Newtons Schatten - Philip Kerr - E-Book

Newtons Schatten E-Book

Philip Kerr

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Beschreibung

London 1696: Der berühmte Mathematiker, Physiker und Astronom Sir Isaac Newton erhält die Aufsicht über die königliche Münzanstalt. Die neue Aufgabe lässt sich nicht gut an: In London wimmelt es von Geldfälschern. Sein Gehilfe Ellis beschäftigt sich mehr mit Newtons schöner Nichte als mit seiner Arbeit. Als jedoch auch noch eine Mordserie im Tower Angst und Schrecken verbreitet, nimmt Newton mit wissenschaftlichem Spürsinn die Verfolgung der Mörder auf. «Newtons Schatten» ist ein packender Kriminalfall aus der Feder von Englands brillantem Thriller-Autor, ein atmosphärisch dicht erzählter, ebenso amüsanter wie spannender historischer Roman. «Holmes & Watson heißen hier Newton & Ellis.» (Die Zeit) «Ein glänzender, erfindungsreicher Thriller-Autor.» (Salman Rushdie) «Philip Kerr hat aus historischen Ereignissen und den Erkenntnissen der modernen Wissenschaft einen aufregenden und dichten Plot gewoben, der zwar im 17. Jahrhundert spielt, aber durchaus Parallelen zu unserer Zeit aufweist.» (NDR) «‹Newtons Schatten› ist ein biographischer Roman mit vielen historischen Details – und ein packender Krimi.» (Berliner Morgenpost)

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Seitenzahl: 516

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Philip Kerr

Newtons Schatten

Roman

Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann

Für Naomi Rose

PROLOG

Mache dich auf, werde Licht;

denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit 

des Herrn geht auf über dir!

Jesaja 60, 1

Ich habe geschworen, diese Geschichte keinem Menschen zu erzählen, solange Newton am Leben wäre.

Am Morgen des achtundzwanzigsten März 1727 – eine gute Woche nach Sir Isaac Newtons Tod – nahm ich mit Doktor Samuel Clarke, einem Freund und Kommentator Newtons, eine Mietkutsche von meiner neuen Wohnung in der Maiden Lane in Covent Garden zur Westminster Abbey, um Newton dort öffentlich aufgebahrt zu sehen wie einen berühmten griechischen Helden.

Wir fanden ihn in der Jerusalemkapelle, einem eichengetäfelten, mit einem mächtigen Kamin ausgestatteten Saal im südwestlichen Teil der Abbey, wo sich noch Tapisserien und Buntglasfenster aus der Zeit HenryIII. und Marmorbüsten von HenryIV. und HenryV. befinden. Es heißt, HenryIV. habe eines Tages beim Beten in der Abbey einen Anfall erlitten und sei in die Jerusalemkapelle gebracht worden, wo er starb und so die Prophezeiung erfüllte, er werde in Jerusalem sterben.

Ich kann nicht beurteilen, ob Henrys steinernes Porträt gelungen war, aber Newtons Einbalsamierer hatte seine Arbeit gut gemacht und das Gesicht nicht geschminkt wie das einer Hure, was ein häufiger Fehler dieser Leute ist. Newtons Fleisch wirkte ganz natürlich, so rosig, voll und weich, als schliefe er nur. Und da es nicht merkbar roch, obwohl Newton schon über eine Woche tot war, was für einen unbestatteten Leichnam doch eine ganze Zeit ist, könnte ich jederzeit die Tüchtigkeit des Einbalsamierers bezeugen, denn wenn der Frühling auch noch nicht ganz da war, hatten wir es doch in letzter Zeit schon recht warm gehabt.

Der Mann, den ich im offenen Sarg auf einem langen, massiven Refektoriumstisch liegen sah, trug eine flachsfarbene Allongeperücke, eine schlichte weiße Leinenhalsbinde und einen schwarzen Anzug mit schwarzem Wams. Sein Gesicht war von Falten durchzogen, etwas voll um die Wangen und trotz der scharf geschnittenen Nase, die mich immer an den großen Römer erinnerte, nicht unfreundlich. Ich hatte geglaubt, in seiner Miene vielleicht noch etwas von der scharfsichtigen Intelligenz finden zu können, die einst seine Züge charakterisiert hatte. Vielleicht sogar eine Art höherer Weisheit. Doch im Tod war Newton eine wenig bemerkenswerte Erscheinung.

«Er starb unter großen Schmerzen, von dem Steinleiden», sagte ich.

«Aber dennoch bei klarem Verstand», erwiderte Doktor Clarke.

«O ja. Das war er immer. Newton war der klar denkendste Mensch der Welt. Er sah die gesamte Schöpfung als ein Rätsel, mit gewissen Lösungshinweisen, die Gott in dieser Welt angelegt hat. Oder auch als eine Art verschlüsselter Botschaft, die er durch höchste geistige Konzentration vielleicht entziffern könnte. Ich glaube, er war der Meinung, jemand, der einen irdischen Code zu entschlüsseln vermochte, würde womöglich auch den himmlischen enträtseln können. Er glaubte gar nichts, solange er es nicht als Theorem beweisen oder als Diagramm aufzeichnen konnte.»

«Newton hat uns den goldenen Faden in die Hand gegeben, mit dessen Hilfe wir durch Gottes Labyrinth finden können», sagte Doktor Clarke.

«Ja», sagte ich. «Das mag sein.»

Nach dem Essen kehrte ich in mein Logis in der Maiden Lane zurück. Ich schlief unruhig, allein mit den immer noch schwelenden Erinnerungen an ihn. Ich konnte nicht behaupten, ich hätte Newton gut gekannt. Ich bezweifle, dass es überhaupt je einen Menschen, ob Mann oder Frau, gab, der das von sich hätte behaupten können. Denn er war nicht nur ein seltener Vogel, sondern auch ein scheuer. Und doch kann ich sagen, dass ich ihn eine Zeit lang so gut kannte, wie ihn irgendein Mensch kennen konnte – Mrs.Conduitt ausgenommen.

Bis ich Newton begegnete, verhielt ich mich wie London vor dem Großen Feuer und verschwendete kaum einen Gedanken auf den baulichen Zustand meines Geistes. Doch dann sprang sein Funke auf mich über, und der kräftige Wind seines Denkens entfachte die Flammen in den engen Gassen meines armseligen Hirns – wo sich der Unrat türmte, denn damals war ich jung und töricht–, und das Feuer griff so schnell um sich, dass es nahezu ungehindert wüten konnte.

Wäre es nur das Feuer gewesen, welches die Bekanntschaft mit ihm selbst entzündete, dann wäre vielleicht von dem Mann, der ich war, etwas übrig geblieben. Aber hinzu kam das Feuer in meinem Herzen, entzündet durch seine Nichte, Mrs.Conduitt – oder vielmehr Miss Barton–, und in einem solchen Fall, wenn mehrere Feuer gleichzeitig und an so weit voneinander entfernten Stellen ausbrechen, dann erscheint die ganze Feuersbrunst als das Resultat eines breit angelegten, bösen, übernatürlichen Plans. Für einen allzu kurzen, strahlenden Augenblick war mein Himmel wie von Feuerwerk erhellt. Im nächsten Moment lag ich zerschmettert am Boden, und alles war vom Feuer verzehrt. Meine Kirche irreparabel beschädigt, meine Seele zu nichts verdampft, mein Herz ein kalter, schwarzer Kohlebrocken. Kurzum, mein Leben in Schutt und Asche.

Gewiss, nach dem Feuer kommt der Wiederaufbau. Die vielen großartigen Entwürfe Sir Christopher Wrens. Die St.-Paul’s-Kathedrale. Ja, es ist wahr, ich hatte meine eigenen Projekte. Die Tatsache, dass ich ein pensionierter Colonel bin, lässt wohl vermuten, dass aus der Asche meines alten Lebens etwas Neues erstand. Aber der Wiederaufbau war schwierig. Und nicht gänzlich erfolgreich. Tatsächlich denke ich manchmal, es wäre besser gewesen, wenn ich, wie König Priamos, den Neoptolemos in den brennenden Ruinen Trojas erschlug, nach unserer Trennung gestorben wäre.

Doktor Clarke hatte nicht die Geduld, sich das alles anzuhören. Er neigte zweifellos immer noch zu der Ansicht, dass Doktor Newton jemand war, der die Blinden sehend gemacht hatte. Doch jeder Soldat wird bestätigen, dass man auch zu viel sehen kann. Selbst dem Mutigsten kann beim Anblick des Feindes das Herz in die Hose rutschen. Hätte König Leonidas mit seinen tausend Spartanern den Thermopylenpass zwei volle Tage halten können, wenn seine Männer das ganze riesige Perserheer vor sich gesehen hätten? Nein, es gibt Situationen, in denen es besser ist, blind zu sein.

Clarke hatte gesagt, Newton habe uns den goldenen Faden in die Hand gegeben, mit dessen Hilfe wir durch Gottes Labyrinth finden könnten. Nun, so sah ich sein Werk zunächst auch. Nur dass es der Schöpfer des Labyrinths anders eingerichtet hat: dass das Labyrinth kein Ende hat, weil es unendlich ist, und man an diesem Punkt der Erkenntnis zugleich die schreckliche Entdeckung macht, dass es gar keinen Schöpfer gibt. Aber das Bild des Labyrinths gefällt mir nicht so gut wie das eines Abgrunds oder Erdschlunds, in den uns Newton mit seinem System der Planeten, der fallenden Körper, der Mathematik und der Zeit ein Seil hinablässt, denn das ist eine prekärere Situation, in der die Gravitation ihr unsichtbares Wirken entfalten kann.

