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Regel Nr. 1: Verlieb dich nicht (noch mal) in deinen Bodyguard! Sonne, Italien und sexy Undercover-Agenten – die perfekte Romance-Lektüre für den Sommer. Eigentlich ist Max das typische Mädchen von nebenan. Sie kellnert und träumt davon, das Café ihrer heißgeliebten, kürzlich verstorbenen Granny wiederzueröffnen. Was sie vom typischen Mädchen von nebenan unterscheidet: Sie sieht Europas jüngster Premierministerin Sofia Christensen zum Verwechseln ähnlich … Als ebenjene Premierministerin eine glaubwürdige Morddrohung erhält, tritt die CIA auf den Plan und bietet Max einen Deal an: Für eine unanständige Geldsumme soll sie das Double von Sofia Christensen bei deren jährlicher Italienreise spielen. Ein Traumjob, wären nur nicht diese lästigen Mörder hinter ihr her. Und wäre da nicht Flynn, Max' verboten heißer Bodyguard. Und unglücklicherweise auch ihr Ex …
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Carlie Walker
Roman
Regel Nr. 1: Verlieb dich nicht (noch mal) in deinen Bodyguard!
Max ist das typische Mädchen von nebenan. Sie kellnert und träumt davon, das Café ihrer kürzlich verstorbenen Granny wiederzueröffnen. Was sie vom typischen Mädchen von nebenan unterscheidet: Sie sieht Europas jüngster Premierministerin Sofia Christensen zum Verwechseln ähnlich. Als ebenjene Premierministerin eine Morddrohung erhält, tritt die CIA auf den Plan und bietet Max einen Deal an: Für eine unanständige Geldsumme soll sie das Double von Sofia Christensen bei deren jährlicher Italienreise spielen. Ein Traumjob, wären nur nicht diese lästigen Mörder hinter ihr her. Und wäre da nicht Flynn, Max’ verboten heißer Bodyguard. Und unglücklicherweise auch ihr Ex …
Sonne, Italien und sexy Undercover-Agenten – der perfekte Summerread!
Carlie Walker nahm an einem Vorbereitungsprogramm für spätere Geheimdienstler teil, bis sie feststellte, dass sie für eine Spionin viel zu ängstlich ist. Nach ihrem Studium arbeitete sie kurzzeitig im Verlagswesen, bevor sie Bestsellerautorin von sieben Kinder- und Jugendbüchern wurde. In ihrer Freizeit betreibt sie Krav Maga, und beim Gewichtheben macht ihr niemand etwas vor. Sie lebt mit ihrem Ehemann und ihrem Hund in Atlanta, Georgia. Die Autorin ist Fan von Rettungshunden, Rom Coms aus den 90ern und Büchern mit Happy End. «My Summer Bodyguard» ist nach «Christmas undercover» ihr zweiter Roman für Erwachsene.
Sabine Schilasky lebt und arbeitet in Hamburg. Sie hat u.a. M.C. Beaton, Alex Kava, Kwei Quartey, M.W. Craven, N. Richards/M. Costello, Clare Mackintosh und Owen Mullen übersetzt.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Code Word Romance» Copyright © 2025 by Carlie Walker
Redaktion Julia Abrahams
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-02518-9
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für alle, die mich in meiner Schwangerschaft unterstützt haben, während ich mein Bestes tat, dieses Buch zu schreiben; Leo und ich sind euch unendlich dankbar!
Und für meine Eltern, für alles, immer.
ROM, ITALIEN
Die Nachtluft peitscht mir ins Gesicht. Ich beschleunige das Motorrad, weiche Außentischen von Restaurants aus und streife versehentlich einen, sodass mehrere Antipastiteller bedenklich klappern. Ein Glas Aperol Spritz kippt um, worauf sich blutorange Flüssigkeit auf Servietten ergießt und ich «Sorry! Scusi!» rufe, was beides eher gekeucht herauskommt. Doch es bleibt keine Zeit anzuhalten. Ich bin zu konzentriert, zu panisch und mir Flynns Finger zu bewusst, die sich nun fester an meine Hüften klammern.
«Vielleicht ist es jetzt ein schlechter Zeitpunkt, dir das zu sagen!», rufe ich nach hinten, und es gelingt mir nicht, die Furcht in meiner Stimme zu unterdrücken. «Aber ich bin noch nie Motorrad gefahren!»
«Findest du?», quiekt Flynn, und sofort stelle ich mir sein Gesicht vor, in dem sich die Pupillen bei jedem gefährlichen Gasgeben mehr weiten. «Nach links! Links, Max!»
«Versuche ich ja!», schieße ich zurück, lasse ein wenig Gas nach und … wo ist der Blinker bei diesem Teil? Sei nicht blöd, Max. Die sollen nicht wissen, dass ich abbiege! Das macht es ihnen schwerer, mich zu verfolgen. Bevor die Ampel auf Grün springt, beiße ich mir innen auf die Wange und donnere zu einem lauten Hupkonzert über die Kreuzung. Ein Mann in einem Fiat macht eine Vollbremsung und brüllt aus seinem Fenster: «Muoia, signora!»
Ich spreche kein Italienisch, aber das kenne ich. Stirb, Frau.
Leider ist der Fiatfahrer nicht der Einzige, der mir den Tod wünscht.
Ich packe den Lenker des Motorrads fester. «Sind sie noch hinter uns?»
Flynn schaut nach, und beim Umdrehen presst er seinen Bauch fester an meinen Rücken. Er ist warm wie der italienische Sommer, und ich fühle, wie er sich bewegt: eine scharfe Kopfdrehung, zurück zu den Wagen hinter uns. «Es sind jetzt drei.»
Drei? Ein Blick in meinen Spiegel verrät mir, dass Flynn recht hat. Zwei schwarze Wagen, wahrscheinlich kugelsicher, und jemand, der ihnen auf einer Vespa hinterherjagt. Was mich beinahe zum Lachen bringt. Eine Vespa zu einem Attentat zu fahren, ist ungefähr so, als würde man mit einer Luffabürste bei einem Schwertkampf aufkreuzen.
Wenigstens schießt niemand auf uns.
«Die werden jeden Moment anfangen, auf uns zu schießen», ruft Flynn über den Verkehrslärm hinweg.
«Tja … Scheiße!», sage ich, weil ich nicht mehr herausbringe. Normalerweise bin ich eloquenter. Und gefasster. Doch der Fairness halber sei erwähnt, dass es erst sieben Uhr abends ist – der Sommerhimmel färbt sich gerade mattpink; ich hatte bisher nicht mal mein Abend-Gelato –, und schon haben zwei verschiedene Leute versucht, mich umbringen.
Oder vielmehr haben sie versucht, Sofia umbringen.
