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"Ein Meisterwerk der Spannung! Blake Pierce ist es auf hervorragende Weise gelungen, Charaktere mit einer psychologischen Seite zu entwickeln, die so gut beschrieben ist, dass wir uns in ihren Köpfen fühlen, ihren Ängsten folgen und ihren Erfolg bejubeln. Voller Wendungen wird Sie dieses Buch bis zur letzten Seite wach halten." --Books and Movie Reviews, Roberto Mattos (zu Verschwunden) NEBENAN (Ein Chloe Fine Psycho-Thriller) ist Band 1 einer neuen spannenden Buchreihe der Bestsellerautorin Blake Pierce, deren #1 Bestseller Once Gone (einem kostenloser Download) über 1.200 Fünf-Sterne-Kritiken erhalten hat. Als ihre gestörte Zwillingsschwester ihre Hilfe braucht und eine Leiche in ihrer kleinen Vorstadtsiedlung gefunden wird, sieht sich Chloe Fine, eine 27-jährige Praktikantin des FBI Spurensicherungs-Teams gezwungen, sich ihrer eigenen dunklen Vergangenheit zu stellen. Chloe hat das Gefühl, dass ihr Leben endlich perfekt ist, als sie zurück in ihre Heimatstadt und mit ihrem Verlobten in ein neues Haus zieht. Ihre Karriere beim FBI sieht vielversprechend aus, und ihre Hochzeit steht vor der Tür. Aber sie merkt schnell, dass in der kleinen Vorstadt nicht alles so ist, wie es scheint. Chloe beginnt, die Kehrseite zu sehen - den Klatsch, die Geheimnisse, die Lügen - und sie wird von ihren eigenen Dämonen heimgesucht: dem mysteriösen Tod ihrer Mutter, als sie 10 Jahre alt war, und der Inhaftierung ihres Vaters. Und als eine Leiche gefunden wird, erkennt Chloe, dass ihre Vergangenheit und diese kleine Vorstadt den Schlüssel zur Lösung beider Fälle in sich bergen könnte. NEBENAN ist ein emotional geprägter Psycho-Thriller mit vielschichtigen Charakteren, kleinstädtischem Ambiente und atemberaubender Spannung. NEBENAN ist das erste Buch einer fesselnden neuen Serie, die Sie bis spät in die Nacht wach halten wird. Buch 2 der CHLOE FINE Reihe ist jetzt auch vorbestellbar.
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Seitenzahl: 332
Veröffentlichungsjahr: 2018
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n e b e n a n
(ein chloe fine suspense psycho-thriller--buch 1)
b l a k e p i e r c e
Blake Pierce
Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller-Reihe RILEY PAGE, die dreizehn Bücher umfasst und fortgesetzt wird. Blake Pierce ist auch die Autorin der MACKENZIE WHITE Mystery-Reihe, die bislang neun Bücher umfasst; der AVERY BLACK Mystery-Reihe, die sechs Bücher umfasst; der KERI LOCKE Mystery-Reihe, die fünf Bücher umfasst; der DAS MAKING OF RILEY PAIGE Mystery-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst; der KATE WISE Mystery-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst; und der CHLOE FINE Suspense Psycho-Thriller-Reihe, die bislang zwei Bücher umfasst.
Als begeisterte Leserin und lebenslanger Fan der Mystery- und Thriller-Genres liebt Blake es, von ihren Lesern zu hören. Bitte besuchen Sie www.blakepierceauthor.com, um mehr zu erfahren und in Kontakt zu bleiben.
Copyright © 2018 by Blake Pierce. Alle Rechte vorbehalten. Deutsche Übersetzung: Anna Grossmann. Außer wie im US Copyright Act von 1976 erlaubt, darf kein Teil dieser Publikation ohne vorherige Genehmigung des Autors in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln reproduziert, verteilt oder übertragen oder in einer Datenbank oder einem Abfragesystem gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für Ihren persönlichenGebrauch lizenziert. Dieses E-Bookdarf nicht weiterverkauft oder an andere Personen weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit einer anderen Person teilen möchten, erwerben Sie bitte eine zusätzliche Kopie für jeden Empfänger. Wenn Sie dieses Buch lesen und es nicht gekauft haben oder es nicht für Sie gekauft wurde, senden Sie es bitte zurück und kaufen Sie Ihre eigene Kopie.
DEUTSCHE BÜCHER VON BLAKE PIERCE
CHLOE FINE SUSPENSE PSYCHO-THRILLER-SERIE
NEBENAN (Buch 1)
DIE LÜGE EINES NACHBARN (Buch 2)
KATE WISE MYSTERY-SERIE
WENN SIE WÜSSTE (Buch 1)
DAS MAKING OF RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
BEOBACHTET (Buch 1)
WARTET (Buch 2)
RILEY PAIGE MYSTERY-SERIE
VERSCHWUNDEN (Buch 1)
GEFESSELT (Buch 2)
ERSEHNT (Buch 3)
GEKÖDERT (Buch 4)
GEJAGT (Buch 5)
VERZEHRT (Buch 6)
VERLASSEN (Buch 7)
ERKALTET (Buch 8)
VERFOLGT (Buch 9)
VERLOREN (Buch 10)
BEGRABEN (Buch 11)
ÜBERFAHREN (Buch 12)
GEFANGEN (Buch 13)
MACKENZIE WHITE MYSTERY-SERIE
BEVOR ER TÖTET (Buch 1)
BEVOR ER SIEHT (Buch 2)
BEVOR ER BEGEHRT (Buch 3)
BEVOR ER NIMMT (Buch 4)
BEVOR ER BRAUCHT (Buch 5)
EHE ER FÜHLT (Buch 6)
EHE ER SÜNDIGT (Buch 7)
BEVOR ER JAGT (Buch 8)
VORHER PLÜNDERT ER (Buch 9)
AVERY BLACK MYSTERY-SERIE
DAS MOTIV (Buch 1)
LAUF (Buch 2)
VERBORGEN (Buch 3)
GRÜNDE DER ANGST (Buch 4)
RETTE MICH (Buch 5)
ANGST (Buch 6)
KERI LOCKE MYSTERY-SERIE
EINE SPUR VON TOD (Buch 1)
EINE SPUR VON MORD (Buch 2)
EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Buch 3)
INHALT
PROLOG
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINUNDDREISSIG
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
KAPITEL DREIUNDDREISSIG
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG
Chloe saß neben ihrer Zwillingsschwester Danielle auf den Treppenstufen vor ihrem Wohnblock und beobachtete, wie die Polizisten ihren Vater in Handschellen die Vordertreppe hinunterführten. Ein großer Polizist mit rundem Bauch stand vor Chloe und Danielle. Seine schwarze Haut glitzerte vor Schweiß in der Schwüle der Sommernacht.
