Nadelkunstsammler - Jürgen Will - E-Book

Nadelkunstsammler E-Book

Jürgen Will

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Beschreibung

Die beiden Ermittler Jan Wilbur Jergens und Roman Alberts ermitteln in einem Fall in Öldenettel. Hier geschah das letzte Gewaltverbrechen vor 27 Jahren. Werden die beiden in die Provinz versetzten Kommissare diesen Fall lösen? Eine Aufgabe die zumindest nicht leicht zu lösen sein wird und viele unerwartete Wendungen nimmt.

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Inhaltsverzeichnis

1.

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Haftungsausschluss:

Jürgen Will

Nadelkunstsammler

Ein Ostfrieslandkrimi aus Öldenettel 1. Band

Copyright: 2024

Jürgen Will

1. überarbeitete Neuauflage

Schreibstark-Verlag

Saalburgstr. 30

61267 Neu Anspach

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Handlung und alle Namen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder tatsächlichen Geschehnissen wäre rein zufällig.

1.

„Na, verschlafen?“

Kommissar Jergens, der gerade sein zukünftiges Büro betritt, schaut in die Richtung, aus der die Stimme kam. In dem Raum vor ihm sitzt an einem der beiden Schreibtische ein Mann und schaut ihn, auf eine Antwort wartend, an.

„Wie meinen?“, fragt Jergens. Dabei mustert er den Schreibtischmann ausgiebig. Sein Alter schätzt Jergens auf Mitte 50. Das Haupthaar, spärlich und kurz, bildet lediglich einen Kranz um die markante Glatze. Dieses auffällige Merkmal wird durch einen üppigen Bart kontrastiert, der die Kahlheit oben auszugleichen scheint. Offensichtlich gehört körperliche Fitness nicht zu seinen Stärken. Zumindest unterstreicht das ein deutlich sichtbarer Bauchansatz, der allerdings zum Großteil vom Schreibtisch verborgen bleibt. Die Ärmelschoner an seinem abgetragenen Jackett verraten viel über seine berufliche Laufbahn: Sie deuten darauf hin, dass er den überwiegenden Teil seiner Arbeitszeit hinter einem Schreibtisch verbrachte, gefangen in der Welt der Büroarbeit.

„Die Arbeitszeit beginnt um acht Uhr, nicht um halb neun“, erläutert der Büromensch. Währenddessen mustert auch er sein Gegenüber ausgiebig. Geschätzt, Ende vierzig, längere Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden sind und insgesamt eine schlanke Erscheinung. Er ist eher unkonventionell mit einer schwarzen Jeans und einem T-Shirt gekleidet, unter dem sich ein leichter, dem Alter entsprechender Bauchansatz abzeichnet. Das ebenfalls schwarze T-Shirt ziert ein Motiv einer Rockband sowie das zugehörige Logo. Beinahe dem Klischee entsprechend trägt der Mann schwarze Turnschuhe.

„Wer will das wissen?“, entgegnet Jergens. „Was machen Sie in meinem Büro und vor allem wer sind Sie?“

Am Tag zuvor empfing ihn hier der Dienststellenleiter und zeigte Jergens seinen neuen Arbeitsplatz und erläuterte alles Notwendige. Schließlich übergab er ihm die Schlüssel, forderte eine Unterschrift auf dem Übergabeprotokoll, bevor er sich wieder auf den Weg in die Zentrale in das über dreißig Kilometer entfernte Oldenburg machte.

Jergens neuer Wirkungskreis ist eine überschaubare Polizeiwache, besetzt mit drei Polizisten und nun ihm, dem Kommissar. Er erwartete schon einen Posten in der Provinz zu erhalten, doch eine ländliche Polizeistation wie diese überrascht ihn dann doch. Nicht bewusst ist ihm bislang, dass er sein neues Büro mit einem Zeitgenossen, für den Pünktlichkeit über alle zu gehen scheint, teilen wird.

„Ich bin Kriminalkommissar Alberts, Ihr zukünftiger Kollege“, antwortet der Mann am Schreibtisch. „Hat Ihnen das der Kriminalrat Buchtmann nicht mitgeteilt?“.

