New York Revenge 2: Chase My Shadows - Laurien Laufer - E-Book

New York Revenge 2: Chase My Shadows E-Book

Laurien Laufer

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Beschreibung

Wer entscheidet über dein Herz? Und wer über dein Leben? Aprils Pläne sind gescheitert. Der gefährliche Fremde, der ihr seit Wochen nachstellt und ihre beste Freundin entführt hat, ist entkommen. Das New Yorker It-Girl braucht eine neue Spur, um seine Identität aufzudecken. Der attraktive Clubbesitzer Miles weicht dabei noch immer nicht von ihrer Seite. Doch er hat mit den Schatten zu kämpfen, die sein Lebensstil mit sich bringt. Als April mehr über die Lügen ihrer Familie und damit über ihre eigene Vergangenheit erfährt, verstrickt sich ihre Welt zunehmend mit Miles'. Und in den Abgründen findet sich endlich ein Hinweis auf den Ursprung der Drohbriefe. Wer ist der Stalker? Und was hat er mit April vor?  Das spannende Finale der Romantic Suspense Story: High Society, Verrat und düstere Pläne – für alle »Gossip Girl«- und »Riverdale«-Fans!  //Alle Romane der Romantic Suspense »New York Revenge«:  -- Band 1: Show Your Darkness  -- Band 2: Chase My Shadows//  Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Laurien Laufer

New York Revenge 2: Chase My Shadows

Wer entscheidet über dein Herz? Und wer über dein Leben?Aprils Pläne sind gescheitert. Der gefährliche Fremde, der ihr seit Wochen nachstellt und ihre beste Freundin entführt hat, ist entkommen. Das New Yorker It-Girl braucht eine neue Spur, um seine Identität aufzudecken. Der attraktive Clubbesitzer Miles weicht dabei noch immer nicht von ihrer Seite. Doch er hat mit den Schatten zu kämpfen, die sein Lebensstil mit sich bringt. Als April mehr über die Lügen ihrer Familie und damit über ihre eigene Vergangenheit erfährt, verstrickt sich ihre Welt zunehmend mit Miles'. Und in den Abgründen findet sich endlich ein Hinweis auf den Ursprung der Drohbriefe. Wer ist der Stalker? Und was hat er mit April vor?

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

© privat

Laurien Laufer, geboren 1997, lebt mit ihrem Freund und ihrer kleinen Hündin Erna in der Nähe vom schönen Hamburg. Während sie beruflich gern in Paragrafen wühlt, geht sie privat mit viel Euphorie, jedem kreativen Hobby nach. In ihrer Freizeit sieht man sie meistens mit einem Buch in der Hand oder sie tüftelt gerade an Romanideen voller Emotionen, Spannung und Humor.Auf Instagram kann man sie unter @LaurienLaufer verfolgen.

Für all jene, die sich verloren fühlen.Einen Weg aus der Dunkelheit zu finden, ist schwierig.Aber wenn ihr den richtigen Menschen an der Seite habt, reicht ein Funke, um im Licht zu stehen.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Content Note. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Laurien Laufer und das Impress-Team

Kapitel1Miles

Irgendwas stimmt nicht. Ich kann es spüren. Es ist ruhig. Zu ruhig. Mein Blick wechselt von der Halle, in der April verschwunden ist, zu meinem Handy. Keine Nachricht. Kein Anruf. Kein Lebenszeichen. Kein Hilferuf. Nicht mal ein verficktes kleines Update. Es dauert zu lang.

Hat Sev April abgefangen? Niemals kann er mitbekommen haben, dass sie sich nicht an ihre Abmachung gehalten hat. Oder? Nein, das ist nicht möglich. Das darf nicht sein. Ich habe alle notwendigen Vorkehrungen getroffen. April wurde die ganze Zeit von meinen Leuten beobachtet, und die haben darauf geachtet, was um sie herum geschieht. Hätte sie jemand verfolgt, wäre ihnen das aufgefallen. Das neue Handy wurde auch noch mal gecheckt. Da war nichts, womit man sie hätte abhören können. Trotzdem haben wir keinen Kontakt zueinander aufgenommen. Es wäre zu riskant gewesen. Deswegen muss es nach außen hin so ausgesehen haben, als würde sie den Bedingungen Folge leisten.

Trotzdem steigt Panik in mir auf. Fieberhaft tippe ich mit dem Finger auf meinem Lenkrad.

Das Handy, das in der Mittelkonsole liegt, vibriert. Viel zu schnell greife ich danach.

Archer: Hast du was gehört?

Fuck. Nichts von April.

Miles: Nein. Ich habe kein gutes Gefühl.

Archer: Da sind wir ja schon zu zweit.

Ich will gerade zurückschreiben, dass wir reingehen, da klingelt mein Telefon.

Sofort nehme ich den Anruf entgegen. »Sag mir, dass alles gut ist«, platzt es sofort aus mir heraus. Doch als aus der Leitung nur Schluchzen ertönt, weiß ich, dass nichts gut ist. Adrenalin rast durch mein Blut und wird befeuert mit Flashbacks. Gänsehaut wandert über meinen Körper. Bilder prasseln auf mich ein. Polizisten in unserem alten Haus. Meine Schwestern, die sich völlig aufgelöst an mich klammern. Doch schlimmer sind die aufkeimenden Emotionen, die sich in meiner Kehle stauen. Zu viele Fragen. Zu viele Geheimnisse. Zu viele Dinge, die uns verändert haben. Das letzte Mal, als ich so einen Anruf bekommen habe, hat sich mein ganzes Leben verändert. Nur darf ich darüber jetzt nicht nachdenken. Ich presse meine Augenlieder zusammen, bis es schmerzt. Ohne weiter innezuhalten, reiße ich die Tür auf. Mein Herz schlägt schneller, als es sollte. Kalte Tropfen regnen auf mich nieder. Auf meiner glühenden Haut fühlen sie sich an wie Eis. Endlich sind die Erinnerungen verschwunden und alles, woran ich noch denke, ist die wachsende Angst in meiner Brust.

Kapitel2April

Mit zitternden Fingern umklammere ich Olives rechte Hand. »Du darfst nicht tot sein«, wispere ich immer und immer wieder.

Es ist meine Schuld. Ich weiß es. Die anderen werden es wissen, sobald sie Olive sehen. Selbst Olive wird es wissen. Alles ist meine verdammte Schuld. Wie konnte ich nur so dumm sein? Wenn sie stirbt, dann nur meinetwegen. Weil ich so egoistisch gewesen bin. Ich habe nur an mich gedacht. An mich und Miles und mein verräterisches Herz. Ich habe mich von dem anhaltenden Pochen in meiner Brust und dem Flattern der Schmetterlinge in meinem Bauch manipulieren lassen.

Ich bin schuld an allem, was jetzt folgen wird. Das werde ich mir niemals verzeihen. Auf dem Video von Sev habe ich gesehen, wie es ihr geht. Jetzt ist es real. Zu real. Die verpixelten Bilder taten weh, aber das hier? Das ist nicht wie auf dem Video. Es ist viel schlimmer. Viel schmerzhafter. Viel echter.

Ihr Auge ist angeschwollen. Ein großer Bluterguss zieht sich über ihr Gesicht. Auch an den Armen und Beinen hat sie Hämatome, die dunkel auf ihrem blassen Teint leuchten.

Kniend auf dem kalt-nassen Betonboden jagt ein Gedanke den nächsten. Trotzdem fühle ich mich wie betäubt. Was tut man, wenn jemand tot aussieht und sich tot anfühlt? Ich weiß nicht, ob ich den Puls nicht finde oder ob er einfach nicht da ist. Doch bisher spüre ich nur ihre kalte, nasse Haut. Meine zittrigen Fingerkuppen tasten weiter über Olives Hals. Nichts. Ich versuche es an ihrem Handgelenk, aber bis auf meine schlotternden Glieder fühle ich kein Leben.

Mit meinen letzten Kraftreserven versuche ich, Olives Herz zum Schlagen zu bewegen. Ich stemme mich auf ihre Brust. Nicht sicher, ob ich es schaffe, einen Rhythmus zu halten. Ist es das, worauf es ankommt? Oder reicht es, das Herz anzustupsen, damit es endlich wieder von selbst in seinen gewohnten Takt kommt?

Gerade als ich das erste Mal mit aller Mühe auf ihren Brustkorb drücke, zuckt ein Blitz durch die zerschlagenen Fenster. Für wenige Sekunden erhellt beißendes Licht die in Dunkelheit gehüllte Halle. Donnergrollen zerreißt die Luft.

Als wäre ich unter Wasser, höre ich Schritte um mich herum. Gedämpft dringen Stimmen zu mir. Ist das Miles? Seit ich seine Nummer gewählt habe, liegt das Handy neben mir. Ich konnte kein Wort herausbringen. Habe einfach gehofft, dass er weiß, dass ich Hilfe brauche. Immer wieder zucken Blitze durch die Nacht. Ich drehe mich nicht um und schaue auch nicht, wer hinter mir ist. Vielleicht kommen sie mir zur Hilfe, oder der Countdown zu meinem Tod wurde vorverlegt. Eventuell habe ich das ja verdient. Zu sterben, weil ich meiner Cousine und besten Freundin den Tod gebracht habe. Nur weil ich so selbstsüchtig war und dachte, ich hätte etwas Gutes in meinem Leben verdient.