»Ihr Mädchen solltet das nicht mitansehen«, sagte er.
Chloe fand diese Bemerkung ziemlich albern. Obwohl sie erst zehn Jahre alt war, wusste sie, dass er einfach versuchte, ihnen die Sicht auf ihren Vater zu versperren, der zum Heck eines Streifenwagens geführt wurde.
Dieser Anblick war das geringste ihrer Probleme. Sie hatte bereits das Blut unten an der Treppe gesehen. Sie hatte gesehen, wie es auf die untere Stufe gespritzt und dann in den Teppich, der ins Wohnzimmer führte, eingesickert war. Sie hatte auch die Leiche gesehen, die mit dem Gesicht nach unten da gelegen hatte. Ihr Vater hatte sich sehr bemüht, sie das nicht sehen zu lassen. Aber egal, was er auch getan hatte, der Anblick von all dem Blut hatte sich in jede Zelle ihres Gehirns eingenistet.
Es war das, was sie sah, als der fette Polizist vor ihr stand. Das war alles, was sie sah.
Chloe hörte, wie die Tür des Streifenwagens zugeschlagen wurde. Sie wusste, dass dies der Klang des Verlassenwerdens durch ihren Vater war − sie spürte, dass es endgültig war.
»Geht es euch gut?«, fragte der Polizist.
Keine von beiden antwortete. Chloe sah immer noch das ganze Blut unten an der Treppe, das in den blauen Teppich eindrang. Sie drehte sich schnell zu Danielle um und sah, dass ihre Schwester auf ihre Füße starrte. Sie blinzelte nicht einmal. Chloe war ziemlich sicher, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Chloe glaubte, dass Danielle mehr von der Leiche gesehen hatte, vielleicht sogar die wirklich dunkle Stelle, von der das ganze Blut zu kommen schien.
Der fette Polizist schaute plötzlich die Treppe hoch. Nach einem tiefen Seufzer sagte er mit zischender Stimme: »Mensch, könnt ihr nicht warten? Die Mädchen sind noch hier.«
Hinter dem Polizisten wurde eine Trage mit einem Sack aus dem Gebäude und die Treppe heruntergebracht. Es war die Leiche. Die, aus der das ganze dunkelrote Blut auf den Teppich gesickert war.
Ihre Mutter.
»Mädchen?«, fragte der Polizist. »Möchte eine von euch mit mir reden?«
Aber Chloe wollte nicht reden.
Einige Zeit später fuhr ein ihr vertrautes Auto vor und parkte hinter einem der verbliebenen Streifenwagen. Der fette Polizist hatte aufgehört, sie zum Reden bringen zu wollen, und Chloe spürte, dass er nur bei ihnen war, damit sie sich nicht noch mehr alleingelassen fühlten.
Neben Chloe sprach Danielle ihr erstes Wort, seit sie aus dem Haus gebracht worden war.
»Granny«, sagte Danielle.
Das Auto, das gerade an den Straßenrand fuhr, gehörte ihrer Großmutter. Sie stieg aus dem Wagen, so schnell es ihre Beine erlaubten. Chloe konnte sehen, dass sie weinte.
Sie fühlte eine Träne über ihr Gesicht gleiten, aber es war nicht wie beim normalen Weinen. Es fühlte sich an, als würde etwas zerbrechen.
»Eure Großmutter ist hier«, sagte der Polizist. Er klang erleichtert; froh, sie los zu sein.
»Mädchen«, war das einzige Wort, das ihre Großmutter herausbrachte, als sie die Treppe hinaufkam. Danach begann sie zu schluchzen und zog ihre beiden Enkelinnen in eine merkwürdig steife Umarmung.
Seltsamerweise war es diese Umarmung, an die sich Chloe erinnern würde.
Der Anblick des Blutes verblasste mit der Zeit. Der fette Polizist verblasste schon nach wenigen Wochen, ebenso der surreale Anblick der Handschellen.
Aber Chloe würde sich ihr ganzes Leben lang an diese steife Umarmung erinnern.
Und an das Gefühl, dass tief im Inneren etwas erst riss und dann zerbrach.
17 Jahre später
Chloe Fine stieg die Treppe zu ihrem neuen Zuhause hinauf – dem Haus, nach dem sie und ihr Verlobter monatelang auf der Suche gewesen waren − und konnte ihre Begeisterung kaum zügeln.
»Ist die Kiste nicht zu schwer?«
Steven stürmte die Stufen neben ihr hinauf und trug eine Kiste mit der Aufschrift KISSEN.
»Überhaupt nicht«, sagte sie und hievte ihre eigene Kiste hoch, auf der GESCHIRR stand.
Steven stellte seine Kiste ab und nahm ihre.
»Lass uns tauschen«, sagte er lächelnd.
Er hatte in letzter Zeit viel gelächelt. Eigentlich schien er permanent zu lächeln, seit sie ihm vor acht Monaten erlaubt hatte, einen Verlobungsring auf ihren Finger zu stecken.
Sie marschierten zusammen die Einfahrt hinauf. Während sie gingen, nahm Chloe den Garten in Augenschein. Es war nicht der große, weitläufige Garten, den sie sich immer vorgestellt hatte. In ihrer Vorstellung hatte ihr Haus einen großen offenen Garten mit Bäumen entlang der Rückseite. Stattdessen hatten sie und Steven sich in einer ruhigen Gegend mit kleinen Grundstücken niedergelassen. Aber sie war erst 27, sie hatte Zeit. Steven und sie wussten beide, dass dies nicht das Haus war, in dem sie alt werden würden. Und etwas daran machte es noch spezieller. Dies sollte ihr erstes Zuhause sein, der Ort, an dem sie die Besonderheiten der Ehe erfahren würden und vielleicht, an dem sie daran arbeiten würden, ein oder zwei Kinder zu bekommen.
Sie konnte das Haus ihrer Nachbarn ganz deutlich sehen. Die Rasenflächen waren nur durch eine Reihe von hohen Büschen getrennt. Die malerische weiße Veranda war fast identisch mit ihrer eigenen.
