Narbengold in meinem Herzen - Katharina Koch - E-Book

Narbengold in meinem Herzen E-Book

Katharina Koch

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Beschreibung

„Wer sagt, dass deine Narben nicht schön sind?“

Lia leidet an Akne Inversa. Als ihr Chirurg eine entstellende Operation vorschlägt, entscheidet sie sich für die neuartige LAighttherapie – und verhindert den Eingriff. Doch der ständige Kampf mit Behörden, Krankenkasse und ihrem Arbeitgeber kostet sie viel Kraft, und neue Entzündungen lassen nicht lange auf sich warten ...

Manuel, ihr Behandler, ist von der ersten Sekunde an von Lias Stärke beeindruckt. Bei einem zufälligen Treffen außerhalb der Praxis wird ihm klar, dass er mehr für sie empfindet. Als er zum Klassentreffen eingeladen wird, samt Wiedersehen mit der Ex, schlägt Lia spontan vor, seine Fake-Freundin zu spielen.

Was als Schauspiel beginnt, fühlt sich bald gefährlich echt an. Denn jeder Schritt näher birgt das Risiko, die Patienten-Behandler-Beziehung unwiderruflich zu zerstören.

Für Fans der Tropes:

- Fake-Relationship

- Slow Burn

- Wholesome Romance

- Good Guy

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kapitel 1 - Lia
Kapitel 2 - Manuel
Kapitel 3 - Lia
Kapitel 4 - Manuel
Kapitel 5 - Lia
Kapitel 6 - Manuel
Kapitel 7 - Lia
Kapitel 8 - Manuel
Kapitel 9 - Lia
Kapitel 10 - Manuel
Kapitel 11 - Lia
Kapitel 12 - Manuel
Kapitel 13 - Lia
Kapitel 14 - Manuel
Kapitel 15 - Lia
Kapitel 16 - Manuel
Kapitel 17 - Lia
Kapitel 18 - Manuel
Kapitel 19 - Lia
Kapitel 20 - Manuel
Kapitel 21 - Lia
Kapitel 22 - Manuel
Kapitel 23 - Lia
Kapitel 24 - Manuel
Kapitel 25 - Lia
Kapitel 26 - Manuel
Kapitel 27 - Lia
Kapitel 28 - Manuel
Kapitel 29 - Lia
Kapitel 30 - Manuel
Kapitel 31 - Lia
Kapitel 32 - Manuel
Kapitel 33 - Lia
Kapitel 34 - Manuel
Kapitel 35 - Lia
Kapitel 36 - Manuel
Kapitel 37 - Lia
Kapitel 38 - Manuel
Kapitel 39 - Lia
Kapitel 40 - Manuel
Kapitel 41 - Lia
Kapitel 42 - Manuel
Kapitel 43 - Lia
Epilog – Manuel
Bibliografie
Danksagung
Du bist betroffen und weißt nicht weiter?
Über die Autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

Narbengold

in meinem Herzen

 

 

 

 

Katharina Koch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2025 Katharina Koch – alle Rechte vorbehalten.

Korrektorat: Andrea W.

Covergestaltung: Claudia Harnoss

 

Bildlizenzen: Creative fabrica

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Autorin die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

 

 

 

 

Content Note:

 

Zum Zeitpunkt der Romanerstellung im Frühjahr 2025 war die LAighttherapie noch keine Krankenkassenleistung und musste von den Patienten selbst bezahlt werden. Ausnahme sind zwei Krankenkassen, die im Rahmen von Selektivverträgen für bestimmte Regionen die Kosten übernehmen.

Ich hoffe, dass sich dies zeitnah ändern wird und der Roman ein Rückblick wird, wie es einmal war und wie gut wir es in der Zukunft hoffentlich haben werden.

 

In diesem Roman geht es um schwierige Themen, wie Depressionen und das alltägliche, meistens schmerzhafte Leben mit Akne Inversa.

 

 

Für das Team der Lenicura.

 

Danke, dass ihr jeden Tag versucht,

uns Akne Inversa Patienten ein lebenswerteres Leben zu ermöglichen.

Kapitel 1 - Lia

Nervös trat ich von einem Bein auf das andere. Ich konnte nicht sitzen, aber stehen war auch sehr unangenehm. Hoffentlich kam ich bald dran. Die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten. Ich blickte auf meine Smartwatch, doch es waren nur wenige Minuten vergangen. Die Arzthelferin am Empfang hatte mir bereits am Telefon gesagt, dass ich Wartezeit mitbringen müsste, weil sie mich zwischendurch drannehmen würden. Ich atmete tief durch und schloss die Augen. Dr. Rohl hatte mir schon in der Vergangenheit bei einigen Abszessen geholfen. Das wäre nicht meine erste Spaltung. Dieses Mal war jedoch mein Intimbereich betroffen und das machte mir unheimlich Angst. Dort waren so viele Nerven, dass es mich bei dem Gedanken, was gleich passieren würde, schon schüttelte.

„Lia Michel“, rief mich einige Augenblicke später eine Arzthelferin auf.

Mit wackeligem Schritt folgte ich ihr so schnell es mir, mit diesem Biest von einem Abszess, möglich war.

„Setzen Sie sich“, sagte sie mit einem Deut auf die Behandlungsliege.

„Geht nicht“, antwortete ich.

Sie sah mich neugierig an.

„Abszess im Intimbereich …“

„Ach so.“ Sie räusperte sich. „Dr. Rohl kommt sofort. Noch einen Augenblick Geduld.“

Ehe ich reagieren konnte, sauste sie schon wieder aus dem Raum. Mein Herz klopfte schmerzhaft in meiner Brust. Aufgewühlt wischte ich mir meine feuchten Hände an meiner Jogginghose ab. Würde ich gleich ins Krankenhaus müssen oder würde Dr. Rohl kurzen Prozess machen? Bei dem Gedanken fremden Ärzten meinen vernarbten Intimbereich zeigen zu müssen, wurde mir übel. Ich war absolut nicht verklemmt, aber meine Erfahrung mit Ärzten in Bezug auf Akne Inversa war nur selten positiv verlaufen.

„Frau Michel, was kann ich für Sie tun?“, fragte Dr. Rohl, als er in den Raum gerauscht kam.

