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Beschreibung

Der erste Tag an der neuen Schule beginnt für Brian vielversprechend: Er lernt Lena, eine hübsche Mitschülerin, kennen, und Dülmen scheint mehr zu bieten, als der Siebzehnjährige geahnt hätte. Immerhin ist Brian in New York aufgewachsen und gerade erst von Essen in die münsterländische Kleinstadt gezogen. Aber schon bald ahnt Brian, dass die Idylle trügt: Zuerst wird Lena von einem Kaninchen brutal attackiert. Dann rastet ihr Ex-Freund Frederico nach einem Basketballspiel scheinbar grundlos aus. Brians Mitschüler Ben, dessen kleiner Bruder bei einem tragischen Unfall ums Leben kam, verrät ihm, dass sich schon seit einiger Zeit Menschen und Tiere in Dülmen ungewöhnlich aggressiv verhalten. Und mitten in dieses Chaos platzt Brians beste Freundin Tara und zeigt sich gar nicht begeistert über seinen Flirt mit Lena ... Warum sind die Dülmener bloß so Neben der Spur? Mit dieser Frage geht es schließlich um Leben und Tod. 45 Jugendliche aus Dülmen und Umgebung haben diesen Roman geschrieben, der mit einer Mischung aus Spannung, Liebe und Humor genauso vielstimmig daherkommt wie seine Autoren. Der Roman ist Nachfolgeband der Bücher "Stromabwärts. Ein Emscher-Roadmovie", "Grenzgänger. Ein Ruhrpott-Roadmovie" und "Endstation Emscher. Zwei Hellweg-Krimis" – Grenzgänger-Leser dürfen sich auf ein Wiedersehen mit Brian und Tara aus "Picknick im Park" freuen.

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Neben der Spur

Ein Dülmen-Thriller

Herausgegeben vonSascha Pranschke und Sarah Meyer-Dietrich

Neben der Spur. Ein Dülmen-Thriller entstand im Rahmen des Projekts Spurenstoffe-Krimi, das zum Großprojekt Den Spurenstoffen auf der Spur in Dülmen gehört und sich gleichzeitig als Teil der Projektfamilie FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman versteht.

Wissenschaftliche Leitung & Beratung

Dr. Issa Nafo, Helmut Wissing

Projektleitung »Spurenstoffe-Krimi«

Dr. Sarah Meyer-Dietrich

Werkstattleitung & Lektorat

Sascha Pranschke, Dr. Sarah Meyer-Dietrich

Den Spurenstoffen auf der Spur in Dülmen

FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman

Sascha Pranschke, Sarah Meyer-Dietrich, Hg.Neben der Spur. Ein Dülmen-Thriller

1. Auflage Mai 2015

Satz und Gestaltung

Heike Amthor | Klartext Verlag

Umschlaggestaltung

Volker Pecher, Essen

Umschlagfoto

Frank Vinken, Faulbehälter der Kläranlage Dülmen

Fotos

Frank Vinken

Zeichnung

Benjamin Bäder

ISBN 978-3-8375-1423-0ISBN ePUB 978-3-8375-1604-3

Alle Rechte der Verbreitung, einschließlich der Bearbeitung für Film, Funk, Fernsehen, CD-ROM, der Übersetzung, Fotokopie und des auszugsweisen Nachdrucks und Gebrauchs im In- und Ausland sind geschützt.

© Klartext Verlag, Essen 2015

www.klartext-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://www.dnb.de abrufbar.

Grußwort

Liebe Leserinnen und Leser!

Vor Ihnen liegt mit diesem Buch bereits der vierte Band unserer Projektfamilie »FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman«. Genauso spannend und berührend wie seine Vorgänger »Stromabwärts«, »Grenzgänger« und »Endstation Emscher« spielt auch in dem Thriller »Neben der Spur« das Wasser eine wichtige Rolle. Im Mittelpunkt stehen »Spurenstoffe« von Medikamentenrückständen im Wasser. Schülerinnen und Schüler in Dülmen und Umgebung haben sich intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt, die für uns alle und vor allem für Unternehmen der Abwasserentsorgung und Trinkwasserversorgung zu einer immer größeren Herausforderung wird.

