haufen, drehte eine junge Eiche und band sie damit zusammen. »Was machst du da, und wer bist du denn?« fragte der Geiger.
»Wer ich bin? Der Hans bin ich«, sagte der Kerl, »der sieben Jahre an seiner Mutter Brust gelegen und sieben Jahre Löwenmilch getrunken hat. Meine Mutter will Wäsche waschen, und dazu habe ich ihr ein wenig Reisig geholt.«
Das ist schon einer, dachte der Geiger und sprach: »Höre, ich will dir was sagen, ich gebe dir Kost und einen guten Lohn: willst du mit mir gehn?«
»Das will ich wohl«, sagte der Hans, »aber zuvor muß ich meiner Mutter das Bündel heimtragen.« Tat’s und kam bald zurück; da zogen die beiden miteinander fort, und der Geiger freute sich, einen so wackern Gesellen gefunden zu haben.
Als sie einige Stunden weitergereist waren, kamen sie zu einer Höhe, von der herab sie siebenundsiebzig Windmühlen sahen, welche alle lustig ihre Flügel drehten, aber es war kein Wind zu spüren. Auf der andern Seite der Höhe trafen sie auf einen Kerl, der hielt ein Nasenloch zu und blies mit dem andern, was gibst du, was hast du.
»Was machst du denn da?« fragte der Geiger, und der Kerl antwortete: »Seht ihr denn nicht, daß ich die Windmühlen dort in Schwung setzen muß?«
»So nimm doch deine beiden Nasenlöcher dazu«, sprach der Geiger.
»Das würde schöne Geschichten geben«, erwiderte der Kerl. »Dann flögen die Mühlen weg, daß man keine Spur mehr von ihnen sähe.«
»Höre, laß mit dir reden, ich gebe dir Kost und gute Löhnung, dann gehst du mit uns«, sprach der Geiger, und der Bläser war damit zufrieden, denn er wurde schlecht für seine Mühe bezahlt.
So zog der Geiger mit den beiden weiter, da kamen sie an eine große Waldwiese, wo eine Menge Hasen und Rehe herumsprangen. Es sprang da auch ein Kerl zwischen ihnen, der eins fangen wollte, aber wie schnell auch die Tiere liefen, er sprang stets weit über sie hinaus.
»Was machst du da?« rief der Geiger, und der Kerl antwortete: »Ei, das seht ihr wohl, ich möchte mir einen Hasen fangen, aber sie laufen so langsam; mit den Rehen geht es etwas besser, aber langsam sind sie doch.«
»Du bist mein Mann«, sprach der Geiger. »Wenn du mit mir gehn willst, gebe ich dir Kost und guten Lohn.«
»Ich bin dabei«, sagte der Läufer und ging mit.
Jetzt hatten sie nicht mehr weit bis zur See, und da trafen sie gerade ein Schiff an, welches direkt nach dem Königreich Marokko fuhr. Der Geiger stieg mit seinen Gesellen hinein, und sie waren bald auf der hohen See. Da sahen sie von ferne drei Schiffe kommen, welche mit vollen Segeln auf sie zueilten. »O weh, jetzt sind wir verloren, da kommen drei Schiffe mit Seeräubern!« rief der Steuermann.
Da sprach der Bläser: »Laß sie nur recht nahe heran, damit ich sehen kann, wie solch ein Kerl aussieht, hernach will ich uns schon Ruhe vor ihnen schaffen.«
Als sie nun ganz nahe waren, rief der Hauptmann der Seeräuber: »Jetzt ergebt euch, oder ihr werdet alle ermordet.«
»Ei, was du sagst! Ist das dein Ernst?« fragte der Bläser und blies aus einem Nasenloch das eine Schiff an, da flog es in die Luft, überschlug sich und fiel ins Wasser; dann blies er die beiden andern mit beiden Nasenlöchern an, und innerhalb einer Minute sah man sie nicht mehr, und niemand wußte, wohin sie geflogen waren. »So, das hast du für dein großes Maul«, sagte der Bläser und ging wieder zu seinen Kameraden.