Schwungvoll ließ er sich auf den Drehstuhl ohne Lehne sinken und tippte klappernd los.

„Ich habe wieder einen Abszess.“ Meine Stimme klang atemlos, daher unterbrach ich mich für einen tiefen Atemzug.

„Wo dieses Mal?“

„Meine Schamlippe ist so groß, dass ich das Gefühl habe, mir wäre ein Hoden gewachsen.“

Dr. Rohl sah zu mir und schmunzelte. „So schlimm?“

Ich nickte.

„Dann wollen wir uns das mal ansehen.“ Er stand auf.

Schnell zog ich die Hose und meinen Slip hinunter, sodass sich der Stoff an meinen Fußknöcheln stauchte. Außerdem hob ich meinen Hoodie ein Stück hoch.

„Vielleicht legen Sie sich besser hin.“ Er zog sich die Handschuhe an.

„Ja …“

Das war schon unangenehm, ohne, dass ich mich blöd anstellte. Ungelenk kletterte ich auf die Behandlungsliege und legte mich hin. Dann spreizte ich ein wenig mehr die Beine.

„Wie lange haben Sie den Abszess schon?“

Ich spürte seine Finger und obwohl Dr. Rohl gut aussehend war, hatte das hier absolut nichts Antörnendes an sich.

„Einige Tage. Das ging relativ schnell von einem kleinen Knubbel zu einem Hoden.“ Ich verzog meine Lippen zu einer Grimasse.

„Hoden tun aber im Regelfall nicht so weh.“ Dr. Rohl lächelte mich an.

Wenigstens hatte er auch Sinn für Humor, was die ganze Sache viel erträglicher machte.

„Ich glaube, dieses Mal können wir das nicht mit einer Punktierung und Antibiotika bekämpfen.“ Dann zog er das Ultraschallgerät näher heran, tat etwas Gel auf meinen Intimbereich auf und fuhr so sanft wie möglich über die entzündete Stelle.

„Das sind fast drei Zentimeter Tiefe.“

„Spaltung?“, fragte ich hoffnungsvoll.

Ein Schnitt und dann wäre zumindest der Druckschmerz passé.

„Das müssen wir in Vollnarkose machen wegen dem ganzen Narbengewebe.“ Er atmete hörbar aus.

„Sie meinen, die Schamlippe … muss weg?“ Ich starrte ihn an, denn ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er lachen und sagen würde, dass er nur einen Scherz gemacht hatte und alles nur halb so schlimm wäre.

Er drehte das Ultraschallgerät ein wenig mehr zu mir und deutete auf den Bildschirm. „Sehen Sie, wie groß und tief das ist?“

In der Tat war der Abszess nicht gerade klein. Darüber hinaus betraf er auch noch die gesamte Schamlippe. Tränen stiegen mir so schnell in die Augen, dass ich sie zukneifen musste, um zu verhindern, dass ich losheulte. Das konnte nicht wahr sein. Seit zehn Jahren kämpfte ich schon mit der Akne Inversa und bisher war es mir immer gelungen, eine OP zu umgehen. Heute hatte mich mein Glück verlassen. Unbändige Angst erfasste mich.

„Das ist schnell gemacht. Vielleicht eine halbe Stunde Vollnarkose.“

„Und danach?“ Ich öffnete die Augen und taxierte ihn mit einem durchdringenden Blick.

Dr. Rohl tupfte das Gel ab. „Offene Wundheilung, tägliche Verbands- und Tamponadenwechsel. Sie sind jung und haben keine Wundheilungsstörungen. Das wird in ein paar Wochen gegessen sein.“

Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein Ernst sein.

„Ich bin achtundzwanzig Jahre alt. Wissen Sie, was das für mich bedeutet?“

Er sah mich mit einem leeren Blick an und da wurde mir klar, dass er nicht verstand, was ich meinte. Wie auch? Er war ein Mann und entschied, dass ich meine Schamlippe nicht mehr brauchen würde.

„Ich habe noch keine Kinder, keinen festen Partner und generell möchte ich irgendwann nochmal in meinem Leben Sex haben. Sie werden mir all das nehmen, wenn sie mir die Schamlippe abschneiden. Da muss es eine andere Lösung geben. Egal, wie lang es dauert und wie viele Medikamente ich dafür nehmen muss. ES MUSS eine andere Lösung her.“ Ich zog meinen Slip und die Jogginghose wieder hoch und versuchte, mich vorsichtig aufzusetzen.

Dr. Rohl ging zum Waschbecken und wusch sich die Hände. „Ich verstehe Ihre Bedenken, Frau Michel, aber da gibt es keine Alternative.“

„Was ist mit Biologika?“

„Das dauert zu lange, bis das wirkt.“

„Es ist mir egal, wie lang es dauert, wenn ich meine Schamlippe retten kann.“ Ich sprang von der Behandlungsliege, was sofort mit einem heftigen Schmerz quittiert wurde, den ich versuchte zu ignorieren, und trat näher an ihn heran. Meine Hände faltete ich zusammen und bettelte ihn wortwörtlich an. „Ich mache alles, nur nehmen sie mir nicht meine Sexualität.“

„Sie können auch ohne die Schamlippe Sex haben.“ Er räusperte sich. „Und Kinder kriegen ist auch gar kein Problem.“

„Physiologisch vielleicht nicht, aber psychisch wird es mir alles nehmen. Ich lese regelmäßig in den Foren, wie es den Frauen geht, die sich die Schamlippen haben entfernen lassen. Das hormonelle Durcheinander, die psychische Belastung, die fehlende Libido … Nein, das kommt für mich nicht infrage.“ Ich schüttelte vehement den Kopf. „Bitte Dr. Rohl, schreiben Sie die härtesten Tabletten auf, die Ihnen einfallen. Ich hänge lieber kotzend über der Toilette wegen irgendeines Antibiotikums, als die Folter einer OP mit offener Wundheilung durchzumachen.“

Dr. Rohl setzte sich an den Arbeitsplatz und tippte auf der Tastatur herum.

