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Dagmar passt nicht in die Welt – oder die Welt nicht zu ihr. Sie hat einen Haufen Probleme, trinkt zu viel, flieht vor sich selbst und stürzt sich immer wieder in toxische Beziehungen. Doch als ihr Leben endgültig aus den Fugen gerät, landet sie zufällig in einer Yogastunde und erlebt einen Moment der Klarheit, der vieles in ihr verändert. Plötzlich eröffnet sich ihr ein Weg zu mehr Selbstakzeptanz und innerem Frieden. Aber das Leben wäre nicht Dagmars Leben, wenn es nicht auch hier noch mal richtig knallen würde. Eine Geschichte voller Abstürze und Aufbrüche, tragisch und komisch zugleich – für alle, die daran glauben, dass auch die tiefste Krise eine Chance sein kann.
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Seitenzahl: 125
Veröffentlichungsjahr: 2024
© 2024 Dagmar Abd Al-Rahiem
Das Werk, einschliesslich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Dagmar Abd Al-Rahiem, Kastellstrasse 45, 8107 Buchs, Schweiz.
Umschlaggestaltung, Layout, Buchsatz:
Ulrike Wendrich | Wendrich Design
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
ISBN: 978-3-384-44610-7
Der grösste Dank gilt dem Leben, denn es lehrt mich täglich zu leben.
– Dagmar Abd Al-Rahiem
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog:
Über die Autorin:
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Epigraph
Kapitel 1
Über die Autorin
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Kapitel 1
«Die Frisur ändern Sie dann aber noch, oder?», fragt mich der Typ in der Bank und glotzt mich von oben bis unten an. «Und das Nasenpiercing geht auf keinen Fall!», setzt er seine Liste an Dingen fort, die gegen mich sprechen. Und sie wird noch länger. Da verschwindet meine eben noch sehr gute Laune irgendwohin, wo’s ihr besser gefällt. Mir kippt glattweg die Kinnlade runter. Danach geht ein komischer Ruck durch mich. Oh, oh, kein gutes Zeichen. Das tat’s auch früher, wenn ich zornig wurde, wenn ich mir wieder so anders vorkam, nicht in diese Welt passend, irgendwie fehl am Platz. Das endete beispielsweise damit, dass ich alle Poster von den Wänden riss. Laut schreiend. Oder sämtliche Spielsachen aus dem Regal fegte. Aber wie! An dem Tag beim Personaler schnaufe ich erst einmal kurz tief durch.
«Dagmar, du willst diese verfluchte Stelle haben, also reiss dich zusammen!», denke ich mir und stehe dabei immer noch wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Besprechungstisch. Er hockt dahinter in einem Stuhl wie Graf Rotz, rückt sich die Krawatte zurecht und fährt sich mit der Hand durch sein fettiges, gestriegeltes Haupthaar. Ich spüre, wie mir in diesem Bewerbungsgespräch gleich der Kragen platzt.
«Mir gefallen meine kurzen roten Haare ausserordentlich!», gebe ich mich trotzig. Wenn ich etwas bis zu dem Zeitpunkt sehr gut verinnerlicht habe, dann ist es Trotz. Anders konnte ich die simple Tatsache als Kind nicht ertragen, dass mein kleiner Bruder mit seinen süssen Engelslöckchen von Mama heiss und innig geliebt wurde. Er, ein Wunschkind. Ich, in meiner Wahrnehmung, eher so lala gewollt. Und süss war ich als Kind auch nicht wirklich. Wenn schon anders, dann richtig, dachte ich mir damals. Schnitt mir zuerst die Haare ab, schmiss meine Puppen auf den Müll und spielte danach nur noch mit Autos, Legos oder Fussball.
«Nun gut. Sie sprechend fliessend Englisch? Das Abschlusszeugnis Ihrer Banklehre ist ausgesprochen gut!», faselt er weiter. Ja, die Fakten sind das eine. Die kann ich wunderbar liefern. Wenn da nur nicht Dagmar als Person wäre, die sie selbst geschaffen hat. Diese Dagmar passt den Menschen einfach nie in den Kram. Sieht man ja jetzt. Mal wieder! Es könnte mir auch am Arsch vorbeigehen, was die Leute über mich denken. Meinem Arsch sowie mir ist das allerdings überhaupt nicht egal. Im Gegenteil wir wollen uns gefälligst angenommen fühlen. Da dies irgendwie nicht klappen will, kippe ich seit vielen Jahren immer wieder absichdich Öl ins Feuer dieses verdammten Problems, das wie ein Fluch an mir zu kleben scheint. Aus purer Ratlosigkeit, weil ich nicht verstehe, warum mein Erscheinungsbild nie passend scheint.
