Nadeshda Konstantinowna Krupskaja - Ich war Zeugin der größten Revolution in der Welt - Volker Hoffmann - E-Book

Nadeshda Konstantinowna Krupskaja - Ich war Zeugin der größten Revolution in der Welt E-Book

Volker Hoffmann

4,8

Beschreibung

Fast 30 Jahre nach der bisher einzigen deutschsprachigen Publikation zu Krupskaja liegt nun endlich eine neue Biografie dieser vielfach unterschätzten Persönlichkeit der Zeitgeschichte vor. Sie zeigt Lenins Frau und Kampfgefährtin als Vorbild für Menschen, die nach einer besseren Welt suchen. "Das Buch ist deshalb so lehrreich, weil es die unendliche Kleinarbeit aufzeigt, in der dieser russische Umsturz vorbereitet worden ist." So Kurt Tucholsky 1930 über Krupskajas "Erinnerungen an Lenin", Teil I. Sein Satz könnte auch über dem vorliegenden Buch stehen. Thema ist hier ebenfalls die revolutionäre Kleinarbeit, aber nicht nur die vor der Oktoberrevolution, sondern auch die während des gesamten sozialistischen Aufbaus geleistete, vor allem in der Volksbildung und bei Frauen, Kindern und Jugendlichen. Das Buch stellt die Frau vor, die einen Großteil davon - an der Seite - Lenins bewältigt hat: Nadeshda Konstantinowna Krupskaja (1869-1939). Gestützt auf zahlreiche, teilweise bisher kaum bekannte Lebenszeugnisse von Krupskaja und die neuere deutsch- und englischsprachige Fachliteratur sowie einige neue russischsprachige Publikationen verfolgt das Buch den Weg eines gut behüteten Mädchens aus dem verarmten Adel Russlands bis zur Entscheidung der 26jährigen, Revolutionärin zu werden. Vor dem auch dem nicht vorinformierten Leser gut verständlich geschilderten historisch-politischen Hintergrund der Entwicklung Sowjetrusslands erhält der Leser Einblick in den von Krupskaja geführten Kampf gegen das Analphabetentum, in die turbulenten Auseinandersetzungen über die Volksbildung, die neue Schule und die neuen Bibliotheken, in Erfolge und Probleme der antireligiösen Aufklärung. Ein Buch, das eine Frau vorstellt, der es versagt war, Kinder zu bekommen, und die darum umso mehr für sie gelebt und gekämpft hat und ein Vorbild für junge Menschen sein kann, die nach einer besseren Welt suchen, wie sie es getan hat.

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Ich war Zeugin dergrößten Revolution in der Welt

März 2013

Nadeshda Konstantinowna Krupskaja:„Ich war Zeugin dergrößten Revolution in der Welt“Leben, Kampf und Werk derFrau und Weggefährtin Leninsvon Volker Hoffmann

© Verlag Neuer WegMediengruppe Neuer Weg GmbHAlte Bottroper Str. 42, 45356 EssenTelefon +49-(0)-201-25915Fax +49-(0)[email protected]

Layout und Umschlaggestaltung:Mediengruppe Neuer Weg GmbH

ISBN 978-3-88021-393-7 eISBN 978-3-88021-429-3

Nadeshda Konstantinowna Krupskaja

Leben, Kampf und Werkder Frau und Weggefährtin Lenins

von Volker Hoffmann

Inhalt

Danksagung

Vorwort

I. Krupskajas Weg bis zur Oktoberrevolution (1869–1917)

Kindheit und Jugend in Russland und Polen

Krupskajas Weg zum Marxismus und ihre Entscheidung für die Revolution

Im Gefängnis und mit Lenin in sibirischer Verbannung

Krupskajas erste Emigration und die Schule der russischen Revolution von 1905

Krupskajas zweite Emigration und die Vorbereitung des Kampfes an der „Bildungsfront“

Oktober 1917 – „Im Rausche der großen proletarischen Revolution“

II. Im ersten Jahrzehnt des sozialistischen Aufbaus (1917–1928)

Im Kommissariat für Volksbildung – Anfang mit Modellcharakter

Im Kommissariat für Volksbildung – Fortsetzung mit Rückschlägen

Krupskajas Wirken unter Frauen, Kindern und Jugendlichen

Lenins Krankheit und Tod sowie der Streit um sein Vermächtnis

Im Sinne Lenins – Krupskajas Erziehungsarbeit unter Arbeitern und auf dem Lande

Krupskajas kurze Oppositionsphase und ihre Wahl ins Zentralkomitee der KPdSU(B)