In der Tat hatte Buchtmann nicht von einem weiteren Kommissar als Kollegen gesprochen. Überhaupt war nicht sonderlich viel im Vorfeld besprochen worden, da Jergens hierher zwangsversetzt wurde. Es war mehr oder weniger eine Gnade, dass er nicht aus dem Polizeidienst entfernt worden war.

Zwar hatte Jergens zuvor alles im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bearbeitet, aber dabei eine klare Weisung seines damaligen Vorgesetzten ignoriert. Der ehemalige Vorgesetzte befindet sich nicht mehr im Dienst, da Jergens ihm mit seinen Ermittlungen Korruption nachweisen konnte.

Dennoch ist dessen Einfluss noch immer groß genug, um Jergens in das kleinste und entfernteste Kaff zu versetzen, in dem es eine Polizeistation gibt: Öldenettel in den Tiefen Ostfrieslands, unweit der Nordseeküste.

„Na dann, auf gute Zusammenarbeit“, murmelt Jergens ironisch, dreht sich um und lässt seinen neuen Kollegen im Büro alleine zurück.

Auf dem Flur steht, dem Klischee eines TV-Krimis entsprechend, ein Getränkeautomat. Jergens wirft ein fünfzig Cent Stück ein, wählt auf der Tastatur die Nummer für Kaffee mit Milch und wartet, dass sein Heißgetränk den Weg durch die verschlungenen Wege innerhalb des Automaten finden würde.

Als nach einer Minute noch immer nichts passiert, denkt Jergens kurz darüber nach, den Automaten mit einem Tritt zur Lieferung seines Kaffees aufzufordern, verwirft den Gedanken dann sofort wieder. Was in einem TV-Krimi funktionierte, würde bestimmt nicht genauso in der Realität zum gewünschten Ergebnis führen.

Vom Flur gehen zusätzlich zur Außentür vier weitere Türen ab. Die Erste führt in Jergens’ Büro; gegenüber befindet sich die Tür zu den Sanitärräumen. Daneben geht es in die Umkleideräume. Auf der rechten Seite befindet sich der Eingang zu einem weiteren, kleinen Büro, während die Tür am Ende des Ganges in den Bereitschaftsraum führt. Jergens steht noch vor dem Automaten, als aus letzterer Tür eine junge, nicht unattraktive Frau den Gang betritt. Sie kommt lächelnd auf ihn zu und sagt: „Hallo, Sie sind bestimmt unser neuer Kollege, Kriminaloberkommissar Jergens?“.

Als sie den Automaten erreicht, verpasst sie diesem geschickt einen Fußtritt an die Seite und das Gerät beginnt unter seltsamen Geräuschen zu arbeiten. Kurze Zeit später steht im Entnahmefach ein Plastikbecher mit dampfendem Kaffee. „Guten Morgen. Ich bin Polizeimeisterin Femke Claaßen, Herr Kriminaloberkommissar Jergens“, stellt sie sich freundlich vor.

Dankbar dafür, dass die junge Kollegin genau weiß, wie sie mit dem Automaten umzugehen hat, und er nun doch zu seinem gewünschten Kaffee kommt, entnimmt Jergens dem Automaten den dampfenden Becher.

„Ich stelle Sie mal den beiden anderen Kollegen vor, wir werden ja wohl zukünftig alle zusammenarbeiten. Wobei sich hier die Arbeit durchaus in Grenzen hält, schließlich sind wir eine Kleinstadt, die gerade den Sprung über die 20.000 Einwohnermarke geschafft hat. Außer ein paar betrunkenen Jugendlichen, die nachts gerne mal die Sau herauslassen, sowie einigen Falschparkern, passiert hier nicht sonderlich viel. Das letzte Gewaltverbrechen gab es vor 27 Jahren.“ „Ebenfalls einen guten Morgen, Frau Claaßen. Woran machen Sie fest, dass ich keiner der üblichen Besucher, sondern der neue Kollege bin, besonders, da ich nicht unbedingt den Vorgaben entsprechend gekleidet bin?“.

„Ganz einfach, da Sie nicht durch den Vordereingang kamen und normale Besucher keinen Schlüssel für den Personaleingang haben, müssen Sie Herr Jergens sein. Außerdem hat unser heutiger zweiter Neuzugang, Kriminalkommissar Alberts, schon seit kurz vor acht Uhr vor dem Haupteingang gewartet. Somit mussten Sie es sein, der vor wenigen Minuten durch den Hintereingang kam. Zudem gibt es hier im Gang eine Kamera, über die ich Sie hereinkommen sah. Kommen Sie doch bitte mit“, fordert Claaßen ihn auf.

