Nachts auf der Straße der Angst - Barbara Branch - E-Book

Nachts auf der Straße der Angst E-Book

Barbara Branch

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Der Mann war für einen Asiaten recht groß, hatte einen mächtigen Brustkorb und sah nicht aus, als könne er einen Spaß vertragen. Das Gesicht war maskenhaft starr. Er lächelte wie ein Roboter, den man programmiert hat. »Bitte, lassen Sie uns gehen!«, flehte Contessa Oktavia. »Nein, das ist unmöglich!« Es war der erste Satz, den der furchteinflößende Mann korrekt ausgesprochen hatte. Aber die Worte klangen wie einstudiert. Sie ahnten nicht, wie oft sie diesen Satz noch würden hören müssen. Wie sie lernen müssen, den Japaner wegen dieses Satzes zu hassen ... Der von Säulen getragene Saal war mit Stuck überladen. Auf dem Boden glänzte herrlicher italienischer Marmor. Vor den Fenstern standen Bäume, die an Zypressen erinnerten. Sie bogen sich im Wind, der über das schottische Hochmoor wehte. »Dieses Haus ist wirklich beinahe wie ein florentinischer Palazzo«, flüsterte Contessa Oktavia Montevarena ihrer Freundin Cecilia zu. »Aber ich habe Angst.« »Angst? Wovor?« Das junge Mädchen lachte unbekümmert.

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Gaslicht – 44 –

Nachts auf der Straße der Angst

Unveröffentlichter Roman

Barbara Branch

Der Mann war für einen Asiaten recht groß, hatte einen mächtigen Brustkorb und sah nicht aus, als könne er einen Spaß vertragen. Das Gesicht war maskenhaft starr. Er lächelte wie ein Roboter, den man programmiert hat. »Bitte, lassen Sie uns gehen!«, flehte Contessa Oktavia. »Nein, das ist unmöglich!« Es war der erste Satz, den der furchteinflößende Mann korrekt ausgesprochen hatte. Aber die Worte klangen wie einstudiert. Sie ahnten nicht, wie oft sie diesen Satz noch würden hören müssen. Wie sie lernen müssen, den Japaner wegen dieses Satzes zu hassen ...

Der von Säulen getragene Saal war mit Stuck überladen. Auf dem Boden glänzte herrlicher italienischer Marmor. Vor den Fenstern standen Bäume, die an Zypressen erinnerten. Sie bogen sich im Wind, der über das schottische Hochmoor wehte. »Dieses Haus ist wirklich beinahe wie ein florentinischer Palazzo«, flüsterte Contessa Oktavia Montevarena ihrer Freundin Cecilia zu. »Aber ich habe Angst.«

»Angst? Wovor?« Das junge Mädchen lachte unbekümmert. »Wir sind hier doch nicht allein! «

Sie deutete auf den Führer und die große Reisegruppe, mit der sie Schloss Caesarea besichtigten.

Der Blick der Contessa folgte einem korrekt gekleideten Herrn mit einem ungewöhnlich bleichen Gesicht, in dem dunkle, fast schwarze Augen brannten. Der Herr schien diesen Blick bemerkt zu haben.

Er trat zu der Gruppe der drei jungen Italiener und sagte in einem einwandfreien Italienisch, das ihn nur durch den Akzent als Engländer kennzeichnete: »Gefällt Ihnen das Schloss? Ist es nicht ein Traum? So muss das Paradies aussehen!«

»Nun, ich stelle es mir nicht gerade als imitierten italienischen Palazzo in Schottland vor«, antwortete Luciano Livillia kühl. Er machte seiner Schwester und der Contessa ein Zeichen, sich der Führung anzuschließen, die eben den Raum verließ.

»Es ist ein wirkliches Paradies!«, erklärte der Fremde fest. »Wenn ich denke … Sie sind doch Italiener?«

»Ja. Wir kommen aus Florenz und wissen, wie ein echter Palazzo aussieht«, sagte der junge Mann etwas spöttisch. »Die Dame da neben Ihnen ist eine echte italienische Contessa, die in solch einem Palast – einem echten übrigens – lebt.«

»Wirklich?«, fragte der Fremde, und in seinen Augen glühte es auf.

