Naturwissenschaftler reden von Gott -  - E-Book

Naturwissenschaftler reden von Gott E-Book

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Beschreibung

" … als der Taxifahrer von meinem Beruf erfuhr, stellte er ganz erstaunt fest: 'Sie sind eine Physikprofessorin, die glaubt?' So etwas war ihm wohl noch nie begegnet." So wie Barbara Drossel geht es auch den anderen Autoren, die in diesem Buch erzählen, wie sie geworden sind, was sie sind. Ihr Lebensweg führte sie ans CERN und zur NASA, sie beschäftigen sich mit Bakterien und Tumoren. Gleichzeitig sind sie überzeugte Christen, die in der Bibel lesen und sonntags in den Gottesdienst gehen. Und sie sind keine gespaltenen Persönlichkeiten, sondern halten den christlichen Glauben auch in der heutigen Zeit für relevant und gut fundiert. Sie sind überzeugt: Glaube und Wissenschaft ergänzen einander. Mit Beiträgen von: Alister McGrath (Prof. f. Wissenschaft u. Religion, Oxford), Peter C. Hägele (Prof. f. Physik, Ulm), Joan Centrella (NASA), Siegfried Scherer (Prof. f. Mikrobielle Ökologie, München), Barbara Drossel (Prof. f. Theoretische Physik, Darmstadt), Francis Collins (ehem. Leiter d. Human Genome Projects), Monika Schönhoff (Prof. f. Polymere und Nanostrukturen, Münster), Jonathan Sleeman (Prof. an der medizinischen Fakultät, Heidelberg/Mannhein) und Robert White (Prof. f. Geophysik, Cambridge).

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Barbara Drossel (Hrsg.)

Naturwissenschaftler reden von Gott

Die Beiträge von Alister McGrath, Robert White, Joan Centrella und Francis Collins sind ursprünglich auf Englisch erschienen in dem Buch Real Scientists – Real Faith, Copyright © 2009 R. J. Berry, published by Lion Hudson plc, Oxford, England.

Bibelstellen folgen, wenn nicht anders angegeben, der Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Auflage in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Autorenfotos: © privat beim Autor.

Abbildung: © Peter C. Hägele

© 2016 Brunnen Verlag Gießen

Lektorat: Uwe Bertelmann

Umschlagillustrationen: shutterstock

Umschlaggestaltung: Jonathan Maul

Satz: Uhl + Massopust GmbH, Aalen

ISBN Buch 978-3-7655-2046-4

ISBN E-Book 978-3-7655-7370-5

www.brunnen-verlag.de

Inhalt

Vorwort

Wissenschaft, Glaube und der Sinn hinter den Dingen

Alister McGrath

Menschen, Makromoleküle und Modelle

Peter C. Hägele

Leidenschaft für die Wissenschaft und Leidenschaft für Gott

Joan Centrella

Faszination Schöpfung: Gotteserfahrungen eines Biologieprofessors

Siegfried Scherer

Sich der Wahrheit stellen

Barbara Drossel

Was glauben denn Sie, Herr Doktor?

Francis Collins

Wer hat die Kontrolle?

Monika Schönhoff

Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels undeutlich

Jonathan Sleeman

Erdbeben, Vulkane und andere Katastrophen

Robert White

Vorwort

Kürzlich fuhren mein Mann und ich mit dem Taxi zum Frankfurter Flughafen, um für mein Forschungssemester nach Kanada zu fliegen. Mit dem Fahrer, der vor vielen Jahren aus Marokko eingewandert ist, gerieten wir in ein angeregtes Gespräch über den Islam und das Christentum, die Bibel und den Koran. Gegen Ende der Fahrt fragte er uns nach dem Zweck unserer Reise. Als er von meinem Beruf erfuhr, stellte er ganz erstaunt fest: „Sie sind eine Physikprofessorin, die glaubt?“ So etwas war ihm wohl noch nie begegnet.