Flynn legt seine Hände fester um meine Taille, zieht mich näher zu sich, sodass ich halbwegs an ihn geschmiegt bin, worüber ich nicht einmal nachdenke. Nicht über seine Hitze; nicht über seinen frischen, sauberen Duft; nicht über seinen Gesichtsausdruck zwei Abende zuvor, als er langsam sein Hemd aufknöpfte und es fließend zu Boden gleiten ließ – erst recht nicht an die Art, wie meine Wange seine nackte Brust streifte, als er mich in den Armen hielt. Gerade jetzt weiß ich, dass Flynn sich bloß für die Fahrt festhält. Betet, dass ich diesen Auftrag nicht auf diese Weise beende. Das darf nicht das Ende sein. Wir beide, die in einen Porchetta-Stand am Campo de’ Fiori krachen oder außerhalb der Piazza del Paradiso die Kontrolle über die Maschine verlieren und in eine Touristengruppe purzeln, die Klick, Klick, Klick mit ihren Kameras macht. Und dann die Titelseiten. Internationale Nachrichten. PREMIERMINISTERIN VON SUMMERLAND OPFER EINES TRAGISCHEN UNFALLS, GEFOLGT VON NOCH TRAGISCHEREM ATTENTAT. Oder irgendwas Reißerischeres als das. Meine ist keine besonders kreative Schlagzeile.
«In die Via dei Baullari.» Flynns Atem streichelt mein Ohr, seine Worte werden beinahe vom Röhren des Motorrads übertönt.
«Du sagst das, als wüsste ich, wo die ist!»
«Rechts von dir!»
«Wann rechts?», erwidere ich und schlingere an einem Lamborghini und einem Juwelier vorbei, aus dessen Schaufenster uns goldene Ringe entgegenblitzen.
Flynns Kinn liegt praktisch auf meiner Schulter. «Jetzt! Jetzt!»
Wir nehmen die scharfe Kurve, die Reifen greifen das uralte Pflaster, und in meinem Kopf blitzt ein Bild davon auf, wie andere uns wohl sehen: eine Frau in einem cremefarbenen Hosenanzug, dazu hohe Schuhe, und ein Mann in einem sagenhaften beigen Sakko auf einem Motorrad, das aussieht, als hätten sie es eben von einem richtig miesen Schrottplatz geholt. Hinter denen zwei Wagen und eine Vespa herjagen. Bald fliegen Kugeln durch die Luft. So sollte mein Italientrip nicht laufen, oder?
Nein. Nein, sollte er nicht.
Das wird leicht, hieß es. Ganz einfach, hieß es. Du sitzt nur da, siehst elegant aus und machst den Mund nicht auf. Schüttle den richtigen Leuten die Hand. Lächle höflich, aber nicht amerikanisch, nicht zu breit, nicht mit zu viel Zähnen. Tu, was dir gesagt wird, und es wird sich wie ein Urlaub anfühlen. Willst du nicht auch einen Urlaub, Max? Ein simpler Job im schönen Italien?
Das war vor der katastrophalen Fernsehübertragung. Vor dem Zwischenfall bei der Museumsgala. Bevor ich Flynn wiedertraf und meine ganze Welt auf den Kopf gestellt wurde.
«Die holen uns ein», sagt er, wieder direkt an meinem Ohr. Es ist offensichtlich, dass Flynn sich bemüht, seine Stimme zu kontrollieren, der Coole in diesem Szenario zu sein. Trotzdem stockt da was in seiner Kehle. «Wir müssen irgendwo scharf abbiegen und uns unsichtbar machen. Sie verwirren. Damit sie vorbeirauschen …»
«Wo bleibt die Polizei?», rufe ich. «Wo ist die bewaffnete Eskorte? Die sollten doch …»
«Da», sagt Flynn, zeigt aber zu einer Lücke zwischen zwei Gebäuden. Eine winzige Nische neben einem Blumenladen, kaum breit genug für ein Motorrad. Ich riskiere es, trete auf die Bremse, dass der hintere Reifen nach links schlittert. Mein Puls hämmert laut in meinen Ohren, als wir in die Gasse schlingern. Ich schalte den Motor aus. Dicke Mauern ragen zu beiden Seiten von uns auf, und die Luft riecht nach … Focaccia. Blumen und Focaccia, hefig und süß, aber ich halte den Atem an. Als könnten unsere Verfolger mich hören. Als würde mich das kleinste Schnuppern verraten.
Zum Glück ist es ein Samstagabend in Rom. Die Straßen sind voller Ablenkungen. Doch zwischen dem Lachen der Touristen, dem Gehupe der Autos und den quietschenden Galerietüren, die geöffnet und geschlossen werden, ist das eindeutige Geräusch von zwei gepanzerten Wagen zu hören, die durch die Gasse hinter uns rasen. Gefolgt vom typisch quäkenden Ton einer noch schnelleren Vespa.
Hinter mir scheint Flynn die Luft anzuhalten. Er ist vollkommen regungslos, bewegt nicht einen Muskel. Als die Fahrzeuge vorbei sind, wird er ein bisschen lockerer und flüstert: «Das war knapp.»
Ich schlucke, fange mich und fühle, wie das Blut in meine Fingerspitzen zurückkehrt. Ich löse die Fäuste vom Lenker. «Was jetzt?»
Auch wenn ich Flynn frage, weiß mein Körper bereits, was zu tun ist. Ich schwinge mein Bein vom Motorrad und will zu Fuß weiter. Wir dürfen hier nicht bleiben und abwarten. Wenn die anderen die Hauptstraße erreichen, werden sie begreifen, was wir getan haben, und den Rückwärtsgang einlegen …
Ich streife den hellen Blazer ab und will ihn fallen lassen, als ich am Ende der Gasse, keine dreißig Schritte entfernt, jemanden auftauchen sehe. Eine schattenhafte Silhouette.
Mein Herz klopft mir bis zum Hals.
Diese Person … hat ein Messer in der Hand.
Und ich kenne sie.
KENNEBUNKPORT, MAINE
Essen ist von jeher mein Leben. Die Hektik in der Küche, gebräunte Butter in einem gusseisernen Topf, das harte Knacken einer Hummerschale. Nie wollte ich etwas anderes sein als Köchin. Mein Dad kaufte mir meine erste Kochjacke, als ich zehn Jahre alt war, und die trug ich überall hin – bis das gestärkte Weiß den Ton von Dijonsenf annahm und meine Mom beteuerte, die anderen Kinder in der Schule würden mich weniger aufziehen, hätte ich beispielsweise Latzhosen an.
Wenn ich es genau bedenke, hatte sie vermutlich recht, aber ich hegte einen extrem optimistischen Traum. Ich würde ein Restaurant am Wasser aufmachen und an verschneiten Tagen Schälchen mit heißer Fischsuppe servieren. Ich würde bis spätabends in der Küche stehen, neue Rezepte ausprobieren und morgens Kartoffeldonuts mit frischen, regionalen Zutaten anrühren.
Mit anderen Worten: Ich wäre glücklich.
«Du siehst nicht gut aus», bemerkt mein Chef. Er mustert mich mitfühlend über den gestutzten Rasen hinweg, und ich frage mich, was genau er meint: das löchrige Boston-Terriers-Sweatshirt, das ich seit dem College besitze, den Schweißfilm auf meiner Stirn oder die allgemeinen Vibes, die ich in letzter Zeit ausstrahle, dass ich möglicherweise nachts in meine Kissen schreie. Ich bin fast dreißig, so hoch verschuldet, dass es mir das Wasser in die Augen treibt, und seit einer Stunde schleppe ich Kartons mit billigem Wein aus dem Cateringvan heran.
Ich ziehe das klamme Sweatshirt aus, zurre mein T-Shirt zurecht und werfe ihm ein, wie ich hoffe, beruhigendes Lächeln zu. «Mir ist bloß ein bisschen warm.»
«Bist du sicher, dass das alles ist?», fragt er. «Du siehst echt furchtbar aus.»
