Neue Wege aus der Einsamkeit - Christine Brähler - E-Book

Neue Wege aus der Einsamkeit E-Book

Christine Brähler

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Irisiana
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

«Ein mit großer Fachkenntnis geschriebenes Buch über eines der zentralen Probleme unserer Zeit. Eine seltene Mischung: Denn es ist sowohl ein Wissenschafts- als auch ein sehr einfühlsames Buch - und ein Ratgeber. Absolut empfehlenswert!» Gert Scobel
Dr. Christine Brähler bietet mit diesem Buch einen einzigartigen Ratgeber, der sich mit Selbstmitgefühl als Mittel gegen die grassierende Einsamkeit in unserer Gesellschaft beschäftigt. Einsamkeit kann jede und jeden treffen: Vom Teenager bis zur 80-Jährigen. Meist werden Betroffenen äußere Maßnahmen empfohlen wie mehr unter Leute zu gehen, Vereinen zu beitreten, Hobbies gemeinsam zu pflegen oder soziale Verpflichtungen zu übernehmen.
Die Psychologin Dr. Christine Brähler geht den Weg von Innen nach Außen: Anstatt unsere Bedürfnisse zu vernachlässigen oder zu hoffen, dass sie von außen erfüllt werden, entdecken wir die liebevolle Verbindung zu uns selbst. Wir bringen uns aufrichtiges Mitgefühl für die eigene Traurigkeit, Verlassenheit und Verletzlichkeit entgegen. Aus dieser wohlwollenden und wertschätzenden Haltung gegenüber uns selbst haben wir die Möglichkeit, Beziehungen nährender zu gestalten und auch das Alleinsein zu genießen. Mit zahlreichen Übungen und Anregungen hilft die Selbstmitgefühl-Expertin den Einsamen auf den lohnenden Weg zu sich selbst.

  • »Ein mit großer Fachkenntnis geschriebenes Buch über eines der zentralen Probleme unserer Zeit. Eine seltene Mischung: Denn es ist sowohl ein Wissenschafts- als auch ein sehr einfühlsames Buch - und ein Ratgeber. Absolut empfehlenswert!« (Gert Scobel)
  • Die Epidemie im Verborgenen
  • Das neue Buch der Selbstmitgefühl-Expertin, Psychologin und erfolgreichen Autorin
  • Grundlegende Einsichten, wertvolle Tipps und praktische Übungen zum Brennpunkt-Thema in einem Ratgeber vereint

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 301

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dr. Christine Brähler

Neue Wege aus der Einsamkeit: Mit Selbstmitgefühl zu mehr Verbundenheit

Inhalt

Von der Epidemie der Einsamkeit

Ein öffentliches Gesundheitsproblem?

Was hilft bei komplexer Einsamkeit und wie kann dieses Buch helfen?

Sicherheitshinweise

Einsamkeit hat viele Gesichter

Der Schmerz des Unverbundenseins

Scham

Misstrauen

Angst vor Verletzlichkeit

Soziale Ausgrenzung und Stigmatisierung

Die Ursachen der Einsamkeitsepidemie

Fehlende soziale Rituale erschweren das Kennenlernen

Fehlende unmittelbare Resonanz schafft »Einzeller«

Wettbewerb und Leistungsdenken fördern Isolation

Leistungsdenken sabotiert wahre Liebe

Generation »iGen« wird später erwachsen

Nestwärme fürs Alleinseinkönnen

Die Verletzlichkeit des inneren Kindes anerkennen

»Ich schaffe das nicht allein!«

»Muss ich das jetzt auch noch allein machen?!«

Wärme, Halt, Berührung und Kuscheln

Gehaltensein von der Erde

Grenzen spüren

Wärme schafft Verbundenheit

Berührung beruhigt

Tierische Freunde

Die Einsamkeit und du

Der wohlwollende Blick

Auf der einsamen Insel mit dir selbst

Deine tägliche Dosis Verbundenheitsvitamine

Scheinbar verbunden

Unser soziales Gehirn hat Grenzen

Harte Schale, beschämter Kern

Einsam durch Anderssein

Nutzung von sozialen Medien

Allein gelassen mit dem Schmerz

Was für ein Verbindungstyp bist du?

Vier Bindungsstile

Der Bindungsstil färbt das Einsamkeitserleben

Bindungsstile und Selbstmitgefühl

Mit Mut und Mitgefühl durch die Einsamkeit

Ist kein anderes Kraut gegen Einsamkeit gewachsen?

Macht Selbstmitgefühl nicht egoistischer?

Hummer-Momente: Wachstum fordert Loslassen und Verletzlichkeit

Keine Angst vor der Leere

Keine Angst vor Scham und Verletzlichkeit

Sehnsucht als Türöffner zur Verbundenheit

Trauer als Türöffner zur Verbundenheit

Alleinsein – wenn für sich sein schön ist

Unser verzwacktes Gehirn

Ein beseeltes Zuhause in dir erschaffen

Lass dir Flügel wachsen

Von Misstrauen zu Vertrauen in authentische Verbundenheit

Gemeinsames Menschsein entschärft Aggression

Spielen

Sinnhaftigkeit in Beziehungen

Mitgefühl empfangen

Exzentrizität als Zeichen von Begabung

Im Kreis deiner Verbündeten

Werde emotionaler Klimaaktivist!

Die Grenzen des Herzens erforschen

Teilen

Eigentlich sind wir nie allein

Das Wissen um unsere Verwandtschaft nicht verlieren

Hol dich dort ab, wo du gerade bist

Geborgen im Ungeborgenen

Anhang

Von der Epidemie der Einsamkeit

Ein öffentliches Gesundheitsproblem?

Gemäß einer deutschen Langzeitstudie steigt das Einsamkeitserleben. Im Jahr 2017 beispielsweise bezeichneten sich bei den 45- bis 84-Jährigen, verglichen mit 2011, 15 Prozent mehr als einsam.1 Forscher sagen für die Zukunft weiterhin steigende Zahlen von einsamen Menschen voraus, sodass der Begriff der Epidemie immer häufiger fällt.

Was bedeutet diese düstere Vorhersage für die Gesundheitspolitik? Wie gehen Gesundheitsbehörden üblicherweise mit Epidemien um? Neben Vorschriften zur Desinfektion und zur Isolierung von infizierten Personen, um die Verbreitung des Virus einzuschränken, versuchen Wissenschaftler, so schnell wie möglich den Virus zu identifizieren und spezifische Impfstoffe zu entwickeln. Ist dieser medizinische Vergleich überhaupt hilfreich im Umgang mit einem zutiefst menschlichen emotionalen Erleben? Zumindest ist die Sprache der Medizin der Öffentlichkeit vertrauter als die Sprache der Emotionen und schafft somit leichter Bewusstsein.