Unsichtbares Wirken. Das war Newtons Spezialität. Seine Theorie der Gravitation natürlich. Oder sein Interesse an der Alchemie. Und an Chiffren. Als ich Doktor Clarke erklärte, Newton habe geglaubt, jemand, der einen irdischen Code zu entschlüsseln vermochte, könne vielleicht auch den himmlischen enträtseln, da hätte ich ihm eine Geschichte von Codes und verschlüsselten Botschaften erzählen können, dass ihm die Perücke gequalmt hätte. Aber nein. Doktor Clarke hätte nicht die Geduld gehabt, sich eine Geschichte wie die meine anzuhören, denn sie ist kompliziert, und außerdem bin ich Soldat, kein sonderlich redegewandter Mann. Zudem habe ich keine Übung, da ich diese Geschichte bis heute niemals erzählt habe. Newton selbst hat mich schwören lassen, über diese dunkle Materie, wie er es nannte, Stillschweigen zu bewahren. Doch jetzt, da der große Mann tot ist, sehe ich keinen Grund, nicht davon zu erzählen. Aber wem? Und wo sollte ich anfangen? Ich bin, fürchte ich, zu nüchtern, um jene ungekünstelte Eloquenz und schlichte, aber noble Erzählweise zu meistern, die irgendjemandes Aufmerksamkeit länger fesseln könnte. Das ist die Krankheit der Engländer. Wir sprechen eine zu schmucklose Sprache, um eine Geschichte gut zu erzählen. Ich muss gestehen, da ist vieles in meiner eigenen Geschichte, was ich vergessen habe. Es ist schwer, sich an alles zu erinnern. Das Ganze ist über dreißig Jahre her, und viele Aspekte dieser Geschichte scheinen mein Fassungsvermögen zu übersteigen. Aber vielleicht liegt der Mangel ja in meiner Person, denn ich finde mich selbst nicht sonderlich interessant, schon gar nicht im Vergleich zu Newton. Wie hätte ich mir je zutrauen sollen, jemanden wie ihn zu verstehen? Ich war kein gebildeter Mensch. Eine Schlacht könnte ich besser darstellen als diese Geschichte. Blenheim, Oudenarde, Malplaquet. Bei all diesen Schlachten war ich dabei. In meinem Leben gab es wenig Poesie. Keine eleganten Worte. Nur Pistolen und Degen, Kugeln und Zoten.

Aber vielleicht könnte ich es ja in meinem eigenen Kopf proben. Denn ich möchte schon, dass diese Geschichte eines Tages bekannt wird. Und falls ich mich langweilen sollte, werde ich mir einfach Einhalt gebieten und nicht weiter gekränkt sein. Ich hätte nie gedacht, dass ich, um mich zu erinnern, diese Geschichte aufschreiben müsste. Aber wie sollte ich dahin kommen, sie besser erzählen zu können, außer durch Aufschreiben?

ERSTES KAPITEL

Die Sonne soll nicht mehr dein Licht sein am Tage,

und der Glanz des Mondes soll dir nicht mehr leuchten,

sondern der Herr wird dein ewiges Licht

und dein Gott wird dein Glanz sein.

Jesaja 60, 19

Am Donnerstag, den fünften November 1696, gingen die meisten Leute in die Kirche. Ich aber ging ein Duell austragen.

Der Tag der Pulververschwörung war für die Protestanten ein doppelter Anlass zum Feiern: An diesem Tag im Jahr 1605 war König JamesI. vor einem römisch-katholischen Komplott errettet worden, welches das Parlament in die Luft sprengen wollte, und am gleichen Tag im Jahr 1688 war der Prinz von Oranien in Torbay gelandet, um die Kirche von England aus der unterdrückerischen Hand eines anderen Stuarts, König JamesII., zu erretten. Überall in der Stadt wurden an diesem Tag Gedenkpredigten gehalten, und ich hätte gut daran getan, mir eine davon anzuhören, denn die Gedanken ein wenig auf die himmlische Errettung zu lenken hätte mir vielleicht geholfen, meinen Zorn gegen die papistische Tyrannei zu kehren statt gegen den Mann, der mich in meiner Ehre gekränkt hatte. Aber mein Blut war in Wallung, und ich hatte nichts anderes im Kopf als den Kampf, und so ging ich mit meinem Sekundanten zu Fuß zum World’s End in Knightsbridge, wo wir eine Scheibe Rinderbraten und ein Glas Rheinwein als Frühstück zu uns nahmen, und dann in den Hyde Park, wo mich mein Gegner, Mister Shayer, bereits mit seinem Sekundanten erwartete.

Shayer war ein hässlicher Kerl. Seine Zunge war zu groß für seinen Mund, sodass er lispelte wie ein kleines Kind. Ich begegnete ihm etwa so, wie ich einem tollwütigen Hund begegnet wäre. Ich weiß nicht mehr, worum unser Disput ging. Ich kann nur sagen, dass ich damals ein streitlustiger junger Mann war und dass die Schuld wahrscheinlich auf beiden Seiten lag.

Es wurden weder Entschuldigungen verlangt noch welche vorgebracht, und wir warfen alle vier rasch die Röcke ab und gingen mit Degen aufeinander los. Ich hatte einiges Geschick mit der Waffe, da ich bei Mister Figg in der Oxford Road fechten gelernt hatte, aber dieser Kampf entbehrte jeder fechterischen Raffinesse, und ich machte kurzen Prozess und traf Shayer in die linke Brust, was, da der Stich so dicht beim Herzen lag, dem armen Kerl eine Todesangst einjagte und mir die Angst vor gerichtlicher Verfolgung, da Duelle seit 1666 gesetzlich verboten waren. Die meisten Duellanten scherten sich wenig um die möglichen juristischen Folgen ihres Tuns, aber Mister Shayer und ich waren beide in der Rechtsschule, dem Gray’s Inn, um Erfahrungen mit der englischen Rechtspraxis zu sammeln, und unser Kampf verursachte rasch einen Skandal, der mich zwang, von der Advokatenkarriere Abschied zu nehmen.

Für die Juristenzunft war das wahrscheinlich kein großer Verlust, denn ich hatte wenig Interesse an der Juristerei und noch weniger Talent dazu. Ich hatte diese Laufbahn nur meinem verstorbenen Vater zuliebe eingeschlagen, welcher vor diesem Berufsstand großen Respekt gehabt hatte. Und was hätte ich auch anderes tun sollen? Wir waren keine reichen Leute, wenn auch nicht ohne Beziehungen. Mein älterer Bruder, Charles Ellis, der später Parlamentsmitglied wurde, war damals Untersekretär bei William Lowndes, dem Ständigen Sekretär des Ersten Lords des Schatzamtes. Letztere Position hatte bis zu seinem unlängst erfolgten Rücktritt Lord Godolphin innegehabt. Zu dessen Nachfolger hatte der König den bisherigen Schatzkanzler, Lord Montagu, ernannt, welchem Newton seine Bestallung als Münzwardein sechs Monate zuvor, im Mai 1696, verdankte.

Mein Bruder erklärte mir, bis zu Newtons Amtsantritt seien mit dem Münzwardeinposten so gut wie keine Pflichten verbunden gewesen, und Newton habe ihn in der Erwartung angenommen, das Salär für wenig Arbeit kassieren zu können, aber die Große Münzerneuerung habe dem Amt weit mehr Bedeutung verliehen, als es bisher gehabt habe, und Newton sehe sich jetzt gezwungen, als oberster Währungsschützer zu fungieren.

Und die Währung hatte Schutz dringend nötig, denn sie hatte in letzter Zeit sehr gelitten. Hauptzahlungsmittel im Königreich war – da sich Gold kaum im Umlauf befand – das Silbergeld, bestehend aus Sechspence-Stücken, Schillingen, Halben Kronen und Kronen; doch bis zur großen, mechanisierten Neuprägung waren all diese Münzen größtenteils handgeschlagen, mit einem schlecht gekennzeichneten Rand, der dem Abschneiden und Abfeilen Vorschub leistete. Bis auf eine Partie Münzen, die nach der Restauration geschlagen worden war, datierte keins der im Umlauf befindlichen Geldstücke von nach dem Bürgerkrieg, und ein Großteil war noch von Königin Elisabeth ausgegeben worden.

Das Schicksal warf das Münzwesen noch weiter aus dem Ruder, als nach Williams und Marys Thronbesteigung der Gold- und Silberpreis in die Höhe schoss, sodass jetzt der Silberwert eines Schillings den Nennwert weit überstieg. Oder jedenfalls hätte übersteigen müssen. Ein frisch geschlagener Schilling wog dreiundneunzig Gran, obwohl er beim jetzigen Silberpreis nur noch siebenundsiebzig Gran hätte wiegen müssen, aber noch irritierender war, dass, beim abgegriffenen, abgewetzten, beschnittenen und abgefeilten Zustand des alten Geldes, ein solcher Schilling oft nur fünfzig Gran wog. Aus diesem Grund neigten die Leute dazu, die neuen Münzen zu horten und die alten zurückzuweisen.