«Ja, danke, Andy», antworte ich und puste mir den Pony aus den Augen. Ich gehe es sanft an, weil ich immer sanft bin – und ehrlich, nach dem Jahr, das ich hatte, würde ich mir auch Sorgen um mich machen.
Der Wind kühlt mich ein wenig ab, als ich um die Außenbar gehe, mir ein Glas Eiswasser aus einem Krug einschenke und einen Schluck trinke.
Dies ist meine siebenundzwanzigste Hochzeit diesen Sommer, und wir haben erst Juni. Jede sieht ungefähr so aus: hübsches Paar, Zeremonie am Wasser, Empfang auf dem Rasen vor der Bilderbuch-Gastwirtschaft. Wurstplatten, klimpernde Gläser, Hunderte von Kamerablitzen. Und ich eile umher und sorge dafür, dass es allen gut geht. Hier bin ich als Bedienung für alles zuständig: Gläser auffüllen, fragen, ob Cocktailsoße zu den Shrimps gewünscht wird, und gelegentlich Streit zwischen Trauzeugen schlichten, die zu viel Sekt hatten. (Verzeihung, könnt ihr euch nicht einfach mal umarmen?)
Man verstehe mich nicht falsch. Ich bin unendlich dankbar für diesen Job. Und mir ist auch sonnenklar, dass es die einzige Arbeit ist, die ich finden konnte – bei einer zweitklassigen Cateringfirma und für einen Stundenlohn, von dem ich noch nicht einen Dollar meiner Schulden abtragen konnte. Seit drei Monaten lebe ich von herabgesetzten Makkaroni, abgelaufenen Blaubeer-Pancake-Mischungen und dem, was am Ende des Abends vom Catering übrig ist.
Gary, der zur Gastwirtschaft gehörende Ganter, schnattert vorn am Ufer, und es erinnert mich daran, auf die Uhr zu sehen. Ich muss ihn zurück in die Hölle scheuchen, bevor die Gäste in einer Stunde eintreffen. Gary ist das, was man als Chaosinstrument bezeichnen könnte (bei zwei Hochzeiten im Mai hat er die Bräute gebissen), und diese Feiern am Wasser sind sowieso schon chaotisch genug. Liegt es an der salzigen Luft? Während meiner letzten Schicht hielt die erste Brautjungfer eine herzzerreißende Rede darüber, wie sie mal auf einer Bar-Mizwa mit Nicolas Cage geknutscht hatte, bevor sie ihren Kia Soul geradewegs gegen die Seitenmauer der Gastwirtschaft setzte.
Als ich mein Wasserglas hinstelle, bemerke ich, dass schon ein Gast da ist. Viel zu früh. Sie steht mehrere Meter von der Bar entfernt neben einem leeren Kuchentisch und starrt mich unverhohlen an. Ich stopfe einige rotblonde Strähnen zurück in den hohen Knoten und ziehe ein gepunktetes Stirnband über, das ich hinter der Bar aufbewahre. Sehe ich heute wirklich so schlimm aus? Habe ich etwas im Gesicht?
Oder kennt sie mich von irgendwoher?
Sie ist Anfang vierzig, hat kurzes, kastanienbraunes Haar und einen Blick, der Eier aufschlagen könnte. Niemand sonst ist in der Nähe – alle sind drinnen verschwunden, um den Empfang vorzubereiten –, also sind nur sie und ich auf dem vertrockneten Rasen. Wie zwei Cowboys, die sich im Morgengrauen zum Duell treffen.
«Kann ich … Ihnen helfen?», frage ich, und mir läuft ein Kribbeln über den Rücken.
Das weiche Gras biegt sich unter ihren Schritten. «Ist Ihnen bewusst», fragt sie näher kommend, die Hände in den Taschen ihres Trenchcoats vergraben, «dass Sie genau wie Sofia Christiansen aussehen?»
Ah, okay, darum geht es! Die winzige Faust in meinem Bauch lockert sich.
Die Frage höre ich oft. Sofia und ich haben die gleiche Statur – mittelgroß, runde Hüften. Unsere Gesichtszüge sind relativ identisch: kantiges Kinn, hellbraune Augen und ein Blick, der manchmal sagt: Ich bin stärker, als du denkst. Der einzige geringfügige Unterschied ist, dass Sofia Christiansen mit dreißig Jahren die jüngste Premierministerin der Geschichte ist. In ganz Europa bejubeln die Zeitschriften sie als glamouröse, selbstbewusste und kompetente Regierungschefin. Ich bin, wie schon festgestellt wurde, die Frau, die Kartons mit Zwei-Dollar-Wein über einen Rasen schleppt, von dem ich Nesselausschlag an den Knöcheln bekomme, denn mein Leben ist in Flammen aufgegangen. Jetzt gerade trage ich obendrein ausgefranste Jeansshorts und ein T-Shirt von der Maine-State-Messe mit einem sprechenden Waschbären drauf. Regierungspotenzial? Eher nicht.
Ich nicke höflich und zucke mit der Schulter. «Ja, habe ich schon gehört.»
«Es ist unheimlich», sagt die Frau und kommt noch näher. Zu nahe. «Sie sind wie Zwillinge. Sind Sie verwandt?»
«Nein, es ist bloß so ein zufälliges Doppelgängerding …» Meine Schultern versteifen sich, als ich mich um die Bar herum und an ihr vorbeidränge, womit das Thema hoffentlich erledigt ist. Ich muss mir meine Cateringuniform anziehen, die Tabletts mit den Hummersnacks hinstellen und mich um Gary kümmern, bevor er auf die Gartenstühle macht.
Leider versteht die Frau im Trenchcoat den Wink nicht. «Wir haben wenig Zeit, also halte ich es für das Beste, wenn Sie mir kurz zuhören. Dann sehen wir weiter. Wie wir bereits geklärt haben, ist Ihnen Sofia Christiansen, die Premierministerin von Summerland, ein Begriff. Was Sie eventuell nicht wissen, ist, dass jemand sie mehr als gerne aus dem Weg räumen würde.»
Meine Brust kribbelt vor Hitze, und ich ahne, dass rote Flecken unter dem Kragen meines T-Shirts auftauchen. Ich drehe mich halb auf meinen Birkenstocks um und denke: Was für eine Unterhaltung soll das hier werden? Summerland kenne ich. Es ist eine kleine Inselnation vor der norwegischen Küste: Felsenklippen, schieferblaues Meer, Papageientaucher. Von dort stammt meine Großmutter. Das sind die Bilder, mit denen ich aufgewachsen bin: Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom Meer und einer Küste, die ich nur in meiner Fantasie besucht habe. Doch alles andere, der Teil mit der Premierministerin und der mit dem Attentat, werfen die Frage auf, ob diese Frau sich an Stärkerem als dem Kartonwein vergriffen hat.
«Ich sage ‹jemand›», fährt sie fort, «obwohl wir den Kreis der Verdächtigen mittels Logik auf einen summerländischen Verbrecherclan eingegrenzt haben. Stellen Sie sich die Hells Angels vor, nur skandinavischer; die fahren richtige Räder. Der erste versuchte Anschlag war direkt, nachdem die Premierministerin im April ihr illegales Glücksspiel- und Waffenschmuggelnetzwerk hochgenommen hatte. Haben Sie in den Nachrichten von dem Vorfall im Krankenhaus gehört?»