Rückstände von Medikamenten und Hormonen gelangen etwa durch Ausscheidungen von Tieren und Menschen, aber auch durch unsachgemäße Entsorgung in das Abwasser, in das Grundwasser, in die Flüsse und über den Wasserkreislauf teilweise sogar in das Trinkwasser. Spuren vieler Substanzen, die in unsere Gewässer gelangen, bleiben dort länger nachweisbar als gewünscht. Umso wichtiger ist es für das »Langzeitgedächtnis« des Wassers und unserer Umwelt, sorgsam mit solchen Stoffen umzugehen. Die möglichen Folgen der Gewässer- und Trinkwasserverunreinigung schildern die jungen Autoren in dieser Fiktion drastisch und deshalb besonders eindrucksvoll. Sie vermitteln dieses komplexe Thema aus ihrer Alltagswelt heraus, die die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegelt. Auch das geschieht so packend, dass man das Buch nicht weglegen mag, sondern vollkommen fasziniert Seite für Seite verschlingt.

Nur dieses Verweben von neu erworbenen Fachkenntnissen mit der eigenen Lebensrealität löst emotionale Prozesse aus, die vielleicht nachhaltiger auf unser Verhalten wirken, als es sachlich vermitteltes Wissen vermag. Dazu gehört ein anderer Umgang mit diesen Stoffen und der Umwelt als bisher, aber auch ein anderer Umgang miteinander. Achtsamkeit, Respekt, Toleranz und Akzeptanz sind Worte, die auf diese Stränge der Geschichte im Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander zutreffen. Das Ringen der Protagonisten um diese Tugenden führt nicht immer zum Erfolg, aber sie wünschen es sich. Das allein ist schon wichtig und gut.

Insofern sind die Schülerinnen und Schüler, die gemeinsam die vorliegende Geschichte entwickelt und konsequent zu einem spannenden Thriller gebracht haben, hervorragende Botschafter in ihre Familien und Freundeskreise hinein für das kritische Thema und seine möglichen Konsequenzen.

Der Schutz des Wassers ist eine für unsere zukünftigen Generationen nahezu lebenswichtige Aufgabe. Unser Trinkwasser ist das in Deutschland am schärfsten kontrollierte Lebensmittel und viele Gesetze sorgen für die gute Qualität unserer Gewässer. Für uns ist das selbstverständlich, in vielen anderen Regionen der Welt jedoch nicht. Wir hoffen, dass die jungen Autoren von der Textwerkstatt und von dem erworbenen Wissen profitiert haben. Dass sie selber wachsam ihre Umwelt wahrnehmen und den Wert intakter Naturgüter zu achten gelernt haben. Wir danken ihnen dafür sehr herzlich und voller Respekt! Vielleicht hat unsere Arbeit beim Lippeverband und bei der Emschergenossenschaft Begeisterung hervorgerufen und Interesse bei ihnen für unsere wasserwirtschaftlichen Unternehmen als Ausbilder und Arbeitgeber geweckt. Wir würden uns freuen, einige von ihnen bald bei uns wiederzusehen!

Ihnen und Euch, den Leserinnen und Lesern des Buches, wünschen wir, dass Sie genauso beeindruckt und begeistert von dem Thriller sind, wie wir es waren, und dass auch Sie sehnsüchtig auf eine Fortsetzung der Projektfamilie warten! Und die folgt bald – ganz bestimmt!

Dr. Martina Oldengott und Dr. Issa NafoEmschergenossenschaft und Lippeverband

Vorwort

45 Jugendliche schrieben gemeinsam diesen Roman. Wie geht das denn, fragen Sie sich? Mit einem gut erprobten Konzept. Mit »Am Fluss entlang schreiben« und »Quer durch die Städte schreiben« haben wir bereits in zwei Projekten Jugendliche angeleitet, Romane zu schreiben. Es folgten weitere Projekte der Projektfamilie »FlussLandStadt. Eure Heimat – euer Roman«, in denen Erzählungen und ein Theaterstück entstanden. Mit dem Projekt »Spurenstoffe-Krimi« kehren wir zurück zum Format des Romans. Und legen mit »Neben der Spur. Ein Dülmen-Thriller« den vierten Band einer Reihe von Büchern vor, die unabhängig voneinander lesbar und doch inhaltlich verbunden sind.