Am folgenden Tage kamen sie in dem Königreich Marokko an, und der Geiger ließ sich zum König führen. Der König lachte, als er seine Botschaft ausrichtete und das Geld zurückverlangte. Er sprach: »Du sollst so viel davon haben, als ein Mann tragen kann, mehr gebe ich dir nicht, das sage deinem König, und wenn er mehr will, soll er es sich selbst holen.«
»Damit bin ich ganz zufrieden«, sprach der Geiger, »ich will nicht mehr, als mein Geselle Hans tragen kann.« Sogleich ließ er einige Zimmerleute kommen, die mußten einen großen, großen Kasten aus starkem Holz zusammenbauen, der wurde vor des Königs Schatzkammer gestellt. Der König wollte sich totlachen, als er den Kasten sah, und ließ einen Sack Gold nach dem andern hineintragen, aber so viel hatte er doch nicht, daß der Kasten voll wurde. Da kam Hans, sah sich den Kasten an und sprach: »Der ist ja halb leer, was soll das heißen? Voll muß er sein, sonst ist’s ja nicht der Mühe wert, ihn zu heben.«
Da lachte der König noch mehr, aber der Geiger sprach: »Wir wollen es gut sein lassen, komm Hans.« Jetzt griff Hans zu, wupps, da saß der Kasten auf seiner Schulter, und er ging mit dem Geiger und den beiden anderen Gesellen fort. Jetzt verging dem König das Lachen, und er lief was er konnte in sein Schloß, wo er Befehl gab, die vier sogleich zu verfolgen, und dazu sollte alle Mannschaft, Infanterie und Kavallerie, ausrücken.
Also kamen die vier ans Stadttor, da ging der Kasten nicht durch, denn er war viel größer als das Tor. Hans setzte ihn nieder, schmiß das ganze Tor zusammen und ging weiter der See zu. Kaum hatten sie aber die Stadt im Rücken, da gab es Lärm, und die ganze Armee des Königs eilte ihnen nach. »Halt da, das ist ein Spaß für mich«, sagte der Bläser und öffnete ein Nasenloch ein wenig, da flog die ganze Armee wie eine schwarze Staubwolke in die Luft und über die Stadt hinüber, daß es eine Lust war anzusehen. Ungestört gingen sie jetzt zu Schiffe und in das Königreich zurück.
Jetzt, sollte man meinen, hätte die Prinzessin zufrieden sein müssen, aber nein, es war, als hätte sie einen Haß auf den Geiger. Als er ihr all die ungeheuren Schätze brachte, sprach sie: »Jetzt ist es gut, und ich will dich heiraten, doch mußt du mir zum Hochzeitsbraten drei Rehe liefern, die dürfen nicht geschossen, nicht geschlagen und nicht von Hunden gebissen sein.«
»Dann kann die Hochzeit morgen schon stattfinden«, sagte der Geiger, »denn ich will die Rehe heute noch liefern.«
»Erst will ich sie sehen«, erwiderte die Prinzessin.
Da ging er zu seinen Gesellen und schickte den Bläser an das Ende des Waldes, welcher vor der Hauptstadt lag, da mußte er zuerst mit einem, dann mit beiden Nasenlöchern blasen. Dem Läufer band er die Beine zusammen, so daß er nicht so große Sprünge machen konnte, und blieb mit ihm und Hans, der einen großen Sack trug, vor dem Wald stehn. Als der Bläser anfing zu blasen, da kam das Wild zu Tausenden aus dem Wald; der Läufer sprang den Rehen nach und fing sie ein, und wenn er ein halbes Dutzend hatte, trug er sie zu Hans, der sie in seinen Sack steckte. Als der Sack voll war, ging der Geiger mit seinen Dienern wieder zum Schloß, und der Läufer sprang voraus übers Stadttor und zwei Reihen Häuser weg. Vor dem Schloß wurden die Straßen abgesperrt, und Hans öffnete seinen Sack, da liefen wohl achthundert Rehe heraus. Der Geiger aber ging zur Prinzessin und sprach: »Jetzt könnt Ihr Euch drei zum Hochzeitsbraten auswählen.«
Nun war nichts mehr zu machen, die Prinzessin mußte den Geiger nehmen, und sogleich ernannte ihr Vater ihn zum Vizekönig. Die drei Diener aber erhielten sehr gute Besoldung auf Lebenszeit. Nun hätte der Geiger gern auch dem Greis seinen Dank abgestattet und dachte: Wäre er doch jetzt hier!
Da stand der Greis neben ihm, und der Geiger fiel ihm zu Füßen und bat ihn zu sagen, wie er sich ihm dankbar erweisen könne?
Da sprach der Greis: »Räume mir eine Kammer in deinem Schloß, wo ich jede Neujahrsnacht schlafen kann, denn nur einmal im Jahr komme ich hierher, das ist dein Dank und mein Lohn.« Solches geschah, und das Glück wohnte im Schloß und wich nicht draus.
