Nach vielen Sommern - Aldous Huxley - E-Book

Nach vielen Sommern E-Book

Aldous Huxley

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Beschreibung

Dieser Roman ist eine vielschichtige Satire über die Suche nach dem ewigen und glückseligen Leben Der kalifornische Multimillionär Joe Stoyt hat sich in seinem protzigen Palast mit einer Sammlung närrischer Menschen umgeben, die sich gegenseitig zum Schicksal werden. Allen voran Dr. Obispo, der eine Formel für das ewige Leben entwickeln soll. Bei der Sichtung einiger Papiere zeigt sich, dass ein exzentrischer englischer Adliger das Rezept schon vor zweihundert Jahren gefunden hat – doch der Preis für die Ewigkeit ist hoch ...

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www.piper.de

Neuauflage einer früheren Ausgabe

Übersetzt aus dem Englischen von Herberth E. Herlitschka

ISBN 978-3-492-97663-3

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© Ms. Laura Huxley 1939

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »After Many a Summer«, Chatto & Windus, London 1939

© der deutschsprachigen Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 1954, 1986

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Der Wald verdorrt, vermodert fällt der Baum,

Die Wolke weint zur Erde ihre Last,

Den Acker baut der Mensch und liegt darin,

Es stirbt nach vielen Sommern auch der Schwan.

Tennyson, »Tithonus«

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL

Alles war telegrafisch vereinbart worden: Jeremy Clayton sollte nach einem schwarzen Chauffeur in grauer Livree mit einer Nelke im Knopfloch Ausschau halten und der Chauffeur nach einem Engländer von etwa fünfzig Jahren, der einen Band Wordsworth-Gedichte in der Hand trüge. Trotz der Menschenmenge auf dem Bahnhof fanden sie einander ohne Schwierigkeit.

»Sind Sie Mr. Stoyts Chauffeur?«

»Mistah Clayton?«

Jeremy nickte und hob, in der einen Hand den Wordsworth, in der anderen seinen Schirm, die Arme ein wenig seitwärts, mit der abbittenden Gebärde eines Probierfräuleins, das, der eigenen Mängel bewusst, eine klägliche Figur in lächerlichen Kleidern vorführt. »Ein armselig Ding«, schien die Gebärde zu sagen, »doch ich selbst«. Jeremy Clayton hatte sich eine sozusagen vorbeugende Selbstherabsetzung zur Gewohnheit gemacht und griff bei jedem Anlass zu diesem Schutzmittel. Aber, so fragte er sich plötzlich besorgt, müsste man im demokratischen Fernen Westen dem Chauffeur nicht die Hand schütteln, umso mehr, als er ein Mohr war? Schon um darzutun, dass man, wenngleich das Vaterland des weißen Mannes Bürde zu tragen hatte, kein Sahib war? Schließlich entschied er sich dafür, nichts zu tun; genauer gesagt, die Entscheidung wurde ihm aufgezwungen – wie gewöhnlich, stellte er mit einer eigenartigen säuerlichen Befriedigung über diesen neuerlichen Beweis seiner Unzulänglichkeit fest. Denn während er noch unschlüssig war, zog der Chauffeur, wobei er ein wenig übertrieben die Rolle des altväterischen Familienerbstücks spielte, die Mütze, verneigte sich und sagte mit einem alle Zähne blinken lassenden Grinsen: »Willkommen in Los Angeles, Mistah Clayton!« Dann verfiel er mit seinem näselnden Singsang aus dem Dramatischen ins Vertrauliche: »Ich Sie an de Aussprache erkennen, Sir, auch wenn ohne de Buch.«

Jeremy lachte etwas unbehaglich. Eine Woche in den Vereinigten Staaten hatte ihm seine Stimme peinlich zu Bewusstsein gebracht; sie war das Erzeugnis seiner Cambridger Universitätszeit, zehn Jahre vor dem Weltkrieg; eine gedämpfte, flötende Stimme, die an Abendandachten in einer englischen Kathedrale gemahnte. Daheim in England fiel sie niemand sonderlich auf, und er hatte nie vorbeugende Witze über sie machen müssen, wie etwa über sein Äußeres oder sein Alter. Hier in Amerika war das anders. Er brauchte nur eine Tasse Kaffee zu verlangen oder nach der Toilette zu fragen – die übrigens hier in diesem verwirrenden Land nicht Toilette hieß – und alle Leute starrten ihn belustigt und neugierig an wie eine Missgeburt auf einem Jahrmarkt. Es war durchaus nicht angenehm.