»Ich weiß, dass ich hier aufgewachsen bin«, sagte Chloe. »Aber es fühlt sich einfach nicht mehr so an. Es fühlt sich an wie eine andere Stadt.«
»Ich versichere dir, sie ist immer noch genau dieselbe«, sagte Steven. »Nun, bis auf ein paar neue Wohnsiedlungen, wie die, in der wir jetzt Hausbesitzer sind. Das gute alte Pinecrest, Maryland. Klein genug, damit du immer auf Leute triffst, die du nicht treffen willst, aber gerade groß genug, um nicht eine Stunde zu einem Lebensmittelladen fahren zu müssen.«
»Ich vermisse Philly jetzt schon.«
»Ich nicht«, sagte Steven. »Keine Eagles-Fans mehr, keine Rocky-Witze, kein Verkehr mehr.«
»Alles gute Argumente«, stimmte Chloe zu. »Aber trotzdem ...«
»Lass dir etwas Zeit«, sagte Steven. »Es wird sich bald wie zu Hause anfühlen.«
Chloe wünschte, ihre Großmutter wäre in diesem Moment hier, um dieses Haus zu sehen. Chloe war ziemlich sicher, dass sie stolz auf sie wäre. Sie würde wahrscheinlich auch keine Zeit verlieren und den brandneuen Ofen in der Küche anheizen, um ein festliches Dessert zu backen.
Aber sie war vor zwei Jahren gestorben, nur zehn Monate nachdem Chloes Großvater bei einem Autounfall ums Leben kam. Es wäre poetisch gewesen zu denken, sie sei an einem gebrochenen Herzen gestorben, aber das war nicht der Fall; am Ende war es ein Herzinfarkt, der ihr die Großmutter nahm.
Chloe dachte auch an Danielle. Direkt nach der High-School war Danielle für ein paar Jahre nach Boston gezogen. Es gab ein oder zwei Verhaftungen, mehrere gescheiterte Jobs und einige panische Tage, in denen sie geglaubt hatte, schwanger zu sein. All das hatte ihre Schwester vor einigen Jahren nach Pinecrest zurückgebracht.
Was Chloe betraf, hatte sie das College in Philadelphia besucht, Steven kennengelernt und begonnen, auf ihre Karriere als FBI-Agentin hinzuarbeiten. Sie hatte noch ein paar Kurse zu absolvieren, aber der Übergang war reibungslos verlaufen. Baltimore lag nur eine halbe Stunde Fahrt nach Westen entfernt und alle ihre Punkte waren ohne Probleme übertragen worden.
Die Sterne schienen günstig zu stehen, denn auch Steven hatte es geschafft, einen Job in Pinecrest zu finden. So sehr Chloe auch darüber scherzte, dass sie nicht nach Pinecrest zurückkehren wollte, etwas in ihr wusste, dass sie immer wieder hier landen würde, wenn auch nur für ein paar Jahre. Es war eine blöde Gefühlsduselei, aber sie fühlte sich ihren Großeltern verpflichtet. Nachdem sie die Schule abgeschlossen hatte, konnte sie diesen Ort nicht schnell genug verlassen und sie hatte das Gefühl, dass ihre Großeltern das immer ein wenig persönlich genommen hatten.
Und dann hatten sie das perfekte Haus gefunden und Chloe hatte sich mit der Idee angefreundet, wieder in einer kleineren Stadt zu leben. Pinecrest war keineswegs winzig − eine Bevölkerung von etwa 35.000 Menschen machte es zu einer komfortablen Größe für Chloe.
Außerdem wartete sie ungeduldig darauf, sich mit Danielle treffen zu können.
Aber zuerst mussten sie den Einzug hinter sich bringen. Die wenigen Sachen, die Steven und sie besaßen, waren auf der Ladefläche des U-Hauls verstaut, der derzeit schief in ihrer kleinen Betoneinfahrt geparkt war. Sie waren jetzt seit zwei Stunden damit beschäftigt, alles auszuladen, und liefen hin und her, hoch und runter, bis sie endlich die Rückseite des Anhängers zwischen den letzten Kisten und Möbelstücken sehen konnten.
Als Steven die letzten Sachen hereingebracht hatte, begann Chloe auszupacken. Es war irgendwie surreal, all die Gegenstände aus ihren getrennten Wohnungen auszupacken und zu realisieren, dass sie sich dieselben Räumlichkeiten teilen würden wie sie als Paar. Es war ein angenehmes Gefühl, das sie mit einem selbstbewussten Lächeln auf den Ring an ihrem Finger blicken ließ.
Beim Auspacken hörte sie ein Klopfen an der Haustür − das erste Klopfen in ihrem neuen Zuhause. Darauf folgte die hohe Stimme einer Frau, die »Hallo?« sagte.
Verwirrt hörte Chloe auf auszupacken und ging zur Vordertür. Sie war sich nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber mit Sicherheit niemanden, den sie von früher kannte. Seltsamerweise sah sie jedoch ein bekanntes Gesicht an der Tür.
»Chloe Fine?«, fragte die Frau.
Es war acht Jahre her, aber Chloe erkannte das Gesicht von Kathleen Saunders mühelos. Sie waren zusammen auf der High-School gewesen. Es war sehr schön, sie hier vor ihrer Haustür zu sehen. Obwohl sie nicht die besten Freundinnen in der High-School gewesen waren, waren sie doch etwas mehr als nur flüchtige Bekannte. Doch ein Gesicht aus ihrer Vergangenheit an der Schwelle ihrer Zukunft zu sehen, war so unerwartet, dass Chloe für einen Moment schwindelig wurde.
»Kathleen?«, fragte sie. »Was zum Teufel machst du hier?«
»Ich lebe hier«, sagte Kathleen mit einem Lächeln. Sie hatte seit der High-School einiges an Gewicht zugelegt, aber ihr Lächeln war immer noch dasselbe.
»Hier?«, fragte Chloe. »In dieser Gegend?«
»Ja. Zwei Häuser weiter, auf der rechten Seite. Ich bin gerade mit meinem Hund spazieren gegangen und war mir sicher, dich erkannt zu haben. Nun, dich oder deine Schwester. Also bin ich rübergekommen und habe den Mann hinten im U-Haul gefragt und er sagte, ich soll ruhig hochgehen und hallo sagen. Ist das dein Mann?«
»Mein Verlobter«, sagte Chloe.
»Nun, wie klein die Welt doch ist«, sagte sie. »Oder eher, wie klein diese Stadt doch ist.«
»Ja, ich nehme an, das ist sie wirklich«, sagte Chloe.
