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Wenn sich die eigene Mutter als brutaler Serienmörder entpuppt
Kriminalkommissarin Amy Winter hat nur ein Ziel: in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der selbst ein hochangesehener Polizist war. Doch als sie ein Brief von Lillian Grimes, der psychopathischen Serienmörderin, erreicht, gerät ihr Leben völlig aus den Fugen. Die Verbrecherin, die seit Jahrzehnten für eine Reihe abscheulicher Morde hinter Gittern sitzt, ist Amys leibliche Mutter. Jetzt bietet sie Amy an, den Aufenthaltsort von drei ihrer Opfer zu verraten – aber nur, wenn sie ihr krankes Spiel mitspielt. Verfolgt von verschwommenen Erinnerungen an ihre Schwester, die ihr Leben opferte, um sie zu retten, beginnt für Amy ein Wettlauf gegen die Zeit, um die fehlenden Leichen zu finden. Aber was, wenn Grimes hinter den Gefängnismauern die Fäden noch fester in der Hand hält, als Amy dachte?
Erste Leser:innenstimmen
„Dieser Psychothriller bietet alles, was man sich wünschen kann: unvorhersehbare Wendungen, tiefgründige Charaktere und eine düstere Atmosphäre.“
„Caroline Mitchell versteht es meisterhaft, die innere Zerrissenheit und die moralischen Konflikte von Amy darzustellen.“
„Die bedrückende Stimmung und die ständige Bedrohung durch Lillian machen diesen Thriller zu einem echten Pageturner!“
„Ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel!“
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Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2024
Kriminalkommissarin Amy Winter hat nur ein Ziel: in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der selbst ein hochangesehener Polizist war. Doch als sie ein Brief von Lillian Grimes, der psychopathischen Serienmörderin, erreicht, gerät ihr Leben völlig aus den Fugen. Die Verbrecherin, die seit Jahrzehnten für eine Reihe abscheulicher Morde hinter Gittern sitzt, ist Amys leibliche Mutter. Jetzt bietet sie Amy an, den Aufenthaltsort von drei ihrer Opfer zu verraten – aber nur, wenn sie ihr krankes Spiel mitspielt. Verfolgt von verschwommenen Erinnerungen an ihre Schwester, die ihr Leben opferte, um sie zu retten, beginnt für Amy ein Wettlauf gegen die Zeit, um die fehlenden Leichen zu finden. Aber was, wenn Grimes hinter den Gefängnismauern die Fäden noch fester in der Hand hält, als Amy dachte?
Deutsche Erstausgabe Oktober 2024
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-408-0 Hörbuch-ISBN: 978-3-98998-450-9
Copyright © 2018, Copyright © 2018 Caroline Writes Ltd Titel des englischen Originals: Truth and Lies
Copyright © 2018 Caroline Writes Ltd
Übersetzt von: Marijke Kirchner Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © palinchak shutterstock.com: © karamysh, © Alexey_M Korrektorat: Katrin Ulbrich
E-Book-Version 04.03.2025, 11:30:50.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
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Wenn sich die eigene Mutter als brutaler Serienmörder entpupptDer atemraubende erste Band der Thriller-Reihe über menschliche Abgründe
Für Jessica: Weil kleine Menschen rocken. x
„Eine Lüge verdirbt tausend Wahrheiten.“ Afrikanisches Sprichwort
29. Oktober 1987
Lillian Grimes, eine Hälfte des tödlichen Bestien von Brentwood-Duos, wurde vom Chelmsford Crown Court wegen der Ermordung von neun jungen Frauen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Richter Michael Devine wies die Serienmörderin, die jede Beteiligung an den Taten bestritt, darauf hin, dass sie eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstelle und niemals freigelassen werden dürfe. Die Leichen von sechs jungen Frauen im Alter von dreizehn bis dreiundzwanzig Jahren wurden auf dem Gelände der Newbold Street 13 in Brentwood gefunden, wo Lillian und ihr Mann Jack Grimes seit 1972 lebten. Darunter befanden sich auch die Überreste ihrer Tochter Sally-Ann Grimes, die hinter einem mit Brettern verkleideten Kamin entdeckt wurden.
Die 34-jährige Mutter von vier Kindern beteuerte wiederholt ihre Unschuld, als sie trotz erdrückender Beweise gegen sie verurteilt wurde. Beweise, die nach Ansicht ihres Anwalts von der Polizei manipuliert wurden, um eine erfolgreiche Anklage zu erreichen. Die Angeklagte wird gegen das Urteil Berufung einlegen.
Lillians Ehemann Jack, 39, wurde zwei Monate vor dem Prozess tot in seiner Zelle aufgefunden, wo er sich Berichten zufolge darauf vorbereitete, den Aufenthaltsort von drei der Opfer preiszugeben. Den Behörden zufolge wurde sein Tod durch ein nicht diagnostiziertes Herzleiden verursacht.
Jack und Lillian Grimes wurden nach einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit dem Verschwinden der fünfzehnjährigen Sally-Ann Grimes festgenommen. Die übrigen drei Kinder des Paares wurden in die Obhut des Jugendamts übergeben.
Die Geschworenen, bestehend aus fünf Männern und sechs Frauen, wurden vor Gericht mit erschütternden Beweisen konfrontiert. Sie erfuhren unter anderem, wie das Ehepaar acht der neun Opfer in ihr Haus lockte, bevor es ihnen grausame sexuelle Gewalt antat. Anschließend wurden sie brutal ermordet und im Garten, in den Hohlräumen der Wände und unter den Dielenbrettern ihres Hauses verscharrt. Lillian Grimes behauptete, der Tod von Sally-Ann sei ein Unfall gewesen, doch die gerichtsmedizinischen Untersuchungen ergaben, dass sie einen schweren Schlag auf den Kopf erhalten hatte. Die Geschworenen wiesen Grimes’ Unschuldsbeteuerungen zurück, als sie zu den Todesfällen befragt wurden, und befanden sie nach elfstündiger Beratungspause für schuldig.
Der ermittelnde Kommissar, Detective Chief Inspector Robert Winter von der Polizei Essex, erklärte, dass weitere Ermittlungen zum Verbleib der drei Opfer, deren Leichen noch nicht gefunden wurden, im Gange seien.
1986
Es war das ungewöhnliche Kratzen, das Poppy an einen Ort brachte, der sonst für sie tabu war. Sie rümpfte die Nase, als ihre nackten Füße die kalten Stufen berührten, und wünschte sich, sie könnte den moderigen Duft abschütteln. Sie wollte nicht zu viel über die Spinne nachdenken, die die riesigen Spinnweben an den Dachsparren des Kellers gewebt hatte. Poppy schaute sich im Raum um und betrachtete die abgeblätterte Farbe und die Kartons, die sich an den Wänden stapelten.
„Hammy“, rief sie leise und ihr Herz hämmerte aufgebracht in ihrer Brust. Sie hatte ihren Schlafsaft weggeschüttet, weil sie keine Albträume haben wollte, die er normalerweise verursachte. Doch als sie im Bett lag und nicht schlafen konnte, hatte sie nicht aufhören können, an ihr Haustier zu denken, das ausgebüxt und allein in der Dunkelheit unterwegs war. „Hammy“, rief sie ein zweites Mal leise, während ihre Füße immer kälter wurden.
Im schummrigen Licht schlich sie sich auf Zehenspitzen an der alten Matratze vorbei. Sie wusste nicht, warum ihr Vater ein Bett in dem Raum brauchte, in dem er arbeitete, aber die roten Flecken machten ihr Angst. Als sie die Kellertreppe wieder hinaufschaute, fragte sie sich, ob ihr Hamster es wirklich allein bis hierher geschafft haben konnte. Scharren … Kratzen … Knarzen … die Geräusche kamen von einer großen Holztruhe in der Ecke des Raumes, aber für einen Hamster war es sehr laut. Poppy versteifte sich. Wenn es nicht Hammy war, der dieses Geräusch machte, was war es dann?
„Was machst du hier unten?“, rief Sally-Ann vom oberen Ende der Treppe aus und ließ Poppy zusammenzucken. Ihre ältere Schwester war eher wie eine Mutter für sie, die sich um sie kümmerte, wenn Mama und Papa nicht da waren. Aber heute schienen Sally-Anns Augen so groß wie Unterteller zu sein, und die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
Poppy biss sich auf die Lippe. Sie hatte die Regeln gebrochen. Jetzt steckte sie in großen Schwierigkeiten. „Hammy ist entwischt“, flüsterte sie und zeigte auf die Ecke des Raumes. „Er ist da drüben.“ Aber das Kratzen hatte aufgehört und war durch ein leises Stöhnen ersetzt worden. Poppy zog die Ärmel ihres My Little Pony-Nachthemds über ihre Hände und krallte ihre Finger in den Stoff, während sie ihre Fäuste ballte. Am liebsten hätte sie sich den Daumen in den Mund gesteckt, aber das würde eine weitere Standpauke nach sich ziehen, und sie würde schon genug Ärger bekommen.
Sally-Anns Füße berührten kaum die Stufen, als sie zu ihr runterkam. „Das ist nicht Hammy“, flüsterte sie und blickte in Richtung des Lichtschachts am oberen Ende der Treppe und dann wieder zu Poppy. „Und du solltest nicht hier sein.“ Ihre Stimme quiekte, als eine Tür oben zuschlug. „Das ist Dad. Gott, wenn er uns hier erwischt, sind wir erledigt.“ Sie packte Poppy am Arm und zerrte sie zurück, um auf dem gleichen Weg zu fliehen, den sie gekommen waren. Aber es war zu spät. Schwere Schritte kamen den Flur hinunter und wurden immer lauter.