Seine Verwunderung wird von vielen Menschen geteilt. Kritisch denken und forschen und Bibel lesen und beten – das scheint nicht zusammenzupassen. Doch die Autoren in diesem Buch tun beides. In unserem Berufsalltag erforschen wir als Professoren unseres Fachgebiets die Gesetzmäßigkeiten der Natur mit ausgeklügelten, sorgfältig durchdachten Methoden. Wir hinterfragen kritisch unsere Beobachtungen und Schlussfolgerungen, um Argumentationslücken und alternative Erklärungen zu entdecken. Wir stellen Hypothesen auf und verwerfen sie wieder, wenn sie nicht durch unsere Experimente und Rechnungen bestätigt werden. Wir lesen die Fachzeitschriften unseres Gebiets, um auf dem neuesten Wissensstand zu sein. Gleichzeitig sind wir überzeugte Christen. Wir glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat und dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Wir bringen unseren Dank und unsere Sorgen im Gebet zu Gott. Wir gehören zu einer christlichen Gemeinde und feiern sonntags Gottesdienst. Durch den Glauben bekommt unser Leben einen tiefen Sinn und eine Hoffnung über den Tod hinaus.

Dabei sind wir keine gespaltenen Persönlichkeiten, sondern wir halten den christlichen Glauben auch in der heutigen Zeit für relevant und gut fundiert. Wir meinen, dass Glaube und Wissenschaft verschiedene Aspekte der Wirklichkeit beleuchten und einander gut ergänzen. In den folgenden Beiträgen geben wir Ihnen einen Einblick in unsere naturwissenschaftliche Forschung und in unser Christsein und erzählen, wie beides in unserem Leben zusammenspielt. Die Idee zu diesem Buch kam aus dem englischsprachigen Raum, wo ein ähnliches Buch unter dem Titel „Real Scientists, Real Faith“ publiziert wurde. Vier Beiträge aus diesem Buch wurden für das vorliegende Buch ins Deutsche übersetzt. Fünf weitere Beiträge wurden von Professoren geschrieben, die an deutschen Universitäten forschen und lehren. Die neun Autoren kommen aus den Fachgebieten Astrophysik, Geologie, Biologie, Chemie, Medizin und Physik der kondensierten Materie. Einige der Autoren sind durch Vorträge und Texte zu Glauben und Naturwissenschaft bekannt, und manches daraus fließt auch in ihren Beitrag ein. Andere Autoren beschreiben, wie ihr Glaube ihren beruflichen Weg beeinflusst hat und in Krisen gereift ist. Alle Beiträge sind recht persönlich gehalten und geben spannende Einblicke in die Lebensgeschichte und Gedankenwelt der Autoren. Lassen Sie sich durch die Lektüre in diese Welt hineinnehmen und in ihrem eigenen Denken und Glauben herausfordern!

Barbara Drossel, Waterloo (ON), im April 2016

Wissenschaft, Glaube und der Sinn hinter den Dingen

Alister McGrath

Alister McGrath wurde in Belfast geboren und war überzeugter Atheist, bis er sein Universitätsstudium begann. Er studierte Chemie in Oxford und promovierte in Biochemie, bevor er zur Theologie wechselte und auch in diesem Fach promoviert wurde. Von 1995 bis 2005 war er Direktor der Wycliffe Hall an der Universität von Oxford; 2008 wechselte er von einem Lehrstuhl in historischer Theologie an der Universität Oxford auf eine Professur für Theologie, Gemeindedienst und Erziehung am King’s College London. 2014 wurde er auf die Andreas-Idreos-Professur für Wissenschaft und Religion an der Universität Oxford berufen. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Verhältnis von Wissenschaft und christlichem Glauben, zu denen auch zwei viel beachtete Erwiderungen auf die Ideen von Richard Dawkins gehören.1

„Wahre Wissenschaftler glauben nicht an Gott!“ Diese Parole wird jedem bedrückend vertraut sein, der sich mit den endlosen Exkursen, Übertreibungen und Missverständnissen auseinandergesetzt hat, die sich in Richard Dawkins’ Der Gotteswahn finden. Hinter diesem Satz steht eine Sichtweise, die nur durch den schonungslosen Einsatz selektiver Wahrnehmung und überladener Überrumpelungsrhetorik aufrechterhalten werden kann, die aber nicht auf einer auf wissenschaftlichen Belegen gründenden Argumentation beruht. Dennoch ist es eine Sicht der Dinge, die anscheinend viele in der westlichen Kultur als der Weisheit letzter Schluss anzunehmen bereit sind. Schon Karl Marx wies darauf hin, dass die beständige Wiederholung dessen, was grundsätzlich unwahr ist, den Eindruck erzeugt, dass es vertrauenswürdig und verlässlich sei.