Krupskajas Wirken unter internationalen Besuchern und sowjetrussischen Pädagogen

III. Im zweiten Jahrzehnt des sozialistischen Aufbaus (1928–1939)

Kinder, Kolchos und Kulaken – Krupskajas Erziehungskonzepte, unerschrockene Kritiken und Proteste

Krupskajas langer Kampf um die polytechnische Schule und deren vorläufiges Ende

Konstruktiv und kritisch – Krupskajas Erziehungsarbeit in Moskauer Modellschulen

An Clara Zetkins Seite gegen die deutschen Faschisten und Krupskajas Verteidigung der Moskauer Prozesse

Frauen, Mütter und Familie – die konservative Wende in Krupskajas Familienkonzeption

„Pionierbriefe“ – Krupskajas Vermächtnis für die sozialistische Erziehung der Jüngsten

Krupskajas Erkrankung und Tod sowie vielseitiges Gedenken an „Lenins Helferin“

Für eine Zukunft im Sozialismus. Lehren aus Krupskajas Leben und Kampf

Anmerkungen

Literatur

Glossar

Danksagung

ICH DANKE MEINER Frau Ingrid für die inhaltliche Unterstützung meines Buchprojekts und die große Geduld, die sie für einen Autor aufgebracht hat, der nicht fertig werden wollte, meinen Freunden Martin, Dieter und Astrid für ihre konstruktiv-kritische Begleitung des Projekts, den Übersetzern Florian Krug (Potsdam) und Edgar Günther-Schellheimer (Motzen) für ihre verlässlichen Übersetzungsarbeiten, allen weiteren Übersetzern für kleinere, aber ebenfalls unverzichtbare Beiträge, meinen Freunden Fritz und Gerhard für ihre aufbauende Lektüre von Zwischenergebnissen sowie allen Besuchern der Lesungen aus dem Buchmanuskript im Berliner „Treff International“ in den Jahren 2008, 2009 und 2010 und auf dem Internationalen Pfingstjugendtreffen 2011 für Zustimmung und vielfältige Kommentare. Und schließlich danke ich den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek und des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin, die mir geholfen haben, viel wertvolles Material für dieses Buch zu finden.

Vorwort

NADESHDA KONSTANTINOWNA KRUPSKAJA war die Frau und Kampfgefährtin Lenins. Vom ersten Zusammentreffen mit dem Vorkämpfer des Sozialismus im Jahre 1894 bis zu ihrem Tode 1939 hat sie tatkräftig am Aufbau der revolutionären Partei mitgewirkt; fünfzehn Jahre lang hat sie im westeuropäischen Exil unermüdlich Kleinarbeit geleistet. 1905 und 1917 ist sie in ihre Heimatstadt St. Petersburg zurückgekehrt, um die revolutionären Prozesse an Ort und Stelle mit voranzutreiben.

Krupskaja war eine Schlüsselfigur des sozialistischen Aufbaus im sowjetrussischen Bildungswesen. Nach der Oktoberrevolution war sie gut zehn Jahre lang Leiterin der Großabteilung für außerschulische Bildung im Volkskommissariat für Bildung und ab 1929 noch einmal zehn Jahre lang Stellvertreterin des Bildungskommissars. Gleichzeitig hatte sie wichtige Funktionen in der Partei inne: Von 1924 bis 1927 war sie Mitglied der Zentralen Kontroll-Kommission der KPdSU(B), dem höchsten Kontrollorgan der Partei, 1927 wurde sie in das Zentralkomitee der Partei gewählt und blieb sein Mitglied bis zu ihrem Tode. In dem von Stalin geführten obersten Gremium der Partei war sie (s)eine loyale, zugleich aber auch eigenwillige Bildungsexpertin.

