Mutter, Vater, Kuckuckskind - Michelle Zerwas - E-Book

Mutter, Vater, Kuckuckskind E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Manchmal ändert sich durch eine belanglose Geschichte, die man zufällig erfährt, das ganze Leben. Als Simon mit seinen Kumpels in der Kneipe ein Feierabendbier trinkt, erzählt sein Freund Waldemar von einem Arbeitskollegen, dessen Frau ihm ein Kuckuckskind untergeschoben hat. Waldemar und Simon machen heimlich einen Vaterschaftstest und Simon erfährt etwas Unfassbares. Seine Tochter Jule ist nicht sein leibliches Kind. Für ihn bricht eine Welt zusammen. Er begibt sich auf Spurensuche und macht eine weitere unglaubliche Entdeckung. Jessica ist auch nicht Jules leibliche Mutter. Simon kann es nicht glauben. Wer sind Jules Eltern wirklich? Was hat Jessica mit all dem zu tun? Während er nach der Wahrheit sucht, findet Jessica heraus, dass ihr Geheimnis gelüftet wurde. Ein Wettlauf um Leben und Tod beginnt.

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Michelle Zerwas

Mutter, Vater, Kuckuckskind

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1

2023

 

„Ein Kuckuckskind, stellt euch das mal vor.“ Waldemar trank einen großen Schluck aus seinem Bierglas. „Das ist doch verrückt.“

„Was ist verrückt?“, fragte Simon, der gerade an den Tisch gekommen war und Waldemars letzte Worte gehört hatte.

„Ey, da bist du ja endlich“, sagte Florian und gab seinem Kumpel einen kräftigen Schlag auf die Schulter, als dieser sich mit an den Tisch setzte.

„He Jupp!“, rief Carsten, der vierte in der Runde dem Wirt am Tresen zu. „Wir hätten gern noch ne Runde!“ Er hob sein leeres Bierglas.

„Bring ich euch sofort!“, rief Jupp zurück.

„Was ist denn nun verrückt?“, fragte Simon nochmal nach, da seine Neugier noch nicht gestillt worden war.

Waldemar trank sein Bierglas leer, bevor er antwortete. „Der Thorsten, mein Arbeitskollege hat erfahren, dass sein Sohn nicht sein Sohn ist. Die Petra hat ihm den Moritz heimlich untergeschoben.“

„Kuckuckskind nennt man so was“, sagte Carsten.

„Is ja en Ding.“ Simon riss ungläubig die Augen auf.

„Ja, krass, oder? Ich wollte es erst auch nicht glauben“, sprach Waldemar weiter. „Das hätte ich der Petra gar nicht zugetraut.“

„Wie ist es raus gekommen?“, fragte Florian.

Waldemar setzte gerade zu einer Antwort an, da trat Jupp an den Tisch, um die nächste Runde Bier zu bringen.

„Auf dich ist Verlass“, sagte Carsten an Jupp gewandt.

„Lasst es euch schmecken, Jungs.“ Er sammelte die leeren Biergläser ein und verschwand wieder hinter seiner Theke.

„Erzähl!“, richtete Florian das Wort an Waldemar. „Wie ist die ganze Sache raus gekommen?“

„Wie das halt so ist, durch einen dummen Zufall.“

„Geht das auch etwas konkreter?“, bohrte Florian weiter.

Waldemar stärkte sich mit einem weiteren Schluck Bier, bevor er weiter sprach. „Der kleine Moritz hat so eine seltene Krankheit bekommen, den Namen weiß ich nicht mehr. Jedenfalls kann die Krankheit nur vom Vater vererbt werden. Thorsten hat sich daraufhin testen lassen und es hat sich herausgestellt, dass er dieses Gen gar nicht in sich trägt. Mit hundertprozentiger Sicherheit kann Moritz nicht Thorstens Sohn sein. Tja, dumm gelaufen.  Da musste Petra Farbe bekennen und tatsächlich hat sie wohl auf einer Betriebsfeier was mit einem Kollegen gehabt. Angeblich nur ne einmalige Sache, aber dabei hat sich Klein Moritz auf den Weg gemacht.“

„Scheiße!“, sagte Florian.

„Das kannst du laut sagen.“ Waldemar leerte sein Bierglas zur Hälfte. „Tja, Leute. So kann es gehen. Da ahnst du nichts Böses, vertraust deinem Weib und dann schiebt sie dir ein Kind unter. Da kommt man schon ins Grübeln.“

„Mathilda und Marlon sind garantiert von dir“, versicherte Florian seinem Kumpel Waldemar.

„Das dachte ich bisher auch, aber nach Thorstens Story glaube ich gar nichts mehr. Er hat auch gedacht Moritz ist sein Sohn.“

„Also Jule ist garantiert meine Tochter“, bekräftigte Simon. „Das kann gar nicht anders sein.“

„Ich bin mir auch ganz sicher, dass alle meine drei Kinder von mir sind“, sagte Florian. „Meine Frau würde mich niemals betrügen.“

„Ich weiß ja, dass Nils nicht mein leiblicher Sohn ist“, sagte Carsten. „Verena hat ihn mit ihrem ersten Mann bekommen, aber er ist für mich wie ein Sohn, auch wenn er einen anderen Papa hat und Emma ist hundert pro von mir. Ich war bei ihrer Zeugung dabei.“

„Schön, dass ihr euch alle so sicher seid“, meinte Waldemar. „Ich habe nach der Geschichte beschlossen einen Vaterschaftstest zu machen. Sicher ist sicher.“

„Findest du nicht, du übertreibst?“, fragte Simon.

„Ne Freunde, man kann nicht vorsichtig genug sein.“

„Du willst das echt durchziehen?“, fragte Florian.

„Alter, so ein Test ist schweineteuer“, mischte sich Carsten ein.

„Das ist es mir wert und das sollte es euch auch sein.“

„Wo kann man so was überhaupt machen lassen?“, wollte Florian wissen.

„In der Apotheke zum Beispiel oder man bestellt online einen Test.“

„Im Ernst? So einfach ist das?“, fragte Simon.

„Und wann bekommt man das Ergebnis?“ Carstens Neugier war nun ebenfalls geweckt.

„Innerhalb weniger Tage hat man Gewissheit. Ihr seid ganz schön neugierig, dafür dass ihr euch so sicher seid mit eurer Vaterschaft.“ Waldemar trank sein Glas leer und hielt es für Jupp in die Luft, um ihm zu signalisieren, dass er auf dem Trockenen saß.

„Was kostet denn sowas?“, fragte Florian.

„Da können schon mehrere hundert Euro zusammen kommen.“

Carsten blies die Backen auf. „Wow, ein stolzer Preis. Willst du wirklich so viel ausgeben?“

„Gewissheit hat nun mal ihren Preis.“

Carsten, Simon und Florian hoben fast zeitgleich ihre Biergläser und tranken daraus. Sie wehrten sich noch dagegen, aber Waldemar hatte Zweifel gesät. Er hatte ihnen dieses winzige Samenkorn des Zweifels eingepflanzt und es begann sofort zu keimen. Doch da war auch die Angst, die ihnen leise zuflüsterte und sie davor warnte den Dingen auf den Grund zu gehen. Womöglich entdeckten sie dann Dinge, die sie nicht wissen wollten.

„Na, auf einmal so still, Jungs“, sprach Waldemar weiter.

„Du kannst nicht mit so einer Story um die Ecke kommen und erwarten, dass das einfach an uns abprallt“, verteidigte sich Carsten.