Poppys Fingernägel bissen in ihre Handflächen und sie spannte sich immer weiter an. Wenn Daddy sie hier unten erwischte, würde er sie mit seinem Gürtel hauen.
„Schnell, versteck dich“, flüsterte Sally-Ann und ihre Fingernägel bissen in die empfindliche Haut an ihrem Arm, als sie sie mit sich zog.
„Du tust mir weh“, jammerte Poppy und ihr kamen die Tränen. Eigentlich wollte sie sagen, dass sie Angst hatte: mehr Angst als jemals zuvor in ihrem ganzen Leben. Der ängstliche Blick ihrer Schwester verriet ihr, dass mehr als nur ein paar Hiebe auf sie wartete. Sie wusste, dass Sally-Ann Dinge gesehen hatte, geheime Dinge, von denen sie ihr nicht erzählen konnte. Die Schritte kamen immer näher. Ihr Vater war nur noch Sekunden entfernt. „Versteck dich hier drin“, keuchte Sally-Ann und schob ihre Hände unter Poppys Achseln, als sie sie in die Luft hob. „Nicht weinen. Gib keinen Laut von dir, egal, was passiert. Hörst du? Egal, was passiert, sonst bist du auch dran!“
Poppy fand sich in einem Wäschekorb wieder, der zur Hälfte mit schmutziger Bettwäsche gefüllt war. Die Flecken hatten die gleiche Farbe wie die auf der Matratze: braunrot. Ihr Herz hämmerte, als sie sich in den kleinen Korb zwängte. Dann kam ihr ein Gedanke, der eigentlich zu schrecklich für eine Vierjährige war: Die getrocknete, blättrige Substanz war Blut. Sie unterdrückte ein Wimmern, als Sally-Ann sie mit einem Laken zudeckte und den Deckel wieder aufsetzte. Sie blinzelte ihre Tränen zurück und schob den Bettbezug etwas zur Seite, der sie bedeckte. Durch eine Lücke im Weidengeflecht konnte sie einen kurzen Blick auf ihren Vater erhaschen, der die Treppe hinunterging. Groß und breitschultrig, wirkte er wie ein Riese von einem Mann, als er einen Schluck aus der Flasche in seiner Hand nahm. Seine Mundwinkel verzogen sich, als er sich im Raum umsah, und Poppy betete, dass ihre Schwester rechtzeitig ein Versteck gefunden hatte. Sie konnte nicht an das Blut auf den Laken denken und daran, warum ihr Vater die Truhe aus der Zimmerecke über den kalten Steinboden zog. Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, aber es war bösartig. Ihr Kinn bibberte, als sie stumm einatmete und sich wünschte, sie wäre wieder in ihrem warmen Bett.
Als ihr Vater einen nackten und blutverschmierten Körper aus der Truhe hob, presste Poppy erst eine, dann die zweite Hand auf ihren Mund, um ihren Schrei zu unterdrücken. Doch Sally-Ann war nicht so gut darin, ihren eigenen Rat instinktiv zu befolgen, und Poppy zuckte zusammen, als sie das ängstliche Einatmen ihrer Schwester hörte. Die Reaktion ihres Vaters kam augenblicklich. Er ging hinter die Kartons, zog Sally-Ann an ihren Zöpfen heraus und hob die Flasche auf, die er auf dem Boden stehengelassen hatte. Wutentbrannt zerrte er an ihrem Haar und hob die Flasche in die Luft.
Poppy schloss ihre Augen ganz fest und steckte sich die Finger in die Ohren, um die Geräusche auszublenden. Das konnte nicht wahr sein. Das konnte nicht passieren. Warmer Urin rann an ihrem Schenkel hinab und begleitete das kalte Gefühl der Angst.
Poppy wusste, dass dieser Moment nur allzu real war. Unwillkürlich öffnete sie die Augen und sah ihre Mutter die Treppe hinunterkommen. „Was hast du getan?“ Lillian schnappte entsetzt nach Luft und sah sich um.
Poppy schluckte ihre Tränen hinunter und folgte dem Blick ihrer Mutter, um Sally-Ann zu sehen, die zusammengesunken und leblos vor den Stufen zur Kellertür lag.
September 2018
Der Regen prasselte unaufhaltsam auf die schwarzen Regenschirme hinab, doch vermochte das Schluchzen der Trauernden nicht zu übertönen. Amy beneidete sie um ihre Tränen und senkte ihr Haupt als Zeichen des Respekts. Die Met-Kollegen ihres Vaters, die nun auch die ihren waren, hatten ihn stolz gemacht. Sie beugte sich vor, nahm eine Handvoll feuchter Erde und warf sie auf den Sarg. Darauf folgten ein paar Rosen, und Amy fand Trost in der Wand aus verregneten Polizeiuniformen, die sich versammelt hatten, um ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Sie konnte nicht verhindern, dass sie sich versteifte, als ihr Bruder Craig seinen Arm um ihre Schulter legte. Er drückte sie kurz, zog sich aber sofort wieder zurück, woraufhin sie ihn mit einem entschuldigenden Halblächeln bedachte. Was für ein Freak war sie bitte? Unfähig, bei der Beerdigung ihres Vaters zu weinen, und jetzt nicht in der Lage, eine liebevolle Umarmung zu akzeptieren. Sie zog ihre Handschuhe aus, steckte sie in ihre Manteltasche und berührte die harten Kanten des 007-Schlüsselanhängers, den ihr Vater ihr sechs Monate zuvor geschenkt hatte. Sie räusperte sich und spürte, wie sich ihre Kehle zuschnürte, als sie ihren Kummer hinunterschluckte. Wer würde sich jetzt noch Bond-Filme mit ihr ansehen?
***
Nur vierundzwanzig Stunden nach der Beerdigung fand Amy sich im Ledersessel in Dougie Griffiths Bungalow wieder. Es war der Sessel, in dem ihr Vater gesessen hatte, wann immer er in den letzten acht Jahren einmal pro Woche seinen Ex-Partner besucht hatte.
Amys graue Augen huschten über die Fotos auf dem Kaminsims, auf denen Dougies gesamte Lebensgeschichte zu sehen war: ein verwackeltes Foto seiner Eltern, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus Jamaika ausgewandert waren, die Wohnung im Osten Londons, in der Dougie aufwuchs, und ein Bild von seinem ersten Schultag. Das nächste Foto zauberte Amy ein Lächeln ins Gesicht, als sie Dougie an seinem ersten Tag in Polizeiuniform betrachtete, seinen Afro unter dem Helm plattgedrückt, die Brust vor Stolz geschwollen. Nachdem er Amys Vater bei der Polizei in Essex kennengelernt hatte, waren sie zusammen zur Met gewechselt. Doch ihre Arbeitsbeziehung war kurz, weil Dougie so schlimm verletzt wurde, dass er an den Rollstuhl gefesselt wurde. Amys Blick fiel auf das letzte Bild, auf dem Dougie und ihr Vater mit erhobenen Gläsern in einem Pub ihre letzte Festnahme feierten. Es war ihr unbegreiflich, wie ein Herz, das so heftig für die Gerechtigkeit schlug, ohne Vorwarnung stillstehen konnte und sie der Möglichkeit beraubte, sich zu verabschieden. Amy seufzte. Ein so starker Geist wie der ihres Vaters konnte sich nicht einfach in Luft auflösen. Irgendwo musste es einen Teil von ihm geben, der sie zum Weitermachen aufforderte.
„Ich würde dir ja sagen, dass du nach Hause gehen sollst, aber das wäre wohl reine Zeitverschwendung“, riss Dougies Ostlondoner Akzent sie aus ihren Gedanken.
„Danke“, brummte Amy, nahm einen Schluck von dem heißen, süßen Tee und schenkte ihm ein angespanntes Lächeln. „Du weißt, wie sehr Dad seine Traditionen liebte. Ich werde diese nicht brechen.“
Dougie manövrierte seinen Rollstuhl fachmännisch neben sie, ohne einen Tropfen Tee zu verschütten, der auf dem Tablett auf seinem Schoß balancierte. Diese kleinen Erfolge hatten lange auf sich warten lassen und ihr Vater hatte bei jedem einzelnen davon eine wichtige Rolle in Dougies Leben gespielt. Dougies Stimme war jetzt sanft, und in seinen honigbraunen Augen lag eine tiefe Sympathie.
„Sweetheart, dein Vater ist gerade gestorben. Es ist dein gutes Recht zu trauern. Fühle dich nicht verpflichtet, alte Traditionen weiterzuführen.“
„Ich fürchte, du wirst mit mir vorliebnehmen müssen, ob du nun willst oder nicht“, antwortete Amy und ihre Augen funkelten, während sie ihre Tränen zurückhielt. „Und glaub mir, ich mache das nicht aus Pflichtgefühl. Niemand kocht so guten Tee wie du.“
Dougie gluckste. „Wenn das so ist, steht meine Tür jederzeit offen.“ Er verstummte kurz und nippte an seinem Tee. „Wie lebst du dich bei deinem neuen Team ein? Hast du schon irgendwelche großen Fälle übernommen?“
Amy ließ sich entspannt in den Sessel zurücksinken – das Thema Arbeit war ihr sehr willkommen. Es war sicher. „Ich komme mit meinem DS gut zurecht. Kennst du ihn? Patrick Byrne? Er war mal mein Tutor. Hat ein paar Jahre mit Schusswaffen gearbeitet, bevor er zur CID wechselte. Dunkles Haar, um die fünfundvierzig …“ Es war nicht ungewöhnlich, dass Beamte im Laufe ihrer Karriere bei der Polizei verschiedene Aufgaben übernahmen.