«Nicht gesellschaftskonform», beschreibt es der Typ und damit meint er wohl nicht nur meine Frisur.
Mit Argusaugen prüft er weiter meine Unterlagen. Dabei schnalzt er mit der Zunge und sieht mich mit seinen grossen braunen Kuhaugen an. Damit ich auch ja verstehe, was er genau von mir will, wiederholt er seine gesellschaftsideale Leier erneut.
«Also wenn Sie das Frisürchen ändern und Ihr Piercing rausnehmen, könnten wir…»
Ich höre schon gar nicht mehr richtig hin. Meine euphorische Stimmung von vorhin ist inzwischen gänzlich in den Keller gerutscht. Parallel meldet sich in meinem Kopf – verlässlich wie immer – die vertraute imaginäre Stimme der Vergangenheit.
«Dagmar, kleide dich doch endlich mädchenhafter! Dagmar, wie hast du dir bloss wieder die Haare geschnitten! Dagmar, passe dich endlich an, dann wirst du es leichter im Leben haben und die Menschen werden dich eher mögen!»
Im Geiste zeige ich dem Büro-Arsch längst den Stinkefinger, warte dann aber trotzdem noch ab, bis er zum Abmarsch bläst. Frustriert hoch drei nehme ich zur Kenntnis, dass ich es mal wieder nicht in die engere Auswahl geschafft habe. Wenn ich ein Gefühl richtig intensiver kenne als alles andere, dann ist es Frust.
«Nun denn!», denke ich mir und verlasse die Bank, gemeinsam mit dem Teufelchen im Ohr, das mir hämisch zuruft: «Dagmar, hat’s nicht geschafft, weil Dagmar eben ist, wie sie ist. Befolgt nie irgendwelche Regeln. Sollte sie aber, ansonsten ufert das völlig mit ihr aus.»
Ausser von meiner Mutter hörte ich das auch schon mindestens eine Million Male während meiner Schulzeit von irgendeinem Lehrer. Mit einer guten Portion Verzweiflung in den Körperzellen gehe ich in mein Stammkaffee. Ein Cappuccino muss es jetzt richten und mich trösten. Während ich auf meinen Stimmungsaufheller warte, betritt Ines das Café. Meine Laune bessert sich schlagartig. Der besten Freundin das Herz auszuschütten, ist tausendmal wirkungsvoller bei Kummer als jeder Cappuccino. Wir haben uns jetzt mindestens drei Monate nicht mehr gesehen.
«Ines», rufe ich freudig in Richtung Eingang. Sie dreht den Kopf zu mir hin, fangt sofort zu lachen an und kommt eiligst auf mich zugelaufen. Wir umarmen uns. Sie sieht wie immer grossartig aus. Unverzüglich berichte ich ihr von meinem Bewerbungsgespräch.
«So ein Depp, so ein elendiger. Gibt’s denn nicht bei euch zufällig eine freie Stelle?», frage ich sie.
«Nun … also … hm … es ist so …», druckst sie herum und wird knallrot im Gesicht. «Ich bin nicht mehr bei der Bank», offenbart sie mir dann. Was es daran zu schämen gibt, ist mir nicht ganz klar.
«Ach so! Wo arbeitest du jetzt?»
Unsere Getränke kommen. Ines wird mucksmäuschenstill.
«Ines?»
«Pssst, nicht so laut», sagt sie. Sie benimmt sich merkwürdig. «Sag’s aber niemanden weiter, okay? Ich arbeite seit kurzer Zeit in einem … also … in einem Massagesalon.»
Sie nimmt einen grossen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
«Ja, und?»
Ich stehe auf dem Schlauch.
«Dabei verdiene ich richtig gutes Geld», erzählt sie weiter im Flüsterton. Ich schaue sie perplex an, als käme sie vom Mars.
