Nach den Spionen - Sascha Macht - E-Book

Nach den Spionen E-Book

Sascha Macht

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Beschreibung

In diesem apokalyptischen Spionage-Thriller verfolgt ein engagierter Agent seine Nemesis, den Kalmar, über die vernichtete Landschaft eines zukünftigen Nord-Amerikas. Macht entwirft eine monströse Miniatur voller Ekstase und Wahnsinn, Ausweglosigkeit und Verzweiflung – Pynchon meets le Carré.

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Seitenzahl: 38

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Nach den Spionen

... Entweder es regnet, oder die Bahnschranken sind runter.

John le Carré: Eine kleine Stadt in Deutschland

Vor langer Zeit sah ich den Kalmar am Lincoln Memorial in der Menge verschwinden, lieferte mir mit ihm ein Feuergefecht auf einem ausrangierten Dampfschiff der deutschen Kriegsmarine, das seine Runden auf dem Tanganjikasee drehte, brachte am Mont Blanc sein Kleinflugzeug genau über dem Glacier de Bossons zum Absturz, ließ mir von ihm in den Säulengängen der Ruinenstadt Persepolis den Arm brechen, weil es keinen anderen Ausweg gab, traf seine verwitwete Mutter in einem Café in Bergen, wo ich mit ihr über Glück und Elend der späten Geburt diskutierte, bereitete vergeblich seine Festnahme an der innerdeutschen Grenze in Berlin vor und verfolgte einen seiner zahlreichen Doppelgänger durch das Gewimmel in den Markthallen von Covent Garden. Immer wieder gerieten wir im Laufe der Jahrzehnte aneinander, nahm der eine die Spur des anderen auf, gelang es dem Kalmar, letztendlich doch einen Fluchtweg zu finden, gelang es mir, gerade noch so mit dem Leben davonzukommen. Beständig drehte sich der Kalmar um mich, beständig drehte ich mich um den Kalmar, so wie die Welt unter unseren Füßen sich um die Sonne und die Sonne sich in der finsteren Leere des Weltraums dreht, und manchmal fragte ich mich, zwischen Prostituierten, Trickbetrügern und wilden Hunden in der Dunkelheit des Strandes von Copacabana, in einem von radikalisierten Uiguren bewohnten Wolkenkratzer im chinesischen Ürümqi oder auf einer einsamen Landstraße durch die Savannen des ausgebluteten Simbabwes, welche Rolle unsere Auftraggeber dabei gespielt hatten, meine Hauptzentrale und sein Heiliges Konsortium: Waren sie die Erfinder dieses Spiels oder einfache Spielfiguren wie wir gewesen? Doch irgendwann war auch diese Frage nicht mehr zu beantworten, denn der durch Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen und Grenzscharmützel eingeleitete Niedergang des nördlichen Superkontinents riss auch seine miteinander befeindeten Geheimdienste in den Abgrund, sodass der Kalmar, ich und all unsere Brüder und Schwestern, die so waren wie wir, plötzlich mit unabgeschlossenen Aufträgen sitzen gelassen wurden, die aber – das wusste jeder von uns – noch zu Ende gebracht werden mussten, unter allen Umständen. Denn allein darin bestand der Sinn unserer Existenz: Zeitlebens hatten wir für den Machterhalt gesorgt, die Deutungshoheit gewährleistet, das übergeordnete Wohl verteidigt, bedingungslos für unsere Sache gekämpft, und das würden wir auch weiterhin tun, ganz gleich, ob unsere Premierminister, Zentralsekretäre, Marionettenkönige oder Generalgouverneure längst von furchtsamen Edelmännern guillotiniert, an Mobilfunkmasten aufgeknöpft oder von einem republikanischen Erschießungskommando an die Rückwand eines Supermarkts gestellt worden waren.

Durch Zufall war ich auf die letzte Spur des Kalmars gestoßen, in einer schäbigen Siedlung in den Sümpfen Louisianas, wo ein von Haut- und Zahnkrankheiten geschütteltes Grüppchen weißer Amerikaner die Herrschaft ihrer Rasse über den Rest der Erde vorbereitete. Sie erzählten mir am Lagerfeuer von einem Mann, der sich als ein vom Glauben abgefallener Kleriker ausgegeben und ihnen von einem kleinen Königreich im hohen, kalten Norden samt seinem mit allen Wassern gewaschenen Menschenschlag berichtet hatte. Dorthin wolle er ziehen, um den Ruf aus Amerika zu verkünden, der all die hochwertigen Unterdrückten versammeln und sich ihre eigentliche Bestimmung erkämpfen lassen würde. Die eilfertigen Sumpfbewohner waren daraufhin heillos in Streitereien geraten, ob sie ihm nun folgen oder hier ausharren müssten, da der Ruf ja augenscheinlich von ihnen auszugehen hatte, und ihr unter Einfluss enormer Mengen Amphetamins geführter Disput ließ sie schließlich allesamt in eine Lethargie verfallen, die sie an den Rand einer Hungersnot führte. Der Kalmar spielte wieder einmal, das begriff ich sofort, aber unser über Jahrzehnte andauerndes exzessives Duell hatte ihn nachlässig werden lassen, sodass es mir keinerlei Schwierigkeiten bereitete, seinen Aufenthaltsort im Norden anhand von Kreditkartenabrechnungen, Flugrouten und Augenzeugenberichten einzugrenzen und ihm dorthin zu folgen, um ihm und seiner Weltanschauung, Wertvorstellung und politischen Zukunft ein für alle Mal den Garaus zu machen.