Contessa Oktavia schauderte. Aber Cecilia Livillia lachte leise. Ihr gefiel der Fremde, ihr gefiel überhaupt alles, was sie bisher auf dieser Reise erlebt hatten. Und war es denn nicht wirklich faszinierend, hinter den Mauern eines alten schottischen Schlosses eine so völlig andere Welt zu finden

»Dieses Schloss Caesarea ist sehr interessant«, stellte sie fest. »Ich frage mich nur, wer wohl auf den Gedanken gekommen sein kann, es so herzurichten, dass man sich nach Italien versetzt glaubt.«

»Ein Bewunderer Ihrer Heimat, Mylady. Darf ich fragen, sind Sie auch eine Contessa?«

»Nein, das ist nur Oktavia. Ich bin eine schlichte Signorina Livillia. Aber immerhin haben Sie die Ehre, mit Contessa Oktavia Montevarena zu sprechen, einer Enkelin des Fürsten Borellio.«

»Es ist mir eine Ehre, Mylady …«, sagte der Fremde und verbeugte sich so tief vor Oktavia, dass Luciano den Kopf schüttelte. Dieser Engländer benahm sich sehr merkwürdig.

»Wir müssen weiter, wenn wir den Anschluss nicht verpassen wollen«, drängte er.

»Ich will Sie nicht aufhalten«, erklärte der Fremde. Er verbeugte sich noch einmal und verschwand dann durch die Tür neben dem Kamin.

Die drei jungen Italiener wandten sich dem weitaus prunkvolleren, säulengeschmückten Ausgang zu, durch den die anderen Touristen mit dem Führer vor ein paar Minuten den Saal verlassen hatten.

Im selben Moment war ein seltsames Geräusch zu hören, als habe man diese Tür gerade verschlossen.

»Was soll denn das?«, knurrte Luciano und drückte auf die reichverzierte Klinke. Sie gab nach, aber die Tür ließ sich nicht öffnen.

»Verdammt! Die werden uns hier doch nicht eingeschlossen haben!«, schimpfte er. »Sie müssen doch merken, dass wir etwas zurück geblieben sind wegen dieses Schwätzers!«

»Reg dich nicht auf«, meinte seine Schwester. »Dann benutzen wir eben den anderen Ausgang, oder wir warten, bis die nächste Führung kommt. Meines Wissens findet jede Stunde eine statt.«

Luciano Livillia schritt durch den großen Saal zu der kleinen Tür neben dem Kamin. Aber auch sie war jetzt verschlossen.

»Schlamperei!«, knurrte er ärgerlich und nahm sein Zigarettenetui aus der Tasche. »Und dann behaupten die Engländer immer, wir Südländer seien leichtsinnig und …«

»Was hat denn das mit Leichtsinn zu tun?«, fragte Cecilia. »Vielleicht sind sie überkorrekt und schließen zu, damit hier nichts gestohlen wird.«

»Was sollte man hier stehlen?«, brummte Luciano und ließ sich in eines der zwölf kostbaren Sesselchen fallen, die es in diesem Zimmer gab. Sonst bestand die Einrichtung nur noch aus einem Tisch mit Mar­morplatte und verschnörkelten Beinen. Die Zigarettenasche stäubte er achtlos in den Kamin, der aussah, als habe noch nie ein Feuer darin gebrannt.

»Die Bilder vielleicht?«, überlegte Cecilia und sah zu den Gemälden hin. »Der Führer hat doch vorhin gesagt, das eine sei ein echter Tintoretto, und das linke dort stamme von Giorgione.«

»Na ja«, Luciano schien sich in das offenbar Unvermeidliche zu fügen und streckte die Beine von sich. »Immerhin können wir jetzt wenigstens mal eine Stunde ruhig sitzen. Du hast mich heute ja schon genug herumgeschleppt. Und warum ich mir eine falsche Via Appia in Schottland anschauen muss, sehe ich auch nicht ganz ein. So etwas kann ich daheim bequemer und wenigstens zum Teil noch im Originalzustand haben.«

Auch Cecilia setzte sich in einen der Sessel.

Dabei fiel ihr Blick auch auf die Freundin, die bewegungslos mitten im Saal stand und auf ein Bild über dem Kamin starrte.

»Was hast du denn, Oktavia?«, fragte sie. »Ist das Bild so interessant?«

»Es ist … entsetzlich. Eine … Höllenfahrt, denke ich«, sagte Oktavia leise.

»Kann sein. Mir gefällt es nicht. Es ist viel zu dunkel. Schau es dir doch nicht an, wenn es dich so bedrückt. – Kann ich bitte auch eine Zigarette haben, lieber Bruder?«

Cecilia ließ sich Feuer geben und nahm dann einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette.