„Außerdem lebe ich allein, habe einen Hund zu versorgen und wüsste auch nicht, wer mir nach der OP mit dem Haushalt, den Einkäufen und allem anderen helfen sollte …“

Er drehte sich zu mir. „Ich halte eigentlich nichts davon und auch das wird Zeit kosten, aber wenn sie meinen, dass Sie es besser wissen, fahren Sie nach Eckernförde zum Wundzentrum. Dort wird die LAighttherapie angeboten.“

„Ist das diese Lichttherapie?“ Davon hatte ich doch schon mal gelesen.

„So ähnlich. Ich glaube zwar nicht, dass es bei dem Ausmaß irgendetwas für Sie tun wird, aber sie können es ja ausprobieren. Dann sehen wir uns wahrscheinlich nächste Woche ohnehin wieder …“ Er stand auf, reichte mir mit einem süffisanten Grinsen einen Zettel, auf dem er den Namen der Praxis aufgeschrieben hatte. „Machen Sie sich dann bitte einen neuen Termin?“

Wieso war er auf einmal so unfair? Dem würde ich es schon zeigen. Von wegen, wir würden uns nächste Woche wiedersehen. Es war mir scheißegal, wie viele Tage ich noch mit diesem Schmerz herumlaufen müsste. Dafür war ich schon viel zu sehr an all das Leid der Akne Inversa gewohnt. Hauptsache, ich würde nicht alles verlieren, was ich mir für die Zukunft ausgemalt hatte. Eine OP im Intimbereich war die allerletzte Option für mich, die ich nur bei einer Sepsis zulassen würde. Wenn ich die Wahl zwischen Leben ohne Schamlippe und Sterben hatte, würde ich mich schließlich immer für das Leben entscheiden.

Ich schlurfte zur Tür.

„Ich habe Ihnen noch ein Schmerzmittel aufgeschrieben.“

„Danke“, sagte ich durch zusammengebissene Zähne.

Das hatte er doch mit Absicht gemacht, damit ich mich trotz seiner Unverschämtheiten bedanken musste. Er kannte mich nach all den Jahren, die ich bereits bei ihm in Behandlung war, zu gut, als dass ich das ohne Dank stehen lassen könnte.

Bei meinem Auto angekommen, tippte ich auf meinem Smartphone herum. Am liebsten würde ich noch heute nach Eckernförde fahren und sofort die erste Behandlung durchführen lassen, aber vermutlich würde sich da keiner über meinen spontanen Besuch freuen. Ich wusste aus dem Forum, dass man erst eine Art Erstgespräch hatte und eine Menge Papierkram mit der Krankenkasse zu regeln war, ehe es losgehen konnte. Aus dem Grund hatte ich mich bisher nicht weiter damit beschäftigt. Ich hatte nicht wirklich Lust, Anträge zu schreiben und Bilder von meinen intimsten Stellen an irgendwelche Sachbearbeiter meiner Krankenkasse zu schicken, in der Hoffnung, dass sie genug Mitleid mit mir hätten und in einer Einzelfallentscheidung für mich entscheiden würden.

Dennoch wählte ich die Nummer und rief die Praxis direkt an. Jede Stunde zählte, wenn man Schmerzen von neun auf einer Gesamtskala von zehn hatte.

Kapitel 2 - Manuel

Das Telefon klingelte penetrant.

„Wundzentrum Ostseeblick, Manuel Klein, guten Tag“, meldete ich mich.

„Lia Michel. Hallo, ich bin bisher noch keine Patientin bei Ihnen und benötige dringend ein Erstgespräch zur LAighttherapie. Ist das möglich? Und wenn ja, wann? Ich brauche so schnell wie möglich einen Termin“, hörte ich eine Frauenstimme herunter rattern.

„Guten Tag Frau Michel, generell ist das möglich. Ich möchte Sie aber vorsorglich darauf hinweisen, dass aktuell die Kollegin, die die weiblichen Patienten behandelt, krankheitsbedingt längerfristig ausfällt.“

Das sagte ich allen Patientinnen als Allererstes, weil die meisten eben nicht von einem Mann behandelt werden wollten. Bei Akne Inversa waren die meisten Frauen im Intimbereich, in den Leisten oder in der Brustfalte betroffen. Scham ließ sich eben nicht durch nette Worte abschalten. Dafür hatte ich vollstes Verständnis, wenngleich ich keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte. Ich arbeitete bei jedem Patienten diskret und professionell.

„Was bedeutet das?“

Ich hörte die Panik in Ihrer Stimme.

„Dass aktuell ich die einzige Option für diese Behandlung bin.“

In der Leitung wurde es so still, dass ich für einen Moment nicht sicher war, ob die Patientin das Telefon fallen gelassen hatte.

„Hallo?“, fragte ich sicherheitshalber.

„Ich … Okay. Besser als nichts“, nuschelte sie und trotzdem verstand ich jedes Wort.

Grinsend tippte ich Ihren Namen ein, um einen neuen Patienten im System anzulegen. Dann erfragte ich noch nach einigen Daten, um die Pflichtfelder für eine Terminvereinbarung ausfüllen zu können. „Wann können Sie denn?“, fragte ich und klickte in den Kalender.

„Wann wäre der frühestmögliche Termin? Ich brauche wirklich dringend einen Termin.“

„So schlimm?“, entfuhr es mir.

„Ja. Ich …“ Sie stockte. „Ich habe einen Schamlippenabszess im Ausmaß eines Hodens.“

Ich presste mir die Hand auf dem Mund, um nicht lauthals in Lachen auszubrechen. Den Vergleich hatte ich ja noch nie gehört. Das würde Spaß versprechen, wenn sie schon so einen Humor bei der Terminvereinbarung an den Tag legte.

„Können Sie heute Abend noch kommen? Wir können die Behandlung heute noch nicht starten, aber das Erstgespräch sowie die Voruntersuchung wäre möglich.“

„Gerne. Wie spät soll ich da sein?“ Die Freude in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Ich freute mich sofort mit ihr. Schon seit Jahren behandelte ich Akne Inversa Patienten, daher wusste ich genau, was sie durchmachte. Die Erkrankung war schmerzhaft, eitrig und unheilbar. Das blödeste Trio, was man in Bezug auf Hautkrankheiten haben konnte.