Dawkins hält es für eine selbstevidente Wahrheit, dass die Naturwissenschaften wesensmäßig atheistisch sind – eine Wahrheit, die alle akzeptieren, außer jenen, die von Natur aus Idioten sind oder deren Verstand von der irrigen Vorstellung befallen ist, dass ein Gott existiere, der an uns und unserem Wohlergehen interessiert sei. Das mag uns vielleicht helfen, seine Wut, Intoleranz und Arroganz zu verstehen, die er dem hartnäckigen – manche würden sagen „wieder auflebenden“ – Gottesglauben entgegensetzt, dessen unabwendbares Ableben die säkularen Propheten der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre vorausgesagt hatten.

Dawkins ist zurückhaltend, was autobiografische Einzelheiten angeht. Wenn ich jedoch die Schilderung seiner Hinkehr zum Atheismus recht verstanden habe, war das entscheidende Element dieses Prozesses die wachsende Überzeugung, dass der Darwinismus das Wesen der Welt weit besser erklärt als irgendeine der Weltsichten, die sich auf einen Gott berufen. Dawkins Entdeckung des Darwinismus begann während seiner Zeit als Schüler an der Oundle School und festigte sich während seines Studiums der Zoologie an der Oxford University. Die Naturwissenschaften wirkten somit als Katalysator bei seiner Abwendung von einem ohnehin nur nominellen und blutleeren anglikanischen Glauben.

Nun sind wir alle geneigt, unsere persönliche Geschichte so zu betrachten, als enthülle sie ein umfassenderes Muster der Dinge oder die tiefere Struktur der Wirklichkeit. Glaubensvorstellungen, die wir persönlich für überzeugend halten, müssen demnach auch für alle anderen überzeugend sein. Es überrascht nicht, dass jene, die nicht in dieses Muster passen, für gefährlich gehalten werden. Man neigt dazu, sie als Spinner, Idioten oder Irre abzutun. Warum ist das so? – Weil derjenige, der die vereinfachenden Glaubensvorstellungen nicht anerkennen will, eine Bedrohung für sie darstellt. Denn was Dawkins als allgemeingültiges, maßgebliches Muster betrachtet, ist nicht mehr als eine mögliche gedankliche Option unter anderen, wobei jede von ihnen mit der Zeit ihre Unterstützer gewonnen hat. In diesem Kapitel werde ich meine eigene Geschichte erzählen; ich überlasse es meinen Lesern, selbst zu entscheiden, ob sie weiter gehende Bedeutung hat.

Meine Liebesbeziehung zu den Naturwissenschaften begann, als ich neun oder zehn Jahre alt war. Ich war überwältigt von der Schönheit des Sternenhimmels und sehnte mich danach, ihn näher zu erforschen. Ich durchkämmte meine Schulbücherei nach Büchern über Astronomie und es gelang mir, selbst ein kleines Teleskop zu bauen, mit dem ich die Jupitermonde beobachten konnte. Etwa zur gleichen Zeit schenkte mir ein Großonkel, der die Pathologieabteilung am Royal Victoria Hospital in Belfast geleitet hatte, ein altes deutsches Mikroskop, das mir erlaubte, eine andere neue Welt zu erforschen. Es steht noch immer auf meinem Studiertisch und erinnert mich an die Macht der Natur zu begeistern, zu faszinieren und Fragen aufzuwerfen.