»Wo ist mein Träger?«, fragte er geschäftig, um das Gespräch abzulenken.

Einige Minuten später saß er bereits in den Wagenfond geschmiegt und, wie er hoffte, außer Reichweite für eine Unterhaltung mit dem Chauffeur und gab sich dem Genuss reinen Betrachtens hin. Südkalifornien glitt an den Wagenfenstern vorüber, und er brauchte nur die Augen offen zu halten.

Als Erstes bot sich seinem Blick ein Armeleuteviertel von Negern und Filipinos, Japanern und Mexikanern. Diese Spielarten und Kreuzungen von Schwarz, Gelb und Braun! Diese vielfältigen Rassenmischungen! Und die Mädchen – wie hübsch sie waren in ihrer Kunstseide! »Und Negerdamen in weißen Musselingewändern.« Eine seiner Lieblingsstellen im »Prelude« von Wordsworth. Er lächelte vor sich hin. Und mittlerweile war das Armeleuteviertel den hohen Bauten eines Geschäftsbezirks gewichen.

Die Bevölkerung nahm eine mehr kaukasische Färbung an. Eine Drogerie mit Sodawasserbar an jeder Straßenecke. Zeitungsjungen verkauften Fettgedrucktes über Francos Vormarsch auf Barcelona. Fast alle vorübergehenden Mädchen schienen in stilles Gebet vertieft zu sein, aber, so überlegte Jeremy, es war wohl nur Kaugummi, was sie unablässig bewegte. Gummi – nicht Gott!

Der Wagen glitt in einen Tunnel und tauchte in einer anderen Welt wieder auf, einer weiten, unordentlichen Vorstadtwelt von Benzinpumpen und Reklametafeln, niedrigen, von Gärten umgebenen Häusern, Baustellen und Abfallpapier, vereinzelten Läden, Bürogebäuden und Kirchen – Methodistenkirchen, überraschenderweise im Stil der Cartuja von Granada, katholischen Kirchen nach dem Muster der Kathedrale von Canterbury, Synagogen, als Moscheen aufgemacht, Kirchen der Christian Science mit Säulen und Giebeln gleich Bankpalästen.

Es war ein früher Wintervormittag, aber die Sonne strahlte und der Himmel war wolkenlos. Das Auto fuhr westwärts; wie Scheinwerfer beleuchteten die von hinten einfallenden Sonnenstrahlen jedes Gebäude, jede Dachreklame und jede Plakatwand, als wollten sie dem Ankömmling alle Sehenswürdigkeiten vorführen.

GABELBISSEN. COCKTAILS. GANZE NACHT GEÖFFNET.

JUMBO-MALZADE.

FÄHRST DU AUFS LAND ODER SONST WOHIN,

TU'S NUR MIT CONSOL-SUPER-BENZIN!

EIN SCHÖNES BEGRÄBNIS IM BEVERLY-PANTHEON IST NICHT TEUER.

Das Auto sauste dahin. Mitten auf einer Baustelle stand ein Restaurant in Gestalt einer sitzenden Bulldogge, die Eingangstür zwischen den Vorderpfoten, die Augen erleuchtet. »Zoomorph«, murmelte Jeremy, »zoomorph!« Er hegte eine Gelehrtenliebe für Wörter. Die Bulldogge blieb in der Vergangenheit zurück.

WAS DIE STERNE SAGEN! IHRE SCHICKSALS-ZAHLEN! BOTSCHAFTEN AUS DEM JENSEITS!

NUTBERGERS HIER ERHÄLTLICH.

Was immer ein Nutberger sein mochte, er beschloss, bei der nächsten Gelegenheit einen zu bestellen; und dazu eine Jumbo-Malzade.