Das Münzerneuerungsgesetz war im Januar 1696 vom Parlament verabschiedet worden, was die Lage jedoch nur verschlimmerte, da das Parlament so unvorsichtig war, das Ende des alten Geldes zu beschließen, ehe gesichert war, dass ausreichende Mengen vom neuen existierten. Und den ganzen Sommer – wenn man diese Zeit angesichts des schlechten Wetters so nennen konnte – war das Geld so knapp gewesen, dass man täglich Unruhen befürchtete. Denn wie sollte man ohne gutes Geld Männer bezahlen, wie Brot kaufen? Als sei das alles noch nicht Sprengstoff genug, addierte sich zu diesen Kalamitäten noch das betrügerische Treiben von Bankiers und Goldschmieden, die, nachdem sie durch Wucher immense Schätze angehäuft hatten, ihr Gold und Silber in Erwartung einer weiteren Wertsteigerung horteten. Ganz zu schweigen von den Banken, die täglich gegründet wurden oder faillierten, und der unerträglich hohen Besteuerung von allem und jedem, außer dem weiblichen Körper und einem ehrlichen, lächelnden Gesicht, wobei Letzteres allerdings eine Seltenheit war. Tatsächlich herrschte überall ein solcher Mangel an Gemeinsinn, dass die Nation unter der Last all dieser Probleme zusammenzubrechen schien.

Da Charles wusste, dass ich dringend eine Stellung und Newton nicht minder dringend einen Gehilfen benötigte, ersuchte er Lord Montagu, bei Newton ein gutes Wort für mich einzulegen – und das, obwohl Charles und ich uns nicht so gut vertrugen, wie wir es als Brüder hätten tun sollen und einst auch getan hatten. Und so wurde es schließlich arrangiert, dass ich zu Doktor Newton in die Jermyn Street gehen sollte, um mich ihm persönlich vorzustellen.

Ich erinnere mich gut an diesen Tag: Es herrschte grimmiger Frost, man munkelte von weiteren katholischen Verschwörungen gegen den König, und die Jagd auf Jakobiter war bereits im Gang. Aber ich erinnere mich nicht, dass Newtons Reputation mein junges Gemüt besonders beeindruckt hätte; im Unterschied zu Newton, der Professor in Cambridge war, hatte ich in Oxford studiert, und wenn ich auch die Klassiker kannte, wäre ich doch zu einem Disput über irgendein mathematisches System – geschweige denn eins, dass das ganze Universum betraf – ebenso wenig fähig gewesen wie zu einer Diskussion über die Natur des Spektrums. Ich wusste nur, dass Newton, so wie Mister Locke und Sir Christopher Wren, zu den gelehrtesten Männern Englands gehörte, ohne dass ich hätte sagen können, warum: Damals waren Spielkarten meine Lektüre und hübsche Mädchen mein Fachgebiet, denn die Frauen hatte ich eingehend studiert, und im Gebrauch von Degen und Pistole war ich so versiert wie andere mit Sextant und Zirkel. Kurzum, Unkenntnis des Gesetzes war so ziemlich die einzige Form der Ignoranz, auf die ich mich nicht hätte berufen können. Und doch hatte mich in letzter Zeit – vor allem, seit ich die Rechtsschule verlassen hatte – meine Unwissenheit zu bedrücken begonnen.

Die Jermyn Street war eine erst kürzlich fertig gestellte, recht vornehme Straße am Rand von Westminster, und Newtons Haus lag am besseren westlichen Ende, gleich bei der St.-James-Kirche. Um elf Uhr klopfte ich an Doktor Newtons Haustür. Eine Haushälterin öffnete mir und führte mich in einen Raum mit einem hübsch warmen Kaminfeuer, wo Newton, ein in rotes Wildleder gebundenes Buch in den Händen, in einem roten Sessel mit rotem Polster saß. Er trug keine Perücke, und ich sah, dass sein Haar grau war, aber seine Zähne waren alle noch echt und für einen Mann seines Alters in gutem Zustand. Er trug einen karmesinroten, mit goldenen Knöpfen besetzten Hausrock, und ich weiß noch, dass er am Hals einen Pickel oder Furunkel hatte, welcher ihn etwas plagte. Das ganze Zimmer war rot, als ob dort zuweilen ein Blatternkranker läge, denn es heißt ja, dass diese Farbe die Infektion herauszieht. Es war hübsch eingerichtet, mit mehreren Landschaftsgemälden an den Wänden und einem prachtvollen Globus, der eine ganze Ecke auf der Fensterseite einnahm, so als sei dieser Raum das Universum und Newton der Gott darinnen, denn ich fand, dass er überaus weise aussah. Seine Nase war ganz Nasenrücken, und seine Augen, die gelassen blickten, wurden scharf wie Dolche, sobald die Konzentration auf einen Gedanken oder eine Frage seine Stirn furchte. Sein Mund wirkte leicht angewidert, so als fehle es ihm an Appetit und Humor, und das grübchengezierte Kinn war im Begriff, sich einen Zwilling zuzulegen. Und wenn er etwas sagte, dann sprach er mit einem Akzent, den ich fälschlicherweise mit Norfolk verband, von dem ich jetzt aber weiß, dass er für Lincolnshire stand, denn Newton war in der Nähe von Grantham geboren. An dem Tag, als ich ihn kennen lernte, stand er ungefähr einen Monat vor seinem vierundfünfzigsten Geburtstag.

«Es ist nicht meine Art», sagte er, «von Dingen zu sprechen, die nichts mit meinem Anliegen zu tun haben. Lasst mich daher direkt zur Sache kommen, Mr.Ellis. Als ich Münzwardein Seiner Majestät wurde, dachte ich nicht, dass mein Leben künftig damit ausgefüllt sein würde, Münzminderer und Münzfälscher aufzuspüren, zu verfolgen und zu bestrafen. Da ich jedoch ebendiese Entdeckung machte, sandte ich dem Schatzamt ein Schreiben des Inhalts, dass derlei Dinge doch eigentlich Sache der Kronanwaltschaft seien und man, wenn möglich, diesen Kelch an mir vorübergehen lassen möge. Ihre Lordschaften haben es jedoch anders verfügt, und so muss ich in diesen Dingen wohl meinen Mann stehen. Ja, ich habe sie sogar zu meinem ureigensten Kreuzzug gemacht, denn wenn die Münzerneuerung nicht erfolgreich verläuft, dann werden wir, fürchte ich, diesen Krieg gegen die Franzosen verlieren, und das gesamte Königreich wird zerfallen. Ich habe, weiß Gott, in den letzten sechs Monaten meine Pflicht voll und ganz erfüllt, dessen bin ich mir sicher. Doch diese Halunken zu ergreifen ist, da ihrer so viele sind, ein so gewaltiges Geschäft, dass ich dringend einen Gehilfen brauche.

Aber ich will keinen weichlichen Speichellecker in meinen Diensten. Weiß der Himmel, in welche Wirren wir geraten und ob sich irgendwelche Gewalt gegen unser Amt oder gegen uns selbst richten wird, denn Münzverbrechen sind Hochverrat, auf den die schwerste aller Strafen steht, und diese Schurken sind ein zu allem entschlossener Haufe. Ihr seht aus wie ein mutiger junger Mann, Sir. Doch sprecht selbst für Euch.»

«Ich glaube», sagte ich nervös, da Newton ganz wie mein Vater klang, der stets das Schlechteste von mir erwartet hatte und für gewöhnlich nicht enttäuscht worden war, «ich sollte Euch etwas über meinen Werdegang sagen, Sir. Ich habe ein Oxford-Examen. Und ich habe die Rechtsschule besucht.»

«Gut, gut», sagte Newton ungeduldig. «Eine flinke Feder werdet Ihr wohl brauchen. Diese Strolche sind gewandte Geschichtenerzähler und liefern so üppige Aussagen, dass man wohl das Gefühl bekommen kann, drei Hände zu brauchen. Doch die Bescheidenheit beiseite, Sir. Wie steht’s um Eure sonstigen Fähigkeiten?»

Ich durchforstete mein Hirn nach einer Antwort. Welche sonstigen Fähigkeiten besaß ich? Und da ich um Worte verlegen war und mich nicht weiter zu empfehlen wusste, begann ich Grimassen zu ziehen, den Kopf zu schütteln, die Achseln zu zucken und zu schwitzen wie im Dampfbad.

«Sprecht, Sir», insistierte Newton. «Habt Ihr nicht einen Mann mit dem Rapier verwundet?»

«Doch, Sir», stammelte ich, zornig auf meinen Bruder, weil er ihm diese peinliche Tatsache verraten hatte. Denn woher sonst konnte er es haben?

«Ausgezeichnet.» Newton klopfte einmal auf den Tisch, als zählte er Punkte. «Und ein wackerer Schütze, wie ich sehe.» Angesichts meiner Verblüffung setzte er hinzu: «Ist das kein Pulverfleck, dort auf Eurer rechten Hand?»

«Doch, Sir. Und Ihr habt Recht. Ich weiß den Karabiner und die Pistole einigermaßen zu gebrauchen.»

«Aber ich wette, mit der Pistole seid Ihr besser.»

«Habt Ihr das auch von meinem Bruder?»

«Nein, Mister Ellis. Das sagt mir Eure eigene Hand. Ein Karabiner hätte seine Spuren auf Hand und Gesicht hinterlassen. Eine Pistole dagegen nur auf dem Handrücken, was mich zu der Vermutung brachte, dass Ihr die Pistole öfter benutzt habt.»

«Oh, das ist ein hübscher Trick, Sir. Ihr habt mich ausgetrumpft.»

«Ich habe noch andere auf Lager. Wir werden zweifellos manch Etablissement besuchen müssen, wo uns Eure offenkundige Neigung zu den Damen von großem Nutzen sein wird. Frauen erzählen einem jungen Mann oft Dinge, die sie meinen betagteren Ohren vorenthalten würden. Ich vertraue darauf, dass Eure Neigung zu jener dunkelhaarigen Frau, mit der Ihr vor kurzem zusammen wart, solch strategische Operationen zur Beschaffung von Informationen zulassen würde. Vielleicht war es ja die Magd, die Euch das Wacholderbier brachte.»