„Kommen Sie um halb fünf, dann kriegen Sie zum Warten auch gerne ein Kühlakku oder ein heißes Körnerkissen – je nachdem, was Ihnen lieber ist.“

„Danke, das ist aber nett von Ihnen. Legen Sie schon mal den Kühlakku in die Gefriertruhe. Bis nachher.“

„Bis nachher.“

Wir legten auf. In mir war so ein Kribbeln, dass ich es kaum erwarten konnte, Lia Michel persönlich kennenzulernen. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf. Sie war nur eine von vielen Patienten und doch stach sie mit ihrem Humor und dem losen Mundwerk heraus.

„Danke, dass du das Telefon übernommen hast“, sagte Hildegard und riss mich aus meinen Gedanken.

„Kein Problem. Ich gehe noch eben einen neuen Kaffee holen und bereite dann den Raum für den nächsten Patienten vor. Kannst du Herrn Albert direkt in die Drei schicken, sobald er da ist?“

Sie nickte und ich eilte in den Pausenraum.

Dass Cornelia die Treppe zuhause hinuntergestürzt war, zwang mich aktuell dazu, jeden Tag ausschließlich die LAighttherapietermine abzuarbeiten. Normalerweise kümmerte ich mich nebenbei um die postoperative Wundversorgung und hatte Dienste an der Rezeption, aber zurzeit gab es eben nur noch eins: LAighttherapie. Fünf Tage die Woche. Einige Überstunden fielen dabei auch an. Natürlich liebte ich meinen Job und die Akne Inversa Patienten brauchten mich. Daher konnte ich nicht ablehnen, als mein Chef mit der Bitte auf mich zukam und doch war es anstrengend. Cornelia hatte einige Patientinnen gehabt, die bei jeder Behandlung bitterlich weinten, und das kannte ich von meinen Patienten so nicht. Natürlich hatten auch sie Schmerzen, sie schluckten das jedoch hinunter. Ich durfte mich aber nicht beschweren, denn ich hatte das, wovon alle Akne Inversa Patienten träumten: eine makellose Haut.

 

Während ich etwa eine Stunde später den Behandlungsraum nach der LAighttherapie aufräumte, das Gerät desinfizierte und den Raum wieder in den Vorher-Zustand zurückverwandelte, kam Hildegard herein.

„An der Anmeldung steht eine Frau Michel, die nach einem Herrn Klein fragt.“

Unwillkürlich musste ich grinsen. Ich sah auf und erwiderte Hildegards neugierigen Blick. „Sie hat heute ihr Erstgespräch und die Voruntersuchung zur LAighttherapie.“

„Ja, ich weiß. Das hast du auch in den Kalender eingetragen, aber dennoch hat sie nach dir gefragt. Vielleicht will sie dich erst sehen, bevor sie sich auf einen männlichen Behandler einlässt.“ Sie ließ ihre Augenbrauen auf ihrer Stirn hüpfen.

„Das könnte sein.“ Ich zerknüllte die Unterlage, die auf der Liege gelegen hatte und auf der allerlei feuchte Flecken des Kontaktgels waren, stopfte sie in die Mülltonne und zog die Handschuhe aus.

Dann folgte ich meiner Kollegin zur Anmeldung. Lia Michel sah sehr verunsichert aus und kaute auf dem Fingernagel ihres kleinen Fingers.

„Hi, ich bin Manuel Klein“, sagte ich zu ihr. „Wir haben miteinander telefoniert.“

Prompt hörte sie auf, an ihrem Nagel zu kauen, und setzte ein Lächeln auf. „Hi.“

Sie war ein ganzes Stück kleiner als ich, hatte kinnlanges, blondes Haar und trug eine Jogginghose mit einem weiten Hoodie, der bestimmt zwei Nummern zu groß war.

„Also behandelst du hier die Akne Inversa Opfer?“ Sie lächelte mich an.

Opfer? Sie hatte wirklich Humor.

„Genau, ich blitze hier die Entzündungen, die zu schnell durch die Haut rauschen, um sie sofort zum Stoppen zu bringen.“

Sie kicherte. „Bei unserem Akne Inversa Stammtisch sagen wir immer, dass es wegen der Tunnelgebilde der Fistelgänge Maulwürfe unter unserer Haut sind, aber das Bild gefällt mir auch.“

„Also bin ich Maulwurfjäger.“ Ich legte den Kopf schief.

Sie nickte. „Du hattest mir einen Kühlakku versprochen?“

„Ja. Ich hole ihn mal eben. Kannst du sitzen?“

„Nicht so gut, aber ich kann mich auch einfach in eine Ecke stellen.“

Rasch lief ich ins Labor, in dem wir einen Gefrierschrank hatten, und holte einen kleinen Kühlakku heraus. Ich umwickelte ihn mit etwas Papier und ging zurück zur Anmeldung. Dort überreichte ich Lia Michel den gewünschten Kühlakku.

Sie wirkte so dankbar. „Beim Chirurgen hat man mir noch nie einen Kühlakku angeboten.“

„Dabei tut das so vielen Patienten gut.“

„Möglich.“

„Noch Fragen?“

Sie sah sich einmal um, aber da außer Hildegard, die schon wieder telefonierte, weit und breit niemand zusehen war, drückte sie den Kühlakku in ihren Schritt. Sie seufzte und schloss kurz die Augen. „Sind wir immer allein im Behandlungsraum?“

„Ja, außer wenn ich einen Arzt dazu hole, damit er sich einmal etwas ansieht.“

Lia Michel beugte sich näher zu mir. „Und das macht nichts mit dir, die ganzen nackten Pussys zu sehen?“, flüsterte sie.

„Nein?“ Irritiert starrte ich sie an.

Hielt sie mich etwa für einen Perversling?

Plötzlich lachte sie und stupste mich an den Oberarm an. Ihre Berührung durchzuckte mich wie ein Blitzschlag. Mir wurde ganz warm.