Ich blinzle langsam, sodass ich meine Wimpern im Sonnenlicht sehe. Wer hat das nicht mitbekommen? Es lief überall, eine konstante Videoschleife von der Premierministerin, die vor einer Kinderklinik in Deckung sprang; eine Kugel, die ihren Bodyguard am Arm traf, und sie, die hinüberrannte, um Druck auf die Wunde auszuüben und ihn abzuschirmen. Bei den Bildern hatte ich einen Kloß im Hals. All die Kinder, die aus den Fenstern schauten, ob es der Premierministerin gut ging – und ob sie immer noch reinkommen würde, um ihnen eine Geschichte vorzulesen.
Meine Mom hatte mir sogar zu einem der News-Clips getextet:
Unglaublich, wie sehr sie dir ähnelt. Als deine Mutter halte ich die Aufnahmen schlecht aus!
«Wahrscheinlich fragen Sie sich, was das mit Ihnen zu tun hat», sagt die Fremde, untermalt von Garys Schnattern. «Normalerweise würden wir jemanden monatelang vorbereiten, doch in Anbetracht der knappen Zeit muss ich direkt sein. Wir würden Sie gern als Lockvogel anheuern. Damit es nicht zu dem Attentat kommt.»
Wie bitte, was?
Die Trommel in meiner Brust schlägt einen holprigen Takt.
Als ich einen Schritt zur Seite mache, tut die Frau es ebenfalls. «Ich weiß, dass es nicht leicht zu verarbeiten ist, aber durch einen wundersamen genetischen Zufall sehen Sie und die Premierministerin sich verblüffend ähnlich. Bis auf das eher blonde Haar, das wir ändern werden. Aber Ihre Knochenstruktur ist identisch. Augen, Größe, Figur, alles gleich. Keiner könnte den Unterschied erkennen. Also reisen Sie mit uns nach Italien, wo die Premierministerin ihren Jahresurlaub verbringen wird. Sie spielen eine einfache Rolle in einem schwer zu sichernden …»
«Wer ist wir?», zische ich, was in meinen Ohren wie ein weit entferntes Wellenrauschen klingt. Ich verstehe die Worte, die aus ihrem Mund kommen, aber sie … ergeben null Sinn. Italien? Sie will, dass ich in Italien eine Premierministerin spiele?
«Sie können mich Gail nennen», weicht die Frau meiner Frage aus.
Gail. Niemand Furchteinflößendes heißt Gail. Und etwas ist an der Art, wie sie es sagt. Sie können mich Gail nennen. Nicht: Ich heiße … Warum stockt mir dabei der Atem?
Ich habe mein Handy im Cateringvan gelassen. Sollte ich den Notruf wählen, falls diese Person so gefährlich wie auf dem Holzweg ist?
«Und Ihr Name ist Margaux Adams», sagt Gail, die mir durch den Mittelgang folgt. Sie bewegt sich schnell genug, dass die Enden ihres Trenchcoatgürtels gegen den Mantel schlagen wie die Arme eines gestrandeten Tintenfischs, und insgeheim hoffe ich, dass Gary sie attackiert. «Genannt Max, auch wenn mir das unerklärlich ist. Anständige Noten im College, bis Sie abgebrochen haben, um Ihr Glück in der Gastronomie zu versuchen. Ehedem im Sommer Empfangsdame in einem Lokal namens Lobster in the Rough, aber Ihr erster richtiger Job war … Robbie’s Clam Hut, wenn ich mich nicht irre? Sie haben sich hochgearbeitet. Vom Robbie’s zum LaRocca zum Pierre’s by the Sea zu einem eigenen Restaurant. Sehr charmant übrigens. Frida’s, stimmt’s?»
Es ist, als hätte mein Blut aufgehört zu zirkulieren. Frida’s, benannt nach meiner Großmutter. Frida’s mit der weißen Putzfassade, der großen Terrasse hinten und den Fenstern, durch die im Winter reichlich Sonne nach drinnen fiel. Mein Traum. Ich erinnere mich an jedes Gericht, das ich je dort serviert habe – jeden Fisch, den ich filetierte, jede Auster, die ich aufbrach. Und ich erinnere mich, wie ich das letzte Mal in der Küche stand, das Licht löschte und so heftig weinte, dass ich würgen musste.
Das war vor vier Monaten. Mein Restaurant hat die Pandemie nicht überlebt. Es gab uns seit zweieinhalb glorreichen Jahren, als der Crash kam, ich die Regierungskredite verbrannte und schließlich Darlehen von Verwandten und Freunden annehmen musste, um das Frida’s über Wasser zu halten. Am Ende ging es trotzdem unter.
Am Parkplatzrand drehe ich mich zu Gail um, den Tränen nahe. «Ehrlich, warum müssen Sie mein Restaurant ansprechen? Das ist grausam.»
Sie macht noch einen vorsichtigen Schritt auf mich zu und sieht mich eindringlich an. «Nein, Max. Das ist die CIA. So machen wir die Welt zu einem sichereren Ort. Ich zeige Ihnen etwas, das Sie verloren haben, und es gibt etwas, das ich brauche. Wir können uns in der Mitte treffen.»
CIA. Sie hat CIA gesagt. Der Knoten in meinem Bauch wird wieder zu einer Faust, weil es sich … wahr anfühlt.
«Sie arbeiten für die CIA», wiederhole ich langsam, um die Worte zu kosten. Bitter.
«Mmm.» Gail nickt, ehe sie eine Dienstmarke aus ihrer Tasche zieht, auf der (sehr praktisch) Central Intelligence Agency steht. «Sie könnten auch für die CIA arbeiten, als Agentin. Ich mag noch neu bei der CIA sein, aber ich bringe zwanzig Jahre Berufserfahrung beim FBI mit, und …»
«Stopp.» Ich hebe die Hände, weil ich Sterne sehe. Mir ist schwindlig, als hätte ich zwei Schichten zu lange in der Küche gestanden. «Jetzt nicht, Gary!»
Der Ganter ist herübergekommen, um sich anzusehen, was hier los ist, und pickt mir in die Kniekehlen. Jetzt watschelt er auf den Parkplatz.
«Falls Sie sich wegen des Prozederes sorgen», spricht Gail weiter, «Double sind gängig. Viele prominente Persönlichkeiten haben eines. Es gab einen britischen General, Bernard Montgomery, der den Zweiten Weltkrieg größtenteils in einem Versteck verbracht hat. Das Double kommandierte in seiner Abwesenheit die Truppen. Und Sie haben Glück. Sie sehen Sofia so ähnlich, dass keine Operation nötig ist. Kein …» Gail macht eine Scherenbewegung in der Luft.
«Was schneiden Sie?», kreische ich halb und wedele mit den Händen. «Was sollte das Schneidezeichen bedeuten?»
«Vergessen Sie, dass ich es erwähnt habe! Wie gesagt, die CIA hat mich wegen meiner langjährigen Erfahrung mit Verbrecherclans angeworben. Haben Sie von der Jones-Verhaftung letzte Weihnachten gehört? Das war ich. Das war mein Agent. Wie dem auch sei, uns sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass diese Familie, die die Premierministerin ins Visier genommen hat, einen Anschlag während ihrer bevorstehenden Italienreise plant. Indem Sie einspringen, verschaffen Sie uns Zeit, genug Beweise zu sammeln, um sie zur Strecke zu bringen, und gleichzeitig für die Sicherheit der Premierministerin zu sorgen … Also, was denken Sie?»