«Oh, Ihr sprecht von Pam», rief ich, nun wahrhaft verblüfft, denn ich hatte in der Tat am selben Morgen beim Frühstück in meinem gewohnten Wirtshaus eine braunhaarige Schankmagd umarmt. «Woher wisst Ihr, dass sie dunkelhaarig war? Und dass ich Wacholderbier getrunken habe?»

«Aufgrund des langen, dunklen Haars, das Euer schmuckes Ventre d’or-Wams ziert», erklärte Newton. «Es kündet so eindeutig von ihrer Haarfarbe wie Eure Sprache von Eurer engen Bekanntschaft mit dem Spieltisch. Auch das wird nützlich sein. Genau wie ein Mann, der einem guten Trunk nicht abgeneigt ist. Wenn ich mich nicht täusche, Sir, ist das da Rotwein auf Euren Manschetten. Ihr habt gestern Abend wohl eine ganz hübsche Menge davon getrunken, weshalb Euch heute Morgen ein wenig übel war. Und Ihr Wacholderbier für den Magen brauchtet. Der Duft des aromatischen Öls in Bier liegt unverkennbar in Eurem Atem.»

Ich hörte mich verblüfft nach Luft schnappen, weil er so viel über mich wusste, als könnte er in meinen Kopf blicken und meine Gedanken lesen.

«Ihr stellt mich wie den größten Wüstling hin, der je zum Galgen geschleift wurde», protestierte ich. «Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich bin sprachlos.»

«Nicht doch, Mr.Ellis», sagte Newton. «Nehmt es nicht so persönlich. Wir werden durch einigen Schmutz waten müssen, Ihr und ich. Die Belange der Münze erfordern es, dass ich einen Mann zur Seite habe, welcher sich in London auskennt. Da Ihr ein solcher Mann seid und um Euch nicht länger schmoren zu lassen: Die Stellung ist Euer, wenn Ihr sie wollt. Der Lohn ist nicht hoch. Zunächst nur sechzig Pfund im Jahr. Was mir gar nicht recht ist, denn ich muss gestehen, ich bin in großer Sorge, dass die rechte Sorte Mann die Stellung nicht wird haben wollen und ich Schande auf mich lade, da ich, mangels des so dringend nötigen Gehilfen, meine Amtspflichten nicht erfüllen kann. Aus diesem Grunde und da es in meiner Macht steht, dies zu tun, habe ich beschlossen, meinem Gehilfen das Münzwardeinhaus im Tower zu überlassen, samt allen Privilegien, die dieser Wohnort bietet.»

«Das ist sehr großzügig, Sir», sagte ich und grinste jetzt wie ein Schwachsinniger. Denn das war mehr, als ich jemals erwartet hätte. Seit ich das Gray’s Inn verlassen hatte, logierte ich in der King Street in Westminster, aber das war ein armseliges Quartier, und mein Herz hüpfte bei dem Gedanken, ein ganzes Haus für mich zu haben, noch dazu eins im Freibezirk des Towers, wo man der Besteuerung gänzlich entging.

«Nach meinem Amtsantritt im April habe ich selbst eine Weile dort gewohnt, ehe ich dann im August hierher in die Jermyn Street gezogen bin. Tatsächlich ist die Münze entsetzlich laut, wegen der Walzmaschinen, die dort die ganze Nacht laufen, und nach der Ruhe und dem Frieden in Cambridge konnte ich das einfach nicht aushalten. Aber Ihr seid ein junger Bursche, und es ist meine Erfahrung, dass die Jungen mehr Lärm vertragen als die Älteren. Außerdem erwarte und hoffe ich, dass meine Nichte im Dezember zu mir ziehen wird, und die Münze ist ein schmutziger, unbekömmlicher Ort mit vielen rüpelhaften Gesellen und schlechter Luft, was mich darin bestärkt, nicht dort zu wohnen. Nun, Sir, was sagt Ihr? Es ist ein feines kleines Haus mit einem Garten.»

Ein ganzes Haus mit Garten. Das war zu viel. Und doch trieb es mich, noch mehr zu fordern. Ich sagte ja schon, dass mich die Last meiner eigenen Unwissenheit zu drücken begann, und plötzlich ging mir auf, dass da in Newtons ganzer Art etwas war, was mich glauben machte, viel von ihm lernen zu können. Und mir kam die Idee, das zur Bedingung zu machen. Denn ich hatte die Vorstellung, die Gedankengänge eines Mannes, der so viele Mysterien der Wissenschaft und Philosophie durchdrungen hatte, zu kennen hieße, die Gedankengänge Gottes zu kennen. Was doch einmal etwas anderes wäre als immer nur die Gedankengänge von Huren und Spielern.

«Ja, Sir», sagte ich. «Ich will für Euch arbeiten. Aber unter einer Bedingung.»

«Nennt sie, Mr.Ellis.»

«Dass Ihr meiner Unwissenheit abhelfen werdet, wo immer sie zutage tritt, denn ich weiß, Ihr seid ein gelehrter Mann. Ich wünsche mir, dass Ihr mir etwas von der Welt zeigt, wie Ihr sie versteht, und mit mir über die Natur der Dinge redet, um mir dazulernen zu helfen. Denn ich muss gestehen, das Universitätsstudium hat mir ein gewisses Verständnis der Klassiker und der Sanderson’schen Logik gebracht, aber viel mehr auch nicht. Ich will für Euch arbeiten, Sir. Aber was in mir dunkel ist, das bitte ich Euch zu erhellen. Und was niedrig und gemein ist, das mögt Ihr erheben und läutern.»

«Wohl gesprochen, Sir. Nur ein gescheiter Mann gesteht seine Unwissenheit ein, zumal wenn er ein Universitätsexamen hat. Aber seid gewarnt. Ich war nie ein besonders guter Tutor. In meiner ganzen Zeit in Cambridge hat das Trinity College nur drei Studenten meinem Tutorium unterstellt, und diese drei nahm ich mehr des Geldes wegen an als aus dem Verlangen, Mittelpunkt eines modernen Lyzeums zu sein. Es ist immer schwer zu sagen, wie einen die Welt sieht, aber ich glaube aufrichtig, dass ich mir nur so viel Wissen angeeignet habe, um mir zu bestätigen, wie wenig ich von der Welt weiß. Ich vermute, dass es das ist, was meine rabbinische Seite, so ich denn eine solche habe, verdrießt. Aber ich nehme Eure Bedingung an. Ich weiß nicht, was, aber etwas werde ich schon in Euren jungen Schädel trepanieren. Also, schlagt ein.»

Ich drückte Newtons kalte, dünne Hand, ja, ich küsste sie sogar, denn jetzt gehörte sie dem Herrn und Meister, dem ich es verdankte, dass meine Gegenwart und meine Zukunft schon wieder um einiges rosiger aussahen.

«Ich danke Euch, Sir», sagte ich. «Ich werde mich bemühen, mein Bestes für Euch zu tun.»

«Ich werde heute noch ans Schatzamt schreiben», sagte Newton. «Dort wird man Eure Anstellung absegnen müssen. Aber ich zweifle nicht, dass sie meine Wahl billigen werden. Und dann müsst Ihr einen Eid leisten, strengstes Stillschweigen über Mister Blondeaus Methode der Münzrändelung zu bewahren, obwohl das meiner Meinung nach nicht so ein großes Geheimnis sein kann, wenn man, wie ich hörte, dieselbe Maschine in der Pariser Münze Besuchern freimütig zeigt.

Doch zuerst lasst uns etwas Apfelwein trinken, danach werde ich den Brief schreiben, und dann fahren wir mit meiner Kutsche zum Tower, wo ich Euch vereidigen und in der Münze herumführen werde.»

Und so trat ich in den Dienst der Königlichen Münzanstalt.

Die Münze befand sich seit 1299 im Tower, und 1696 hatte sie die Größe eines ansehnlichen Städtchens. Sie lag zwischen der inneren und der äußeren Befestigungsmauer und bestand aus zwei Reihen alter, mit Eisenkrampen aneinander geklammerter Holzhäuser, die sich vom Byward und vom Bell Tower im Bogen bis zum gut fünfhundert Yards entfernten Salt Tower herumzogen. Ein schmales kopfsteingepflastertes Sträßchen, in dem Laternen brannten und Wachen patrouillierten, erstreckte sich zwischen den Fachwerkbauten, die teilweise zweistöckig waren und Wohnungen, Amtszimmer, Kasernen, Stallungen, Waschhäuser, Gießereien und Schmieden, Walz- und Prägewerke, Lagerhäuser, Schänken und einen Marketender mit allerlei Viktualien beherbergten.

Wie Newton mir schon erklärt hatte, war der Lärm der Münzwerke ohrenbetäubend, und als wir in der Münze herumgingen, mussten wir brüllen, um uns einander verständlich zu machen; doch hinzu kamen noch die Kanone, die von Zeit zu Zeit abgefeuert wurde, das Geräusch von Pferdehufen und Eisenrädern auf dem Pflaster, die Stimmen des Ausrufers und der hier stationierten Soldaten, welche so freimütig fluchten wie Templer, das Hundegebell, das Krächzen der Raben, das wie das Röcheln Sterbender klang, die tosenden Feuer, schreienden Katzen, knallenden Türen und Tore, das Schlüsselgeklapper und das Ächzen der Holzschilder, da es in letzter Zeit überaus windig war. Bedlam hätte nicht lauter sein können als die Königliche Münze. Mein erster Eindruck war der eines höllischen Ortes, wie ihn Vergil den Äneas in der Unterwelt hätte durchqueren lassen können, und als ich dort zwischen Bell Tower und Byward Tower stand und das Grollen der wilden Bestien im nahen Löwenturm, draußen vor dem Westeingang, hören konnte, glaubte ich mich schon beinahe im Vorhof und Schlund der Hölle. Und doch war der Tower ein erregender Ort, und ich war froh, dort zu sein, denn ich war immer schon begierig auf alles Geschichtliche gewesen und hätte mir, wenn ich als kleiner Junge den Tower besuchte, nie träumen lassen, dass ich einmal hier arbeiten würde.