„Paddy Byrne? Ja, ich kenne den Kerl. Mit ihm als Einsatzkoordinator wird dir an nichts fehlen.“
Amy nickte. Patrick ‚Paddy‘ Byrne war ihr engster Vertrauter unter den Kollegen, obwohl sie unterwegs ein ungewöhnliches Paar abgaben. Er war zehn Jahre älter und gute dreißig Zentimeter größer als sie, aber was Amy an Größe fehlte, machte sie durch ihren flinken Geist wett, und im Kampf gegen die Kriminalität waren sie ein beeindruckendes Team. „Der Rest des Teams scheint froh zu sein, mich an Bord zu haben, obwohl das mehr mit Dads Ruf zu tun hat als alles andere.“
„Du wirst dich schon noch beweisen.“ Dougie warf ihr einen wissenden Blick zu. „Wie gehts Craig? Ich konnte bei der Beerdigung nicht mit ihm reden.“
Wie sie war auch Amys Bruder an seinem achtzehnten Geburtstag zur Polizei gegangen. Aber da Craig fünf Jahre älter als sie war, hatte er einen erheblichen Vorsprung. Ihr Konkurrenzdenken sorgte für Reibereien zwischen ihnen, und er war erst kürzlich zum Detective Inspector der CID befördert worden. „Er ist früh aufgebrochen“, sagte sie, ohne ins Detail gehen zu wollen. Sie liebte ihn und wollte nicht hinter seinem Rücken schlecht über ihn reden.
Dougie schien zu spüren, dass sie sich unwohl fühlte, und wechselte das Thema. „Ich werde deinen Vater vermissen. Es wird nicht dasselbe sein ohne ihn.“
Amy leerte den letzten Schluck ihres Tees. Sie konnte sich vorstellen, wie Dougie und ihr Vater über alte Kriegsgeschichten redeten, während sie ein Pint zusammen tranken. Ein Schatten zog über ihr Gesicht bei der Aussicht, ihn nie wiederzusehen. Sie drehte sich zu Dougie um, und ihre Augen trafen die seinen. „Ich werde ihn stolz machen. Ich werde ihn nicht enttäuschen.“
„Er war immer stolz auf dich. Schau dir an, was du alles überwunden hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Du hattest nicht den leichtesten Start ins Leben, das steht fest.“
Amy stellte ihre leere Tasse auf dem Kaffeetisch ab und starrte ihn mit einer Mischung aus Neugier und Überraschung an. „Was meinst du?“
Dougie bewegte sich in seinem Stuhl und wandte seinen Blick ab. „Ignorier mich, ich bin ein rührseliger alter Mann. Lass mich uns lieber einen richtigen Drink holen und dann stoßen wir auf deinen Vater an.“
Amy wusste es besser, als ihm anzubieten, ihm zu helfen. Er würde auch ohne ihre Unterstützung an die Flasche jamaikanischen Rum im Küchenschrank kommen. Doch während er nach den Gläsern und dem Eis suchte, spürte sie, wie sie ein kalter Schauer überkam. Sie zog die Ärmel des warmen Wollpullovers über ihre Hände, den sie eine Stunde zuvor angezogen hatte. Sie ballte die Fäuste, konnte den plötzlichen Anflug von Angst, der sie durchfuhr, nicht einordnen. Überrascht von ihrer inneren Unruhe hielt sie den Atem an, als sie sich daran gewöhnte. Amy schüttelte die Hände aus und nahm dann das Glas mit Rum und Eis an, das ihr angeboten wurde, und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen.
„Auf deinen Vater.“ Dougie hob seinen Blick zur Decke, während er sein Glas hochhielt. „Und auf deine Zukunft.“
Amy stieß ihr Glas gegen Dougies, sodass es klirrte, während sie seine Worte wiederholte. Aber der kalte Schauer hatte ein seltsames Gefühl in ihr hervorgerufen. Eines, das ihr sagte, dass die Vergangenheit noch nicht mit ihr fertig war.
Die Gitterstäbe vor dem Fenster der Gefängniszelle waren kühl an Lillians Wangen. Es war achtundfünfzig Minuten her, seit sie die Sonne gesehen hatte. Sie lebte für diese Momente im Hof, wenn sie frische, saubere Luft einatmen konnte. Sie konnte immer noch den Duft des Regens riechen, obwohl sie es in diesen Tagen nicht wagte, die Augen zu schließen, wenn sie einatmete. Das letzte Mal, als sie es tat, erhielt sie einen Schlag in den Magen und mehrere Tritte gegen die Wirbelsäule, während sie zu Boden ging. Sie berührte die kahle Stelle an ihrem Hinterkopf und spürte, wie die neuen Haare ihre Fingerspitzen kribbelten. Es war eine von vielen Verletzungen, die sie in dieser Woche erlitten hatte. Die Wärter hatten ein Auge auf sie, aber der Personalabbau war spürbar. Die Beerdigung des Polizisten war der Auslöser für die Misshandlungen. Das und die dumme Kuh, die ihre Geschichte an die Presse verkauft hatte. Gladys Thompson hatte Lillian kaum gekannt, und doch hatten die Zeitungen die Nachricht von ihrer unheilbaren Krankheit und ihrem letzten Wunsch, ihr kleines Mädchen angemessen zu beerdigen, verschlungen. Lillian schnaubte. Wenn sie so eine großartige Mutter war, warum war ihre zwölfjährige Tochter dann allein auf der Straße herumgeirrt? Seit den Morden waren Jahrzehnte vergangen, doch selbst jetzt kam die Öffentlichkeit nicht darüber hinweg.
Die Schlägereien, die Zeitungsberichte und der ständige Strom von Hassbriefen machten ihr zu schaffen. Warum musste Jack sterben und sie mit diesem Schlamassel allein lassen? Es war der Stress seiner Verhaftung, der ihn dahingerafft hatte, und das gerade, als er auspacken wollte. Hatte er einen Anfall von Gewissensbissen bekommen oder wollte er die Orte, an denen die Leichen vergraben waren, im Austausch gegen einen besseren Deal preisgeben? Lillians Schweigen war ein Akt des Trotzes. Warum sollte sie der Polizei helfen, nach allem, was man ihr angetan hatte? Zumindest war es so gewesen – bis jetzt. Sie würde Gladys geben, was sie wollte, aber nur, weil es ihr passte. Sie drehte sich zu dem Tisch mit den spindeldürren Beinen um und strich mit der Hand über den Brief, den sie eine Stunde zuvor geschrieben hatte. Lillian hatte ihn dort liegen lassen, um die Worte auf sich wirken zu lassen, während sie sich in ihrem Kopf wiederholten. Als sie ihn ein letztes Mal las, wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte.
Liebe Amy,
ich weiß, dieser Brief wird ein Schock für dich sein. Deine Familie wird dir wahrscheinlich nicht die Wahrheit über deine Herkunft gesagt haben … oder darüber, dass du adoptiert wurdest. Ich möchte nicht den Rest meine Tage in dieser Gefängniszelle verleben, ohne dich noch einmal gesehen zu haben. Mein Name ist Lillian und ich bin deine leibliche Mutter. Die Person, die dir das Leben geschenkt hat.
Du warst erst ein paar Jahre alt, als du meinen Armen entrissen wurdest. Und jetzt sieh dich nur an. Ich weiß, dass du beim Lesen dieses Briefes alles, was ich behaupte, verwerfen willst. Vielleicht fühlst du dich angewidert oder willst alles leugnen. Es ist leichter, der Zukunft entgegenzusehen, wenn man glaubt, dass man von unbeflecktem Blut abstammt. Doch du hast nie den einfachen Weg gewählt, oder? Meine Poppy. Mein kleines Mädchen.
Tief in deinem Herzen kannst du mich nicht verleugnen, egal wie verhasst dir die Wahrheit auch sein mag. Mein Blut fließt durch deine Adern. Meines und das deines Vaters. Wir haben dich beide sehr geliebt, egal welche Lügen dir deine Adoptiveltern erzählt haben.
Ich weiß, dass du dich anfangs weigern wirst, mich zu besuchen, also bringe ich dich auf die einzige Art und Weise zu mir, die ich kenne. Es sind noch drei weitere Leichen da draußen begraben. Drei weitere Familien, denen du helfen kannst, Frieden zu finden. Ich werde dir helfen, sie zu finden. Aber lass mich nicht warten. Antworte innerhalb einer Woche, oder ich werde meine Geheimnisse mit ins Grab nehmen.
In Liebe
Lillian
Die frühe Morgensonne tauchte die Laufbänder in ein helles Licht, die in dem neuen Fitnessstudio in Reih und Glied angeordnet waren. Britney Spears motivierte die Trainierenden mit dem Beat von ‚Work Bitch‘, der aus den Lautsprechern dröhnte. Amy schnappte sich ein gewärmtes Handtuch von dem aufgerollten Stapel neben dem Wasserspender. Das Five Star Gym war eine große Verbesserung gegenüber den Geräten im Keller ihrer Eltern, wo in jeder Ecke Spinnen lauerten.