„Genau so ging es mir auch. Mal ehrlich, wollt ihr nicht auch absolute Gewissheit?“

Simon, Florian und Carsten sahen sich an. Keiner von ihnen wollte seine Zweifel zugeben, denn schließlich waren sie sich alle sicher der Vater ihrer Kinder zu sein. Daran hatten sie bisher geglaubt und sie wollten auch in Zukunft daran glauben. Keiner von ihnen wollte riskieren, dass ihre mühsam geschaffene Welt, die glückliche Familie, zusammen brach.

„Denkt einfach mal darüber nach, Jungs. Ich brauchte auch ein paar Tage, aber nun möchte ich es genau wissen. Ich mache diesen Test.“

„Dafür brauchst du Speichelproben von deinen Kindern“, sagte Florian.

„Haare gehen auch“, erwiderte Waldemar. „Und da ist leicht dran zu kommen. Jeden Morgen hängen genug in der Haarbürste.“

„Hast du keine Angst, dass deine Frau davon erfährt?“, fragte Carsten. „Wie wird sie es wohl finden, wenn du ihr misstraust?“

„Sie muss es ja nicht erfahren. Wenn das Ergebnis zeigt, dass es meine Kinder sind, ist doch alles gut und wir können glücklich als Familie weiter leben.“

Florian trank sein Bier aus. „Braucht man nicht die Einwilligung der Mutter, wenn man so einen Test machen will?“, fragte Florian.

„Na und?“, sagte Waldemar zu ihm. „Du wirst es ja wohl hinkriegen die Unterschrift deiner Frau zu fälschen.“

„Ich soll eine Straftat begehen?“ Florian wirkte erschrocken.

„Stell dich mal nicht an, Junge“, sagte Waldemar. „Man steht doch sein ganzes Leben ständig mit einem Bein im Knast. Trink lieber noch einen.“

„Nee, lass mal stecken, ich muss los. Ich habe versprochen nicht so spät nach Hause zu kommen.“

„Ich komme mit“, sagte Carsten. „Ich muss Nils vom Fußballtraining abholen.“

Florian und Carsten ließen einige Geldscheine und Münzen auf dem Tisch zurück, ehe sie gingen.

„Macht’s gut, Jungs“, sagte Waldemar.

„Mach es besser“, erwiderte Florian.

Simon und Waldemar blieben allein zurück.

Simon spielte mit einem Bierdeckel herum und wirkte nachdenklich.

„Was ist los, Alter?“, fragte Waldemar. „Dich beschäftigt doch was.“

„Mir ist da was eingefallen. Erinnerst du dich an damals, als meine Frau schwanger war?“

Waldemar kramte in seinem Gedächtnis, kam aber nicht drauf. Immerhin war es schon fast 9 Jahre her.

„Ich fürchte, du musst mir auf die Sprünge helfen.“

„Wir waren regelrecht euphorisch, als wir wussten, dass wir ein Kind bekommen, doch dann von einem Tag auf den anderen, wurde Jessica so komisch. Sie wollte keinen Sex mehr. Ich durfte sie nicht mal mehr berühren.“

„Ja, jetzt erinnere ich mich. Das hat dich damals richtig fertig gemacht. Du hast dich noch mehr in deine Arbeit vergraben und bist kaum noch zu unseren Treffen gekommen.“

„Jessica hat es auf die Hormone geschoben und behauptet, sie hätte deshalb keine Lust mehr auf Sex. Es wurde erst besser, als Jule auf der Welt war.“

„Und du warst bei der Geburt nicht dabei“, erinnerte Waldemar sich.

„Stimmt, das kommt auch noch dazu.“

„Im Nachhinein betrachtet, kommt einem das noch merkwürdiger vor als damals“, überlegte Waldemar.

„Meinst du, sie hatte was mit einem anderen?“ Erst als Simon die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm die Tragweite so richtig bewusst. Hatte er womöglich acht Jahre lang ein fremdes Kind aufgezogen? Was wenn sein Leben gar nicht so perfekt war, wie er es bisher angenommen hatte?

„Mach einen Test und du weißt Bescheid“, sagte Waldemar. „Ich habe mich informiert. Die sind zu 99,9 Prozent sicher. Es kann nichts schief gehen.“

„Ich weiß nicht. Ich will Jessica nicht hintergehen.“

„Alter, deine Prinzipien in allen Ehren, aber was, wenn sie dich hintergangen hat? Willst du das dann nicht wissen?“

„Doch, schon.“

„Pass auf! Wir machen den Test. Am Montag treffen wir uns nach Feierabend vor der Apotheke. Übers Wochenende sammeln wir ein paar Haare von den Kindern. Deal?“ Er hielt Simon seine Hand hin.

Simon zögerte noch einen Augenblick, dann schlug er ein. „Deal.“ Kurz meldete sich sein schlechtes Gewissen, weil er seiner Frau misstraute. Sie führten eine gute Ehe, sie waren glücklich. Natürlich gab es einige Aufs und Abs, aber gab es die nicht in jeder Beziehung?

„So, und jetzt zischen wir noch eins“, sagte Waldemar und riss Simon damit aus seinen Gedanken. Mit knappen Gesten signalisierte er Jupp, dass er noch zwei Bier bringen sollte.

2

2023

 

Am Ende waren es noch einige Bier mehr geworden und Simon fühlte sich ein kleines bisschen betrunken, als er nach Hause lief. Es war ein herrlicher Sommertag und das machte es nicht gerade besser. Der Alkohol war ihm ordentlich zu Kopf gestiegen. Zum Glück musste er ein gutes Stück nach Hause laufen. Er hoffte, dass sich bis dahin sein Alkoholpegel ein wenig normalisiert hatte. Das war nämlich etwas, was Jessica absolut nicht leiden konnte, wenn er betrunken nach Hause kam. Er hatte keine Lust auf Streit.

Als er nach einer Weile, die Strecke war ihm heute endlos vorgekommen, in seine Straße einbog, kam seine Tochter Jule ihm auf dem Fahrrad entgegen.

„Hallo, Papa!“, rief sie aufgeregt und begrüßte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Guck mal, was ich kann!“ Sie nahm eine Hand vom Lenker und fuhr einhändig.

„Toll!“, rief Simon.

Da tauchte auch schon Mirabella auf, Jules beste Freundin. Sie kam in einem Affenzahn mit dem Fahrrad angesaust.

„Ich kann sogar freihändig fahren!“, kreischte sie und nahm für einige Sekunden beide Hände vom Lenker.

„Super macht ihr das!“, rief Simon. „Aber seid vorsichtig.“ Doch seine Warnung hörten die beiden nicht mehr. Sie waren mit den Fahrrädern schon wieder auf dem Weg die Straße hinunter.

„Das wilde, draufgängerische hat sie auf jeden Fall von mir“, murmelte Simon. „Das kann gar nicht anders sein.“ Er legte die letzten Schritte zu seinem Haus zurück und schritt durch die Gartenpforte. Nicht ohne Stolz näherte er sich der Haustür. Er hatte sich und seiner Familie den Traum vom Eigenheim erfüllt.

Als er die Haustür öffnete, drang ein köstlicher Duft in seine Nase. Offenbar hatte Jessica sich dazu entschieden etwas zu kochen, obwohl es dafür eigentlich viel zu heiß war. Als Simon in die Küche trat, stand Jessica am Herd und rührte in einem Topf. Sie trug eine kurze Hose, die so kurz war, dass sie nur knapp ihren Po bedeckte und ein Top, ihre Haare hatte sie zu einem Dutt nach oben gesteckt. Sie wirkte immer noch sehr anziehend auf Simon, auch nach über zehn Jahren Beziehung. Kurz dachte er daran sie in der Küche zu verführen. Doch dann machte Jessica mit einer einzigen Bemerkung all seine Pläne zunichte.

