Nicht nur dein Tier stirbt -  - E-Book

Nicht nur dein Tier stirbt E-Book

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Beschreibung

Was bedeutet der Tod des Haustieres für die Besitzer? Wie haben sie den Tod ihrer Tiere erlebt? Wie sind sie mit ihrem Verlust umgegangen? Was hat ihnen in ihrer Trauer geholfen? Die Arbeitsgruppe Ethik der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts zwei Jahre lang mit eben diesen Fragen befasst. Zahlreiche Halter*innen wurden befragt - zu ihren Erlebnissen und Erinnerungen, ihren Gedanken und Gefühlen, ihrer Trauer und ihrem Weiterleben. Sie erzählen ihre Geschichten in Texten, Gedichten, Zitaten, persönlichen Fotos und Bildern. Außerdem haben Wissenschafler verschiedener Fachrichtungen einige weiterführende Artikel zur Bedeutung der Trauer um Tiere beigetragen. Dieses Buch erzählt die Geschichten über die Trauer um Haustiere. Vielleicht helfen sie Ihnen, zu verstehen.

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Seitenzahl: 208

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Das diesem Buch zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01GP1772 gefördert.

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei der Autorin und dem Autor.

Nicht nur dein Tier stirbt

Geschichten und Forschungen zur Trauer um Haustiere

MARION SCHMITTPETER KUNZMANN(Hrsg.)

Impressum

© 2020, Verlag Kern GmbH, Ilmenau

Herausgeber

Dr. Marion Schmitt, Prof. Dr. Peter Kunzmann

Lektorat

Dr. Marion Schmitt, Ines Rein-Brandenburg

Satz & Gestaltung

Anika Vogel, Vogel-Layout

Umschlagfoto

Ulrike Mai, Pixabay

E-Book-Herstellung

Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN

978-3-95716-307-3

Sofern nicht anders gekennzeichnet, wurden alle Fotos und Grafiken von den Teilnehmer*innen der Studie privat zur Verfügung gestellt mit deren Einverständnis zur Anonymisierung und Veröffentlichung.

Das Werk, einschließlich seiner Texe und Bilder, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autoren unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; Details sind über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Inhaltverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Man muss die Geschichte kennen

Einleitung

Warum ein Buch?

Die bagatellisierte Trauer

Dr. Marion Schmitt

Meine Erinnerungen an das Sterben eines geliebten Haustieres

Silke Deschamps

Danny, Maggy, Janei oder die Hundefrau und ihre Extremfälle

Die Entscheidung

Nicht nur dein Tier stirbt

Prof. Dr. Peter Kunzmann

Das Sterben erleben

Das Mensch-Tier-Verhältnis: Spielräume einer Sozialpartnerschaft

Dr. Thorsten Benkel

„Es ist, als wäre mein Kind gestorben.“

Trauer um verstorbene Tiere in der griechisch-römischen Antike

Prof. Dr. Thorsten Fögen

Der Tod im Leben und die Trauer um ein Tier

Sabine Meyer

Tränen für Tiere

Trauer um den Verlust eines Haustieres aus psychosomatischpsychotherapeutischer Sicht

Dr. med. Anja Gerdes

Erinnerung & Trost

Tiere würdevoll verabschieden – Trauer und Rituale

Andrea Bartsch

Bestattung

Der älteste öffentliche Tierfriedhof Europas – Heimat einer prunkvollen Grabstätte für den Pudel „Tipsy“

Dr. Markwart Herzog

Jenseits

Ohne Heim, nicht ohne Liebe– Trauer um Tiere im Tierheim

Nicole Rodewald

Nachwort

Abschied nehmen

Eine Informationsbroschüre über den Tod des Tieres und den Umgang mit der eigenen Trauer

Endnoten

Vorwort

Man muss die Geschichte kennen

„Mein Leben hatte durch unseren Hund so viele bunte Farben, viele, viele tolle Momente, von denen ich keine einzige Sekunde missen möchte. Noch nicht mal die, in denen er mit dreckigen Pfoten in mein Bett gesprungen ist, auf den Teppich gespuckt oder das Sofa vollgehaart hat.