Auch in diesem Band werden unsere treuen Leser wieder auf alte Bekannte stoßen. Denn Brian und Tara, die hier im Zentrum stehen, wurden bereits im Mai 2014 von Essener Jugendlichen als Protagonisten der Erzählung »Picknick im Park« (in: »Grenzgänger. Ein Ruhrpott-Roadmovie«) erfunden. Umso mehr freuen wir uns, dass die Dülmener Autoren die beiden Figuren aufgegriffen und ihre Geschichte weitererzählt haben.

Aber um auf unsere Eingangsfrage zurückzukommen: Wie schreibt man einen Roman mit so vielen Autoren? Genau wie in den beiden anderen Romanprojekten haben auch dieses Mal die Jugendlichen sukzessive in Gruppen weitergeschrieben. In vier aufeinanderfolgenden Schreibwochen übernahm jeden Freitag eine andere Gruppe die Aufgabe des Schreibens. Den Anfang machten Schülerinnen und Schüler der Marienschule. Inspiriert durch einen Besuch in der Kläranlage Dülmen (Tag 1) entwickelten sie in der Gruppe die Handlung ihres Romanabschnitts (Tag 2). Allein oder zu zweit schrieben sie dann an mehreren Tagen (Tag 3-5) einzelne Teile dieses Romanabschnitts, lasen sie sich gegenseitig vor, diskutierten, kritisierten und stimmten die Texte untereinander ab. Bis sie nach Ablauf einer Woche den Staffelstab an die nächste Gruppe weiterreichten (Tag 6). Sie übergaben nicht nur den symbolischen Staffelstab in Form einer Apothekerflasche an eine Gruppe Schülerinnen und Schüler der Privatschule Schloss Buldern und des Clemens-Brentano-Gymnasiums, sondern lasen ihnen auch den von ihnen verfassten Romanabschnitt vor. Auch die zweite Gruppe besuchte die Kläranlage, entwickelte im Team den weiteren Romanverlauf, schrieb, las und diskutierte, ehe sie wiederum den Staffelstab weiterreichte. So übernahmen in Woche drei Schülerinnen und Schüler der Kardinal-von-Galen-Schule und in Woche vier Schülerinnen des Richard-von-Weizsäcker-Berufskollegs. In jeder Woche trugen wir Sorge dafür, dass die Jugendlichen immer gut informiert darüber waren, was bisher im Roman geschehen war und jeder die Möglichkeit hatte, Ideen einzubringen. Die Klammer für die vier Schreibwochen bildeten ein Auftakt- und ein Abschlussworkshop, an denen Delegierte aller Schulen teilnahmen, um zu Beginn eine erste Plot-Idee, zum Abschluss den Titel des Romans zu finden.

So viel zum erprobten Konzept. Also alles beim Alten? Von wegen! Denn jedes Projekt unser Projektfamilie wird von einem eigenen Thema und den jeweiligen regionalen Besonderheiten geprägt. Das waren dieses Mal die Spurenstoffe und das Lippegebiet.

Vor allem prägen jedoch die Jugendlichen selbst das Projekt. Bislang arbeiteten wir meist mit Vierzehn- bis Sechzehnjährigen. Dieses Mal waren einerseits viele Teilnehmer im Alter zwischen zwölf und vierzehn dabei, andererseits war mit unseren Berufsschülerinnen auch die Gruppe der Siebzehnund Achtzehnjährigen stark vertreten. Den Spagat zwischen den Altersgruppen haben unsere jungen Autoren mit Bravour gemeistert. Es sind vor allem die Jugendlichen, die mit ihren ganz individuellen Persönlichkeiten den Gang des Projekts beeinflussen, den Verlauf des Romans bestimmen und uns staunen lassen, welche Wendungen die Geschichte von Woche zu Woche nimmt, welche Ideen entstehen, welche neuen Perspektiven jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin einbringt.