»Ich würde gerne bleiben und plaudern, aber ich muss mich in etwa einer Stunde mit einem Kunden treffen«, sagte Kathleen. »Und außerdem will ich dich nicht vom Auspacken abhalten. Aber hör zu ... es gibt ein Straßenfest diesen Samstag und ich wollte die Erste sein, die dich persönlich dazu einlädt.«
»Nun, danke. Ich weiß das zu schätzen.«
»Sag mal, nur auf die Schnelle ... wie geht‘s Danielle? Ich weiß, dass sie nach dem Ende der High-School einiges durchgemacht hat. Gerüchten zufolge lebt sie in Boston.«
»Sie war in Boston«, sagte Chloe. »Aber sie ist schon seit ein paar Jahren hier in Pinecrest.«
»Das ist so cool«, sagte Kathleen. »Vielleicht lädst du sie auch zu dem Straßenfest ein? Ich würde gerne mit euch beiden über alte und neue Zeiten plaudern!«
»Ich auch«, sagte Chloe.
Sie schaute Kathleen kurz über die Schulter und sah Steven im hinteren Teil des U-Haul. Er zuckte mit den Schultern und machte ein zusammengekniffenes Gesicht, das zu sagen schien: Es tut mir leid!
»Nun, es war so schön, dich wiederzusehen«, sagte Kathleen. »Ich hoffe, wir sehen uns auf dem Straßenfest. Und wenn nicht, weißt du nun, wo ich wohne!«
»Ja! Zwei Häuser weiter rechts.«
Kathleen nickte und überraschte Chloe mit einer Umarmung. Chloe erwiderte die Umarmung und war ziemlich sicher, dass die Kathleen aus ihren High-School-Tagen nicht der Typ gewesen war, der gern Leute umarmte. Sie beobachtete, wie ihre alte (und neue) Freundin Steven zuwinkte, als sie wieder auf den Bürgersteig entlanglief.
Steven kam die Verandatreppe hoch und trug die letzten beiden Kisten. Chloe nahm ihm die obere ab und sie schafften sie ins Wohnzimmer. Der Raum war ein Wirrwarr aus Kisten, Behältern und Koffern.
»Tut mir leid«, sagte Steven. »Ich wusste nicht, ob das ein willkommener Besucher sein würde oder nicht.«
»Nein, schon gut. Es war seltsam, aber gut.«
»Sie sagte, sie sei eine Freundin aus der High-School?«
»Ja. Und jetzt sind wir hier, leben nur zwei Häuser voneinander entfernt. Sie schien wirklich sehr nett zu sein. Sie hat uns für dieses Wochenende zu einem Straßenfest eingeladen.«
»Klingt gut.«
»Sie kennt auch Danielle aus der High-School. Ich glaube, ich werde sie auch zu dem Fest einladen.«
Steven fing an, eine der Kisten zu öffnen und seufzte. »Chloe, wir sind noch nicht mal einen ganzen Tag hier. Können wir nicht noch etwas warten, bevor wir deine Schwester in unser Leben einladen?«
»Können wir«, sagte sie. »Das Straßenfest ist erst in drei Tagen.«
»Du weißt, was ich meine. Danielle neigt dazu, Dinge schwieriger zu machen, als sie es sein müssten.«
Chloe wusste, was er meinte. Steven hatte Danielle viermal getroffen und jedes dieser Zusammentreffen war unangenehm − und keiner von ihnen hatte viel zu sagen gehabt. Danielle hatte eine Reihe von Problemen, die es allesamt schwierig machten, sie mit Menschen zusammenzubringen, die ihr fremd waren. Also nahm sie an, dass Steven recht hatte. Warum sie zu einem Straßenfest einladen, wo sie niemanden kannte?
Aber die Antwort war einfach: Weil sie meine Schwester ist. Sie war in den letzten Jahren allein und verletzlich gewesen und, so lahm es auch klingen mag, sie braucht mich.
Ein schnelles Aufblitzen des Bildes von ihnen beiden auf der Vordertreppe ihres alten Hauses raste ihr wie ein Wüstenwind durch den Kopf.
»Du wusstest, dass ich sie irgendwann treffen würde«, sagte Chloe. »Ich kann nicht in derselben Stadt leben und sie weiterhin aus meinem Leben ausschließen.«
Steven nickte und kam zu ihr. »Ich weiß, ich weiß«, sagte er. »Aber ein Mann darf doch noch Träume haben.«
Sie wusste, dass der Kommentar ein wenig sarkastisch gemeint war, aber sie erkannte auch den scherzhaften Ton darin. Er gab nach und wollte nicht zulassen, dass eine Diskussion über ihre Schwester den Umzugstag für sie ruinierte.
»Es könnte gut für sie sein«, sagte Chloe. »Rauskommen und Kontakte knüpfen. Ich denke, ich kann sie da herausholen, wenn ich so etwas wie eine feste Größe in ihrem Leben werden kann.«
Steven kannte die komplexe Geschichte zwischen den beiden Schwestern. Und obwohl er kein Geheimnis daraus machte, Danielle nicht besonders zu mögen, hatte er Chloe immer liebevoll unterstützt und ihre Sorge um ihre Schwester verstanden.
»Dann tu, was du für das Beste für sie hältst«, sagte er. »Und nachdem du sie angerufen hast, hilf mir, das Bett in unserem Schlafzimmer aufzustellen. Ich habe später noch etwas damit vor.«
»Oh, hast du das?«
»Ja. Dieser ganze Umzug hat mich völlig ausgelaugt. Ich bin erschöpft, ich werde so tief schlafen ... aber vorher wird es heiß hergehen.«
Sie hielten beide inne und fanden ihren Weg in die Arme des anderen. Sie teilten einen langen Kuss, der nahelegte, dass sie das Bett in ihrer ersten Nacht in ihrem neuen Zuhause gut gebrauchen könnten. Aber vorher gab es noch Berge von Kisten zum Auspacken.
Noch dazu einen möglicherweise unerfreulichen Anruf bei ihrer Schwester.
Es war ein Gedanke, der sie mit ebenso viel Freude wie Besorgnis erfüllte.
Danielle Fine nahm sich eine NoDoz, schluckte die Aufputschpille mit einer warmen Cola hinunter, öffnete dann ihre Unterwäscheschublade und durchwühlte sie auf der rechten Seite nach den nuttigsten Teilen, die sie finden konnte.
