6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €
Ein lakonischer, geistreicher und witziger Roman über einen Neuanfang in BerlinMit nur zwei Koffern kommt sie nach Berlin. Olga Faust verlässt mit 49 Jahren ihre Heimatstadt Hanau und wagt den Neuanfang. Frei, für nichts und niemanden verantwortlich, nur für sich selbst. Ihr möbliertes Zimmer bei einer alten Dame in Schöneberg hat sie unbesehen gemietet. Den Job in der Anwaltskanzlei hat sie blind angenommen. Vorstellungsgespräch - nicht erforderlich, es gibt schließlich eine Probezeit. Alles Unübliche kommt Olga bei ihrem Aufbruch ins Unbekannte entgegen. Was sie eigentlich will, weiß sie nicht. Aber sie muss auch nichts wollen, ihr neues Leben stößt ihr zu. Ihre Bleibe erweist sich als eine schräge Mehrgenerationen-WG, das Anwaltsbüro steht der WG an Skurrilität kaum nach. Olga wird hineingezogen in einen Strudel von teils heiteren, teils ernsten Verwicklungen, findet sich zwischen zwei Männern wieder, erkennt, dass sie Verantwortung übernehmen muss und kann.»Trost bedeutet Stillstand. Man lehnt sich zurück und alles bleibt, wie es ist. Ich biete dir Mitgefühl. Das bringt mehr.«
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover & Impressum
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
Morgens sah sie wieder den fremden Mann gegenüber eine Zigarette rauchen. Sofort fiel ihr Herbert ein, und sie legte das Geld für eine Schachtel Zigaretten auf den Küchentisch. Die Spuren der nächtlichen Spielerunde waren beseitigt. Wenn sie jede Nacht spielten, war es nicht verwunderlich, wenn es Tom nicht in die Schule schaffte.
Es gelang ihr, an der S-Bahn-Station daran zu denken, sich eine Monatskarte zu kaufen. Erst als sie im Büro ankam, fiel ihr auf, dass sie wieder vergessen hatte, sich etwas zu essen mitzunehmen. Franz Josef sah sie nur müde an und pinkelte nicht auf ihre Schuhe. Wahrscheinlich war sie noch nicht im Status des Freundes angelangt, und schon gar nicht ohne Wurstbrot. Während sie bei Clemens stand, wurde die Türe aufgeschlossen, und ein kleiner schlanker Mann trat ein und lief an ihnen vorbei.
»Tach. Hoffe es geht gut, mir auch. Danke.« Dann war er im Inneren des Büros verschwunden. Es war so schnell gegangen, dass sich Olga nicht genau erinnern konnte, wie er ausgesehen hatte. Sie würde ihn nicht wiedererkennen.
»Was war das?«, fragte sie.
»Rechtsanwalt Herzig, genannt Steppi, allerdings nur intern. Er ist so schnell wie der Steppenwind.« Clemens lachte.
Wieder öffnete sich die Tür, und ein großer kräftiger Mann mit Vollbart erschien. Er trug eine Aktentasche und eine zerknitterte Robe unter dem Arm.
»Guten Morgen.« Er stellte sich vor Olga und schüttelte ihr die Hand. »Sie sind sicherlich Frau Faust. Ich hoffe, Sie haben sich gut eingewöhnt.« Er hatte ihre Hand immer noch nicht losgelassen. »Ich liebe selbstständige Frauen.« Damit ließ er ihre Hand los und verschwand langsam.
»Rechtsanwalt von Stubenrath, genannt Püppi, auch intern.«
»Wer hat die Herren denn so getauft?«, fragte Olga verblüfft.
»Na, ich natürlich. Wer hat hier sonst noch Fantasie? Vielleicht Franz Josef, aber der spricht ja nicht, oder wenn er es tut, verstehen wir ihn nicht. Aber kein Wort zur Volksdorf.«
»Ehrensache«, sagte Olga. »Aber hat sie kein »genannt«?«
Clemens sah sie einen kurzen Moment intensiv an, dann sagte er: »Frettchen. Aber Vorsicht, sie hat Ohren wie ein Luchs und nicht die Spur von Humor. Die Anwälte haben schon keinen, außer wenn sie Witze erzählen natürlich. Aber das Frettchen versteht noch nicht mal die Witze.«
Olga fragte sich, wie sie wohl genannt werden würde und ob sie lange genug bliebe, um das herauszukriegen.
Jetzt klingelte es Sturm. Clemens drückte auf den Summer, und eine Frau mit wirrem schwarzem Haar stürzte in den Raum. Olga stand immer noch vor dem Empfang, und die Frau rannte auf sie zu, fiel vor ihr auf die Knie, umklammerte mit einer Hand ihre Beine, griff mit der anderen nach ihrer Hand und drückte unablässig Küsse darauf.
»Hilf mir, hilf mir«, jammerte sie.
Olga war so verblüfft, dass sie sich nicht rühren konnte.
Clemens war auf die andere Seite des Empfangs geeilt und sagte: »Frau Fatahi, lassen Sie das auf der Stelle. Außerdem irren Sie sich, sie ist keine Anwältin. Sie ist unsere neue Mitarbeiterin.«
»Mein Mann darf nicht gehen«, schluchzte Frau Fatahi. »Sie müssen es verbieten.« Sie schrie so laut, dass Franz Josef aufwachte und verwirrt um sich sah.
»Wir können ihn nicht anbinden«, entgegnete Clemens. »Jetzt gehen Sie wieder nach Hause, es gibt im Moment nichts zu tun. Sie müssen abwarten. Wir kümmern uns.«
Ein weiterer Tränenstrom war die Antwort, aber sie ließ sich tatsächlich zur Türe schieben und ging.
»Sie muss ihn sehr lieben«, sagte Olga, die froh war, wieder mit Clemens allein zu sein.
»Natürlich nicht«, erwiderte Clemens. »Es gibt viel weniger Liebe auf der Welt, als man denkt. Und diesen Mann liebt garantiert keiner. Wahrscheinlich hat ihn seine Mutter auch nicht geliebt, und das sind die Spätfolgen. Wie auch immer, auf jeden Fall kommt die Scheidung zu früh. Er hätte noch mindestens ein halbes Jahr warten sollen; jetzt ist ihr Aufenthalt gefährdet, und deshalb regt sie sich so auf.«
»Und warum hat sie sich auf mich gestürzt?«, fragte Olga und war immer noch überrascht.
»Oh, sie glaubt noch an Frauensolidarität«, antwortete Clemens sachlich.
»Du nicht?«, fragte sie.
»Natürlich, aber bei mir äußert sich das nicht so laut.«
»Kommt sie häufiger?«
»Mehrmals die Woche. Aber für diese Woche haben wir sie hinter uns gebracht. Heute wird sie nicht noch einmal kommen, so viel Zeit bleibt nicht bis zwei.«
»Wieso bis zwei?«
»Weil heute Freitag ist, da können wir um zwei verschwinden.«
Olga sah aus dem Fenster, die Sonne schien. Allein in einer fremden Stadt, summte es in ihrem Kopf. Tucholsky war bestimmt nie allein gewesen in Berlin, außer er wollte es. Darum konnte er auch solche Gedichte schreiben. Sie wäre gerne spazieren gegangen, wenn sie schon frei hatte, aber nicht allein. Dann fiel ihr Herbert ein, und die Vorstellung, allein zu gehen, wurde ihr sofort sympathischer.