Überzeugen Sie sich selbst von der Vielstimmigkeit und dem Erfindungsreichtum unserer Autoren. Aber halt, eins bleibt uns noch zu sagen: So eng unsere Autoren sich an Realitäten anlehnen, bleibt dieser Roman doch eine Fiktion, die auf Gefahren hinweist, aber zum Glück nicht auf wahren Begebenheiten beruht. Das gilt insbesondere für das Verhalten der Dülmener: im wirklichen Leben von Aggression keine Spur. Ganz im Gegenteil: Überall in Dülmen und Umgebung, sei es im Klärwerk, an den Schulen, in der Neuen Spinnerei, in der VHS oder der Stadtbibliothek Lüdinghausen, sind wir immer sehr herzlich empfangen worden. Und kommen gerne wieder!

Nun aber schicken wir zunächst einmal Sie, unsere Leser, nach Dülmen … in ein Dülmen also, das der Fantasie unserer 45 Autorinnen und Autoren entsprungen ist.

Sascha Pranschke und Sarah Meyer-Dietrich

1 Schöner erster Tag?

Mit gemischten Gefühlen blickte ich aus dem Autofenster auf den Schulhof.

»Danke, dass du mich gebracht hast«, sagte ich zu meiner Mutter.

»Kein Problem, die Schule liegt ja auf dem Weg. Ich hoffe, dass dir dein erster Tag an der neuen Schule viel Spaß macht, mein Großer«, meinte meine Mutter mit einem Lächeln im Gesicht.

»Oh, Mama, ich bin kein kleines Kind mehr!«, gab ich genervt zurück. »Und eigentlich freu ich mich nicht besonders auf die neue Schule!«

Im gleichen Moment tat es mir leid. Ich wusste, auch meiner Mutter fiel der Umzug nicht leicht. Außerdem war heute Montag und damit nur noch eine Woche bis zu den Sommerferien, die würde bestimmt schnell vorbeigehen. Es würden also erst einmal nur ein paar Tage in der neuen Klasse sein. Und in den Ferien würde ich, so oft es ging, Tara in Essen besuchen.

»Sorry, Mum«, sagte ich. »Ich wünsche dir auch einen schönen ersten Tag an deinem neuen Arbeitsplatz.« Ich umarmte sie, stieg aus dem Auto und ging ins Schulgebäude Richtung Sekretariat.

Nachdem ich ein paar Formulare ausgefüllt hatte, schickte mich die Sekretärin zum Lehrerzimmer. Dort wartete meine neue Klassenlehrerin schon auf mich. Eine zierliche junge Frau mit blonden, hoch geflochtenen Haaren. Sie ging auf mich zu. »Hallo, du bist bestimmt Brian?«

»Ja, guten Morgen, Frau …«

»Frau Schnabel.« Sie reichte mir die Hand. Sie machte einen netten Eindruck.

Dann gingen wir in meine neue Klasse. Als Frau Schnabel die Tür öffnete, schallte uns Stimmengewirr entgegen.

»Das ist normal. Wenn ich meine Sachen abstelle, wird es leise«, sagte sie lächelnd. Und sie hatte recht.

»Guten Morgen, meine liebe 10c«, begrüßte Frau Schnabel.

»Guten Morgen, Frau Schnabel«, antwortete die Klasse im Chor.

»Das ist Brian«, sagte sie mit einem Seitenblick auf mich. »Brian, stell dich doch mal der Klasse vor.«

»Ja, wie gesagt«, begann ich, »ich heiße Brian. Ich komme eigentlich aus New York. Aber vor zwei Jahren bin ich mit meiner Mutter nach Essen gezogen.«

»Warum kannst du dann schon so gut Deutsch?«, fragte ein rothaariges Mädchen in der zweiten Reihe. Sie gefiel mir.

»Meine Mutter ist Deutsche«, erklärte ich. »Schon in New York haben wir oft Deutsch gesprochen. Und als wir dann nach Deutschland gezogen sind, habe ich noch einen Sprachkurs gemacht. Deshalb bin ich auch erst in der zehnten und nicht schon in der elften Klasse.«

»Wieso, wie alt bist du denn?«, fragte diesmal das Mädchen neben der Rothaarigen.

»Siebzehn«, antwortete ich.