In verschiedenen Ländern wird Einsamkeit als gesellschaftliches Gesundheitsproblem anerkannt, was Regierungen veranlasst hat, Initiativen gegen Einsamkeit zu gründen. In Großbritannien gibt es sogar ein Ministerium für Einsamkeit mit etlichen Angeboten: Vereinsamte Menschen können beispielsweise eine Telefonhotline anrufen oder bekommen Besuch von einem professionellen Community Connector, der versucht, sie in der Gemeinde zu vernetzen. In den Niederlanden bringen Mitglieder von Initiativen vereinsamten Menschen einen Blumenstrauß vorbei oder laden sie zu Nachbarschaftstreffen ein. In Japan, Dänemark und Australien entstanden ähnliche Initiativen und auch in Deutschland werden von der Politik erste Anstrengungen unternommen: Mehr Geld soll in den Aufbau von Mehrgenerationenhäusern investiert werden, zudem werden Städte und Stadtviertel so konzipiert, dass soziale Inter­aktion erleichtert wird.

All diese Initiativen schaffen öffentliches Bewusstsein für Einsamkeit. Das kann helfen, dass Menschen, die nicht unter Einsamkeit leiden, empathischer werden denjenigen gegenüber, die sie als einsam wahrnehmen, und verstärkt mit ihnen in Kontakt treten. Öffentliche Kampagnen helfen oft auch, das Gefühl der Scham und Stigmatisierung zu reduzieren, sodass es Betroffenen leichter fällt, Hilfsangebote wahrzunehmen.

Bei Einsamkeit, die nicht schambesetzt ist und bei der der Betroffene grundsätzlich anderen vertraut, mögen viele dieser Initiativen helfen. Solcherart vereinsamte Menschen finden wieder Anschluss, blühen durch die Kontakte auf und bekommen Lebensqualität zurück. Auch sind viele Initiativen bewusst auf ältere Menschen ausgerichtet, die grundsätzlich soziale Kompetenzen haben und sich für die Einsamkeit weniger schämen als jüngere Menschen. Ihr Lebensabschnitt bringt oft zwangsläufig den Verlust von Mitmenschen und zunehmende Hilfsbedürftigkeit mit sich.

Es ist noch zu früh, um klare Aussagen darüber zu machen, welche Wirkung diese Initiativen auf das Einsamkeitserleben haben. Erste Studien zeigen, dass sie zumindest die Personen, die sich für ihre Einsamkeit schämen, die misstrauisch sind und wenig soziale Kompetenzen haben, nicht erreichen, da diese ihr Bedürfnis nach Kontakt und Nähe nicht gerne mitteilen. Die Wirksamkeit folgender Ansätze wurde in einer Studie verglichen.

soziale Kompetenzen stärken.

soziale Unterstützung verbessern.

mehr Möglichkeiten für soziale Kontakte schaffen und.

wenig hilfreiche Einstellungen über soziale Kontakte verändern.

Gemäß den Autoren war die Intervention, die nur auf die Veränderung der inneren Einstellung in Bezug auf Kontakte abzielte, am effektivsten.2 Für die Behandlung einer komplexen Einsamkeit, die mit Scham, Misstrauen, negativen Einstellungen in Bezug auf soziale Kontakte und möglicherweise eingeschränkten sozialen Kompetenzen einhergeht, bedarf es eines umfassenderen Ansatzes. Bevor diese Gruppe von Betroffenen Vernetzungsangebote nutzen kann, erscheint eine emotionale Arbeit sinnvoll, um die inneren Hürden zu überwinden. Zudem profitieren junge Erwachsene und solche im mittleren Lebensalter nur eingeschränkt von praktischen Initiativen, die sich vorwiegend auf ältere Menschen ausrichten: Die 35-Jährige, die sich nach einer Beziehung und Kindern sehnt und sich unter ihren verheirateten Freunden immer einsamer fühlt, benötigt eine Unterstützung, die ihrer Lebensphase entspricht und die ihr hilft, mit diesen nachvollziehbaren Gefühlen weise umzugehen.

Geschärftes Gesundheitsbewusstsein

Um zur Sprache der Medizin zurückzukommen: Es gibt also keinen »Impfstoff«, der uns vor dem Schmerz zu schützen vermag, denn vor Einsamkeit ist grundsätzlich niemand gefeit. Verschiedene Lebenssituationen, wie wir im Laufe dieses Buches sehen werden, können zu Einsamkeit führen – und das in jedem Lebensalter. Das wirft wiederum die Frage auf, wie wir unsere emotionale Widerstandskraft anderweitig stärken können.

Die steigende Beliebtheit von biologischen Lebensmitteln und einer veganen Lebensweise zeigt, dass unser Bewusstsein für Nachhaltigkeit und gesundheitsfördernde Ernährung wächst. Gesunde Lebensweisen sind Teil der Mainstream-­Kultur geworden, vom grünen Smoothie bis hin zum Yoga. Den körperlichen Zivilisationskrankheiten, die durch ungesundes Essen, Alkohol, Rauchen und Bewegungsmangel entstehen, setzen wir neue körperliche Gesunderhaltungsstrategien entgegen. Wenn Einsamkeit eine zeitgenössische emotionale Zivilisationskrankheit ist, die genauso gesundheitsschädigend ist wie Rauchen,3 braucht es auch ein Bewusstsein für die emotionale Gesundheitserhaltung. Grundlage dafür ist, eine Verbindung zu unseren Gefühlen, Gedanken und Bedürfnissen aufzubauen.

Im Gegensatz zu einem Grippevirus, der sich unsichtbar verbreitet, sind wir der Einsamkeit jedoch nicht ganz so schutzlos ausgesetzt. Der Begriff »Epidemie« kann Angst und Panik schüren. Die Gefahr ist, dass wir durch solche Bezeichnungen Einsamkeit dämonisieren, in der Hoffnung, verschont zu bleiben. Wie wäre es stattdessen, uns der Einsamkeit als Bestandteil des modernen Lebens auf der persönlichen Ebene zuzuwenden, zu erforschen und Wege des Er- und Durchlebens zu finden, um uns wieder verbundener zu fühlen?

Was hilft bei komplexer Einsamkeit und wie kann dieses Buch helfen?