Danielle dachte dabei an Martin. Sie waren jetzt seit etwa sechs Wochen zusammen. Und während beide beschlossen hatten, es langsam angehen zu lassen, hatte Danielle die Geduld verloren. Sie hatte entschieden, dass sie sich ihm heute Abend an den Hals werfen würde. Jedes Mal, wenn sie sich sahen, fühlte sie sich wie ein dummer Teenager, der nicht wusste, was er tat.
Sie wusste, was sie wollte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass es Martin genauso ging. Am Ende der Nacht würde sie es mit Sicherheit wissen.
Sie wählte ein schwarzes Höschen aus Spitze, das die Vorderseite kaum bedeckte und hinten praktisch nicht existierte. Sie dachte darüber nach, welchen BH sie tragen sollte, entschied sich aber dafür, überhaupt keinen zu tragen. Martin und sie waren keine Mode-Junkies und außerdem wusste sie, dass sie nicht gerade viel Busen hatte. Selbst der teuerste BH auf der Welt würde ihr nicht helfen können. Außerdem ... Martin hatte ihr gesagt, dass er es mochte, wie ihre Brüste aussahen, wenn sich ihre Formen durch ein T-Shirt abzeichneten.
Sie wollten sich zeitig treffen und ein frühes Abendessen einnehmen, um es rechtzeitig zu dem Film um 18 Uhr 30 zu schaffen. Die bloße Tatsache, dass sie zum Abendessen und Kino verabredet waren und nicht zu billigen Drinks und einer Fahrt zurück zu seinem Haus für eine peinliche Rummacherei, sprach für ihn. Sie fragte sich, ob Martin der Typ war, der sich gerne wie ein Gentleman verhielt.
Sechs Wochen mit dem Kerl ... du solltest diese Art von Scheiße schon kennen, dachte sie, als sie in ihr Höschen schlüpfte.
Sie zog sich vor dem durchgehenden Spiegel an ihrer Schlafzimmerwand an. Sie probierte ein paar Blusen an, bevor sie sich entschied, es entspannt anzugehen. Sie entschied sich für ein schwarzes, etwas enges T-Shirt und eine sehr einfache Jeans. Sie war nicht die Sorte Mädchen, die einen Haufen Kleider oder Röcke besaß. Normalerweise zog sie das Erste an, was ihr morgens in die Hände fiel. Sie wusste, dass sie mit dem guten Aussehen ihrer Mutter gesegnet war. Da sie auch eine makellose Haut hatte, verzichtete sie meist auch auf viel Make-up. Ihre gefärbten schwarzen Haare und intensiven braunen Augen komplettierten ihr Äußeres; im Handumdrehen konnte sie die Verwandlung von unschuldig und süß zu aggressiv sexy machen. Das war einer der Gründe, warum sie sich nie wirklich um ihre kleinen Brüste gekümmert hatte.
Nach einem kurzen Blick in den Spiegel, bei dem sie die gleiche Figur, das gleiche Gesicht und das gleiche Band-T-Shirt sah, wie schon zu Teenager-Zeiten, war Danielle bereit, sich auf den Weg zu machen, um Martin zu treffen. Er war eine Art Greaseball, nur nicht von der Sorte, die in Autowerkstätten oder auf Rennstrecken herumhing. Er hatte früher mal als Amateur-Boxer ›herumgespielt‹, wie er es ausdrückte, und besaß den Körper, um sie das glauben zu machen (ein weiterer Grund, warum sie nicht mehr länger warten wollte) und arbeitete derzeit als freiberuflicher IT-Spezialist. Aber wie sie nahm er das Leben nicht allzu ernst und genoss es, eine Menge zu trinken. Bisher schienen sie perfekt zusammen zu passen.
Aber trotzdem, sechs Wochen ohne Sex. Sie fühlte eine Menge Druck. Was, wenn er sich weigerte? Was, wenn er es wirklich langsam angehen wollte und sie einfach nicht warten konnte?
Seufzend ging sie zum Kühlschrank. Um ihre Nerven zu beruhigen, schnappte sie sich ein Guinness aus dem Kühlschrank, öffnete den Verschluss und nahm einen Schluck. Ihr fiel ein, dass sich Alkohol und ihr NoDoz vielleicht nicht so gut vertrugen, aber es war ihr egal. Sie würde ihrem Körper sicherlich noch mehr zumuten.
Ihr Telefon klingelte. Wenn er mich anruft, um abzusagen, bringe ich ihn um, dachte sie.
Als sie sah, dass nicht sein Name auf dem Display stand, entspannte sie sich. Doch als ihr bewusst wurde, dass es ihre Schwester war, sackten ihre Schultern zusammen. Sie wusste, dass sie den Anruf annehmen sollte, denn wenn sie es nicht tat, würde Chloe sie in 15 Minuten wieder anrufen. Ausdauer war eine der wenigen Eigenschaften, die sie gemeinsam hatten.
Sie nahm den Anruf entgegen und übersprang wie immer die Begrüßung. »Willkommen zurück in Pinecrest«, sagte sie, so monoton wie möglich. »Es ist also amtlich und du wohnst wieder hier?«
»Hängt davon ab, ob du mich fragst oder all diese nicht ausgepackten Kisten«, antwortete Chloe.
»Seit wann bist du hier?«, fragte Danielle.
»Seit heute Morgen. Wir haben endlich alles aus dem U-Haul geholt und versuchen nun, uns durch die Kisten zu arbeiten und herauszufinden, wo alles hinmuss.«
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Danielle.
Das kurze Schweigen am anderen Ende der Leitung deutete darauf hin, dass Chloe diese Art von Großzügigkeit nicht erwartet hatte. Um die Wahrheit zu sagen, Danielle hatte nur gefragt, weil sie wusste, dass Chloe sie nicht darauf ansprechen würde. Oder besser gesagt, Steven würde nicht wollen, dass Chloe sie darauf ansprach.
»Weißt du, ich denke, wir kommen jetzt klar. Ich wünschte, ich hätte daran gedacht, dich anzurufen, bevor wir alle Kisten aus dem Transporter geschleppt haben.«
»Vielleicht hätte ich meine Hilfe dann nicht angeboten«, sagte Danielle mit monotoner Stimme.
»Egal, hör zu. Erinnerst du dich an Kathleen Saunders aus der High-School?«
»Vage«, sagte Danielle, die sich bei dem Namen an ein strahlendes und lächelndes Teenagergesicht erinnert − die Art von Gesicht, das einem beim Sprechen immer ein wenig zu nahekam.