„War nur ein Spaß. Aber wenn ich mir das vorstelle, jeden Tag fremde Penisse sehen zu müssen …“ Sie hielt inne und schüttelte den Kopf. „Also nein, das bräuchte ich nun wirklich nicht.“

„Bringt mein Job eben so mit sich.“ Ich schob meine Hände in meine Hosentaschen. „Was machst du denn beruflich?“

„Ich arbeite im Accounting in der IT-Branche. Aber gut, ich sehe schon, wir sind auf einer Wellenlänge. Wir probieren es einfach.“

„Schön.“ Ich wusste nicht, was ich hätte anderes sagen sollen, denn für mich war es nicht wichtig, ob es in irgendeiner Form mit dem Patienten harmonierte. Mein Job war es, das LAighttherapiegerät zu bedienen. Ob dabei gesprochen oder geschwiegen wurde, machte für mich lediglich den Unterschied, dass die stillen Behandlungen meistens gefühlt länger andauerten.

„Da vorne ist das Wartezimmer.“ Ich deutete auf die Glastür, auf der Parkzone stand.

Zwar machte es mir Spaß, mich mit ihr zu unterhalten, aber ich hatte noch einiges zu tun, bevor gleich mein nächster Patient zur LAighttherapie käme.

„Super.“ Sie watschelte mit dem Kühlakku, den sie zwischen ihre Schenkel presste, in die angewiesene Richtung.

„Aber nicht zu lang kühlen. Erfrierungen möchtest du an deinem Hoden nicht auch noch haben.“

Sie lachte. „Ich möchte nicht mal den Hoden haben.“

Ich hörte Hildegard schnauben und blickte zu ihr. Dann lief ich hinter die Anmeldung.

„Du redest mit der neuen Patientin über Hoden? Kontext?“

„Sie hat bei der Terminvereinbarung etwas zu mir gesagt, dass ich nicht vergessen konnte.“

„Ach?“

Doch ehe ich das weiter ausführen konnte, kam schon mein letzter Patient für heute durch die Tür. Eilig machte ich mich auf den Weg zurück in den Behandlungsraum, um die letzten Vorbereitungen zu treffen, ehe es weitergehen konnte. Doch das Bild vor meinem inneren Auge von einem übergroßen Hoden, der an einer Schamlippe hing, ließ mich nicht los.

„Hi Manuel“, riss es mich aus meinen Gedanken.

Mein Patient stand im Türrahmen. Anscheinend hatte Hildegard ihn schon zu mir geschickt.

„Hi Schmiddi, wie geht’s dir heute?“

„Gut wäre glatt gelogen, aber das Biest an meinem Hoden werden wir jetzt sicherlich schnell los.“

„Ich tue, was ich kann.“ Ich entfaltete schnell die neue Unterlage auf der Liege und holte dann die Schutzbrillen, die ich nachpolieren musste, damit das Desinfektionsmittel keine blöden Flecken auf den abgedunkelten Gläsern hinterließ.

Und schon war ich wieder gedanklich bei Hoden. Heute verfolgte mich das Drüsengewebe aber auch.

Kapitel 3 - Lia

Ein jüngerer Arzt mit Brille kam in den Behandlungsraum und wirkte auf den ersten Blick sehr nett. Hoffentlich täuschte sich mein Bauchgefühl da nicht. Ein nervöses Kribbeln war in meinem Bauch. Auf dem Schild an seiner Brust stand Dr. Albrecht.

„Setzen Sie sich doch“, sagte der Arzt freundlich und deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

„Geht nicht.“ Ich trat einen Schritt näher und legte meine Hände auf die Stuhllehne.

Wäre ich doch nur nicht allein hier.

„Wo drückt der Abszess? Po? Leiste?“

„Schamlippe.“

„Oje.“ Er tippte auf der Tastatur herum. „Gut, schauen wir uns das mal an.“ Dr. Albrecht stand auf und kam um den Schreibtisch herum. „Können Sie sich auf die Liege legen? Geht das?“

Ich nickte. Langsam wurde es völlig normal irgendwelchen Ärzten meine Geschlechtsteile zu zeigen und doch würde ich lieber tausend andere unangenehme Dinge tun. Zum Beispiel lernen, wie man eine Zahnreinigung bei einem Menschen mit Mundgeruch durchführte. Die Biotonne an einem 45 Grad heißen Sommertag zu säubern stand auch hoch im Kurs. Aber ich hatte keine Wahl. Ich war hier.

Ungelenk legte ich mich auf die Liege und zog die Hose aus. Vielleicht hätte ich das zuerst machen und mich anschließend hinlegen sollen. Zu spät.

Unterdessen hatte der Arzt ein Paar Gummihandschuhe angezogen und rieb sich die Hände aneinander. Dann untersuchte er mich.

„Sind die Hände warm genug?“, fragte er lässig, als ich zusammenzuckte.

Das war das erste Mal, dass mich jemand nach solchen Befindlichkeiten fragte. Jedoch hatte ich aufgrund des Schmerzes und nicht wegen irgendwelcher unangenehmen Temperaturen von Händen gezuckt.

„Das passt schon so.“

„Dass das weh tut, kann ich mir gut vorstellen“, sagte Dr. Albrecht.

„Bitte sagen Sie mir, dass der blöde Dr. Rohl sich irrt und wir irgendetwas tun können, außer per OP die Schamlippe abzuschneiden.“ Ich klang so verzweifelt, wie ich mich fühlte, aber ich wollte auch nicht hinter dem Berg halten.

Wir mussten hier wirklich an jeden Strohhalm ziehen, den wir finden konnten. Aufgeben war keine Option. Bis zur Blutvergiftung würde ich um meine Schamlippe kämpfen, wenn das nötig war. Von keinem einzigen Mann würde ich mich zu so einer Entscheidung drängen lassen. Niemals.

„Wie hoch sind denn Ihre Schmerzen auf der Schmerzskala von eins bis zehn, wenn zehn die schlimmsten vorstellbaren Schmerzen und eins ganz harmlose Schmerzen sind?“

„Jetzt nach dem Kühlakku von Herrn Klein im Moment nur noch sechs.“

„Nehmen Sie Schmerzmittel?“

„Ich habe heute vom Chirurgen noch welche bekommen und genommen. Davor war es schlimmer.“

„Okay.“ Er tastete auch beide Leisten ab. „Linke Leiste, linke Schamlippe, linke Oberschenkelinnenseite“, murmelte er.

„Ich bin sehr linkslastig betroffen.“ Unwillkürlich musste ich kichern. „Links die Brustfalte ist ebenfalls von diesen Eiterparasiten befallen.“

„Linke Achsel auch?“ Er lächelte mich beruhigend an.