Contessa Oktavias Blick hing noch immer an dem Gemälde.

»Komm, setz dich wenigstens!«, schlug Cecilia vor. »Wenn sie uns schon in ihrem seltsamen Museum einsperren, müssen sie es sich auch gefallen lassen, dass wir ihre Ausstellungsstücke benutzen.«

Contessa Oktavia trat langsam an den Tisch und setzte sich dann so vorsichtig, als könne das goldene Sesselchen unter ihr zusammenbrechen.

»Ich habe Angst«, flüsterte sie. »Es ist hier alles so unheimlich. Warum hat man uns eingeschlossen?«

»Ein Versehen vermutlich«, sagte Luciano und sah das junge Mädchen zärtlich an. »Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Oktavia. Ich bin ja bei dir.«.

»Ja …, du bist bei mir …«, hauchte sie, aber ihre Augen waren vor Angst übergroß.

Er streichelte behutsam ihre Hand, und die immer vergnügte Cecilia schüttelte den Kopf.

»Angst? Wovor denn? In spätestens einer Stunde kommt die nächste Führung, und dann werden sie schön staunen, wenn sie uns hier finden. Vielleicht zählt unser Führer seine Schäfchen am Ausgang und stellt fest, dass ein paar fehlen. Trinkgeld bekommt er jedenfalls von mir nicht!«

»Der Herr in dem dunklen Anzug«, sagte Contessa Oktavia mit bebender Stimme, »er hat mich so seltsam angesehen …«

»Weil ihm noch nie eine leibhaftige Contessa begegnet ist, wahrscheinlich«, meinte Cecilia. »Es gibt Menschen, die beten den Adel an und glauben, jeder mit einem Adelstitel müsse auch mit einem Krönchen herumlaufen.«

»Gehört dieses Schloss denn keinem Adligen?«, wunderte sich die Contessa.

»Soviel ich weiß, ist es ein Mister Coleman oder so ähnlich«, griff Luciano in die Unterhaltung ein. »Er muss wohl irgendein Neureicher sein mit einem Spleen für alles Italienische. Jedenfalls sagten sie im Hotel, dass er das Schloss erst vor einigen Jahren geerbt und völlig umgebaut hat. Angeblich wohnt er hier auch irgendwo, spielt aber den Geheimnisvollen und lässt sich nie sehen. Man munkelt allerlei über ihn. Wahrscheinlich ist das auch viel Gerede. Sie behaupten, er ginge nachts in einem römischen Gewand – wie Cäsar – auf seiner sogenannten Via Appia spazieren.«

»Vermutlich hält er sich für einen römischen Kaiser«, amüsierte sich Cecilia. »Schloss Caesarea klingt mir ganz danach. Ob es immer schon so geheißen hat?«

»Nein. Im Reiseführer wird es als Cornway-Castle erwähnt.«

»Hoffentlich kommt bald die nächste Besichtigungsgruppe!«, seufzte Cecilia. »Ich bekomme allmählich Appetit auf ein Abendessen und ein Glas Wein.«

*

Es kam aber keine neue Reisegruppe und auch kein Führer. Nicht nach einer Stunde, wie sie geglaubt hatten, und auch später nicht. Es wurde allmählich dunkel und ziemlich kühl in dem großen Raum.

Auch die nicht so leicht zu erschütternde Cecilia verlor die Ruhe und wurde unsicher. Luciano hatte noch einmal alle Türen sorgfältig untersucht und aus jedem Fenster geschaut.

Vor den dicken Mauern befand sich ein Burggraben, der sicher noch vom ursprünglichen Bauzustand herrührte. Er war mit schmutzig-trübem grünem Wasser gefüllt. Die Zypressen – oder was immer sie sein mochten – verdeckten einen großen Teil der Aussicht.

Nur in der Ferne sah man die Säulen rechts und links des gepflasterten Weges, der in diese Landschaft passte wie Palmen in eine Schneelandschaft, wie Cecilia es ausgedrückt hatte. Der Himmel war leicht verhangen, und es nieselte.

Niemand war zu sehen.

Die Reisebusse und Privatwagen der Besucher parkten wohl auf der anderen Seite des Schlosses vor dem Haupteingang. Einmal hörten sie wie von weit her ein vergnügtes Lachen und Türenschlagen. Dann heulte ein Motor auf.