Wir gingen nordwärts, die Mint Street hinauf, und Newton erklärte mir die Arbeit der Münzwerker an den Münzpressen, der Billonprüfer, die den Feingehalt der Legierung überwachten, der Gießer und Stempelschneider.

«Natürlich», sagte er, «sind viele von ihnen Halunken, die bis zum Hals in verbrecherischen Machenschaften stecken und den Strang verdient haben. Hier verschwindet vieles, Münzrohlinge ebenso wie Prägestöcke und Stempel. Mindestens zwei Männer, die im Dienst der Münze standen, wurden gehängt. Und zwei weitere sitzen, zum Tode verurteilt, im Newgate-Gefängnis.

Ich rate Euch, keinem von ihnen zu trauen, vom obersten bis zum geringsten. Der Gauner im Amt des Münzmeisters ist Mr.Neale, wenn er auch so selten hier ist, dass man meinen sollte, er müsste erröten, weil er diesen Titel führt. Aber ich bezweifle, dass Ihr Gelegenheit haben werdet, ihn gut genug kennen zu lernen, um seine zahlreichen Schwächen ausfindig zu machen.»

Newton verbeugte sich steif in Richtung eines Mannes, der aus einer der Amtsstuben kam – ein kleiner, schwindsüchtiger Bursche mit einer trompetenden Stimme. Sobald er außer Hörweite war, ermahnte mich mein Herr, auch ihm nicht zu trauen.

«Er ist auffallend gut Freund mit der Tower Ordnance – der Festungsbesatzung, mit der wir in ständigem Streit um die Privilegien der Münze liegen. Sie betrachten uns nämlich als Eindringlinge, obgleich wir in Wahrheit beinah so lange hier sind wie sie. Aber hier im Tower leben zu viele Menschen, das ist das eigentliche Problem.

Bis vor kurzem okkupierte die Ordnance die Irische Münze, droben beim Salt Tower, am anderen Ende dieser Straße. Sie hatten das Torhaus und einige Beamtenhäuser beschlagnahmt und auf einem freien Grundstück eine Kaserne erbaut. Aber die Münzerneuerung hat es uns ermöglicht, sie wieder aus der Münze zu vertreiben, zurück in den inneren Festungsteil, wo die gemeinen Soldaten jetzt umschichtig in einem Bett schlafen müssen, weshalb sie uns ingrimmig hassen. Traut keinem von ihnen und auch keinem ihrer Offiziere, denn sie wollen uns allen nur das Schlechteste.»

Newton erblickte einen hochmütig wirkenden Mann, der vom Beauchamp Tower auf uns herabsah.

«Und das dort ist der Architekt ihres Hasses, Lord Lucas persönlich. Er ist der Lord Lieutenant des Tower, ein Posten, der viele alte und sonderbare Privilegien mit sich bringt, und von meinem Amt abgesehen, könnte er sich als den mächtigsten Mann innerhalb dieser Mauern bezeichnen. Traut ihm noch weniger als allen anderen. Er ist ein trunksüchtiger Borachio und so hochmütig, dass ich vermute, er wischt sich den Arsch mit vergoldetem Papier.»

Ein Stückchen weiter, um die Ecke des Diverin Tower, passierten wir die Schmiede, wo ein Kerl, so grimmig und bulldoggenartig, wie ich je einen sah, für einen Moment das Beschlagen eines Pferdes unterbrach, um den unversöhnlichsten aller Blicke auf Newton – und damit auch auf mich – zu richten.

«Bei meiner Seel», sagte ich, als wir vorüber waren. «Dieser Mann ist wahrhaftig eine höchst unangenehme Erscheinung.»

«Er ist ein unverbesserlicher Halunke und auch nicht gerade ein Freund der Münze. Doch schiebt ihn vorerst beiseite, denn das hier ist das Haus des Königlichen Kanzlisten, daneben steht das Münzmeisterhaus und daneben wiederum das Haus des Stellvertretenden Münzwardeins, Monsieur Fauquier.»

«Fauquier? Das klingt französisch.»

«Er ist einer jener Hugenotten», erklärte Newton, «die erst jüngst vom französischen König Louis aus ihrem Land vertrieben wurden. Ich glaube, es gibt einige solcher Flüchtlinge hier im Tower. Die Französische Kirche, die ihr Glaubenszentrum ist, liegt nur eine kurze Gehstrecke vom Tower, in der Threadneedle Street. Fauquier ist ein Mann von beträchtlicher Substanz und, wie ich glaube, auch ein gewissenhafter Beamter. Doch rechnet nicht damit, ihn in diesem Haus anzutreffen – so wenig wie einen der erwähnten Nachbarn. Es gehört zu den Vergünstigungen der Münzämter, dass die Beamten ihren Dienstwohnsitz nach eigenem Gutdünken und zu ihrem persönlichen Gewinn vermieten dürfen.»

Da erst wurde mir klar, dass Newton, indem er mir seinen Dienstwohnsitz überließ, auf gute Mieteinkünfte verzichtete.

Newton blieb stehen und zeigte auf ein schmuckes, zweistöckiges Haus am Fuß jenes Teils der äußeren Befestigungsmauer, der den Namen Brass Mount trägt – wegen der Kanone, die dort steht und, wie ich bald herausfinden sollte, oft aus Anlass königlicher Geburtstage oder wichtiger Staatsbesuche abgefeuert wird.

«Das ist das Münzwardeinhaus», sagte Newton, «wo Ihr wohnen werdet.» Er öffnete die Tür und winkte mich hinein, und als ich mich umschaute und die Möbel und Bücher sah, die Newton gehörten, da dachte ich, dass mir dieses Haus sehr gut gefallen würde. «Es ist ganz behaglich, wenn auch, wie Ihr seht, ein wenig feucht – was so nah am Fluss wohl kaum vermeidbar ist – und ungemein staubig. Die Erschütterung durch die Kanone lässt den Mörtelstaub herabrieseln, deshalb kann man nicht viel dagegen tun. Ihr seid herzlich eingeladen, diese Möbel zu benutzen. Die meisten habe ich aus dem Trinity College herbringen lassen. Es sind alles keine guten Stücke, und ich hänge nicht daran, aber ich möchte, dass Ihr auf meine Bücher Acht gebt. In meinem neuen Haus ist kaum Platz für weitere Bücher, aber von diesen hier möchte ich mich dennoch nicht trennen. Da Ihr so auf Weiterbildung bedacht seid, Mister Ellis, werdet Ihr sie zweifellos lesen wollen. Das eine oder andere werdet Ihr vielleicht sogar nach Eurem Geschmack finden. Und ich freue mich darauf, eine fremde Meinung darüber zu hören, was manchmal so gut ist, wie ein Buch selbst noch einmal zu lesen.»

Wir gingen wieder hinaus, und Newton zeigte mir einen kleinen, mauerumfriedeten, nicht sehr gepflegten Garten, der sich im Bogen um den Fuß des Jewel Tower zog und mir, da es der Münzwardeingarten war, ebenfalls zur Verfügung stand.

«Ihr könntet hier etwas Gemüse ziehen», schlug Newton vor. «Wenn Ihr’s tut, gebt mir unbedingt etwas davon ab. Ansonsten ist es im Sommer ein überaus hübsches Plätzchen zum Sitzen, so man sich nicht vor Geistern fürchtet, aber wenn Ihr für mich arbeitet, werdet Ihr ohnehin keine Zeit für solche Hirngespinste haben. Ich persönlich bin sehr skeptisch, was Geistererscheinungen im Allgemeinen betrifft, aber es gibt viele Männer innerhalb dieser Festungsmauern, die Stein und Bein schwören, dass sie diese oder jene Erscheinung gesehen haben. Ich erachte das in den allermeisten Fällen für Unsinn. Aber es ist kein großes Geheimnis, dass in nahezu jedem Teil dieser Festung eine Menge Menschen auf grausamste Weise zu Tode gekommen sind, was einiges von dem generellen Aberglauben hier erklärt, denn eine so schreckliche Geschichte wird sich immer auf die Phantasie unwissender Menschen auswirken. Es geht sogar das Gerücht, Euer Vorgänger sei durch einen Geist von hier vertrieben worden, aber das läuft meiner Vernunft zuwider, und ich glaube eher, dass er mit einigen dieser Münzfälscher im Bund war und geflüchtet ist, weil er Angst hatte, gefasst und gehängt zu werden. Denn sein Verschwinden fiel beinahe mit meinem Amtsantritt zusammen, was mich umso argwöhnischer macht.»

Die Information, dass ich einen Vorgänger gehabt hatte, der verschwunden war, beunruhigte mich denn doch ein wenig. Ich wollte mehr darüber wissen, da mir jetzt erstmals der Gedanke kam, dass meine neue Stellung gefährlicher sein könnte, als ich bisher gedacht hatte.

«Aber wie war denn sein Name?», fragte ich. «Wurden denn keine Nachforschungen angestellt? Es betrübt mich zu sehen, wie wenig gefestigt der Ruf meines Vorgängers war und wie seine Ehrlichkeit in Zweifel gezogen wird. Ich hoffe, wenn ich verschwinden würde, würdet Ihr besser über mich sprechen.»