Hände legen sich auf meine Schultern, aber ich ignoriere sie. Ich pumpe weiter auf den Brustkorb.

Gerade als ich mich herabsenken will, um in Olives Lungen Luft zu drücken, greifen Arme um meine Taille und heben mich hoch. Ich strample und schlage um mich.

»Nein, ich darf nicht aufhören!«, brülle ich. Ich kann nicht anders. Mit meinem Blick fixiere ich Olives leblosen Körper. Nie wieder lasse ich sie aus den Augen. »Lass mich runter!« Meine Stimme überschlägt sich und heiße Tränen laufen über mein Gesicht. »Ich muss bei ihr bleiben.«

Doch egal wie sehr ich rebelliere, um mich trete und schlage. Ich werde immer weiter von ihr weggebracht. Schon wieder lasse ich sie im Stich. Es ist meine Schuld.

O Olive. Bitte verzeih mir, es tut mir so leid.

Kapitel3Miles

Regen prasselt in Sturzbächen auf uns nieder. Archer läuft vor mir und trägt Olives kraftlosen Körper zum Wagen. Ich wiederum habe eine völlig hysterische April in meinen Armen. Sie weint, schreit und prügelt um sich.

»Bitte beruhige dich«, beschwichtige ich sie immer und immer wieder. Aber kein einziges Wort scheint bei ihr anzukommen.

Beim Eintreffen in der Lagerhalle hat Archer sofort Olives Puls gecheckt. Er war nur schwer zu ertasten und ihr Atem ging flach. Doch sie war nicht tot. Wahrscheinlich stark unterkühlt, aber nicht tot. Noch nicht.

Als ich April auf meinen Beifahrersitz schiebe, geht ihr Protest in schweres Schluchzen über. Ich lege meine Finger um ihr Gesicht, damit sie mich endlich ansieht. »April, hör mir zu! Du musst dich beruhigen. Du hyperventilierst fast und ich will nicht, dass du ohnmächtig wirst. Hast du mich verstanden?«

Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ich suche in ihnen nach irgendeiner Gefühlsregung, im besten Fall Erkenntnis. Doch das Einzige, was ich sehen kann, sind allumfassende Panik, unbändige Angst und totale Hilflosigkeit. Scheiße. Der blanke Horror ist ihr ins Gesicht geschrieben. Mir wird schlecht.

Ihre Lippe bebt, als sie endlich etwas sagt. »Es ist meine Schuld.«

»Nein, auf gar keinen Fall«, beteuere ich und greife um sie herum, um ihr den Anschnallgurt anzulegen.

»Doch, doch, doch, doch, doch!« Heftig schüttelt sie ihren Kopf. »Es ist meine Schuld. Ganz allein meine.« Die letzten Worte nuschelt sie. Sie werden ertränkt von ihren dicken Tränen. Sanft streiche ich sie davon. Doch da kommen immer mehr. Weil ich nicht anders kann, senke ich meinen Kopf zu ihr herunter und drücke ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Alles in mir sehnt sich danach, sie an mich zu ziehen und ihr immer wieder zu sagen, dass alles gut wird. Doch als meine Haut ihre trifft, versteift sich ihr gesamter Körper.

***

Als wir in die Tiefgarage des Black Towers fahren, erwartet uns bereits Dr. Folk. An seiner Seite stehen zwei Frauen mittleren Alters mit einer Liege. Ich parke direkt neben Archers schwarzem SUV, welcher nur wenige Momente vor uns eingetroffen sein muss. Wir sind zwar gemeinsam losgefahren, aber im Verkehr habe ich ihn kurz verloren. Er ist quasi durch die Straßen geflogen. Zum Glück, denn für Olive zählt wahrscheinlich jede Sekunde.

Wie auf Autopilot springe ich aus meinem Wagen und gehe zur Beifahrertür, um April beim Aussteigen zu helfen. Die gesamte Fahrt über hat sie gewimmert und gezittert. Gerade als ich am Türgriff ziehe, öffnet Archer auch seine, und dann geht alles ganz schnell. Mein Blick heftet sich auf Olive, die auf eine Trage gehievt wird. Ihr Gesicht fällt schlaff zur Seite und ihre Augen flattern immer wieder auf, als würde sie einen Kampf um ihr Bewusstsein führen. Eine der Pflegerinnen legt eine Decke über ihren Körper. Dr. Folk öffnet ihre Augen und leuchtet mit einer Taschenlampe hinein. Ein Schauer läuft mir über den Körper. Dann schieben sie sie in den offenen Fahrstuhl. Im selben Moment versucht sich April an mir vorbeizuschieben. Das reißt mich aus meiner Starre. Ich stehe immer noch vor der Beifahrertür und kann sie gerade noch halten, bevor sie aus ihr herausfallen kann.

»Ich muss zu ihr«, wispert sie. Ihre Stimme ist kraftlos und matt. Ihre Bewegungen sind genauso fahrig, wie ihre Worte klingen.

»Du musst sie ihre Arbeit machen lassen.«

Sie wimmert und als ich meine Arme um sie lege, klammert sie sich an mich. Ihre Nägel graben sich durch meine Jacke in meine Haut, aber das macht nichts. Sie schmiegt ihr Gesicht in meine Halsbeuge und schluchzt unverständliche Worte.

Ich gebe ihr die Zeit, die sie braucht. Bleibe stehen, damit sie sich an mir festhalten kann. Mit jedem Laut, der sich aus ihrer Kehle emporkämpft, krampft sich mein Herz zu einem schmerzhaften Klumpen aus Muskeln, Blut und Sorge zusammen.

***

Ihr geht es nicht gut. Überhaupt nicht gut. April liegt im Bett und gleitet von einem Dämmerschlaf zu einer Art Schockstarre, in der sie nur spärlich blinzelt und, Gott sei Dank, wieder regelmäßig atmet. Denn zwischenzeitlich hat sie einfach die Luft angehalten, während sie vor sich hingestarrt hat. Ihr Anblick ist beängstigend. Doch ich darf die Fassung nicht verlieren. Ich muss stark für sie sein, besonders jetzt, da sie es selbst nicht sein kann. Sie so zu sehen, tut weh, aber ich werde uns da durchboxen. Irgendwie werden wir das wieder hinbekommen.

Seitdem wir zurück in der Wohnung sind, hat sie kein Wort mehr herausgebracht. Dieser Zustand ist schlimmer als ihr Toben zuvor. Jetzt liegt sie so lethargisch vor mir, dass ich sie gerne anschreien würde, damit sie irgendeine gottverdammte Reaktion zeigt.

Ich streiche ihr eine der wirren dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Ihre Haare sind feucht vom Regen und kleben an ihrer Haut.

Als sie wieder in einen Halbschlaf abdriftet, versuche ich, geräuschlos das Zimmer zu verlassen. Bedacht darauf, dass der Holzboden unter meinen Füßen kein Knarren und Knirschen von sich gibt. Ich rede mir immer wieder ein, dass sie nur etwas Ruhe braucht. Der Schock sitzt ihr in den Knochen. Kein Wunder. Sie hat gesehen, wie ihre beste Freundin bewusstlos auf dem Boden einer verlassenen Lagerhalle gelegen hat. Niemand würde das einfach wegstecken und weitermachen. In meinem Kopf klingt das auch ganz logisch, aber mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes. Etwas, das mich selbst erschreckt.

Was ist, wenn sie nicht darüber hinwegkommt?

Olive hat furchtbar ausgesehen und sah kein Stück aus wie das Mädchen, das ich aus den Klatschblättern kannte. Ihr Gesicht war so blass und ihre Lippen hatten sich in einen beängstigenden blauvioletten Ton verfärbt. Ihr Körper war abgemagert und übersäht von blauen Flecken. Für April muss es unweigerlich ausgesehen haben, als würde ihre beste Freundin auf einer Totenbahre liegen.

Es ist grausam. Sev hat das alles perfekt geplant. Das hat zu seinem perfiden Plan gehört. Es ist nicht einmal wichtig gewesen, ob wir uns an die Abmachung halten. Er wollte, dass April sie in dieser Verfassung vorfindet, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Ob jemand anderes dabei zu Schaden kommt oder sogar stirbt, ist ihm schlicht egal.

Ihm geht es nur darum, die Macht zu haben. Fäden ziehen zu können und Menschen wie Marionetten tanzen zu lassen.