„Du wolltest doch heute früher nach Hause kommen“, warf sie ihm vor.

„Ja, tut mir leid. Ich habe mich noch mit den Jungs getroffen nach der Arbeit.“

„Das ist mal wieder typisch“, schimpfte Jessica. „Du hattest Jule versprochen die Fahrradreifen aufzupumpen. Das ist mal wieder an mir hängen geblieben.“

„Es tut mir leid. Kann ich es irgendwie wieder gut machen?“

„Wenn du den Tisch deckst, wäre das schon mal ein guter Anfang“, sagte Jessica. Sie klang immer noch ein bisschen wütend, aber Simon wusste dennoch, dass Jessicas Wut bald verraucht sein würde.

Er ging zum Küchenschrank, um Teller und Besteck zu holen. Dafür musste er an Jessica vorbei und konnte einfach nicht widerstehen. Er umarmte Jessica von hinten und ließ seine Hand zu ihrem Po wandern, streichelte ihn und schob seine Hand in Jessicas Hose.

Sie stöhnte lustvoll auf. Simons Finger bahnten sich ihren Weg. Sie wussten, wo sie hin mussten, um Jessica zur Besinnungslosigkeit zu treiben.

„Du siehst so heiß aus.“ Sein Mund näherte sich ihrem Ohr. „Ich will dich. Jetzt und hier.“

„Du stinkst nach Bier“, erwiderte Jessica. Trotzdem drehte sie sich in seinen Armen zu ihm herum, ihre Lippen trafen sich zu einem leidenschaftlichen Kuss.

Simon streifte Jessicas Hose mitsamt ihrem Slip herunter, danach öffnete er seine Hose und befreite sein bestes Stück aus dem Gefängnis. Er hob Jessica auf die Küchentheke und nahm sie in Besitz. Jessica schlang ihre Beine um ihn, damit sie ihn noch intensiver spüren konnte. Simon versuchte die Gedanken und Zweifel aus seinem Kopf zu verbannen, während er seine Frau dem Höhepunkt entgegen trieb, doch es gelang ihm nur zum Teil und schließlich verweigerte sein bestes Stück ohne die geringste Vorankündigung seinen Dienst. Beschämt und wütend auf sich selbst zog er sich aus Jessica zurück.

„Verdammte Scheiße!“, entfuhr es ihm.

Jessica küsste ihn, obwohl sie seine Alkoholfahne unangenehm fand. „Du hattest bestimmt einen harten Tag. Wir probieren es ein anderes Mal wieder. Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“

Sie sahen sich tief in die Augen und in diesem Moment konnte Simon sich nicht vorstellen, dass seine geliebte Frau ihm all die Jahre etwas vorgemacht hatte. Waldemar hatte ihm einen Floh ins Ohr gesetzt. Jule war seine Tochter. Er hatte nicht den geringsten Grund daran zu zweifeln. Da hörten sie auf einmal die Haustür und sie sahen sich einen kurzen Moment erschrocken an. Sie zogen rasch ihre Hosen wieder nach oben und schafften es gerade noch, bevor Jule in die Küche kam.

Jessica und Simon warfen sich einen kurzen Blick zu. Sie wirkten beide verlegen. Um ein Haar hätte ihre kleine Tochter sie in flagranti erwischt. Das war gerade nochmal gut gegangen.

„Wann gibt es essen?“, fragte Jule.

„Gleich, mein Schatz.“ Jessica widmete sich wieder den Töpfen auf dem Herd.

„Ich gehe hoch und ziehe mich um“, sagte Simon. Bevor Jessica ihn aufhalten und daran erinnern konnte, dass er den Tisch decken wollte, hatte Simon den Raum schon verlassen.

Simons Weg endete im Schlafzimmer. Dort entledigte er sich seiner Klamotten. Er vermied es in den Spiegel am Kleiderschrank zu schauen. Nach dem Desaster vorhin fühlte er sich miserabel und daran war einzig und allein Waldemar Schuld. Sollte er doch weiter rum spinnen, Simon hatte jedenfalls keine Lust sich sein Leben kaputt machen zu lassen, bloß wegen eines albernen Hirngespinstes.

Er schlüpfte schnell in einen Trainingsanzug, den er gerne zu Hause trug, um es sich gemütlich zu machen. Dann schlurfte er ins Bad und sah sich dort um. Er wusste selbst nicht, warum er überhaupt hinein gegangen war. Da fiel sein Blick auf die Haarbürste, die auf der Ablage über dem Waschbecken lag. Als er näher heran ging, entdeckte er, dass sie voller Haare war und es waren eindeutig Jules Haare, denn sie waren braun und nicht blond, wie Jessicas Haare. Er zögerte kurz, dann nahm er die Bürste in die Hand und zupfte einige Haare heraus, ließ aber noch eine ordentliche Menge übrig, damit Jessica keinen Verdacht schöpfte. Dann fiel sein Blick auf Jules Zahnbürste. Sie war vielleicht auch ganz brauchbar, aber es würde schwierig werden sie heimlich zu entwenden. Vielleicht konnte er nächste Woche dieselbe nochmal kaufen und heimlich austauschen.

„Simon, kommst du?“, hörte er Jessica von unten rufen. „Das Essen wird kalt.“

„Ich bin schon auf dem Weg!“, rief er zurück. Noch immer hielt er die Haare in der Hand. Wo sollte er jetzt damit hin? Hektisch sah er sich im Bad um. Er öffnete den Schrank neben dem Waschbecken und entdeckte zu seinem Glück eine Rolle mit kleinen Tüten, in denen Jessica immer ihre Abschminkpads und diverse andere Dinge entsorgte. Er nahm sich eine Tüte, steckte die Haare hinein und knotete sie gut zu. Anschließend steckte er sie in seine Hosentasche. Vielleicht konnte er später unter einem Vorwand nochmal das Haus verlassen und seine Beute im Auto verstecken. Er fühlte sich schuldbewusst, als er nach unten ging. Es war nicht richtig Jessica zu hintergehen. Sie waren bisher immer ehrlich zueinander gewesen. Hoffentlich merkte sie ihm sein schlechtes Gewissen nicht an. Jule und Jessica saßen schon am Küchentisch und warteten ungeduldig auf ihn.

„Papa, wo bleibst du denn?“, sagte Jule vorwurfsvoll. „Ich hab Hunger.“

„Ich bin ja schon da, mein Schatz.“ Er ließ sich am Tisch nieder und vermied es Jessica anzusehen. Stattdessen richtete er das Wort wieder an Jule. „Wer hat denn das Fahrradrennen gewonnen, du oder Mirabella?“

„Ich natürlich“, sagte Jule und zerdrückte eine Kartoffel auf ihrem Teller.

„Klar, das habe ich mir gedacht.“

„Ich habe heute eine Eins in der Schule bekommen“, berichtete Jule stolz.

„Toll. Ich bin stolz auf dich“, sagte Simon.

Während des Essens plapperte Jule munter weiter, erzählte von der Schule, vom Reitunterricht und vom Ballett. Jessica musste sie mehrmals ermahnen nicht mit vollem Mund zu reden. Simon beteiligte sich kaum am Gespräch, er war damit beschäftigt seine Tochter intensiv zu mustern. Er suchte nach Ähnlichkeiten, die bewiesen, dass sie wirklich seine Tochter war, aber er konnte nichts entdecken. Wie war das möglich? Hatte er sich die Ähnlichkeit in den letzten Jahren nur eingebildet und lediglich gesehen, was er sehen wollte? Er betrachtete Jessica und verglich ihr Aussehen mit Jules. Zu seiner Verwunderung konnte er bei den beiden auch keine große Ähnlichkeit entdecken.