«Eure Besorgnis spricht für Euch», räumte Newton ein. «Sein Name war George Macey. Und ich glaube schon, dass Nachforschungen angestellt wurden.»

«Aber verzeiht, Sir, könnte es nicht sein, dass Mister Macey eher als Opfer zu beklagen denn als Übeltäter zu verurteilen wäre? Ihr sagtet doch selbst, es sind skrupellose Männer, mit denen Ihr zu tun habt. Könnte es nicht sein, dass er ermordet wurde?»

«Könnte sein? Könnte, Sir? Das war vor sechs Monaten, als ich mich noch an diesem seltsamen Ort zurechtzufinden suchte. Und nach einer solchen Zeitspanne kann ich keine Hypothesen aufstellen. Die beste und sicherste Art der Forschung scheint mir nämlich zu sein, dass man zunächst gewissenhaft die Fakten ermittelt und später dann mit einiger Vorsicht zu Hypothesen übergeht, die sie erklären können. Was geschehen oder nicht geschehen sein könnte, kümmert mich wenig. Bei der Untersuchung von Mysterien und schwierigen Dingen sollte die Analyse der Interpretation stets vorangehen.

Das ist meine Methode, Mister Ellis. Sie zu kennen heißt, mein Wesen zu begreifen, Sir. Doch Eure Fragen ehren Euch. Ich will auch weiterhin Eure Ehrlichkeit würdigen, Sir, denn ich lege es nicht darauf an, Euch zu meiner Kreatur zu machen. Doch sprecht immer nur präzise zur Sache. Und macht meine wissenschaftliche Methode zu Eurem allerersten Studiengegenstand, denn sie wird Euch zustatten kommen, und dann werden wir beide uns prächtig verstehen.»

«Ich werde Euch und Eure Methode gewissenhaft studieren, Sir», sagte ich.

«Nun denn, was haltet Ihr von Haus und Garten?»

«Beides gefällt mir sehr gut, Doktor Newton. Ich glaube, am Kartentisch habe ich nie so viel Glück gehabt wie mit dieser Stellung.»

Das stimmte. Ich hatte noch nie allein gewohnt. An der Rechtsschule hatte ich mein Quartier mit einem anderen Mann geteilt, und davor war ich in Oxford gewesen, wo ich im College gewohnt hatte. Und es war ein großes Vergnügen, die Tür hinter mir zuzumachen und ein ganzes Haus für mich allein zu haben. Denn ich war mein Leben lang gezwungen gewesen, ein nicht von Geschwistern, Kommilitonen oder Rechtsschülern okkupiertes Plätzchen zu finden, um lesen oder träumen zu können. Doch die erste Nacht in meinem neuen Haus im Tower wäre beinahe meine letzte gewesen.

Ich war frühzeitig zu Bett gegangen, mit einer Reihe von Abhandlungen über die Verbesserung des englischen Münzwesens, verfasst von den führenden Köpfen der Zeit, darunter Doktor Newton, Sir Christopher Wren, Doktor Wallis und Mister John Locke. Diese Arbeiten waren 1695 vom Regentschaftsrat in Auftrag gegeben worden, und Newton meinte, sie würden mir eine gute Einführung in die verschiedenen Probleme rings um die Münzerneuerung sein. Aber sie reizten mich nicht, wach zu bleiben; diese Abendlektüre war das Langweiligste, was mir je untergekommen war, seit ich meine rechtswissenschaftlichen Studien aufgegeben hatte, und nach ein, zwei Stunden stellte ich die Kerze in den Kamin und zog mir das Federbett über den Kopf, ohne mich groß um die abergläubischen Phantasien zu kümmern, die mich am früheren Abend beschlichen hatten.

Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte. Vielleicht nur eine halbe Stunde, vielleicht auch viel länger, aber ich schreckte empor, als sei ich aus dem Grab hochgefahren. Ich verspürte sofort die Gewissheit, dass ich nicht allein war; ich hielt den Atem an und war überzeugt, dass das Dunkel meiner Schlafkammer von einem fremden Atem durchweht war. Ich setzte mich auf, und während mein ganzer Körper von meinem eigenen Herzschlag bebte, horchte ich in die Finsternis wie der Prophet Samuel persönlich. Und nach und nach erkannte ich, dass das Geräusch in meiner Schlafkammer klang, als söge jemand an einem Federkiel, und mir sträubten sich die Haare.

«Um Himmels willen, wer ist da?», rief ich, schwang die Beine aus dem Bett und wollte den Kerzenstummel aus dem Kamin holen, um eine neue Kerze anzuzünden und das Dunkel zu erhellen. Im selben Augenblick kam aus den Schatten eine Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

«Deine Nemesis», sagte die Stimme.

Ich erkannte ahnungsweise das Gesicht eines Mannes und setzte gerade zu einer Antwort an, als er plötzlich auf unmenschlichste Art und Weise auf mich losstürzte und mich aufs Bett zurückwarf, wo er mir, meine Brust mit seinem ganzen Gewicht niederdrückend, die Augäpfel mit den Daumen zu zerquetschen suchte, sodass ich Zeter und Mordio schrie. Doch der Angreifer war ungeheuer stark, und obwohl ich ihm ein paar tüchtige Hiebe auf den Kopf verpasste, erlahmte seine Angriffskraft keinen Moment, und ich war mir sicher, dass ich ermordet und wenn nicht das, so doch immerhin geblendet würde. Verzweifelt stemmte ich seine Hände von meinen Augen, nur um zu spüren, wie sie sich um meine Kehle legten. In der Gewissheit, erwürgt zu werden, trat ich nach ihm, jedoch vergebens. Ein, zwei Sekunden darauf fühlte ich eine schwere Last von meiner Brust weichen und dachte, dass meine Seele im Begriff war, sich zum Himmel emporzuschwingen, bis ich schließlich merkte, dass der Angreifer von mir weggezerrt worden war und sich jetzt in der Gewalt zweier Ordnance-Soldaten befand, wenngleich er deren Griff so gelassen ertrug, dass ich mich fragte, ob die beiden Wachen den richtigen Mann festhielten.

Ein drittes Mitglied der Ordnance, ein gewisser Sergeant Rohan, half mir mit etwas Branntwein, wieder zu mir zu kommen, sodass ich schließlich aufstehen und dem Angreifer im Licht der Laterne, welche die Wachsoldaten mitgebracht hatten, ins Gesicht schauen konnte.

«Wer seid Ihr?», fragte ich mit einer Stimme, die kaum die meine schien, so heiser klang sie. «Und warum habt Ihr mich angegriffen?»

«Sein Name ist Mister Twistleton», vermeldete der mit einem eigentümlichen Akzent sprechende Sergeant Rohan. «Und er ist der Waffenmeister des Tower.»

«Ich habe Euch nicht angegriffen, Sir», sagte Mister Twistleton mit einer solchen Unschuldsmiene, dass ich ihm schon beinahe glaubte. «Ich weiß nicht, wer Ihr seid. Es war der andere Gentleman, den ich angegriffen habe.»

«Seid Ihr verrückt?», sagte ich. «Hier ist kein anderer Gentleman. Heraus damit, Sir, was habe ich Euch getan, dass Ihr so über mich herfallt?»

«Er ist verrückt», sagte Rohan. «Doch wie Ihr seht, stellt er jetzt keine Gefahr mehr dar.»

«Keine Gefahr?», wiederholte ich ungläubig. «Aber er hätte mich um ein Haar in meinem Bett ermordet.»

«Mister Ellis, nicht wahr?», sagte Sergeant Rohan.

«Ja.»

«Er wird Euch nicht mehr belästigen, Mister Ellis. Ihr habt mein Wort darauf. Er ist die meiste Zeit in striktem Gewahrsam, in meinem Haus und unter meiner Kuratel, und behelligt niemanden. Heute Nacht ist er jedoch entschlüpft, als wir nicht aufgepasst haben, und hier gelandet. Wir waren bereits auf der Suche nach ihm, als wir den Tumult vernahmen.»

«Mein Glück, dass es so war», sagte ich. «Eine Minute länger, und ich würde jetzt nicht mit Euch sprechen. Aber er gehört doch eindeutig nach Bedlam. Oder in ein anderes Spital für Geisteskranke und Irre.»

«Nach Bedlam, Mister Ellis? Damit sie ihn die Wand ketten wie einen Hund? Ihn verlachen wie ein Tier?», sagte einer der Wachsoldaten. «Mister Twistleton ist unser Freund, Sir. Das können wir nicht zulassen.»

«Aber er ist doch gefährlich.»

«Die meiste Zeit ist er so wie jetzt. Ganz ruhig und friedlich. Zwingt uns nicht, ihn dorthin zu schicken, Mister Ellis.»

«Ich? Ich sehe nicht, wie ich auf irgendjemanden hier Zwang ausüben könnte, Mister Bull. Seine Verwahrung ist Eure Sache.»

«Nicht mehr, wenn Ihr den Vorfall meldet, Sir.»

«Jesus Christus, habt Erbarmen», brüllte Mister Twistleton.

«Seht Ihr? Selbst er bittet Euch um Nachsicht», sagte Rohan.

Ich seufzte, verwirrt ob dieser Wende des Geschehens: dass man mich in meinem eigenen Bett überfiel, beinahe erwürgte und dann bat, das Ganze zu vergessen, als sei es nur ein dummer Schuljungenstreich gewesen und kein Fall von versuchtem Mord. Es schien der viel gepriesenen Sicherheit des Tower hohnzusprechen, dass hier ein Irrer herumspazieren durfte, von niemand anderem bewacht als ein paar elenden Raben.

«Dann will ich Euer Wort, dass er hinter Schloss und Riegel gehalten wird, zumindest bei Nacht», sagte ich. «Der Nächste könnte weniger Glück haben als ich.»