„Ich hatte nicht erwartet, dich heute zu sehen“, erklang die Stimme von Amys DCI, Hazel Pike. Sie klang heiser, was von ihrer Zigarettensucht herrührte, die sie sich abgewöhnt hatte, als das Rauchen am Arbeitsplatz verboten wurde.
„Warum nicht? Es ist Donnerstag. Wir trainieren immer donnerstags“, entgegnete Amy, ohne den wahren Grund für Pikes Besorgnis anzusprechen. Man hatte ihr angeboten, das Fitnessstudio außerhalb der offiziellen Öffnungszeiten zu benutzen, was sie in den letzten Monaten ausgenutzt hatte. Das Studio gehörte Pikes Sohn, und nur diejenigen, die in Pikes Gunst standen, durften es außerhalb der Geschäftszeiten kostenlos nutzen. Amy hatte die Kameradschaft genossen und auch den Einblick in das Privatleben ihres DCI.
„Du weißt, was ich meine“, sagte Pike, deren Augen so haselnussbraun waren wie ihr Vorname es vermuten ließ. Ihr gewelltes braunes Haar war oben lang geschnitten, hinten und an den Seiten kurz, ihre Figur kurvig, aber durchtrainiert. Schon so lange Amy sie kannte, nannte sie jeden beim Nachnamen und erwartete das Gleiche im Gegenzug. Für Amy war das kein Problem, aber Pike war nicht gerade der schönste Nachname.
„Dad würde wollen, dass ich dranbleibe.“ Das stimmte. Sie schöpfte Kraft aus ihren Arbeitsroutinen und Schichten, und solange sie ihren Verpflichtungen nachkam, fühlte sie sich, als wäre ihr nicht der Teppich unter den Füßen weggezogen worden.
„Wenn du dir sicher bist.“ Pike verdrehte die Augen, als die Musik zu einem fröhlichen Song von will.i.am wechselte. „Ich weiß nicht, warum wir uns diesen Quatsch anhören müssen. Was ist bitte an George Michael falsch? Er bringt mich immer zum Schwitzen.“
Amy lächelte und sah auf ihre Uhr. „Hast du Lust auf eine schnelle Runde auf dem Laufband, bevor wir boxen?“
Viele ihrer tieferen Gespräche fanden auf den Laufbändern statt, während sie nebeneinander herliefen. Pike sprach mühelos weiter, während Amy versuchte, mit ihren langen Schritten Schritt zu halten. Ohne Zeit zu verlieren, stellte sie das Laufband auf ihr übliches Tempo ein. Heute verspürte sie nicht den Drang zu reden, aber nach zehn Minuten begann Pike zu erzählen. Nach dem Tod ihres Vaters war es noch zu früh für Smalltalk, und da sie noch nicht wieder im Dienst war, wusste sie nicht, was sie sagen sollte.
„Wie geht es deiner Mutter?“, fragte Pike, nachdem sie Amy über ihr Leben zu Hause auf den neusten Stand gebracht hatte.
Arme Mum, dachte Amy. „Sie bleibt stark.“ Sie wandte ihren Blick ab, um von ihrer Notlüge abzulenken. Gestern Abend, als sie zur Tür hereingekommen war, hatte sie ihre Mum in ihrem Zimmer schluchzen gehört. „Wie läuft’s auf der Arbeit?“, fragte sie, um aus Respekt vor ihrer Mutter das Thema zu wechseln.
„Willst du das wirklich wissen?“ Hazels Füße trafen laut auf dem Laufband auf, aber sie kam kaum ins Schwitzen. Es gab nur noch wenige DCIs, da dieser Rang langsam ausgemustert wurde. Pike hatte das Glück, dass sie die Leiterin der Kriminalabteilung und dadurch unabdingbar war. Als solche war sie mehr mit dem administrativen Aspekt befasst als mit der Leitung mehrerer Ermittlungen.
Amy keuchte und tippte auf die Geschwindigkeitstaste, um sie noch eine Stufe höher zu schalten. „Ist es so schlimm?“
„Gladwell vertritt dich in deiner Abwesenheit. Du weißt ja, wie er ist. Er sagt nicht gern Nein.“
Der junge DI Andrew Gladwell war so hilfsbereit, dass ihr Team hin und wieder darunter litt. Amys Einheit war erst sechs Monate alt und wurde gebildet, um sich mit Spezialfällen zu befassen, die ein großes Medienecho hervorrufen könnten. Das war nach zu vielen negativen Schlagzeilen in der Presse notwendig geworden. Amy stöhnte bei dem Gedanken, dass ihre Abteilung in Unordnung geraten könnte. „Wir sind keine Wohltätigkeitsorganisation“, sagte sie und stellte sich vor, wie ihr Team bis zu den Ohren in Akten steckte, die eigentlich von der CID bearbeitet werden sollten.
„Wir haben es im Griff“, antwortete Hazel ruhig und rannte weiter. Aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht sagte etwas anderes. Amy kannte die Lücken in ihrem Pokerface. Sie zeigten sich in Form der tiefen Falte, der sich zwischen ihren Brauen bildete, wenn sie gestresst war.
„Ich komme zurück. Heute noch.“ Amy pumpte ihre Arme an ihren Seiten, während sie ihre Frustration aus ihren müden Gliedern verbannte. Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen, bevor sie Hazels Blick begegnete. Das war Motivation genug, um weiterzumachen.
„Es ist noch zu früh“, antwortete Hazel. „Aber wenn du willst, kannst du morgen auf eine Tasse Tee vorbeikommen. Das Führungsteam bittet um tägliche Berichte über unsere Fortschritte.“ Sie machte kurz Pause, um Luft zu holen. „Der Druck, unseren Wert zu beweisen, ist groß.“
Amy schaute auf das Display, als es piepte, um ihr mitzuteilen, dass sie ihr Ziel für heute erreicht hatte. Das Laufband verlangsamte sich automatisch und die beiden Frauen liefen im Gleichschritt nebeneinander her, während sie sich abkühlten. Das Bedürfnis, mehr herauszufinden, juckte wie ein Ausschlag auf ihrer Haut. Als das Laufband zum Stillstand kam, nahm sie ihr Handtuch und tupfte sich die Stirn ab. „Also … ähm … wegen der Arbeit.“
„Ich hätte nichts gesagt, wenn ich gedacht hätte, dass du dir Sorgen machen würdest“, sagte Hazel, durchquerte den Raum und steckte ihre Hände in ein Paar roter Boxhandschuhe.
„Ich mache mir keine Sorgen“, log Amy, die sich wünschte, sie hätte Hazels Verbindungen. Bis zu ihren privaten Trainingsstunden hatte sie sich damit begnügt, an dem alten Boxsack zu üben, der von der Decke des leeren Weinkellers ihrer Eltern hing. Das behelfsmäßige Fitnessstudio ihres Vaters war alt, aber funktionell, und Amy hatte ihre DCI überredet, es mit dem Boxen zu versuchen. Als sie die Pads anhob, stellte sie ihre Füße weit hüftbreit auf den Boden, um die Schläge einzustecken, die auf sie zuflogen. Ihr Bizeps spannte sich an und Amy nahm die Schläge mit einem kleinen Gefühl der Befriedigung hin. Ihre DCI konnte immer noch nicht so hart und schnell schlagen wie sie, egal wie fit sie war.
„Dein Ex war Journalist, nicht wahr?“, sagte Hazel und hielt inne, um ihre Handschuhe auszuziehen, als sie die Rollen tauschten. „Ich erinnere mich, dass dein Vater das mal gesagt hat. Da hast du sicher einen guten Einblick in ihre Arbeitsweise bekommen.“
„Das kann man wohl sagen.“ Amy versuchte, ihr Unbehagen zu verbergen, als Hazel ihr erzählte, was ihr Vater gesagt hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde nahm sie sich vor, ihn darauf anzusprechen, weil er zu viel erzählt hatte, doch dann erinnerte sie sich daran, dass sie das nicht mehr konnte. Sie atmete tief durch, hob ihr linkes Bein an und begann eine Routine aus Kicks und rechten Crosses, die Pike dazu brachten, einen Schritt zurückzutreten, um aus ihrer Reichweite zu kommen.
„Erinnere mich daran, dich nie zu verärgern“, meinte sie, bevor sie die Pads zum zweiten Mal anhob, wobei ihr ein Rinnsal Schweiß über das Gesicht lief.
Amy lächelte, bevor sie ihre Faust zurückzog und einen rechten Haken schlug. Mit gesenktem Kopf und erhobenen Armen ließ sie einige weitere folgen. Links, rechts, links, rechts, schlug sie zu, und ihre aufgestauten Emotionen fanden endlich ein Ventil. Sie drehte ihre Hüfte und ihren Fußballen und bewegte ihren Körper in Harmonie mit den Bewegungen, so wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte. Sie genoss das Gefühl der Kraft, als ihr Handschuh das Pad berührte. Der Tanz steigerte ihre Energie, bis Amy sich des Geruchs ihres eigenen Schweißes bewusst wurde.