Bis vor ein paar Stunden war Sev nicht mehr als ein Schatten – bedrohlich, aber wenig greifbar. Immer wieder hat er Drohungen ausgesprochen und sie, wenn nötig, unterstrichen. Wie mit der Kamera im Haus ihrer Eltern oder der Explosion. Aber im Grunde waren das nur Spielchen. Das ständige Beobachten und Angstverbreiten. Was auch schon niederträchtig und boshaft ist. Doch mit dieser Aktion hat er alle Grenzen der Moral übertreten. Das ging weit über Nachstellen, Sachbeschädigung und Drohungen hinaus. Bisher hat er Tote in Kauf genommen, aber jemanden über Wochen so leiden zu lassen? Sev hat seine gruseligen Fantasien gezielt an jemandem ausgelassen, um April zu quälen. Auch wenn er sich zu der Explosion in Sabrinas Wohnkomplex bekannt hat, ist dieses Verhalten neu. Sonst reagiert er schnell auf Dinge, die gerade passieren. Deswegen auch immer diese Nachrichten, die er wie ein Liveticker an April sendet.

Aber Olives schlechter Zustand spricht dafür, wie mies er sie über einen langen Zeitraum behandelt hat. Damit will er April zeigen, dass sie nichts in der Hand hat.

Falls Zweifel daran bestanden haben könnten, dass seine Morddrohung nicht ernst zu nehmen ist, sollten diese nun gänzlich aus dem Weg geräumt sein.

Ich balle meine Hände zu Fäusten. Irgendwas muss ich tun. Es muss doch einen Weg geben, um Sev zu finden. Dieser Mensch bringt mich sogar dazu, in die Trickkiste meiner Eltern greifen zu wollen. Es würde blutig und brutal werden, aber ich würde nicht einmal mit der Wimper zucken. Es sieht mir nicht ähnlich, aber ich würde es trotzdem nicht bereuen. Dieser Mistkerl muss gestoppt werden und das gern durch meine eigenen Hände. Für April würde ich damit klarkommen.

Doch gerade kann ich nichts tun. Ich will für April da sein und kann nur hoffen, dass Dr. Folk mehr als nur sein Bestes gibt. Meinetwegen soll er Gott spielen. Auf gar keinen Fall darf Olive unter seinen Fingern wegsterben. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn sie nicht mehr aufwacht.

Als ich meinen Fuß auf die letzte Stufe der Treppe setze, gleiten die Fahrstuhltüren auf.

Archer schlurft mit hängenden Schultern und ermattetem Gesicht direkt auf die Bar im Wohnzimmer zu.

»Das ist mächtig aus dem Ruder gelaufen«, sinniert er und schenkt vier Fingerbreit Scotch in zwei Kristallgläser. Als Antwort gebe ich nur ein zustimmendes Grunzen von mir.

Kraftlos lassen wir uns auf die Couch fallen. Ich nehme ihm das Glas ab und wir lassen sie aneinander klirren, bevor wir einen großen Schluck nehmen. Der Alkohol brennt angenehm in meiner Kehle und breitet Wärme in meinem Inneren aus.

»Wie geht es ihr?«

»Scheiße.« Ich will es nicht beschönigen. Mein Magen dreht sich schlagartig bei dem Gedanken an das Bild, welches sich mir im Schlafzimmer geboten hat, um. Ich habe zu kämpfen, dass sich mein Drink nicht die Speiseröhre wieder hochbahnt. »Soll ich mal was richtig Kitschiges sagen?«

»Hau raus, aber nur dieses eine Mal.« Archer zwinkert mir aufmunternd zu und haut mich spielerisch mit dem Ellenbogen an. Trotzdem verschwindet die Erschöpfung aus seinem Gesicht nicht.

»Ich habe Angst, sie nie wieder lächeln zu sehen.«

»Du hast recht – furchtbar schmalzig. Aber du brauchst dir keine Sorgen machen. April ist stark, sie wird das schaffen.«

Er klingt völlig überzeugt. Seine Augen sind zwar müde, aber aufrichtig. Ich habe keine Ahnung, woher er diese Gewissheit nimmt.

»Du glaubst echt, dass alles wie vorher wird?«

Fragend runzelt er die Stirn. »Nein.« Er schüttelt energisch den Kopf. »Es wird nichts mehr wie vorher sein. Aber das heißt nicht automatisch, dass sie es nicht schaffen wird. Deine Freundin ist taff und vielleicht sieht es gerade ziemlich düster aus, aber das ist nichts, aus dem sie sich nicht wieder hervorkämpfen kann.« Sein Blick schweift ab und gleitet zu den Fenstern, die ganz New York darlegen. »Glaub mir, wir ertragen mehr, als wir uns selbst zutrauen.« Er streicht sich angestrengt über das Gesicht. Gerade will ich ihn fragen, ob er über etwas reden will, da gleiten erneut die Türen des Aufzugs auf.

Meine Schwestern kommen herein, dahinter haben sie Matti im Schlepptau. Ihnen kleben die nassen Klamotten am Leib. Als April mich angerufen hat und mir klar wurde, dass wir sie da rausholen müssen, habe ich die drei informiert.

Wir konnten nicht ohne Deckung diese Halle stürmen. Schließlich wussten wir nicht, was darin auf uns warten würde. In meinem Kopf haben sich die schlimmsten Szenarien abgespielt. Ich habe April in Sevs Klauen gesehen, wie er sie bedroht hat und sie direkt am Abgrund zum Tod getaumelt ist. Selbst jetzt jagt mir der Gedanke beißende Gänsehaut über den Körper. Auf keinen Fall darf ich mich in der Vorstellung verlieren, was Sev mit ihr tun will … oder was passieren soll, wenn der Countdown abgelaufen ist.

Die drei schauen so frustriert und niedergeschlagen drein. Glücklicherweise rückt Malou direkt mit der Sprache raus. »Nichts. Rein gar nichts.«

»Das kann doch nicht sein«, stößt Archer genervt hervor.

»Ist aber leider so.« Myla fummelt am Saum ihres Shirts herum. »Nichts deutet darauf hin, dass dort jemand anderes war als wir. Als du uns von unseren Posten abgezogen hast, haben wir die Lagerhalle durchsucht und auch die Wege drumherum, und als wir da nichts gefunden haben, auch noch die beiden anderen leer stehenden Gebäude.«

Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein. Ich schaue in die leeren Augen meiner Schwestern. Doch sie meinen das ernst. Noch immer warte ich auf das Aber, nur scheint das verschollen zu sein. Matti, der noch gar nichts gesagt hat, steht mir mit versteinerter Miene gegenüber. Meine Hoffnung ist groß, dass ihm noch etwas aufgefallen ist. Doch dann schüttelt auch er den Kopf. So ein Mist.

»Wie ist das möglich? Niemals konnte Sev dafür sorgen, dass Olive da drapiert liegt, ohne einen Wagen dabeigehabt zu haben, oder Hilfe. Niemand schafft es, keine Spuren zu hinterlassen.«

Ich stehe auf, tigere im Wohnzimmer auf und ab. Irgendwas müssen wir übersehen. Kein Mensch kann so gut sein. Da muss etwas sein, das uns entgeht, etwas, das wir nicht wissen.

»Ihr könntet noch mal mit Sabrina sprechen.« Es ist Malou, die das einwirft.

Archer schnauft und ich will resigniert ablehnen. Bisher sind wir bei ihr nur auf Ablehnung und angeblich absolute Unwissenheit gestoßen. Aber jetzt haben wir etwas, das sie interessieren wird. Ganz eventuell könnte sie das zum Umdenken bringen.

»Ich werde zu ihr gehen. Vielleicht fällt ihr ja etwas ein, wenn sie weiß, dass wir Olive befreien konnten.«

Bei Archers Worten verziehe ich das Gesicht.

Archer zuckt mit den Schultern. »Ich hege auch keine großen Hoffnungen. Seit sie bei mir wohnt, haben wir ab und an noch mal darüber gesprochen. Aber ihr ist nie etwas über die Lippen gekommen, das wir nicht schon wussten. Trotzdem werde ich es noch mal versuchen.«

Ich nicke. »Stimmt schon. Aber ehrlich gesagt ist Olive wahrscheinlich die, die uns am meisten verraten kann. Jetzt, da sie endlich hier ist, wird sie helfen wollen, diesen Wichser dranzubekommen. Besonders wenn sie hört, was der Typ mit ihrer Cousine noch vorhat.«

Bei meinen Worten drehen sich alle Köpfe zu mir. Alle tänzeln immer um diesen Umstand herum. Die Drohung hängt einzig still und erdrückend über Sevs Existenz.

»Dafür müsste sie erst mal wieder aufwachen.« Matti schaut durch uns durch und guckt niemanden direkt an. So plump kenne ich ihn gar nicht. Er redet nicht gern um den heißen Brei, aber das … ich weiß nicht, was das soll. Offenbar merkt er selbst, wie harsch seine Worte auf uns wirken. Denn als keiner darauf reagiert, räuspert er sich. »Sorry, ich wollte nicht so direkt sein.«

Seine Miene wechselt von ertappt zu entschuldigend. Bei uns allen liegen die Nerven blank. Die letzten Stunden waren aufreibend.

Gemeinsam genehmigen wir uns noch einen weiteren Drink. Wir reden über dies und das. Ich weiß, dass sie es für mich machen. Es tut gut, jetzt nicht allein zu sein, auch wenn ich in Gedanken bei April bin.