Wie sollte es anders sein, als dass es unmenschlich wehtut, wenn ein Lebewesen, das man so geliebt hat, von einem geht?“

Trauer um Tiere ist ein kontrovers diskutiertes, schwieriges Thema – schwierig deshalb, weil es um Emotionen geht. Emotionen sind wissenschaftlich-rational kaum zugänglich, von Mensch zu Mensch verschieden und individuell absolut einzigartig. Unvergleichbar. Unbeschreiblich. Und manchmal sogar für die Person selbst unverständlich.

Trauer und Emotionen haben Geschichte.

Das stubenreine, handzahme Kaninchen, das frei in der Wohnung lebt, auf Kommando im Stall verschwindet und sich abends mit aufs Sofa legt. Sogar Papa geht nach der Arbeit frischen Klee pflücken, auch wenn er dafür einen Umweg fahren muss.

Für die wortkarge Einsiedlerin, die misshandelt, betrogen und verlassen wurde, ist das Pferd der Lebensanker. Der Einzige, auf den sie sich verlassen kann. Als Therapeut und Freund der Grundstein jeglichen Selbstvertrauens und der Erkenntnis, überhaupt von Wert zu sein.

Die toughe Karrierefrau in einer von Männern dominierten Geschäftswelt kann bei ihrem Hund alle Masken fallen lassen – ungeschminkt in Jogginghosen lachen, kuscheln, spielen und weinen und ohne kritische Blicke vor dem Fernseher Pizza essen.

Die 80-jährige Witwe in ihrem leeren Haus hat mit ihrer Katze ein Wesen, das noch ihre Nähe sucht, sich warm, weich und zärtlich an ihre alten Hände schmiegt und wohlig schnurrend in ihrem Schoß schläft. Das umsorgt werden muss und ihr gleichzeitig jeden Tag Liebe und Struktur vermittelt, Konstanz und Sicherheit in einer einsamen Welt, die sich viel zu schnell verändert.

Für den einsamen Junggesellen ist der Hund emotionale Stütze und Türöffner, der zu Bewegung animiert und Kontakt zu anderen Menschen schafft. Treuer Begleiter und klagloser Kumpan bei jeder Bergbesteigung, der nach allen Strapazen den Erfolg und die atemlose Schönheit am Ziel teilt.

Für die zweifache Mutter ist der alte Familienhund die letzte Verbindung zu ihrer Heimat, ihrer Kindheit, einem früheren Leben, einer glücklicheren Vergangenheit. Schuld und Selbstvorwürfe, als er überraschend eingeschläfert werden muss – hätte sie ihn nicht so vernachlässigt, hätte sie ihn retten können.

Das kinderlose Paar macht sich schreckliche Vorwürfe, weil sie die vermisste Katze nicht früher, länger, intensiver gesucht und drei Tage später steifgefroren im Nachbarsgarten unter der Hecke gefunden haben – und eine Woche zuvor noch heftig über das Haustier gestritten hatten, weil sie gerne in die Karibik geflogen wären.

Es geht um die Beziehung. Aber nicht nur. Es geht um die Geschichte des Lebens, die Geschichte des Todes und noch viel mehr. Nicht nur dein Tier stirbt.

Tierhaltung ist ein teures Hobby. Man kann darüber streiten, ob die Trauer um Haustiere gerechtfertigt ist. Ob sie sich vergleichen lässt mit der Trauer um Menschen. Ob die Bezeichnung von Hunden und Katzen als Partner oder Kinder übertrieben und unangebracht ist oder die Nicht-Bestattung des Tierkörpers grausam und herzlos.

Viele Menschen fühlen sich in ihrer Trauer allein, allein gelassen und unverstanden. Auch in ihrer Trauer um Tiere.

Tiere sind keine Menschen. Sie zu Menschen zu machen, wird ihnen und uns nicht gerecht.

Aber sie sind auch mehr als nur Tiere. In ihrem Leben und Sterben geht es meist um viel mehr.

Man muss die Geschichten kennen, um zu verstehen.

Einleitung

Warum ein Buch?

