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Herr Brenner, der Inhaber einer Hochtechnologie-Firma, will einen Chip im Nanobereich entwickeln, der dazu dienen soll die Gesundheit der Menschen zu überwachen und zu verbessern. Da sein Sohn die Firma nicht übernehmen will, und er nur noch ein halbes Jahr zu leben hat, beauftragt er einen Headhunter, einen Geschäftsführer für seine Firma zu suchen. Der Mann, der ihm dann vermittelt wird gehört jedoch zu einer Organisation, die diesen Chip für ganz andere Zwecke benutzen will. Doch es gibt mehr als einen Interessenten. Ein Firmen-Mitarbeiter und seine Frau werden von einer Organisation entführt, um hinter das Geheimnis der neuen Erfindung zu kommen. Da der Entführte jedoch, ohne sein Wissen, bereits mit dem Chip «geimpft» worden ist, endet die Entführung in einer Katastrophe. Nach Herr Brenners Tod übernimmt Illona, seine Frau, die Firma. Seltsamerweise hat ihr Mann dem neuen CEO Kompetenzen eingeräumt, die ihren Einfluss auf das Geschehen in der Firma massiv behindern.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Das ist ein Roman. Sämtliche Personen, deren Namen, Handlungen und Ansichten, die in diesem Buch vorkommen, sind allein der Fantasie des Autors entsprungen und haben keinen Bezug zu lebenden oder bereits verstorbenen Personen.
PROLOG
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
TEIL II
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
TEIL III
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
EPILOG
Ein junger Mann namens Björn Larsson verlässt gegen vier Uhr nachmittags das Büro einer Firma in Gamla Stan, der Altstadt von Stockholm. Unter dem Arm trägt er eine Mappe mit Unterlagen, die ihn als hochqualifizierte Führungskraft ausweisen. Der CEO der Firma, bei der er sich vorgestellt hat, ist beeindruckt. Er wird seine Bewerbung an den Verwaltungsrat weiterleiten.
Der junge Mann ist zuversichtlich, dass er den Job bekommt. Er läuft durch Stockholms engste Gasse, die Mårten Trotzigs gränd, und bleibt vor einem Restaurant stehen. Eigentlich ist es noch zu früh für ein Bier. Andererseits ... Warum nicht. Er betritt das Lokal, setzt sich ans äusserste Ende der Bar und legt die Mappe mit seinen Bewerbungsunterlagen auf den Tresen. Während er sein Bier trinkt, macht er sich Notizen über den Verlauf des Vorstellungsgesprächs.
Drei Männer betreten das Restaurant und setzen sich ans andere Ende der Bar. Björn Larsson trinkt sein Bier. Bald verspürt er die gewünschte Entspannung. Er verstaut seine Notizen in der Mappe, bezahlt und verlässt das Restaurant. Es ist Winter und bereits dunkel.
«Hallo, in einer halben Stunde bin ich zu Hause.»
Björns Frau wartet. Die Tür geht auf, sie hört Schritte auf dem Gang ...
«Björn?», ruft sie und eilt ihrem Mann entgegen ...
Die Männer, die am anderen Ende der Bar sassen, fahren mit einem jungen Ehepaar im Kofferraum auf eine Baustelle. Alles ist vorbereitet. Björn Larsson und seine Frau werden für immer verschwinden.
Die Mappe mit den Bewerbungsunterlagen landet auf dem Tisch eines Headhunters, der dafür sorgt, dass aus Björn Larsson der CEO Arne Hansson wird.
Der Headhunter wählt die Nummer eines Unternehmers aus der Schweiz. Herr Brenners Hi-Tech-Firma ist ausgewählt worden, um unter der Leitung von Arne Hansson einen Chip zu entwickeln, der die Menscheit verändern soll.
«Guten Abend, Herr Brenner. Wir haben jemanden gefunden, dessen Qualifikationen perfekt dem Anforderungsprofil entsprechen, das wir mit ihnen erarbeitet haben. Wie abgemacht, wird er als CEO ihrer Firma in allem freie Hand haben, um das angestrebtes Ziel zu erreichen!»
Der Besitzer der Hi-Tech-Firma, schweigt.
«Herr Brenner?»
Schweres Atmen.
«Mein angestrebte Ziel ist es, das Leben der Menschen zu verbessern. Um das zu erreichen hat sich ein befreundeter Ingenieur bereit erklärt, seine Tochter, eine hochintelligente Bio-Chemikerin, der Firma zu verpflichten. Um sie zu schützen hat er darauf bestanden, sie über die Organisation, der sie unter der Leitung des neuen CEO dient, im Dunkeln zu lassen.»
Der Headhunter räuspert sich.
«Es tut mir leid, Herr Brenner. Was auch immer sie mit diesem Ingenieur abgemacht haben, es wird nichts daran ändern, dass sie persönlich die Verwirklichung ihres Projekts nicht mehr erleben werden.»
Längeres Schweigen.