Die junge Frau gefällt ihm. Nicht wegen des Aussehens, das zugegebenermaßen auch recht ansprechend daherkommt, sondern wegen Ihrer Auffassungsgabe und Ihrer freundlichen Art. Mit dem Kaffeebecher in der Hand folgt Jergens der Kollegin, die eigentlich seine Untergebene ist. Einzig bezüglich seines Dienstgrades irrt sie, denn er war auf die Position des Kriminalkommissars zurückgestuft worden und steht somit auf einer Stufe mit seinem älteren, bisher eher unsympathischen Bürokollegen.

Gemeinsam betreten sie den Dienstraum, in dem zwei junge Männer in Polizeiuniformen an ihren Schreibtischen sitzen. Der Raum wird durch einen Tresen im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel getrennt. Hinter dem Tresen befindet sich vom Bürobereich aus gesehen der kleinere Bereich, der durch die Außentür zugänglich ist. Im Tresen selbst befindet sich eine Vorrichtung, mit der sich ein Teil des Tresens hochklappen lässt, um so von außen hindurch in den Dienstbereich zu gelangen.

„Das ist Helge Eilers.“ Die junge Polizistin zeigt auf einen noch jüngeren Mann mit einem modischen Haarschnitt. „Er kommt frisch von der Polizeischule und wurde uns zugeteilt, damit er erste praktische Erfahrungen im Beruf sammeln kann. Wie gesagt, bei uns ist es ja nicht sonderlich gefährlich, darum beginnen viele Frischlinge Ihre Karriere bei uns.“ Eilers nickt Jergens höflich zu, dieser erwidert das Nicken.

„Wie lange sind Sie denn schon hier, Frau Claaßen?“, will Jergens wissen.

„Seit drei Jahren bin ich in dieser Polizeistation. Ich leite hier den Betrieb, nachdem der vorherige Leiter vor einem Jahr in Pension gegangen ist. Ich weiß, dass das eher ungewöhnlich für mein Alter ist, aber die Entscheider trauen es mir zu.“ Der zweite Jungpolizist erhebt sich von seinem Platz am Schreibtisch und stellt sich selbst vor: „Ich bin Polizeimeister Tjark Rosenbohm. Herzlich willkommen, Herr Kriminaloberkommissar.“

„Guten Tag, Herr Polizeimeister Rosenbohm. Bezüglich meines Dienstgrades bedarf es einer Korrektur, denn ich bin nur Kriminalkommissar.“

Von hinten naht Alberts, der die letzten Worte von Jergens gehört hat. „Somit wären wir dann gleichberechtigt und werden uns in allen Entscheidungen entsprechend den Vorschriften abstimmen.“

Jergens dreht sich um, überlegt kurz, wie er antworten will und entscheidet sich für die höfliche Variante.

„Ah, Herr Kriminalkommissar Alberts, haben Sie den Weg aus dem Büro hierher nach vorn gefunden? Natürlich werden wir alles entsprechend den Vorschriften handhaben und uns genau daranhalten. Hatten Sie, obwohl wir uns erst seit fünf Minuten kennen, etwas anderes von mir erwartet?“.

Alberts schluckt hörbar. Er erwartete aufgrund der Vita des Kollegen, der oftmals Alleingänge durchführte, eine andere Antwort. „Das ist schön, dass Sie das auch so sehen. Wir sollten uns gleich daran machen, die Dienstpläne zu optimieren. Übrigens lege ich sehr viel Wert darauf, dass man mich siezt und mit dem Dienstgrad anspricht. Schließlich ist das hier eine Polizeidienststelle und da bedarf es gewissen Respekt vor langjähriger Erfahrung. Auch entsprechende Hierarchien müssen zwingend eingehalten werden.“

Jergens dreht sich in Richtung der anderen drei Kollegen und sagt: „Mich muss hier niemand aus der Truppe mit meinem Dienstgrad ansprechen. Ich sehe das als Teamarbeit, bei der jeder dazu beitragen kann. Auch Vorschlägen gegenüber bin ich offen, egal, von wem sie kommen. Gerne dürfen Sie mich auch duzen, das gehört in einem guten Team dazu.“

„Also, ich bin Jan-Wilbur oder besser kurz Jan. Wer über meinen Vornamen grinsen muss, der geht dann gleich zum Bäcker und holt das Einstandsfrühstück, das ich spendiere.“

Alberts, hinter Jergens stehend, schaut ihn entrüstet an. Dann schüttelt er den Kopf und geht brummelnd zurück in das gemeinsame Büro.