»Wie es sich herausgestellt hat, lebt sie in meiner Nachbarschaft. Nur zwei Häuser weiter die Straße runter. Sie kam vor einer Weile vorbei, um hallo zu sagen. Sie hat Steven und mich zu einem Straßenfest am Wochenende eingeladen.«
»Wow, du bist noch keinen Tag hier und klingst schon domestiziert wie die Hölle. Hast du schon einen Minivan gekauft?«
Wieder gab es ein kurzes Schweigen. Danielle dachte, Chloe würde versuchen zu entscheiden, ob der Kommentar eine giftige Gehässigkeit oder nur ein Witz war. »Noch nicht«, antwortete sie schließlich. »Ich brauche zuerst die Babys. Aber wegen des Straßenfestes ... ich denke, du solltest auch kommen. Kathleen hat nach dir gefragt.«
»Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte Danielle, was eine glatte Lüge war.
»Sieh mal, wir werden sowieso irgendwann zusammen abhängen«, sagte Chloe. »Wir sollten es lieber früher als später hinter uns bringen, um die ganze Telefoniererei zu vermeiden. Und ich möchte wirklich, dass du das Haus siehst.«
»Ich habe vielleicht noch ein Date heute«, sagte Danielle.
»Ein richtiges Date oder ist er nur einer deiner armen One-Night-Jungs?«
»Ein richtiges Date. Du würdest ihn mögen, glaube ich.« Das war natürlich Schwachsinn. Sie war ziemlich sicher, dass Chloe Martin überhaupt nicht billigen würde.
»Weißt du, wie wir das herausfinden können? Bring ihn doch einfach mit.«
»Oh Jesus, du bist eine Plage.«
»Ist das ein Ja?«, fragte Chloe.
»Das werden wir sehen.«
»Ich nehme das für ein Ja. Wie geht es dir, Danielle? Läuft alles gut?«
»Ja, nehme ich an. Die Arbeit läuft gut und ich bin dabei, zum zwanzigsten Mal mit demselben Kerl auszugehen.«
»Ooh, er scheint etwas Besonderes zu sein«, scherzte Chloe.
»Da wir gerade davon sprechen, ich muss los«, sagte Danielle.
»Sicher. Ich texte dir unsere Adresse. Ich hoffe, du kommst zu dem Straßenfest. 15 Uhr, diesen Samstag.«
»Ich kann nichts versprechen«, sagte Danielle und nahm dann einen sehr langen Schluck von ihrem Guinness. »Tschüss Chloe.«
Sie hatte aufgelegt, ohne auf Chloes Abschied zu warten. Sie hatte keine Ahnung, warum, aber das Gespräch war anstrengend gewesen.
Ein Straßenfest, dachte sie mit bitterem Sarkasmus. Ich weiß, wir reden nicht so oft miteinander, aber man sollte meinen, dass sie mich besser kennt.
Als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, begann sie an ihre Mutter zu denken. Das ist es, wohin ihr Verstand normalerweise wanderte, wenn sie sich über Chloe ärgerte. Während sie an ihre Mutter dachte, fuhr sie mit der Hand an ihren Hals. Als sie den Bereich dort nackt vorfand, eilte sie durch ihre kleine Wohnung zurück ins Schlafzimmer. Sie ging zum Schmuckkästchen auf ihrer Kommode und zog die silberne Halskette ihrer Mutter heraus, die so ziemlich der einzige Gegenstand in ihrem Besitz war, der einst Gale Fine gehört hatte. Sie legte sie um ihren Hals und steckte den einfachen kleinen Anhänger unter ihr Shirt.
Sie fühlte ihn auf ihrer Haut und fragte sich, wie oft Chloe an ihre Mutter dachte. Sie versuchte, sich auch daran zu erinnern, wann beide das letzte Mal darüber gesprochen hatten, was an diesem Morgen vor siebzehn Jahren geschehen war. Sie wusste, dass sie beide davon heimgesucht wurden, aber gab es wirklich jemanden, der gerne über Geister sprach?
Da es nur noch zehn Minuten waren, bis sie sich mit Martin treffen sollte, kippte sie den Rest ihres Bieres runter. Sie dachte sich, sie könnte einfach schon losgehen und ein bisschen zu früh da sein. Sie ging zur Vordertür, um genau das zu tun, aber dann blieb sie stehen.
Direkt auf dem Boden unter der Haustür lag ein Umschlag. Er hatte noch nicht dort gelegen, bevor sie mit Chloe telefoniert hatte.
Sie ging zur Tür und hob ihn vorsichtig auf. Es fühlte sich an wie in ein Déjà-vu, weil sie das schon mal gemacht hatte. Das war nicht der erste Brief, der gekommen war.
Der Umschlag war blank. Kein Name, keine Adresse, keine Markierungen jeglicher Art. Sie öffnete die Umschlagklappe, die nicht auf die Rückseite des Umschlags geklebt worden war. Sie griff hinein und fand ein einfaches Blatt Papier, etwas größer als eine Spielkarte.
Sie nahm den Zettel heraus und las ihn durch. Und dann las sie ihn noch einmal.
Sie steckte ihn zurück in den Umschlag und trug den Umschlag zum Schreibtisch, der an der hinteren Wand des Wohnzimmers stand. Sie platzierte ihn dort mit den anderen vier Briefen, die alle ähnliche Botschaften enthielten.
Sie starrte sie einen Moment lang an, ängstlich und verwirrt.
Ihre Handflächen schwitzten und ihr Herz begann heftiger zu schlagen.
Wer beobachtet mich, fragte sie sich. Und warum?
Dann tat sie, was sie normalerweise tat, wenn sie etwas beunruhigte. Sie ignorierte es. Sie verdrängte diese letzte Notiz aus ihren Gedanken, zusammen mit der einfachen Botschaft, die diese enthielt, und ging zur Tür hinaus, um sich mit Martin zu treffen.
Als sie das Gebäude verließ, blitzten die Worte in ihrem Kopf wie kleine Blitze auf, fast wie bei einem Neonschild.
ICH WEISS, WAS WIRKLICH PASSIERT IST.
Es ergab keinen Sinn, aber andererseits schien es allen Sinn der Welt zu machen.
Sie blickte auf ihren eigenen Schatten auf dem Bürgersteig und lief automatisch ein wenig schneller. Sie wusste, dass sie einem Problem nicht entkommen konnte, indem sie es ignorierte, aber es gab ihr zumindest ein besseres Gefühl.