„Ob andere Tierhalter*innen in ähnlicher Weise trauern? Sich ähnlich eng an ihr Tier gebunden hatten?“

„Gerade in der heutigen Zeit werden Tiere sehr oft zu ‚Ersatzmenschen‘, ‚Partnern‘, ‚Kindern‘, und wenn uns dann der Tod voneinander trennt, dann ist der Schmerz da – überraschend, hart, grausam. Und dann kann es helfen, zu hören oder zu lesen, wie andere mit einer solchen Situation umgegangen sind.“

„Ich finde es sehr schön, dass der Schmerz eine Stimme bekommt.“

Zwischen September 2017 und August 2019 lief an der Tierärztlichen Hochschule Hannover das Projekt BELECAN (Behandlungsziele am Lebensende von Companion Animals), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Teil dessen war ein künstlerischer Ansatz für die schwierigen Themen Einschläferung, Trauer und Verlustbewältigung. Eines der Ziele war die Veröffentlichung eines Buches aus gesammelten Texten und Bildern, wie Menschen mit dem Tod und der Trauer um ihre Haustiere umgehen.

Mittels öffentlichen Aufrufs wurden Tierhalter-*innen um ihre Mithilfe durch freiwillige Teilnahme gebeten – bis Ende des Erhebungszeitraumes im Januar 2019 erreichten uns insgesamt 195 Einsendungen. Es sind die Geschichten von 236 Tieren, die zwischen 1977 und Oktober 2018 verstorben sind. Die Teilnehmer waren vor allem weiblich (75,68 %) und stammten aus Deutschland, aber auch aus Österreich, der Schweiz, Südtirol und Griechenland. Am häufigsten wurde uns von Hunden erzählt (62,29 %), gefolgt von Katzen (24,15 %), Pferden (8,05 %), Kaninchen (2,97 %), Eseln (1,27 %), Meerschweinchen (0,85 %) und einem Zwerghamster.

An dieser Stelle möchten wir uns noch einmal ganz herzlich bei allen Teilnehmer*innen für ihre zahlreichen Einsendungen bedanken – vielen Dank für Ihre Unterstützung!

Weitere Informationen zu unserem Projekt und unsere Kontaktdaten finden Sie auf der Website unseres Instituts: www.tiho-hannover.de/trauer

Das Buch setzt sich zusammen aus Bildern, Fotos, gesammelten Zitaten aus den Fragebögen, Gedichten, Geschichten und acht Aufsätzen. Sie nähern sich den Themen Tod und Trauer von unterschiedlichen Standpunkten aus an und sollen für einen tiefen Einstieg die weitergehende Beschäftigung mit dem Thema ermöglichen.

Online Redakteurin & Autorin SILKE DESCHAMPS beschreibt aus der Halter*innenperspektive ihren persönlichen Umgang mit der Verantwortung gegenüber ihren Tieren und der Entscheidungsfindung zur Einschläferung. Darüber hinaus schreibt sie, was Tod und Jenseits für sie bedeuten und wie das Leben nach jeder Trauer für sie weitergehen kann.

PROF. DR. PETER KUNZMANN, Theologe, Philosoph und derzeit deutschlandweit einziger Dozent für angewandte Ethik in der Tiermedizin, setzt sich mit den unterschiedlichen Bedeutungen des Buchtitels auseinander. Er zeigt, dass dieselbe Aussage je nach persönlicher Auffassung mehrere, völlig unterschiedliche Bedeutungen haben kann und zeigt damit deutlich, weshalb Kommunikation und Verständnis so wichtig sind.

DR. THORSTEN BENKEL vom Lehrstuhl für Soziologie der Universität Passau beleuchtet besonders die menschlich-gesellschaftlichen wie auch historischen Aspekte des Heimtieres als Sozialpartner. Eindrucksvoll zeigt er, weshalb das Erleben von Verlust, Tod und Trauer um Haustiere oft nicht verstanden wird und gleichzeitig für den Betroffenen so wichtig ist. Herr Dr. Benkel war außerdem so freundlich, einige der Bildmaterialien zu diesem Buch beizusteuern - weitere Informationen zu seiner und Matthias Meitzlers Arbeit über die Gestaltung zeitgenössischer (Tier)Friedhöfe im In- und Ausland finden Sie auf ihrer Webseite: www.friedhofssoziologie.de

PROF. DR. THORSTEN FÖGEN, Associate Professor (Reader) in Classics des Department of Classics & Ancient History der Durham University, zeigt auf, dass Trauer um Tiere keinesfalls ausschließlich eine moderne Erscheinung ist. Gedichte und Grabreden sind seit der Antike belegt und spiegeln den emotionalen Stellenwert der verstorbenen Haustiere.