Dann: «Ich weiss ... Ich weiss ... Meine Ärzte geben mir maximal noch ein halbes Jahr. Nach meinem Tod wird, da mein Sohn kein Interesse hat, meine Frau die Firma erben. Sie wird nicht sehr erfreut sein, wenn sie erfährt, dass ich ihrem CEO mehr Vollmachten übertragen habe als ihr.»
GEBURTSTAGSFEIER
Valpra ist ein kleiner Ort im Leschertal. Im oberen Teil des Dorfes steht ein altes von Efeu überwachsenes Haus, in dessen verwildertem Garten eine riesige Eiche ihre gewaltigen Äste in den Himmel streckt. Direkt daneben haben Paul und Maja ihr Haus gebaut.
Auf dem Küchentisch stehen zwei Torten mit je vier brennenden Kerzen. Darauf, mit farbigem Zuckerguss geschrieben, die Namen der Geburtstagskinder: ALESSIA und LUCAS.
«Achtung, fertig, los! Ausblasen!», ruft die Mutter.
Alessia zögert, spitzt die Lippen und pustet vorsichtig eine Kerze aus. Lucas prustet mit aller Kraft. Vier kleine Räuchlein wirbeln über den Kuchen.
«Alessia, du schaffst das auch!», ermuntert Paul seine Tochter.
Alessia bläst jede Kerze einzeln aus.
Die Eltern klatschen in die Hände.
«Happy Birthday, liebe Alessia, lieber Lucas ...»
«Nein! Nicht singen!», ruft Alessia, hält sich die Ohren zu, rutscht vom Stuhl, läuft in ihr Zimmer und kriecht unter die Bettdecke.
Lucas bleibt sitzen und schaut zu, wie die Mutter seinen Kuchen mit dem Küchenmesser in kleine Teile schneidet. Mit beiden Händen greift er zu, schiebt sich ein Stück in den Mund und kaut mit vollen Wangen genüsslich vor sich hin.
DAS UNGLÜCK
Majas Mann Paul arbeitet als Abteilungsleiter in einer Firma, die sich mit Nanotechnologie befasst. Vor einem Tag ist er vierzig geworden. Auf dem Schreibtisch steht ein grosser Blumenstrauss. An die Vase angelehnt eine Karte mit den Unterschriften der Mitarbeiter. Daneben ein Fotorahmen mit dem Bild seiner Frau und den Zwillingen, Lucas und Alessia. Maja hält ihre Kinder glücklich lächelnd umschlungen. Das Foto hat Paul an ihrem vierten Geburtstag gemacht, am Nachmittag des achten Mai vor vier Jahren. Im Garten vor dem Haus, das sie vor zehn Jahren gebaut haben.
Eine glückliche Familie. Ein wolkenloser Himmel. Zwei Stunden nachdem das Foto entstanden ist, hat das Wetter umgeschlagen. Ein starker Wind ist aufgekommen und hat in kürzester Zeit dunkle Wolken herbeigezaubert.
Beim Eintreffen der Eltern, Pauls Bruder und Majas Schwestern, zucken bereits die ersten Blitze über die wolkenverhangenen Berge.
Das verhaltene Donnergrollen deutet Paul als Zeichen, dass das Gewitter noch weit entfernt ist und keine Gefahr bedeutet.
Maja will sofort die Tische abräumen und die Feier ins Wohnzimmer verlegen. Paul hingegen eilt es nicht.
«Ein wenig Regen hat noch niemandem geschadet», meint er lachend.
Majas Schwestern spielen weiter mit den Zwillingen. Ihr Vater flirtet mit Pauls Mutter und Pauls Vater ist, wie bei jedem Familientreffen, in ein politisches Streitgespräch mit Majas Eltern verwickelt.
Der Himmel wird dunkler, der Wind stärker.
«Hallooo! Gleich fängt es an zu regnen. Wir müssen ins Haus!», ruft Maja warnend.
Weil niemand hören will, beginnt sie mit dem Abräumen. Zusammen mit der älteren Schwester trägt sie Kuchen, Geschirr, Besteck und Gläser ins Wohnzimmer.
Als Maja wieder aus dem Haus tritt, wird es auf einen Schlag hell. Endlos lange. Paul, seine Eltern, die Zwillinge, Majas Eltern und auch ihre Schwestern bewegen sich extrem verlangsamt.
Maja ist nicht fähig, einen Gedanken zu fassen. Sie will schreien, rufen, warnen, doch kein Ton kommt aus ihrer Kehle. Als das grelle Licht endlich erlischt, sieht sie mit panischem Schrecken, wie - als ob ein Riese mit der Axt zugeschlagen hätte - ein Teil der alten Eiche in Nachbars Garten vom Stamm getrennt wird. Nur ein paar Meter entfernt hält ihre jüngste Schwester spielerisch kämpfend die Zwillinge umschlungen.