Denken? Was ich denke? «Ich denke, Sie sollten mir ja vom Hals bleiben.»
Gail schnalzt mit der Zunge. «Max, überlegen Sie …»
Doch ich stürme schon davon, erst schnell gehend, dann laufend, denn jeder Instinkt in mir sagt, dass ich laufen soll.
Ich trinke selten. Doch als ich spät an dem Abend in mein Apartment zurückkehre, schenke ich mir ein Glas Leitungswasser ein und gebe einen Schuss Whiskey hinzu. Er ist mit Zimtgeschmack und objektiv ekelhaft, aber das einzige Alkoholische im Schrank. Er ist noch übrig von der Junggesellinnenparty meiner ehemals besten Freundin vor fast zwei Jahren. Sogar mit Wasser brennt er beim Schlucken. Dennoch leere ich das Glas und wische mir hinterher mit dem Handrücken über den Mund.
«Calvin?», keuche ich. «Bist du da?»
Da klingt besser als zu Hause. Dieses Wort benutze ich nicht für unser Apartment. Mein altes Loft war zwei Blocks vom Frida’s. Alle Fenster auf der Südseite hatten Blick auf die Bucht, und morgens vor den Vorbereitungen in der Küche saß ich mit einem Kamillentee im alten Sessel meiner Großmutter und schaute zu, wie die Boote hereinkommen. Mir war gar nicht richtig klar, wie herrlich mein Leben war.
Ich vermisse jene Morgen, wie überhaupt alles aus jener Phase meines Lebens.
Von irgendwo aus der (geringen) Tiefe des Apartments höre ich ein gedämpftes Wie isses. Wie isses gehört für meinen Mitbewohner Calvin zum aktuellen Vokabular. Er hat es schlicht aus den Neunzigern mitgebracht. Als ich ihn kennenlernte, erinnerte er mich an den schrägen Mitbewohner in Notting Hill, der im Taucheranzug kifft. Nur dass Calvin außergewöhnliches Haar besitzt. Er hat sogar mal kurz als Haarmodel gearbeitet, ehe er seine Berufung als Angestellter beim Finanzamt von York County fand. Und er ist, wie der Notting-Hill-Mann, immer noch dauerhigh.
Er kommt in einem grauen Jogginganzug aus seinem Zimmer geschlurft und blinzelt mich mit glasigen Augen an. «Was ist heute Abend gewesen?» Das ist Calvins Lieblingsfrage. Es ist, als würde er mich sehr behutsam verhören, nicht fragen, wie mein Abend war.
«Nicht viel», antworte ich mit einem Schulterzucken, auch wenn es ein bisschen zu zapplig gerät. Meine Schultern hüpfen quasi, und plötzlich weiß ich nicht, wohin mit meinen Händen. Essen. Ich könnte etwas essen. Ich sehe unsere Schränke durch und versuche, alles zu verarbeiten, was passiert ist, aber wie kann ich? Wie verarbeitet man, dass man vor einer Hochzeit von der CIA angeworben werden sollte, oder …
Bingo! Im dritten Schrank ist noch eine angebrochene Tüte längst pappiger Humpty-Dumpty-Kartoffelchips mit Sour-Cream-und-Muschel-Geschmack. Ich stopfe mir eine Handvoll in den Mund, während Calvin mich mit leicht geneigtem Kopf ansieht. Seine schwarzen Locken hängen ihm über die Ohren. Nachdem er mich eine Sekunde lang beobachtet hat, umkreist er mein Gesicht mit dem Zeigefinger und tippt mir auf die Nase wie einem Golden Retriever. «Etwas ist anders an dir.»
«Ich kann dir nicht sagen, was es ist.» Ehrlich, kann ich nicht. Ich würde mich anhören, als hätte ich mir übel den Kopf gestoßen und von Gails Doppelgänger-Bitte halluziniert. «Hey, tust du mir einen Gefallen? Falls jemand klingelt und zu mir will, machst du bitte nicht auf?»
«Und wenn es eine Pizza ist?»
Ich spreche mit dem Mund voller Kartoffelchips und schiebe meinen Pony mit dem Stirnband zurück. «Ich habe nicht vor, Pizza zu bestellen.»
«Was, wenn du es dir anders überlegst?»
«Werde ich nicht.»
«Na gut», sagt Calvin. «Wollen wir uns diese australische Serie angucken, über die Farmer auf Brautschau?»
«So verlockend es auch klingt», antworte ich, «aber ich werde wohl eher in die Falle gehen. Ein anderes Mal.»
Er wünscht mir eine gute Nacht und gibt mir die Chipstüte, damit ich sie mitnehme. Ich mag Calvin. Wir haben zufällig zusammengefunden: Er hatte ein superbilliges Zimmer übrig, und ich brauchte einen Platz zum Wohnen. Das ist alles. Na ja, und ich war mir ziemlich sicher, sollte er sich als Serienmörder entpuppen, könnte ich ihn leicht plattmachen. Kann sein, dass in seinem Badezimmer eine Schildkröte lebt. Kein Haustier, sondern eine, die er gerettet hat und die sich jetzt in seiner Wanne erholt. Man kann über ihn sagen, was man will, aber der Mann ist wunderbar weichherzig.
In meinem Zimmer öffne ich das Fenster und lasse die Nachtluft über meine Haut streichen. Ich fühle mich zittrig, und mir ist ein bisschen schlecht. Die leichte Brise hilft. Von dem Waschsalon im Erdgeschoss steigt Seifengeruch in meine Nase, als ich mich in Nanas Sommerquilt hülle und in Gedanken Gails Ansprache noch einmal durchspiele. Attentäter. Premierministerin. Urlaub. Leichte Rolle! Je mehr ich darüber nachdenke, desto bescheuerter klingt es. Wenn das mit der CIA stimmt und jemand tatsächlich Sofia Christiansen in Italien umbringen will, wäre es dann nicht klug, den verdammten Urlaub abzublasen?
Ich esse die restlichen Chips, hole mein Handy hervor, tippe auf das gesprungene Display, um es aufzuwecken, und google die Premierministerin von Summerland. Das habe ich schon mal. Allerdings nie so gezielt und mit weniger Herzklopfen. Doch wie zuvor sind alle erscheinenden Bilder wie aus einem Hochglanzmagazin. Adrette Aufnahmen einer adretten Person. Auf einem sitzt sie mit nachdenklicher Miene dem Parlament vor, das dunkelbraune Haar zu einem tiefen Knoten gesteckt. Auf einem anderen ist sie in einem schwarzen Paillettenblazer zu maßgeschneiderten Shorts und irre hohen Absätzen abgebildet. Sie schirmt ihr Gesicht mit einer kleinen Handtasche vor den Paparazzi ab. PREMIERMINISTERIN ODER PARTYPRINZESSIN?, lautet die Schlagzeile, was mir übertrieben unfair vorkommt. Der Frau wird doch wohl noch ein Leben erlaubt sein! Sie macht nur einmal im Jahr Urlaub – eine Reise nach Rom und an die Strände von Positano, genau wie schon in ihrer Kindheit.
Wir sind nicht doch irgendwie verwandt, oder? Etwas entfernter vielleicht? Der Gedanke kommt mir nicht zum ersten Mal. Wir sind keine Cousinen ersten oder zweiten Grades, nicht supernah verwandt, aber Nana Frida war aus Summerland, und auf der Insel ähneln sich alle ein bisschen.