Das tat unheimlich gut. Ich fühlte mich bei ihm viel wohler als bei Dr. Rohl.

„Nein. Zum Glück nicht.“ Ich hob meinen Hoodie hoch und schob den BH zur Seite, sodass Dr. Albrecht auch noch meine Brust untersuchen konnte.

„Das sieht so weit doch alles vielversprechend aus.“ Er trat einen Schritt von der Liege zur Seite und zog die Handschuhe aus.

Was hieß das? Mein Blut rauschte mir durch den Körper, sodass ich es hören konnte. Durfte ich mir Hoffnung machen? Ich starrte ihn an.

„Haben sie Fieber?“, fragte er.

„Nein.“

„Schüttelfrost?“

„Auch nicht.“

„Fühlen sie sich schlecht?“

„Außer, dass mir dieses gewaltige Biest zwischen meinen Beinen weh tut, nicht. Nein.“ Ich schüttelte den Kopf, um meiner Antwort Nachdruck zu verleihen.

Ich wagte gar nicht, gedanklich irgendetwas zu formulieren, aber die Hoffnung wuchs in mir. Wenn er jetzt Dr. Rohl zustimmen würde, wäre ich ziemlich enttäuscht.

Er ging um den Schreibtisch herum und ließ sich auf seinem Drehstuhl sinken. „Sie können sich wieder anziehen.“

Ich folgte dem Wunsch und fühlte mich von jetzt auf gleich wie in Watte gepackt. Wieso folterte er mich so und sagte nicht endlich die erlösenden Worte? Ich würde die LAighttherapie selbst bezahlen, wenn es meinen Intimbereich retten würde.

„Okay … reden wir mal ganz offen über die LAighttherapie.“ Er drehte sich mir zu und holte einen Flyer aus einer Schublade, den er zu mir schob. „Mit Licht in verschiedenen Wellenlängen und Radiofrequenzen behandeln wir Ihre Haut. Was passiert? Wir holen alles hervor, was schon schlummert und noch gar nicht bemerkt werden kann. Selbstredend behandeln wir damit auch akute Abszesse.“

Ich nickte stumm und zog meinen Hoodie zurecht.

„Dabei kann es also passieren, dass sie eine subjektive Erstverschlimmerung durchmachen müssen. Das ist aber ein natürlicher Prozess, denn die Entzündungen schlummern schon unter der Haut und werden durch die Kollagenneubildung an die Oberfläche transportiert.“

„Was genau heißt das?“, fragte ich dazwischen.

„Ich will da ganz ehrlich mit Ihnen sein. Sie können mit einem Mal einen richtig starken Schub mit mehreren Abszessen bekommen und auch an Stellen, wo sie bisher noch keine hatten.“

Meine Augen weiteten sich.

„Das ist aber nur temporär und betrifft auch nicht jeden Patienten. Ich will darauf nur aufmerksam machen, damit sie sich mental darauf vorbereiten können. Sie wissen, dass die LAighttherapie Sie nicht heilen kann, Ihre Erkrankung jedoch erträglicher macht, indem die Schmerzen insgesamt reduziert werden, die Abszesse schneller heilen und die Narbenstruktur sich wesentlich verbessern wird?“

„Ich habe davon gehört. Gibt es wirklich keine Nebenwirkung?“

„Doch, es kann vereinzelt mal zu Hautirritationen kommen. Dann wird die Haut etwas rötlich und heiß – ähnlich wie bei einem Sonnenbrand. Das ist aber nicht von Dauer.“

„Okay. Tut die Behandlung weh?“

„Es kommt darauf an.“

Ich sah ihn fragend an. Der machte es aber spannend.

„Das Schmerzempfinden ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Akute Stellen tun generell immer mal etwas kurz weh. Die meisten Patienten beschreiben es wie einen kurzen, heißen Stich.“

Im Vergleich zu einer entstellenden OP klang das gut.

„Wie oft muss ich das machen?“

„Wir würden mit einem vierzehntägigen Rhythmus anfangen und von Zeit zu Zeit mal den Erfolg überprüfen und dann den Rhythmus anpassen.“

„Wie lange dauert es, bis das Biest“, ich hielt inne und deutete nach unten zu meinem Schritt. „… Verschwindet?“

„So reif wie der Abszess schon ist, könnte ich mir vorstellen, dass der bei der ersten Behandlung aufgeht. Versprechen kann ich Ihnen natürlich dahingehend nichts. Das ist alles sehr individuell.“

Erstaunt klappte mein Mund auf. Von wegen OP. In dieser Praxis stand ein Wundergerät und das hatte ich mir selbst die letzten Jahre vorenthalten. Wie dumm ich doch war.

„Und das Beste ist, aktuell diskutiert der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA darüber, die LAighttherapie als Krankenkassenleistung aufzunehmen. Das heißt, sie müssten eventuell nicht dauerhaft die LAighttherapie selbst bezahlen. Denn das muss man leider auch sagen. Trotz NICE-Studie, ESMAIL-Studie und der neuen S2k-Leitlinie sind noch immer viele Krankenkassen bei der Kostenübernahme sehr zurückhaltend.“

„Können Sie mir mal ein Beispiel zeigen, was mich das kosten würde?“

„Klar.“ Er tippte auf der Tastatur herum und drehte dann den Bildschirm so, dass ich mit draufschauen konnte.

„Je mehr Behandlungsfelder Sie behandeln lassen, desto günstiger wird es pro Feld.“

„Wie groß ist das?“

Er hob die Hand und zeigte auf seine Handfläche. „So in etwa bemessen wir das.“

„Das macht ja gar keinen Sinn, wenn ich nur die Schamlippe behandeln lassen würde.“

Er druckte den Kostenvoranschlag aus. „Ich schreibe Ihnen noch einen Befundbericht für die Krankenkasse, sodass sie dennoch den Antrag stellen können. Melden Sie sich bitte unbedingt bei Lenicura, dem Hersteller. Die werden Ihnen beim Antragsprozess behilflich sein.“

„Vielen Dank.“ Ich fühlte mich viel besser, obwohl ich noch immer den stechenden Schmerz verspürte.