Dann fällt der Groschen.
«Du arbeitest echt in so einem Massagesalon? In SO EINEM?», hake ich nach, weil ich es immer noch nicht fassen kann.
«Ja, ist aber alles halb so wild», erklärt sie schnell und gibt mir einen nervösen Stupser in die Seite.
«Weisst du, Männer sind so durchschaubar. Hast du erst mal den Dreh raus, wie mit denen umgehen, fressen sie dir aus der Hand. Meistens sind die eh lammfromm und wollen bloss etwas Aufmerksamkeit. Also angenommen werden, wie sie sind, mit all ihren Vorlieben oder Abneigungen in der Soft-Erotik.»
Ich bin wie elektrisiert davon, was ich eben erfahren habe.
«Und was ich da mache, ist wirklich total banal. «Was machst du denn?» frage ich naiv. « Dinge eben, die die Ehefrauen oder Partnerinnen der Männer nicht machen. Mit Strapsen herumlaufen im hauchdünnen String-Tanga. Hohe Hacken tragen und durchs Zimmer stolzieren. All so was. Kohle gibfs unmittelbar danach, bar auf die Kralle», erzählt sie weiter.
Beim Stichwort «Kohle» erwachen meine Lebensgeister gleich noch ein bisschen mehr. Die brauche ich nämlich verdammt dringend nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit und ständig nur Absagen.
«Komm doch mal bei mir im Salon vorbei und schau’s dir unverbindlich an. Wäre bestimmt auch was für dich», bietet Ines mir an und grinst wie ein Honigkuchenpferd.
«Ja, okay. Morgen gegen 13 Uhr?», sage ich spontan meinen Besuch zu.
In allerbester Laune mache ich mich auf den Heimweg. Rollenspiele finde ich super. Einfach mal in völlig neue Identitäten schlüpfen. Warum denn nicht auch in Gegenwart von Mannsbildern in einem Massagesalon? Mir kommt in den Sinn, wie ich in der Schule für eine Ballettaufführung das «Rumpelstilzchen» mimen durfte. Gut, da ist jetzt der Vergleich vielleicht etwas weit hergeholt, aber doch irgendwie dasselbe. Jedenfalls war ich richtig talentiert. Wahrscheinlich lag mir die Figur deswegen so gut, weil Rumpelstilzchen ein ebenso nicht gesellschaftskonformes Wesen war.
Tags drauf stehe ich pünktlich bei Ines im Massagesalon. Sie ist gerade auf dem Weg zu einem Kunden.
«Magst mitkommen und dir das mal anschauen?»
Bei dem Gedanken wird mir jetzt dann doch ziemlich mulmig in der Bauchregion. Ich gehe trotzdem mit.
«Alles halb so wild», wiederhole ich gedanklich Ines’ Aussage von gestern. Wir betreten das Zimmer. Dort sind so viele Spiegel angebracht, dass kaum mehr eine Wand zu erkennen ist.
«Wow», rutscht er mir heraus.
«Stell dich hierhin, da sieht dich der Klient nicht», bekomme ich die Anweisung von Ines. Also tue ich wie geheissen. Nach fünf Minuten ist alles schon wieder vorbei.
«Und? Wie ich sagte, gelle? Halb so wild», meint sie, als wir uns zu den anderen Girls in die Küche setzen. Alle sind supernett zu mir. Ich fühle mich richtig wohl. Irgendwie angenommen, eine von ihnen, wie in einer Familie. Daher komme ich die Tage danach regelmässig zu Besuch. Zwei Wochen später arbeite ich dort. Und das für sehr lange Zeit.
Nach anfänglichem Hochgefühl im Angenommen- und Angekommen-Sein, im Tun und Lassen, was ich will, schleicht sich langsam, aber stetig die teuflische Stimme der Vergangenheit zurück in mein Ohr. Verlässlich wie das Amen in der Kirche oder Mutters erhobener Zeigefinger spricht sie zu mir.