Das gewaltige Krachen des Donners löst die Zeitlupe auf. Maja schreit und rennt, rennt und schreit. Und während sie, ausser sich vor Angst, möglichst schnell zu ihren Kindern will, spürt sie, wie ihre Beine einknicken, als ob sie aus Gummi wären. Mit einem entsetzten Schrei fliegt sie auf den Rasen. Im Fallen sieht sie, wie der riesige Baumteil das alte Gartenhäuschen zerschmettert und mit einem dumpfen Krachen Sarah und die Zwillinge unter seinen Ästen begräbt.
Nachdem die Feuerwehrmänner mit der Kettensäge den Zugang freigemacht haben, findet man die Zwillinge noch lebend unter Sarahs Körper. Lucas ist nur leicht verletzt. Alessias Kopfverletzungen sind so schwer, dass sie noch auf dem Transport ins Spital ein Engel wird.
PIA
Pias Eltern waren, als sie neun Jahre alt war, aus Deutschland in die Schweiz eingewandert. Pia hatte sich schnell an die neue Umgebung gewöhnt und bald Freundinnen gefunden. Vier Jahre später sprach sie bereits akzentfrei den einheimischen Dialekt. Nach einer Lehre als Chemielaborantin mit Berufsmittelschule hatte sie an der ETH studiert und danach in der Firma, in der ihr Vater und Majas Mann Paul arbeiteten, eine Anstellung als Biochemikerin erhalten.
Gross, schlank, blond und sportlich unterschied sie sich in jeder Hinsicht von Pauls dunkelhaariger Frau, wurde aber vielleicht gerade deshalb mit den Jahren zu ihrer besten Freundin. Als dann das Unglück geschah, war sie sofort da und half Maja, den Verlust von Alessia und Sarah zu bewältigen.
PAUL UND PIERRE
Paul hat Pierre vor zwanzig Jahren in der Abendschule kennengelernt. Sie haben zusammen Aufgaben gebüffelt und sind dadurch Freunde geworden.
Paul, ein ernsthafter, bodenständiger Typ, ist auf dem Land aufgewachsen. Pierre, als Sohn eines höheren Beamten aus der Stadt, hat einen gänzlich anderen Charakter. Wenn er sich mit Paul trifft, erzählt er ihm als Erstes von seiner neuesten Eroberung. Paul lernt dadurch eine Welt kennen, die ihm bis dahin fremd war. Wenn er eine Frau kennenlernen möchte, dann nur, weil er eine ernsthafte Beziehung sucht.
Pierre besucht die Abendschule, weil sein Vater das wünscht und finanziert. Er könnte danach einen Job als Führungskraft bekommen und Karriere machen. Doch das interessiert ihn nicht. Während der gemeinsamen Schulzeit erzählt er Paul immer wieder von seiner Faszination für die Welt des Bösen. Einer Welt, in der alles erlaubt sei, was gegen Recht und Gesetz verstosse.
Paul nimmt sein Gerede nicht ernst. Das Böse ist doch irgendwie überall, denkt er. Als Gegenpart des Guten, So wie Freude und Leid, Liebe und Hass, Licht und Schatten. Trotzdem macht er sich ab und zu Gedanken. Vor allem, als ihm Pierre eines Tages erzählt, dass er, sobald von seinem Vater finanziell unabhängig, das grosse Geld machen wolle. Und das ginge am schnellsten, wenn es ihm gelänge, das Gesetz auszuhebeln.
PAUL UND ARNE
Freitagnachmittag. Kurz bevor Paul Feierabend machen will, wird er ins Büro des CEO gerufen.
Arne, ein Mann mit kalten Augen, blond, gross, doppelt so schwer wie Paul und gut zehn Jahre älter, sitzt in eine Akte vertieft hinter einem massiven Schreibtisch. Paul ist ab und zu mit ihm aneinandergeraten, weil er sich für seine Mitarbeiter eingesetzt hat.
«Bitte setz dich, Paul. Ich muss etwas mit dir besprechen», murmelt der schwedische Manager. Mit einem leichten Unbehagen lässt sich Paul in den Besuchersessel fallen.
«Paul, es ist etwas vorgefallen.»
Paul erschrickt.
«Keine Angst, es hat nichts mit dir zu tun und auch mit keinem deiner Leute. Da wir das jedoch nicht sicher wissen, muss jeder Bereich, jede Abteilung, genauestens überprüft werden.»
«Überprüft? Weshalb?», fragt Paul besorgt.
«Unsere IT-Leute haben berichtet, dass jemand die Unterlagen unserer Erfindung zu hacken versucht.»
«Geht es um den Nano-Chip?»
«Ja, könnte man so sagen. Was wir für unsere Kunden herstellen, gehört, wie du weisst, zur Hochtechnologie auf diesem Gebiet.»
Paul spürt, wie ein Gefühl in ihm hochsteigt, das ihn an das Unglück vor vier Jahren erinnert.
«Mein Gott, Arne! Das wäre eine Katastrophe! Natürlich müssen wir dem nachgehen. Ich werde alle Mitarbeiter in meiner Abteilung überprüfen und genau beobachten ...»