[Märchen aus Deutschland]
Es war einmal ein Musikant, der nahe am dunklen Wald ein kleines Häuschen bewohnte. Freude und Ermutigung in traurigen Zeiten war sein einziges Söhnchen, das er sehr liebte. Vater und Mutter erzogen das Söhnchen mit aller Sorgfalt und taten ihm alles Gute. Doch Pintlašk – so hieß er – entging doch nicht einem schrecklichen Unglück. Eines Tages ging die Mutter ins Holz, und den Vater bestellten sie ins Gasthaus, um aufzuspielen. Unweit im Walde aber war eine Fuchshöhle. In der harten Kälte fanden die vier dort wohnenden Füchse nicht mehr genügend Futter und hungerten schon mehrere Tage. Da kam der kleine Pintlašk aus dem Hof und lief in den Wald, um die Mutter zu suchen. Die Füchse, die sonst den Menschen nichts taten, wetzten heute schon von weitem ihre Zähne nach Pintlašk. Der Arme trippelte nichtsahnend vorüber, und sieh, da zog ihn ein Fuchs mit in die tiefe Höhle. Eingesperrt zwischen den vier Füchsen, zitterte und weinte Pintlašk schrecklich.
Bald darauf kam der Vater nach Hause, um nachzuschauen, und erschrak über alle Maßen, daß er seinen Liebling nicht fand. Weil er aber wußte, daß die Füchse manchmal in großer Not Kinder stehlen, ging er sogleich traurig mit seiner Geige und einer schweren Keule zur Fuchshöhle. Mit seinem Spiel bezauberte er die Zuhörer in der Tiefe und sang dazu mit traurig-inniger Stimme: »Činćelin, mein Geigelein, vier Füchse sind im Loch, der fünfte ist mein Pintlašk!«
Als die Füchse das hören, wundern sie sich, wer wohl so schön spielt und singt. »Schwesterchen«, sagte einer von ihnen, »ich muß nachsehen.« Der Musikant, der die Neugier der Füchse kannte, hatte sich gerade seitlich des Einganges hingestellt. Da kam der Fuchs angeschlichen, guckte aus dem Loch, und pris, pras erschlug ihn die Keule des Musikanten. Und wieder begann der Musikant: »Činćelin, mein Geigelein, drei Füchse sind im Loch, der vierte ist mein Sohn Pintlašk!« Den zurückgebliebenen Füchsen erscheint die Abwesenheit ihres Gesellen sehr lang. »Ihm gefällt es dort sicherlich recht gut«, erzählen sie untereinander, »wahrscheinlich tanzen sie dort bei der lustigen Musik. Lauf, Schwesterchen, sieh nach und bring uns Nachricht!«
Der neugierige Fuchs läuft, guckt, und – pris, pras schlägt ihn der Musikant auf den Kopf. Von neuem und mächtiger spielt und singt der Musikant: »Čincélin, mein Geigelein, zwei Füchse sind im Loch, der dritte ist mein Sohn Pintlašk!« Als weder der erste noch der zweite Fuchs zurückkam, meinten die beiden letzten: »Jetzt erst gefällt es ihnen, wenn zwei beisammen sind. Gehen wir ihnen nach!« Fröhlich eilen sie, gucken, aber, pris, pras, pris, pras, unter dem starken Schlag der Keule verblutet ihr Leben.
Nun ruft der Vater fröhlich in das Loch hinein: »Pintlašk, mein lieber Junge, komm!«
Pintlašk hörte das und kam rasch aus der Finsternis ans Tageslicht. Wie groß war seine Freude, als er aus den Klauen der Füchse erlöst und in der Umarmung seines Vaters ausruhte. Noch lange konnte er den Eltern und anderen Leuten nicht genug von seinem gefährlichen Versteck erzählen. Als er größer geworden war, besorgte ihm der Vater aus den erschlagenen Füchsen einen zottigen Pelz, der ihn vielleicht heute noch wärmt.