Vielleicht kommt sie nach ihren Großeltern, überlegte Simon. Das war möglich.

„Papa, du hörst mir gar nicht zu“, beschwerte sich Jule.

„Tut mir leid, mein Schatz. Ich musste gerade an meine Arbeit denken. Was hast du gesagt?“

„Mirabella bekommt ein Pony zum Geburtstag. Ich möchte auch ein Pony.“

„Oh.“ Er warf Jessica einen hilfesuchenden Blick zu.

„Ein eigenes Pony macht sehr viel Arbeit“, sagte Jessica. „Dafür bist du noch zu klein.“

„Ich bin nicht klein. Mirabella ist so alt wie ich“, argumentierte Jule.

„Ja, schon, aber ihre Mama reitet auch. Sie kennt sich aus mit Pferden und kann Mirabella helfen.“

„Dann musst du auch reiten.“

„Na, das fehlt mir gerade noch.“ Sie warf Simon einen Blick zu, der ihn dazu aufforderte auch etwas zu sagen.

„Es gibt doch ganz viele Ponys im Stall. Du kannst immer ein anderes reiten. Wenn du dein eigenes Pony hast, kannst du nur noch das eine reiten. Das wird irgendwann langweilig.“

Jule dachte über die Worte ihres Vaters nach.

„Dann kannst du Sternchen nicht mehr reiten“, sprang Jessica auf den Zug auf. Sternchen war Jules absolutes Lieblingspony und das schien sie tatsächlich zu überzeugen.

„Na gut“, gab sie nach. „Vielleicht kann ich Mirabellas Pony auch mal reiten.“

„Das kannst du ganz bestimmt“, sagte Jessica.

Nach dem Essen räumte Simon den Tisch ab, während Jessica Jule in die Badewanne steckte und bettfertig machte. Da klingelte auf einmal sein Handy.

„Waldemar, was gibt’s?“

„Es geht nochmal um die Sache. Du weißt schon.“

Simon ging zur Küchentür und schloss sie leise. Er wollte nicht, dass Jessica etwas aufschnappte.

„Ja, und?“, sagte Simon.

„Planänderung“, flüsterte Waldemar. Offenbar nahm er sich ebenfalls vor seiner Frau in acht.

„Was soll das heißen? Blasen wir das Ganze ab?“

„Nein, ich habe nochmal geguckt vorhin. Es gibt einen Selbsttest für zu Hause. Niemand wird etwas merken. Wir nehmen Proben und schicken sie an ein Labor.“

„Ich habe vorhin Haare von Jule gesammelt.“

„Die brauchst du nicht. Wir brauchen eine Speichelprobe.“

„Und wie soll ich da dran kommen?“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber in dem Fall kommt uns dieses verflixte Corona tatsächlich mal zu Hilfe. Behaupte einfach, es ist ein Corona Test.“

„Das könnte funktionieren“, überlegte Simon.

„Klar funktioniert das. Also soll ich die Tests nun bestellen? Wenn ich sie heute bestelle, kommen sie am Dienstag an.“

„Okay, von mir aus.“

„Gut. Ich melde mich, wenn sie da sind. Bis dann.“

„Ciao, Alter.“ Simon legte auf und öffnete die Küchentür wieder. Jessica hatte nichts bemerkt. Sie war immer noch oben mit Jule beschäftigt. Simon nahm die Tüte mit den Haaren aus seiner Tasche und entsorgte sie ganz tief im Müll. Danach brachte er die Küche auf Vordermann, damit Jessica keinen Grund hatte mit ihm zu meckern.

Als er gerade den letzten Teller in den Schrank zurück stellte, kam Jessica in die Küche.

„Es war wieder ein ganz schöner Kampf, aber sie schläft jetzt.“ Jessica trat auf Simon zu und legte ihre Hand auf seine Brust. „Ich hätte eine Idee, wie wir den Abend ausklingen lassen könnten. Sie fuhr mit ihrer Hand über Simons Bauch nach unten und verweilte am Bund seiner Hose. Simons bester Freund fand die Idee super, Simon hingegen zögerte einen Moment. Er wollte nicht, dass sich die Katastrophe vom frühen Abend wiederholte.

Jessica küsste ihn. „Wir müssen doch ausprobieren, ob es wieder geht“, sagte sie. Ihre Hand glitt in Simons Hose und mehr Überzeugungsarbeit brauchte es an diesem Abend nicht mehr.

 

3

2014

 

Simon wuchtete seinen Koffer und die Reisetasche die Eingangsstufen nach oben zu seiner Haustür. Wieder einmal war eine seiner zahlreichen Geschäftsreisen zu Ende gegangen und er freute sich zu seiner Frau zurückzukehren. Er wurde bereits sehnsüchtig erwartet, denn als er die Haustür öffnete, kam Jessica aus der Küche in den Flur. Simon ließ seine Reisetasche fallen und breitete seine Arme aus, um Jessica in Empfang zu nehmen, die sich sofort hinein stürzte. Sie versanken in einem leidenschaftlichen Kuss und holten nach, worauf sie in den letzten Tagen hatten verzichten müssen.

„Ich habe dich so sehr vermisst“, sagte Jessica.

„Ich dich auch. Ich konnte es kaum erwarten wieder hier zu sein und ausgerechnet mein Flug musste Verspätung haben.“

„Jetzt bist du ja da.“ Sie küssten sich erneut. „Was macht dein Projekt? Läuft alles nach Plan?“

„Jetzt ja, aber es wurde höchste Zeit, dass ich vor Ort nach dem Rechten sehe. Das Hotel nimmt Formen an. Ich denke, wir schaffen es bis zur geplanten Eröffnung.“

„Das klingt toll. Ich freue mich für dich und nun komm.“ Sie nahm Simons Hand. „Ich habe eine Überraschung für dich, eigentlich zwei, aber eins nach dem anderen.“

Sie führte Simon in die Küche. Der Tisch war liebevoll gedeckt und mit Blumen, Kerzen und kunstvoll gefalteten Servietten geschmückt.

„Das sieht schön aus“, sagte Simon und schenkte seiner Frau ein strahlendes Lächeln.

Ein köstlicher Duft erfüllte die Küche und erinnerte Simon daran, dass er seit dem frühen Vormittag nichts mehr gegessen hatte.

„Ich habe dein Lieblingsessen gemacht.“

„Sauerbraten“, riet Simon.

„Genau.“

„Du bist ein Engel.“

Jessica lächelte. „In den letzten Tagen hast du am Hotelbuffet sicher noch bessere Dinge bekommen.“

„Aber es schmeckt nirgendwo so gut wie zu Hause“, sagte Simon.

Jessica servierte das Essen, während Simon seinen Platz am Tisch einnahm. Auf seinem Teller entdeckte er ein schwarzes Kästchen. Es erinnerte ihn an das Kästchen, in dem er Jessica vor seiner Abreise ein goldenes Armband überreicht hatte.

„Du hast ein Geschenk für mich?“, stellte Simon fest.

„Ja.“

„Ich habe auch etwas für dich, aber es ist ganz tief im Koffer vergraben.“

Er brachte Jessica immer Geschenke von seinen Geschäftsreisen mit, weil er es einfach liebte seiner Frau Geschenke zu machen.

„Soll ich es sofort aufmachen oder bis nach dem Essen warten?“

„Ganz wie du magst.“

Simon öffnete die Schleife aus rotem Geschenkband und legte das Band neben seinen Teller. Dann öffnete er das Kästchen und wusste zunächst nichts mit dem Inhalt anzufangen. Auf dem schwarzen Samt lag eine Art Teststreifen.