Jergens nimmt einen zwanzig Euroschein aus seiner Geldbörse. „Tjark, wärst Du so freundlich, eine große Auswahl an belegten Brötchen für uns alle zu holen?“. Rosenbohm nimmt das Geld und verlässt das Revier.

Im selben Augenblick klingelt das Telefon und Eilers nimmt das Gespräch an. Er hört, was auf der anderen Seite gesprochen wird und stammelt: „Ja, ja, wir schicken jemanden vorbei.“ Er legt auf, dreht sich zu Jergens und Claaßen und sagt völlig schockiert: „Es wurde eine Leiche gefunden“.

„Wie bitte?“, fragt Jergens erstaunt.

„Eine Leiche wurde gefunden“, wiederholt Eilers monoton, noch immer nicht wirklich realisierend, was er eben hörte. Jergens erkennt, dass der junge Mann damit etwas überfordert ist.

„Wo wurde die Leiche gefunden, Helge?“, redet Claaßen beruhigend auf Ihren Kollegen ein. Eilers schaut sie an. Antwortet aber nicht.

Claaßen geht zu ihm, nimmt seine Hand, schaut ihm in die Augen und wiederholt Ihre Frage ganz langsam. Allmählich erholt sich Eilers und besinnt sich auf das, was er in der Polizeischule lernte. „Eine weibliche Person wurde tot am Ententeich gefunden. Ein Gewaltverbrechen ist nicht auszuschließen.“

Jergens schaut zu Claaßen und sagt: „Dann ist das jetzt unser erster gemeinsamer Einsatz. Du fährst Femke. Sonderrechte sind zugelassen.“

Gemeinsam verlassen sie die Polizeistation und steigen in den Polizeiwagen. Claaßen startet den Motor und aktiviert das Blaulicht und Martinshorn. Rasant fährt sie rückwärts vom Parkplatz, wendet geschickt und rast los.

Alberts hört in seinem Büro die Sirene und stürzt zum Fenster, durch das er den sich entfernenden Wagen sieht. Er rennt nach vorn in den Bereitschaftsraum und ruft Eilers zu: „Was ist los? Warum rasen die wie irre mit dem Polizeifahrzeug davon, Herr Polizeimeister Eilers?“.

Dieser schaut Alberts an und antwortet: „Leichenfund am Ententeich.“ Die Wut, die in Alberts aufsteigt, weil er nicht informiert wurde, ist klar zu erkennen.

„Polizeimeister Eilers, haben wir einen zweiten Einsatzwagen?“. „Ja Herr Kriminalkommissar Alberts, aber mit dem ist der Kollege Rosenbohm zum Bäcker gefahren.“

Alberts will nicht glauben, was er hört und geht im Geiste die Vorschriften durch, gegen die verstoßen wird. Er würde sicherlich später in Polizeimeister Rosenbohms Dienstakte einen Vermerk notieren und ihn offiziell auf seine Verfehlung aufmerksam machen. Da Alberts bewusst ist, dass er nun Jergens und Claaßen nicht direkt folgen kann, geht er zum Funksprechgerät.

„Polizeimeisterin Claaßen, bitte melden.“ Es knackt, rauscht und es erfolgt keine Reaktion.

„Hallo, Polizeimeisterin Claaßen, melden Sie sich.“

„Die Kollegin hat jetzt keine Zeit, sie muss fahren. Wir sind gleich am Tatort und informieren Sie, soweit wir Genaueres wissen. Jergens Ende“, ertönt es aus dem Lautsprecher.

Verärgert schüttelt Alberts den Kopf und geht zurück in sein Büro. „Das wird Folgen haben. Gleich am ersten Tag wird eklatant gegen die Vorschriften verstoßen“, brummelt er vor sich hin.