»Hier kommen wir jedenfalls nicht hinaus, wenn uns niemand hilft«, stellte Luciano ärgerlich fest. »Wir sind im zweiten Stock, und in diesen Wassergraben zu springen, würde sich wohl nicht empfehlen. Außerdem sind die Fenster vergittert.«

»Sie haben uns absichtlich hier gefangengesetzt …«, flüsterte die Contessa schaudernd. »Ich habe entsetzliche Angst.«

»Du hast nichts zu befürchten, Oktavia«, versuchte Luciano sie aufzumuntern. »Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir eine etwas ungemütliche und kalte Nacht hier verbringen. Spätestens morgen früh taucht die nächste Reisegesellschaft auf. Schloss Caesarea ist ja eine Touristenattraktion und wird viel besucht, wie wir selbst gesehen haben.«

»Und warum ist dann heute niemand mehr gekommen?«, fragte Cecilia nervös. Sie rauchte hastig. Ihr Kopf schmerzte, und sie machte sich Sorgen um die Freundin, die so völlig verändert wirkte.

»Ich weiß es nicht. Es wird ja schon dunkel.«

»Jetzt! Aber bis vor einer halben Stunde war es noch ziemlich hell. Und meines Wissens waren noch weitere Führungen angekündigt. Wir haben doch selbst überlegt, ob wir lieber erst noch einen Kaffee im Schlossrestaurant trinken sollten.«

Sie saßen da und starrten schweigend vor sich hin.

Was gab es auch noch viel zu sagen? Sie mussten sich mindestens bis zum nächsten Morgen mit ihrem Schicksal abfinden.

»Einen Gruß vom großen Cäsar«, sagte da eine raue, etwas kehlige und doch gleichzeitig piepsend klingende Stimme.

Sie zuckten alle zusammen und blickten irritiert auf die seltsame Erscheinung am Kamin.

Es war ein Zwerg – höchstens einen Meter groß, wie Luciana schätzte – mit einem Greisengesicht.

Der Kleine trug ein silbernes Tablett, auf dem mehrere Schüsseln und Platten standen. Eigentlich hätte es für diesen winzigen Mann viel zu schwer sein müssen. Dazu hatte er am Arm noch einen Korb hängen, aus dem die Hälse mehrerer Flaschen schauten.

Dieser Zwerg war eine fast absurde Erscheinung, vor allem durch seine Kleidung: weite schwarze Samthosen und eine enge rote Jacke mit reichen Goldverzierungen, dazu Schnallenschuhe und eine lockige weiße Haarpracht, ganz offensichtlich eine Perücke.

»Wer sind Sie?«, fragte Luciano aufgeregt. Er wollte den Zwerg am Arm packen, ließ es dann aber. »Und wie kommen Sie hier herein? Haben Sie die Türen aufgeschlossen?«

»Ich bin Omar!«, erklärte der Zwerg fast würdevoll.

Cecilia war zur Tür gelaufen und rüttelte daran. Doch diese war noch immer fest verschlossen.

»Lassen Sie das«, sagte Omar mit seiner eigenartigen Stimme. »Sie ist verriegelt. Und draußen steht eine Wache.«

»Eine Wache?«, fragte Luciano fassungslos. »Wir werden doch hier nicht gefangen gehalten! Wir sind harmlose Touristen, die man bei einer Besichtigung versehentlich eingeschlossen haben muss.«

»Es war kein Versehen«, erklärte Omar und deckte dabei umsichtig den Tisch. »Sie sind Gäste des großen Caesar.«

»Gäste!«, brauste Luciano auf. »Nennt man so etwas Gastfreundschaft?«

Der Zwerg wies auf die Delikatessen auf dem Tisch: Schinken, Pasteten, gebratenes Geflügel, Kaviar und verschiedene Käsesorten, dazu lange schmale Gebäckstangen aus feinstem Weißbrot. Es gab vier Sorten Wein und kleine, offenbar handgearbeitete Silberbecher dazu.

»Was soll das bedeuten?« Cecilia konnte dies alles nicht fassen.

»Kann ich vielleicht einen Mokka haben?«, fragte die Contessa.

Niemand wusste so recht, ob es spöttisch gemeint sein sollte oder ob sie hier eine Bestellung aufgab wie bei dem Kellner eines Grandhotels.

Omar antwortete nicht. Er war auf unerklärliche Art so geheimnisvoll verschwunden, wie er gekommen war.