„Wir sind schwanger“, half Jessica ihrem Mann auf die Sprünge. „Du wirst Papa.“

Simon sah Jessica zuerst ungläubig an. Er konnte es nicht fassen und es dauerte einen Moment, bis diese Nachricht vollständig in sein Bewusstsein eingedrungen war. Doch dann überwiegte die Freude. Ein strahlendes Lächeln verwandelte seinen Gesichtsausdruck.

„Ist das wahr? Ist das wirklich wahr?“

„Ja. Ich hatte schon seit einer Weile den Verdacht und gestern Abend habe ich einen Test gemacht. Er ist positiv. Am Montag habe ich einen Termin beim Arzt.“

„Ich kann es nicht glauben. Das ist einfach der Wahnsinn. Wir bekommen ein Kind.“ Simon sprang auf, reichte seiner Frau die Hände und wirbelte glücklich mit ihr durch die Küche. Jessica war die Frau seiner Träume und nun wurde ihre Liebe durch ein Kind gekrönt. Ein größeres Geschenk hätte es für ihn nicht geben können.

Als er endlich inne hielt, legte er sanft die Hand auf den Bauch seiner Frau. „Es ist ein Wunder“, sagte er und küsste Jessica voller Leidenschaft. Danach kniete er vor ihr nieder und küsste den Bauch, der zwar noch flach war, aber bereits ein winziges Wesen sicher in sich beherbergte.

„Hallo, kleines Wesen. Hier spricht dein Papa. Wir freuen uns auf dich.“

Jessica war gerührt von Simons liebevollem Verhalten. Sie hatte zwar gewusst, dass Simon ein liebevoller Vater werden würde, aber seine Reaktion überraschte sie dennoch.

Simon sah zu Jessica auf. „Wenn wir nicht schon verheiratet wären, würde ich dir jetzt einen Antrag machen.“

„Und ich würde Ja sagen.“

Er stand wieder auf und küsste Jessica erneut. „Ich liebe dich über alles.“

„Ich liebe dich auch.“

Sie sahen sich tief in die Augen und es lag eine Liebe zwischen ihnen, die durch nichts auf der Welt zu zerstören war.

„Wir sollten jetzt essen, bevor es kalt wird“, meinte Jessica.

Simon war sich nicht sicher, ob er noch etwas essen konnte, denn sein Bauch war mit Liebe und Vorfreude gefüllt. Er hatte das Gefühl das Glück breitete sich gerade in seinem ganzen Körper aus und erreichte jeden kleinsten, entlegenen Winkel. Trotzdem ließ er sich wieder am Tisch nieder und sah zu wie Jessica die Teller mit Essen füllte.

„Mit einer derartigen Überraschung habe ich nicht gerechnet.“

„Ich bin froh, dass du dich freust.“

„Und wie ich mich freue. Ich kann es kaum erwarten unseren Sohn oder unsere Tochter das erste Mal im Arm zu halten.“

„Das wird noch eine Weile dauern.“

„Das macht nichts. Ich weiß ja, dass der Moment kommt und ich werde ihm von nun an jeden Tag entgegen fiebern.“

 

4

2023

 

Simon sah die Szene noch heute vor sich. Der Tag, an dem er nach Hause gekommen war und von der Schwangerschaft erfahren hatte, fühlte sich in seinem Gedächtnis so an, als sei es erst gestern geschehen. Und nun schien sich sein Leben in einen Alptraum zu verwandeln. Alles woran er geglaubt hatte, war vielleicht nichts anderes gewesen als eine große Lüge.

Gerade war er mit Jule auf dem Weg zu Waldemar. Er hatte Jule gerade vom Reiten abgeholt, sie war müde und schlecht gelaunt.

„Ich mag aber nicht da hin“, beschwerte sie sich. „Marlon ist doof. Ich mag nicht mit ihm spielen.“

„Wir bleiben nicht lange“, versprach Simon. „Ich muss nur kurz etwas mit Waldemar besprechen.“

„Und warum muss ich mit?“

„Weil es zu umständlich wäre dich zuerst nach Hause zu fahren.“

Ein paar Minuten später parkte Simon vor Waldemars Haus. Jule war immer noch beleidigt und ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich an, dass sie nicht hier sein wollte.

„Auf dem Rückweg halten wir an der Bäckerei und du darfst dir dort etwas aussuchen“, versuchte Simon es mit Bestechung.

„Was ich will?“, fragte Jule.

„Von mir aus“, gab er nach.

Wahrscheinlich würde er deswegen Stress mit Jessica bekommen, die es nicht mochte, wenn Jule zu viel Süßes aß, aber er wusste sich gerade nicht anders zu helfen.

Mit etwas besserer Laune ging Jule mit ihrem Vater auf den Eingang des Hauses zu. Waldemar hatte schon auf sie gewartet, denn er öffnete die Tür, bevor Simon klingeln konnte.

„Hallo, ihr zwei. Kommt rein!“

Sie traten über die Schwelle.

„Marlon ist oben“, wandte sich Waldemar an Jule. „Magst du zu ihm hoch gehen?“

Jule warf ihrem Vater einen bitterbösen Blick zu, bevor sie die Treppe nach oben stieg.

„Schlechte Laune, was?“, stellte Waldemar fest.

„Ganz übel“, bestätigte Simon.

„Komm mit!“, forderte Waldemar seinen Kumpel auf. „Wir müssen uns beeilen, bevor Melanie von der Arbeit kommt. Sie darf nichts merken.“ Er führte Simon ins Wohnzimmer.

„Wie viel Zeit haben wir noch, bis deine Frau nach Hause kommt?“

„Sie hat in einer halben Stunde Feierabend, wollte aber noch einkaufen.“

„Gut, dann sollten wir uns wirklich beeilen. Womöglich überlegt sie sich das mit dem Einkaufen nochmal. Frauen haben ein untrügliches Gespür für Heimlichkeiten aller Art.“

„Du sagst es, Mann. Wir sollten keine Zeit verlieren.“

Die Tests lagen bereits auf dem Wohnzimmertisch bereit.

„Ich habe mir die Gebrauchsanweisung schon durchgelesen. Es ist eigentlich ganz einfach.“

Waldemar und Simon ließen sich auf dem Sofa nieder. Waldemar reichte Simon ein Stäbchen mit einem wattierten Kopf. „Du musst damit an deiner Mundschleimhaut entlang reiben, am besten an der Wange.“

„Das sollte nicht allzu schwierig sein.“

„Dann los!“

Simon und Waldemar stocherten eine Weile mit den Stäbchen in ihren Mündern herum.

„So, das sollte reichen“, meinte Waldemar. Er reichte Simon ein Glasröhrchen. „Da stecken wir nun das Stäbchen rein.“

„So, der erste Teil wäre erledigt“, sagte Simon, als sie die Teststäbchen sicher untergebracht hatten.

„Dann folgt nun Teil 2. Lass uns nach oben zu den Kindern gehen.“

Waldemar ging voraus. Er schien sich seiner Sache sicher zu sein. Simon graute vor dem Moment, wenn Jule erfuhr, dass sie einen Test machen musste. Sie war sowieso schon schlecht drauf und der Test trug sicher nicht dazu bei, ihre Laune zu verbessern. Da musste er im Anschluss in der Bäckerei ordentlich was springen lassen, um sie wieder zu versöhnen.

Sie stiegen die Treppe nach oben und gingen ins Kinderzimmer. Jule spielte mit Waldemars Tochter Mathilda. Sie kämmten gerade zwei Barbiepuppen die Haare, um sie herum lagen Klamotten verstreut, die sie den Puppen wahrscheinlich noch anziehen wollten. Marlon saß auf dem Bett und zerlegte eine Legofigur in kleine Einzelteile.