SABINE MEYER beschäftigt sich als Tierhalterin mit den verschiedenen Aspekten ihrer Trauer um Tiere ebenso wie mit der Frage, ob die Einschläferung der „neue Standard“ des Tiertodes ist oder der natürliche Tod als Möglichkeit noch einen Platz in der heutigen Zeit hat.

DR. MED. ANJA GERDES wirft als Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie einen genaueren Blick auf die Trauer. Beispielhaft beschreibt sie, welche zentralen Aspekte beim Zusammenleben von Mensch und Haustier und beim Verlust eine wichtige Rolle spielen und betont die Bedeutsamkeit von Trauer und einer Auseinandersetzung mit dem Tod auch für unsere Gesundheit.

ANDREA BARTSCH berichtet von ihren Einblicken als Bestatterin, Trauerbegleiterin, Psychosoziale Beraterin in die Themen Tod und Trauer um das Tier, in die Gestaltung von Abschiedsritualen und deren Bedeutung auch für Tierbesitzer*innen auf dem Weg der Verlustbewältigung.

DR. MARKWART HERZOG, Direktor der Schwabenakademie Irsee, verdeutlicht am Beispiel einer ausgewählten Grabstätte für einen Pudel die Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung. Durch die Interpretation der Gestaltungssymbolik schließt er auf die Rolle von Haustieren im Sozialgefüge unserer heutigen Kultur.

Zuletzt zeigt Tierheimpflegerin Nicole Rodewald eindrucksvoll aus eigenen Erfahrungen, dass Tierart, Alter, Besitzverhältnisse, Verbundenheit oder Dauer der Haltung nicht entscheidend sind für die Trauer nach dem Tod des Tieres – auch herren- und heimatlose Tiere werden immer wieder und immer aufs neue beweint.

Im Anhang finden Sie zuletzt eine kurze Informationsbroschüre, die ebenfalls im Rahmen des BELECAN-Projekts eigens für Tierhalter*innen erstellt wurde und noch einmal zusammengefasst die Themen Trauer, Einschläferung, Bestattung und Trauerbewältigung behandelt.

Einige Text- und Bildmaterialien sind sehr persönlicher Natur und mussten aufgrund datenschutzrechtlicher Bestimmungen dahingehend überarbeitet werden, dass eine Wiedererkennung anhand sensibler Daten ausgeschlossen werden kann. Wir bitten vielmals um Entschuldigung und hoffen auf Ihr Verständnis. Bitte fassen Sie diese Eingriffe nicht als Anstoß zur Entrüstung auf – sie dienen ausschließlich dem Schutz Ihrer eigenen Person, wie auch Ihrer Angehörigen.

Bei der Zusammenstellung der verschiedenen Inhalte haben wir uns bemüht, die Gedichte und längeren Geschichten mit entsprechenden Fotos des jeweiligen Einsenders zu untermalen. Die Zuordnung der Bilder zu den Zitatsammlungen erfolgte zufällig. Wir haben die ausgeglichene Verteilung zu einem harmonischen, ansprechenden Gesamtbild angestrebt. Uns ist bewusst, dass einige Ihrer Beiträge sehr persönlicher Natur sind und zweifellos zahlreiche, auch sehr schmerzhafte Erinnerungen bergen. Wir möchten uns bereits im Vorab dafür entschuldigen, wenn eine dieser sehr persönlichen Erinnerungen von einem in Ihren Augen unpassenden Beitrag – sei es in Text- oder Bildform – begleitet oder umrahmt wird. Sollten wir Ihnen durch unser Handeln zu nahe getreten sein, möchten wir uns vielmals bei Ihnen entschuldigen und bitten Sie, dies nicht als persönliche Verletzung aufzufassen. Mit Beschwerden können Sie sich selbstverständlich jederzeit an uns wenden – die Kontaktdaten finden Sie auf der Website unseres Instituts.

Es ist nicht und war niemals unsere Intention, Sie mit unserem Buch zu verletzen.

Mit unserem Buch verfolgen wir mehrere Ziele

Wir müssen darauf hinweisen, dass es sich bei den hier abgedruckten Aussagen lediglich um Zitate aus den Einsendungen handelt, die die persönlichen Meinungen der Teilnehmer*innen und Teilnehmer spiegeln. Sie zeigen nicht die Standpunkte der Tierärztlichen Hochschule und dienen allein der kritischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen, um als Denkanstöße die eigene Meinungsbildung zu ermöglichen.