Einsamkeit wird in den Medien in den letzten Jahren stark thematisiert. Wie bereits oben erwähnt, jeder kann betroffen sein, denn Phasen von Einsamkeit gehören zum Leben dazu. Soziale Isolation, aufgrund der man über längere Zeit mit niemandem Kontakt hat, ist langfristig schädlich. Wer von sozialer Isolation betroffen ist, möge den Mut finden, sich Hilfe zu holen, um sich wieder in wohlwollender Verbindung zu wissen und sich gesehen und umsorgt zu fühlen. Wer ausreichend sozial kompetent ist und ein durchschnittliches Selbstwertgefühl hat, wird im Allgemeinen von sich aus aktiv, knüpft Kontakte und entwickelt neue nahe Beziehungen. Wer aufgrund praktischer Hindernisse oder körperlicher Einschränkungen Probleme hat, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, profitiert möglicherweise von den neuen Initiativen gegen Einsamkeit. Personen, die sich jedoch dafür schämen, die Angst vor Verletzlichkeit haben, anderen misstrauen und sich allgemein im Kontakt mit anderen unsicher fühlen, sind am stärksten psychisch belastet. Sie sind am wenigsten in der Lage, sich einzugestehen, dass sie von außen Hilfe benötigen, um sich aus diesem Teufelskreis zu befreien.

Dieses Buch soll eine Starthilfe und Ermutigung für diese Menschen sein und solche, die indirekt betroffen sind, wie Angehörige oder Freunde. Wer jedoch einfache und schnelle Lösungen für ein komplexes Problem erwartet, muss sich darüber im Klaren sein: Ohne ehrliche Selbsterforschung und Arbeit mit den eigenen Emotionen kann der Schmerz der Einsamkeit nicht bewältigt und der Weg heraus nicht gefunden werden.

Was sagen die Einsamkeitsforscher?

Es gibt immer mehr Studien über die Einsamkeit und auch Empfehlungen, die aus den Erkenntnissen der Studien erwachsen. Der Soziologe Hartmut Rosa empfiehlt aufgrund seiner Beobachtungen und Thesen, die Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Resonanz – also der unmittelbar erfahrbaren Verbundenheit – auszurichten, nicht nach den Maßgaben von Leistungsdenken und Wettbewerb.4 Das heißt: Es könnte helfen, wenn wir uns häufiger als Menschen erleben, die viele Gemeinsamkeiten haben, nicht als Wesen, die miteinander konkurrieren oder gleichgültig nebeneinanderher existieren. Wie können wir damit beginnen? Wie können wir unser Leben mehr nach dem Erleben von Verbundenheit ausrichten?

Der Einsamkeitsforscher Philip Hyland gibt folgende Empfehlung: »Aus gesellschaftlicher Sicht und im Interesse des psychischen Allgemeinwohls sollten Anstrengungen unternommen werden, die Qualität der sozialen Beziehungen zu verbessern, anstatt die Vorteile von größeren sozialen Netzwerken zu betonen.«5 Die Einsamkeitsforscherin Pamela Qualter schlussfolgerte aus ihren Studien: »Diese Ergebnisse zeigen, dass wir liebevoller mit uns selbst umgehen müssen, wenn wir uns unverbunden fühlen, aber auch, dass es eine ganze Werkzeugkiste an Lösungen gibt, die wir ausprobieren können.«6

Es stellt sich also die Frage: Wie kann ich die Qualität meiner Beziehungen verbessern?

Eine qualitativ hochwertige und liebevolle Beziehung zu mir selbst könnte der Anfang der Lösung sein. Selbstmitgefühl kann uns dabei helfen! Was ist Selbstmitgefühl? Kurz gesagt, bezieht es sich auf die Fähigkeit, mir selbst weise und liebevoll beizustehen, wenn es mir schlecht geht. Genauer betrachtet besteht Selbstmitgefühl aus verschiedenen Fähigkeiten: wahrnehmen und anerkennen, dass ich belastet bin, anstatt mich in die Leidensgeschichte zu verstricken (Achtsamkeit versus Überidentifikation); mich in so einem Moment verbunden anstatt isoliert zu fühlen (gemeinsames Menschsein versus Isolierung); mir das zu geben, was ich wirklich brauche und was mich nachhaltig unterstützt, anstatt mich zu bestrafen und zu vernachlässigen (Selbst-Freundlichkeit versus Selbstverurteilung). Je nachdem, welche Belastung ich erlebe, sieht der mitfühlende und weise Umgang mit mir anders aus. Sich selbst zu validieren, zu trösten, zu beruhigen, zu umsorgen und sich ganz Mensch sein zu lassen sind die sogenannten Yin-Qualitäten des Selbstmitgefühls, da sie das weibliche Prinzip verkörpern. Sich selbst vor Schaden zu schützen, sich zu behaupten, für seine Bedürfnisse einzustehen und sich zu ermutigen sind die Yang-Qualitäten des Selbstmitgefühls, die das männliche Prinzip verkörpern. Die Psychologin Kristin Neff hat diese psychologische Kompetenz als Erste definiert und gemessen.7 Selbstmitgefühl ist eine Haltung und es gibt mittlerweile Übungsprogramme, die helfen, diese Haltung zu erlernen: Seit Beginn der 2000er-Jahre werden verschiedene Übungen und Trainingsprogramme entwickelt, erforscht und immer flächendeckender angeboten wie zum Beispiel achtsames Selbstmitgefühl (Mindful Self-Compassion – MSC8 und Ressourcen). Es gibt unendlich viele Wege, diese Haltung zu entwickeln – auch neben den Übungen, Kursen und der Psychotherapie, die ich hier im Buch erwähnen werde.

Selbstmitgefühl ist eine Selbstheilungsfähigkeit, die die wenigsten von uns kennen und nutzen. Das Gute liegt oft so nah! Und es ist ansteckend: Wenn wir mit uns wohlwollend verbunden sind und so auch einem anderen Menschen begegnen, übertragen wir diese positiven Emotionen nachgewiesenermaßen9. Das heißt, wir können durch mitfühlenden Umgang mit uns selbst und anderen eine positive Resonanzwelle auslösen!