Archer erzählt von seinen letzten Touren, die er über Uber reinbekommen hat, und Malou von einem gefloppten Date. Ich tue so, als würde ich kurz vergessen können, was gerade passiert ist. Höre den anderen augenscheinlich zu. Dabei sieht es in mir ganz anders aus. Da ist diese Stimme, die mir sagen will, dass ich einfach froh sein soll, dass wir beide aus dieser Halle holen konnten. Doch der Anblick von April dämpft das Ganze. Wie mit einem Brandeisen senken sich die Zweifel in meine Gedanken. Nicht zu wissen, wie das hier ausgehen mag, ist so einnehmend, dass es mir schwerfällt, an etwas anderes denken zu können.

Als ich aufschaue, spüre ich Mylas Blick auf mir. Besorgnis spiegelt sich in ihren Augen. Meine zusammengepressten Lippen verziehe ich zu einem traurigen Lächeln. Dann schaue ich zurück auf das Glas, das ich in den Händen halte. Versuche, den anderen irgendwie zuzuhören, während meine Sorgen und Ängste innerlich so laut schreien, dass ich nichts anderes wahrnehmen kann.

Kapitel4Rückblick

»Ich kann da nicht hoch.« Seit dem JP zu Alisha gesagt hat, dass er sie heute mit auf den Kran nehmen will, hört sie nicht auf, zu sagen, dass sie das nicht kann. »Ich hab solche Höhenangst. Mir wird jetzt schon schlecht.«

»Dann lass es lieber. Er kann dich nicht dazu zwingen.« Auch das habe ich schon des Öfteren gesagt.

Sie steht mit verschränkten Armen vor mir und rollt genervt mit den Augen.

»Na, was denn? Entweder du machst es oder nicht. Das musst du selbst entscheiden.«

»Du hast ja leicht reden, ihr beide krabbelt da hoch, als hättet ihr nie etwas anderes gemacht.«

Jetzt bin ich es, die genervt schnauft. »Ja, und warum? Weil ich es einfach gemacht habe. Doch wenn du dir nicht sicher bist, solltest du es lieber sein lassen. Es ist gefährlich, du darfst nicht die Nerven verlieren.«

Sie knabbert an ihrer Unterlippe und blickt auf ihre Füße. Auch wenn die Sonne bereits untergegangen ist, kann ich die Angst in ihren Augen sehen. Sie will das nicht machen. Weswegen ich gerade noch mal betonen möchte, dass sie es lieber lassen soll, doch dann legt sich ein Arm um ihre Schultern.

»Na, meine Süße, bist du bereit?« Selbst durch die dunkle Nacht leuchten JPs Augen vor Euphorie auf. Bereit für einen neuen Adrenalinschub.

»Weißt du, ich glaube, es ist nicht so eine …« Weiter komme ich nicht, denn Alisha grätscht mir ins Wort.

»Na klar bin ich das.« Sie schielt zu mir rüber und sieht mich … böse an?

Was soll das denn? Den ganzen Tag ist sie das reinste Nervenbündel und jetzt macht sie einen auf hart und supercool? Nur weil es ihr peinlich ist, zuzugeben, dass sie Angst hat und es nicht machen möchte?

»Du hast keine Bedenken?«, frage ich sie noch mal und biete ihr einen letzten Ausweg an.

Doch sie lässt die Chance verstreichen. »Was denn für Bedenken? Ich freue mich schon den ganzen Tag darauf!«

JP grinst noch breiter. »Das ist mein Mädchen.«

Bei seinen Worten lächelt Alisha wieder auf diese extrasüße Art. Schade, dass sie es nur tut, weil er sie sein Mädchen nennt.

Bevor ich noch etwas sagen kann, zieht er sie mit sich und in meinem Magen macht sich ein ganz übles Gefühl breit. Warum glaube ich, dass es keine gute Idee ist, sie einfach gehen zu lassen? Ich will ihnen gerade nachlaufen, da merke ich, wie sich auf meine Schulter ebenso ein Arm legt. Sky schaut mit seinem typischen frechen Grinsen zu mir herab.

Ich könnte mich jedes Mal in seiner geheimnisvollen, aber zugleich so vertrauensvollen Miene verlieren. Nur jetzt gerade nicht. Offenbar etwas, das ich nicht vor ihm verbergen kann.

»Was ist los?«

»Nichts«, gebe ich hastig zurück.

»So siehst du aber nicht aus. Geht es dir nicht gut?«

Immer ist er so aufmerksam. Auch so ein Ding, dass mein Herz jedes Mal etwas zu doll schlagen lässt, und beinahe bin ich gewillt, die kleinen Schmetterlinge in meinem Bauch aufsteigen zu lassen, damit sie das komische Gefühl in mir vertreiben. Es wäre so leicht. Ich müsste mich nur etwas mehr auf diesen Augenblick einlassen. Mich etwas mehr in seine Berührung fallen lassen, um zu vergessen, was mir eben mit so viel Nachdruck durch den Kopf gegangen ist.

Aber ich gebe dem Drang nicht nach. »Ich glaube, Alisha will nicht da hoch. Sie macht es nur, um ihn zu beeindrucken.«

Sky schaut mich forschend an. »Es wird schon alles gut gehen. JP hat das schon gemacht, bevor ich damit angefangen habe. Er wird darauf achten, dass ihr nichts passiert.«

Gern möchte ich das glauben. Nur ist JP für mich nicht dieser Typ. Er ist impulsiv und glaubt, dass ihm niemals etwas passieren würde, was wahrscheinlich sogar der Wahrheit entspricht. Seine Eltern sind steinreich und lassen ihn tun und lassen, was er will. Nicht ohne Grund treffen wir uns immer bei ihm. Eigentlich teilt er sich eine riesige Villa mit Angestellten, die nur für ihn arbeiten. Er weiß nicht, was Konsequenzen sind.

»Du hast mir doch auch vertraut. Lass deine Freundin ihrem Freund vertrauen. So funktionieren diese Dinge doch.«

Wie gern würde ich mich jetzt beruhigt zurücklehnen und behaupten, dass ich überreagiert habe. Aber sind wir mal ehrlich, wenn einem einmal so komisch ist, ist es nicht mit einem so funktionieren die Dinge getan.

Kapitel5April

Blinzelnd versuche ich, etwas durch den dichten Nebel in meinem Kopf wahrzunehmen. Es ist dieser kurze Moment, wenn du aus einem traumvollen Schlaf aufwachst und dich fragen musst, wer und wo du bist.

Meine Glieder fühlen sich taub und schwer an. Kraftlos versuche ich, mich aus dem Bett zu ziehen, aber etwas Schweres liegt über meiner Mitte. Ermattet drehe ich mich auf der Matratze. Neben mir schläft Miles auf dem Bauch und sein Arm ruht auf mir. Seine Stirn liegt in Falten, seine Lippen sind zu einer harten Linie verzogen. Es sieht aus, als würde er angestrengt nachdenken. Vielleicht hat er aber auch einen Albtraum.

Ich rutsche etwas tiefer in die Kissen, drehe mich vorsichtig zu ihm und streiche ihm sanft mit dem Daumen über die Stirn. Angefangen zwischen seinen Augenbrauen hoch bis zu seinem Haaransatz. Ich fahre immer wieder behutsam über die tiefen Furchen, bis sie weniger werden und sich die Muskeln unter seiner weichen Haut entspannen.

Mit jeder Sekunde, in der ich wacher werde, wollen die Erinnerungen der letzten Nacht über mir einbrechen. Ätzend wie Säure versuchen sie in meinen Kopf zu gelangen, mich zu zerstören, bis nichts mehr von meiner Substanz übrig ist. In meinem Hals bildet sich ein riesiger Kloß in der Größe eines Fußballs. Die brennenden Tränen in meinen Augen versuche ich wegzublinzeln.

Mit meiner freien Hand greife ich rüber zum Nachttisch und taste nach meinem Handy. Eigentlich wollte ich nur einen kurzen Blick auf die Uhrzeit werfen, doch die nehme ich gar nicht wahr. Denn auf dem Bildschirm prangt eine Nachricht, bei der mir direkt schlecht wird.

Unbekannt: Hallo kleine April, siehst du es? Du hattest es nie in der Hand. Immer wenn du nicht gehorcht hast, musste sie für dich leiden. Wie fühlt es sich an, wenn jemand, den du liebst, für das verantwortlich gemacht wird, was du getan hast?

Wäre vielleicht an der Zeit, aus meiner kleinen Lektion zu lernen. Aber es war mir ein Fest, dir bei deinem Zusammenbruch zuzusehen.

Sev

Ich hasse diese Machtspielchen. Eine Mischung aus Hass und Verzweiflung baut sich in mir auf. Die Ratlosigkeit, die damit einhergeht, treibt mich Richtung Abgrund. Warum tut diese Person das alles? Sev stalkt mich, aber quält Olive. Mein Herz nimmt so ein rasendes Tempo ein, dass mir übel wird. Was soll ich bloß tun? Die Buchstaben, auf die ich starre, verschwimmen. Werden zu einem unklaren Bild. In meinem Kopf läuft ein komisch-schemenhafter Film ab, als würde sich ein Bild von Sev manifestieren wollen, auch wenn ich nicht mal eine Idee habe, wer dieser Mensch ist.