Ich klicke einen Artikel an. Gemäß der britischen Vogue hat Sofia ihren Einfluss neu ausgerichtet und setzt sich weltweit dafür ein, dass Frauen Zugang zu Bildung bekommen. Sie ist überzeugter Single, engagiert sich für psychisch Kranke und hat ein Herz, das zu gleichen Teilen aus Gold und aus Stahl besteht. Da ist ein Foto von ihr bei der Eröffnung eines Tierheims für Katzen, noch eines von ihr bei einem Kampfsporttraining für Opfer häuslicher Gewalt. Und sie hat dem illegalen Waffenhandel in Summerland quasi den Garaus gemacht. Es ist schwer, sie nicht zu mögen, und noch schwerer, die auffällige Ähnlichkeit von uns zu übersehen: die Form unserer Ohren, die Sommersprossen um die Nase, die Art, wie sie den Kopf zur Seite legt, wenn sie nachdenkt – genau wie ich jetzt, als ich auf das Display schaue.
«Bin ich zu energisch», sagt Sofia in einem YouTube-Clip, «zu stark, spreche zu klar aus, was ich denke, werde ich mit Worten belegt, die ich hier nicht wiederholen werde. Bin ich ruhiger, sanfter, gelte ich als schwach, als nicht stark genug, meine Nation zu führen. Und dazwischen gibt es nichts. Für Frauen existiert kein Mittelweg. In den Augen mancher Menschen sind wir immer das eine oder das andere, nicht wahr?»
Um drei Uhr morgens bin ich so tief in Sofia eingetaucht, dass ich unbewusst die Videos mitspreche – alle ihre Videos! – und mich frage, ob ich es schaffe, dass meine Vokale wie ihre klingen.
Körperdouble. Könnte ich das? Ich meine, im Ernst, könnte ich? Wie schwer wäre es, eine Premierministerin im Urlaub zu spielen? Falls jemand versucht, mir etwas anzutun … Ich bin fit. Nach Monaten körperlicher Arbeit, in denen ich alles von Fässern bis hin zu großen Tischen gewuchtet habe, bin ich in der besten Form aller Zeiten. Ich glaube, dass ich verdammt schnell laufen kann, wenn ich will, und so ungefähr allem ausweichen, womit man mich bewirft. Außerdem ist es ja nicht so, als würde ich hier viel verpassen, abgesehen vom Ganterscheuchen. Wäre es nicht nett, etwas Sinnvolles zu tun? Wer verdient mehr Schutz als eine Frau, die sich für all diese internationalen Belange einsetzt, die furchtlos ihr Land regiert und …
Um Himmels willen, Max! Hörst du dich denken?
Ich schleudere mein Handy quer durchs Zimmer, ziehe mir den Quilt über den Kopf und zwinge mich zu schlafen.
Am nächsten Morgen hämmert jemand an meine Tür.
Ich schlage die Augen auf und wische mir mit den Handballen übers Gesicht. Draußen ist das milchige Pink des Sonnenaufgangs zu sehen, und es dauert nur eine Sekunde, bevor alles von gestern wieder da ist. Ich weiß genau, wer an meiner Tür ist – und genau, was sie will. Calvin geht nicht hin. Gut! Gut, Calvin. Vorsichtig steige ich aus dem Bett, noch in meiner schwarz-weißen Cateringkluft, die halb aufgeknöpft ist, und meine Ponysträhnen kleben mir an der Stirn. Durch den Spion sehe ich Gails verzerrtes Gesicht auf dem Korridor draußen.
Heute nicht, Satan! Das Letzte, was ich tun sollte, ist, die Tür zu öffnen. Höchstens nach dem sechzigsten Klopfen und nachdem es beständig lauter wird, sodass die Nachbarn anfangen, gegen die Wand zu bollern. Wenn wir noch eine Lärmbeschwerde bekommen, ich aus diesem Apartment fliege und mir woanders die Miete nicht leisten kann …
«Wir hatten gestern einen unglücklichen Start», sagt Gail, die mir durch die nun geöffnete Tür eine weiße Papiertüte entgegenstreckt. «Ich habe Bagels mitgebracht. Sie sehen nicht aus, als hätten Sie gut geschlafen.»
«Danke», antworte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Sie denkt eindeutig, dass ich die Bagels meine, nicht die Beleidigung. «Mohn», sagt sie und schwenkt die Tüte. Verdammt. Mit Mohn mag ich am liebsten. Gail reckt ihren Hals an meiner Schulter vorbei und späht ins Apartment. «Vielleicht sollten wir lieber drinnen reden. Ist Ihr charmanter Mitbewohner in der Nähe?»
Mein Schädel beginnt zu brummen. «Ich … Weiß ich nicht. Wahrscheinlich?»
«Mmm», macht Gail, zieht ihr Handy hervor und schickt eine schnelle Textnachricht. Bittet sie um ein Update zu Calvins Aufenthaltsort? Keine drei Sekunden später ertönt ein «Pling». «Ah, er ist los, um Kaffee zu holen und anscheinend auch zweihundert Gramm Marihuana zu kaufen. Ein bisschen viel für einen Montagmorgen, aber jeder nach seiner Fasson, schätze ich.»
«Hören Sie.» Ich reibe mit dem Daumen zwischen meinen Augenbrauen. «Ich habe Nein gesagt. Also, wenn es Ihnen nichts ausmacht …»
«Oh, es macht mir was aus», unterbricht Gail mich und drängt sich jetzt komplett an mir vorbei. «Zu den Bagels haben Sie nicht Nein gesagt. Und die sind ein wesentlicher Teil dieser Operation.»
Ich entreiße ihr die Tüte, nur damit sie still ist. «Die sind nicht mit Drogen versetzt, oder? Ich wache nicht nach einem davon in einem Flieger nach Positano auf?» Gail bleibt vor meinem dunkelgrünen Sofa stehen, fegt einige Krümel herunter und streicht ihren Mantel glatt, bevor sie sich setzt. Was mich nur schnippischer macht. «Ich dachte, Leute wie Sie tragen keine Trenchcoats mehr.»
Sie legt den Kopf leicht schräg. «Leute wie ich?»
«Spione. Es wirkt ein bisschen zu offensichtlich.»
Gail schlägt die Beine übereinander und faltet die Hände auf ihren Knien. «Nun, Max, ich würde mich nicht als Spionin bezeichnen.» Sie blickt sich im Apartment um, schaut zu den Stapeln von benutzten Coupon-Heftchen und der vollen Tonne mit leeren Ranch-Dressing-Flaschen. «Ich würde mich als Ihre beste Option aus diesem Höllenloch bezeichnen.»
«Hey!» Ich bin ernsthaft beleidigt. «Wir haben eine Mikrowelle!»
«Und ich bin mir vollkommen sicher, dass es in der Hölle Mikrowellen gibt, Max.» Gail ist die Art Mensch, die den Namen ihres Gegenübers ganz oft im Gespräch unterbringt – und das nicht auf die nette Art. Mehr auf herablassende. Als würde sie mit einer ungebärdigen Sechsjährigen reden. «Darf ich fragen, was es mit dem Ranch-Dressing auf sich hat? So viel kann man unmöglich verbrauchen. Das sind fast … fünfzehn Flaschen.»