Selbstmitgefühl und Verbundenheit

Selbstmitgefühl geht eindeutig mit einem besseren körperlichen und emotionalen Wohlbefinden einher.10 Man kann also annehmen, dass mehr Selbstmitgefühl gegen die negativen Auswirkungen von Einsamkeit schützen könnte, wie es bereits bei belastenden Ereignissen wie Scheidung11, schwerer Krankheit12 und Kampfeinsatz13 gezeigt wurde. Die einzigen beiden Studien, die Einsamkeit und Selbstmitgefühl untersuchten, ergaben, dass mehr Selbstmitgefühl mit weniger Einsamkeit einhergeht.14, 15 Sich mit anderen im Leiden verbunden zu fühlen (»gemeinsames Menschsein«), ist ein wichtiger Teil von Selbstmitgefühl. Es fördert eine positive und realistische Sichtweise auf sich selbst, die unabhängig von Leistung und Ansehen ist. Eine weitere Studie zeigte, dass Selbstmitgefühl (»Ich stehe mir liebevoll zur Seite, egal, was passiert«) im Unterschied zu Selbstwertschätzung (»Ich finde mich toll!«) einsame Menschen vor Depression schützt, da es möglicherweise die harte Selbstverurteilung (»Du bist nicht liebenswert und deshalb allein«) abpuffert.16 Ein weiterer Grund, Selbstmitgefühl zu erlernen!

Als soziale Wesen bedürfen wir der Fürsorge, wenn wir Belastung erleben, und des freundlichen Kontakts, um uns menschlich und lebendig zu fühlen. Innere Balance entsteht, wenn wir in der Lage sind, sowohl uns selbst zu sehen und uns zu umsorgen, als auch Fürsorge von anderen anzunehmen, wenn es uns schlecht geht. Die meisten Menschen neigen jedoch dazu, entweder diese Fürsorge von anderen abzulehnen, ihr zu misstrauen oder sich ganz auf die Fürsorge von außen zu verlassen. Wenn wir mit uns selbst verbunden sind und in uns selbst Halt finden, verringern wir die gefühlte Abhängigkeit von anderen, und dadurch verändern und verbessern sich unsere Beziehungen. Dasselbe gilt, wenn wir Scham und Angst vor Verletzlichkeit durch ein besseres Verbundensein mit uns selbst überwunden haben.

Das Einüben von Selbstmitgefühl bedeutet zu lernen, dass wir uns geben, was wir brauchen, wenn es uns schlecht geht. Wir werden sozusagen zu unseren besten Eltern, zur besten Freundin oder zum besten Freund. Sich wahrhaftig selbst zu sehen, zu verstehen, zu akzeptieren, beizustehen und zu umsorgen, wenn man sich am wenigsten mag, ist Selbstmitgefühl. Im Umgang mit anderen Menschen gleicht sich etwas aus: Wenn wir vermeidend und distanziert waren, lernen wir, nach Hilfe zu fragen, vertrauen uns mehr an, und es entsteht mehr Nähe; wenn wir eher abhängig von anderen waren, lernen wir, uns selbst zu umsorgen und in unsere Kraft zu vertrauen, sodass mehr Raum zwischen uns und anderen entsteht und wir uns weniger verloren fühlen.

Echte und nachhaltige Verbundenheit im Außen geht einher mit Verbundenheit nach innen. Alles, was uns von anderen trennt, ist Spiegel von etwas, das wir in uns selbst abgetrennt haben. Wir können jedoch lernen, mutig zu werden, in den Spiegel zu schauen und alles, was wir verstoßen oder vergessen haben, zu sehen, anzuerkennen, zu halten, zu umsorgen und zuzulassen.

Selbstmitgefühl kann den Schmerz, der durch Angst, Scham und das Gefühl des Getrenntseins entsteht, nicht abstellen, aber es kann ihn aushaltbarer machen und uns damit auf paradoxe Weise zu mehr Verbundenheit verhelfen. Am Ende tröstet uns Menschen nichts mehr, als zu wissen, dass wir nicht allein sind, sondern mit anderen verbunden – und sei es im Gefühl von Einsamkeit. Verbundenheit ist das Ende der Einsamkeit.

Meine Einladung an alle Mutigen

Ich freue mich, dass du den Mut gefasst hast, dich einem Thema zuzuwenden, das viele abschreckt. Was motiviert mich und was hat das Thema mit mir zu tun? Ich schreibe dieses Buch vor allem als Mensch, der wie wir alle Einsamkeit kennt. Kurze Momente und längere Phasen. Auch mitten unter Menschen. Nach Verlust und Ablehnung. Durch Priorisierung von Leistung anstelle von Verbindung. Als Psychotherapeutin suche ich für mich selbst und für die Menschen, die ich begleite, immer wieder nach neuen wirksamen Wegen, um belastendes emotionales Erleben zu lindern, insbesondere wenn es stigmatisiert wird, wie Einsamkeit. Eine wichtige Ressource, für die ich immens dankbar bin und die mir in dieser Arbeit mit mir selbst und mit anderen hilft, ist eine tiefe Verbundenheit zu etwas Größerem. Dadurch erlebe ich das Alleinsein als etwas zutiefst Positives und Bereicherndes. Die Sehnsucht nach Verbundenheit und die Trauer über Unverbundenheit waren und sind mir große Lehrer, die mich zu mehr Verbundenheit zu mir selbst und zu anderen geführt haben.

Die heilsame Energie des Mitgefühls entdeckte ich für mich im Jahr 2007 durch buddhistische Praktiken und kurz darauf durch neue psychologische Ansätze (Compassion Focused Therapy, CFT; Mindful Self-Compassion, MSC). Recht früh in der Entwicklung dieser Ansätze wurde ich eingeladen, sie zu unterrichten, mitzugestalten, zu erforschen und andere in der Weitergabe auszubilden. Seit 2008 gebe ich international Seminare und Fortbildungen insbesondere zum Selbstmitgefühl. Dieses Buch und die darin enthaltenden Übungen sind von mir konzipiert und kreiert – außer anderweitig ausgewiesen. Sie stellen weder das MSC-Programm17 noch CFT18 dar, sondern sind lediglich stellenweise davon beeinflusst. Ich habe all meine Erfahrungen und mein Wissen als Mensch, Psychologin, Psychotherapeutin, Selbstmitgefühlslehrerin und Lernende kreativ eingebracht.

Mein Wunsch ist es, dass der eine oder andere durch dieses Buch die Angst und Scham vor der Einsamkeit verliert und liebevoller mit sich in Momenten von Einsamkeit umgeht, sodass die Verbundenheit wachsen möge. Beim Lesen erahnst du vielleicht, wie sich das anfühlen könnte. Um jedoch eine Veränderung zu erzielen, bedarf es des wiederholten Übens – und der Geduld. Wie beim Lesen der Rezepte in einem Kochbuch wäre es schließlich unbefriedigend, sie nicht auszuprobieren und insbesondere das Essen nie zu kosten.