ICH WEISS, WAS WIRKLICH PASSIERT IST.
Ihre Füße schienen ihr zuzustimmen, sie wollte aufhören zu laufen, wollte zurücklaufen und versuchen, die Botschaften zu verstehen – und jemanden anzurufen. Vielleicht die Bullen. Vielleicht sogar Chloe.
Aber Danielle lief nur schneller.
Sie hatte es größtenteils geschafft, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Warum sollten es mit diesen Briefen anders sein?
»Du bestehst also immer noch auf dem Huhn, was?«
In ihrem Kern war es eine so unschuldige Frage, aber sie sandte eine Woge der Wut durch Chloe. Sie biss leicht in die Innenseite ihrer Lippe, um zu verhindern, dass ihr irgendeine böse Bemerkung herausrutschte.
Sally Brennan, Stevens Mutter, saß ihr gegenüber mit einem alten Stepford-Frauen-Lächeln auf dem Gesicht.
»Ja, Mom«, sagte Steven. »Es ist Essen ... Essen, das ich wahrscheinlich nicht mal genießen werde, wegen all der Nervosität. Wenn sich jemand über das Essen bei meiner Hochzeitsfeier beschweren will, dann soll er nach Hause gehen und sich auf dem Weg ein paar Taco Bells holen.«
Unter dem Tisch drückte Chloe Stevens Hand. Er hatte offenbar ihre Irritation bemerkt. Es passierte nicht oft, dass Steven sich gegen seine Mutter auflehnte, aber wenn er es tat, erschien er ihr wie ein Held.
»Nun, das ist keine sehr nette Einstellung«, sagte Sally.
»Er hat recht«, sagte Wayne Brennan, Stevens Vater, vom anderen Ende des Tisches. Das Weinglas neben ihm war zum dritten Mal leer und er griff nach der Flasche Rotwein in der Mitte des Tisches. »Ehrlich gesagt wird sich niemand für das Essen bei dem Empfang interessieren. Es ist der Alkohol, auf den sie sich freuen. Und wir haben eine offene Bar, also ...«
Sie ließen das Thema auf sich beruhen, aber der saure Blick auf Sallys Gesicht machte deutlich, dass sie immer noch dachte, dass Huhn eine schlechte Wahl sei.
Aber das war nichts Neues. Sie hatte sich über fast jede Entscheidung beschwert, die Chloe und Steven getroffen hatten. Und sie hatte es nie versäumt, sie daran zu erinnern, wer für die Hochzeit aufkam.
Wie sich herausgestellt hatte, war Pinecrest nicht nur wieder das Zuhause von Chloe, sondern auch das von Stevens Eltern. Sie waren vor fünf Jahren dorthin gezogen, technisch gesehen etwas außerhalb von Pinecrest in eine kleinere Stadt namens Elon. Zusätzlich zu Stevens Job war es einer der Gründe, warum Chloe und Steven beschlossen hatten, nach Pinecrest zu ziehen. Er arbeitete als Softwareentwickler für einen staatlichen Arbeitgeber und hatte eine Stelle angeboten bekommen, die zu gut war, um sie abzulehnen. Was Chloe anging, sie machte gerade ein Praktikum beim FBI, während sie an ihrem Master in Strafjustiz arbeitete. Wegen der Nähe zum FBI-Hauptquartier in Baltimore war ihnen das alles sinnvoll erschienen.
Chloe bedauerte allerdings schon jetzt, in solcher Nähe zu Stevens Eltern zu leben. Wayne war die meiste Zeit in Ordnung. Aber Sally Brennan war, um es milde auszudrücken, ein überhebliches Miststück, das es liebte, ihre Nase in Sachen zu stecken, die sie nichts angingen.
Die Brennans als Paar waren nette Leute, beide im Ruhestand, wohlhabend und meist zufrieden. Aber sie hatten Steven ziemlich verhätschelt. Als einziges Kind, das hatte Steven Chloe gegenüber mehrfach zugegeben, hatten seine Eltern ihn völlig verwöhnt. Selbst jetzt, mit seinen achtundzwanzig Jahren, behandelten sie ihn immer noch wie ein Kind. Und ein Teil davon zeigte sich in übertriebener Fürsorge. Das war der Hauptgrund, warum Chloe jedes Mal, wenn sie die Hochzeitspläne durchgehen wollten, innerlich erschauderte.
Das wollten sie nun anscheinend beim Abendessen machen. Sally hatte keine Zeit vergeudet und war gleich zu Beginn auf den Empfang zu sprechen zu kommen.
»Wie ist das Haus?«, fragte Wayne, genauso begierig wie Chloe, vom Thema Hochzeit wegzukommen.
»Es ist toll«, sagte Chloe. »Wir werden es in ein paar Tagen durch das Labyrinth der Kisten geschafft haben.«
»Oh und wisst ihr was«, sagte Steven. »Eine Frau, mit der Chloe auf die High-School gegangen ist, lebt die Straße runter, nur zwei Häuser weiter. Ist das nicht verrückt?«
»Vielleicht nicht so verrückt, wie es scheint«, sagte Wayne. »Diese Stadt ist einfach zu klein. Man muss irgendwann über jemanden stolpern, den man kennt.«
»Besonders in den Vierteln, in denen die Häuser übereinandergestapelt sind«, sagte Sally mit einem Grinsen und machte einen nicht gerade subtilen Seitenhieb ob ihrer Standortwahl.
»Unsere Häuser sind gar nicht so eng beieinander«, sagte Steven.
»Genau, wir haben sogar einen anständig großen Garten«, fügte Chloe hinzu.
Sally zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Schluck Wein. Dann schien sie über ihren nächsten Kommentar nachzudenken und hatte sich beinahe entschieden, ihn stecken zu lassen, aber dann sprach sie ihn trotzdem aus.
»Deine Schulfreundin ist nicht die Einzige von früher in Pinecrest, oder?«, fragte sie. »Deine Schwester wohnt auch hier, wenn ich mich recht erinnere.«
»Ja, das tut sie.«
Sie antwortete entschieden, aber ohne unhöflich zu sein. Sally Brennan hatte nie irgendeinen Hehl wegen ihrer Abneigung gegenüber Danielle gemacht, obwohl sie sich nur zweimal begegnet waren. Sally hatte das Pech, eine dieser klischeehaft gelangweilten Hausfrauen zu sein, die für Skandal und Klatsch lebten. Als sie herausfand, dass Chloe eine Schwester mit einer steinigen und dunklen Vergangenheit hatte, war sie gleichermaßen entsetzt und fasziniert gewesen.