HALT! VERLANGEN SIE CONSOL-SUPER-BENZIN!

Wirklich hielt der Chauffeur. »Zehn Gallonen SuperSuper« verlangte er. Dann wandte er sich an Jeremy: »Diese Firma gehören uns. Mistah Stoyt sein Präsident.« Er wies auf eine Reklametafel. BARDARLEHEN IN FÜNFZEHN MINUTEN las Jeremy. AUSKÜNFTE: GEMEINNÜTZIGE FINANZ-GESELLSCHAFT. »Gehören auch uns«, erklärte der Chauffeur stolz.

Sie fuhren weiter. Aus einem riesigen Plakat starrte das Gesicht eines schönen Mädchens, verzerrt wie das einer zerknirschten Magdalena. ZERSTÖRTES GLÜCK verkündete die Beschriftung. DIE WISSENSCHAFT HAT NACHGEWIESEN, DASS 73 PROZENT ALLER ERWACHSENEN AN MUNDGERUCH LEIDEN.

IHR FREUND IM LEID – DAS BEVERLY-PANTHEON!

GESICHTSPFLEGE. DAUERWELLEN. MANIKÜRE.

SHEILAS SCHÖNHEITSSTÜBCHEN.

Neben Sheilas Schönheitsstübchen war ein Western-Union-Kabelbüro. Himmel, die Depesche an seine Mutter – beinahe hätte er es vergessen! Jeremy beugte sich vor und befahl dem Chauffeur in dem abbittenden Ton, dessen er sich gegenüber Dienerschaft bediente, den Wagen anzuhalten. Einen geschäftigen Ausdruck auf seinem sanften Kaninchengesicht, eilte er über den Gehsteig in das Kabelbüro.

»Mrs. Clayton, Lindenruh, Woking, England«, schrieb er mit leisem Lächeln. Die auserlesene Ungereimtheit dieser Anschrift erheiterte ihn immer aufs Neue. »Lindenruh, Woking.« Seine Mutter hatte beim Ankauf des Hauses diesen Namen ändern wollen, weil er zu freimütig mittelständisch sei, aber Jeremy hatte widersprochen; das sei gerade das Schöne daran; darin liege sein besonderer Reiz. Er hatte sie zu überzeugen gesucht, wie richtig eine solche Anschrift für sie beide wäre, wie köstlich komisch der Gegensatz zwischen dem Namen des Hauses und dem Wesen seiner Bewohner! Wie paradox passend es wäre, dass Oscar Wildes alte Freundin, die witzige, hochgebildete Mrs. Clayton, ihre geistsprühenden Briefe aus »Lindenruh« in der Londoner Provinz schrieb, wo auch die aus Belesenheit und eigenartig verfeinertem Witz gemengten Werke entstanden, denen ihr Sohn seinen Ruf verdankte! Mrs. Clayton hatte es fast sofort verstanden. Ihr brauchte man, Gott sei Dank, nichts mühselig zu beweisen; ein paar Andeutungen und halbe Sätze genügten, und sie verstand. Bei »Lindenruh« war es geblieben.

Nachdem er die Anschrift hingemalt hatte, hielt Jeremy inne, die Stirn nachdenklich gerunzelt, und wollte aus alter Gewohnheit am Bleistift zu kauen beginnen, entdeckte aber, dass dieser Bleistift ein Messingende hatte und an einer Kette befestigt war. »Mrs. Clayton, Lindenruh, Woking, England«, las er laut, weil er hoffte, diese Worte würden ihn zu der angemessenen, vollendet stilisierten Nachricht anregen, die seine Mutter von ihm erwartete; zu einer zugleich zärtlichen und witzigen Nachricht, von ironisch ausgedrückter echter Ergebenheit durchdrungen, ihre mütterliche Herrschaft anerkennend, jedoch auf scherzhafte Weise, damit die alte Dame ihr Gewissen beruhigen könnte, ihr Sohn sei vollkommen unabhängig und sie selbst alles eher als eine tyrannische Mutter. Es war nicht leicht, dieses Kabelgramm, zumal der Bleistift an einer Kette hing. Nach mehreren Fehlversuchen entschied er sich für folgenden, immer noch recht unbefriedigenden Wortlaut:

»TROPISCHEN KLIMAS WECEN GELÜBDE BEZÜGLICH UNTERWÄSCHE UNERFÜLLBAR STOP WÜNSCHE DU WÄREST HIER IN MEINEM INTERESSE NICHT DEINEM DENN DU HÄTTEST SCHWERLICH ETWAS ÜBRIG FÜR DIESES ÜBERLEBENSGROSSE UNVOLLENDETE BOURNEMOUTH STOP«

»Unvollendete was?«, fragte die junge Dame am Schalter.

»B-o-u-r-n-e-m-o-u-t-h«, buchstabierte Jeremy den englischen Badeort. Er lächelte; seine blauen Augen blinzelten hinter den Bifokalgläsern, und mit einer unbewussten Gebärde, die er jedesmal machte, wenn er eins seiner Witzchen anbringen wollte, tätschelte er sich die kahle Stelle auf seinem Kopf. »Sie wissen doch«, sagte er besonders flötend, »der Born, in des Bezirk kein Wanderer Einkehr hält, wenn er nicht muss.«

Die Schalterdame starrte ihn verständnislos an. Das travestierte Hamletzitat sagte ihr offenbar nichts. Dann schloss sie aus seiner Miene, dass ein Witz gefallen sein musste, besann sich, dass höfliche Bedienung ein Leitsatz der Western Union war, und verabreichte dem alten Tropf das sonnige Lächeln, das er offenbar erwartete.

»HOFFENTLICH UNTERHÄLTST DU DICH GUT IN GRASSE STOP TENDRESSES JEREMY«, las sie dann zu Ende.

Es war eine kostspielige Nachricht, aber, dachte Jeremy, während er die Brieftasche zog, glücklicherweise überzahlte Mr. Stoyt ihn kräftig. Für drei Monate Arbeit sechstausend Dollar – was lag da an solchen Kosten?

Er stieg wieder in den Wagen, und sie fuhren weiter, Meile auf Meile; die Vorstadthäuser und die Benzinpumpen, die Baustellen, die Kirchen und die Kaufläden zogen mit ihnen ohne Ende. Rechts und links verliefen sich die Straßen des ungeheuren Wohnviertels mit ihren Palmen, Pfefferbäumen und Akazien zu ihren Fluchtpunkten.

PRIMA ESSEN! EISTÜTEN – SO GROSS!

JESUS ERLÖST DICH.

HAMBURGER STEAKS.

Wieder zeigten Verkehrslichter Rot. Ein Zeitungsjunge erschien am Wagenfenster. »Angebliche Erfolge Francos in Katalonien«, las Jeremy und wandte sich ab. Das Grauen in der Welt hatte einen Grad erreicht, wo es für ihn nur noch langweilig war. Einem Auto vor ihnen entstiegen zwei ältere Damen, beide mit schlohweißen Dauerwellen, beide in scharlachroten Hosen, jede einen Yorkshire-Terrier unter dem Arm. Die Hunde wurden an den Fuß der Verkehrssäule gestellt, aber bevor sie sich zu ihrer Benützung entschlossen hatten, wechselte das Licht, der Neger gab Gas, und der Wagen schoss vorwärts ins Kommende. Jeremy dachte an seine Mutter. Auch sie hatte beunruhigenderweise einen Yorkshire-Terrier.

FEINE LIKÖRE.

TRUTHAHNBRÖTCHEN.

EIN KIRCHENBESUCH – UND SIE FÜHLEN SICH DIE GANZE WOCHE WOHL.

WAS FÜRS GESCHÄFT GUT IST, IST GUT FÜR SIE.

Abermals bot sich dem Blick eine zoomorphe Erscheinung, diesmal ein Realitätenbüro in Gestalt einer ägyptischen Sphinx.

JESUS KOMMT BALD.

DAUERND JUNG DURCH MOLLIFORM-BÜSTENHALTER.