Eine dieser Fragen ließ mir einfach keine Ruhe. Als Teenager hatte ich von Autoren wie Bertrand Russel einen unkritischen Atheismus aufgesaugt. Der Atheismus war, so glaubte ich, der natürliche Ort, an dem ein wissenschaftlich informierter Mensch, wie ich es war, seine weltanschauliche Ruhe hatte. Die Naturwissenschaften hatten sich entfaltet und sie bewohnten nun den intellektuellen Raum, der früher durch die nun aufgegebene Vorstellung von Gott besetzt war. Es bestand keine Notwendigkeit, sich einer derart veralteten Vorstellung zuzuwenden, geschweige denn sie ernst zu nehmen. Gott war ein armseliges Überbleibsel der Vergangenheit, das durch den wissenschaftlichen Fortschritt als Täuschung entlarvt worden war.

Worum ging es also im Leben? Was ist sein Sinn? Während ich über die Reichweite und Stärke der Wissenschaften nachdachte, gelangte ich allmählich zur Ansicht, dass das Leben gar keinen Sinn haben könne. Ich war das zufällige Nebenprodukt blinder kosmischer Kräfte, ein Bewohner eines Universums, in dem man lediglich von Richtung, nicht aber von einem Ziel sprechen konnte. Das war keine besonders attraktive Vorstellung, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass deren Kälte und Kargheit bestimmt ein Indiz für ihre Wahrheit wären. Diese Vorstellung war so unattraktiv, dass sie einfach zutreffen musste. Ich muss mir an diesem Punkt eine gewisse Selbstgefälligkeit eingestehen und das Gefühl der intellektuellen Überlegenheit über jene, die in ihrem Glauben an Gott Trost und Befriedigung fanden.

Dennoch blieben Fragen offen. Während ich weiterhin den Nachthimmel untersuchte, empfand ich dessen Stille als beunruhigend. Ich genoss es, durch mein kleines Teleskop den berühmten Nebel im Sternbild Andromeda, M31, zu betrachten, der hell genug ist, um ihn mit bloßem Auge zu sehen. Ich wusste, dass er so weit entfernt ist, dass Licht, das ihn jetzt verlässt, zwei Millionen Jahre benötigt, um die Erde zu erreichen. Zu jenem Zeitpunkt würde ich schon gestorben sein. Der Nachthimmel wurde so zu einem mich in zunehmendem Maße beunruhigenden, düsteren Symbol für die Kürze des menschlichen Lebens. Welche Bedeutung hatte es? Alfred Tennysons Verse in The Brook (Der Bach) schienen die Lage des Menschen zusammenzufassen:

Denn Menschen kommen, Menschen gehen – Ich rinne fort ohn’ Ende.

Dennoch blieb ich fest davon überzeugt, dass die Härte und Tristheit dieser Position ihre Richtigkeit bestätigten. Es lag auf der Hand, dass die Wissenschaft den Atheismus forderte und ich war willens, mich von der Wissenschaft führen zu lassen, wohin sie mich auch leiten würde.

Und so fuhr ich fort, mich mit Mathematik, Physik und Chemie zu beschäftigen und erwarb schließlich ein Stipendium für Chemie an der Universität Oxford. Die Zusage für Oxford erhielten die meisten damals in der Oberstufe. Ich erfuhr von der Bewilligung des Stipendiums für Oxford im Dezember 1970, wobei ich aber mein Studium erst im Oktober 1971 aufnehmen durfte. Was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Im Anschluss an die Schule gingen die meisten meiner Freunde auf Reisen oder verdienten sich etwas Geld. Ich beschloss, daheim zu bleiben und die Zeit zu nutzen, um Russisch und Deutsch zu lernen, denn beides würde mir bei meiner wissenschaftlichen Arbeit gute Dienste leisten. Nachdem ich mich besonders mit der Physik beschäftigt hatte, war mir zugleich bewusst, dass ich meine Kenntnisse der Biologie vertiefen musste. Ich richtete mich deshalb darauf ein, längere Zeit mit Lektüre und Nachdenken zu verbringen.