Darüber hinaus soll unser Buch die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem Tod abseits der wissenschaftlichen Ebene schaffen, Betroffenen Trost bieten und Anstöße geben, wie der Umgang mit der eigenen Trauer gelingen kann. Gerade Tierbesitzer*innen ohne bisherige Verlusterfahrungen wollen wir unterstützen. Die Erfahrungsberichte sollen zur Vorbereitung auf die schwierige Situation am Lebensende anregen – zur Auseinandersetzung mit dem Sterben, dem Verlust und der eigenen Trauer.

Das Buch will eine Orientierung beim Umgang mit dem Tod vermitteln und der Tabuisierung des Todes, wie auch der Bagatellisierung der Trauer um Haustiere entgegenwirken.

Zuletzt und vor allem aber will es die moralischen Werte von Toleranz und Anerkennung in der breiten Bevölkerung stärken. Es will auf die enorme und oft unterschätzte Bedeutung unserer Haltung gegenüber anderen aufmerksam machen. Wie wichtig es ist, dass wir unseren Mitmenschen mit Akzeptanz, Empathie und Solidarität begegnen – auch und gerade denjenigen, deren Ansichten uns vielleicht fremd sind und die wir zunächst nicht verstehen.

Wir hoffen, dass die liebevollen Beiträge auch anderen Tierbesitzer*innen beim Erkennen, Verstehen und der Aufarbeitung ihrer Trauer helfen können.

Wir wünschen Ihnen von Herzen alles Gute und dass Sie viele Menschen und Tiere um sich haben, die Ihnen in Ihren schwierigen Zeiten beistehen, Sie stützen und Ihnen Trost und Kraft geben.

Alles Gute.

Mai 2018 bis September 2019

Dr. Marion Schmitt & Prof. Dr. Peter Kunzmann

Im Namen der AG Ethik der Tierärztlichen Hochschule Hannover

„Alles braucht seine Zeit.

Leider gibt es Zeitgenossen, die das überhaupt nicht verstehen. Ich habe 14 Jahre, 8 Monate und 2 Wochen mit Dir zusammengelebt.

Für mich warst Du Familie.“

Die bagatellisierte Trauer

DR. MARION SCHMITT

Der Tod ist ein unbequemes Thema

Wir sind ein Leben lang unsterblich. Wir wollen nicht an unsere Vergänglichkeit erinnert werden. Tod, Sterben und Trauer werden verschwiegen, verdrängt, ignoriert. Unser Verhalten ist Ausdruck unserer Einstellungen. Das wiederum unterliegt zahlreichen Einflüssen – Genen, Veranlagung, Erziehung und Erwartungen unserer Gesellschaft, Kultur und sozialen Gruppe.

Emotionen wie Wehklagen und Trauer sind seit der Antike vor allem weiblich konnotiert und gelten immer noch als ein Ausdruck von Schwäche. In einer männlich dominierten Gesellschaft sind sie nicht erwünscht. In unserem westlichen Kulturkreis entsprechen öffentliche Trauerbekundungen oder Gefühlsausbrüche überhaupt nicht der gesellschaftlichen Norm. Tränen, Hilflosigkeit und Verzweiflung passen nicht zum Ideal von Schönheit, Stärke und Erfolg.

Individualisierung und Globalisierung schaffen Flexibilität, Mobilität und Vernetzung. Der Ausbruch aus alten Strukturen und Lebensmodellen wird einerseits beruflich vorausgesetzt, andererseits individuell angestrebt. „Veraltete“ Religionen, Regeln und Gesetze, Traditionen und Bräuche verlieren an Ansehen. Strukturverlust und Vereinsamung sind Folgen. Gänzlich frei zu sein bedeutet auch, frei von allen Wurzeln zu sein. Der Zusammenhalt zerbricht. Man ist immer mehr allein.