„Kinder, die Schule hat angerufen und uns gebeten einen Corona Test zu machen“, rückte Waldemar gleich mit der Sprache heraus.

„Ich dachte, Corona ist vorbei“, sagte Jule. Simon hätte seinen kleinen Finger dafür verwettet, dass Jule genau das sagte. Sie war klug und ließ sich nicht so einfach hinters Licht führen.

Waldemar geriet ins Straucheln. Mit Widerstand hatte er offenbar nicht gerechnet.

„Wir müssen uns nur heute testen“, kam Simon seinem Freund zu Hilfe.

„Und wenn ich nicht mag?“, sagte Marlon gelangweilt.

„Dann darfst du morgen nicht zur Schule.“

„Cool.“ Die Aussicht fand Marlon sehr gut und Waldemar wurde klar, dass er in die Falle getappt war. Er hatte das Thema Corona sowieso nie so ernst genommen und das hatten seine Kinder natürlich auch mitbekommen.

„Manche Dinge müssen eben einfach gemacht werden“, sagte Waldemar. Er klang schon ein bisschen verzweifelt. „Ihr bekommt danach Kekse. Ist das ein Deal?“

„Ich möchte aber lieber ein Eis“, verhandelte Marlon.

„Na gut, von mir aus. Dann bekommst du eben ein Eis.“

Vermutlich hätte Waldemar in diesem Moment alles versprochen. Simon musste schmunzeln. Bestechung klappte bei Kindern eben immer wieder und egal wie oft man sich schwor sie nicht anzuwenden, musste man dennoch in so manchen Situationen darauf zurückgreifen. Manchmal sah man eben keinen anderen Ausweg.

„Dann kommt mal her, Kinder. Wir machen schnell den Test.“

Marlon stieg vom Bett herunter und Jule und Mathilda ließen ihre Barbies liegen, um Waldemars Aufforderung nachzukommen.

„Mund auf!“, befahl Waldemar.

Simon fühlte sich abgrundtief schlecht, als er die Speichelprobe bei seiner Tochter nahm. Was war er bloß für ein Vater? Er setzte seine Tochter diesen Strapazen aus, hinterging obendrein noch seine Frau. Es war nicht richtig ihr so viel Misstrauen entgegen zu bringen. Waldemar hatte ihn da in eine Sache mit hinein gezogen, mit der er eigentlich nichts zu tun haben wollte. Doch nun war es zu spät einen Rückzieher zu machen.

Ein paar Sekunden später hatten sie die Proben aller drei Kinder.

„Wollt ihr mit runter kommen oder soll ich euch die Kekse und das Eis hoch bringen?“

„Ich komme mit!“, sagte Marlon. „Du vergisst es sonst wieder.“ Er folgte den Erwachsenen aus dem Kinderzimmer. Jule und Mathilda hatten offenbar keine Lust mitzukommen, denn sie schenkten wieder ihren Puppen ihre Aufmerksamkeit.

Im Erdgeschoss angekommen überreichte Waldemar Marlon die versprochenen Kekse und drei Eis am Stiel. Er strahlte wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum.

„Bring das Eis schnell nach oben, bevor es schmilzt.“

Das ließ sich Marlon nicht zweimal sagen. Er flitzte aus der Küche, bevor sein Vater es sich anders überlegen konnte.

„Ich fühle mich richtig mies“, gestand Simon seinem Freund.

„Warum?“

„Weil ich meine Frau hintergehe und ihr nicht vertraue.“

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, heißt es doch immer. Du tust das Richtige. Du willst bloß Gewissheit. Das kann dir niemand vorwerfen.“

Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück und steckten die Teststäbchen in die dazu gehörigen Behälter.

„So, das hätten wir. Ich bringe das gleich morgen zur Post.“

„Wie lange dauert es, bis wir die Ergebnisse bekommen?“

„Nur ein paar Tage. Ich rufe dich sofort an, wenn die Ergebnisse da sind. Magst du was trinken? Ich habe Bier im Kühlschrank.“

„Für ein Bier ist immer Zeit.“

„Meine Worte“, sagte Waldemar lachend. „Ich hol uns schnell eins.“ Er eilte in die Küche und kehrte kurz darauf mit zwei Flaschen Bier zurück, von denen er eine Simon reichte.

„Prost, Kumpel.“

„Prost.“

Sie nahmen beide einen kräftigen Schluck und leerten fast die halbe Flasche.

„Hast du dir eigentlich mal Gedanken darüber gemacht, was du machst, wenn ein Kind nicht von dir ist oder womöglich beide?“, fragte Simon.

„Nachgedacht habe ich schon darüber, aber ich habe mich noch nicht entschieden, was ich dann mache. Und du?“

„Ich weiß es nicht. Es wäre schon ein Schlag ins Gesicht, wenn sich herausstellt, dass Jule nicht meine Tochter ist. Ich könnte Jessica nicht mehr vertrauen.“ Simon trank noch einen weiteren Schluck.

„Ich drücke uns die Daumen.“

Auf einmal klingelte ein Handy. Simon zog es aus seiner Tasche und nahm das Gespräch an.

„Jessica, was gibt’s?“

„Wo bleibst du? Ich sitze hier und mache mir Sorgen.“

„Musst du nicht. Ich bin noch kurz bei Waldemar.“

„Das hättest du mir auch mal sagen können.“

„Tut mir leid. Ich bin quasi schon auf dem Sprung.“

„Gut. Das Essen ist inzwischen kalt.“ Jessicas Stimme klang immer vorwurfsvoller.

„Das kann man bestimmt wieder aufwärmen.“

„Kann man, aber ich warte damit lieber, bis ihr hier seid.“

„Wir machen uns sofort auf den Weg.“

Simon beendete das Gespräch.

„Dicke Luft?“, fragte Waldemar.

„Du kennst das doch, wenn Frauen mit dem Essen warten.“

„Oh ja, da werden sie besonders zickig, weil sie das Gefühl haben du würdigst ihre Arbeit in der Küche zu wenig.“

„Ja, genauso sieht es aus. Ich muss jetzt sofort los.“ Simon setzte die Bierflasche an und trank den Rest in einem Zug leer.

„Guter Zug, wie immer“, sagte Waldemar anerkennend.

„Übung macht den Meister.“

„Ich sag dann mal den Mädels Bescheid.“

„Bleib ruhig sitzen“, sagte Simon. „Ich hole Jule schnell.“ Er stand auf und machte sich auf den Weg nach oben.

Mathilda und Jule kämmten schon wieder ihre Barbies.

„Jule, kommst du? Wir müssen nach Hause.“

„Nicht jetzt, Papa. Wir sind beschäftigt.“

Simon musste einen Moment schmunzeln. Zuerst hatte Jule nicht her kommen wollen und nun wollte sie nicht mehr nach Hause.

„Ihr könnt beim nächsten Mal weiter spielen. Mama wartet auf uns.“

„Na gut. Genervt legte Jule die Barbie zur Seite.

„Tschüss, Mathilda.“

„Tschüss.“

„Papa, haben wir jetzt eigentlich Corona?“, fragte Jule.

„Nein, habt ihr nicht. Die Tests waren alle negativ.“

„Hab ich gewusst“, sagte Marlon. „Ich fühle mich auch gar nicht krank.“

„Tschüss, Marlon“, verabschiedete sich Simon.

Jule und Marlon hatten sich offenbar nichts zu sagen und Simon akzeptierte das. Freundschaften ließen sich nun mal nicht erzwingen. Waldemar erwartete sie bereits am Treppenabsatz.