«Nein, nein, Paul, das ist nicht nötig. Die Abteilungsleiter müssen nichts unternehmen, einfach nur weiterarbeiten, wie bisher. Allerdings müssen wir, was gesetzlich eigentlich nicht erlaubt ist, die E-Mails der Mitarbeiter überwachen.»
«Dem kann ich auf keinen Fall zustimmen, Arne. Das würde auch die Gewerkschaft nicht tolerieren!», antwortet Paul entrüstet.
«Ok, dann lassen wir das mit den E-Mails. Übrigens, ich erwarte, dass du diese Information für dich behältst!»
«Natürlich, Arne! Ist doch selbstverständlich!»
Arnes Gesicht verzieht sich zu einem, wie Paul findet, nicht ganz ehrlichen Lächeln, als er sagt: «Ist gar nicht so selbstverständlich, Paul. Es gibt Leute, die das nicht machen würden.»
MAJA UND PIA
Pia ist bei Maja zu Besuch. Sie hat einen Kuchen mitgebracht, Maja macht Kaffee und setzt sich zu ihrer Freundin an den Küchentisch.
«Pia? Bist du noch da?»
«Ah ja, wieso?»
«Hast du mitbekommen, was ich erzählt habe?»
«Sorry, ich war in Gedanken ...»
«Das mit Paul ...»
«Deinem Mann? Was ist mit ihm?»
«Paul hat sich verändert. Ich vermute, dass er mir etwas verheimlicht, vielleicht ...»
«Vielleicht was?»
«Ach, ich weiss auch nicht. Manchmal kommt mir der Gedanke, dass eine andere Frau im Spiel sein könnte.»
«Paul? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen, Maja!»
«Und wieso nicht?»
«Ganz einfach, Paul ist nicht der Typ für so etwas.»
«Aber was ist es dann? Paul ist oft völlig abwesend. Manchmal wird er plötzlich wütend, dann wieder bringt ihn nichts aus der Ruhe. Und wenn ich ihn frage, was los ist, sagt er einfach: Nichts! Was sollte denn sein?»
Pia nimmt einen Schluck Kaffee und schaut hinaus in den Garten, in dem das Unglück passiert ist. Immer noch steht die alte Eiche, wenn auch nur noch zur Hälfte, nah am neu erstellten Zaun. Wieso der Nachbar sie nach dem Unglück nicht hat fällen lassen, ist ihr ein Rätsel.
Maja kann Pias Gedanken lesen.
«Alfred hat gesagt, er lasse seine Eiche stehen, weil sie nichts dafür könne, dass der Blitz in sie eingeschlagen habe und auch nicht, dass meine Schwester mit den Kindern gerade zu diesem Zeitpunkt am Zaun gestanden sei. Zudem habe er, mit fast der Hälfte des Baumes, auch eine Art Kind verloren. Nachdem seine Frau gestorben sei, habe er deshalb testamentarisch festgelegt, dass seine Asche einst zwischen den Wurzeln der Eiche vergraben werden solle.»
«Wie alt ist dieser Mann?», fragt Pia.
«Alfred hat im Sommer seinen Neunzigsten gefeiert. Mit Sohn und Tochter und Enkelkindern. Sogar der Gemeindepräsident war dabei und hat ihm die Glückwünsche der Dörfler überbracht.»
«Und seine Frau?»
«Renate ist vor bald zehn Jahren an Krebs gestorben. Das war hart für ihn. Alfred hat mir einmal gesagt, er hoffe, vor ihr sterben zu können, weil eine Frau besser alleine zurechtkomme.»
Über Pias Gesicht fällt ein Schatten.
«Der arme Mann. Was wird sein, wenn wir beide einmal so alt sind? Wenn ich bis dahin immer noch Single bin, ist das kein Problem. Doch bei dir und Paul ... Was denkst du, wer wird Zurückbleiben?»
Maja macht eine abwehrende Handbewegung.
«Darüber möchte ich jetzt wirklich nicht reden, Pia. Ich bin immer noch daran, den Tod von Alessia und Sarah zu verarbeiten. Und was Paul betrifft ... Es ist, als ob eine unsichtbare Wand zwischen uns stünde. Ich spüre ganz stark, dass er nicht mehr der ist, der mir einst nahe war.»
«Maja, es ist erst vier Jahre her seit dem Tod von Sarah und Alessia. Denkst du nicht, dass Paul sich verändert hat, weil er immer noch unter diesem schrecklichen Unglück leidet?»
«Ich weiss nicht, Pia, ich weiss es wirklich nicht. Wir haben lange zusammengehalten, und jeder hat versucht, den anderen nach Kräften zu unterstützen. Aber, ehrlich gesagt, wie sollen zwei vor Kummer und Leid am Boden liegende Menschen einander aufrichten? Das ist unmöglich. Weder Paul noch ich hatten genügend Kraft dazu. Durch den Tod von Alessia und meiner Schwester sind wir in ein so tiefes Loch gefallen, dass keiner den anderen noch sehen konnte. Ich habe mich in meinem Schmerz vergraben und Paul in seinem. Jeder Versuch zu reden, ist fehlgeschlagen. Paul fühlt sich schuldig, weil er den Wetterumsturz unterschätzt hat.»