Die alltägliche Konfrontation mit dem Tod ist ausgestorben. Unsere Arbeits- und Lebenswelt zeichnet sich durch steigende Lebenserwartung und sinkende Kindersterblichkeit ebenso aus wie durch den Gedanken der „Nutzlosigkeit“ alter Menschen für ihre Familien und die Wirtschaft. In unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft der Reichen und Schönen müssen Alten- und Pflegeheime anstelle der Familie die Fürsorge übernehmen – aufgrund der oftmals zwingend notwendigen Arbeitstätigkeit beider Partner, kann die Pflege oft unmöglich anders geleistet werden. Mit dieser „Abschiebung“ kommt es zu einer Entfremdung vom Sterben, dem Tod und dem Trauerprozess an sich.

Die Trauer ist uns fremd geworden

Trauer ist keine Krankheit. Sie ist ein prinzipiell natürliches, gesundes Verhalten auf einen Verlust. Dabei kann es sich um Lebewesen ebenso handeln wie um Gegenstände (das Lieblingsbuch, Kleidungsstücke, das Zuhause) oder abstrakte Konstrukte (Ziele, Träume oder Wünsche). Trauer dient dem Begreifen der neuen Situation, dem adäquaten Umgang, der Neuorientierung und der Integration des Verlustes in die eigene Lebenswelt, um letztendlich gestärkt aus dieser Situation hervorgehen zu können. Die meisten Menschen der westlichen Gesellschaft machen ihre ersten Todeserfahrungen heute im Alter von über dreißig Jahren, teilweise noch später. Der Tod ist nicht mehr alltäglich.

Im Umgang mit Tod, Sterben und Trauer herrscht große Unsicherheit, sowohl bei den Trauernden selbst, als auch bei ihrem Umfeld. Trauernde befinden sich in einer Ausnahmesituation. Sie sind extrem belastet, oft nicht sie selbst und in der Regel heillos überfordert mit der Situation und ihren eigenen Reaktionen. Ihrem Umfeld ergeht es nicht anders - selbst, wenn Hilfe angeboten wird, sind wenig hilfreiche Äußerungen und Reaktionen viel zu häufig. Während das „Trauerjahr“ in aller Regel noch zugestanden wird, sollen Betroffene danach möglichst schnell wieder „funktionieren“. So einfach ist das leider nicht. Denn die Trauer ist genauso individuell wie die Menschen selbst.

Trauernde stoßen oft auf Unverständnis. Das gilt besonders für Randbereiche, wie die Trauer um Ungeborene oder Haustiere. Letzteres unterliegt oft einer zusätzlichen Belastung: Halter*innen müssen die Entscheidung zur Einschläferung des Tieres treffen.

Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass wir das Tier umbringen.

Es geht darum, die Verantwortung zu übernehmen. Diese Entscheidung zu treffen, ist nicht leicht. Auch nicht für die behandelnden Tierärzt*innen. Auch sie wollen das Tier nicht gehen lassen. In der Regel kennen sie Tiere und Besitzer*innen, die Kranken- und Leidensgeschichte. Als Arzt mit dem Tod umzugehen, ist schwer, da man um Heilung, Rettung und Lebenserhalt bemüht ist. Die Kapitulation vor dem Tod stellt ein persönliches Versagen dar. Der Umgang mit Emotionen wird im Studium nicht gelehrt. Vor allem junge Tierärzt*innen sind oft überfordert mit emotionalen Situationen. Auch, weil ihnen die persönliche Erfahrung fehlt. Hohe Suizidraten und Lebensunzufriedenheit sind Ausdruck dieser Belastungen, denen Tierärzt*innen ebenso unterliegen, wie die Halter*innen selbst. Dabei muss keiner der Beteiligten die Verantwortung allein tragen – die Entscheidung, das Tier zu töten, treffen wir gemeinsam. Wir entscheiden nicht über ein Tier – wir entscheiden für das Tier. Es ist in jedem Fall eine Einzelfallentscheidung.

Niemand beschäftigt sich ernsthaft im Voraus mit dem Sterben, dem Tod oder dem Umgang mit Trauernden, geschweige denn seiner eigenen Trauer. Doch der Tod geht uns alle an – und der Tod von Haustieren spielt eine immer größere Rolle in unserer Gesellschaft. In mehr als jedem dritten deutschen Haushalt lebt ein Haustier – ihr Tod ist heute oftmals der erste, dem wir überhaupt begegnen.