Krupskaja hat in allen Auseinandersetzungen und Entscheidungen über die Richtung der sozialistischen Pädagogik eine zentrale Rolle gespielt: Als es um die Alphabetisierung, um die sozialistische Erwachsenenpädagogik und das sozialistische Bibliothekswesen ging, um die polytechnische Schule, die Modellschulen des Sozialismus und die Kulakenkinder sowie die Kinder anderer Minderheiten und ihren Schulbesuch, als es um die zu gründenden Organisationen für Kinder und Jugendliche ging. Mit diesen Themen eng verbunden sind der Kampf um die Befreiung der Frau und das Ringen um die Frage, wie das Verhältnis der häuslichen und der schulischen Erziehungsprozesse, die Aufteilung der Verantwortung der Eltern und des Staates für die Kinder aussehen soll. Und schließlich wird Krupskajas Pionierrolle auch daran verdeutlicht, wie sie die dialektische Methode in der Pädagogik Sowjetrusslands entwickelt hat.

Krupskaja war die „Seele des Volkskommissariats für Bildung“, wie Freunde und Kollegen gesagt haben. Was hat sie „beseelt“? Was waren das für Ideen, die sie in die Auseinandersetzungen ihrer Zeit eingebracht hat? Woher hat sie die Kraft genommen für die vielen Kritiken an Entscheidungen der Partei, mit denen sie oft harte Gegenreaktionen ausgelöst hat, die aber dennoch bis zu ihrem Tode ein unverwechselbares Kennzeichen ihrer Arbeit blieben? Waren diese Kritiken zutreffend und hilfreich? Was haben sie bewirkt?

Diese Fragen beantwortet das Buch in relativer Breite. Andere Seiten von Krupskajas Praxis wie ihre Oppositionstätigkeit, ihr Eingreifen in die Kollektivierung der Landwirtschaft und ihre Haltung zu den Moskauer Prozessen werden kürzer abgehandelt, weil die Quellenlage ungünstiger ist und längere Ausführungen den Rahmen einer „pädagogischen Biographie“ sprengen würden.

Das Buch setzt sich auch mit gängigen (Vor-) Urteilen auseinander, die, teilweise länderübergreifend, über Krupskaja verbreitet werden. Mit der abstrusen These, dass sie sich an der Seite Lenins nicht hat entfalten können. Der russische Historiker Wolkogonow sagte es so: „Sie war in Lenins Schatten. Ihr Leben hatte nur Sinn, indem sie mit ihm verbunden war.“1 Kurzum, sie war eine „Schattenfrau“, wie eine deutsche Journalistin geschrieben hat. Weiter geht es um die Vorstellung, dass Krupskaja „ungeachtet ihrer langjährigen revolutionären Tätigkeit ein Muster aller ‚bourgeoisen‘ Tugenden (war), an denen sie unerschütterlich festhielt. Sie war gerecht, gütig, wohlerzogen und vermochte niemandem wehzutun.“2 So der britische Biographien-Vielschreiber Payne. Ob die Herrschenden in Russland, zu deren Sturz Krupskaja viel beigetragen hat, auch gedacht haben, dass sie keinem wehtun kann? Und schließlich befasst sich das Buch mit der dreisten Behauptung, dass sie gar keine herausragenden Talente hatte. In den Worten des sowjetischen Historikers Sokolow: „Sie taugte zu gar nichts, nicht einmal für den Haushalt.“3 Anderen Historikern zufolge war sie immerhin eine „fleißige Revolutionsbiene“, wenn auch eine „fanatisch fleißige“.4 Krupskaja – eine talentlose Niete, ein Versager in der Küche, eine nur bürgerlich tugendhafte, ein fanatisch fleißiges Lieschen, eine „Schattenfrau“? Was und wie war sie wirklich?

Das vorliegende Buch ist die erste deutschsprachige Krupskaja-Biographie, die keine Übersetzung ist. Sie basiert vor allem auf den deutsch- und englischsprachigen Übersetzungen von zirka 600 Texten aus Krupskajas Feder. Diese Texte – Bücher, Broschüren, Artikel, Reden, Vorträge, Rezensionen, Gutachten, Briefe usw. – gewähren uns tiefe Einblicke in ihr Fühlen, Denken und Handeln und haben diese Biographie erst möglich gemacht. Im Verlauf des Buches werden etwa einhundert dieser Texte in ihren wesentlichen Aussagen und zirka 50 davon auch mit den Reaktionen, die sie hervorgerufen haben, genauer vorgestellt und in ihren historischen Kontext eingeordnet.