„Ich werde gegen acht vorbeikommen“, sagte sie und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als die Session zu Ende war. „Mal sehen, wie das Team vorankommt.“
„Es ist noch zu früh“, sagte Pike wieder und tat es ihr gleich. „Geh nach Hause, wein dich aus. Mach eine Flasche Wein auf. Wir werden eine Weile ohne dich auskommen.“
„Aber ich werde das nicht“, sagte Amy ungewollt heftig. Sie hielt inne und schenkte ihr ein wässriges Lächeln. „Ich habe noch nie jemanden verloren.“ Obwohl es sich tief im Inneren wie eine Lüge anfühlte. Da waren die Erinnerungen, dunkel und gefährlich, in den hinteren Ecken ihres Geistes. In letzter Zeit wurde es immer schwieriger, sie in Schach zu halten. Sie hielt inne, um Luft zu holen, ihre Brust fühlte sich eng an. „Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Die Trauer … sie verzehrt alles. Das Einzige, was mich im Moment bei Verstand hält, ist die Arbeit.“
„Na gut, Winter, wie du willst“, brummte Pike. „Es ist leicht zu erkennen, woher du deinen Starrsinn geerbt hast!“
„Ich fasse das mal als Kompliment auf.“ Amy täuschte ein Lächeln vor. Sie wusste, dass Hazel ihren Vater vermisste. Das taten alle. Zur Arbeit zu gehen war der einzige Weg, um zu verhindern, dass ihr Kummer sie ganz verschlang.
Amy lächelte, als ihre Mutter einen mit Essen beladenen Teller vor ihr auf dem Tisch abstellte. Würstchen, Bacon, Pilze und Bohnen verströmten das süße Aroma, das für sie immer nach Heimat roch.
„Bist du sicher, dass du schon wieder arbeiten willst?“, sagte Flora und schenkte zwei Tassen Tee aus der Kanne auf dem Tisch ein. „Es ist doch erst ein paar Tage her.“
„Man muss dann am stärksten sein, wenn man sich am schwächsten fühlt“, zitierte Amy ihren Vater. „Außerdem brauchen sie mich. Dad hätte es nicht anders gewollt.“ Zögernd schlang sie ihre Finger um Messer und Gabel. Nach dem Training war das Letzte, was sie wollte, ein großes Frühstück. Ein schnüffelndes Geräusch unter dem Tisch verriet ihr, dass Dotty, ihr geliebter Mops, ihr nur allzu bereit helfen würde.
Floras Augen glitzerten bei der Erwähnung von Robert, und sie schluckte die Worte herunter, die ihr auf der Zunge lagen. Sie konnte noch nicht über ihn sprechen, ohne zu weinen.
Amy hatte noch keine einzige Träne vergossen. Ihre Unfähigkeit zu weinen hatte während ihrer Schulzeit für Belustigung bei ihren Mitschülern gesorgt und war ihr immer noch peinlich.
„Du brauchst auch nicht für mich zu kochen. Ich sollte mich um dich kümmern.“ Amy stach mit der Gabel in ein Würstchen und hielt es unter den Tisch, während ihre Mutter ihr den Rücken zuwandte. Lautes Schmatzen signalisierte, dass Dotty kurzen Prozess damit gemacht hatte. „Kommst du ein paar Stunden ohne mich zurecht?“
„Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, Winifred kommt später vorbei.“ Flora schloss das Küchenfenster, als Regentropfen gegen das Glas prasselten. Amy seufzte, als sie ihre Mutter musterte. Wie sie war sie klein, aber wo Amy Muskeln hatte, schwand Flora dahin. Das Angstgefühl war ein ständiger Begleiter im Leben ihrer Mutter gewesen und Roberts Tod hatte seinen Tribut gefordert. Sie wünschte, sie könnte sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles gut werden würde, aber ihre Wohnung unterzuvermieten, um zu ihrer Mutter zu ziehen, war das Beste, was sie im Moment für sie tun konnte. Gott weiß, dass ihr Bruder nicht in der Lage gewesen wäre, sein ausuferndes Sexleben zu opfern, um zu bleiben und sie zu trösten.
Zumindest kannte Flora viele ihrer Nachbarn von Royal Crescent, der geschwungenen Straße, in der sie in Holland Park wohnten. Es war unvorstellbar, dass das Stadthaus ihrer Eltern mehr als zwei Millionen Pfund wert war. Viele Häuser in der Straße waren in Wohnungen umgewandelt worden, aber einige waren noch in ihrem Originalzustand und an sonnigen Tagen teilten sich die Bewohner die Gemeinschaftsgärten. Für Amy war es kein großes Problem, wieder einzuziehen. Jedes Zimmer war hell und geschmackvoll eingerichtet, und im vierten Stock hatte sie ihren eigenen privaten Flügel. Sie sah über die Schulter ihrer Mutter zum Fenster. Es regnete immer noch. Heute würde sie mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Nachdem sie ein paar Baked Beans gegessen hatte, schob sie noch eine Scheibe Bacon unter den Tisch, bevor sie aufstand, um zu gehen.
„Gehst du, Liebes? Du hast dein Essen kaum angerührt.“
„Tut mir leid.“ Amy zuckte mit den Schultern. „Ich kann nach dem Training noch nicht so viel essen.“
„Dann ist es ja gut, dass es Dotty gibt!“, sagte Flora und ihre Augen leuchteten in Richtung des Mopses, der um ihre Beine herumtänzelte, um mehr zu bekommen.
***
Amy wurde auf dem kurzen Weg von der Fahrradgarage zu ihrem Büro viermal angehalten, bevor sie ihre Zugangsmarke gegen das Sicherheitspad an der Tür drückte. Nachdem sie die Beileidsbekundungen ihrer Kollegen anstandslos entgegengenommen hatte, setzte sie ihren Weg mit einer gelassenen Miene fort, die über die emotionalen Turbulenzen hinwegtäuschte, mit denen sie innerlich kämpfte. Sie atmete tief durch, zog ihre Schultern zurück und hob ihr Kinn an, bevor sie durchs Gebäude schritt. Sie trug ihre übliche Uniform – bestehend aus gestärktem weißem Hemd, anthrazitfarbenem Anzug und Lederstiefeln, die sie noch ein paar Zentimeter größer machten. Ihr Haar war geglättet und die Spitzen ruhten auf ihren Schultern, ihr Make-up hatte sie nur leicht aufgetragen. Alles, was sie wollte, war, etwas Normalität in ihren Tag zu bringen. Das erste Gesicht, das sie sah, war das von DS Paddy Byrne, der einzigen Person bei der Polizei, die sie je an ihrem Tiefpunkt gesehen hatte. Nachdem sie die ersten Jahre ihrer Karriere unter seinen Fittichen verbracht hatte, freute sie sich, ihn in ihrem Team wiederzufinden. Aber während Amy sehr organisiert war, war Paddy alles andere als das. An seinem Hals klebte noch immer ein Stück blutverschmiertes Toilettenpapier von einem Rasierunfall. Sein Hemd war zwar gebügelt – wahrscheinlich nicht von ihm –, aber seine zerknitterte marineblaue Anzugsjacke sah aus, als hätte sein Hund über Nacht ein Bett daraus gemacht.
„Bist du jetzt Hellseher?“, fragte sie und nahm dankbar die Tasse Kaffee entgegen, die er ihr hinhielt. Die James-Bond-Tasse war ein Geschenk ihres Vaters gewesen – ein weiteres 007-Erinnerungsstück.
„Ich habe dich draußen reden gehört.“
Amy lächelte dankbar. „Auf einen weiteren Tag, an dem wir nach außen hin lachen und im Inneren schreien.“
Ihr Sarkasmus ließ Paddy vor Sorge die Stirn runzeln. „Geht es dir gut?“
„Ja, bestens.“ Amy neigte den Kopf und blickt auf ihre Tasse, während sie daran nippte. „Aber wenn mich noch jemand fragt, ob es nicht zu früh ist, um wieder zu arbeiten, werde ich in die Luft gehen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie läuft dein Trainingsprogramm?“, wechselte sie das Thema. Paddy drohte schon seit Jahren damit, fit zu werden. An seiner wachsenden Taille änderte das zwar wenig, aber ihre Sticheleien lockerten die Stimmung auf.
„Ich gewöhne mich langsam an meine Routine“, gluckste er. „Jeden Morgen sitze ich zehn Minuten im Bett und denke darüber nach, wie müde ich bin.“
Amy lächelte amüsiert. „Besprechung um acht?“
Paddy nickte. „Im Moment ist nichts Ungewöhnliches los, aber es ist noch Zeit. Wir versuchen gerade, die endlosen Jobs zu sortieren, für die Gladwell uns freiwillig gemeldet hat.“
„Mach dir darüber keine Sorgen. Wenn sie nicht den Kriterien entsprechen, übergebe ich sie an die CID“, sagte Amy und sah zu, wie ein halbes Dutzend Beamte eintrat. Ihr Büro in der Notting Hill Police Station war kompakt, aber zweckmäßig. Es beherbergte mehrere Schreibtische, eine kleine Gemeinschaftsküche und ihr winziges Büro, das wahrscheinlich aus einem Flatpack bestand. In Anbetracht der Art ihrer Aufgabe hatten sie Zugang zu Arbeitsräumen in jeder beliebigen Polizeistation im Zuständigkeitsbereich der Metropolitan Police, und die bestehenden Teams hatten keine andere Wahl, als Platz zu schaffen, da sie an hochkarätigen Fällen mitwirkten. Die Kürzungen führten oft dazu, dass die Kollegen nur selten ihre Fälle wie einen Schatz horteten, sondern alle Hände voll zu tun hatten. „Ich brauche etwas Zeit allein mit meinem Kaffee“, sagte Amy, bevor sie in ihr Büro ging.