Nach etwa einem Monat intensiver Lektüre wissenschaftlicher Literatur in der Schulbücherei hatte ich die Werke zur Biologie durch und stieß auf einen Bereich, den ich vorher nie wahrgenommen hatte. Er nannte sich Geschichte und Philosophie der Wissenschaft und war reichlich eingestaubt. Für diesen Stoff hatte ich wenig Zeit, und ich neigte dazu, ihn als oberflächliche Kritik jener zu betrachten, die sich von den einfachen und sicheren Fakten der Naturwissenschaften bedroht fühlten. Philosophie war – wie Theologie – lediglich haltloses Mutmaßen angesichts von Fragen, die durch die richtigen Experimente beantwortet werden konnten. Was wollte die Philosophie eigentlich? Als ich allerdings meine Lektüre der kärglichen Bestände der Schule über dieses Thema beendet hatte, wurde mir deutlich, dass ich einige Dinge gründlich überdenken musste. Die Geschichte und Philosophie der Wissenschaft war alles andere als verdummende und fortschrittsfeindliche Gedankenspielerei, die dem konsequenten Voranschreiten der Wissenschaft unnötige Hindernisse in den Weg legte; vielmehr stellte sie all die richtigen Fragen im Blick auf die Verlässlichkeit und die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis. Und diese Fragen hatte ich mir bisher nicht gestellt. Die Unterbestimmtheit von Theorien durch Daten, radikale Theoriewechsel in der Geschichte der Wissenschaft, die Schwierigkeiten, ein Schlüsselexperiment zu konzipieren und die außerordentlich komplexen Überlegungen, wenn man ermitteln will, was die „beste Erklärung“ für eine gegebene Kombination von Beobachtungen ist – Fragen wie diese stürmten auf mich ein und trübten das vermeintlich klare, stille und vor allem eindeutige Wasser wissenschaftlicher Wahrheit.

Die Dinge stellten sich als weitaus schwieriger heraus, als ich bisher angenommen hatte. Meine Augen waren geöffnet worden und ich wusste, dass es keinen Weg zurück zur vereinfachenden Auffassung von Wissenschaft gab, die ich zuvor vertreten und bei der ich mich wohlgefühlt hatte. Ich hatte die Schönheit und Unschuld einer kindlichen Haltung im Blick auf die Wissenschaften genossen und hatte mir insgeheim gewünscht, an diesem sicheren Ort bleiben zu können. Ich denke in der Tat, dass ein Teil von mir sich gewünscht hätte, dass ich niemals jenes Buch ergriffen hätte, niemals jene unbehaglichen Fragen gestellt hätte und niemals die Schlichtheit meiner wissenschaftlichen Jugend infrage gestellt hätte. Aber es gab kein Zurück mehr. Ich war durch eine Tür gegangen und konnte der neuen Welt nicht mehr entkommen, die ich nun bewohnte.

Als ich dann im Oktober 1971 in Oxford eintraf, hatte ich erkannt, dass ich eine Menge Dinge neu zu durchdenken hatte. Bis zu jenem Punkt hatte ich angenommen, dass es auf eine Frage, die die Wissenschaft nicht beantworten konnte, keine Antwort geben konnte. Ich begann nun zu verstehen, dass es für die wissenschaftliche Methode Grenzen geben könnte und dass weite Bereiche des intellektuellen, ästhetischen und moralischen Territoriums auf ihrer „Landkarte“ gar nicht mehr verzeichnet waren. Später sollte ich diesen Gedanken bei Peter Medawar in seinem herausragenden Buch The Limits of Science2 finden. Während Medawar betont, dass „Wissenschaft das mit nichts vergleichbare, erfolgreichste Unterfangen ist, das Menschen je unternommen haben“, unterscheidet er doch zwischen dem, was er „transzendente“ Fragen nennt, die besser der Religion und Metaphysik zu überlassen seien, und wissenschaftlichen Fragen, die die Organisation und Struktur des materiellen Universums betreffen. Im Blick auf diese letzteren Fragen, so behauptet er, gebe es keine Grenzen für das, was die Wissenschaft herausfinden könne. Und wie steht es mit der Frage nach Gott? Oder damit, ob es innerhalb des Universums eine Zweckbestimmung gibt? Medawar war darin deutlich: Wissenschaft kann derartige Fragen nicht beantworten, selbst wenn es Antworten auf diese Fragen gibt:

Dass es in der Tat eine Grenze für die Wissenschaft gibt, wird durch das Vorhandensein von Fragen sehr wahrscheinlich, die die Wissenschaft nicht beantworten kann, und dadurch, dass auch kein vorstellbarer Fortschritt der Wissenschaft sie dazu befähigen wird … Ich denke dabei an solche Fragen wie:

Wie begann alles?