Die aufkeimende Hoffnung ließ mich aber mehr aushalten. Endlich gab es einen Lichtblick am Ende des Tunnels.

Dr. Albrecht tippte eine Weile herum. Keiner von uns beiden sprach. Dann klopfte es an der Tür und Manuel Klein kam herein.

„Gut, dass du hereinkommst“, sagte Dr. Albrecht zu ihm. „Wo habt ihr denn den Anamnesefragebogen von Frau Michel abgelegt?“

„Oh Mist, den haben wir glatt vergessen.“ Manuel rieb sich über die Stirn.

Unauffällig starrte ich ihn an. Er war so ein gut aussehender Mann, dass ich schon bei dem Gedanken, dass ich mich vor ihm untenrum freimachen musste, errötete. Dabei war ich absolut nicht prüde. Ganz im Gegenteil. Wäre ich nicht an Akne Inversa erkrankt, würde ich ständig in die Sauna gehen und verschiedene Männer daten. Doch mit Narben im Intimbereich und einer Erkrankung, die kaum jemand kannte, war das bisher keine gute Idee gewesen. Menschen konnten grauenhaft sein in Bezug auf Narben und Krankheiten. Das hatte mir unzählige Mitmenschen schon häufiger bewiesen.

Dr. Albrecht holte mich aus meinen Gedanken zurück, indem er mir verschiedene Fragen zu meiner Krankheitshistorie stellte. Natürlich hatte ich nicht alle Daten von allen Spaltungen parat. Wer rechnete auch schon mit so etwas? Außerdem waren es mittlerweile so viele Eingriffe gewesen, dass ich sie nicht mehr an einer Hand abzählen konnte.

Dann beugte sich Manuel und Dr. Albrecht über den Schreibtisch näher zum Computerbildschirm. Sie beiden wechselten einen Blick miteinander, ohne etwas zu sagen. Dr. Albrecht tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm.

Nach einigen Sekunden der Stille schaute Manuel zu mir. Ich verlor mich in seinen haselnussbraunen Augen. Ein Gefühl kam in mir auf, dass ich nicht einordnen konnte. Spürte nur ich das?

„Na gut“, sagte Manuel.

„Wollen Sie morgen früh direkt um acht Uhr behandelt werden?“, fragte Dr. Albrecht an mich gewandt.

Überrascht blickte ich vom Herrn Doktor zu Manuel und wieder zurück. Er tat es nicht freiwillig. Da war ich mir sicher. Einerseits sah ich die Sichtweise eines Arbeitnehmers, der wegen Unterbesetzung viele Überstunden machte. Andererseits musste ich egoistisch sein. Hier ging es um meinen Körper, meine Gesundheit und um höllische Schmerzen.

„Gerne doch.“

Kapitel 4 - Manuel

Viel zu spät bin ich aus der Praxis herausgekommen. Eigentlich wollte ich morgen bewusst später starten, weil ich gleich zum Geburtstag meines besten Freundes Gero musste. Meinem Chef vor der Patientin klarzumachen, dass ich auch noch ein Privatleben hatte, fühlte sich nicht richtig an. Und Lia Michel hatte etwas an sich, dass ich ihretwegen nicht nein sagen wollte. Als ich gelesen hatte, wie groß der Abszess in ihrem Intimbereich war, gab es meine Moral auch einfach nicht her, nein zu sagen. Sie musste unvorstellbare Schmerzen haben.

Völlig gestresst kam ich im Stadtgeist an. Ich brauchte einen Moment, bis ich Gero, seine Familie und eine Handvoll seiner engsten Freunde im Lokal fand.

„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, sagte ich feierlich und umarmte ihn.

„Danke. Schön, dass du es geschafft hast.“

Mir war es unangenehm, dass ich zu spät und als Allerletzter eingetroffen war. Wahrscheinlich würde ich auch der Erste sein, der heute nach Hause ging, weil ich morgen schon so früh in die Praxis musste. Daran wollte ich jetzt aber nicht mehr denken.

Ich überreichte Gero ein Geschenk, wofür er sich überschwänglich bedankte, und setzte mich auf den freien Platz ihm gegenüber.

Nachdem wir uns an einem Pastabüfett satt gegessen hatten und mir die Gespräche allmählich zu viel wurden, lehnte ich mich zurück. Konnte ich wohl schon nach Hause fahren oder war das direkt nach dem Essen unhöflich?

„Habt ihr mitbekommen, dass Tanita geheiratet hat?“, sagte Kerstin, die unweit von mir entfernt saß.

Bei dem Namen schreckte ich hoch. Das war kein Allerweltsname und das konnte in einem so kleinen Ort wie Eckernförde nur bedeuten, dass es meine Tanita war. Wobei auch das falsch wäre. Sie ist nicht mehr meine Tanita. Sie ist meine Ex-Freundin und mehr würde aus uns auch nie wieder werden. Dass Kerstin jedoch Kontakt zu ihr hatte, wunderte mich. Eigentlich hatten doch alle, nach allem, was damals passiert war, den Kontakt abgebrochen.

Ich lehnte mich etwas vor, um bloß kein Wort der Unterhaltung zu verpassen.

„Ehrlich? Diesen Schnuckel, mit dem sie diese Rucksacktour durch Südostasien gemacht hat?“, fragte Melanie und ihre Augen blitzten auf.

Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Wieso kannten sie solche Details aus dem Leben meiner Ex?

„Genau der.“ Kerstin ließ die Augenbrauen hüpfen. „Das ist aber auch ein heißes Schnittchen. Würde mich so einer fragen, ob ich heiraten will, würde ich auch nicht nein sagen.“

„Und das, wo du schon verheiratet bist“, sagte Melanie und streckte ihr die Zunge entgegen.

„Na und? Schauen darf man doch?“

Ich wandte mich ab und verdrehte die Augen. Als ob es nur auf das Aussehen ankäme. Hastig schaute ich auf mein Smartphone und entschied mich, dass es Zeit war, heimzugehen. Egal, ob es unhöflich wirkte. Der morgige Tag würde lang und anstrengend werden.

Kaum war ich aufgestanden, sagte Gero: „Du gehst schon?“

„Ja.“

„Wieso denn? Es ist doch noch früh.“

„Ich habe direkt um acht schon die erste Patientin.“

„Dann kannst du doch mindestens noch eine Stunde bleiben.“ Er bedachte mich mit einem flehenden Blick, aber ich hatte genug.