BEVERLY-PANTHEON – EINE LETZTE RUHESTÄTTE WIE KEINE ANDERE.

Mit triumphierender Miene, wie der gestiefelte Kater beim Aufzählen der Besitztümer des Marquis de Carabas, sah der Neger über die Schulter zurück und wies auf die Tafel: »Gehören auch uns.«

»Das Beverly-Pantheon?«

Der Neger nickte. »Schönste Friedhof auf die ganze Welt, ich schätzen.« Dann fragte er: »Sie wollen vielleicht sehen? Kein Umweg.«

»Das wäre sehr nett«, erwiderte Jeremy mit der Herablassung der englischen Oberklasse, fühlte jedoch, dass er mehr Wärme und demokratisches Empfinden andeuten müsste, räusperte sich und ergänzte mit einem Versuch, die örtliche Umgangssprache zu kopieren: »Geradezu grandios!« Das klang, in seinem Cambridger Tonfall, so unnatürlich, dass er vor Verlegenheit errötete. Zum Glück musste der Chauffeur auf den Verkehr achten.

Sie bogen rechts ein und sausten weiter, vorbei an einem Rosenkreuzertempel, zwei Sanatorien für Katzen und Hunde, einer Schule für Tambourmajorinnen und noch zwei Reklametafeln für das Beverly-Pantheon. Als sie auf den Sunset Boulevard kamen, erblickte Jeremy eine junge Dame, die in einem ritterspornblauen Badekostüm ohne Achselbänder, mit Platinlocken und in schwarzem Pelzjäckchen ihre Einkäufe besorgte. Auch sie schwand hinweg in die Vergangenheit.

Die Gegenwart – die war eine Straße am Fuß einer Kette steiler Berge, besäumt von kleinen teuren Läden, Restaurants, Nachtklubs, die sich mit Rollbalken gegen das Sonnenlicht abgeschlossen hatten, Geschäfts- und Miethäusern. Auch sie tauchten ins Unwiderrufliche, und eine Tafel verkündete, dass man nun die Bannmeile von Beverly Hills erreicht habe. Die Szene wechselte. Die Gärten eines Wohnviertels für reiche Leute begleiteten die Autostraße. Durch Bäume sah Jeremy die Häuser, alle neu, fast alle geschmackvoll – elegante, geistreiche Abklatsche von Lutyensschen Herrensitzen in England, von Klein-Trianons und Monticellos, übermütige Parodien auf Le Corbusiers streng sachliche Wohnmaschinen, Neu-England-Farmhäuser und fantastische Übermexikanisierungen mexikanischer Haziendas.

Der Wagen bog wieder rechts ein, in eine Allee ungeheurer Palmen. Riesenbüschel von Mittagsblumen flammten tiefst karminrot in der Sonne. Die Häuser folgten einander wie Pavillons auf einer endlosen Weltausstellung. Gloucestershire folgte auf Andalusien, die Touraine auf Oaxaca, Düsseldorf auf Massachusetts.

»Hier Harold Lloyd wohnen«, erklärte der Chauffeur, auf eine Art von Boboli deutend. »Und hier Charlie Chaplin. Und dort sein Pickfair.«

Die Straße stieg schwindelerregend. Der Chauffeur wies über einen Abgrund von Schatten auf ein Gebäude am Hang gegenüber, das einer tibetanischen Lamaserei glich. »Dort wohnen Ginger Rogers. Jawoll, Sir!«, nickte er triumphierend, während er das Lenkrad drehte.

Nach noch fünf, sechs Kehren erreichte der Wagen die Höhe. Tief unten lag die Ebene mit der Stadt wie eine unendliche Landkarte, in rosigen Dunst hingebreitet. Vor ihnen ragten zu beiden Seiten Berge auf, Kamm hinter Kamm, soweit das Auge reichte, ein verdorrtes Schottland, kahl unter blauem Wüstenhimmel.