»Lass uns nicht darüber sprechen, Mom«, sagte Steven.
Chloe wünschte sich, dass sie sich durch seine Bemerkung beschützt fühlte, aber wenn überhaupt, dann fühlte sie sich verletzt. Normalerweise, wenn das Thema Danielle aufkam, schlug Steven sich auf die Seite seiner Mutter. Er hatte den gesunden Menschenverstand zu wissen, wann er den Mund halten sollte, aber nicht so seine Mutter.
»Wird sie deine Trauzeugin sein?«, fragte Sally.
»Ja.«
Sally rollte zwar nicht mit den Augen ob ihrer Antwort, aber ihr Gesichtsausdruck zeigte ihre Gefühle überdeutlich.
»Sie ist meine Schwester«, sagte Chloe. »Also habe ich sie gebeten, meine Trauzeugin zu sein.«
»Für dich mag das Sinn ergeben«, sagte Sally, »aber ich war immer der Meinung, dass die Trauzeugin sorgfältig ausgewählt werden sollte. Es ist eine große Ehre und Verantwortung.«
Chloe musste sich an der Tischkante festklammern, um nicht mit einem bissigen Kommentar darauf zu reagieren. Steven bemerkte ihre Spannung und tat sein Bestes, um die Situation zu retten. »Mom, lass es gut sein«, sagte er. »Danielle wird das schon schaffen. Und selbst wenn etwas schiefgehen sollte, sorge ich dafür, dass alles unter Kontrolle ist. Das ist meine Hochzeit, Mom. Ich werde nicht zulassen, dass etwas Schlimmes passiert.«
Diesmal war es Chloe, die fast mit den Augen gerollt hätte. Es war wieder einmal typisch für ihn, sich für sie einzusetzen, ohne seine Eltern zu verärgern. Cloe wünschte sich, dass er nur ein einziges Mal Danielle wirklich verteidigen würde. Sie wusste, dass Steven kein wirkliches Problem mit ihr hatte, sondern dass er sein Bestes tat, um das Unbehagen seiner Mutter zu beruhigen. Es widerte sie ein wenig an.
»Genug von diesem Unsinn«, sagte Wayne und griff nach einer zweiten Portion Bratkartoffeln. »Reden wir über Fußball. Nun, Chloe, du bist ein Redskins-Fan, richtig?«
»Oh Gott, nein, ein Fan der Giants.«
»Genauso schlimm«, sagte Wayne lachend.
Und einfach so wurde das Unbehagen des Abends unter den Teppich gekehrt. Chloe hatte schon immer Waynes Kühnheit geschätzt, die Zickigkeit seiner Frau zu ignorieren, indem er zu einem anderen harmloseren Thema wechselte, ob sie nun mit ihrem fertig war oder nicht. Es war eine Eigenschaft, von der Chloe sich wünschte, Steven hätte sie von seinem Vater geerbt.
Doch als der Abend voranschritt, fragte sich Chloe, ob Sallys Sorgen berechtigt waren. Danielle gehörte nicht zu den Leuten, die sich herausputzten, lange still blieben und sich gern vor Publikum in Szene setzten. Danielle würde bei der Hochzeit aus ihrer Komfortzone herauskommen müssen und Chloe hatte sich schon selbst gefragt, ob sie das alles würde bewältigen können.
Als ihr diese Sorgen durch den Kopf schwebten, dachte sie an die kleinen Mädchen von vor so vielen Jahren, die auf der Vordertreppe gesessen hatten, während der Leichensack aus ihrer Wohnung getragen wurde. Sie konnte sich leicht an den leeren Blick in Danielles Gesicht erinnern. Sie wusste, dass in diesem Moment etwas in ihr zerbrochen war, dass sie in dieser Nacht ihre Schwester verloren hatte.
Es regnete, als Chloe und ihr Ausbilder vor Ort eintrafen. Als sie aus dem Auto in den Regen stieg, hatte sie das Gefühl völliger Bedeutungslosigkeit. Da sie als Praktikantin mit ihrem Ausbilder in Schichten mit anderen Praktikanten arbeiten musste, wurden ihnen keine hochkarätigen Fälle zugeteilt. Dieser hier zum Beispiel klang wie ein typischer Fall von häuslicher Gewalt. Und während die Details des Falles nicht sehr plastisch oder brutal klangen, ließen sie alleine die Worte häusliche Gewalt erschaudern.
Schließlich hatte sie diese Worte nach dem Tod ihrer Mutter oft gehört. Ihr Ausbilder musste sich ihrer Vergangenheit bewusst gewesen sein − dessen, was mit ihren Eltern geschehen war − aber er hatte heute Morgen nichts davon erwähnt, als sie sich auf den Weg gemacht hatten.
Sie war das erste Mal in Willow Creek, einer kleinen Stadt etwa fünfzehn Meilen außerhalb von Baltimore. Chloe machte ein Praktikum beim FBI, um irgendwann ein Mitglied des Evidence Response Teams, dem Spurensicherungsteams des FBI, zu werden. Als sie sich dem einfachen zweistöckigen Haus näherten, ließ der Ausbilder sie sogar die Führung übernehmen. Ihr Ausbilder war Kyle Greene, ein fünfundvierzig Jahre alter Agent, der aus der normalen Einsatztätigkeit ausgeschieden war, als sein vorderes Kreuzband bei der Verfolgung eines Verdächtigen gerissen war. Er hatte sich nie vollkommen von der Verletzung erholt und die Möglichkeit bekommen, als Ausbilder und Mentor für Praktikanten zu fungieren. Er und Chloe hatten bis zum heutigen Morgen nur zweimal miteinander gesprochen, vor einer Woche über FaceTime und dann vor zwei Tagen, während ihrer Fahrt von Philly nach Pinecrest.
»Eine Sache, bevor wir da rein gehen«, sagte Greene. »Das habe ich Ihnen bis jetzt vorenthalten, weil ich nicht wollte, dass Sie den ganzen Morgen darüber nachdenken.«
»Okay.«
»Das ist zwar ein Fall von häuslicher Gewalt, aber es ist auch ein Mordfall. Da drinnen erwartet uns auch ein Leichnam, ein relativ frischer.«
»Oh«, sagte sie, unfähig, ihren Schock zu verbergen.