Pia legt einen Arm um ihre Freundin: «Maja, ich muss dir etwas erzählen: Ein paar Tage nach der Beerdigung vor vier Jahren habe ich Paul auf dem Heimweg von der Arbeit getroffen. Ob er reden möchte, mit mir einen Kaffee trinken wolle, habe ich ihn gefragt. Das sei lieb von mir, aber er sei noch nicht soweit. Vielleicht ein anderes Mal. Dann ist er davongelaufen. Zwei Monate später hat er mich dann im Geschäft angesprochen. Jetzt wäre er bereit dazu.»
Maja fühlt sich hintergangen.
«Was, du hast dich mit Paul getroffen? Davon hat er mir nichts erzählt!»
«Er wollte nicht, dass du es erfährst, Maja. Warum, weiss ich auch nicht. Paul hat mir das Herz ausgeschüttet, hat geredet wie ein Wasserfall, mir seine Schuldgefühle, sein Versagen, den Schmerz über Alessias Tod, den deiner Schwester anvertraut ...»
Maja hätte am liebsten losgeheult.
«Du bist meine einzige richtige Freundin, Pia! Wie konntest du mich nur im Dunkeln lassen? Und Paul ... Ihn kann ich erst recht nicht verstehen ... Ich bin doch seine Frau!»
Pia versucht, ihre Freundin zu beruhigen.
«Maja, es tut mir wirklich sehr leid. Ich habe nicht daran gedacht, dass das für dich so schlimm sein würde ... Ich denke, Paul wollte dich nicht mit seinen Schuldgefühlen belasten und hat mich deswegen gebeten, zu schweigen.»
Pia trinkt ihren Kaffee aus, steht auf, schliesst ihre Freundin in die Arme und flüstert ihr ins Ohr: «Alles wird gut, Maja! Alles wird gut!»
Maja begleitet sie zur Tür. Pia schlüpft in ihre Jacke und hüpft die Treppe hinunter zu ihrem Auto.
Bevor Maja die Tür schliesst, kommt sie noch einmal zurück: «Maja, nur kurz: Ich lege die Hand ins Feuer, dass Paul ein durch und durch anständiger Mann ist. Ganz im Gegensatz zu seinem Freund, diesem Pierre. Als Paul ihn mir damals vorstellte, hat er sofort versucht, mich zu einem Date zu überreden. Ich wundere mich, dass Paul immer noch mit ihm befreundet ist. Soviel ich weiss, ist Pierre bereits zum zweiten Mal geschieden ... Und vermutlich wird es nicht dabei bleiben. Er soll ein notorischer Frauenheld sein. Wie ich gehört habe, nimmt er es auch mit der Wahrheit nicht so genau.»
Maja: «Pierre tickt halt irgendwie anders als andere Männer. Er hätte die Möglichkeit gehabt, etwas aus seinem Leben zu machen. Stattdessen handelt er seit bald zwanzig Jahren mit Autos. Er ist ständig unterwegs und verkehrt mit Leuten, die, wie man hört, nicht ganz sauber sind. Würde mich nicht wundern, wenn er eines Tages hinter Gittern landet.»
Kaum ist Pia verschwunden, öffnet sich das Gartentor und Lucas, inzwischen acht Jahre alt, springt mit zwei Kameraden durch die Terassentür ins Wohnzimmer.
«Maamaa, wir haben Hunger!»
Maja schliesst ihren Sohn in die Arme, hebt ihn hoch und herzt ihn so lange, bis er ruft: «Lass mich los, Mama! Lass mich los!»
Maja stellt Lucas auf den Boden, geht in die Küche und kommt bald darauf mit einem Ess-Tablet zurück. Drei mit Sirup gefüllte Gläser und Schoggi-Weggli lassen die Augen der drei Buben erstrahlen.
Während sie etwas später die Kinder beim Spielen im Garten beobachtet, taucht plötzlich wieder die Szene mit dem Gewitter auf. Sie sieht das blendend helle Licht, hört den ungeheuren Knall des Donners und erlebt noch einmal, wie der Baum ihre Schwester und die Zwillinge unter sich begräbt. Der Schmerz ist so schlimm, als ob keine Zeit vergangen wäre.
«Mama! Warum weinst du?», dringt Lucas besorgte Stimme in ihren Kummer. Maja wischt sich die Tränen aus den Augen und versucht zu lächeln.
«Ach weisst du, Lucas, es ist wegen des Unglücks vor vier Jahren ... Da ist Sarah und Alessia, meine und deine Schwester, gestorben. Das tut immer noch so weh!»
«Aber Mama, die sind doch jetzt im Himmel, oder nicht? Haben du und Papa auf jeden Fall gesagt. Da ist es doch viel schöner als bei uns auf der Erde, und sie können uns zusehen, und sie haben nie Hunger und Durst und auch keine Schmerzen ...»