Der Wagen bog um einen gelbroten Felsvorsprung, und plötzlich erschien auf einem bisher dem Blick verborgenen Berg eine ungeheure Lichtreklame: »beverly-pantheon, der friedhof mit persönlichkeit«, stand da in zwei Meter hohen Neonröhren, und darüber, ganz auf dem Gipfel, eine Nachbildung des schiefen Turms von Pisa in Originalgröße – nur war der hier nicht schief.

»Sie sehen?«, erkundigte sich der Neger mit Nachdruck. »Turm von Auferstehung. Zweihunderttausend Dollar haben gekostet. Jawoll, Sir!« Beredte Feierlichkeit lag in seinem Ton. Man hatte das Gefühl, das ganze Geld sei aus seiner eigenen Tasche gekommen.

ZWEITES KAPITEL

Eine Stunde später waren sie wieder unterwegs, nachdem Jeremy alles gesehen hatte. Alles: die Rasenhänge gleich einer grünen Oase in der Bergwüste, die Haine, die Grabsteine im Gras; den Tierfriedhof mit der Marmorgruppe nach Landseers Bild zoomorph dargestellter »Würde und Unverschämtheit«; das Shakespeare-Kirchlein, eine Miniaturwiedergabe der Dreifaltigkeitskirche in Stratford am Avon, komplett mit Dichtergruft und Vierundzwanzigstundenmusik, gespielt von der Wurlitzerorgel mit Dauerantrieb und durch unsichtbare Lautsprecher über den ganzen Friedhof verbreitet.

Dann, an die Sakristei stoßend, das Brautboudoir – denn in dem Kirchlein konnte man auch getraut, nicht nur daraus zu Grabe getragen werden – das Brautboudoir, das, wie der Chauffeur erklärte, soeben im Stil von Norma Shearers Boudoir in dem Marie-Antoinette-Film neu ausgestattet worden war. Und gleich daneben die wundervolle Einäscherungshalle in schwarzem Marmor, durch die man zum Krematorium gelangte, wo drei allermodernste Inzineratoren mit Ölfeuerung beständig in Betrieb waren, für jeden unvorhergesehenen Fall bereit.

Unablässig von den Tremolos der Dauerorgel begleitet, hatten sie im Wagen den Auferstehungsturm besichtigt – nur von außen, denn im Inneren waren die Verwaltungsbüros der Kalifornischen Friedhofgesellschaft untergebracht. Dann den Kinderfriedhof mit den Standbildern Peter Pans und des Jesusknaben, den Gruppen alabasterner Kleinkinder, die mit bronzenen Kaninchen spielten, dem Wasserrosenteich und dem Regenbogen-Springbrunnen, der gleichzeitig Wasser, farbiges Licht und Fluten der unentrinnbaren Wurlitzertöne spie. Dann, in schneller Folge, den Garten der Stille, den verkleinerten Tadsch-Mahal, den Friedhof Alte Welt und endlich, vom Chauffeur als entscheidender Beweis der Größe seines Herrn bis zuletzt aufgespart, das Pantheon selbst.

War es möglich, fragte sich Jeremy, dass es so etwas wirklich gab? Es hatte jedenfalls nichts Wahrscheinliches. Das Beverly-Pantheon war etwas völlig Unvorstellbares; nie hätte seine Fantasie so etwas erfinden können. Aber das Bild war nun in seiner Erinnerung, also musste er es tatsächlich gesehen haben. Er schloss die Augen und rief sich die Einzelheiten dieser Wirklichkeit gewordenen Unmöglichkeit ins Gedächtnis: die äußere Architektur des Ganzen nach dem Vorbild der Böcklinschen »Toteninsel«, das kreisrunde Vestibül mit der Replik von Rodins »Kuss«, durch verborgene Scheinwerfer rosa angeleuchtet, und die Treppenfluchten aus schwarzem Marmor; das siebenstöckige Kolumbarium, die endlosen Galerien und ihre Reihen über Reihen mit Platten verschlossener Grabnischen; die Aschenurnen aus Bronze oder Silber, wie Sportpreise; die bunten Glasfenster nach Burne-Jones, die Texte auf marmornen Schriftrollen, das Lullen der Dauerorgel in jedem Stockwerk, die Plastiken …

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