„Na, Julchen. Hat das Eis geschmeckt?“

„Ja.“

„Mach’s gut, Waldemar. Wir hören voneinander“, sagte Simon zum Abschied.

„Tschüss, ihr zwei.“

Simon fuhr ziemlich rasant los. Doch nach einer Weile drosselte er sein Tempo. Jessica war sowieso sauer, da kam es auf ein paar Minuten mehr auch nicht mehr an. Er wollte jedenfalls keinen Strafzettel kassieren.

„Fahren wir jetzt zur Bäckerei?“, fragte Jule.

„Dafür haben wir jetzt keine Zeit.“

„Aber Papa, du hast es versprochen.“

Das hatte er tatsächlich und Versprechen musste man halten. Das predigte er Jule bei jeder Gelegenheit. Ihm blieb also nichts anderes übrig als sein Versprechen einzulösen. Heimlich hatte er gehofft, dass Jule nicht mehr daran denken würde, aber da hatte er sie gründlich unterschätzt.

Also hielt Simon notgedrungen auch noch an der Bäckerei. Jessica riss ihm den Kopf ab, wenn das so weiter ging.

„Wir müssen uns beeilen, Jule. Mama ist schon böse, weil wir zu spät sind.“

Sie betraten die Bäckerei und hatten Glück, weil nur zwei Kunden vor ihnen waren.

„Such dir schon mal was aus“, sagte Simon.

Jule betrachtete staunend die Auslage und konnte sich kaum entscheiden bei all den Leckereien.

„Darf ich einen Muffin haben?“, fragte Jule.

„Ja, darfst du.“

„Und einen Kirschkuchen“, sagte Jule.

„Okay, auch noch einen Kirschkuchen.“ Simon geriet immer mehr ins Schwitzen.

„Und ein Quarkbällchen.“

„Jule, jetzt ist es genug“, ermahnte Simon sie.

„Du hast gesagt, ich bekomme, was ich will.“

„Ja, das stimmt, aber wenn du so viel Süßes isst, bekommst du Bauchschmerzen.“

„Ich bekomme nie Bauchschmerzen von Süßigkeiten.“

„Genug jetzt, Jule.“

„Haben Sie sich schon entschieden?“, wandte sich die Verkäuferin lächelnd an Simon.

„Ja, wir nehmen einen Muffin, ein Stück Kirschkuchen und fünf Quarkbällchen und dann noch zwei Puddingteilchen.“ Letzteres nahm er für Jessica und sich selbst mit. Vielleicht konnte er Jessica mit Naschereien ebenfalls wieder versöhnen.

Ein paar Minuten später saßen sie schon wieder im Auto. Jule hielt stolz die Tüte mit den Leckereien fest.

„Darf ich schon ein Quarkbällchen essen?“, fragte Jule.

„Nein, zuerst gibt es Abendbrot.“

„Och man.“

„Wir sind gleich zu Hause. Dann gibt es Abendbrot und danach kannst du deinen Kuchen essen“, erklärte Simon.

„Hast du schlechte Laune, Papa?“

„Nein, ich bin nur etwas gestresst, aber es hat nichts mit dir zu tun. Erzähl mir mal vom Reiten. Welches Pony hast du geritten?“ Simon wechselte geschickt das Thema.

„Ich durfte auf Sunshine reiten“, berichtete Jule.

„Das ist doch das Pferd für die guten Reiter.“

„Ja, Margitta hat gesagt, ich darf bald auch springen.“

„Das ist toll. Dafür braucht man viel Mut.“

„Sylvie hat mich geärgert, weil ich kein eigenes Pferd habe.“

„Das ist nicht nett“, meinte Simon.

„Sie sagt, wir sind arm. Stimmt das, Papa?“

„Nein, das stimmt nicht.“ Simon spürte, wie die Wut in ihm hochstieg. Kinder konnten manchmal so grausam untereinander sein. „Du bist viel besser als Sylvie“, sprach Simon weiter. „Schau mal, Sylvie reitet nur noch auf ihrem eigenen Pferd und kann irgendwann nichts mehr dazu lernen, weil sie ihr Pferd gut kennt. Du hingegen reitest ganz viele verschiedene Pferde und wirst deshalb immer besser. Eines Tages reitest du besser als diese Sylvie und dann kannst du über sie lachen.

„Ich hab dich lieb, Papa.“

„Ich hab dich auch lieb, mein Schatz.“

Simons Augen füllten sich mit Tränen. Er blinzelte ein paar Mal heftig, um sie zu vertreiben, damit Jule nichts merkte. Er fühlte auf einmal eine unglaubliche Liebe für seine Tochter. Sie war sein ein und alles und ihm wurde in dem Moment klar, dass er sie unter keinen Umständen verlassen konnte, auch wenn der Test ergab, dass er nicht ihr leiblicher Vater war. Er hatte sie die letzten acht Jahre als seine Tochter aufgezogen, das ließ sich nicht einfach auslöschen und außerdem besaß Jule die Unschuld eines Kindes. Wenn Jessica tatsächlich einen Fehler gemacht hatte, durfte Jule auf keinen Fall darunter leiden. Für Jule wollte er weiterhin da sein, aber wenn sich herausstellte, dass Jessica ihn betrogen hatte, war ihre Ehe für ihn beendet.

Die Heimfahrt verlief glücklicherweise ohne weitere Zwischenstopps, trotzdem waren sie viel zu spät.

Jule trug stolz die Tüte vom Bäcker in die Küche. Jessica stand am Herd und rührte in einem Topf. Sie hatte Simon und Jule anscheinend vom Fenster aus gesehen.

„Guck mal, Mama“, sagte sie überglücklich. „Papa hat mir Kuchen gekauft.“

„Toll.“ Sie warf Simon einen bösen Blick zu.

„Ich habe uns allen etwas zum Nachtisch mitgebracht“, versuchte Simon die Wogen zu glätten.

„Das gibt es aber erst nach dem Essen“, richtete Jessica das Wort an Jule.

„Deswegen heißt es ja Nachtisch“, sagte Simon.

Ein weiterer böser Blick traf ihn. Simon versuchte, sich nicht zu sehr davon beeindrucken zu lassen. Nach dem Essen sah die Welt bestimmt schon wieder anders aus. Vielleicht war Jessica bloß ein bisschen unterzuckert. Wenn sie erstmal was gegessen hatte, wirkte sich das ganz sicher auch auf ihre Laune aus.

„Jule, gehst du bitte ins Bad und wäschst deine Hände?“

„Ja, Mama.“ Sie schlurfte lustlos aus der Küche.

„Was soll das?“, zischte Jessica Simon zu. „Du weißt, ich mag es nicht, wenn sie zu viel Süßes isst.“

„Ich wollte uns allen bloß mal was Gutes tun. Es ist keine böse Absicht.“

In dem Moment kam Jule zurück und sie konnten ihr Streitgespräch nicht fortführen.

Ein paar Minuten später saßen sie friedlich bei Tisch und ließen sich das Essen schmecken.

„Hattest du Spaß beim Reiten?“, fragte Jessica ihre Tochter.

Jule begann zu reden wie ein Wasserfall. Sie schwärmte ihrer Mutter von den Ponys vor und ließ auch die Intrigen der anderen Mädchen nicht aus. Simons Gedanken schweiften ab. Er hätte am liebsten sofort das Testergebnis an Ort und Stelle gezaubert. Wie sollte er die nächsten Tage bloß überstehen? Er konnte ja jetzt schon an nichts anderes mehr denken und die Proben waren nicht mal verschickt.