Vielen Teilnehmer*innen war nicht klar, wie schwer der Verlust sie treffen würde. Alle gaben an, dass sie in irgendeiner Art und Weise um ihr Tier getrauert haben. Grundsätzlich beschreiben sie dieselben Trauersymptome, die auch bei der Trauer um Menschen auftreten. Wie intensiv und belastend der Verlust erlebt wird, lässt sich nicht vorhersagen.

Die meisten Menschen finden Trost und Unterstützung im Kreis der Familie und bei Freunden. Leider mussten auch viele die Erfahrung der Bagatellisierung und Abwertung ihres Verlustschmerzes machen – anstelle von Hilfsangeboten wurden mit erschreckender Regelmäßigkeit sehr verletzende Kommentare geäußert. „Stell‘ dich nicht so an.“ „Es ist doch nur ein Tier.“ „Du kannst dir doch ein neues kaufen.“

Ein ähnlicher Kommentar zum Tod eines Menschen – „Es war doch nur deine Mutter“ – hätte unweigerlich die gesellschaftliche Ächtung zur Folge.

Eine Konsumgesellschaft ist darauf ausgerichtet, Mängel durch Ersatz auszugleichen. Nicht alle Menschen können nachvollziehen, dass Tiere keine belebten Dinge sind, sondern für ihre Halter*innen oft den Status eines Freundes oder tierischen Familienmitgliedes haben, dem sie entsprechend stark verbunden sind. Möglicherweise liegt die Fehlkommunikation in den unterschiedlichen Standpunkten und Wertvorstellungen zweier grundverschiedener gesellschaftlicher Gruppen. Möglicherweise liegt es aber auch an einer gewissen allgemeinen Ratlosigkeit. Leugnung und Bagatellisierung müssen nicht gezwungenermaßen Ausdruck böser Absichten sein – sie dienen auch als Tarnmäntel für die darunterliegende Hilflosigkeit angesichts der befremdlichen, erschreckenden Situation. Wie verhalte ich mich beim Trauerfall um ein Tier?

Trauer ist so individuell wie der Trauernde selbst

Trotz aller Versuche einer Systematisierung – der Gliederung in Phasen, Symptommuster, der Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zur Trauer um Menschen – ist und bleibt jede Trauer ein individuelles, hoch komplexes Konstrukt. So individuell, wie die verlorene Beziehung, die Geschichte dahinter.

Verständnis ist nicht leicht und nicht selbstverständlich. Heimtierhaltung ist eine private, persönliche Domäne, in die man sich nicht hineinreden lassen will. Jeder kennt mindestens einen dieser militanten Tierfanatiker, die in ihrer Tierliebe keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten ihrer Mitmenschen nehmen. Wenn Tiere mit am Tisch sitzen, gefüttert, frisiert oder manikürt werden, fällt Mitleid oft schwer. Nicht nur in diesen Fällen, sondern generell wird Trauer um Haustiere als übertriebene Reaktion abgetan. Verrückt, wie die Beziehung. Nicht normal.

Vermenschlichung wird dem Tier nicht gerecht und ist aus tiermedizinischer Sicht nicht zu unterstützen.

Aber kein Trauernder sollte für sein Handeln oder Denken kritisiert werden. Niemand kennt die Hintergründe der Gefühle, Gedanken und Befindlichkeiten seines Gegenübers – niemand sollte einen anderen Menschen dafür verurteilen. Bei jedem Verlust spielt viel mehr eine Rolle als nur der Verlust selbst. Jeder Trauernde kennt seine Bedürfnisse am besten. Es sollte ihm gestattet sein, sich seinen Trost nehmen zu können.

Im Laufe meiner Forschungsarbeit habe ich viele Wege kennengelernt, wie Menschen mit ihrer Trauer umgegangen sind, was ihnen und ihren Familien geholfen hat. Es spielt keine Rolle, was Ihnen hilft. Wichtig ist, dass Sie für sich einen Weg finden, Ihre Trauer zuzulassen, Ihren Verlust zu verarbeiten und Ihr Leben neu zu gestalten. Jeder Mensch muss auf seine eigene Art damit umgehen lernen und sich seine eigenen Rituale zur Bewältigung suchen, seine eigenen Wege finden dürfen.

Dabei ist Verständnis wichtig. Aber wer für sich mehr Verständnis von anderen fordert, muss auch bereit sein, anderen mit mehr Verständnis zu begegnen.