Sie schloss die Tür, lehnte ihre Stirn an das kühle Holz und atmete lange aus. Sie konnte das tun. Welche Wahl hatte sie schon? Der Tod ihres Vaters hatte sie wie ein Vorschlaghammer getroffen und sich als körperlicher Schmerz in ihrer Brust manifestiert, aber sie würde sich nicht aufhalten lassen. Ihr Blick wanderte über die vielen gelben Post-it-Zettel, die den Planer an der Wand zierten. Sie streckte die Hand aus und nahm einen Sticker ab, der sich an den Ecken nach oben bog. Er war für heute datiert. Mittagessen in der Stadt – Dad. Sie zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb. Als sie das letzte Mal hier war, wusste sie nicht, dass er gestorben war. Erst als sie sich auf den Heimweg machte, hörte sie den panischen Anruf ihrer Mutter auf ihrer Mailbox ab, mit dem sie Amy aufforderte, so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu kommen. Aber da war es schon zu spät. Amy seufzte; Gedanken an die Vergangenheit streckten wie Spinnen ihre seidenen Beine aus. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf und jedes Mal musste sie sich bewusst bemühen, sie beiseitezuschieben. Sie lehnte sich an ihren Schreibtisch und ihr Blick fiel auf die Worte auf der Mausmatte, die sie bei ihrem Einzug geschenkt bekommen hatte:
Mein Vorsatz für das neue Jahr lautet:
1. Hör auf, Listen zu erstellen.
B. Sei konsequenter.
7. Lern zu zählen.
Der Witz war alt, aber er zauberte ihr ein trauriges Lächeln auf die Lippen. Dann erregte der daneben liegende Poststapel ihre Aufmerksamkeit. Der Poststempel auf dem obersten Brief, der ihm Vorrang vor allem anderen gab, fiel ihr sofort ins Auge. Wer würde ihr aus einem Gefängnis schreiben?
Als sie ihn anhob, ließ das krakelige Gekritzel ihr Herz höher schlagen. Sie strich mit dem Daumen über den Rand des Umschlags, riss das obere Ende ungeschickt ein und zog das Papier heraus. Ihre Augen huschten von links nach rechts, als sie die Worte überflog, und ihr Stirnrunzeln vertiefte sich, als sie las. Ihre Lippen öffneten sich, um ihrem geschockten Atemzug Platz zu machen. Nein, das war nicht wahr. Das konnte nicht sein. Und doch … das Gefühl, dass die Vergangenheit zurückkehren würde und sie mit offenen Armen begrüßte, brachte ein Gefühl des Grauens mit sich.
„Poppy.“
Sie ließ den Umschlag zu Boden fallen, als das geflüsterte Wort über ihre Lippen drang.
Paddy klopfte mit den Fingerknöcheln gegen die Tür und streckte seinen Kopf in Amys Büro, der Geruch einer gerade gerauchten Zigarette umhüllte ihn noch wie eine Duftwolke. „Gladwell kommt zur Besprechung rüber. Soll ich ihm sagen, dass du dich heute darum kümmerst? Ma’am?“ Seine Stimme klang weit entfernt, als käme sie aus einem Tunnelmund. Normalerweise würde Amy ihn für seine förmliche Anrede zurechtweisen. Stattdessen würdigte sie ihn keines Blickes, sondern starrte stumpf ins Leere.
Als er einen Schritt nach vorn trat, wurde Amy aus ihrer Trance gerissen und sah zu ihm auf. „Tut mir leid“, sagte sie und kämpfte gegen das ungute Gefühl der Vorahnung an. „Ich kann nicht. Ich … ich bin beschäftigt“ Sie bückte sich, um den Brief aufzuheben, der ihr aus den Händen gefallen war, und steckte ihn zusammen mit dem Umschlag, in dem er gekommen war, in ihre Jackentasche. Köpfe hoben sich von den Computerterminals, als sie aus ihrem Büro stürmte, aber Amy behielt ihren Blick auf die Tür gerichtet. Es war zu viel. Das war alles zu viel. Sie musste nach Hause gehen. Um ihre Mutter mit dem zu konfrontieren, was sie herausgefunden hatte.
***
„Mum?“ Amys Stimme hallte im Flur wider, ihre Absätze klackten auf den Fliesen, als sie die Haustür hinter sich schloss. Ihr helles und geräumiges Haus duftete noch immer nach den vielen Blumen, die sie nach dem Tod ihres Vaters erhalten hatten. Als sie die Wohnzimmertür aufstieß, war sie überrascht, ihre Mutter allein vorzufinden.
„Warum bist du nicht angezogen? Ich dachte, Winifred käme vorbei“, sagte Amy mit einem leichten Zittern in der Stimme. Fassungslos über das, was sie gelesen hatte, konnte sie sich kaum an den kurzen Heimweg erinnern.
Floras Trauer war in ihren rotgeränderten Augen gut zu erkennen, während sie mit leerem Blick auf den Fernsehbildschirm starrte. Auf dem geblümten Sofa sitzend, umklammerten ihre Finger ein Taschentuch, das schon bessere Tage gesehen hatte. „Ich habe gelogen“, schniefte sie und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. „Ich muss mich daran gewöhnen, auf mich allein gestellt zu sein.“
Immer noch in ihre Hausschuhe und einen rosa Rüschenkittel gekleidet, sah ihre Mutter so klein und zerbrechlich aus, dass Amys Herz brach. Sie wollte den Brief wegwerfen, der ihr ein Loch in die Tasche brannte, und alles außer ihrem gemeinsamen Kummer vergessen, aber sie wusste, dass das nicht so einfach war. Sie konnte die Worte, die in ihrem Kopf polterten, nicht auslöschen. „Mum?“, sagte sie zaghaft und setzte sich neben sie.
Flora blinzelte ihre Tränen zurück und konzentrierte sich auf das Gesicht ihrer Tochter. „Du bist ganz blass. Ist alles in Ordnung mit dir?“
„Nein, nicht wirklich“, erwiderte Amy fest und zwang sich, weiterzumachen. Sie atmete tief durch, machte eine Pause, um ihren Mut zu sammeln. „Jemand hat mir diesen Brief geschickt …“ Sie zog ihn aus ihrer Tasche und drückte ihn ihrer Mutter in die Hand. „Sag mir, dass es nicht wahr ist.“
Flora nahm ihre Brille von der Sofalehne und putzte sie mit dem Zipfel ihres Rüschenkittels, bevor sie sie auf den Nasenrücken setzte. Verwirrung zeichnete sich auf ihren Zügen ab, ihre Lippen bewegten sich leise, während sie las. Fassungslos schüttelte sie den Kopf und ließ das Blatt auf ihren Schoß sinken. „Nein“, sagte sie leise, als sei sie vom Leben gezeichnet. „Nicht jetzt.“
Amys Hoffnungen sank. Sie wollte, dass ihre Mutter ihr sagte, dass es sich um eine Art kranken Scherz handelte. „Warum schreibt mir Lillian Grimes aus dem Gefängnis?“ Ihr Körper verkrampfte sich, als die erhoffte Beruhigung ausblieb.
„Wir wollten nicht, dass du es auf diese Weise erfährst.“ Flora legte den Brief beiseite und griff nach Amys Händen.
Amy versteifte sich. „Was herausfinden?“ Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust. Sie hatte von klein auf gewusst, dass sie adoptiert worden war, aber die Erinnerungen an ihr früheres Leben hatte sie schon vor langer Zeit verdrängt. Jack und Lillian Grimes waren Ungeheuer. Sie ballte die Fäuste, bis sich ihre Nägel in ihre Handflächen gruben, während sie darauf wartete, dass Flora sprach.
„Du wurdest im Alter von vier Jahren in eine Pflegefamilie aufgenommen, alt genug, um die Geschehnisse mitzubekommen“, sagte Flora. „Aber du wolltest nicht über deine leibliche Familie sprechen. Dein Vater sagte, es sei ein Segen. Ein Grund, neu anzufangen.“
„Nein“, murmelte Amy, ihre Stimme war brüchig. „Das kann nicht sein. Diese Ungeheuer. Sie sind nicht mit mir verwandt.“
„Nur durch Blut.“ Flora verstärkte ihren Griff um Amys geballte Hände. „Man hat uns gesagt, dass deine Erinnerungen zurückkehren würden, aber dazu ist es nie gekommen. Abgesehen von einigen Bildern, die du gemalt hast, als du noch klein warst, und einem seltsamen Moment, als jemand deinen alten Namen rief …“
„Poppy“, hauchte Amy. Das plötzliche Klappern des Briefkastenschlitzes an der Haustür ließ sie aufschrecken. Die Post war da. Dotty sprang aus ihrem Hundekorb in der Küche, in dem sie ein Nickerchen gehalten hatte, und ihr Bellen klang, als hätte sie Raucherhusten. Ihre Krallen klapperten in schneller Folge auf den Fliesen im Flur.