Ich wünsche dir den Mut, der Einsamkeit zu begegnen, durch diesen dunklen Tunnel hindurchzugehen, um auf der anderen Seite das Licht der echten Verbundenheit vorzufinden. Folge mir auf diese Abenteuerreise in dein Inneres!

Bevor wir loslegen, hier ein kurzer Navigator, um die Symbole, die den Übungen zugeordnet sind, zu erklären:

Selbsterforschungsübungen mit dem Augensymbol helfen, genau zu verstehen, was uns belastet, und uns besser kennenzulernen. Nur wenn wir den Schmerz klar erkennen, erahnen wir auch, was ihn lindern könnte.

Übungen zu Mitgefühl und Verbundenheit mit dir und anderen erkennst du am Herzsymbol. Um wirken zu können, lade ich dich ein, dich emotional auf die Übung einzulassen.

Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selbst führen will.

Hermann Hesse

Sicherheitshinweise

Bei jeder Abenteuerreise gilt es, wichtige Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, sodass wir uns unbesorgt auf die Reise mit ihren spannenden Momenten einlassen können. Die Sicherheitshinweise bei Flugreisen kennst du vielleicht schon auswendig – diese hier wahrscheinlich noch nicht:

Das Herz schließen lassen

Die Texte zum Erforschen und zum Üben von Selbstmitgefühl sind so aufgebaut, dass sie das Herz nähren sollen. Unser Herz ist manchmal offen und empfänglich, und manchmal verschlossen. Das ist ganz normal. Wichtig ist, dass wir es passieren lassen und nicht dagegen ankämpfen. Wir merken, dass sich unser Herz verschließt, wenn wir uns beim Lesen zum Beispiel überfordert, gelangweilt, genervt, taub oder gestresst fühlen oder wenn wir beginnen, Dinge übermäßig zu analysieren oder zu kritisieren. Ich lade dich ein, das Buch dann für einen Moment zur Seite zu legen. Frage dich dann: Was brauche ich jetzt gerade wirklich? Vielleicht gilt es, dem Gefühl Raum zu geben und es da sein zu lassen? Oder gilt es anzuerkennen, dass sich das Herz einfach irgendwann verschließen muss? Dann ist es in Ordnung, bewusst etwas anderes zu tun oder sich auszuruhen.

Im Urlaubs-, nicht im Arbeitsmodus sein

Hast du, wie viele von uns, einen strebenden Teil in dir, der schnell zum Ziel will? Wir wollen diesen strebenden Teil dafür würdigen, dass er dich motiviert, dir selbst zu helfen. Danke. Um sicherzugehen, dass du von den Übungen profitierst, bitte ich dich aber, dein Herz und nicht den strebenden Teil im Kopf dein Lerntempo bestimmen zu lassen. Nimm dazu die Signale des Offenseins (berührt, warm, verbunden, ruhig, geerdet, vielleicht kommen Tränen) und des Verschließens (taub, angestrengt, verkrampft) wahr. Wenn du also merken solltest, dass eine Übung zu Arbeit wird, dann mach eine Pause. Du gerätst sonst in die Überforderung, und dort findet kein emotionales Lernen mehr statt. Weniger ist auch beim Selbstmitgefühl meist mehr. Lass das Lesen und Ausprobieren wie Urlaub, nicht wie Arbeit sein.

Heilungsschmerzen umsorgen

Wenn wir uns intensiv mit Fürsorge befassen, können Erinnerungen von Situationen auftauchen, in denen wir das Gegenteil von Fürsorge erlebt haben. Diese Erinnerungen können wiederum Trauer oder Wut über das, was wir nicht bekommen haben, auslösen. Alte Glaubenssätze wie »Ich bin nicht liebenswert« oder »Ich verdiene keine Fürsorge« aktivieren vielleicht alte Scham oder Schuldgefühle oder andere unangenehme Erinnerungen und Gefühle. Das ist normal: »Wenn wir uns bedingungslose Liebe schenken, dann entdecken wir all die Bedingungen, unter denen wir nicht geliebt wurden«, sagt der Psychologe und Selbstmitgefühlsexperte Chris Germer.19

Doch wie geht man mit diesem »Heilungsschmerz« um? Es ist ein wenig wie beim Baden in der Badewanne: Wenn wir ganz durchgefroren sind und den ersten Zeh ins warme Badewasser stecken, schmerzt die Wärme zunächst ein wenig. Sie ist für unseren durchgefrorenen Körper aber heilsam. Andererseits sollst du in diesem Prozess keine unnötigen Schmerzen erleben. Was machst du also? Ganz einfach: Lerne, die »Wärme selbst zu dosieren«. Etwa so:

»Kaltes Wasser hinzugeben« – das bedeutet, uns innerlich »abzukühlen«, indem wir uns an der frischen Luft bewegen oder alltägliche Routineaktivitäten bewusst und achtsam durchführen. Oder indem wir uns bewusst mit einer Aktivität, die unsere Aufmerksamkeit absorbiert, ablenken. Andere Möglichkeiten sind: etwas Schönes anschauen/riechen/schmecken/anhören/tasten, die Fußsohlen beim Gehen oder den Atem spüren.

»Langsam hineingehen« – sich die kleinste und einfachste Übung heraussuchen, eine Übung, die keine Gegenreaktion auslöst, sondern sich ausschließlich unterstützend anfühlt.

»Grenzen respektieren« – die Badetemperatur selbst bestimmen. Weniger ist beim Selbstmitgefühl manchmal mehr. Was ist deine Wohlfühltemperatur? Es gilt nicht: Je mehr Übungen du machst, desto besser wirst du dich fühlen. Sondern eher: Je besser das persönliche Wohlgefühl bei einer bestimmten Übung ist, umso eher lernt dein Herzgeist etwas Neues.

Nicht allein kämpfen

Selbstverständlich sind die Möglichkeiten dieses Buchs begrenzt. Das heißt, wenn du merkst, dass dein Leid zu groß ist und es einer fachkundigen psychotherapeutischen oder psychiatrischen Begleitung bedarf, dann ist es sehr wichtig, sich diese zu holen. Auch wenn das oft Scham auslöst, ist es doch ein fundamentaler Akt des Selbstmitgefühls, zu sich zu sagen: »Ich bin einfach zu belastet. Ich brauche Hilfe von außen, um wieder an meine Ressourcen heranzukommen.« Es gibt inzwischen eine Vielzahl von Psychotherapeuten, die mit dem Thema Selbstmitgefühl vertraut sind. Ich ermutige dich ausdrücklich, auf die Suche zu gehen, dich auf dein Bauchgefühl der Person gegenüber zu verlassen und dein Anliegen direkt zu benennen. Frage dich: Fühle ich mich sicher, geborgen, wertgeschätzt, respektiert, verstanden und kann die Person auf mich eingehen? Passt die Arbeitsweise zu meinem Anliegen? Fühle ich mich frei, auch Nein zu sagen und Grenzen zu setzen? Verhält die Person sich gemäß den berufsethischen Richtlinien? Es kann etwas Durchhaltevermögen benötigen, bis man den richtigen Therapeuten gefunden hat. Das ist auch Selbstmitgefühl. Nicht verzagen – es lohnt sich, einen passenden professionellen Begleiter zu finden.