PAULS ENTFÜHRUNG
Drei Tage nach dem Gespräch mit Arne steigt Paul nach Arbeitsschluss in den Lift. Im zweiten Stock hält er an, die Tür öffnet sich. Zwei Männer, ein Hagerer mit langen schwarzen Haaren und einer mit kahlrasiertem Kopf, steigen ein. Während der Aufzug sich in Bewegung setzt, spürt Paul plötzlich eine Hand an seinem Oberarm und gleichzeitig etwas Hartes an den Rippen.
«Ganz ruhig bleiben! Sie kommen mit uns!»
Die Tür öffnet sich, Paul läuft, von den beiden Männern eskortiert, dem Eingang zu. Eine Mitarbeiterin spricht ihn an: «Paul, ich habe ein Problem, könntest du kurz ...»
«Im Moment hat er keine Zeit!», fertigt sie der Kahlrasierte ab und lässt die Frau stehen.
Lächelnd zeigen die Männer beim Ausgang Pias Vater ihre Ausweise. Paul bemerkt auf den ersten Blick, dass sie nicht von der Firma stammen können. Er versucht, Horst mit den Augen ein Zeichen zu geben. Doch der schaut durch ihn hindurch und gibt den Ausgang frei.
«Horst, ich werde entführt!!!», schreit Paul.
Bevor der Security reagieren kann, greift die Hand des Kahlköpfigen unter sein Jackett. Ein Schuss kracht ... Horst fällt nach hinten ...
«NEIN!!!», brüllt Paul und versucht mit aller Kraft, sich zu befreien. Vergebens! Ein harter Schlag ins Genick, und es wird dunkel.
GREGOR UND FEDOR
Was Paul sich nie abgewöhnen konnte, auch nicht, nachdem er Maja kennengelernt und sie ihn gebeten hatte, wenigstens vor den Kindern darauf zu verzichten, war das Fluchen, wenn etwas nicht so lief, wie er es wollte. Und so war das Erste, was Pauls Bewacher hörten, als er zu sich kam, ein Sammelsurium sämtlicher Flüche, die er im Verlaufe seines Lebens angehäuft hatte.
Grinsend erhob sich Gregor von seinem Stuhl, öffnete die Tür zum Nebenraum, wo Paul angekettet auf einer schmalen Pritsche lag, und fragte: «Etwas nicht in Ordnung, Herr Canvas?»
«lar verdammta ...», begann Paul, verstummte aber schlagartig, als Gregor seine Pistole auf ihn richtete.
«Etwas bessere Manieren hätte ich ihnen schon zugetraut, Herr Canvas, oder sagen wir doch einfach Paul, nicht?»
«Ist mir scheissegal, wie du mich nennst. Ich will sofort wissen, was ihr mit mir vorhabt!»
«Das wirst du erfahren, sobald du dich beruhigt hast!», rief Fedor aus der Küche.
«Ok, ihr Scheisskerle, bindet mich wenigstens los. Ich muss dringend auf die Toilette.»
Paul wurden die Fesseln abgenommen. Gregor begleitete ihn mit der Waffe in der Hand aufs Klo. Enttäuscht stellte Paul fest, dass es in diesem Bau keine Fenster gab.
«Hast du dich jetzt beruhigt, Paul?», fragte Gregor.
«Wenn ja, und wenn du dich nicht wie ein Idiot benimmst, bekommst du einen Kaffee, und wir können dir erklären, was Sache ist. - Ok?»
Paul nickte und rieb sich die Handgelenke. Gregor holte einen Hocker unter dem Küchentisch hervor und wedelte mit der Pistole. Paul setzte sich folgsam. Doch kaum hatte er den ersten Schluck Kaffee getrunken, begann er wieder zu fluchen.
«Verfluchte, verdammte Scheisse! Was wollt ihr von mir? Ihr habt Horst erschossen! Das wird euch teuer zu stehen kommen. Glaubt ja nicht, dass ihr in der Schweiz machen könnt, was ihr wollt. Hier haben solche Typen wie ihr schlechte Karten!»
Grinsend schauten sich die beiden Russen an. Dann brachen sie in ein schallendes Gelächter aus.
Fedor legte seine grosse Pranke auf Pauls Schulter, schaute ihm tief in die Augen und knurrte: «Glaubst du wiirklich, in der Schweiiiz, giibt es keine Mafia? Da bist du gaaanz falsch getunt, Paul! Wir sind überall. Doch man sieht uns niicht, man hört uns niicht, und man kennt uns niicht. Wir machen, was wir wollen. Und du, du hast hier gar nichts zu sagen. Und weisst du auch warum? Weil wir unsere eigenen Gesetze und unsere Leute überall haben. In den Regierungen, in den Geschäften, in der Justiz ... Einfach überall! - Also, Paul! Willst du wissen, was wir mit dir vorhaben?»
Paul spürte, wie eine dunkle Wolke auf ihn zukam. Ihm fiel ein, was Pierre über seine Faszination einer Welt, in der es keine Gesetze gab, erzählt hatte.
«Kennt ihr Pierre Boner?», fragte er unvermittelt.
