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Soziale Ungleichheit zeigt sich je nach Gesellschaft und Epoche sehr unterschiedlich. Um sie zu verstehen, spielen Geschichte und Kultur eine zentrale Rolle: Ungleichheit ist stark mit verschiedenen sozioökonomischen, politischen, zivilisatorischen und religiösen Entwicklungen verbunden. Es ist also Kultur im weitesten Sinne, die es ermöglicht, die Vielfalt, das Ausmaß und die Struktur der sozialen Ungleichheit, die wir täglich beobachten, zu erklären. Thomas Piketty legt hier kurz und knapp eine lebendige Synthese seiner Arbeit vor. Er greift dabei so unterschiedliche Themen wie Bildung, Erbschaft, Steuern oder die Klimakrise auf und liefert spannende Denkanstöße für eine hochaktuelle Debatte: Gibt es natürliche Ungleichheit?
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Veröffentlichungsjahr: 2023
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Aus dem Französischen von André Hansen
Die Abbildungen wurden mit freundlicher Genehmigung aus folgenden Werken übernommen:
Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Ungleichheit
© Verlag C.H.Beck, München 2022
für die Abbildungen 5 bis 17 und Tabelle 1
Lucas Chancel, Thomas Piketty, Emmanuel Saez, Gabriel Zucman: Rapport sur les inégalités mondiales 2022
© Éditions du Seuil, 2022
für die Abbildungen 1 bis 4 und 18
Deutsche Erstausgabe
ISBN 978-3-492-32021-4
Oktober 2023
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel Nature, culture et inégalités bei Société d’ethnologie, Nanterre
© Société d’ethnologie, 2023, für den Text
Für die deutsche Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2023Covergestaltung:Covermotiv:Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
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Cover & Impressum
Gibt es natürliche Ungleichheit? Der lange Marsch zur Gleichheit
Entwicklung der Ungleichheit und der Ungleichheitsregime
Einkommensungleichheit
Vermögensungleichheit
Geschlechterungleichheit
Ein kontrastreicher Marsch zur Gleichheit in Europa
Das Beispiel Schweden
Der Aufstieg des Sozialstaats am Beispiel der Bildungsausgaben
Zu mehr Gleichberechtigung
Progressive Steuern
Was tun mit den Schulden?
Natur und Ungleichheit
Fazit
Literatur
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Ungleichheitsregime – und damit meine ich die Struktur, das Ausmaß und die Entwicklung der sozioökonomischen Ungleichheit in verschiedenen Gesellschaften – sind äußerst vielfältig. Um dieses Phänomen zu begreifen, müssen wir zunächst die Geschichte und Kultur der Menschheit verstehen. Ungleichheit hängt nämlich mit unterschiedlichsten sozioökonomischen, politischen, kulturellen, zivilisatorischen oder religiösen Entwicklungen zusammen. Die Vielfalt, das Ausmaß und die Struktur der zu beobachtenden sozialen Ungleichheit kann erst durch Kultur im weiteren Sinne erklärt werden – und mehr noch vielleicht durch kollektive politische Bewegungen. Weniger ins Gewicht fallen hingegen die sogenannten »natürlichen« Faktoren wie individuelle Talente oder Bodenschätze.
Interessant ist in dieser Hinsicht das als besonders egalitär geltende Schweden: Manchen Stimmen zufolge ist die relative Gleichheit in diesem Land auf zeitlose Merkmale zurückzuführen, etwa auf eine Kultur, die »von Natur aus« einen Hang zur Gleichheit habe. In Wirklichkeit war Schweden lange ein für europäische Verhältnisse besonders ungleiches Land und organisierte diese Ungleichheit auch sehr gründlich politisch. Das änderte sich ab dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts, nachdem eine politische und soziale Mobilisierung der Sozialdemokratischen Partei Anfang der 1930er-Jahre den Sieg bei der Reichstagswahl gebracht hatte. Die anschließend ein halbes Jahrhundert lang regierende Sozialdemokratische Partei richtete den schwedischen Staatsapparat auf eine ganz andere Politik aus.
Durch das schwedische Beispiel wird deutlich, wie falsch die Vorstellung einer langfristigen Determiniertheit ist, der zufolge durch natürliche oder gar kulturelle Faktoren bestimmte Gesellschaften immer schon egalitär seien, während andere, zum Beispiel Indien, auf ewig inegalitär seien. Soziale und politische Gebilde können sich ändern, manchmal viel schneller, als es sich zeitgenössische Beobachter vorstellen, insbesondere die Gewinner des Systems, die herrschenden Gruppen. Sie naturalisieren die Ungleichheit und stellen sie als dauerhaft dar, während sie zugleich vor jeglicher Veränderung warnen, die diese kostbare Harmonie gefährden könnte. Die Wirklichkeit ist aber stets im Fluss und wird ständig neu geschaffen: Sie entsteht durch Machtverhältnisse, institutionelle Kompromisse und nicht gänzlich vollzogene Kursänderungen.