Wir leben in einer Welt, die aus Arbeit und Konsum besteht. Trauer ist nichts „wirtschaftlich Nützliches“. Wir brauchen eine neue Trauerkultur. Wir brauchen ein neues Verständnis von Menschlichkeit. Menschen müssen dazu aufgefordert werden, ihren Schmerz zeigen und ausdrücken zu dürfen. Wir haben ein Kommunikationsproblem. Niemand spricht mehr miteinander, niemand kennt mehr die Geschichte des anderen, niemand versteht den anderen mehr. Gerade in einer Welt, die immer multikultureller wird, brauchen wir mehr Verständnis, mehr Einfühlungsvermögen, mehr Achtsamkeit, Akzeptanz und Wärme.

Es ist absolut verständlich und gerechtfertigt, um sein Tier zu trauern. Damit sind Sie nicht allein.

Niemand muss sich für seine Trauer schämen.

Aber um zu verstehen, muss man die Geschichte kennen. Man muss die Geschichte erzählen. Man darf die Geschichten nicht sterben lassen.

Meine Erinnerungen an das Sterben eines geliebten Haustieres

SILKE DESCHAMPS

Ein Leben ohne Tiere kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin mit Tieren aufgewachsen und hatte allzeit eine besondere Verbindung zu ihnen. Manche Mensch-Tier-Beziehung war für mich inniger als eine Mensch-Mensch-Beziehung. Leider haben die meisten Haustiere eine kürzere Lebenserwartung als wir Menschen. Daher kommt es in meinem Leben immer wieder vor, dass ich mich von einem geliebten Tier verabschieden muss. Für mich ist es jedes Mal ein einschneidendes Ereignis und verändert mein Leben. Der Alltag wandelt sich in einen neuen Rhythmus.

Es ist seltsam. Wir verbringen Jahre zusammen und ich weiß, ich werde Abschied nehmen müssen. Ob durch Krankheit oder Alter, die Wege werden sich trennen. Wochen vorher beschleicht mich ein Gefühl, fast, als würde mir das Tier sagen, was kommen wird. Ungeachtet dessen trifft es mich hart und unvorbereitet und ich habe das Gefühl, jedes Mal geht ein Stück von mir mit dem Tier. Als würde ich einen Teil von mir abgeben und wie ein Erinnerungsstück mitgeben. Und umgekehrt ist es genauso. Ein Teil des Tieres bleibt hier. Die Erinnerungen und Erzählungen halten das Tier lebendig, zugleich blicke ich mit Wehmut und Sehnsucht zurück. Der Verlust lehrt mich eine Art Akzeptanz für das Leben selbst. Das Wissen, dass nichts uns gehört und alles endlich ist, gibt dem Sein Tiefe und, paradoxerweise, ein Gefühl von Ewigkeit.

Wenn ein Tier verstirbt, schmerzt es, als würde ein Mensch gehen. Es gibt für mich keinen Unterschied. Dabei ist ein Kaninchen genauso viel wert wie eine Katze oder ein Vogel. Es spielt keine Rolle. Mein Herz hängt nicht an der Größe oder dem Können des Tieres.

Der nahende Tod fühlt sich laut und brutal an. Ich habe das Gefühl, ein lauter, schneller Zug rast quietschend auf den Gleisen vorbei, während ich zu nah am Bahnsteig stehe. Es ist unangenehm, es soll aufhören. Es fühlt sich an, als wäre man der kleinste Mensch der Welt, der rein gar nichts gegen das Leben tun kann. Einfach machtlos. Mit der Zeit verblasst das schrille Geräusch in der Ferne, bis nichts mehr zu hören ist. Gar nichts mehr.

Ich bin bei dir bis zum Schluss

Stirbt ein Tier aufgrund einer Krankheit oder durch einen Unfall, ist es für mich schlimmer, als wenn dies durch Alter geschieht. Ich habe Schuldgefühle, obwohl ich alles getan habe, was mir möglich war. Ich spüre es, wenn die Zeit meines Tieres gekommen ist. Dann versuche ich, möglichst viel für meinen Liebling zu tun und ihm nochmal besonders viel Liebe zu schenken. Trotzdem fühle ich mich unvorbereitet. Es trifft mich wie ein Hammerschlag.