Während ich meinen Blick nicht von der Nachricht abwenden kann, regt sich Miles unter meiner Hand. Damit reißt er mich aus einem tiefen Tunnel der Angst, in den ich mich verlaufen habe.

»Hey, du bist ja wach.« Seine kratzig-verschlafene Stimme bringt mich endlich dazu, wieder schlucken zu können.

»Ja, schon ein bisschen.« Erst jetzt bemerke ich, dass mein Finger noch immer über seine Stirn fährt. Ich will meine Hand wegziehen, aber er hält sie fest und drückt einen Kuss auf meine Handinnenfläche.

»Wie geht’s dir?«, flüstert er gegen meine Haut. Sein Atem streicht sanft darüber, was mir direkt eine Gänsehaut beschert. Miles stützt sich auf seinem Unterarm ab, sodass er über mir verharren kann. Er hält mich mit seinen Augen gefangen.

»Wie es mir geht, ist überhaupt nicht wichtig«, schnaufe ich. Sobald die Worte meinen Mund verlassen, kann ich die Bilder der letzten Nacht gar nicht mehr zurückhalten. Ich sehe, wie Olive vor mir auf dem Boden liegt. Ihre blasse Haut, ihr geschundener und abgemagerter Körper. Tränen treten in meine Augen und mein Kiefer beginnt, verdächtig zu zittern. »I-i-st sie?«

Miles richtet sich auf und zieht seine Beine in einen Schneidersitz. Dann nimmt er meine Hände in seine. Ich spüre die Berührung kaum. Meine Fingerkuppen sind taub, nur ein unheilvolles Kribbeln kann ich darin wahrnehmen.

»Setz dich auf«, fordert er.

Unbewusst folge ich seiner Anweisung.

Als ich auf die burgunderrote Bettdecke schaue, sehe ich vereinzelt beinahe schwarze Flecken darauf. Eine Träne nach der anderen fällt auf den samtigen Stoff.

»Sie ist in dieser Halle nicht gestorben.« Die Worte, die aus Miles’ Mund kommen, brauchen einige Zeit, um von meinem Gehör in mein Hirn vorzudringen. Sie ist nicht gestorben, wiederhole ich die Worte, bis sie mein Verstand endlich verarbeiten kann.

»Dann geht es ihr also gut?« Meine Stimme überschlägt sich vor wachsender Hoffnung.

Miles’ Blick wird noch etwas weicher. Er drückt meine Hände. »Das wäre wohl zu viel gesagt. Dr. Folk meldet sich, sobald er mehr weiß. Sie wird in einem Krankenzimmer ein paar Stockwerke unter uns versorgt.«

Alles in mir schreit danach, direkt aufzuspringen und zu ihr zu rennen. Doch meine Gedanken halten mich zurück. Wellenartig brechen Erinnerungen und Emotionen über mir ein. »Ich habe ihren Puls nicht finden können. Sie sah so tot aus«, bringe ich stammelnd hervor.

»Ihr Herzschlag war schwach und dazu war sie beängstigend dünn und unterkühlt. Gerade können wir nur hoffen. Aber du kannst dir sicher sein, dass sie in den besten Händen ist. Wenn sie jemand retten kann, dann Dr. Folk und sein Team.«

Immer mehr Tränen rollen über mein Gesicht. »Wie soll sie mir das je verzeihen?«, wispere ich zwischen zwei tiefen Schluchzern.

»Dass du ihr das Leben gerettet hast? Daran gibt es nichts zu verzeihen.«

»Ihr Leben gerettet? Was erzählst du denn da?«

»Hättest du dich augenscheinlich nicht auf den Deal eingelassen, wäre Olive wahrscheinlich tot. Du hättest dich nicht in Gefahr bringen müssen, trotzdem hast du es gemacht. Sie sollte dir verdammt dankbar sein.«

Etwas in mir verschließt sich. Mein Rücken streckt sich durch und um mich herum ziehen sich Mauern empor. Ich will nicht, dass Miles mich in diese sichere Decke wickelt. Sev hat mir gesagt, dass er Olive nur benutzt hat, weil er mir wehtun wollte. Nichts von dem wäre ihr zugestoßen, wenn ich nicht die Zielscheibe wäre. Ich wollte diesen furchtbaren Menschen täuschen. Dachte, unser Plan wäre gut. Jedenfalls gut genug, damit wir damit durchkommen würden. Im Prinzip sind wir das ja auch. Sev hat mir versprochen, dass ich sie zurückbekomme. Nur waren wir wahrscheinlich nicht vorsichtig genug. Wir müssen aufgeflogen sein. Sonst wäre Olive doch nicht in so einem schlechten Zustand, oder? Die Blutergüsse sahen frisch aus. Nicht alt und verblasst. Sie leuchteten wie Warnzeichen. Das ist die Strafe dafür, dass ich dachte, Sev austricksen zu können. Meine Gedanken rasen so schnell, dass ich sie selbst nicht mehr verstehe.

»Ich möchte zu ihr«, platzt es aus mir heraus und ich stehe auf. Mein Körper ist angespannt, als wäre er ferngesteuert und bereit zur Flucht. Dabei weiß ich nicht mal genau, woher das kommt.

Auf Miles’ Gesicht tritt ein trauriger Ausdruck. In mir zieht sich alles zusammen und der dicke Kloß in meinem Hals scheint immer größer zu werden.

Langsam schüttelt er den Kopf. »Tut mir leid. Aktuell darf sie keinen Besuch bekommen. Sie ist noch nicht aus dem Gröbsten raus.«

Immer noch hält er meine Hand. Doch seine Haut fühlt sich auf meiner an wie ein Waldbrand. Ich entziehe mich seinem Griff.

Hilflosigkeit blitzt in seinen Augen auf. »Verschließ dich bitte nicht vor mir.« Seine Worte sind nur ein Wispern. »Bitte tu das nicht.«

Schwarze Schatten tanzen an den Rändern meiner Sicht. Panik packt mich, zieht an mir und will mich mitreißen. Mir fehlt die Kraft, dagegen anzukämpfen. Oder vielleicht weiß ich auch nicht, wie? Warum fühle ich mich, als würde ich in zwei Teile zerfetzt werden?

Ich will zu ihr. Jede Faser in mir schreit danach.

Langsam erhebe ich mich aus dem Bett und gehe rüber zur Eisentreppe. Meine Hände beben, als ich sie an den Handlauf lege.

»Warte, wo willst du denn hin?« Miles’ Stimme dringt wie durch dichten Nebel zu mir hindurch. Doch ich kann darauf nicht antworten. Alles, was ich gerade will, ist, bei meiner besten Freundin zu sein. Ich muss mit eigenen Augen sehen, dass sie lebt.

Doch bevor ich meinen Fuß auf die erste Stufe setzen kann, spüre ich Miles’ Hand auf meinem Rücken. Es ist eine sanfte Berührung. Zitternd ziehe ich die Luft ein und drehe mich zu ihm. Seine Augen durchbohren mich. Sie sind voller Sorge und Verzweiflung.

»Olive wurde meinetwegen entführt. Das hat Sev mir mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Dann hatte ich die verdammte Chance, sie zu retten, und habe es vermasselt. Ich wollte das zwischen uns nicht verlieren und dafür musste ich bezahlen.« Jede Silbe kommt holprig aus meinem Mund. »Du kannst nicht erwarten, dass ich hier sitze und so tue, als wäre das alles nicht passiert. Sie braucht mich jetzt, selbst wenn ich einfach nur vor ihrer Tür sitze.«

»April, das ich nicht dein Ernst. Nichts davon ist deine Schuld. Sev ist es, der diese Dinge tut. Er ist krank und stellt Regeln auf, denen niemand folgen kann.«

»Das ist doch gar nicht von Bedeutung. Er ist überall und will mich tot sehen. Natürlich spiele ich nach diesen Regeln. Letzte Nacht habe ich das nicht getan, dabei hätte ich das tun sollen.«

»Aber, April, du kannst doch nichts dafür.« Miles klingt schon beinah flehend. Er sieht mich eindringlich an. Ein Blick, der durch meinen ganzen Körper wandert. Gern möchte ich annehmen, was er sagt. Doch es fühlt sich an, als dürfte ich das nicht. Sev hat es auf mich abgesehen. Olive hat er nur für seinen Plan gegen mich missbraucht. Mir ist bewusst, wie das für jeden aussehen wird. Mein Stalker will sich wegen irgendwas an mir rächen. Olive ist zwischen die Fronten gekommen. Natürlich wird jeder denken, dass, wenn sie mich nicht gekannt hätte, das hier nicht passiert wäre. Ergo bin ich schuld. Damit werde ich leben müssen. Doch will ich nicht hören, dass es nicht so ist. Besonders nicht jetzt, da meine ganze Aufmerksamkeit bei ihr liegen sollte. Weswegen ich auch den Kopf schüttle. »Ich kann das jetzt nicht ausdiskutieren. Gerade sollte ich nur an Olive denken. Kannst du Dr. Folk nicht fragen, ob ich sie nur einmal kurz sehen kann?«

Miles’ Blick wird weicher, während er mit beiden Händen über meine Oberarme streicht. »Ich kann gern fragen«, sagt er und zieht mich in seine Arme.