Wenigstens das kann ich beantworten. «Mein Mitbewohner bekifft sich oft. Und er haut Ranch-Dressing auf alles.» Müde und frustriert sacke ich auf den Klappstuhl ihr gegenüber. «Selbst wenn Sie sind, wer Sie sagen, haben Sie einen Fehler gemacht, okay? Sie brauchen keine abgehalfterte Köchin. Meine einzige wirkliche Fähigkeit war mal, richtig, richtig gutes Clam Chowder zu machen, was nicht …»
«Haben Sie gewusst», fällt Gail mir schon wieder ins Wort, «dass Julia Child eine CIA-Agentin war? Und ebenfalls Köchin, nicht wahr? Sie wären genau wie sie, in einem anderen Land, wo Sie Ihren verdeckten Aufgaben nachkommen. Wer will nicht wie Julia Child sein?» Gail dreht noch weiter auf. «Denken Sie es sich als Ihr Entkommen! Wollen Sie nicht einen netten Urlaub machen, Max? Worum wir Sie bitten, ist nicht schwer. Hauptsächlich werden Sie auf einer Strandliege sitzen und ein Buch lesen. Es ist ein simpler Job im wunderschönen Italien. Das Essen wird exquisit sein. Passend zur Saison. Frische Pancetta und gebutterte Nudeln. Zitronen-Gnocchi …»
«Und alles zu dem so unvorstellbar niedrigen Preis … des möglichen Todes!», sage ich, als wäre ich eine Gameshow-Moderatorin.
«Max», sagt Gail ernst, «wir alle machen uns vor, wir seien sicher. In Wahrheit sind wir jedes Mal in Gefahr, wenn wir vor die Tür treten. Jedes Mal, wenn wir unsere Autos fahren, sind wir in Gefahr. Jedes Mal, wenn wir unter unsere Dusche steigen, sind wir in Gefahr. Essen, Gefahr. Schlafen, Gefahr. Wissen Sie, wie viele Menschen sich jedes Jahr versehentlich mit ihren Bettlaken erwürgen?»
Ich sehe sie wenig beeindruckt und gleichzeitig ein bisschen entsetzt an. «Als Romanceautorin würden Sie schon mal keinen Job kriegen.»
«Macht nichts», sagt Gail, klopft sich auf die Knie und steht auf. «Ich dachte, ein bisschen Schlaf würde Ihnen helfen, alles klarer zu sehen. Fünf Millionen sind eine Menge Geld.»
Das Wohnzimmer kippt irgendwie seitlich weg, und das Klingeln in meinen Ohren setzt wieder ein. «Was haben Sie gesagt?»
«Fünf Millionen Dollar. Die fünf Millionen, die wir Ihnen anbieten, wenn Sie den Auftrag nach unseren Vorgaben erfüllen.»
«Sie haben nie fünf Millionen erwähnt.» Jetzt stehe ich auch auf, dennoch rauscht sämtliches Blut in mein Gesicht. «Wenn Sie mir fünf Millionen anbieten wollten, hätten Sie vielleicht mit denen anfangen sollen.»
«Das merke ich mir fürs nächste Mal», sagt Gail zum Haareraufen gelassen. «Obgleich es sein kann, dass ich diese Information willentlich zurückhielt, wohlwissend, dass Sie auf die erste Ansprache hin ablehnen würden. Es ist Teil des strategischen Ansatzes zur schrittweisen Akzeptanz. Ich sollte auch erwähnen, dass ich um Ihre finanzielle Lage weiß.»
Erinnerungen blitzen in meinem Kopf auf, die verlässlich auftauchen, wenn ich am Boden bin – an meine Mom, die mit einigen Lebensmitteln bei mir vorbeikommt, weil sie die Ebbe in meinem Kühlschrank gesehen hat; an meinen Dad, der sein Boot verkaufte und den Arm um mich legte. Es ist nur ein Boot, Max-a-million. Aber das Boot war sein ganzes Leben. «Die ist übel.»
«Ja, gruselig.»
Eigentlich schlimmer als gruselig. Gruselig wäre gewesen, nur mein Restaurant zu verlieren. Gruselig wäre, nur einen Riesenhaufen Schulden zu haben. Aber ich habe es mit mehr zu tun: dem Verlust aller Beziehungen, die mir wichtig waren. Weil ich mir von jedem Geld geliehen hatte.
Und jeden Penny verloren habe.
«Es kommt nicht oft vor, Max, dass man die Möglichkeit bekommt, sein Leben binnen Tagen vollkommen umzukrempeln. Denken Sie an Ihre Eltern. Überlegen Sie, was sie mit einem Teil dieses Gelds tun könnten. Vielleicht in den Ruhestand gehen? Und Ihre Freundin Jules? Die Beziehung ist ein bisschen angespannt, nicht wahr? Würden Sie das nicht gern binnen sieben Tagen reparieren? Nur ein kurzer Trip nach Rom, an die Amalfiküste und zurück. Sie können wieder nach Hause. Ihr Leben nach vorne bringen. Vielleicht sogar ein neues Restaurant eröffnen. Dies hier ist nicht nur eine Chance, es ist eine Zeitmaschine. Drehen Sie die Uhr zurück. Korrigieren Sie Ihre Fehler. Holen Sie sich Ihr …»
«Hallo, hallo!» Calvin kommt herein, eine Plastiktüte voller Kaffeebohnen und Gras in der Hand. «Wer ist unsere neue Freundin?»
«Ich komme von der Maine Street Lottery», erklärt Gail wie auf Autopilot. «Ihre Mitbewohnerin hat unseren geheimen Preis gewonnen. Eine Europareise, alles inklusive.»
Calvins ohnehin schon geweitete Pupillen werden noch größer. «Alter, echt?»
Mir ist klar, dass mir nur Sekunden bleiben. Der Deal ist auf dem Tisch, und etwas sagt mir, wenn ich ihn jetzt nicht annehme, werde ich es für den Rest meines Lebens bereuen. Meine Familie verdient diese Chance … und, ganz ehrlich, falls ich einen anderen Grund bräuchte: Sofia verdient sie auch. Sie zu schützen, wäre mit Abstand das Nobelste, was ich jemals getan habe.
Ich schlucke den riesigen Klumpen in meinem Hals herunter und gebe mein Bestes, so zu lächeln, als hätte ich gerade in der Lotterie gewonnen. «Ja, ich mache Urlaub.»
Gail hat nicht gescherzt, was die knappe Zeit betrifft. Innerhalb weniger als einer Stunde geht es los. In allerletzter Sekunde, während meine Hände zu zittern beginnen, schreibe ich eine Nachricht an meine Eltern (auf einem neongelben Post-it, ganz erbärmlich), die sie finden sollen, falls mir etwas zustößt: Ich bin in Italien. Ich liebe euch beide mehr, als ich in Worte fassen kann. Tut mir leid. Die Nachricht schiebe ich unter mein Kissen. Dann geht es fix in einen schwarzen Van, und während Gail redet, starre ich meist aus dem Fenster und versuche, gleichmäßig zu atmen. Die Bucht fliegt in kleinen Fetzen von Meer zwischen Betonklötzen vorbei. Nach dem Stadtzentrum tauchen Kolonialbauten auf, die den Platz von Geschäften einnehmen. Schaukelgerüste und Gartenpools. Kinder, die auf wasserglänzenden grünen Rasenflächen durch Sprinklerregen laufen. Glück, Sommer, Leben.