Einsamkeit hat viele Gesichter

Frank sitzt in einem belebten Café in der Großstadt. Er trinkt Kaffee und sein Blick ist starr auf sein Tablet gerichtet, als wäre er in das Lesen einer Zeitung vertieft. Von außen betrachtet erscheint Frank ganz unauffällig, ja sogar souverän: ein Mann, der im Café allein Zeitung liest. Von innen betrachtet zeigt sich ein anderes Bild: Frank hat Schmerzen. Er spürt sie als eine Art Stechen im Herzbereich. Wenn sein Blick kurz auf die anderen Gäste im Café fällt, verschlimmert sich das Stechen in der Brust. Er sieht junge Pärchen, die sich zärtlich berühren und miteinander lachen, Mütter mit Kinderwagen, die vergnügt mit ihren Babys plappern und diese geduldig füttern, Freundinnen, die sich einander innig zuhören. Wegen des Schmerzes muss Frank seinen Blick schnell wieder abwenden. Er schließt einen Moment lang die Augen. Dann erkennt er plötzlich, was es mit dem Herzschmerz auf sich hat: Er fühlt sich zutiefst einsam. Er sehnt sich nach Kontakt, nach Zuwendung und ganz besonders nach Berührung. All die Innigkeit zu sehen führt ihm vor Augen, wie einsam und traurig er ist. Es macht ihn fast neidisch. Alle anderen scheinen liebevolle Beziehungen haben. Nur er nicht. Während er die Einsamkeit anerkennt, wird er plötzlich traurig. Um seine Tränen zu verstecken, zahlt er sofort und verlässt eilig das Café. Vor anderen zu heulen, fände er zutiefst peinlich.

Frank ist ein ganz normaler Mensch, der sich mitten unter Menschen einsam fühlt. »Franks« gibt es viele, genauso wie »Franziskas«. Was ist daran besorgniserregend? Die Forschung zeigt, dass Einsamkeit tödlicher ist als Rauchen, Übergewicht oder Bewegungsmangel. Genauer gesagt setzt die aktuelle Studienlage Einsamkeit mit dem täglichen Konsum von 15 Zigaretten gleich. Gemäß den Studien erhöht sich die Sterblichkeit um 29 Prozent für Personen, die sich einsam fühlen.20

Und nicht nur lebensgefährlich scheint die Einsamkeit zu sein: Sie ist auch ansteckend, ergaben zahlreiche Befunde wissenschaftlicher Studien.21 Da bekommt man direkt Angst vor diesem scheinbar harmlosen, wenn auch unangenehmen Gefühl. Ist Einsamkeit nicht ein ganz normaler Aspekt des Menschseins? Sicher. Das bestätigt unser eigenes Erleben. Wer kennt das Gefühl von Einsamkeit nicht? Wer hat nicht schon Momente von Unverbundenheit erlebt, in denen man sich »mutterseelenallein« oder »gottverlassen« fühlte? Warum ist Einsamkeit dann zurzeit so ein Thema?

Die Zahlen sprechen für sich: In Großbritannien gibt beispielsweise ein Fünftel der Bevölkerung an, sich immer oder meistens einsam zu fühlen, und zwei Drittel davon gestehen das nur ungern ein, da sich die Betroffenen dafür schämen.22 Diese Quote von 20 Prozent scheint repräsentativ für etliche Länder zu sein wie zum Beispiel die USA und Schweden.23 Von den zehn Millionen Schweden sind vier Millionen über 75 Jahre alt: Mit zunehmendem Alter, dem Wegfallen von familiären Netzwerken und beruflichen Tätigkeiten sowie der Zunahme von körperlichen Beschwerden und Einschränkungen steigt die soziale Isolation und damit bei vielen das Einsamkeitserleben.

Einsamkeit ist jedoch nicht nur auf das hohe Alter beschränkt. Sie zieht sich offensichtlich durch alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen. Im Jahr 2018 zeigte eine britische Studie mit 55 000 Teilnehmern, dass junge Menschen zwischen 16 und 24 Jahren Einsamkeit sogar intensiver erlebten als Menschen über 75 Jahre.24 Laut Aussagen der Studienteilnehmer dieser BBC-4-Studie ist das Einsamkeitserleben von fünf Hauptmerkmalen gekennzeichnet.

keine Vertrauensperson zu haben, mit der man sprechen kann.

sich nicht mit der Welt verbunden fühlen.

sich ausgegrenzt fühlen.

Traurigkeit.

sich unverstanden fühlen.

Einsamkeit ist also ein subjektives Empfinden. Man fühlt sich unverstanden, unwillkommen und unverbunden. Für die Mehrheit scheint die Einsamkeit den Geschmack von Traurigkeit zu haben. Bei manchen mag Angst oder Leere mitschwingen, bei anderem zudem noch der Schmerz der Minderwertigkeit, die da sagt: »Ich bin es keinem wert, dass er mir Aufmerksamkeit und Zuwendung schenkt.«25 Das Fehlen einer Person, bei der man sich geborgen fühlt und der man sich anvertrauen und mitteilen kann, kann die Einsamkeit sowohl auslösen als auch aufrechterhalten.