Als ich einmal tief einatme, steigt mir sein vertrauter Duft in die Nase. Ich drücke mich fester an ihn. Will so dicht an ihm sein, wie es nur geht. Wir stehen eine ganze Zeit einfach so da und obwohl eben noch alles irgendwie zu viel gewesen ist, spüre ich jetzt nur Leere in mir. Als hätte ich mich entladen.

Irgendwann löse ich mich von ihm. »Ich glaube, ich gehe mich mal ein bisschen frisch machen.«

Er drückt mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor ich im Badezimmer verschwinde.

Unter der Dusche lasse ich das heiße Wasser über meinen Körper fließen. Je länger ich hier stehe, desto mehr spüre ich den stechenden Schmerz in meinen Beinen. Wahrscheinlich ein Überbleibsel der letzten Nacht. Ich fühle den kalten Beton quasi noch unter meinen Knien. Genauso wie das Regenwasser, das langsam durch meine Jeans sickerte, und auch die winzigen Steine und Scherben, die sich in mein Fleisch bohrten. Offenbar haben die Ereignisse nicht nur Spuren in meinem Inneren hinterlassen.

Mit geschlossenen Augen greife ich nach der Seife. Sofort steigt mir Miles’ Geruch in die Nase. Ich reibe mir damit über die Arme. Immer und immer wieder. Hoffe, damit die Schatten loszuwerden. Irgendwann brennt meine Haut. Sie ist wund und fühlt sich genauso an, wie es gerade in mir aussieht. In meinem Kopf spielt sich nun fortlaufend Miles’ und mein Gespräch ab. Diese blanke Panik, die mich eingenommen hat, als ich mit ihm über Olive gesprochen habe. All die Dinge, die gleichzeitig auf mich einschossen. Diese Furcht vor Schuldzuweisungen habe ich lange nicht mehr empfunden, aber ist sind dennoch tief in mir verankert. Gerade bin ich mir nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Doch je länger ich hier stehe, desto bewusster wird mir, dass meine durchgebrannten Nerven mir nicht weiterhelfen. Irgendwie muss ich es schaffen, ruhiger zu bleiben. Mich nicht von meiner Furcht leiten zu lassen. Vielleicht sollten wir einfach über das, was gestern Nacht passiert ist, sprechen. Die Stunden rekonstruieren und das ohne überkochende Gefühle. Das könnte mir eventuell guttun. Wie ein Anker, der mich in der Realität hält. Inzwischen tanzen meine Gedanken nicht mehr wild herum. Die Angst um Olive ist natürlich noch da, aber die Panik ist für den Moment verflogen.

***

Als ich mit frisch gewaschenem Haar und geputzten Zähnen aus dem Badezimmer komme, finde ich das Bett leer vor. Auch so kann ich Miles nirgendwo sehen, aber ich höre Geschirrklappern. Wahrscheinlich ist er in der Küche.

Bevor ich den Geräuschen folge, schnappe ich mir ein weites Shirt und eine Leggings.

Der Duft von Kaffee zieht durch die untere Etage des Lofts. Mein Körper schlägt sofort auf das leicht nussige Aroma an. Wie ich es erwartet habe, lehnt Miles in Hoodie und Jogginghose an der Arbeitsplatte und hantiert am Herd herum. Neben ihm läuft die schwarze Flüssigkeit in eine schneeweiße Tasse.

Ich trete näher an ihn heran und ziehe mir das Handtuch vom Kopf. Mit dem Frotteestoff knete ich die feuchten Haarspitzen aus. »Was hat Dr. Folk gesagt? Kann ich zu Olive?« Meine Worte triefen nur so vor Hoffnung.

Miles ruckt überrascht zu mir herum. Offenbar hat er mich nicht kommen hören.

Doch als mich sein Blick trifft, weiß ich schon, wie die Antwort lauten wird. Seine dunklen Augen sind voller Bedauern. »Er hat mir gesagt, dass Olive weiterhin absolute Ruhe braucht. Aktuell darf niemand zu ihr außer das medizinische Personal. Er hat mir aber versichert, dass er sich sofort meldet, sobald sich das ändert.«

Ich nicke. »Okay.« Meine Stimme klingt belegt. Tränen versuchen, sich einen Weg an die Oberfläche zu bahnen. Mit aller Kraft probiere ich sie zu verdrängen, dabei balle ich meine Hände zu Fäusten. Alles, nur nicht schon wieder weinen.

»Wollen wir uns setzen?«, fragt Miles und hebt die beiden Tassen hoch.

»Okay«, sage ich, bevor ich mich mit schweren Gliedern auf einen der Barhocker hieve.

Meine Finger umklammern den heißen Kaffee, der vor mir steht, wie einen Rettungsring. Ich beobachte den emporsteigenden Dampf.

»Kannst du mir erzählen, was genau passiert ist, nachdem ich dich angerufen habe?« Daran kann ich mich nämlich noch erinnern. Ich weiß noch, wie Olive vor mir gelegen hat und ich mein Handy gezückt habe.

»Klar.« Unsicherheit huscht über sein Gesicht.

»Miles, es ist in Ordnung. Ich kann jetzt nicht zu Olive? Das gefällt mir nicht. Offenbar muss ich mich damit aber zufriedengeben. Nun kann ich aber die Zeit nutzen, um selbst wieder auf die Beine zu kommen, damit ich für sie da bin, wenn sie mich braucht.«

Ein kaum zu erkennendes Schmunzeln breitet sich auf Miles’ Lippen aus. Doch so schnell, wie der Anflug aufkam, verschwindet er auch wieder. Beinah könnte man meinen, dass es nie da gewesen ist.

Bevor er anfängt zu sprechen, nimmt er einen Schluck aus seinem Becher. Erst dann beginnt er zu erzählen, wie ich ihn angerufen habe und dass er und Archer sofort zu uns gekommen sind. Es ist enttäuschend zu hören, dass weder seine Schwestern noch Matti eine Spur von Sev finden konnten. Dafür können sie natürlich nichts. Trotzdem habe ich gehofft, dass diesem furchtbaren Menschen ein Fehler unterlaufen ist und wir nun vielleicht eine klitzekleine Chance gehabt hätten, hinter die Identität meines Stalkers zu kommen.

Miles’ Telefon klingelt und reißt uns damit aus unserem Gespräch. Es liegt zwischen uns auf der Marmorplatte und dreht sich leicht durch die Vibration. Malous Name prangt darauf.

»Na, geh schon ran«, sage ich, als Miles nicht direkt danach greift.

Er schaut etwas widerwillig, nimmt den Anruf dann aber entgegen.

Ich nippe an meinem Kaffee. Durch den Lautsprecher höre ich nur Gemurmel, aber ich will die beiden ja auch nicht belauschen.

»Muss das heute sein?«, fragt Miles und sieht mich dabei an. Seine Stimme klingt angespannt.

Kurz herrscht Stille, dann fährt Miles sich frustriert über das Gesicht. »Malou, ich verstehe das, aber eigentlich habe ich Matti gebeten, dass er mich vertritt. Was soll denn überhaupt so wichtig sein, dass wir es jetzt besprechen müssen?«

Ich strecke meine Hand nach ihm aus und lege sie auf seinen Arm. »Geh ruhig. Ich komme schon klar.«

»Warte mal kurz, Malou.« Miles hält das Mikrofon zu und wendet sich an mich. »Ich will nicht mitten in der Unterhaltung gehen.«

»Wenn sie sagt, dass es dringend ist, solltest du gehen.« Auch wenn ich das Gespräch gerne zu Ende geführt hätte, ist es okay. Meine Gedanken sind leiser, die Panik ist leiser. »Wir können einfach später weitersprechen.« Ich versuche mich an einem sachten Lächeln. Wahrscheinlich erreicht es meine Augen nicht, aber gerade ist es das Einzige, was ich zustande bringe.

Miles lächelt mich an und es ist auf eine gewisse Art dankbar, aber auch traurig.

Als er die Hand vom Telefon nimmt, sagt er: »Malou, ich bin wieder da. Dann sehen wir uns in fünf Minuten in meinem Büro.«

Kapitel6April

»Was machst du denn hier?«, fragt Archer mich, kaum dass der Fahrstuhl sich geöffnet hat. Er liegt mit dem Rücken zu mir auf der Couch und wirft mir einen fragenden Blick über die Schulter zu. Auf seinen angewinkelten Knien balanciert er ein silberfarbenes Notebook.