Weshalb sollten wir diesen Mann kennen?»
«Er ist mein Freund ... Und ziemlich sicher gehört er inzwischen auch zu euch ...»
Gregor griff stirnrunzelnd zum Handy ...
Paul hörte, wie er eine Frage stellte, kurz wartete und dann das Gespräch beendete.
Mit einer Kopfbewegung befahl er Fedor zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Nach einer Minute kam der Rückruf. Gregor hörte eine Sekunde zu und gab das Gespräch an Paul weiter.
«Paul, hier Pierre! Hör zu, du bist da in eine ziemliche Scheisse geraten, ich kann ein gutes Wort für dich einlegen, wenn ...»
«Pierre! Also doch, du gehörst auch zu dieser Bande. Das hast du ja schon immer gewollt. Und jetzt soll ich euer Spiel mitmachen, oder was?»
«Tut mir leid Paul, es ist nicht mein Spiel, und es sind auch nicht meine Regeln. So ist es nun einmal auf der anderen Seite. Da gibt es keine Möglichkeit, vor Gericht zu gehen, wenn du ungerecht behandelt wirst.»
«Und wenn ich mich weigere, mitzuspielen?»
«Als dein Freund rate ich dir dringend davon ab, Paul! Dringend, hörst du! Du hast keine Wahl!»
ARNE UND ILLONA
Arne sass, den Kopf in beide Hände gestützt, hinter seinem Schreibtisch. Paul war entführt und auf den diensthabenden Sicherheitsmann war geschossen worden. Die Polizei hatte das ganze Gelände abgeriegelt. Beamte liefen durch die Räume und untersuchten jeden Winkel der Firma. Die ganze Belegschaft musste sich überprüfen lassen. Ein heilloses Durcheinander. Und schon war auch die Presse da. Dann das Fernsehen. Und ständig klingelte das Handy.
Arne lief zum Fenster und beobachtete das Chaos vor dem Eingang, als plötzlich die Firmen-Inhaberin in der Tür stand.
«Arne, was zur Hölle geht hier ab? Wie konnte das passieren? Ich will sofort über jede Kleinigkeit informiert werden!»
Der CEO stand mit hängenden Armen vor seiner Chefin. Illonas war ausser sich vor Wut. Arne hätte sich nicht gewundert, wenn sie ihn, obwohl er sie um einen Kopf überragte, geohrfeigt hätte.
«Illona, ich wollte ... Du weisst ja, dass jede Menge Hacker alles tun, um unsere Server zu entern. Wir werden ständig angegriffen. Und jetzt sind wir in einer sehr heiklen Phase mit unserer neuesten Erfindung. Ich muss jede Möglichkeit in Betracht ziehen ...»
«Und was hat das mit dieser Entführung zu tun?»
Arne setzte sich in seinen Sessel. Illona stützte beide Arme auf den Schreibtisch und starrte ihm drohend in die kalten, grauen Augen.
«Das weiss ich nicht, Illona! Ich habe Herr Canvas nur informiert, dass womöglich jemand unsere Firma ausspioniert. Ich vermute, die Entführer hoffen, durch ihn etwas über unsere neuesten Forschungsergebnisse zu erfahren.»
«Was für Forschungsergebnisse?»
«Es geht um Kommunikationsnetzwerke im menschlichen Körper, sogenannte ...»
«Kommunikationsnetzwerke?»
«Genau, Illona. Tausende Nanosensoren und Nanoaktuatoren, die auf molekularer oder elektromagnetischer Basis unter Verwendung von Transceivern aus neuartigen Nano ...»
«Stopp! Stopp! Stopp! Das ist mir zu hoch! Frage: Wieso wurde ich nicht über diese Forschungen informiert?»
«Tut mir leid, Illona. Dein Mann hat mich vor seinem Tod beauftragt, die Bekanntgabe sämtlicher Forschungsergebnisse in der Firma nach eigenem Ermessen geheimzuhalten. Er wollte nicht, dass sie in falsche Hände geraten.»
Illona verwarf ärgerlich die Hände.
«Ich weiss, ich weiss! Kurt hat mir diesbezüglich nie vertraut. Also muss ich wohl oder übel damit leben.»
MAJAS ENTFÜHRUNG
Maja hatte in der Stadt zufällig Lisbeth, eine ehemalige Schulkollegin, getroffen. Seit bald einer Stunde sassen sie in einem Café an der Bahnhofstrasse, weil sie sich so viel zu erzählen hatten. Lisbeth hatte mehrere Jahre als Krankenschwester in Afrika gearbeitet und war in die Schweiz zurückgekehrt, weil ihr Vater krank geworden war und vermutlich nicht mehr lange zu leben hatte.
Maja schaute auf die Uhr.
«Oh, schon bald halb elf. Ich muss nach Hause. Um Elf kommt Lucas von der Schule. Er hat zwar einen Schlüssel, aber ich lasse ihn nicht gerne allein.»