Wofür sind wir alle hier?

Worum geht es im Leben?3

Ich konnte nicht länger an meinem bisherigen etwas leichtgläubigen, wissenschaftlichen Positivismus festhalten; mir wurde deutlich, dass ich mir eine ganze Reihe von Fragen, die ich als bedeutungslos oder sinnlos abgetan hatte, nun erneut vornehmen musste – einschließlich der Gottesfrage. Nachdem ich meinen recht dogmatischen Glauben ad acta gelegt hatte, dass zur Wissenschaft notwendigerweise Atheismus gehört, begann ich zu erkennen, dass die natürliche Welt konzeptionell gesehen formbar ist. Natur kann – ohne Verlust intellektueller Redlichkeit – auf mehrere verschiedene Weisen interpretiert werden. Einige „lesen“ oder „interpretieren“ Natur atheistisch. Andere „lesen“ sie deistisch, indem sie sie so betrachten, als weise sie auf einen göttlichen Schöpfer, der sich nicht länger in ihre Belange einmischt. Gott zog einst die Uhr auf und überließ sie dann sich selbst. Andere vertreten eine speziell christliche Sicht, indem sie an einen Gott glauben, der sowohl erschafft als auch erhält. Man kann „wirklicher“ Wissenschaftler sein, ohne dass man einer bestimmten religiösen, spirituellen oder antireligiösen Weltsicht anhängt. Das, so möchte ich hinzufügen, ist die Sicht der meisten Wissenschaftler, mit denen ich spreche, einschließlich derer, die sich selbst als Atheisten bezeichnen. Anders als ihre stärker dogmatisch-atheistischen Kollegen können sie vollkommen verstehen, warum sich einige ihrer Kollegen eine christliche Weltsicht angeeignet haben. Sie würden diesem Ansatz nicht zustimmen, aber sie sind bereit, ihn zu respektieren.

Stephen Jay Gould – dessen bedauerlicher Tod infolge einer Krebserkrankung 2002 die Harvard University eines ihrer anregendsten Lehrer und die populärwissenschaftliche Leserschaft eines ihrer verständlichsten Autoren beraubte – war an dieser Stelle vollkommen klar.4 Die Naturwissenschaften – einschließlich der Evolutionstheorie – vertragen sich sowohl mit dem Atheismus wie auch mit konventionellem religiösem Glauben. Solange nicht die Hälfte seiner wissenschaftlichen Kollegen völlige Narren seien – eine Annahme, die Gould zu Recht als Unsinn ablehnte, ganz gleich, auf welche der Hälften sie angewendet würde –, könne man aus diesen verschiedenen Antworten der ihm bekannten intelligenten, gebildeten Menschen auf die Wirklichkeit keine andere vernünftige Schlussfolgerung ziehen.

Das wirkliche Problem ist Folgendes: Da die wissenschaftliche Methode offensichtlich nicht notwendigerweise zum Atheismus führt, müssen jene, die unter Berufung auf die Wissenschaft den Atheismus verteidigen, eine Reihe von nicht belegbaren, metaphysischen Annahmen in ihre Beschreibung der Wissenschaft einfließen lassen, und sie hoffen, dass niemand diesen intellektuellen Taschenspielertrick bemerkt. Dawkins ist ein Meister dieser Kunst. In seiner großartigen neueren Untersuchung The Music of Life5 übernahm der Oxforder Systembiologe Denis Noble einen Abschnitt aus Dawkins Buch Das egoistische Gen6und schrieb ihn so um, dass er beibehielt, was empirisch belegbar war, und verkehrte Dawkins doch etwas fragwürdige metaphysische Annahmen in ihr Gegenteil. Das Ergebnis verdeutlicht in dramatischer Weise die Leichtigkeit, mit der unbewiesene Annahmen in wissenschaftliches Denken eingebunden werden können.