»Miles musste sich mit Malou in seinem Büro treffen. Ich dachte, ich komme mal her und sag Hallo.«

Als ich sein Wohnzimmer betrete, komme ich mir etwas nutzlos vor. Vielleicht ist das doch keine gute Idee gewesen? Bevor Miles gegangen ist, hat er mich zwar gefragt, ob ich mitkommen möchte, doch ich habe abgelehnt. Wenn Malou meine Anwesenheit nichts ausgemacht hätte, wäre sie bestimmt einfach vorbeigekommen und hätte nicht extra darum gebeten, dass sie sich in seinem Büro treffen.

Da ich aber auch ein bisschen Angst davor hatte, dass mich die Stille erdrücken würde, dachte ich, ich schaue mal bei Archer vorbei. Denn allein sein will ich gerade wirklich nicht. Wenn ich in Gesellschaft bin, kann ich mich bestimmt am ehesten davon ablenken, dass ich noch nicht zu Olive darf. Bei dem Gedanken kribbelt meine Haut und meine Augen fangen verdächtig an zu brennen. Schnell blinzle ich das Gefühl davon und pule nervös an meiner Nagelhaut. Das ist so eine dämliche Angewohnheit.

»Klar, setz dich.« Archer deutet mit seinem Kopf auf den Platz neben ihm. Ich gehe rüber und lasse mich zu seinen Füßen auf die Polster fallen.

»Ich wusste gar nicht, dass du auch so was machst.« Dabei schaue ich auf den Bildschirm, damit er weiß, wovon ich rede.

Er schmunzelt. Es ist dieses typische schelmische Lächeln, dass er ständig durch die Gegend trägt. »Du wusstest nicht, dass ich arbeite?«

»Nein, das schon. Ich dachte nur, du bist eher der Typ für die … physischen Dinge. Da, wo man eben anpackt, und nicht der, der mit Zahlen jongliert.« Entschuldigend zucke ich mit den Schultern.

»Stimmt schon. Ich wüsste mit meiner Zeit Besseres anzufangen, aber es gehört eben dazu.«

Archer beäugt mich über seine Knie hinweg, auf denen immer noch der aufgeklappte Laptop liegt. Er neigt den Kopf und seine sturmgrauen Augen sehen mich fragend an. Sein Blick durchbohrt mich förmlich. Unsicher streiche ich mir über die Arme.

»Sabrina gar nicht da?« Die Frage rutscht mir einfach raus.

»Sie ist eben los zu ihrer Schicht.«

»Weiß sie schon über Olive Bescheid?«

»Jap, ich habe es ihr heute früh direkt erzählt. Erst hat sie sich gefreut, aber sie macht sich auch riesige Sorgen. Ich glaube, deswegen ist sie früher zur Arbeit. Wahrscheinlich um sich ein bisschen abzulenken.«

»Vielleicht sollte ich das auch machen«, sinniere ich vor mich hin.

Als ich meinen Blick zu Archer wende, verzieht sich sein Gesicht. Mit entschlossener Miene klappt er den Bildschirm herunter und legt das Notebook auf dem Couchtisch ab. »Das wäre bestimmt ne dumme Idee.«

»Was meinst du?«, frage ich irritiert.

»Die letzten drei Tage ging es dir echt mies. Aufzuwachen und sich direkt in irgendeine Arbeit zu stürzen, ist bestimmt nicht so klug.«

Drei Tage? »Was redest du da?«

Er lacht auf, als er sagt: »Weißt du, welchen Tag wir haben?«

Der tut ja so, als hätte ich im Koma gelegen und könnte an einer Amnesie leiden. Heute ist Samstag. Gestern hat mich Sev in eine Lagerhalle geschickt und mein Leben noch etwas mehr Richtung Abgrund getrieben.

»Samstag«, sage ich mit voller Überzeugung.

Doch Archer schüttelt den Kopf.

Wieso schüttelt er den Kopf?

»Wir haben Dienstag.«

»Dienstag?«, platzt es aus mir raus. Er greift zu seinem Handy, das neben ihm auf der Couch liegt. Er drückt auf den Bildschirm und da erscheint sein Sperrbildschirm. Darauf sind Miles, Myla, Malou und er selbst zu sehen. Sie stehen an einem See, mitten im Wald. Alle tragen sie Fleecejacken und geschnürte Wanderschuhe. Darüber prangt groß die Uhrzeit 10:32 Uhr und darunter steht etwas kleiner neben dem nummerischen Datum Dienstag.

Es ist tatsächlich nicht Samstag. Ich merke selbst, wie mir die Gesichtszüge entgleiten. Meine Selbstsicherheit weicht und Panik kribbelt unter meiner Haut. »Das … da … wie?«

»Hast du nicht mit Miles gesprochen?«

Wie ferngelenkt schüttle ich den Kopf. Es fühlt sich an, als würde ich rasend schnell mein Gesicht hin und her wenden, aber vermutlich sind meine Bewegungen so zügig wie die Flugbahn einer Kugel in Zeitlupe. »Doch, schon, aber offenbar nicht darüber.« Vermutlich wollte er mir genau das noch erklären, bevor Malou angerufen hat. Im Grunde hätte es mir auch selbst auffallen können, doch als ich auf mein Handy gesehen habe, habe ich nur auf Sevs Nachricht gestarrt.

»Als wir euch aus der Halle geholt haben, ist Olive zu Dr. Folk gekommen«, sagt Archer schließlich. »Dich hat Miles in sein Schlafzimmer gebracht. Er hat dich kaum allein gelassen und selbst wenn, dann nur kurz. Du warst immer mal wach, aber nicht wirklich da. Dann bist du wieder abgedriftet und hast geschlafen. Zwei volle Tage hast du das durchgezogen. Wir haben dich natürlich auch mal durchchecken lassen, aber man sagte uns, dass es der Schock ist, irgendwas von Schutzreaktion des Körpers oder so was.«

Ich war tatsächlich mehrere Tage nicht ich selbst und ich dachte, dass ich gerade mal ein paar Stunden geschlafen hätte.

»Gestern war Miles kurz davor, dich zu schütteln, damit du endlich mal auf irgendwas reagierst. Der Junge war echt fix und fertig, wenn du mich fragst …«

O Mann. Natürlich wird Miles sich unglaubliche Sorgen gemacht haben. Wenn ich mir vorstelle, dass das andersherum gewesen wäre … ich glaube ich wäre vor Angst gestorben.

Frustriert lasse ich den Kopf in meine Hände fallen. Wieso genau dachte ich noch mal, ich könnte mich einfach so von meinen Ängsten und Gedanken ablenken, wenn ich hierherkomme?

»Sag mal, was ist denn mit dir los?« Archers Hand legt sich tröstend auf meinen Rücken.

Als ich wieder zu ihm aufsehe, kann ich meinen Schutzschild nicht mehr aufrechterhalten. »Das ist alles so überfordernd«, platzt es mehr oder weniger aus mir heraus. Auf Archers Gesicht breitet sich ein wissender Ausdruck aus.

»Natürlich, aber das ist doch ganz normal.«

Trocken lache ich auf. »Schon witzig, dass man in so einer Situation überhaupt einschätzen kann, ob etwas normal ist oder nicht. Denn aktuell fühlt sich rein gar nichts gewöhnlich an.« Wow. Das klingt selbst in meinen Ohren verbittert.

»Ja, das stimmt wohl. Doch du bist damit nicht allein. Wir stehen alle hinter dir, weil wir doch diese kleine eigenartige Familie sind.«

Archers süße Worte sind ein wenig Balsam für meine Seele.

»Danke, dass du das sagst. Das ist nicht selbstverständlich für mich.« Wahrscheinlich bräuchte ich diesen Zusatz gar nicht auszusprechen. Immerhin weiß Archer über das Verhältnis zu meiner Familie Bescheid.

»Das kann ich nur zurückgeben. Du hast hier einiges verändert – und das ins Positive.«

»Ich? Die, die nur Probleme anschleppt?«

»Ja. Du tust Miles gut. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Junge sich freiwillig eine Auszeit nehmen wollte. Doch seitdem du in sein Leben getreten bist, hat sich das gewandelt. Er hat Matti mehr Verantwortung übertragen, damit er sich einfach mal freinehmen kann. Endlich kümmert er sich mal um sich. Das war früher undenkbar. Das wirkt sich selbstverständlich auch auf sein Umfeld aus. Wenn du mir nicht glaubst, fragt seine Schwestern. Ich denke nicht, dass die das anders sehen werden.«

Könnte das wirklich der Fall sein? Das würde bedeuten, dass ich nicht nur eine Belastung bin. Miles hat mir auf so vielen Ebenen gutgetan. Zu hören, dass es ihm ebenso geht und seine Familie und Freunde das sogar bemerken, fühlt sich wahnsinnig gut an. Denn bei dem ganzen Kram, den ich mit anschleppe, könnte es auch gut andersherum sein.

Gerade will ich das Archer sagen, da vibriert mein Handy, welches neben mir auf dem Polster liegt. In der Annahme, dass es Miles sein wird, greife ich danach. Doch schlagartig werde ich von der grausamen Realität eingeholt.

Mal wieder prangt eine Nachricht von Unbekannt auf meinem Sperrbildschirm. Sie verdeckt Miles’ Gesicht, dass ich darauf sonst sehe. Dass es ausgerechnet Sev ist, der sein Bild mit der SMS bedeckt, macht die Tatsache, dass er sich bei mir meldet, nur noch schlimmer.