«Mein Wort sollt Ihr haben», sagte Rohan. «Nur zu gern.»

Ich fügte mich mit einem widerwilligen Nicken, da mir kaum eine andere Wahl zu bleiben schien. Nach dem, was mir Newton erzählt hatte, war das Verhältnis zwischen Münze und Ordnance schon schlecht genug, auch ohne dass ich noch mehr Ressentiments provozierte. «Was hat ihn denn um den Verstand gebracht?», fragte ich.

«Die Schreie», sagte Mr.Twistleton. «Ich höre sie, versteht Ihr? Die Schreie derer, die an diesem Ort gestorben sind. Sie verstummen nie.»

Sergeant Rohan klopfte mir auf die Schulter. «Ihr seid ein anständiger Bursche, Mister Ellis», sagte er. «Für einen Münzer allemal. Er wird Euch nicht mehr behelligen, das verspreche ich Euch.»

In den folgenden Tagen und Wochen sah ich Mister Twistleton gelegentlich irgendwo im Tower, stets in Begleitung eines Mitglieds der Ordnance, und tatsächlich schien er verständig genug, um nicht in ein Irrenhaus gesperrt werden zu müssen, sodass ich mich schon beglückwünschte, in dieser Sache so barmherzig geurteilt zu haben, und erst Monate später sollte ich mich fragen, ob ich nicht einen schrecklichen Fehler gemacht hatte.

Jetzt, da das Gemeinwesen in so traurigem Zustand und das Land kaum noch regierbar war, arbeitete die Münze zwanzig Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Und Newton ebenso, denn obgleich er mit der Organisation und dem Vorantreiben der Münzerneuerung nichts zu tun hatte, schlief er nur wenig, und die seltenen Momente, in denen er nicht damit beschäftigt war, Münzfälscher und Münzminderer zu jagen, brachte er damit zu, irgendein mathematisches Problem zu lösen, das ihm einer seiner vielen boshaften Korrespondenzpartner geschickt hatte – denn deren größtes Verlangen war es, ihn aufs Glatteis zu führen. Doch wir hatten immer reichlich zu tun, und bald schon gingen wir im Fleet- und im Newgate-Gefängnis ein und aus, um belastende Aussagen diverser Schurken und Halunken – die guten Teils die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen hatten – zu Protokoll zu nehmen.

Ich erwähne hier nur einen dieser Fälle, nicht weil er von unmittelbarer Bedeutung für die schreckliche und mysteriöse Geschichte wäre, die meinen Herrn fast ein Jahr lang vor Rätsel stellte, sondern um zu demonstrieren, wie viele andere Amtsaufgaben gleichzeitig seinen virtuosen Verstand beschäftigten.

Da der König in Flandern war, wo er, ohne sonderlichen Erfolg, gegen die Franzosen kämpfte, regierten die Lordrichter das Land. Sie hatten einen Brief von einem gewissen William Chaloner erhalten, einem überaus cleveren und meisterlichen Münzfälscher, der behauptete, im Tower sei Geld geprägt worden, welches weniger als die vorgeschriebene Silbermenge enthalte, und zudem seien dort falsche Guineen hergestellt und Rohlinge sowie Guineenstempel aus der Münze gestohlen worden. Die Lordrichter befahlen meinem Herrn, diesen Behauptungen nachzugehen, was er wohl tun musste, obgleich er nur zu gut wusste, dass Chaloner, wenn es ums Reden ging, Merkur in Person war und dass er den Lordrichtern leeres Geschwätz angedient hatte. Unterdes suchte Peter Cooke, ein unlängst zum Tode verurteilter Falschmünzer, dem Henker zu entgehen, indem er uns ebenjenen Chaloner und andere als Komplizen nannte.

Wie diese Halunken sich gegenseitig denunzierten! Kaum dass Cooke geredet hatte, beschuldigte Thomas White, ein weiterer Falschmünzer, dem das Todesurteil an die Nerven ging, einen Münzwerker namens John Hunter, Chaloner offizielle Prägestöcke für Guineen geliefert zu haben. Der Falschmünzerei bezichtigte er ferner Robert Charnock, einen Jakobiter, der kürzlich wegen Beteiligung an Sir John Fenwicks verräterischem Komplott gegen König William hingerichtet worden war, James Pritchard von Colonel Windsors Reitergarderegiment sowie einen gewissen Jones, über den so gut wie nichts bekannt war. White war aufgrund der Aussage eines ehemaligen Stempelschneiders namens Scotch Robin verurteilt worden und ein äußerst larmoyanter Mensch, eine rechte Heulsuse, und obwohl mein Herr an seiner Aufrichtigkeit zweifelte, schaffte es White doch, bei jedem von Newtons eindringlichen Verhören mindestens einen seiner Kumpane zu verraten.

Es wunderte mich nicht wenig, dass ein Mann, der sich ein Vierteljahrhundert im stillen Kämmerlein in Cambridge aufgehalten hatte, ein solches Verhörgeschick bewies. Newton trat einmal streng und erbarmungslos auf und verhieß White, dass er noch vor Ablauf der Woche hängen werde, wenn er irgendwelche anderen Verbrecher decke, und dann wieder gaukelte er White eine solche Freundlichkeit und Heiterkeit vor, dass man hätte glauben können, sie seien Vettern. Dank dieser Advokatentricks, die Newton instinktiv zu beherrschen schien, nannte White fünf weitere Namen, was ihm einen neuerlichen Aufschub verschaffte.

Die meisten dieser Schurken erleichterten tatsächlich ihr Gewissen, indem sie ihre Taten gestanden und ihre Komplizen nannten, aber einige wenige hielten am Lügen fest und waren so listig, ausgiebig zu heulen und stammelnd und schluchzend zu beteuern, dass sie gar nichts wüssten. Newton war nicht leicht hereinzulegen, und mit denen, die es versuchten, verfuhr er so gnadenlos, als ob sich jemand, der seinen Kopf mit falschen Informationen füllte, eines noch abscheulicheren Verbrechens schuldig machte als ein Münzfälscher. Im Fall des Peter Cooke, der ihn wiederholt auf höchst ärgerliche Weise zu täuschen versucht hatte, bewies der Doktor, dass er so rachsüchtig sein konnte wie alle Furien zugleich.

Zum einen besichtigten wir den elenden Kerl in seinem Kerker in Newgate, wie es etliche hundert Menschen taten, denn in England ist es Brauch, die zum Tode Verurteilten zu begaffen, so wie ein Besucher des Tower die Löwen im Vorwerksturm begaffen mag. Zum anderen besuchten wir die letzte Predigt für den törichten Halunken, und Newton fixierte den allein in seinem abgetrennten Betstuhl vor seinem offenen Sarg sitzenden Cooke mit unbarmherzigem Blick. Und da sein Rachedurst noch immer nicht gestillt war – so sah ich es–, bestand mein Herr darauf, zum Tyburn zu gehen und Cookes schreckliches Ende mit eigenen Augen zu verfolgen.

Ich erinnere mich gut daran, denn es war das erste Mal, dass ich mit ansah, wie ein Mann gehängt und gevierteilt wurde, was eine bestialische Angelegenheit ist. Doch es war auch deshalb außergewöhnlich, weil Newton kaum je der Hinrichtung derer, die er vor Gericht gebracht hatte, beiwohnte.

«Ich halte es nur für recht und billig», rechtfertigte er sich, «dass wir als Hüter des Gesetzes uns gelegentlich die Pflicht auferlegen, das Los, dem unsere Ermittlungen einige dieser Missetäter zugeführt haben, persönlich zu verfolgen. Damit wir mit gebührendem Ernst zu Werk gehen und keine leichtfertigen Anschuldigungen erheben. Würdet Ihr dem nicht zustimmen, Sir?»

«Doch, Sir, wenn Ihr meint», sagte ich matt, denn ich hatte wenig Lust auf das Spektakel.

Cooke, ein stämmiger Bursche, wurde in seinem Armesünderhemd auf einem Henkersschlitten zum Richtplatz geschleift, den Strick um die Mitte gewunden und die Schlinge in der Hand. In meinen Augen hielt er sich ganz gut, obwohl der Henker mit ihm auf dem Schlitten ritt, in der Hand bereits das Beil, mit dem Cooke, wie dieser sehr wohl wusste, in Bälde die Gliedmaßen abgetrennt würden. Ich zitterte bereits, wenn ich dieses Folterinstrument nur sah.

Wir waren fast eine Stunde auf dem Tyburn, denn Cooke versuchte Zeit zu schinden, indem er ein langes Gebet nach dem anderen sprach, bis er schließlich, vor Angst halb ohnmächtig, vom Henker die Leiter hinaufgeschleppt wurde. Der Henker befestigte den Strick am Galgenbaum und stieß Cooke hinab, worauf der Pöbel so erregt aufbrüllte und zum Galgengerüst drängte, dass ich dachte, ich würde erdrückt.

Der Henker hatte hübsch kalkuliert, denn Cookes Zehenspitzen berührten das Galgenpodest, sodass er noch recht lebendig war, als ihn der Henker herunterschnitt und, das Messer in der Hand, über ihn herfiel wie einer von Cäsars blutrünstigen Mördern. Die Menge, jetzt schon viel stiller, stöhnte auf wie ein Mann, als der Henker Cooke wie einer alten Geiß den Bauch aufschlitzte, mit der Hand hineinfuhr und eine Hand voll dampfender Innereien hervorzog, denn es war ein kalter Tag. Dieses Gedärm verbrannte er auf einem Kohlebecken vor dem noch sichtbar atmenden Mann, der, wäre da nicht die enge Schlinge um seinen Hals gewesen, gewiss seine Todespein herausgeschrien hätte.