2.

Derweil stoppt Claaßen das Fahrzeug abrupt vor einem Schlagbaum. „Von hier aus müssen wir zu Fuß weiter“, erklärt sie, während sie den Motor abschaltet und die Fahrertür öffnet. „Wir haben leider keinen Schlüssel für die Schranke.“

Jergens nimmt das mobile Funkgerät an sich und steigt ebenfalls aus. „Na gut, dann laufen wir eben.“

Der Ententeich ist keine drei Minuten Fußweg entfernt und schon von Weitem sehen sie, wo sich der Tatort befinden muss. Eine Gruppe von Schaulustigen steht am Ufer des Teichs und blickt in Richtung der kleinen Insel.

Einer der Leute entdeckt die Polizisten und kommt gestikulierend auf sie zu. „Hallo, ich habe Sie verständigt. Die Leiche liegt dort vorn auf der Enteninsel. Kommen Sie schnell.“

Als Claaßen und Jergens das Ufer erreichen, können sie beim Blick zur kleinen Insel einen Körper erkennen, der teilweise im Wasser und teilweise am Ufer liegt. Die Person liegt zwar auf dem Bauch. Dabei lässt sich, auch aus einer Entfernung von rund zwanzig Metern, erkennen, dass es sich um eine Frau handelt.

Zu seiner Kollegin gerichtet sagt Jergens: „Femke, könntest Du bitte den Uferbereich hier absperren und dafür sorgen, dass sich die Leute mindestens fünfzig Meter von hier wegbewegen. Danke Dir.“

Femke läuft zum Wagen, holt das benötigte Absperrband und sperrt den Bereich ab. Dabei schickt sie die Schaulustigen weg. Jergens geht zu dem Passanten, der die Leiche gefunden hat.

„Sie haben die Leiche gefunden, Herr …?“.

„Eggert ist mein Name, Hans Eggert. Ich ging hier wie jeden Morgen und jeden Abend eine Runde mit meinem Hund. Als wir hier vorbeikamen, bellte Troubador plötzlich. Troubador ist mein Labrador, müssen Sie wissen.“

Jergens wundert sich kurz über die seltsame Namensgebung für den Hund und meint dann: „Herr Eggert, wenn Sie bitte kurz warten würden, ich muss die Kollegen verständigen. Ich bin gleich wieder bei Ihnen.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, geht er einige Schritte, um dann das Sprechfunkgerät zu bedienen: „Helge, kannst Du mich hören?“. Es dauert einige Sekunden, dann ertönt Helges Stimme. „Ja, klar und deutlich.“

„Perfekt. Ist Tjark mit dem Einsatzwagen wieder zurück?“.

„Ja, soeben angekommen. Ich habe ihn gerade informiert.“

„Okay. Dann hole mir bitte Herrn Alberts ans Gerät.“

„Einen Moment, bitte.“

Kurze Zeit später meldet sich ein wütender Alberts. „Was fällt Ihnen ein? Sie können doch nicht einfach, ohne mich zu informieren, losfahren. Schon gar nicht, sobald es um eine Leiche geht.“

Jergens ignoriert den wütenden Ton und antwortet ruhig: „Würden Sie bitte die Spurensicherung informieren und alle weiteren Maßnahmen einleiten, die in so einem Fall notwendig sind? Danke. Außerdem empfehle ich, dass Sie mit Herrn Rosenbohm hierherkommen. Er dürfte wissen, wo das ist. Und organisieren Sie einen Schlüssel für den Schlagbaum, damit wir dichter an den Tatort fahren können. Eilers kann dann ja die Stellung in der Dienststelle halten.“

Ohne die Antwort abzuwarten, schaltet er das Gerät aus. Bis zur Ankunft der Kollegen von der Spurensicherung kann er nicht viel Sinnvolles tun.

Glücklicherweise befindet sich die Leiche in ausreichender Entfernung, um eine Kontamination des Tatorts zu verhindern. Jergens vermutet jedoch, dass der eigentliche Tatort sich nicht inmitten des Teichs auf der kleinen Insel befindet. Wahrscheinlicher ist, dass die Tat am Ufer des Ententeichs geschah – vorausgesetzt, es handelt sich um einen Mord. Ein Unfall scheint unwahrscheinlich, obwohl bisher keine gegenteiligen Beweise vorliegen.