Der Schmerz des Unverbundenseins

Einsamkeit ist ein subjektives Erleben, was auch erklärt, warum Menschen in allen Altersgruppen von dem Gefühl des grundlegenden Unverbundenseins betroffen sein können und sind.26 Die öffentliche Diskussion konzentriert sich vorwiegend auf die Einsamkeit im Alter, die auch eindeutig eine große gesellschaftliche Herausforderung darstellt. Die Ursachen für Alterseinsamkeit sind recht gut erforscht: Praktische Einschränkungen wie Altersarmut, das Aufbrechen von traditionellen familiären Strukturen und eingeschränkte Mobilität führen zu fehlenden Vernetzungsmöglichkeiten. Die fehlenden Möglichkeiten führen wiederum zur objektiven sozialen Isolation, was in vielen Menschen ein belastendes Einsamkeitserleben auslöst. In verschiedenen Ländern gibt es deshalb praktische Lösungen für dieses wachsende Problem, die die Vernetzungshürden überwinden helfen sollen. Telefondienste wie Silverline, Mehrgenerationenhäuser oder die bereits erwähnten Community Connectors in Großbritannien, die einsame Menschen regelmäßig besuchen, schaffen neue Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden. Die Einsamkeit in anderen Lebensphasen scheint jedoch mehrschichtiger und komplexer.27 Was ist zum Beispiel, wenn man sich auch mitten unter Menschen einsam fühlt, wie zum Beispiel Frank im Alter von 50 Jahren? Frank passt irgendwie nicht in die übliche Darstellung von Einsamkeit. Die Einsamkeit hat also viele Gesichter. Auch das von Emma:

Emma ist Studentin. Darauf ist sie unheimlich stolz. Entgegen den Erwartungen der Eltern hat sie ein sehr gutes Abitur geschafft und konnte sich ihren Traum vom Studium erfüllen. Leider unterstützen sie ihre Eltern dabei nicht, denn sie wollten, dass Emma vor Ort eine Lehre macht. Sie argumentierten, dies sei günstiger, und außerdem erkannten ihre Eltern keinen praktischen Sinn in einem Studium. Jetzt ist Emma weg von zu Hause und sie verdient nebenher genügend Geld, um die Miete für ein kleines Apartment zahlen zu können. Die neue Freiheit und Unabhängigkeit hat sie zuerst sehr genossen. In letzter Zeit schleichen sich jedoch immer mehr Momente von bedrückender Einsamkeit ein. Heute Abend erlebt sie wieder so einen Moment: Sie ist erschöpft vom ständigen Lernen und Arbeiten. Sie hatte leider keine Energie, um mit den zwei neuen Studienkollegen noch Kontakt aufzunehmen. Irgendwie fühlt sie sich auch ein bisschen fehl am Platz unter den anderen Studenten. Die scheinen es alle leichter zu haben. Deren Familien unterstützen sie, fragen nach, hören interessiert zu und sind sogar stolz. Innerlich fühlt sie sich leer, schwer und traurig. Ohne groß nachzudenken, schaltet sie ihr Laptop ein und ruft ihren Facebook-Account auf. All die geposteten Fotos ihrer »Freunde« auf Partys, im Urlaub oder bei sonstigen Vergnügungen machen die Einsamkeit aber noch schlimmer. Sie möchte gar nichts mehr fühlen und legt sich schlafen.

Emma ist keine 80, sondern erst 19 Jahre alt und leidet sehr unter Einsamkeit. Sie fühlt sich von ihrer Ursprungsfamilie unverstanden und sogar abgewiesen. Sie ist mutig und schlägt einen neuen Weg ein, aber zu ihrer neuen Peergroup hat sie noch kein Vertrauen gefasst. Ihre Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und Unterstützung von den Eltern will sie nicht spüren, da es ihre Entschlossenheit ins Wanken bringen würde. Emma schwebt in einem luftleeren sozialen Raum, losgelöst von alten Bindungen und auf der Suche nach neuen. Es ist zutiefst menschlich, dass sie sich in dieser Phase einsam fühlt. Die Sehnsucht nach Verbindung zu Gleichaltrigen ist deutlich spürbar. Aus Mangel an echten Kontakten scheint sie sich in einer Art Ersatzhandlung Facebook zuzuwenden. Leider findet sie auf den Profilen ihrer Freunde nichts Verbindendes, sondern eher Trennendes, was ihr Einsamkeitserleben nur verschlimmert.

Emma hat zwar ziemlich viele Freunde auf Facebook, fühlt sich aber trotzdem einsam. Frank sitzt inmitten von freundlichen Menschen in einer lebendigen Stadt. Auch er fühlt sich einsam. Wie kommt das? Einsamkeitsempfinden kann entstehen, wenn ich einen Mangel an sozialen Kontakten als schmerzhaft erlebe. Es fehlen Bezugspersonen, und der Betroffene erlebt das Alleinsein als unangenehm.

Eine weitere Ursache kann sein, dass ich meine bestehenden sozialen Kontakte als nicht zufriedenstellend und nicht nah genug erlebe. Das heißt, die erlebte Qualität der Beziehungen und die Beziehungsfähigkeit sind maßgeblich und weniger die Anzahl. Eine groß angelegte Studie in den USA untersuchte drei verschiedene Arten von Einsamkeit, die zwischen Quantität und Qualität der Beziehungen unterschieden.28 Personen, die »soziale Einsamkeit« erlebten, empfanden einen grundsätzlichen Mangel an Beziehungen. Personen, die »emotionale Einsamkeit« erlebten, empfanden, dass die Beziehungen, die sie hatten, von mangelhafter Qualität waren. Personen, die einen Mangel an Beziehungen empfanden, aber mit der Qualität der wenigen Beziehungen zufrieden waren, berichteten minimal verringertes psychisches Wohlbefinden im Vergleich zu Personen, die keine Einsamkeit erlebten. Personen, die sich in ihren Beziehungen einsam fühlten, und solche, die wenige Beziehungen hatten und sich in diesen einsam fühlten (also sowohl unter sozialer wie emotionaler Einsamkeit litten), zeigten dagegen Symptome von Depression, Angst und psychischer Belastung, deren Ausmaß Kriterien für eine psychische Erkrankung erfüllten. Kurzum: Wenige, emotional erfüllende Beziehungen tragen zum psychischen Wohl bei.

Alleinsein ist nicht gleich Einsamkeit

Zusammengefasst kann man sagen, dass ein Mangel an Beziehungen uns nur belastet und negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit hat, wenn wir uns innerlich unverbunden fühlen. Das heißt, dass Alleinsein nicht mit Einsamkeit gleichgesetzt werden kann. Man kann allein sein und sich gleichzeitig tief mit sich selbst, anderen Lebewesen und der Welt verbunden fühlen. Diese Art von positiv erlebter Abgeschiedenheit (Seite 27) kann man erfahren, indem man lernt, mit belastender Einsamkeit und den damit einhergehenden Gefühlen von Scham, Misstrauen, Angst vor Verletzlichkeit und Stigmatisierung umzugehen, wie ich es in diesem Buch beschreibe.

Forschungen besagen zudem, dass die reine Anzahl von Beziehungen weniger ausschlaggebend ist als die erlebte Qualität der Beziehung. Qualität ist also wichtiger als Quantität! Ein Mensch braucht idealerweise eine bis drei Vertrauenspersonen und kann nur schwer mehr als fünf nahe Freundschaften aufrechterhalten.29

Erforschung: Beziehungslandkarte

Für diese Übung brauchst du einen Zettel und einen Stift.