[Märchen aus der Lausitz]
Es war einmal ein blinder König, dem keine Kunst der Ärzte das Licht der Augen wiederbringen konnte. Zuletzt gab ihm ein Wahrsager den Bescheid, er würde nicht eher wieder sehend werden, als bis man ihm den Vogel Phönix brächte; nur dessen Gesang könnte das Wunder bewirken. Da machten sich die drei Söhne des Königs, einer nach dem andern, auf den Weg, den Vogel Phönix zu suchen. Der Älteste kam in den ersten Tagen in eine große Stadt und sah da einen prächtig gebauten Palast, aus dessen Fenstern ihm ein schöngekleidetes Fräulein winkte. Auch hörte er allerlei lustige Weisen spielen. Da bedachte er sich nicht lange, sondern ging hinauf, kam aber nicht wieder herunter.
Dasselbe Schicksal hatte auch der zweite Sohn. Nun war die Reihe an dem dritten; den wollte aber der Vater, da er allein noch übrig war, lange Zeit nicht von sich lassen, zumal er ihn am liebsten hatte. Zuletzt erhielt er doch Urlaub, bestieg sein Roß und trabte davon. Bald kam er auch in die große Stadt und an dem prächtigen Palast vorbei, wo so lustig gesungen und gejubelt wurde und das schöne Fräulein ihm aus dem Fenster winkte. Der Lärm war ihm aber da zu laut; er gab seinem Pferde die Sporen und ritt in ein Wirtshaus, wo er Nachtherberge nahm.
Als er nun lag und schlief, weckte ihn ein Pochen an der Tür. »Herein!« rief er und rieb sich lachend die Augen, weil er wohl wußte, daß niemand hereintreten würde, denn er hatte die Tür verriegelt. Da pochte es erneut, und lachend rief er wieder: »Herein!« und freute sich, daß der Narr an der Tür so lange stehen mußte. Aber noch zum drittenmal pochte es, und er rief wieder: »Herein!« Aber nun war es ihm nicht mehr zum Lachen, denn die Tür ging auf, und eine lange, bleiche Gestalt trat auf ihn zu. »Fürchte dich nicht«, redete sie den Prinzen an, »sondern erweise mir eine Wohltat, es soll dein Schaden nicht sein. Ich mußte diesem Wirt einmal die Zeche schuldig bleiben. Da fiel er über mich her und warf mich die Treppe herab, daß ich Arm und Bein zerbrach; zuletzt schlug er mich gar tot und zog meinen Leib dann in den Keller hinab und verscharrte ihn. Wenn du nun dem Wirt meine Schuld bezahlst und mich christlich begraben läßt, so werde ich erlöst sein und dir auch einmal helfen.«
Darauf verschwand der Geist. Der Prinz aber, dem es eiskalt über den Rücken gelaufen war, konnte nicht wieder einschlafen. Sobald der Hahn krähte, stand er auf und fragte den Wirt, ob er nicht etwas im Hause habe, das nicht hineingehöre, sondern auf den Friedhof. Der Wirt wurde sogleich weiß wie eine Wand, dann aber fing er ganz gottlos zu schimpfen an über den Gast, der seine Zeche nicht bezahlt hatte. Als er aber hörte, daß der Prinz diese Zeche bezahlen und den Toten ehrlich begraben lassen wollte, beruhigte er sich wieder und war dem Prinzen gerne behilflich, die Leiche aus dem Keller zu schaffen.
Als dem Toten sein Recht geschehen war, ritt der Prinz fort, den Vogel Phönix zu suchen. Da kam er durch einen großen, dunklen Wald, wo ihm plötzlich ein Wolf in den Weg lief. Da sprang der Prinz im ersten Schrecken vom Pferd und erstach es, damit der Wolf sich an dem Pferde sättige und ihn ziehen ließe. Wie erschrak er aber, als der Wolf seinen Rachen auftat und ihn anredete: »Wehe, warum hast du das Pferd getötet? Wir hätten beide darauf sitzen können; so aber mußt du nun auf meinem Rücken reiten, denn ich will dein Reisegefährte sein.« Da der Wolf so schön reden konnte, setzte sich der Prinz auf seinen Rücken, und das Tier lief über Stock und Pflock mit ihm davon.
So kamen sie bald zu einem herrlichen Schloß in schöner Landschaft. »Siehst du«, sagte der Wolf, »da ist das Zauberschloß: da mußt du nun hinaufgehen; da wirst du ein ganzes Zimmer voll schöner Vögel und Vogelkörbe sehen. Aber nimm ja keinen davon, sondern ganz im Winkel nimm das schlechte Vogelhaus: darin ist der Vogel Phönix. Und neben ihm steht ein goldener Mann, den berühre ja nicht, sonst ist alles umsonst.«