«Dagmar, Dagmar, aus dir wird nie etwas Anständiges werden. Ich hab’s ja schon immer gewusst!» Von der kirchlichen Flanke kommt indes ein «In der Gosse wird das Mädchen eines Tages landen, wenn man sie nicht anständig erzieht» in meine Gedankenwelt herübergewedelt. All diese früher zig Mal ausgesprochenen Sätze anderer glaube ich längst selbst. Wie auf Knopfdruck tauchen sie plötzlich wieder auf, voll präsent. Sie säbelten in den letzten Wochen vehement an meinem Hochgefühl. Dann war es fort. Verschwunden! Statt weiter auf der herrlichen Wolke sieben der Euphorie zu schweben, fühlt sich alles in mir drin erneut wie eine grosse Wunde an.
An einem sonnigen Morgen sitzen Ines und ich beim Frühstück. Als ich in mein Brötchen beisse, schaut sie mich hochmütig an.
«Dagmar, was ist eigentlich los mit dir? Etliche Kunden haben sich über dich beschwert, weil du nicht mehr so unterhaltsam wie zu Anfang bist. Hey, sie bezahlen dafür! Eine komplizierte Frau im Gewand einer Trauerweide ist nicht das, was sie für ihr Geld haben wollen.»
Ich verschlucke mich an meinem Kaffee und fange an zu husten. Ines’ Worte fühlen sich an wie Messerstiche. Und so was auch noch von der besten Freundin!
«Weisst du», setzt sie in geschäftlichem Ton fort, «du musst dir schon ein bisschen mehr Mühe geben und dich vor allem den Bedingungen anpassen. Sonst wirst du über kurz oder lang gefeuert.»
«Mir doch scheissegal», schiesst es mir durch Hirn und Herz. Ich bin wirklich angepisst von Ines’ blöder Standpauke. Sie hat sich in den letzten Monaten verändert. Ja, richtiggehend hart und herzlos wurde sie. Anstatt nachzufragen, wie es mir geht, ob ich eventuell Probleme habe, kommt sie scheiss-busy daher. Wobei sie ja längst wissen müsste, dass anpassen und es allen recht machen müssen gerade das ist, was ich garantiert nicht tun will. Ich koche innerlich vor Wut und Frust, vermischt mit einer Portion Verzweiflung. Es fangt in der Magengegend an. Sekunden später überrollt es mich wie ein Tsunami. Jedoch lasse ich mir vor Ines nichts anmerken. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Bloss die Wut nicht zeigen. Schliesslich will ich meine beste Freundin nicht verlieren.
«Du bist sowieso nicht geeignet als beste Freundin. Zu trotzig, zu schwierig, zu anders.», quäken mich schon wieder diese unfassbar nervigen Gedanken an. Aber wie! Mit der gewohnten Beherrschung straffe ich die Schultern, richte mein unsichtbares Krönchen. The show must go on!
«Ja, du hast Recht. Ich werde mir selbstverständlich mehr Mühe geben. Keine Panik, ich komme schon wieder in Fahrt. Hab zur Zeit einfach nur einen Hänger.»
«Dann ist ja gut!»
Damit ist das Thema beendet. Zwischen Ines und mir geht in diesem Moment auch etwas zu Ende: Und zwar die bisherige vertraute Verbindung. Es fühlt sich an, als schwebe ein Damoklesschwert direkt über unseren Köpfen. Ein diffuses Gefühl kommt in mir hoch. Ich ahne, dass es tatsächlich so kommen wird, wie gedacht: Bald schon werde ich ihr als Freundin nicht mehr genügen.
Kapitel 2
Inzwischen hat der Winter Einzug gehalten. Ines hat einen Neuen am Start: Olaf! Nach nur vier Wochen machte er ihr einen Heiratsantrag. Sie sagte sofort ja, weil sie denkt, das wäre ihr Ticket raus aus der Szene. Seit Ära Olaf bin ich für Ines relativ abgeschrieben. Welch Wunder, dass sie trotzdem heute mit mir in einer Bar etwas trinken gehen will – leider nicht ohne Olaf. Die Turteltäubchen sitzen mir gegenüber und haben nur Augen für sich.
«Om Shanti ist mein neues Mantra», platzt es aus mir heraus.
«Aha. Wie kommst du darauf?», fragt sie desinteressiert und hört mir nur mit halbem Ohr zu. Olaf ist einfach viel interessanter als mein neues Hobby, von dem ich ihr so gern erzählen würde.