Betrachten wir zunächst Dawkins’ ursprünglichen Abschnitt, der einen auf die Gene konzentrierten Ansatz der Evolutionsbiologie präsentiert, der sich als anderen Ansätzen überlegen erwiesen habe. Beachten Sie, wie den Genen aktives Handeln zugeschrieben wird, und wie sie so dargestellt werden, als würden sie ihr Schicksal selbsttätig kontrollieren. Ich habe kursiv gesetzt, was empirisch beweisbar ist:

Heute drängen sie [die Gene] sich in riesigen Kolonien, sicher im Innern gigantischer, schwerfälliger Roboter, hermetisch abgeschlossen von der Außenwelt; sie verständigen sich mit ihr auf gewundenen, indirekten Wegen, manipulieren sie durch Fernsteuerung. Sie sind in dir und in mir; sie schufen uns, Körper und Geist; und ihr Fortbestehen ist der letzte Grund unserer Existenz.7

Bei der Umformulierung dieser Worte bewegt sich Noble weg von jeglicher Vorstellung, dass Gene als aktiv Handelnde gedacht werden können. Ich habe wiederum kursiv gesetzt, was empirisch beweisbar ist:

[Gene] sind gefangen in großen Kolonien, eingeschlossen im Innern hochintelligenter Wesen, geformt durch die äußere Welt, indem sie mit ihr durch komplexe Prozesse kommunizieren, wodurch, blindlings, als geschähe es durch Zauberei, Funktionen entstehen. Sie sind in dir und mir; wir sind das System, das ermöglicht, dass ihr Code gelesen wird; und ihre Bewahrung ist völlig abhängig von der Freude, die wir erfahren, während wir uns reproduzieren. Wir sind der letzte Zweck ihres Daseins.8

Dawkins und Noble sehen die Dinge auf völlig unterschiedliche Weise. (Ich empfehle, beide Aussagen langsam zu lesen und deren Unterschiede detailliert wahrzunehmen.) Sie können nicht beide recht haben. Beide schmuggeln eine Reihe recht unterschiedlicher Werte und Vorstellungen hinein. Dennoch sind ihre beiden Aussagen „empirisch betrachtet gleichwertig“. Mit anderen Worten: Beide gründen in gleichem Maße auf Beobachtung und experimentellen Belegen. Welche Aussage ist richtig? Welche ist wissenschaftlicher? Wie können wir entscheiden, welche auf Basis wissenschaftlicher Gründe vorzuziehen ist? Wie Noble bemerkt – und Dawkins stimmt zu –, „kann sich anscheinend keiner ein Experiment ausdenken, das einen empirisch belegbaren Unterschied zwischen ihnen entdecken könnte“.

Lassen Sie mich zurückkehren dazu, die Veränderung meines eigenen Denkens über das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube zu erläutern. Nachdem ich erkannt hatte, dass die Liebe zur Wissenschaft viel mehr Freiheit in der Interpretation der Wirklichkeit zulässt, als ich zu glauben angeleitet worden war, fing ich an, alternative Sichtweisen zu untersuchen. Während ich als junger Mann dem Christentum ausgesprochen kritisch gegenübergestanden hatte, hatte ich nie im gleichen Maß den Atheismus einer kritischen Beurteilung unterzogen. Ich nahm ja an, dass er selbstevident richtig sei und deshalb davon befreit, sich einer solchen Prüfung zu unterziehen. Im Oktober und November 1971 begann ich zu entdecken, dass die intellektuelle Begründung des Atheismus sehr viel weniger stichhaltig ist, als ich angenommen hatte. Weit entfernt davon, eine selbstverständliche Wahrheit zu sein, schien er auf ziemlich wackeligen Fundamenten zu ruhen. Das Christentum andererseits erwies sich als intellektuell weit tragfähiger, als ich angenommen hatte.

Meine Zweifel an den intellektuellen Fundamenten des Atheismus begannen sich zu der Erkenntnis zu verdichten, dass Atheismus im Kern ein Glaubenssystem ist, während ich ihn in gewisser Weise leichtgläubig und unkritisch für eine faktische Aussage über die Wirklichkeit gehalten hatte. Zudem entdeckte ich, dass ich weit weniger über das Christentum wusste, als ich angenommen hatte. Nach und nach wurde mir deutlich, dass ich ein religiöses Klischee abgelehnt hatte. Ich musste einige umfangreichere gedankliche Neubewertungen vornehmen. Gegen Ende November 1971 hatte ich eine Entscheidung getroffen: Ich wendete mich vom einem Glauben ab und einem anderen zu.