Ich wollte nichts über meine Ex-Freundin hören, die geheiratet hatte. Wahrscheinlich auch noch diesen Blödmann, mit dem sie mich damals betrogen hatte. Es kostete mich einiges, doch ich schluckte den Frust hinunter und setzte ein Lächeln auf.

„Nein, ich muss vorher noch einiges vorbereiten. Neupatientin. Du weißt ja, dass das immer mit höherem Aufwand für mich verbunden ist.“

Das war nicht mal gelogen, denn die Antragsunterlagen für die Krankenkasse mussten noch in die Endfassung gebracht werden, damit Dr. Albrecht diese unterschreiben konnte.

„Schade.“ Gero stand auf und kam mir auf halbem Weg um den Tisch herum entgegen.

Er klopfte mir bei der Umarmung auf die Schulter und bedankte sich dennoch für mein Kommen.

„Nächstes Mal bin ich wieder länger dabei“, sagte ich versöhnlich.

„Ich nehme dich beim Wort.“

Wir klatschten uns ab und er setzte sich wieder. Dann verschwand ich zum Ausgang. Der Abend war nicht so verlaufen, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber das konnte ich nicht mehr ändern. Mit einem Gefühl der Ernüchterung machte ich mich auf dem Heimweg. Der Wind blies kühl von der Küste ins Landesinnere. Ich schob die Hände tiefer in die Hosentaschen.

Die Trennung war schon eine halbe Ewigkeit her und doch schmerzte es mich noch immer, wie es vor drei Jahren geendet hatte. Sie war meine erste große Liebe gewesen. Fast zehn Jahre waren wir zusammen gewesen. Vielleicht sollte ich auch weiter machen. Auf Dates gehen. Neue Frauen kennenlernen. Das tun, was alle in meinem Alter taten.

 

Am nächsten Morgen schaffte ich meine To-do-Liste, in dem von mir selbst gesteckten Zeitrahmen abzuarbeiten, und so war alles bereit, als Lia Michel die Praxis betrat. Gemeinsam gingen wir in den Behandlungsraum drei. Ich drehte das Warnschild an der Tür um, damit kein Kollege hineinplatzte.

Lia wirkte nervös und blieb neben dem Stuhl stehen.

„Hast du noch generelle Fragen, ehe wir anfangen?“, fragte ich und wählte auf dem Tablet ihr Profil beim Patientenportal an, damit sie die fehlenden Daten ausfüllen konnte.

„Wieso gibt es hier keinen Vorhang oder so eine Art Umkleidekabine wie beim Frauenarzt?“

Ich blickte vom Tablet auf und schaute sie fragend an. Scheinbar war das aber eine ernstgemeinte Frage.

„Mal im Ernst? Was soll das bringen? Ich sehe dich gleich ohnehin nackt.“

Sie befeuchtete ihre Lippen und warf mir einen herausfordernden Blick zu. „Natürlich. Aber das ist ja beim Frauenarzt auch nicht anders.“

Ich hob meine Augenbrauen an, suchte nach einer Antwort, doch mir fiel dazu nichts ein. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht, warum wir so etwas nicht hatten. Ich verstand aber auch nicht, welcher Sinn dahinter stecken sollte.

„Willst du nur die akute Stelle behandelt haben oder alles?“

„Alles.“ Sie klammerte sich an dem Stuhl und ihre Fingerknöchel färbten sich weiß.

Hatte sie Angst oder so extreme Schmerzen?

„Dann ein paar grundsätzliche Sachen vorweg. Ich behandele immer in zwei Schritten, sodass du nie komplett nackt auf der Liege sein musst. Wir fangen obenrum an, danach gehts untenrum weiter.“

„Das ist gut.“ Sie atmete erleichtert auf.

Ich reichte ihr das Tablet. „Füll bitte mal die Seite aus.“

Das tat sie auch. In der Zeit holte ich die Behandlungsbrillen, die neben dem Waschbecken gelegen hatten, und die ich nochmal nachpolieren musste.

„Erledigt.“

Ich legte die Brillen auf den Schreibtisch und nahm das Tablet. Dann öffnete ich den nächsten Tab und reichte ihr das Tablet erneut.

„Diesen Fragebogen füllst du bei jeder Behandlung aus.“

„Okay.“ Sofort machte sie sich an die Arbeit.

Da ich nicht wusste, ob sie aufnahmefähig war, während sie die Fragen beantwortete, schob ich das LAighttherapiegerät schon mal auf den perfekten Platz und füllte etwas Kontaktgel in eine Nierenschale.

„Schon sehr persönliche Fragen“, kommentierte Lia.

„Scroll am Ende wieder hoch, dann sehe ich das mit dem Sexleben nicht.“

Stimmte zwar nicht, aber das musste sie ja nicht wissen, wenn es ihr damit besser ging.

Sie kicherte. „Ist ohnehin nicht existent. Kein Mann will Gulasch ficken.“

„Gulasch?“ Ich schnaubte auf und konnte mir das Lachen nicht verkneifen. „Hattest du gestern nicht von Hoden gesprochen?“

„Wenn es auf ist, ist es kein Hoden mehr.“

Hoffnung machte sich in mir breit. „Hat sich der Abszess geöffnet?“

Wenn sie meine Frage mit einem Ja beantworten würde, müsste ich ihr heute auf gar keinen Fall weh tun.

„Schön wäre es.“ Sie seufzte und legte das Tablet auf den Schreibtisch.

Ich ließ mich hinter dem Schreibtisch sinken. „Linke Unterbrustfalte, linke Schamlippe, linke Leiste und linker Oberschenkel. Korrekt?“

„Ja genau.“

„Dein Körper ist anscheinend linksradikal.“

Sie lachte herzlich und mir wurde ganz warm. Es war schön, dass sie ihren Lebensmut offenbar noch nicht verloren hatte.

„Das sage ich auch immer.“

„Gut. Dann zieh dich mal aus.“

Sie atmete hörbar durch und öffnete ihre Pulloverjacke, die sie heute trug.

---ENDE DER LESEPROBE---