»Und was ist mit deinem Vater?«, fragte Frau Schnabel. »Über den hast du noch gar nichts erzählt.«

»Meine Eltern haben sich getrennt, und mein Vater ist in New York geblieben«, sagte ich.

»Oh …« Ich hörte Mitleid in Frau Schnabels Stimme. »Das tut mir sehr leid, Brian. Setz dich doch neben Ben, den Jungen da vorne mit den braunen Haaren.«

Ich ging zu dem Tisch, an dem ein etwas stämmigerer Junge saß, setzte mich neben ihn und sagte freundlich: »Hallo!«

Ben lächelte.

2 Eine gute Chance

»Also, ich finde den Tim ja ganz süß. Und ich hab gehört, dass er noch Single ist!« Wie immer vor Stundenbeginn waren die Jungs im Klassenraum so laut, dass ich Mühe hatte, meine Freundin Carla zu verstehen. »Wäre der nichts für dich?«, fragte sie jetzt.

»Ich brauche im Moment keinen Freund«, antwortete ich. Tatsächlich hatte ich von Typen gerade die Nase voll.

»Aber Ausschau halten kann man doch …«, setzte Carla an. Und genau in dem Moment platzte die Ente mit so einem gut aussehenden Jungen rein! Sportlich, blonde Haare und blau-grüne Augen.

»Das ist Brian …«

Den Rest bekam ich nicht mit, weil Carla mir ihren Ellenbogen in die Seite stupste und flüsterte: »Ey, Lena, willst du es dir nicht noch mal überlegen mit den Jungs? Der sieht doch ganz gut aus!«

Carla und ich stellten Brian neugierige Fragen. Und als er schließlich neben Ben Platz nahm, fragte die Ente: »Wer möchte Brian denn die Schule zeigen?«

Carla meldete sich sofort. »Ja, Lena macht das wohl!«, sagte sie grinsend.

Ich guckte Carla überrascht an. Und dann dachte ich mir: Warum eigentlich nicht? Immerhin eine gute Chance, diesen Brian besser kennenzulernen.

Als die Stunde zu Ende war, rannten alle raus. Nur Brian und ich blieben im Klassenzimmer.

»Hi, ich bin Lena«, stellte ich mich vor. »Ich soll dir ja die Schule zeigen. Komm mit.«

Brian folgte mir in den Flur. Und weil mir nichts Besseres einfiel, fragte ich: »Rauchst du?«

»Nö, nicht mehr. Wieso?«, fragte Brian.

»Sonst hätte ich die Besichtigung mit der Raucherecke begonnen.« Ich grinste ihn an.

Er lachte. »Und was gibt es hier sonst noch Spannendes zu sehen?«

»Spannend? Das wird schwierig«, sagte ich und zeigte auf eine Tür in der Nähe. »Jaaa, also, daaaaas ist der Bioraum, da haben wir morgen die erste Stunde.«

»Okay«, sagte Brian. »Hat die Schule auch einen Chemieraum?«

»Na, hör mal! Dülmen ist zwar nicht New York, und meinetwegen auch nicht Essen, aber hinterm Mond leben wir trotzdem nicht. Natürlich haben wir einen Chemieraum!«

»Sorry, so war das nicht gemeint«, entschuldigte er sich.

»Warum fragst du? Magst du Chemie?«

»Nee, ich hab nur im Stundenplan gesehen, dass wir morgen auch Chemie haben. Darin bin ich überhaupt nicht gut. Obwohl meine Mum Chemikerin ist. Sie arbeitet seit heute im Klärwerk.«

Deshalb waren sie also hergezogen, dachte ich. Weil seine Mutter hier einen Job bekommen hatte. Für ihn war ja nicht nur die Schule neu, sondern ganz Dülmen. »Was hast du denn schon von der Stadt gesehen?«, fragte ich und ärgerte mich sofort über mich selbst. Klang doch so, als wollte ich mich gleich noch für eine Stadtführung aufdrängen. Keine gute Idee, ihn so zu überrumpeln.

»Eigentlich kenne ich kaum etwas«, sagte Brian jetzt. »Also, na ja, den Supermarkt um die Ecke und so was.« Täuschte ich mich, oder war er auch verlegen?