»Leide ich denn an Halluzinationen?«, stöhnte Cecilia. »Da war doch eben noch dieser Zwerg! Ihr habt ihn doch auch gesehen? Das habe ich doch nicht geträumt!

»Nein, und außerdem hast du ja vorhin behauptet, du hättest Hunger. Den gedeckten Tisch hier können wir uns wohl kaum alle drei einbilden.«

»Und wenn die Speisen nun vergiftet sind?«, überlegte die Contessa ängstlich und zögernd.

Cecilia zögerte ebenfalls, während Luciano gar nicht zugehört hatte. Er ging an den Wänden entlang und tastete die reichen Stuckverzierungen ab.

»Irgendwo muss es hier eine Geheimtür oder so etwas geben. Habt ihr denn gar nichts bemerkt?«

»Nein …«

Schließlich setzte sich auch der junge Mann wieder. Cecilia begann, sich eine Scheibe Pastete abzuschneiden und knabberte an einer Salzstange.

»Das Essen ist ausgezeichnet«, sagte sie nach einer Weile. »Schenk mir ein Glas Wein ein, Bruder! Wenn er vergiftet sein sollte, dann kann es auch ebenso gut diese Trüffelpastete hier sein. Und vielleicht werde ich wenigstens müde, wenn ich etwas trinke.«

Es war in dem riesigen Raum beinahe dunkel geworden. Luciano hatte Mühe, die Becher vollzuschenken. Offenbar gab es hier keine elektrische Beleuchtung. Jedenfalls waren nirgendwo Lampen zu sehen.

»Ich friere«, sagte Contessa Oktavia sehr leise. Zwar trug sie nur ein für diese Temperaturen viel zu dünnes Kleid, aber die Kälte kam wohl eher von innen heraus …

Wie auf ein Stichwort flammte ein Feuer im Kamin auf. Es flackerte unheimlich, Licht und Schatten schienen durch den Saal zu wandern.

Sie erschraken.

»Das gibt es doch nicht«, stammelte Cecilia.

Luciano war aufgestanden und an die Feuerstelle getreten, die er prüfend betrachtete.

»Es ist ein elektrischer Kamin.« Er lachte rau. »Täuschend einem echten Kaminfeuer nachempfunden – deswegen ist es hier vermutlich auch so sauber.«

»Und wieso brennt er auf einmal?«, wollte Cecilia wissen. »Es war doch niemand hier?«

»Nein, jedenfalls habe ich niemanden gesehen. Wahrscheinlich kann man ihn von einem anderen Raum aus einschalten.«

Luciano untersuchte noch einmal jede Ecke und jeden Winkel. Er hoffte wohl noch immer, eine Geheimtür zu finden, obwohl er keine Einzelheiten mehr erkennen konnte. Dazu war es viel zu dunkel im Saal.

»Hier sind ja Decken!«, stellte er plötzlich verblüfft fest. »Ich möchte schwören, die waren vorhin noch nicht hier. Das wäre mir aufgefallen.«

»Immerhin sind sie jetzt da«, sagte die Contessa müde. »Ich bin froh, denn ich bin entsetzlich müde.«

»Ich auch«, murmelte Cecilia schlaftrunken.

Der junge Mann brachte die sechs Kamelhaardecken an den Tisch. Drei breitete er auf dem Boden aus.

»Legt euch hin«, sagte er, und die beiden jungen Mädchen gehorchten ihm sofort. Er deckte jede mit einer zweiten Decke zu, und sie schliefen beinahe augenblicklich ein.

»Der Wein?«, murmelte Luciano entsetzt vor sich hin. »War ein Schlafmittel im Wein? Oder schlafen sie schon … in die Ewigkeit hinüber?«

Obwohl er durstig war, wagte er nicht, einen Schluck zu trinken. Er musste wach bleiben und aufpassen.

Aber irgendwann überwältigte auch ihn die Müdigkeit. Und weil ihm nun alles egal war, schenkte er sich einen Becher reichlich voll mit dem herben Rotwein. Er trank ihn aus.

Dann streckte er sich auf der dritten Decke aus – ganz dicht neben der jungen Contessa.

»Ob wir noch einmal aufwachen, mein Liebes?«, murmelte er bereits im Halbschlaf. Seine Hand suchte die ihre.

»Liebe, liebe Oktavia … Ich werde schon auf dich aufpassen. Ich will nicht einschlafen …«

Nur wenige Minuten später fielen ihm die mühsam aufgehaltenen Augen zu.