Hast du mindestens eine Vertrauensperson? Jemand, der sich für dich interessiert und dem du dich ganz anvertrauen kannst?

Wie viele Vertrauenspersonen hast du aktuell?

Wie viele sind vor Ort und in maximal 30 Minuten Reisezeit erreichbar?

Wie viele sind nicht vor Ort, aber du bist mit ihnen regelmäßig per Video- oder Telefonanruf in Kontakt?

Wie zufrieden bist du mit deinen Beziehungen zu deinen Vertrauenspersonen?

Wie viele Bekanntschaften hast du in etwa vor Ort?

Wie zufrieden bist du mit deinen Bekanntschaften?

Male in die Mitte eines leeren Blattes einen dicken Punkt. Das bist du. Platziere dann deine engsten Vertrauenspersonen als kleine Kreise um dich herum. Setze die Kreise umso näher zu dir, je mehr emotionale Nähe du in der Beziehung erlebst. Male den Kreis aus, wenn die Person vor Ort ist. Male ihn gestreift, wenn die Person nicht vor Ort ist.

Male dann deine weiteren Bekanntschaften als Punkte auf und setze die Distanz zu dir je nach emotionaler Nähe.

Wenn du die Beziehung zu der jeweiligen Person als wohlwollend und stabil erlebst, dann male eine durchgehende Linie zwischen euren beiden Punkten.

Wenn du einen Konflikt mit einer Person hast oder die Beziehung anderweitig belastet oder der Kontakt brüchig geworden ist, male eine gestrichelte Linie zwischen eure beiden Punkte.

Schau dann auf dein Netzwerk. Manchmal fühlen wir uns einsam, weil wir wenig Kontakte haben oder viele distanzierte Kontakte oder unsere Freunde weiter weg wohnen. Gibt es etwas Konkretes, das du verändern kannst, um dich verbundener zu fühlen? Kannst du zum Beispiel in bestimmte Beziehungen mehr investieren, indem du die Kontakte durch gemeinsame Aktivitäten pflegst oder Gespräche initiierst, sodass mehr Nähe entsteht oder bestehende Nähe aufrechterhalten wird? Oder willst du lieber brüchige und weniger nahe Beziehungen loslassen?

Es kann hilfreich sein, einen Überblick über unser aktuelles Beziehungsnetzwerk zu bekommen und dann bei Kontakten Prioritäten zu setzen.

Abseits dieser Gestaltungsmöglichkeiten gibt es aber einen anderen Anlass, bei dem wir unbedingt handeln müssen: Was passiert, wenn wir unsere wichtigste Bezugsperson verlieren, so wie es Maria geschehen ist?

Einsam, allein oder in Abgeschiedenheit – was ist was?

Soziale Isolation – ein objektiver Mangel an sozialen Kontakten im Alltag, der durch praktische oder soziale Hindernisse aufrechterhalten wird.

Einsamkeit – ein belastendes subjektives emotionales Erleben von Unverbundenheit, das unabhängig vom objektiven Mangel an Kontakten ist.

Alleinsein – ein objektiver Zustand von physischem Getrenntsein von anderen, der unabhängig vom subjektiven Erleben und von Kontaktmöglichkeiten ist.

Positiv erlebte Abgeschiedenheit (engl. solitude) – ein bewusst gewählter Zustand von Abgeschiedenheit, der der Person durch Ruhe im Außen eine bereichernde Innenschau ermöglicht.

Maria hat ihren Mann verloren. Eines Tages war er morgens zum Joggen gegangen und dabei plötzlich umgekippt. Herzversagen. Es war schrecklich, da es keine Vorwarnung und keinen Abschied gab. Unfassbar. Maria und ihre zwei Kinder waren lange in einem Schockzustand und funktionierten irgendwie weiter. Sie weiß bis heute nicht, wie sie das geschafft haben. Aber sie weiß, dass ihre Trauer noch viel Raum und Zeit brauchen wird. So gut es ihr möglich ist, gesteht sie sich und den Kindern zu, zu weinen und sich gegenseitig zu trösten, wenn einem von ihnen danach ist. Es ist jedoch auch schmerzhaft für sie, das Verlustgefühl der Kinder mitzutragen, da sie sich selbst nach Halt, Trost und Zuwendung sehnt. Leider stößt sie bei ihrer Familie und bei Freunden nicht mehr auf die gleiche Geduld und Großzügigkeit wie direkt nach dem Tod ihres Mannes Uli. Sie fühlt sich zunehmend alleingelassen. Sie hat sogar manchmal das Gefühl, man ächte sie, als ob ihre Trauer und ihr Schmerz ansteckend wären. Man fragt sie weniger häufig, wie es ihr geht, und wenn doch, lenkt ihr Gegenüber schnell auf ein anderes Thema um oder beendet sogar das Gespräch mehr oder weniger abrupt. Wo ist all das Mitgefühl hin? Seit sie verwitwet ist, bekommt sie sogar weniger Einladungen, als ob die befreundeten Paare sie als einzelne Person meiden würden. Auch das ist schmerzhaft für Maria, da sie die gemeinsamen Freunde mehr als sonst brauchen würde. Einer ihrer männlichen Freunde meinte kürzlich recht flapsig, dass sie sich doch per Onlinedating einen neuen Partner suchen sollte, damit es für sie einfacher wäre, ihren gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen. Maria ist von so einem Gedanken aber noch weit entfernt und sehnt täglich ihren geliebten Mann zurück.

Maria steht ganz plötzlich ohne ihre wichtigste Vertrauensperson da. So ein Verlust löst Gefühle von Einsamkeit aus. Das ist ein ganz normaler Bestandteil des Trauerprozesses. Diese schmerzhafte Einsamkeit wird jedoch von Marias Umfeld geächtet und abgelehnt, wodurch sie sich unverstanden und erst recht einsam fühlt. Jeder von uns kennt Momente oder kürzere Phasen von Einsamkeit, die wir vielleicht nach einer Trennung von einem Partner, dem Verlust eines geliebten Menschen oder nach dem Verlassen des gewohnten sozialen Umfeldes erleben. Oft gehen diese Phasen von allein vorüber. Man betrauert den Verlust, doch irgendwann orientiert man sich wieder nach außen und geht neue Bindungen ein. In solchen Phasen lernen wir uns selbst besser kennen und werden widerstandsfähiger. Wann wird die Einsamkeit dann zum Problem?

Scham