Newton zuckte nicht mit der Wimper, und als ich seine Miene ein paar Sekunden studierte, sah ich, dass er, wenn er auch kein Vergnügen an diesem traurigen Spektakel fand, so doch kein Zeichen von Milde zeigte, und ich hatte beinahe das Gefühl, dass mein Herr das Ganze betrachtete, wie er die Sektion eines menschlichen Leichnams in der Royal Society betrachtet hätte, nämlich als eine Art experimentelles Unterfangen.

Schließlich schlug der Henker Cooke den Kopf ab, hielt ihn, auf ein Zeichen des Sheriffs, zur Ermunterung der Menge in die Höhe und verkündete, dies sei der Kopf des Peter Cooke, eines Schurken und Verräters. So endete dieser schreckliche, blutige Vormittag.

Vom Tyburn nahmen wir eine Mietkutsche zu Newtons Haus, wo uns Mrs.Rogers, die Haushälterin, ein Huhn zum Mittagessen bereitet hatte. Newtons Appetit war durch den grausamen Bestrafungsakt, dem wir beigewohnt hatten, nicht beeinträchtigt, aber mich trieb es, darüber zu reden, da mir wenig nach Essen war, solange ich das herausgerissene Gedärm eines anderen Mannes noch so plastisch vor mir sah.

«Ich kann mir nicht vorstellen, dass Recht und Gesetz mit solcher Härte am besten gedient ist», erklärte ich. «Sollte ein Mann, der Münzen fälscht, genauso bestraft werden wie einer, der Mordpläne gegen den König schmiedet?»

«Das eine ist dem reibungslosen Ablauf der Staatsgeschäfte so abträglich wie das andere», erklärte Newton. «Ja, man könnte sogar geltend machen, dass man einen König vielleicht ermorden kann, ohne das ganze Land in größere Erschütterungen zu stürzen, so wie im alten Rom, wo die Prätorianer ihre Herrscher töteten, wie Knaben Fliegen töten. Aber wenn das Geld nicht in Ordnung ist, dann fehlt dem Land ein echter Maßstab des Wohlstands, und an diesem Leiden wird es schnell zugrunde gehen. Doch es ist nicht an uns, über die Gerechtigkeit der Strafe zu debattieren. Das ist Sache der Gerichte. Oder des Parlaments.»

«Ich will lieber im Bett ermordet als so behandelt werden.»

«Hingerichtet zu werden ist doch in jedem Fall besser, als ermordet zu werden, denn ein zum Tode Verurteilter hat noch Gelegenheit, mit dem Allmächtigen ins Reine zu kommen.»

«Erzählt das Peter Cooke», sagte ich. «Ich würde meinen, er hätte es vorgezogen, ein schnelles Ende zu nehmen und auf Gottes nachfolgenden Richtspruch zu vertrauen.»

Das überaus stürmische Novemberwetter wich Anfang Dezember einem grimmen Frost, gerade als sich Gerüchte verbreiteten, die französische Flotte treffe Vorbereitungen für eine Landung in Irland. Mein Herr und ich hatten den ganzen Vormittag in der Amtsstube verbracht, die nahe dem Byward Tower, über dem Eingang zur Münze, lag. Wie alles im Tower war sie ein feuchtes kleines Gelass, wogegen ein kräftiges Feuer auch nicht viel auszurichten vermochte, sodass ich häufig an einem bösen Husten litt. Oft schimmelten unsere Dokumente, sodass ich sie vor dem Feuer trocknen musste.

Die Amtsstube selbst war mit mehreren bequemen Sesseln, zwei, drei Schreibtischen, ein paar Borden und einem Nachtstuhl möbliert. Sie hatte zwei Fenster: eins zur Mint Street hinaus, das andere zum Festungsgraben, in den wir unser Nachtgeschirr leerten. Dieser Graben war etwa zehn Fuß tief und dreißig Fuß breit und einst mit Schlangen, Krokodilen und Alligatoren aus der Königlichen Menagerie bestückt gewesen.

An diesem Vormittag fischten zwei Schleppfischer mit Genehmigung des Lord Lieutenant das dreckige Wasser ab, denn es gehörte zu den Privilegien des Ortes, dass alles, was in den Graben fiel, Eigentum des Tower und somit des Lord Lieutenant war. Wir schenkten ihnen wenig Beachtung, da uns das Gerücht in Atem hielt, es gebe ein neues, perfektioniertes Verfahren zur Fälschung von Goldguineen, was meinem Herrn von Humphrey Hall hinterbracht worden war, einem Münzwerker, der zu seinem weitgespannten Informantennetz gehörte und ein überaus verlässlicher und fleißiger Bursche war. Doch jetzt erreichte uns die Nachricht, einer der Schleppfischer habe aus dem Graben eine Männerleiche gezogen, deren Zustand den Verdacht nahe lege, dass der Mann ermordet worden sei, denn die Füße seien zusammengebunden und der Körper vermutlich mit einem Gewicht beschwert gewesen.

«Das ist interessant», bemerkte mein Herr, der, als er das hörte, das Streicheln des Amtsstubenkaters Melchior einstellte, um aus dem Fenster zu blicken.

«Ach ja?», bemerkte ich. «Mich wundert, dass nicht mehr Leute da hineinfallen, wo doch der Graben nur mit einem niedrigen Lattenzaun gesichert ist, welcher keine Ziege abhalten würde.»

Doch Newtons Neugier war durch meine Bemerkung kaum gedämpft. «Es mag Euch entgangen sein, Ellis, aber Menschen, die ins Wasser fallen, machen sich selten die Mühe, sich mit Gewichten zu beschweren», sagte er verächtlich. «Nein, das interessiert mich. Warum sollte jemand einen Leichnam im Festungsgraben versenken, wenn doch die Themse so nahe ist? Es wäre doch sicher viel einfacher gewesen, die Leiche hinunter zum Tower-Kai zu tragen und dann die Gezeiten und die Strömung des Flusses ihr Transportwerk tun zu lassen.»

«Ich enthalte mich jeder Hypothese», zog ich ihn mit seiner eigenen Philosophie auf, was er gutmütig hinnahm. Und dabei hätten wir es vielleicht belassen. Aber von den Münzwerkern – die ein leicht zu ängstigender Haufe waren – hielten viele, sobald sie von der Entdeckung der Leiche hörten, ihre Maschinen an, was meinen Herrn zwang, die Sache mit Mister Hall vorerst beiseite zu schieben und, gemeinsam mit mir, aufzubrechen, um der Sache persönlich nachzugehen.

Die Leiche war in einen leeren Keller an der Water Lane gebracht worden, einer parallel zum Fluss verlaufenden Straße, der einzigen zwischen den Befestigungsringen, die nicht zur Münze gehörte. Draußen vor der Kellertür standen, vom Gestank des arg verwesten Leichnams vertrieben, ein Offizier des Festungskonstablers, mehrere Tower-Wachen, der Festungszimmermann und die beiden Schleppfischer, welche die Leiche gefunden hatten. Der Konstabler, Mister Osborne, ein pockennarbiger Bursche, der stets auf seinen Rang pochte und oft so betrunken war, dass er nicht mehr stehen konnte, wies gerade den Zimmermann an, einen billigen Sarg zu zimmern, doch als er meinen Herrn sah, hielt er inne, verdrehte höchst unverschämt die Augen und gab sich überaus belästigt.

«Potztausend, Sir!», rief er Doktor Newton entgegen. «Was habt Ihr hier zu suchen? Das hier ist Sache der Ordnance. Da ist nichts dran, was die Münze oder Euch anginge, dieser Mann ist nämlich schon tot, den kann man nicht mehr hängen.»

Newton überhörte diese Beleidigung und verbeugte sich förmlich. «Mister Osborne, nicht wahr? Ich gestehe, ich bin um Antwort verlegen. Ich hatte vor, meine Hilfe bei der Identifizierung dieses Unglücklichen und der Feststellung seiner Todesumstände anzubieten, da wir Mitglieder der Royal Society zumeist ein wenig Ahnung von Anatomie haben. Aber wenn ich’s recht verstehe, wisst Ihr schon alles, was es über diesen armen Kerl zu wissen gibt.»

Die anderen grinsten, als sie das hörten, denn es war offenkundig, dass Osborne nichts dergleichen wusste und seine Untersuchung auf höchst indifferente und wahrscheinlich sogar vorschriftswidrige Weise geführt hätte.

«Nun ja, ist nicht das erste Mal, dass jemand zu viel trinkt und in den Graben fällt», sagte er, nicht sonderlich überzeugt. «Da ist nichts Rätselhaftes dran, Doktor.»

«Meint Ihr?», sagte Newton. «Meine Beobachtung ist, dass Wein und Bier genügen, um einen Mann ins Straucheln zu bringen, sodass es ziemlich überflüssig ist, ihm die Beine zusammenzubinden.»

«Ihr habt also schon davon gehört», sagte Osborne verlegen. Er nahm den Hut ab und kratzte sich den kurz geschorenen Kopf. «Tja, Sir, es ist so, dass er mehr als nur ein bisschen stinkt, verfault wie er ist. Man hält es kaum aus, neben dem armen Kerl zu stehen, geschweige denn zu untersuchen, wer er ist.»

«Ganz recht, Sir», stimmte ihm einer der Wachsoldaten zu. «Er ist eine Pein für die Augen und für die Nase, das ist er weiß Gott. Wir hatten vor, ihn einzusargen und in den Kamin zu stellen, damit der Gestank abzieht, während der Konstabler ein wenig in der Gegend herumfragt.»