Es dauerte nicht lange, bis ich die intellektuelle Weite des christlichen Glaubens zu schätzen begann. Er war nicht nur gut begründet; er war auch intellektuell anregend und bereichernd. Er war wie eine Linse, die es ermöglichte, die Wirklichkeit differenzierter zu betrachten. Der christliche Glaube war für sich betrachtet sinnvoll und verlieh den Dingen als Ganzes Sinn. „Ich glaube an Christus, so wie ich glaube, dass die Sonne aufgegangen ist, nicht nur, weil ich sie sehe, sondern weil ich durch sie alles andere sehen kann“ (C. S. Lewis)9.

Ich erkannte, dass das gesamte wissenschaftliche Vorhaben sehr viel sinnvoller war, als ich je zuvor gedacht hatte. Es war, als ob eine intellektuelle Sonne aufgegangen war und die wissenschaftliche Landschaft erleuchtete. Dadurch konnte ich Details und Zusammenhänge wahrnehmen, die ich andernfalls völlig übersehen hätte.

Im September 1974 schloss ich mich der Forschungsgruppe von Prof. Sir George Radda an, die in der Abteilung für Biochemie an der Universität Oxford angesiedelt war. Radda entwickelte damals eine Reihe physikalischer Methoden zur Untersuchung komplexer biologischer Systeme, darunter auch solche, die auf magnetischer Resonanz basierten. Mein spezielles Interesse galt der Entwicklung innovativer physikalischer Methoden zur Untersuchung der Eigenschaften biologischer Membranen und weitete sich schließlich auf verschiedene Techniken aus, wie etwa die Benutzung fluoreszierender Indikatoren und die Vernichtung von Antimaterie zur Untersuchung temperaturabhängiger Übergänge in biologischen Systemen.

Aber mein eigentliches Interesse hatte sich auf etwas anderes gerichtet. Die Faszination für die Natur hat mich nie verlassen. Aber ich merkte, dass ein anderes Interesse immer stärker wurde, das anfänglich mit dem naturwissenschaftlichen Forschen rivalisierte und es dann ergänzte. Was ich einst für offenen Krieg zwischen Wissenschaft und Religion gehalten hatte, erschien mir zunehmend als kritische, jedoch konstruktive Synergie mit einem riesigen Potenzial, das Denken zu bereichern. Wie, so fragte ich mich, könnten die Arbeitsmethoden und Annahmen der Naturwissenschaften genutzt werden, um eine intellektuell tragfähige christliche Theologie zu entfalten? Und was sollte ich tun, um diese Möglichkeit angemessen zu untersuchen?

In der Folge entschied ich, dass ich dieses Ziel am besten erreichen konnte, indem ich meine aktive wissenschaftliche Forschung aufgeben und Theologe werden würde. Allerdings war ich entschlossen, ein Theologe zu werden, der in seiner Lektüre wissenschaftlicher Literatur auf der Höhe der Zeit bleiben würde, besonders im Bereich der Evolutionsbiologie, und der aktiv bestrebt sein würde, sein wissenschaftliches Denken und seinen Glauben zueinander in Beziehung zu setzen. Ich verschwendete keine Zeit auf den Ansatz vom „Lückenfüller-Gott“, der die Existenz Gottes dadurch zu verteidigen versuchte, dass er sich auf die Lücken in wissenschaftlichen Erklärungen berief. Während meiner Schulzeit am Wadham College war ich Charles Coulson (1910–1974) begegnet, dem ersten Professor für Theoretische Chemie in Oxford, der ein erbitterter Kritiker dieses Ansatzes war. Für Coulson verlangte die Wirklichkeit nach einer umfassenden Erklärung. „Entweder ist Gott in der Natur als Ganzer zu finden, ohne Lücken, oder er ist in ihr überhaupt nicht zu finden.“