„Dotty!“, rief Amy, dankbar für die Ablenkung. Zufrieden, dass sie den Postboten verjagt hatte, zappelte ihr Mops ins Wohnzimmer und sprang unbeholfen auf Amys Schoß. Es war eine gute Gelegenheit, um ihre Finger aus dem festen Griff ihrer Mutter zu lösen.
„Wir haben versucht, es dir zu sagen, als du zehn warst“, fuhr Flora fort. „Aber jedes Mal, wenn wir es angesprochen haben, hast du dich geweigert zuzuhören und hast angefangen, deine eigene Geschichte über deine Vergangenheit zu erfinden.“
Amy erinnerte sich an die wehmütigen Fantasien, die sie als Teenager hatte. Sie war das Kind einer berühmten Hollywood-Schauspielerin und wurde von ihrer Mutter zugunsten des Lebens auf der Leinwand im Stich gelassen. Oder aber sie stammte aus einer königlichen Familie, ein skandalöses Liebeskind, das zur Adoption freigegeben wurde, um den Ruf der Familie zu retten. Als sie älter wurde, konzentrierte sich Amy auf ihre Zukunft und verwarf ihre Fantasievorstellungen. Aber sie war sich immer vage bewusst, dass etwas Dunkles und Ungeheuerliches tief in ihr vergraben war. Etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Amy blendete Floras Erklärungen aus, beobachtete nur, wie sich ihre Lippen bewegten, als sie sich dafür entschuldigte, sie enttäuscht zu haben. Sie spürte, wie die alten Narben aufgerissen wurden. Aber wie konnte sie ihrer Mutter die Schuld geben, wenn die Wahrheit zu hässlich war, um sie auszusprechen?
„Bitte versuche mich zu verstehen“, flehte Flora. „Robert wurde auch adoptiert, erinnerst du dich? Ich habe ihm vertraut, als er meinte, es sei das Beste, die Dinge auf sich beruhen zu lassen.“
„Er ist ein bisschen anders aufgewachsen als ich“, entgegnete Amy. Wie sie hatte er nie das Bedürfnis, seine biologischen Eltern zu finden. Aber Amy war sich ziemlich sicher, dass in seiner Vergangenheit keine Serienmörder-Eltern lauerten.
„Genau“, antwortete Flora. „Wie könnten wir dich zwingen, das Trauma noch einmal zu erleben?“
„Ihr müsst euch gefragt haben, ob ich so werden würde wie sie.“ Amy streichelte Dottys Kopf und begegnete schließlich dem Blick ihrer Mutter. „Hast du die Messer versteckt? Hast du deine Schlafzimmertür nachts verschlossen?“
Flora schüttelte den Kopf und schnalzte angewidert. „Oh, Amy, wenn du dich damals nur hättest sehen können. Du warst nichts weiter als ein Hauch von einem Mädchen, so weiß wie ein Gespenst, weil dir die Sonne fehlte. Du bist in einer Blase aufgewachsen, hattest so wenig Kontakt zur normalen Welt.“ Ihre Gesichtszüge wurden bei der Erinnerung daran weicher. „Dein Vater brauchte Monate, um dich davon zu überzeugen, nicht mehr wie ein Seemann zu fluchen. Du hattest deine kleinen Macken, aber du hast ihm immer ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.“
„Deshalb wollte er, dass ich zur Polizei gehe“, sagte Amy, während ihre Gedanken kreisten. „Um mich auf der richtigen Spur zu halten. Denn tief im Inneren wusste er, dass ich mich plötzlich verändern könnte.“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf, als ihr weiterer dunkler Gedanke kam, der ihr die Kehle zuschnürte. „Kein Wunder, dass ich so gut im Umgang mit Serienmördern bin. Ihr Blut fließt durch meine Adern. Vergewaltiger und Mörder. Sie sind ein Teil von mir.“
Floras Gesichtszüge verzogen sich zu einem gequälten Ausdruck. „Liebes, bitte quäle dich nicht. Dein Vater und ich lieben dich sehr. Er würde es hassen, dich so reden zu hören.“
„Aber Dad hat in ihrem Fall ermittelt“, sagte Amy und erinnerte sich an die Schlagzeilen in der Zeitung. „Hat er mich deshalb adoptiert?“
Regen prasselte unerwartet gegen die Fensterscheibe wie winzige aufdringliche Finger. Ohne die Herbstsonne, die den Raum erhellte, war die Temperatur im Inneren gesunken. Flora straffte ihren Rüschenkittel und seufzte. „Das ist der Grund, warum wir von Essex nach London gezogen sind. Wir waren bereit, alles aufzugeben, um dir einen Neuanfang zu ermöglichen. Dann ist deine Großmutter gestorben und wir haben dieses Haus geerbt. Es schien wie Schicksal.“
Amy wusste, dass ihre Eltern ihr Reihenhaus mit fünf Zimmern geerbt hatten. Es war definitiv groß genug, um ihre beiden leiblichen Geschwister zu beherbergen. Was war mit ihnen geschehen? Sie versuchte, sich an einen der vielen Zeitungsartikel über die Verbrechen zu erinnern. „Mein Bruder und meine Schwester. Warum habt ihr sie nicht auch adoptiert?“
„Sie waren von den Vorfällen zu erschüttert und ich …“ Floras Blick fiel zu Boden. „Ich war nicht in der Lage, mich um euch alle drei zu kümmern. Dein Vater hat jeden Tag lange gearbeitet. Es waren nur Craig und ich. Ich habe mich verzweifelt nach einem kleinen Mädchen gesehnt.“ Tränen benetzten ihre Augen, als sie sich an die Zeit zurückerinnerte. „Ich war nicht in der Lage, weitere Kinder zu bekommen, aber ich sehnte mich nach einer Tochter, um unsere Familie zu vervollständigen.“
Amy wusste, dass Flora und Robert alles getan haben mussten, um sie zu adoptieren, aber die Wahrheit über ihre Herkunft fühlte sich roh an, wie eine blutige Wunde. „Dad hat mich also ausgesucht wie einen Welpen in einer Tierhandlung und die anderen verrotten lassen“, sagte Amy bitter. „Weiß Craig davon?“
„Nein.“ Flora tupfte sich mit dem Rockzipfel über die Augen.
„Und Dougie?“, fragte Amy und erinnerte sich an seine Bemerkung, dass sie einen schweren Start hatte.
Flora nickte. „Er hat uns die ganze Zeit über unterstützt. Hat sogar zusammen mit deinem Vater an dem Fall gearbeitet und wechselte zum Met, kurz nachdem dein Vater gegangen war. Wir waren alle überglücklich, als die Adoption über die Bühne gegangen war.“
„Was soll ich jetzt machen?“, wollte Amy wissen. Gelangweilt von der fehlenden Aufmerksamkeit, sprang Dotty von ihrem Schoß. Amys Blick fiel auf den Brief. „Sie hat mir ein Ultimatum gestellt. Sagt, sie will mir sagen, wo die letzten drei Opfer begraben sind, wenn ich sie im Gefängnis besuche. Diese Familien verdienen es, ihren Frieden zu finden.“
„Genau wie du“, sagte Flora und ihre Gesichtszüge verhärteten sich. „Diese Frau ist ein bösartiges Monster.“ Sie schien sich plötzlich an ihre Zuhörerin zu erinnern und biss sich auf die Lippe. „Wenn du wüsstest, was sie getan hat … Es war genug, um deinem Vater nachts den Schlaf zu rauben.“
Amy hob ihre Hand, um Floras Worte aufzuhalten. „Ich bin noch nicht bereit dafür. Noch nicht.“
„Warum muss sie dich so kurz nach Roberts Tod quälen?“
Flora stieß einen gequälten Schrei aus. „Ich kann das nicht allein bewältigen.“
„Wenn sie den Brief nicht geschrieben hätte, hätte ich die Wahrheit nie erfahren.“
Flora nickte, ihr Gesicht blass wie ein Leichentuch. „Du musst dich mit deinem Vorgesetzten beraten, Liebes. Niemand kann von dir erwarten, dass du nach einer solchen Enthüllung ganz normal weitermachst.“
„Ich bin es den Familien schuldig, sie an die erste Stelle zu setzen. Jetzt mehr denn je“, sagte Amy. Sie steckte den zerknitterten Brief in ihre Tasche und stand auf. „Ich werde spazieren gehen, aber komme bald zurück.“ Sie rief nach Dotty, nahm ihre Leine vom Haken im Flur und befestigte sie an ihrem Halsband. Es war die beste Therapie, mit ihrer Freundin auf vier Beinen Gassi zu gehen. Mit der Last der Wahrheit auf ihren Schultern wandte sie sich der Tür zu.
Amy begrüßte die beißende Kälte und wich einigen Pfützen aus, während sie versuchte, ihre Gedanken zu entwirren. Es fühlte sich an, als hätte sich ihr Gehirn in ein verknotetes Wollknäuel verwandelt. Mit Dotty, die vor ihr her trottete, bog sie in die Holland Park Avenue ein. Das Rumpeln der schwarzen Taxis und Doppeldeckerbusse erinnerte sie daran, dass sie sich an einem ihrer Lieblingsorte auf der Welt befand: dem pulsierenden Herzen Londons. Sie konnte sich nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben, aber die Arbeit in einer so pulsierenden Metropole brachte ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Der Ansturm von Gewaltverbrechen war unerbittlich, und in den letzten Jahren hatte sie ihre Albträume immer auf ihren Job zurückgeführt. Die Arbeit mit Mördern und Psychopathen hatte zwangsläufig Auswirkungen auf sie. Doch wenn sie darüber nachdachte, erlebte sie die Träume mit den Augen eines Kindes: Sie trat in einen spinnenverseuchten Keller, suchte, suchte und fand keinen Ausweg. Ein schwerer, süßlicher Geruch hing in der Luft, mit dem sie in ihrem Beruf schon oft in Kontakt gekommen war. Es war der Geruch des Todes.