Maja verabschiedete sich, stieg ins Auto, fuhr durch die Stadt und auf die Autobahn. Als sie die Ausfahrt Brunnen hinter sich hatte, hörte sie ihre Handy-Melodie. Eine Blick aufs Display zeigte eine unbekannte Nummer. Werbung, dachte sie und drückte den Anruf weg. Bei der Ausfahrt Tura Nord klingelte es wieder. Maja liess es läuten, fuhr durch den Kreisel und nahm die Ausfahrt ins Domleschg. Langsam fuhr sie durch die Dreissiger-Zone, dann die schmale Strasse hinauf und am Schloss des Gourmet-Königs vorbei. Als sie nach dem Bauernhof vor Valpra durch die engen Kurven ins Dorf hinauf fuhr, versperrte ihr ein Polizeiauto den Weg. Maja hielt an. Ein junger Polizist stieg aus und bedeutete ihr, das Seitenfenster zu öffnen.
«Oh nein! Kontrolle!», flüsterte Maja und griff ins Handschuhfach, um die Ausweispapiere hervorzuholen. Als sie sich wieder aufrichtete, hatte der Beamte die Tür geöffnet.
«Steigen sie aus, Frau Canvas!»
Widerstrebend stieg Maja aus dem Auto und streckte ihm den Führerschein entgegen. Sein Kollege, ein Mann mittleren Alters, fasste sie am Arm, und bevor Maja einen klaren Gedanken fassen konnte, wurden ihre Handgelenke von ein paar harten metallenen Fesseln umschlossen.
«Was macht ihr da?», schrie Maja entsetzt.
«Ich habe doch nichts verbrochen! Mein Bub kommt gleich von der Schule! Ich muss um elf zu Hause sein!»
«Sie sind festgenommen, Frau Canvas. Um ihr Kind kümmern wir uns noch. Los steigen sie ein!»
«Aber mein Auto?»
«Das erledigt ein Kollege.»
«Und was geschieht mit Lucas?», schrie Maja.
«Wir sorgen dafür, dass es ihm gut geht.»
«Ich will mit meinem Mann telefonieren! Sofort! Ihr könnt mich nicht ohne Grund mitnehmen!».
«Ohne Grund, Frau Canvas? Wir verhaften niemanden ohne Grund!»
«Scheisskerle!»
Maja hämmerte mit den gefesselten Händen auf die Kopfstütze des Fahrers.
«Wer seid ihr überhaupt? Ich werde euch anzeigen. Das hier hat ein Nachspiel!»
PIERRE UND ALFRED
Pierre war sofort klar, dass, wenn Paul entführt worden war, auch Maja und Lucas in Gefahr waren. Er musste Maja warnen. So schnell als möglich. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Pierre wählte ihre Handy-Nummer. Maja drückte ihn weg, vermutlich weil sie seine neue Nummer nicht gespeichert hatte. Er versuchte es wieder und wieder. Vergebens!
Lucas war um diese Zeit noch in der Schule. Man würde ihn wahrscheinlich auf dem Heimweg abfangen. Das musste er unbedingt verhindern. Doch wie? Plötzlich fiel ihm der Nachbar ein. Alte Leute waren meist im Telefonbuch zu finden. Und tatsächlich, Alfred meldete sich.
«Hallo? Sie müssen laut reden, ich höre nicht gut!», rief er in die Leitung.
«Alfred, hier ist Pierre. Ich bin ein Freund von Paul und Maja. Bitte hören sie gut zu: Paul ist entführt worden und Maja wahrscheinlich auch. Vermutlich wird bald jemand auftauchen, der Lucas auf dem Heimweg von der Schule abfangen will. Bitte versuchen sie, das zu verhindern!»
«Mein Gott! Ich bin neunzig. Wie soll ich eine Kindesentführung verhindern? Rufen sie doch die Polizei!»
«Das kann ich nicht. Ich gehöre auch zu den Bösen.»
PIA, HORST UND MARA CAPAUL
Pia sass völlig aufgelöst neben ihrem Vater in der Eingangshalle der Nanotech-Firma. Sie hatte einen Arm um seine Schultern gelegt und wollte nicht glauben, was geschehen war. Immer wieder trocknete sie mit einem Taschentuch die Tränen.
Horst versuchte, seine Tochter zu beruhigen.
«Pia, bitte! Es ist ja noch einmal alles gut gegangen. Ich bin unverletzt und ...»
«Gut gegangen, sagst du dem? Paul ist entführt und auf dich ist geschossen worden. Da ist gar nichts gut gegangen, Papa. Ganz im Gegenteil! Was hat denn die Polizei gefragt, als sie dich vernommen hat?»
«Halt das, was die immer fragen in so einem Fall. Wie es genau abgelaufen ist, wie die Männer ausgesehen haben, wie sie gekleidet waren, wie sie gesprochen haben und so weiter.»
Eine junge Frau kam auf sie zu, zückte einen Ausweis und hielt ihn eine Sekunde lang vor Pias Gesicht.
«Capaul. Kriminalbeamtin. Sind sie die Tochter von Herrn Cerjac? Ich habe ein paar Fragen an sie.»