„Ist das wahr?“, vernahm er auf einmal Jessicas Stimme. Er dachte zuerst, sie unterhielt sich immer noch mit Jule. Doch dann rüttelte ihn jemand am Arm. „Hast du Jule wirklich getestet?“

„Ja“, gab Simon zu. Offensichtlich hatte Jule ihrer Mutter davon erzählt.

„Wie kommst du bloß dazu? Das hättest du mit mir absprechen müssen.“

„Wir waren zufällig gerade bei Waldemar, als der Anruf der Schule kam. Waldemar hatte noch ein paar Tests rum liegen. Da haben wir es eben gemacht.“

„Du weißt, dass ich das nicht gutheiße.“

„Ich doch auch nicht, aber wir hatten keine andere Alternative. Sie hatte das Stäbchen nur kurz im Mund.“

„Beim nächsten Mal rufst du mich bitte trotzdem vorher an.“

„Mache ich. Versprochen.“ Simon hoffte, dass Jessica es nun endlich gut sein ließ und tatsächlich ließ sie das Thema ruhen und öffnete stattdessen gemeinsam mit Jule die Tüte aus der Bäckerei.

Simon hatte keinen Appetit mehr, trotzdem würgte er eins von den Quarkbällchen hinunter. Er war an diesem Tag sehr erleichtert, als Jessica das Abendessen für beendet erklärte und sie mit Jule nach oben ging, um sie bettfertig zu machen. Simon übernahm den Haushalt. Er und Jessica waren ein sehr gutes Team und in vielerlei Hinsicht sehr gut aufeinander abgestimmt. Umso erschütternder war Simons Verdacht, den er ihr gegenüber hegte. Er hatte bisher immer geglaubt Jessica gut zu kennen, aber vielleicht hatte er sich auch in diesem Punkt geirrt.

 

5

2023

 

Ein paar Tage später befand sich Simon offiziell auf dem Weg zum Baumarkt, zumindest hatte er das seiner Frau so erzählt. Die Glühbirne im Bad hatte rein zufällig den Geist aufgegeben. Es musste ja niemals jemand erfahren, dass er ein wenig nachgeholfen hatte. Außerdem hatte er sich vorher vergewissert, dass auch keine Ersatzbirne mehr im Haus war. Somit hatte er einen offiziellen Grund nochmal weg zu fahren, denn in völliger Dunkelheit duschen und Zähne putzen war unzumutbar und da die meisten Frauen Baumärkte mieden wie der Teufel das Weihwasser, erfuhr Jessica nicht, dass er sich auch noch mit Waldemar traf. Er hatte ihn am Nachmittag kontaktiert, die Testergebnisse waren gekommen und sie wollten sie sich gemeinsam anschauen.

Simon spürte ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend. Die ständige Lügerei machte ihm schwer zu schaffen. Er wollte, dass es bald ein Ende hatte, denn noch nie zuvor hatte er seine Frau so hintergangen. Er hoffte, der Test bestätigte seine Vaterschaft, damit sein Leben wieder in geregelten Bahnen verlief.

Damit sein Schwindel nicht aufflog, musste er logischerweise tatsächlich zum Baumarkt fahren. Er raste durch die Gänge in die Lampenabteilung und fand nach einer Weile wonach er gesucht hatte. An der Kasse war zum Glück nicht viel los und er musste nur kurz warten. Trotzdem war er mal wieder viel zu spät, als er vom Parkplatz fuhr und sich auf den Weg machte zum vereinbarten Treffpunkt mit Waldemar.

Waldemar hatte vorgeschlagen sich an einem abgelegenen Ort zu treffen, wo sie ungestört sein würden. Schließlich trafen sie sich auf einem uralten Friedhof mitten im Wald. Die Grabsteine waren so verwittert, dass ihr Schriftzug nicht mehr zu erkennen war und teilweise waren sie mit Unkraut so zugewachsen, dass man aufpassen musste nicht aus Versehen über einen Grabstein zu stolpern. Es war ein gruseliger Ort, den sogar die vielen Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern mieden, die den Wald in großer Zahl bevölkerten und somit der ideale Ort für Waldemar und Simon.

Waldemar wartete bereits am Tor, als Simon eintraf.

„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hättest Schiss gekriegt.“

„Ich musste noch zum Baumarkt.“

Waldemar zog fragend die Augenbrauen hoch. „Was wolltest du denn da?“

„Eine Glühbirne besorgen.“

„Damit dir ein Licht aufgeht, oder was?“

„Ach man, frag nicht. Lass es uns lieber hinter uns bringen.“

„Dann suchen wir uns mal ein nettes Fleckchen.“ Waldemar stieß das Tor auf. Ein ohrenbetäubendes Quietschen erklang. „Schmieröl hättest du kaufen sollen.“

„Beim nächsten Mal denke ich dran“, erwiderte Simon. Ihm wurde immer mulmiger zumute und das lag nicht nur an der gruseligen Stimmung dieses Ortes. Ihm war schlecht. Er war nur noch wenige Minuten von der Gewissheit entfernt und er war sich gerade nicht mehr sicher, ob er es wirklich wissen wollte. Vielleicht sollte er einfach alles so belassen wie es war. Es hatte doch bisher gut funktioniert, warum sollte er das jetzt ändern? Leider gab es nun kein Zurück mehr. Waldemar würde ihn für einen Schlappschwanz halten, wenn er jetzt kniff.

Waldemar steuerte eine moosbewachsene Bank an und setzte sich vorsichtig darauf.

„Hoffentlich kracht sie nicht unter unseren Hintern zusammen.“ Er wackelte ein wenig hin und her. „Scheint zu halten.“

Simon ließ sich neben seinem Kumpel nieder. Waldemar griff in seine Tasche und nahm zwei Briefumschläge heraus, von denen er einen Simon reichte.

„Jetzt wird es ernst.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich es wirklich wissen will“, gestand Simon.

„Klar, willst du, Alter! Wofür haben wir die ganze Scheiße denn sonst gemacht?“

Simon starrte den Brief an. Es war ein unschuldig aussehender weißer Umschlag, sein Äußeres verriet absolut nichts über den Inhalt. Es hätte ebenso gut eine einfache Rechnung sein können oder Werbung.

„Auf drei öffnen wir die Briefe“, sagte Waldemar. „Eins, zwei… und drei.“ Waldemar riss den Umschlag auf, während Simon langsam die klebende Lasche ab knibbelte, um noch einige Sekunden Zeit zu gewinnen.

Waldemar hatte das Schreiben bereits aus dem Umschlag gezogen und las es sich durch. Simon hingegen atmete nochmal tief durch, bevor er ebenfalls das Schreiben aus dem Umschlag befreite und entfaltete. Er hörte wie Waldemar neben ihm erleichtert aufatmete.

„Gott sei Dank, es sind meine Kinder.“ Er griff sich ans Herz. „Mein Gott, das ist zu viel für meine Nerven.“ Er betrachtete seinen Freund neben sich. Simon glitt das Schreiben aus der Hand. Es segelte zu Boden und Simon sackte in sich zusammen.

„Was ist los, Alter?“ Waldemar bekam Panik. Hatte sein Freund einen Schock erlitten oder womöglich einen Herzinfarkt? Er rüttelte ihn an der Schulter. „Sag was, Alter! Na mach schon!“

„Ich bin nicht der Vater“, sagte Simon so leise, dass Waldemar glaubte, er habe sich verhört.

„Bitte, was?“, fragte er nochmal nach.

„Ich bin nicht der Vater“, widerholte Simon etwas lauter.

„Red keinen Scheiß, Alter.“ Waldemar klaubte das Schreiben vom Boden auf und suchte mit den Augen den entscheidenden Satz.