Der Titel des Buches „Ich war Zeugin der größten Revolution in der Welt“ bringt zum Ausdruck, dass Krupskaja darüber, dass es ihr vergönnt war, die große Oktoberrevolution und den sozialistischen Aufbau miterleben zu können, sehr dankbar war. Zugleich spiegelt er ihre Bescheidenheit wider, die ein wesentlicher Zug ihrer Persönlichkeit war. Denn sie war ohne Zweifel sehr viel mehr als nur Zeugin der Oktoberrevolution, sie hat diese Revolution mit vorbereitet und mit getragen, hat den sozialistischen Aufbau in führenden Funktionen mitgestaltet.

Krupskajas Eltern haben ihre Tochter Nadeshda genannt. Das heißt im Russischen Hoffnung. Mit Nadeshda Konstantinowna Krupskaja verbindet sich meine Hoffnung, dass ihr Leben, Kampf und Werk mithelfen mögen bei einem neuen Anlauf, den Sozialismus zu erkämpfen.

Teil I

Krupskajas Weg bis zur Oktoberrevolution (1869–1917)

Kindheit und Jugend in Russland und Polen

(1869–1887)

KRUPSKAJAS ELTERN

FORTSCHRITTLICHE ERZIEHUNGIM ELTERNHAUS

DIE KAMERADENDER TOCHTERUNDDIE FREUNDEDES VATERS

DERFRÜHE TODDESGELIEBTEN VATERS

UNAUSLÖSCHLICHE SCHULERFAHRUNGEN BEGEISTERTVON TOLSTOI

TIMOFEIKAUNDANDERE VORBILDER

DIE „MIKROBEDERGESELLSCHAFTLICHEN UNRUHE“

Krupskajas Eltern

NADESHDA KONSTANTINOWNA KRUPSKAJA kam am 26.2.1869 in St. Petersburg zur Welt. Ihre Eltern waren verarmte Adlige, die früh zu Waisen geworden waren. Ihre Mutter, Jelisaweta Tistrowa, war eine für die damaligen russischen Verhältnisse ungewöhnlich gebildete und aufgeschlossene Frau. Nadeshdas Vater, Konstantin Krupski, hatte eine Militärakademie absolviert und dann eine Tätigkeit als Artillerieoffizier und Militärjurist begonnen. Er gehörte zu den fortschrittlich denkenden Köpfen im zaristischen Offizierskorps und stand der „Narodja wolja“ („Des Volkes Wille“) nahe, einer kleinbürgerlich-revolutionären Organisation, die das zaristische Regime auf dem Wege des individuellen Terrors zu stürzen versuchte.

Einige Jahre lebte die Familie in dem Städtchen Grojec bei Warschau. Dort wurde der Vater öfter Zeuge antisemitischer Ausschreitungen. Als er dagegen Einspruch erhob, gegen die wild wuchernde Korruption vorging und dann auch noch ein Krankenhaus für die Armen gründen wollte, wurde er 1872 wegen Überschreitung seiner Amtsbefugnisse verurteilt und als „politisch unzuverlässig“ vom Dienst suspendiert.

Damit begann für die Familie Krupski ein entbehrungsreiches Wanderleben. Der Vater nahm jede beliebige Arbeit an, war unter anderem als Versicherungsagent und Revisor in der Papierfabrik eines Freundes tätig. Doch wenn seine Vorgeschichte bekannt wurde, verlor er die gerade erworbene Stellung meist sehr schnell wieder.

Fast zehn Jahre lang wehrte er sich beharrlich gegen sein Berufsverbot, bis er schließlich im April 1880 Recht bekam. Ein großer Sieg, über den sich auch die kleine Nadeshda riesig freute.

Nadeshdas Mutter hatte eine Zeit lang als Gouvernante bei einem Gutsbesitzer in der Nähe von Krupskis Regiment gearbeitet und war dort immer wieder Zeugin der schändlichen Ausbeutung und Erniedrigung der leibeigenen Bauern geworden. Das hatte in ihr starke Sympathien für das Freiheitsstreben der Polen geweckt. Für die Bildung ihrer Tochter nahm sie sich viel Zeit, lehrte sie früh lesen und schreiben und machte sie mit fortschrittlicher Literatur bekannt. Mehrere Jahre ging das Kind nicht zur Schule, sondern wurde von ihr oder einem vierzehnjährigen Mädchen daheim unterrichtet.