Als der Fahrer uns am Portland International Jetport absetzt, zuckt mein linkes Augenlid. «Also … wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei dieser Nummer tatsächlich ermordet werde?»
«Willst du, dass ich dir eine Prozentzahl gebe?» Gail wiegt den Kopf hin und her. «Sechsunddreißig Prozent?»
Ich schlucke angestrengt. «Oh Mann! Ist das hoch?»
«Ich habe ehrlich keine Ahnung. Die Zahl war einfach geraten. Ich dachte, es beruhigt dich, etwas Konkretes zu haben.»
«Es beruhigt mich nicht.»
«Oh, mein Fehler. Sieben Prozent.»
Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich auf dem Charterflug nach Italien nicht schlafe. Hauptsächlich stressfuttere ich Minibrezeln, schaue mir heruntergeladene Videos von Sofias Reden an, und wann immer ich auch bloß daran denke, die Augen zu schließen, stelle ich mir vor, wie ich in einen vergifteten Cannolo beiße. Creme quillt aus der knusprigen Hülle, und ich kippe auf offener Straße um … bevor ich, um es noch peinlicher zu machen, von einer Vespa überfahren werde. Warum sich mein Gehirn auf diese sehr spezifische Anschlagsmethode eingeschossen hat, kann ich nicht sagen, doch bis zur Landung am Flughafen Rom-Ciampino bin ich gründlich paranoid. Würde mir jemand mit einer Feder auf die Schulter tippen, ich würde wetten, dass es Bibo ist, der mich umbringen will.
«Du bist blass», stellt Gail fest, die einen BMW lenkt. Den haben wir aus dem Parkhaus am Flughafen geholt. Wer hatte ihn dort abgestellt? Jemand von der CIA? Das Wageninnere riecht nach teurem Parfüm und diesen winzigen dünnen Zigaretten. «Geht es dir nicht gut?»
«Doch, ich …» Wir überholen einen Fiat 500, dessen Fahrer die Frechheit besitzt, sich an das Tempolimit zu halten. Gail hingegen fährt, als würde sie von einem Tatort fliehen, und achtet sehr wenig auf Nichtigkeiten wie Ampeln, Stoppschilder oder Verkehrsregeln. Ich klammere mich an den Griff der Beifahrertür. «Ich denke nur nach. Zu viel.»
«Tu das nicht.»
«Sorry.»
«Und entschuldige dich nicht», schilt Gail. «Regierungsoberhäupter bitten nie um Verzeihung.»
«Sollten sie vielleicht mal», murmle ich und habe dabei ein paar bestimmte im Sinn. Dann sage ich etwas lauter: «Fahren wir jetzt zum Hotel? Hast du nicht gesagt, zuerst geht es nach Positano?» Die kleine Digitaluhr am Armaturenbrett zeigt, dass es vier Uhr achtundzwanzig am Morgen ist. Hinter den Scheiben liegt ein verschlafenes Rom, dessen Randbezirksstraßen von dünnen Bäumen, Mauern und Werbetafeln für neue amerikanische Filme gesäumt sind. Es fühlt sich unmöglich an, das alles in mich aufzunehmen und zu begreifen, dass ich in Rom bin – und wir jeden Moment von der Autobahn abbiegen und all die berühmten Kathedralen, Kunstmuseen oder die Spanischen Treppe sehen.
«Wir müssen vorher noch ein paar Sachen abhaken», beantwortet Gail meine Frage nur halb. «Du lernst deinen Führungsagenten kennen …»
«Moment mal! Ich dachte, du bist meine Führungsagentin.»
«Nein. Wie ich schon sagte, werden wir beide dein Haar verändern. Und den Rest deines sichtbaren Äußeren überprüfen, ob irgendwelche Narben verdeckt oder Sommersprossen hinzugefügt werden müssen. Danach geht es an deine Vorbereitung: wie du dich als Sofia präsentierst. Aber keine Sorge, es wird nicht allzu übertrieben sein, da wir unter Zeitdruck stehen, und die meiste Zeit wirst du nur absitzen.»
Als leichtes Ziel, flüstert mein Gehirn. Ich ignoriere es.
«Dein Agentenführer wird sich um den Großteil des Trainings kümmern», fährt Gail fort. «Am Ende werdet ihr zwei unzertrennlich sein.»
Am Ende. Klingt ja gar nicht unheimlich! Ich nicke angespannt, zupfe am Ausschnitt meines verblichenen weißen T-Shirts und tue so, als wäre diese Unterhaltung total normal. «Okay. Und wie ist diese Person?»
«Kompetent», antwortet Gail.
«Und?»
«Groß.» Dabei belässt sie es.
Mir fällt ein Dutzend weiterer Fragen ein (Der Name? Wie lange ist die Person schon bei der CIA? Hat sie Erfahrung damit, Leute für solche Einsätze vorzubereiten?), doch Gail reißt das Lenkrad nach links, weicht knapp einem frühmorgendlichen Fußgänger aus, und ich kann ein römisches Aquädukt sehen, dessen hohe Bögen im Mondlicht schimmern. Mir entfährt ein kurzes, ehrfürchtiges Hauchen. Es ist prächtig und etwas, das ich noch nie zuvor gesehen habe.
Der einzige Stempel in meinem Pass ist ein kanadischer. Nach Monaten Arbeit im Lobster in the Rough, einem Fischrestaurant, fuhr ich wie am Ende jedes Sommers mit meiner Familie über die Grenze, wo wir uns in einer Holzhütte mit Etagenbetten einigelten. Bärenspray kam auch ins Spiel. Nach der Ankunft wurden erst mal sämtliche Bettlaken gewaschen und überall Staub gewischt. Dann gab es Proviantpakete – meistens Sandwiches mit Aufschnitt von Hannaford und Scheibenkäse –, und anschließend stand vor allem Wandern auf dem Programm. Hin und wieder in der Hängematte liegen oder ein kurzer Sprung in den eiskalten See.
Dies hier ist vollkommen anders. Die Stadt ist selbst im Halbdunkel und an den Rändern auf elegante Weise lebendig. Als Gail die nächste Ausfahrt nimmt, verändert sich die Architektur. Sandsteinkirchen ragen zu beiden Seiten auf. Terracottafarbene Wohnblöcke weichen öffentlichen Parkanlagen. Einige wenige Leute sind schon unterwegs, fahren auf Motorrollern herum, rauchen vor verrammelten Zeitungsständen, und ich … habe ein unglaublich schlechtes Gewissen, echt. Wer bin ich, auch nur den Anschein eines Urlaubs zu verdienen?
Vor allem aber ist diese Stadt romantisch. Perfekt für Paare. In einer idealen Welt wäre ich hier mit jemand anderem als Trenchcoat-Gail. Was eine tatsächliche Beziehung voraussetzen würde, Max. Hektischer Restaurantbetrieb jedoch verträgt sich schlecht mit Privatleben. Der letzte Typ, mit dem ich zusammen war (Damien, Kochkollege mit tätowierten Armen und einer Vorliebe dafür, um drei Uhr morgens Soufflés zu backen), sagte mir, dass ich ständig zu beschäftigt schien, zu lässig, was uns angeht. Vielleicht stimmte es. Lässig tut nicht weh.