Ich klicke darauf und durch die Gesichtserkennung entsperrt sich das Telefon.

Unbekannt: Da ihr noch keine Beerdigung veranstaltet habt, gehe ich davon aus, dass Olive überlebt hat? Ich war mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob sie es schaffen würde. Sie war das letzte Häufchen Elend – wirklich nicht schön mitanzusehen. Wäre Black nicht so schnell zu dir geeilt, wäre sie bestimmt verreckt. Ein bisschen habe ich darauf ja gehofft.

Dass du dich nicht an unsere Abmachung gehalten hast, gefällt mir ganz und gar nicht. Nun sitze ich aber hier und überlege, was ich mit der restlichen Zeit bis zum 15. Januar noch anfangen könnte.

Leider habe ich meine Worte bei unserer letzten Unterhaltung nicht gut gewählt. Das ist ärgerlich, denn ich mache sehr ungern Fehler.

Du hast das Land nicht verlassen, also werde ich mir kein neues Opfer suchen. Immerhin halte ich mich an mein Wort. Außer du entscheidest dich noch um und versuchst, nach Übersee zu flüchten …

Was Olive angeht … die ist mir egal. Es ging mir immer nur um dich.

Sev

PS: Jetzt, da du Olive von mir zurückbekommen hast, müsstest du eigentlich zurück in deinen goldenen Käfig – immerhin haben wir das so verabredet.

Betrachte diese Forderung aber als hinfällig. Es gefällt mir, wie du deinen Eltern das Leben schwer machst, indem du nicht tust, was sie von dir verlangen. Also solltest du lieber zusehen, dass mir das weiterhin gefällt. Lass es nicht langweilig werden, sonst überlege ich es mir vielleicht doch noch anders.

Bis zu unserem Treffen dauert es ja noch ein bisschen … da ist viel Raum für meine Fantasien.

Was ein Psycho! Glaubt er wirklich, irgendeinem moralischen Kompass zu folgen? Und es klingt ja schon beinahe so, als würde er mir unterschwellig vorwerfen, dass ich das nicht tun würde.

Trotzdem ermahnen mich seine Worte erneut, dass ich mich nicht irgendwohin absetzen könnte. Niemals würde ich etwas tun, damit sich Olives Schicksal wiederholt.

Erst als das Klingeln eines Handys ertönt, kann ich mich aus dem Tunnel meiner Gedanken losreißen. Doch es ist nicht meins. Auf dem Bildschirm sehe ich weiterhin nur den Chat mit Sev. Als ich aufsehe, wird mir bewusst, dass es Archers ist. Er nimmt den Anruf mit einem simplen und kühlen »Ja« entgegen.

Ich kann nicht hören, was am anderen Ende der Leitung gesagt wird, aber sein Gesicht ist zu einer ernsten Miene verzogen.

»Sie sollen unten warten. Ich hole sie ab.« Seine Worte sind schneidend. Als er auflegt, wirft er das Telefon mit dem Bildschirm voran auf den Tisch.

»Was ist los?«, frage ich ihn.

Er lacht trocken auf. »Auf dich wartet ganz besonderer Besuch.«

Kapitel7Miles

Als ich auf meine Bürotür zugehe, ist diese bereits nur angelehnt, dabei schließe ich sie immer zu. Ich drücke sie auf und sehe Malou auf meiner Couch liegen. Vielleicht auch eher hängen. Das ist Definitionssache.

»So, hier bin ich.«

Als sie meine Stimme hört, schreckt sie zusammen.

»Ähm, ja, danke, dass das geklappt hat.«

»Du klangst so geheimnisvoll.« Ich gehe an ihr vorbei und lege mein Telefon auf dem Schreibtisch ab. »Wird das hier lang dauern?« Meine Ungeduld kann ich schlecht verbergen. Malou arbeitet nicht für das Familienunternehmen, daher verstehe ich nicht so ganz, warum wir uns gerade hier zu zweit treffen mussten.

Sie richtet sich auf dem kleinen Chesterfield-Sofa auf. Meine Frage ignoriert sie geflissentlich. »Du erinnerst dich doch noch daran, dass ich meinte, ich würde mir lieber alle Zähne selber ziehen, als im Familiengeschäft zu arbeiten?«

Ich nicke knapp. »O ja. Ich weiß noch, wie du es uns malerisch und sehr genau erklärt hast. Es wundert mich eigentlich, dass es dazu keine PowerPoint-Präsentation mit vielen Bildern gegeben hat.«

»Guter Einwand.«

Guter … Was? Überrascht betrachte ich meine Schwester. Sie gibt mir recht. Irgendwas ist im Busch. »Was ist hier los?«

»Ich würde mich hier doch gerne einbringen.«

Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen. »Witzig. Beinah wäre ich drauf reingefallen. Das hast du echt gut gespielt. Hast du während der Uni Dramatik als Nebenfach gewählt?« Darauf verdreht sie nur die Augen. Schmunzelnd setze ich nach. »Jetzt aber raus mit der Sprache, was wolltest du wirklich von mir?«

»Miles, das war kein Witz. Ich habe mir das lange und gut überlegt.«

Ich sehe meine Schwester an und plötzlich entgleisen mir meine Gesichtszüge. Malou knetet angespannt die Hände in ihrem Schoß, die Schultern hängen ein bisschen und ihr Gesicht hat auffällig wenig Farbe. Ihr kurzer schwarzer Bob, der ihr Gesicht mit einem graden Pony einrahmt, sitzt wie immer perfekt. Doch ihre Strickjacke ist schief geknöpft und aus ihren Stiefeln schaut eine blaue und eine schwarze Socke heraus. Ich glaube, das letzte Mal habe ich sie so gesehen, als sie ein Kind gewesen ist.

»Das meinst du echt ernst?« Woher kommt denn dieser Sinneswandel?

»Ja, das ist mein voller Ernst. Ich glaube, dass es das Richtige für mich ist.«

»Und wie hast du dir das vorgestellt? Willst du, dass wir das Geschäft zu dritt leiten?« Bisher haben Archer und ich uns die Arbeit immer untereinander aufgeteilt. Er ist mehr der praktische Typ und die Büroarbeit nervt ihn, aber dafür haben wir immer eine passende Lösung gefunden.

Er entfaltet sich bei seinen Uber-Touren, was nur so fürs Protokoll komplett auf seinem Mist gewachsen ist. Eine seiner verrückten Schnapsideen, aber er liebt es. Ich würde es hassen. Zu viele Menschen – zu viel Small Talk. Deswegen findet man mich meistens hier. Ich brühte über den Zahlen und setze mich mit unseren Angestellten auseinander. Wenn Malou gleichgewichtet in der Führung mitwirken will, müssten wir einiges umstrukturieren, das wäre viel Planung, aber dafür könnten wir einen Weg finden.

»Nein.« Sofort wedelt sie abwehrend zwischen uns mit ihren Händen. »In den letzten Monaten habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht. Seit ich nicht mehr zur Uni gehe, habe ich massig Stunden am Schießstand verbracht. Außerdem habe ich mir verschiedene Kampfsportarten angesehen. Inzwischen trainiere ich täglich. Ich will etwas tun, bei dem ich etwas verändern kann.«

Ich ahne Böses. »Du willst also das Mädchen fürs Grobe werden?«

»Traust du mir das nicht zu? Nur weil ich eine Frau bin, heißt das nicht, dass ich zu zimperlich bin.«

»Ach das ist doch Quatsch. Jeder der dich kennt, weiß, dass du das Zeug für so was hast.« Es ist nur so, dass ich mir als großer Bruder Sorgen mache, wenn ich mir vorstelle, was sie da vorhat. Wenn ich mir vorstelle, dass meine kleine Schwester die Monster dieser Stadt nicht vom Schreibtisch aus zur Strecke bringen, sondern mit geladener Waffe bei ihnen einmarschieren will, wird mir ganz anders. Doch das brauche ich ihr nicht sagen, denn das würde sie eh nicht davon abhalten.

»Aber?«

»Nichts aber … nur bist du dir ganz sicher? Hast du dir das gut überlegt? Diese Branche bringt Risiken mit sich.«

»Das ist mir alles sehr bewusst und ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, aber es ist genau das, was ich machen will.«

»Dann werden wir hier einen Platz für dich finden.«

Malou atmet geräuschvoll aus. Sogar ihr durchgestreckter Rücken sackt etwas zusammen.

»Dachtest du, ich reiße dir den Kopf ab?«

»Ja, so in etwa. Auf jeden Fall bin ich davon ausgegangen, dass du Nein sagst.«

»Glaub mir, das will ich auch, aber was würde es bringen? Du hast noch nie auf mich gehört.«

»Das stimmt.«

»Warst du deswegen neulich bei unserem Meeting?« Ich erinnere mich noch ziemlich genau daran, dass sie mir damals nicht verraten wollte, warum sie da war. Es war der Tag, nachdem ich April das erste Mal getroffen hatte.