Ihr Magen überschlug sich ohne Vorwarnung. Verzweifelt griff sie nach der Hundetüte in ihrer Tasche und öffnete den fadenscheinigen Plastikbeutel gerade noch rechtzeitig, um das Frühstück, das ihre Mutter mit so viel Liebe zubereitet hatte, auszustoßen. Amy ignorierte die neugierigen Blicke der Passanten, verknotete den Beutel und warf ihn in den nächsten Mülleimer. Dotty starrte sie mit cartoonhaft großen Augen an und winselte zu ihren Füßen.
„Es ist alles okay.“ Amy wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Alles gut.“ Aber ihre Worte klangen hohl. Seit Roberts Tod wusste sie nicht mehr, wer sie war. Woher um alles in der Welt sollte sie die Kraft nehmen, um Lillian Grimes gegenüberzutreten? Wenn nur ihr Vater hier wäre, um mit ihr darüber zu reden. Sie kam nicht umhin, Verrat zu empfinden. Hätte er ihr nicht davon erzählen können, als sie noch jung war? Ihr helfen können, mit der Vergangenheit fertig zu werden und nach vorn zu blicken? Oder schämten ihre Eltern sich dafür, wer sie wirklich war? Amy trat gegen einen Stein und bemerkte erst, dass Dotty nicht mehr neben ihr herlief, als die Leine straff wurde.
„Was ist los?“, fragte Amy mit schlechtem Gewissen, weil sie so schnell gegangen war. „Hast du genug?“ Dotty hechelte, ihre Zunge hing aus ihrem Maul. Sie war eine Dame und ließ sich gern Zeit. „Willst du nach Hause gehen?“
Dotty antwortete mit einem Ganzkörperwackeln und zerrte an der Leine, um den Weg zurückzugehen, den sie gekommen waren. Amy blickte zum Himmel hinauf. Ein weiterer Schauer kündigte sich an. Ihre Gedanken waren so schwer wie die sich zusammenbrauenden Wolken über ihr, und sie stapfte in Richtung Haus, während die Spitzen ihrer Schuhe den kürzlich vergossenen Regen aufsaugten.
Als sie in die Royal Crescent einbog, wurde sie von schweren Schritten aus ihren Gedanken gerissen. „Dotty!“, keuchte Amy, als die Leine zurückgerissen wurde. Normalerweise war sie von Fremden unbeeindruckt, aber die plötzliche Aufregung ihres Hundes ließ vermuten, dass sie die Person hinter ihnen kannte.
Verwirrt drehte sich Amy um, blinzelte den Regen aus ihren Augen und erkannte den Mann, der auf sie zugelaufen kam. „Uhh! Was machst du denn hier?“ Ihr Unmut war deutlich in ihrer Stimme zu hören.
Adam Rossi war es nicht fremd, abgewiesen zu werden, da er von Beruf Journalist war, aber normalerweise hatte er kein Problem damit, weibliche Gesellschaft zu finden. Er verkürzte seine Schritte, um neben ihr herzulaufen. Er hatte sich in den sechs Monaten, seit Amy ihn das letzte Mal gesehen hatte, nicht verändert. Die gleiche selbstbewusste Ausstrahlung, das gleiche Funkeln in seinen Augen. Sein italienisches Erbe verlieh ihm sowohl das Aussehen als auch den Charme, um sich aus jeder Situation herauszureden. Aber dieses Mal nicht. Amy ging automatisch weiter und wünschte sich, sie wäre drinnen geblieben.
„Du hast aufgehört, meine Anrufe zu beantworten“, sagte er, „und ich nehme an, dass du auch meine E-Mails blockiert hast.“
„Ich habe dich aus einem bestimmten Grund blockiert.“ Amys Augen waren fest auf den vor ihr liegenden Weg gerichtet. Es hatte keinen Sinn, alte Themen aufzugreifen. „Was machst du hier? Ich dachte, du wärst versetzt worden.“
„Es hat nicht geklappt. Ich habe London vermisst … ich habe dich vermisst.“ Er lächelte als Antwort auf Amys wütenden Blick. „Komm schon, warum schaust du mich so an?“
„Ich bin nicht dafür verantwortlich, was mein Gesicht macht, wenn du sprichst“, antwortete Amy. Sie konzentrierte sich auf die Risse im Asphalt, auf das Unkraut, das sich der schwachen Morgensonne zuwandte. Sie würde nicht zulassen, dass er sie wieder in seinen Orbit saugte. Nicht noch einmal.
„Es hat mir leidgetan, das von deinem Vater zu hören. Ich weiß, dass er mich nicht mochte, aber er war ein guter Mensch. Deine Mum muss am Boden zerstört sein.“
„Das ist sie“, meinte Amy leise, und ihre Schritte beschleunigten sich, als sie sich dem Haus näherte. Sie leugnete nicht, was er sagte, denn es war die Wahrheit. Ihre Mutter war von der Verlobung begeistert gewesen, und auch ihr Bruder hatte sie gutgeheißen. Selbst Dotty schmolz in Adams Gegenwart dahin. Aber ihr Vater … er war vom ersten Tag an reserviert gewesen. Jetzt konnte sie verstehen, warum. Es war nicht die Tatsache, dass Adam sie hintergangen hatte, nein, es war sein Beruf, der Robert so zurückhaltend gemacht hatte. Die Möglichkeit, dass er die Wahrheit herausfinden könnte.
„Ich arbeite wieder für The London Echo. Sie haben mich befördert. Ich bin jetzt Nachrichtenkorrespondent“, sagte Adam.
„Ich bin froh, dass alles so gut für dich läuft.“ Amy fuhr mit den Fingern über den dornigen Metallzaun vor ihrem Haus. „Ich muss rein, weil …“
„Ich habe mich gefragt“, unterbrach Adam sie und beugte sich vor, um Dottys Kopf zu streicheln, während sie um seine Füße herumtanzte. „Die Beerdigung deines Vaters hat den Grimes-Fall wieder ins Rampenlicht gerückt. Ich dachte, es wäre gut, Familienmitglieder zu befragen und über seine Arbeit bei der Festnahme“, – er hob seine Finger zu spöttischen Anführungszeichen –, „der ‚Bestien von Brentwood‘ zu sprechen.“
Amy hielt inne und starrte ihn fassungslos an. Adam war schon immer unsensibel gewesen, aber das war ein neuer Tiefpunkt, selbst für ihn. Es war eine ernüchternde Erinnerung daran, warum ihre Beziehung ein schnelles Ende gefunden hatte. Ein weiterer Gedanke blitzte wie ein Schuss vor ihrem Bug auf. Was wäre, wenn er die Wahrheit darüber erfuhr, wer sie wirklich war? Sie spannte ihre Fäuste um die Leine zusammen, als sie Dotty wegzerrte. „Du Aasgeier“, fauchte sie mit steinerner Miene. „Mein Dad liegt kaum kalt im Grab und schon wühlst du in seiner Leiche herum!“
„Hey, ich komme in Frieden.“ Adam lächelte und hob die Handflächen. „Ich hatte eine Menge Respekt vor Robert. Ich wollte ihm nur meinen Tribut zollen. Wir haben weitere Interviews mit Familienmitgliedern der Opfer angesetzt …“
Amy verdrehte verärgert die Augen. „Tribut?“ Wut flammte in ihr auf. Sie hob den Finger und stieß ihm mit jedem Satz, den sie sprach, gegen seine Brust. „Ein Tribut wäre, zur Beerdigung zu kommen und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ein Tribut wäre, hinterher zu bleiben und Mum zu trösten, weil sie gerade die Liebe ihres Lebens verloren hatte. Beamte, die in Uniform im strömenden Regen stehen – das war ein Tribut. Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst.“ Sie kramte in ihren Taschen nach ihrem Haustürschlüssel und atmete scharf ein, während sie versuchte, den richtigen Schlüssel zu finden.
„Amy, wenn du nur zuhören würdest“, sagte Adam, leicht verärgert über ihre Worte.
„Nein, du hörst mir jetzt mal zu. Ich habe dich nicht darum gebeten, mir aufzulauern. Du bist hierhergekommen und bist mir gefolgt. Ich muss mir also kein Wort von dem anhören, was du sagst.“ Amy erstarrte, als Adam sie an der Schulter packte.
„Fass mich nicht an“, sagte sie und er ließ seine Hand augenblicklich wieder fallen. Ohne sich umzudrehen, stieg Amy die wenigen Stufen zu ihrer Tür hinauf.
„Porca miseria!“ Das italienische Schimpfwort erhob sich hinter ihr wie ein Wirbelsturm. „Ruf mich an, wenn du dich beruhigt hast“, rief Adam, bevor er davonstürmte.
Als Amy die Tür hinter sich schloss, hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die aus der Küche drang. „Bist du das, Liebes?“, sagte sie und klang heller als zuvor.