Beim Absuchen des Ufers entdeckt Jergens auf dem schmalen Grasstreifen zwischen Wasser und Weg eingedrücktes Gras. Es könnte ein Anzeichen dafür sein, dass hier jemand gelegen hat. Er signalisiert seiner Kollegin, herüberzukommen.

„Femke, lass uns diesen Bereich zusätzlich absichern und für die Spurensicherung markieren. Die sollen sich das genauer ansehen. Ich habe weder Handschuhe noch Schutzanzug dabei, also müssen wir warten, bis die Spezialisten eintreffen.“

Claaßen nickt und macht sich daran, den Bereich abzusperren, achtet dabei sorgfältig darauf, den potenziellen Tatort nicht zu verunreinigen.

Jergens nimmt die umsichtige Vorgehensweise erfreut zur Kenntnis. Die junge Frau weiß genau, wie sie vorgehen muss, um die Anweisungen professionell umzusetzen. Sie würde bestimmt eine erfolgreiche Karriere als Polizistin, vielleicht gar als Kommissarin, machen. Jergens wird aus seinen Gedanken gerissen, weil sich jemand rufend nähert. Ein etwas dicklicher Mann, mit einer Fotokamera über der Schulter hängend, kommt auf ihn zu. Etwas außer Atem sagt er: „Guten Tag, mein Name ist Piet Müller, ich bin von der Umschau.“

„Jergens, Kriminalkommissar. Was ist denn die »Umschau«?“.

„Sie sind nicht von hier? Die »Umschau« ist die Wochenzeitung für unsere Stadt und den Umkreis. Ich bin Herausgeber, Chefredakteur und Fotograf in einer Person.“

„Schön für Sie. Nun wollen Sie mal abseits der Versammlungen der Kaninchenzüchter und Kleingartenfesten über etwas Spannenderes berichten, richtig?“.

„Äh, ja, wenn Sie es so sehen, ja.“ Müller fühlt sich und seine Arbeit etwas herabgesetzt. „Haben Sie Informationen für mich?“.

„Nein, gar nichts und jetzt muss ich Sie bitten, den abgesperrten Bereich zu verlassen. Sobald es offizielle Informationen gibt, werden wir eine Presseerklärung herausgeben.“

Verdutzt schaut Müller Jergens an. „Wie bitte? Ich bin die Presse, so können Sie mich nicht abspeisen. Was ist passiert? Wer ist das Opfer? Wann ist es passiert? Früher wurde ich immer aus erster Hand informiert, sobald etwas passierte.“

„Wirklich? Randalierende Jugendliche und betrunkene Autofahrer bewegen sich allerdings auch auf einem niedrigeren Niveau, als ein vermutetes Gewaltverbrechen. Oder meinen Sie damals, als vor 27 Jahren aus journalistischer Sicht im Ort etwas Spektakuläres passierte? Und nun bitte ich Sie erneut den abgesperrten Bereich zu verlassen.“

Müller will sich allerdings nicht abwimmeln lassen. „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie hier so große Reden schwingen? Haben Sie hier überhaupt was zu sagen, Sie Wichtigtuer? Ich habe Sie hier auch noch nie gesehen. Ihrer Kleidung nach sind Sie eher ein potenzieller Täter, als ein Ermittler.“

Jergens ist sich dessen bewusst, dass er nicht unbedingt wie einer, dem Klischee entsprechenden Ermittler aussieht, aber dass sich ihm jemand so frech widersetzte, wo er sich als einziger an einem abgesperrten Tatort befindet und sich klar als Kommissar vorgestellt hat, war ihm zuvor auch noch nicht widerfahren.

Er greift in seine Gesäßtasche, holt seinen Dienstausweis heraus und hält ihn dem Journalisten in einem Abstand von zehn Zentimetern vor das Gesicht. „Reicht das als Legitimation?“.

Ohne eine Antwort abzuwarten, zeigt er mit der anderen Hand in die Richtung, in die sich Müller bewegen soll. Dieser murmelt: „Nicht zu fassen, was für seltsame Menschen heute bei der Polizei was zu sagen haben.“

Der Pressevertreter entscheidet, dass es wohl zunächst besser ist, der Aufforderung der Staatsgewalt Folge zu leisten. Jergens steckt seinen Ausweis wieder ein und sieht Alberts und Rosenbohm kommen. Gerade übersteigt Alberts das Absperrband, als Müller ihn anspricht.