Wir gingen eine Etage weiter nach unten und standen vor dem Chemieraum.

Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich Brian anstarrte. Er sah wirklich verdammt gut aus. Als er mir plötzlich in die Augen sah, drehte ich mich schnell zur Seite und stammelte: »Äh … ja, … also, … da ist der Chemieraum.«

Es klingelte zur nächsten Stunde.

»Und jetzt haben wir Sport«, sagte ich fast ein bisschen erleichtert, »also geht’s weiter zur Sporthalle.«

»Geil, da hab ich voll Bock drauf!«, antwortete Brian.

»Du machst gern Sport?«

»Ja, supergerne! Ich spiel Basketball und mach Streetdance.«

»Echt? Ich tanze auch Streetdance! Ey, und ich hab genau das Richtige für dich«, rief ich. »In der Neuen Spinnerei gibt’s in den Sommerferien einen Streetdance-Workshop. Hast du da Lust drauf?«

»Total!« Er strahlte mich aus seinen blau-grünen Augen an. »Machst du auch mit?«

Ich fühlte, wie ich rot wurde. Zum Glück platzten Carla und die anderen, die an der Sporthalle schon auf mich gewartet hatten, jetzt in unser Gespräch. Sie drängten mich zur Umkleide, und kaum hatte sich die Tür hinter uns geschlossen, begannen meine Freundinnen auch schon, mir Löcher in den Bauch zu fragen: Wie war es? Wie ist er denn so? Typisch, immer wollten sie sofort alles wissen.

3 Echt fertig

Brian betritt die Halle. Er guckt sich um und staunt: Nie hätte er gedacht, dass Dülmen eine so große Sporthalle besitzt. Immerhin, denkt er. Vielleicht lässt es sich hier doch irgendwie aushalten.

Er geht zum Sportlehrer und stellt sich vor.

»Herzlich willkommen, Brian«, sagt Herr Möller. »Du kommst aus den USA? Da gibt’s ’ne Menge gute Basketballer. Magst du Basketball?«

»Und wie!«, sagt Brian. »Ich hab im Verein gespielt, ehe wir hergezogen sind.«

»Na, dann kannst du jetzt zeigen, was du drauf hast. Wir spielen nämlich heute Basketball.«

Geht doch eigentlich ganz gut los hier, denkt Brian. Erst führt mich ein hübsches, rothaariges Mädchen herum, dann spielen wir Basketball … Was kommt wohl als Nächstes?

Herr Möller teilt die Teams ein. Brian kann es kaum erwarten, den Ball zu bekommen. Aber im Spiel merkt er schnell, dass alle anderen viel besser spielen als er. Was ist hier los?, fragt er sich. Sonst ist er doch immer der Beste im Basketball. Aber die meisten seiner Mitschüler spielen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes gemacht. Dabei sehen viele von ihnen echt fertig aus, geradezu abgemagert. Das ist ihm schon im Klassenraum aufgefallen. Kaum einer, der nicht furchtbar blass ist und Schatten unter den Augen hat, als hätten sie nächtelang nicht geschlafen. Trotzdem spielen sie wie Profis, laufen schneller, springen höher und werfen besser als Brian. Besonders ein großer Typ mit dunklen Haaren fällt ihm auf. Der wirft die meisten Körbe. Selten hat Brian jemanden so gut Basketball spielen sehen wie ihn, noch nicht einmal in New York.

Nur ein Junge spielt schlechter als Brian. Es ist Ben, sein Sitznachbar. Er wird aber auch kaum angespielt. Ben kann einem echt leidtun, denkt Brian. Deshalb spielt er ihn, als er das nächste Mal den Ball hat, extra an. Aber Ben stolpert und verliert den Ball wieder. Einige der anderen Jungs lachen und buhen ihn aus.

»War das ein Erdbeben?«, hört Brian jemanden fragen.

»Nee, Tim! Das war nur Ben«, antwortet ein anderer lachend.

Was haben die bloß gegen Ben, fragt sich Brian.

Nach dem Spiel kommt der Junge mit den dunklen Haaren auf Brian zu. »Hast gut gespielt«, sagt er und klopft Brian auf die Schulter.