Beide Elternteile besaßen literarisches Talent. Mit viel Liebe gestaltete die Mutter ein Bilderbuch in Versen über einen Tag im Leben der kleinen Nadeshda, während sich der Vater an einem Kinderbuch zum Thema „Wie sich die Menschen fortbewegen“1 versuchte.

Fortschrittliche Erziehung im Elternhaus

Es war vor allem der Vater, der sich um die politische Aufklärung seines Kindes kümmerte. Schon früh erklärte er ihr, welche unerhörten Zustände in den Fabriken herrschten und warum er auf der Seite der Armen und Entrechteten stand. Wie er das tat, zeigt ein Vorfall aus dem Jahre 1875, als Nadeshda, sechsjährig, mit ihren Eltern in einer ausgeliehenen teuren Kutsche zu Freunden unterwegs war. An einer engen Stelle der Straße kam ihnen ein Bauer entgegen, der auf seinem Schlitten einen leeren Sarg beförderte; er glaubte Gutsbesitzer vor sich zu haben und zettelte prompt einen Streit an. „Wir fuhren mit drei Pferden“, hielt Krupskaja den Vorfall in ihren Erinnerungen fest. „Das Dreigespann konnte nicht wenden, so dass die Kutsche den Sarg seitlich streifte. Ich erinnere mich, wie der Bauer den Kutscher blutig schlug und sagte: ‚Du Herrschaftskutscher, du Herrenknecht. Dich mitsamt den Herrschaften, die du da fährst, müsste man in einem Eisloch ersäufen.‘“ Krupskaja fuhr fort: „Worum es sich handelte, begriff ich nicht. Aber die Worte des Vaters, der sagte ‚Da haben wir den Jahrhunderte alten Hass der Bauern gegen die Gutsbesitzer‘, habe ich mir gut eingeprägt. Diese Worte zusammen mit dem Bild, wie der Kutscher verprügelt wurde, sind mir für das ganze Leben im Gedächtnis geblieben.“2

Im Gegensatz zum Vater, der Atheist war, glaubte die Mutter an Gott und legte großen Wert auf eine religiöse Erziehung ihrer Tochter. Gemeinsam gingen Mutter und Tochter regelmäßig in die Kirche. Wie überall in der Wohnung hing auch in Nadeshdas Zimmer eine Ikone, vor der das Mädchen betete. Als einmal ein Schulfreund zu Besuch kam und die Ikone sah, rief er aus: „Ich speie auf die Ikone. Mama sagt, dass es keinen Gott gibt.“3 Nadeshda war schockiert und suchte Zuflucht bei ihrer Mutter.

Während Nadeshdas Eltern in der Frage der religiösen Erziehung unterschiedlicher Meinung waren, war es völlig unstrittig, dass sie ihrem Kind Freiheiten gewährten, die damals kaum ein anderes Kind hatte. „Ich durfte lesen, was ich wollte, Freundschaft schließen, mit wem ich wollte, brauchte nicht ins Gymnasium zu gehen, wenn ich keine Lust hatte, usw.“, erinnerte sich die erwachsene Krupskaja, ohne den hier praktizierten Antiautoritarismus zu kritisieren. Von dem Recht, die Schule ausfallen zu lassen, wenn sie wollte, machte das wissbegierige Mädchen keinen Gebrauch, von den anderen Rechten schon, und zwar besonders von einem – sich ihre Lektüre selber aussuchen zu können. „Wenn man mir in der Zeit, als ich von Lermontow begeistert war und nur daran dachte, in welchen Winkel ich mich verkriechen könnte, um dort etwas von Lermontow zu deklamieren …, plötzlich gesagt hätte, dass ich nicht die Gedichte Lermontows, sondern die von Krylow lesen müsse, dann hätte ich Krylow bestimmt nicht angerührt.“ Krupskajas Erinnerungen zufolge ist es dazu jedoch nicht gekommen, die Eltern standen zu ihrem Wort. Die beflügelnden Erfahrungen der Freiheit, die Krupskaja zu Hause genossen hat, trugen entscheidend dazu bei, dass sie später gegen die skandalöse Bevormundung lesender Kinder durch Lehrer und Bibliothekare energisch das Wort ergriff.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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