„Sind Sie hier der leitende Ermittler?“, will Müller aufgebracht wissen.

„Wer will das wissen?“, entgegnet Alberts bereits etwas genervt von dem aufdringlichen Mann.

„Ich bin Piet Müller, der Chefredakteur der »Umschau«. Als Mitarbeiter der Presse, erwarte ich, dass Sie mir alle relevanten Informationen mitteilen. Schließlich habe ich eine Verpflichtung meinen Lesern gegenüber.“

Alberts schaut ihn an, schüttelt kurz den Kopf und geht wortlos weiter. Müller bleibt verdutzt stehen. Gerade als er erneut auf Alberts einreden will, nimmt ihn Rosenbohm am Oberarm und führt ihn aus dem abgesperrten Bereich heraus. „Sie bleiben außerhalb der Absperrung, wie alle anderen Schaulustigen auch.“

„Ich bin kein Schaulustiger“, ereifert sich Müller. „Doch sind Sie, nur schreiben sie hinterher darüber. Das ist der einzige Unterschied.“

Alberts erreicht derweil seinen Kollegen. „Entsprechend den Vorschriften hätten Sie mich informieren müssen, Herr Jergens.“

„Ja, worüber denn bitte? Wir wussten nicht einmal, was vorgefallen ist und womöglich ein falscher Alarm war. Da müssen wohl nicht beide Kommissare ausrücken.

Da Polizeimeister Eilers augenscheinlich von der gemeldeten Situation emotional überfordert war, konnte ich ihm nicht zumuten, dass er alleine zurückbleibt. Deshalb entschied ich, mit der Leiterin der Station, Frau Polizeimeisterin Claaßen hierher zueilen. Alles entsprechend den Vorschriften und innerhalb meiner aktuellen, flexiblen Entscheidungskompetenz. Nun sind Sie ja hier und bisher haben Sie nichts verpasst. Wurden die Spurensicherung und der Pathologe informiert?“.

Alberts nickt. „Sie sind auf dem Weg hierher und sollten bald eintreffen. So lange müssen wir wohl warten.“

„Denke ich auch. Dann können wir uns jetzt mal den Brötchen widmen, die Kollege Rosenbohm sicherlich noch im Auto liegen hat.“

Jergens geht in Richtung des Fahrzeugs. Augenscheinlich hatten sich Claaßen und Rosenbohm darum gekümmert, den Schlagbaum zu öffnen, denn beide Einsatzfahrzeuge stehen inzwischen nicht weit von der Tatortsabsperrung.

Alberts schluckt laut und vernehmlich und schließt zu Jergens auf.

„Wie können Sie denn jetzt an Brötchen denken?“.

„Ganz einfach, es gibt aktuell nichts zu tun und da ich noch nicht gefrühstückt habe, werde ich die Wartezeit nutzen. Wer weiß, wann wir heute wieder zum Essen kommen werden, schließlich beginnen unsere Ermittlungen nach Eintreffen der SpuSi und des Pathologen. Gerne sind Sie auf ein Brötchen eingeladen.“

3.

Rund eine halbe Stunde später treffen Mitarbeiter der Spurensicherung und der Pathologie ein. Ein sportlicher, braun gebrannter Mann, Anfang der vierziger, kommt auf Alberts und Jergens zu. „Moin, ich bin Udo Kuhlenkord von der Spurensicherung.“

Zu Alberts gerichtet: „Sind Sie Kriminalkommissar Jergens? Mir wurde gesagt, dass Sie hier verantwortlich sind.“

Alberts bewegt den Kopf leicht in Richtung Jergens, der auf der Stoßstange des Einsatzfahrzeugs sitzt und gerade die letzten Bissen seines Brötchens verzehrt.

„Das ist der Kollege Jergens, auch wenn er nicht nach einem Mitarbeiter unserer Behörde aussieht.“ Der Seitenhieb auf Jergens’ Kleidung muss sein, schließlich hatte man ihn statt seiner mit der Leitung des Falls betraut.

---ENDE DER LESEPROBE---