»Na ja, geht so«, antwortet Brian. »Weiß auch nicht, was heute mit mir los war. Sonst bin ich besser. Wie heißt du eigentlich?«

»Frederico«, sagte der Dunkelhaarige. »Aber nenn mich einfach Rico!«

Auf dem Weg zur Umkleide reibt Brian sich mehrmals das Fußgelenk. Gegen Ende des Spiels haben die Schmerzen wieder angefangen. Der Knöchel tut immer noch weh, auch nach einem Jahr noch.

»Hast du Schmerzen?«, fragt Rico interessiert.

»Ja, immer wieder. Hab mich letzten Sommer bei einem Tagebruch verletzt.«

»Tagebruch?«

»Das sagt dir nichts, oder? Kannte ich auch nicht. Bis ich reingefallen bin. Im Ruhrgebiet gibt es jede Menge stillgelegte Bergwerke. Die ganze Region ist unterirdisch von Stollen und Streben durchlöchert. Und wenn so ein Gang mal einsackt, nennt man das Tagebruch. Ich hatte das Pech, dass sich so ein Tagebruch genau unter mir aufgetan hat. Bei einem Klassenausflug zur Zeche Zollverein.«

Ich dachte daran, dass der Unfall Pech und Glück zugleich gewesen war. Pech wegen des Knöchels. Glück, weil ich durch den Sturz meine Klassenkameradin Tara erst näher kennengelernt hatte. Seitdem waren wir beste Freunde. Unzertrennlich. Na ja … zumindest bis zu meinem Umzug hierher.1

In der Umkleide holte Rico eine Tube Salbe aus seiner Tasche und reichte sie mir. »Probier die mal. Hilft gegen die Schmerzen.«

Ich war erstaunt, dass Rico so eine Salbe dabei hatte. »Du hast auch Schmerzen?«, fragte ich. »Hat man dir beim Spiel gar nicht angemerkt.«

Er schüttelte den Kopf. »Nee, ich nehme das nur zur Leistungssteigerung«, erklärte er. »Wenn ich mir vor dem Spiel die Beine damit einreibe, tut es nicht so weh, wenn mich einer trifft.«

Ich lachte. »Wie bist du denn darauf gekommen?«

»Hab ich im Internet gelesen«, antwortete Rico.

Ich schraubte den Deckel von der Tube. »Und das funktioniert?«, fragte ich, während ich von der Salbe auf meinen Knöchel strich.

»Hundertpro, das ist bombensicher!«, versicherte Rico und wurde plötzlich ungeduldig: »Bist du bald fertig? Ich will heute noch in die Pause.«

»Ja, danke.« Ich reichte ihm die Tube und zog meine Klamotten an.

»Warum mag eigentlich niemand Ben?«, fragte ich, als Rico die Tube in der Tasche verstaute.

Rico zuckte mit den Schultern. »Der ist halt ’n Streber, die sind doch nie beliebt, oder?« Dann schnappte er sich seine Tasche und verließ die Umkleide.

4 Picknick am Tiberbach

»Hey Schatz, schön dass du hier bist.« Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn.

Ich guckte sie böse an. »Mum, ich hab’s dir schon heute Morgen gesagt. Ich bin kein Kleinkind mehr.«

Sie lachte. »Ja, ich weiß … Komm, wir gehen erst picknicken, bevor ich dir meinen neuen Arbeitsplatz zeige.«

Ich nickte und zog ganz leicht an Sammys Leine.

Wir liefen eine Weile an einem Bach entlang, bis meine Mutter stehen blieb und die Picknickdecke unter einer Kopfweide ausbreitete. Ich setzte mich auf die Decke, Sammy legte sich neben mich, und ich ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Von den Kopfweiden gab es hier eine ganze Reihe, ansonsten beherrschten weitläufige Felder das Bild. Nur hier und da stach ein höheres Gebäude aus der Landschaft hervor, am auffälligsten war der silbergrau glänzende Faulbehälter der Kläranlage. Dülmens Skyline, dachte ich mir grinsend.

Als Mum damit fertig war, allerlei Leckereien auszubreiten, setzte sie sich zu mir. »Möchtest du ein Käsesandwich?«